Masterarbeit, 2020
199 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und methodisches Vorgehen
1.3 Abgrenzung
2 Definitionen
2.1 Zollbegriff
2.2 Elektronischer Zolltarif
3 Warenursprungs- und Präferenzrecht
3.1 Systematik und Hintergrund
3.2 Warenursprünge und Freiverkehrseigenschaften
3.3 (Langzeit-) Lieferantenerklärungen
3.3.1 Arten von LEs
3.3.2 Von der Lieferantenerklärung zur Zollpräferenz
3.3.3 Lieferantenerklärungsprozesse
3.3.4 Präferenzkalkulation
3.4 Prinzipien des Präferenzrechts
3.5 Anforderungen des Präferenzzollrechts
4 Analyse der Experteninterviews
4.1 Vorgehen der Interviewanalyse
4.2 Interpretation und Resultate
4.2.1 Herausforderungen und Hürden
4.2.2 Gewünschte Verbesserungen
4.2.3 Bisherige Verbesserungsbestrebungen
4.2.4 Erwartungen an eine Blockchain
5 Nutzung der Blockchain-Technologie
5.1 Hintergrund und Idee
5.2 Netzwerkarchitektur
5.3 Klassifikation
5.4 Kryptographie
5.4.1 Hash-Funktion
5.4.2 Asymmetrische Verschlüsselung
5.5 Konsensbildung
5.6 Smart Contracts
6 Implementierung der Blockchain im Austausch von Lieferantenerklärungen
6.1 Erfordernis einer Blockchain
6.2 Gestaltung des LE-Austausches
6.2.1 LE-Austausch in einer Blockchain
6.2.2 Abbildung und Auswertbarkeit einer LE
6.3 Klassifikation im LE-Kontext
6.3.1 LE-Austausch via öffentlicher Blockchain
6.3.2 LE-Austausch via privater Blockchain
6.3.3 LE-Austausch via konsortialer Blockchain
6.3.4 Conclusio der Klassifikation
6.4 INF4-Prozess
6.5 Evaluation
6.5.1 Erfüllung der Erwartungen/Anforderungen
6.5.2 Risikobewertung
6.5.3 Nutzenbewertung
7 Fazit
7.1 Feststellungen
7.2 Empfehlungen
7.3 Ausblick
VI. Quellenverzeichnis
VII. Anlagenverzeichnis
Die Blockchain Hype-Phase der letzten Jahre hat bereits neben Kryptowährungen mehrere potenzielle Use-Cases in diversen Branchen hervorgebracht. Eine intensive Betrachtung des Präferenzzollrechts als mögliches Anwendungsszenario ist jedoch noch nicht vorgenommen worden. Insofern umfasst die vorliegende Masterarbeit eine Evaluation des potenziellen Blockchain-Einsatzes im Austausch von Lieferantenerklärungen. Diese Nachweisdokumente werden zwischen Herstellern und Lieferanten zum Zweck der Ursprungsdokumentation innerhalb der EU beim Handeln von Waren ausgetauscht, um bei einem Export auf der Grundlage von Freihandelsabkommen Zölle einsparen zu können. Insbesondere ist eine explorative Studie mit der Durchführung von Experteninterviews Gegenstand der Evaluation. Mit den Aussagen der Interviewpartner und der Eingrenzung auf die Automobilbranche ergibt sich im Ergebnis eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Blockchain im Präferenzzollrecht. Lieferantenerklärungen können in einer konsortialen Blockchain problemlos zwischen den Beteiligten im Peer-to-Peer-Netzwerk ausgetauscht werden. Sämtliche Prozessteilnehmer profitieren dabei von einer solchen Lösung im LE-Austausch, insbesondere die Zollbehörden und die Empfänger der Lieferantenerklärungen. Zur vollständigen Entfaltung sämtlicher Vorteile sind jedoch noch diverse Voraussetzungen notwendig, wie etwa die Klärung der Rolle der Zollbehörden. Obwohl die Erwartungen der Experten größtenteils erfüllt werden, ergeben sich ebenfalls Risiken in den Bereichen der Finanzierung, der Stakeholder und der Technologie selbst. Zudem ist ein besseres Verständnis der Blockchain durch die Prozessbeteiligten erforderlich und die konkrete Zusammensetzung auch bei einer branchenübergreifenden Implementierung bleibt spannend. Die gewonnen Ergebnisse indizieren somit weitergehende Analysen, die eine Implementierung der Blockchain-Technologie beim Austausch von Lieferantenerklärungen in den nächsten Jahren ermöglichen könnten.
Abbildung 1: Warenursprünge in Anlehnung an Möller/Schumann (2019) S. 45
Abbildung 2: Nachweiskette des EU-Ursprungs von Lieferantenerklärungen bis zur Zolleinsparung (eigene Darstellung)
Abbildung 3: Prozesse beim LE-Austausch (eigene Darstellung)
Abbildung 4: BPMN-Modellierung der Lieferantenerklärungsanforderung und -abgabe (eigene Darstellung)
Abbildung 5: BPMN-Modellierung der Stornierung einer Lieferantenerklärung (eigene Darstellung)
Abbildung 6: Ablauf INF4-Prozess (eigene Darstellung)
Abbildung 7: EU-Ursprungsverleihung aufgrund der Abkommenssystematik (eigene Darstellung)
Abbildung 8: Prüfungsschema der ausreichenden Be- oder Verarbeitung in Anlehnung an Sieben (2018a) S. 345
Abbildung 9: Ausschnitt der Anlage I des Anhangs II des RÜ
Abbildung 10: Möglichkeiten unterschiedlicher Inhaltsumfänge von Lieferantenerklärungen (eigene Darstellung)
Abbildung 11: Stärken und Schwächen der Blockchain in Anlehnung an Hosp (2018) S. 70 ff.
Abbildung 12: Hash-Datenstruktur eines Merkle-Baums in Anlehnung an Fill/Meier (2020) S. 10
Abbildung 13: Datenstruktur einer Blockkette in Anlehnung an Zheng et al. (2017) S. 558
Abbildung 14: Visualisierung der asymmetrischen Verschlüsselung in Anlehnung an Pohlmann (2019) S. 77
Abbildung 15: Entscheidungsbaum zur Bestimmung der Blockchain-Erfordernis in Anlehnung an Peck (2017)
Abbildung 16: Transaktion einer LE-Abgabe in der Blockchain (eigene Darstellung)
Abbildung 17: Zusammenfassung der Blockchain-Typ Evaluation im LE-Use-Case (eigene Darstellung)
AO Abgabenordnung
APS Allgemeines Präferenzsystem
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BPMN Business Process Model and Notation
BUN Bundesstelle Ursprungsnachprüfung
CETA Comprehensive Economic and Trade Agreement
DLT Distributed Ledger Technology
DSGVO Europäische Datenschutzgrundverordnung
ebd. ebenda
EFTA Europäische Freihandelsassoziation
EUSFTA EU-Singapore Free Trade Agreement
E-VSF Elektronische Vorschriftensammlung
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
GATT General Agreement on Tariffs and Trade
i.V.m. in Verbindung mit
IHK Industrie- und Handelskammer
LEs Lieferantenerklärungen
LLEs Langzeitlieferantenerklärungen
Nonce Number used once (einmalige Nummer)
PoI Proof of Importance
PoS Proof of Stake
RÜ Regionales Übereinkommen über die Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln
SACU Southern African Customs Union
StGB Strafgesetzbuch
UZK Zollkodex der Union nach Verordnung (EU) Nr. 952/2013
UZK-DelVO Unionszollkodex Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446
UZK-DVO Unionszollkodex Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447
VDA Verband der Automobilindustrie
VmU Vormaterial mit Ursprung
VoU Vormaterial ohne Ursprung
WZO Weltzollorganisation
„ Blockchain is the tech. Bitcoin is merely the first mainstream manifestation of its potential.”
— Marc Kenigsberg, Gründer von Bitcoin Chaser
Die Blockchain-Technologie ist in der Öffentlichkeit durch das Anwendungsgebiet der Kryptowährungen bekannt geworden, von denen Bitcoin eine der bekanntesten ist. Obwohl die Blockchain als obligatorische Grundlage von Kryptowährungen eine revolutionäre Technologie darstellt, war diese in Bezug auf die digitalen Währungen zunächst weniger vertraut.1 Mit steigendem Bekanntheitsgrad wurde der Technologie in der Literatur und den Medien eine bahnbrechende und disruptive Zukunft prophezeit, ähnlich der Einführung des Internets in den 1990er Jahren.2 Die Technologie zeichnet sich u. a. durch die Ausführung von vertrauenswürdigen Peer-to-Peer-Transaktionen in einem dezentralen Netzwerk aus. Dies ermöglicht neue transparente Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten zwischen Beteiligten, die sich grundsätzlich nicht vertrauen.3 An den Höhepunkt des Blockchain-Hypes im Jahr 2018 ist nun die im Gartner-Hype-Circle beschriebene Talsohle der Ernüchterung getreten.4 Im Jahr 2020 ist die Anzahl erfolgreicher Blockchain-Stories überschaubar und der tatsächliche Nutzen der Technologie wird in Frage gestellt.5 Dabei ist das disruptive Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Vielmehr verlagert sich die Evaluierung potenzieller Anwendungsszenarien von Hype-getriebenen Betrachtungen zu pragmatischeren Evaluierungen und Lösungen. Gartner Inc. geht davon aus, dass ab dem Jahr 2021 durch das Fortschreiten der technischen Entwicklung sowie der Identifizierung weiterer Use-Cases die Blockchain-Technologie künftig prosperieren wird.6
Neben den bisher bekanntesten Anwendungsszenarien der Kryptowährungen Bitcoin, Ethereum, Dash etc. wurden in den letzten Jahren noch weitere Potenziale der Blockchain-Technologe identifiziert,7 u. a. Anwendungsfälle im Bereich des Bankenwesens oder der Gesundheitsbranche. Eine weitere Einsatzmöglichkeit unter zahlreichen stellt die Implementierung in der Supply-Chain mit dem Joint-Venture TradeLens von MAERSK und IBM dar. Zwischen diversen Beteiligten sollen hierdurch zukünftig mittels einer Blockchain-Plattform Dokumente ausgetauscht werden können, was zum einen eine deutliche Beschleunigung und zum anderen eine erhebliche Transparenzsteigerung bei den Transport- und Abfertigungsprozessen im internationalen Handel generieren soll.8 Von diesem Blockchain-Szenario sind auch Zollprozesse betroffen, allerdings nur beim Import von Waren in die EU.9 Daneben existieren aber noch weitere bedeutende Prozesse im europäischen Zollrecht, die bei der bisherigen Digitalisierung und Automatisierung mittels einer Blockchain noch nicht näher betrachtet worden sind. Einer dieser Prozesse umfasst den EU-weiten Austausch von Lieferantenerklärungen (LEs) bzw. Langzeitlieferantenerklärungen (LLEs) im Präferenzzollrecht. Sofern in dieser Arbeit keine explizite Unterscheidung zwischen LE und LLE vorgenommen wird, schließt der Begriff LE auch LLEs mit ein. Diese können einer Ware einen EU-Ursprung auf der Grundlage von Freihandelsabkommen bescheinigen. In der EU ansässige Hersteller und Exporteure sind bestrebt, eben diesen Ursprung einer Ware zu dokumentieren, um beim Import in ein Abkommensland Zolleinsparungen in Anspruch nehmen zu können. Sofern keine LEs vorliegen, kann kein EU-Ursprung nachgewiesen werden und kausal können keine Zollvergünstigungen genutzt werden.10 Damit eine Ware als eine Ursprungsware der EU gilt, muss diese nach den Regeln des jeweiligen Abkommens entweder vollständig in der EU gewonnen bzw. hergestellt oder zumindest in ausreichender Form be- bzw. verarbeitet worden sein. Die Regeln zum Erfüllen eines EU-Ursprungs können dabei je nach Freihandelsabkommen und Warenart divergieren.11
Die Bedeutsamkeit des LE-Austausches zwischen den EU ansässigen Wirtschaftsbeteiligten kann insbesondere am Beispiel der deutschen Automobilindustrie verdeutlicht werden. Beim exemplarischen Import von Fahrzeugen nach Mexiko ist es je nach Beschaffenheit möglich, bis zu 50 % Zollabgaben einzusparen, sofern es sich um Ursprungswaren der EU handelt.12 Ein Automobilhersteller ist somit bestrebt, für die an ihn gelieferten Vormaterialien zur Herstellung eines Fahrzeugs LEs bzw. LLEs von seinen EU-Lieferanten einzuholen. Am Beispiel von Mexiko muss sich ein Fahrzeug für die Inanspruchnahme einer solchen Präferenz wertmäßig aus mindestens 60 % Vormaterialien mit EU-Ursprung zusammensetzen. Die Nutzung von Zolleinsparungen stellt einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil dar, der sich in Form eines niedrigeren Markteintrittspreises und einer höheren Marge gegenüber inländischen und ausländischen Konkurrenten abzeichnet.13 Insgesamt ergibt sich durch die Ausstellung von LEs eine übergreifende Dokumentationskette des EU-Ursprungs. Der Austausch erfolgt dabei derzeit via E-Mail, auf dem Postweg oder durch Portale (Internetauftritt des Herstellers) und ist somit durch zahlreiche System- und Formatbrüche geprägt.14 Zudem existieren durch das Zollrecht und die Zollbehörden rechtlich zwingend einzuhaltende Regelungen, wie z. B. die maximale Gültigkeit der Erklärungen von zwei Jahren. Diese Regularien mitsamt den inhaltlich voneinander abweichenden Freihandelsabkommen verkomplizieren und erschweren einen vereinfachten Austausch von LEs.
Den rechtlichen stehen zusätzlich prozessuale Herausforderungen gegenüber. Mitunter beliefern Lieferanten mehrere Kunden mit der gleichen Ware und müssen für jeden eine separate LE ausstellen und diese über diverse Kommunikationskanäle übertragen. Im Fall der notwendigen Stornierung einer LE muss diese Information ebenfalls wieder allen Kunden unverzüglich mitgeteilt werden. Dies erzeugt einen erhöhten Aufwand15 bei den Lieferanten und birgt für die Hersteller das Risiko, dass der Lieferant bevorzugt auf die Ausstellung von LEs verzichtet und somit am Ende der Kette Präferenzeinsparungen verloren gehen. Diese Problemstellungen konnten durch die Etablierungsbestrebungen einer zentral verwalteten Instanz beim Austausch von LEs u. a. aufgrund von Vertrauenshürden und Manipulationsbedenken bisher nicht gelöst werden (#00:11:55-2#). Für den Einsatz der Blockchain-Technologie könnte sich hierbei ein potenzielles Anwendungsszenario ergeben.
Mit dem Blockchain-Hype entstand die Gefahr, dass die Technologie lediglich zum Selbstzweck implementiert wurde, ohne dabei ein tatsächliches Anwendungsszenario erfüllen zu können. In diesem Sinne ist es obligatorisch, im ersten Schritt einen vielversprechenden Use Case im Kern zu evaluieren.16 Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Arbeit eine objektive Evaluierung eines potenziellen Anwendungsszenarios der Blockchain-Technologie im Zollrecht vorgenommen. Spezifischer geht es um die Prozesse rund um den Austausch von LEs zwischen Kunden, Lieferanten und Zollbehörden im Präferenzzollrecht. Dieser Problemstellung liegen mehrere Forschungsfragen zu Grunde.
1. Kann die Nutzung der Blockchain-Technologie zur Einholung von präferenzzollrechtlichen Lieferantenerklärungen genutzt werden und ergibt sich somit ein potenzielles Anwendungsszenario?
2. Ist eine Blockchain im LE-Austausch überhaupt erforderlich?
3. Wie müsste eine exemplarische Implementierung gestaltet sein und welche Anforderungen sollte diese erfüllen?
4. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus der Perspektive der einzelnen Prozessteilnehmer?
Daneben ist bedeutsam, ob die Blockchain-Technologie im Ergebnis einen Vorteil im Präferenzzollrecht darstellt und ob zukünftig Herausforderungen bestehen bleiben, die mit dem derzeitigen Stand der Forschung noch nicht aufgelöst werden können.
Die vorliegende Studie hat die Evaluierung des Blockchain-Einsatzes im Präferenzzollrecht beim Austausch von LEs zum Gegenstand. Dabei sollen die Rahmenbedingungen für eine Blockchain-Anwendung herausgearbeitet werden. Einen wesentlichen Bestandteil bildet die Formulierung von Anforderungen, die an die potenzielle Umsetzung der Blockchain-Technologie gestellt werden. Um die Zielsetzung zu erreichen, erfolgt zunächst eine literaturgestützte Vorstellung der Zollpräferenzsystematik. Damit soll ein thematischer Überblick über Präferenzzölle und LEs erhalten werden. Mithin wird auch der LE-Austausch mit seinen Prozessen vorgestellt, der die Formulierung erster Voraussetzungen und Rahmenbedingungen an eine potenzielle Blockchain-Umsetzung ermöglicht. Anschließend erfolgt die explorative Analyse der Zollprozesse auf der Grundlage von Experteninterviews und damit einhergehend die Identifizierung weiterer Anforderungen aus der Praxis. Darauffolgend werden die Funktionsweise und Eigenschaften der Blockchain-Technologie in den Fokus der Betrachtung gestellt. Die gewonnenen Teilergebnisse ermöglichen eine Evaluation des konkreten Anwendungsfalls der Blockchain beim LE-Austausch. Insbesondere werden hierbei die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Konfigurationsmöglichkeiten der Technologie im Präferenzzollrecht analysiert. Auf der Grundlage dieser Resultate werden neben der Betrachtung des Erfüllungsgrads der Anforderungen auch die Risiko- und Nutzenbewertungen vorgenommen und anschließend evaluiert. Abschließend wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben.
Da eine Implementierung der Blockchain-Technologie zum aktuellen Zeitpunkt weder im Präferenzzollrecht noch in anderen Zollprozessen vollumfänglich umgesetzt wird, ist eine zukünftige Evaluierung der Prozessgestaltung vorzunehmen. Um vor diesem Hintergrund die gewünschten Ergebnisse der Zielsetzung zu erreichen, wird in dieser Arbeit, wie bereits angeführt, neben einer reinen Literaturrecherche zusätzlich eine explorative Studie durchgeführt. Hierfür werden qualitative Experteninterviews als methodisches Mittel herangezogen.17 Da mit einer Literaturrecherche lediglich der aktuelle Stand der Forschung abgebildet werden kann, ist gerade im Hinblick auf den explorativen Charakter einer potenziellen Anwendbarkeit im Präferenzzollrecht das zusätzliche Durchführen von Experteninterviews obligatorisch. Neben der Erschließung der Potenziale und Herausforderungen können zudem die unterschiedlichen Sichtweisen der Prozessbeteiligten sowie deren Spezialwissen erfasst werden.18 Die methodische Vorgehensweise von Experteninterviews stellen für in der Zukunft liegende Einschätzungen und somit auch für potenzielle technische Prozessveränderungen ein geeignetes Mittel dar, um möglichst valide Vorhersagen treffen zu können.19
Als Experten gelten nach Przyborski/Wohlraab-Sahr20 und Wassermann21 Personen, die über ein spezifisches Rollenwissen verfügen. Experteninterviews umfassen in diesem Sinne eine bestimmte Zielgruppe von Interviewten, die durch ihr Expertenwissen das Forschungsinteresse bestimmen.22 Um im ersten Schritt Experten des LE-Austauschs zu identifizieren, wurden zunächst die direkten Prozessbeteiligten ermittelt. Hier sind Zollbehörde, Lieferant und Hersteller bzw. Kunde zu nennen. Indirekt als IT-Bereitsteller wurde auch ein Experte der Zollsoftwarehersteller miteinbezogen. Diese vier Akteure weisen in Bezug auf den LE-Austausch einen unverzichtbaren Erfahrungsschatz im Präferenzzollrecht auf. Um jedoch auch Expertenwissen über die Blockchain-Technologie selbst und deren Voraussetzungen bei einer potenziellen Anwendung im Präferenzzollrecht zu berücksichtigen, wurde zudem ein Blockchain-Experte interviewt. Die Bezeichnungen Experte und Interviewpartner werden geschlechtsneutral verwendet und beschreiben in dieser Untersuchung sowohl die weibliche als auch die männliche Form. Dieses Vorgehen dient insbesondere der Wahrung der Anonymität der Interviewten.
Interviewpartner 1 ist seit ca. 10,5 Jahren im Zollfachbereich speziell für Präferenzzölle (#00:00:33-1#) bei einem Automobilhersteller tätig. Das Interview wurde persönlich geführt und spiegelt die Hersteller- bzw. Kundensicht der Prozessbeteiligten wider.
Interviewpartner 2 ist seit zehn Jahren im Fachbereich Zölle (#00:01:57-2#) ebenfalls bei einem Automobilhersteller tätig. Seit vier Jahren sind auch Präferenzzölle ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Das Interview wurde ebenso persönlich geführt und ist der Herstellersicht zuzuordnen.
Interviewpartner 3 ist Zollleiter und -experte bei einem Automobilzulieferer mit 30 Jahren Zoll- und Präferenzerfahrung (#00:00:38-3#, #00:01:05-3#). Das Interview wurde telefonisch geführt und ist in die Lieferantensicht einzuordnen.
Interviewpartner 4 ist ein IT-Experte in der Automobilbranche, der sich seit zwei Jahren mit dem Thema Blockchain auseinandersetzt (#00:00:41-4#). Das Interview wurde telefonisch geführt und ist der technischen Sichtweise zuzuordnen.
Interviewpartner 5 ist ebenfalls ein IT-Experte bei einem Zollsoftwarehersteller und beschäftigt sich seit 18 Jahren mit dem Thema Zoll (#00:01:21-5#), davon elf Jahre mit dem Thema Präferenzen (#00:02:03-5#). Das Interview wurde telefonisch geführt und spiegelt die Prozessrolle des Softwareherstellers wider.
Interviewpartner 6 ist nicht für einen Automobil- sondern für einen Chemiehersteller tätig. Die Ergebnisse des Interviews wurden in Analogie zu den anderen Interviewpartnern betrachtet. Dieser Experte weist insgesamt 13 Jahre Zollerfahrung auf, wobei sechs Jahre davon Zollpräferenzen umfassen (#00:00:41-6#). Das Interview wurde ebenfalls telefonisch geführt und ist der Herstellersicht zuzuordnen.
Interviewpartner 7 arbeitet in der Zollberatung und war ca. zehn Jahre im Prüfungsdienst der deutschen Zollverwaltung tätig (#00:00:27-7#). Dementsprechend weist dieser Interviewpartner über zehn Jahre Erfahrung im Präferenzzollrecht auf (#00:01:00-7#). Da die Generalzolldirektion als Zollbehörde eine Interviewabsage erteilt hat, wurde die zollrechtliche Sicht auf der Grundlage dieses Erfahrungsschatzes aufgebaut. Das Interview wurde telefonisch geführt.
Wie die Auswahl der Interviewpartner zeigt, sind alle Personen bis auf die Interviewten 6 und 7 in der Automobilbranche tätig. Dies ist einer thematischen Eingrenzung geschuldet, die für die vorliegende Masterarbeit vorgenommen wird. Aus den nachfolgenden Gründen erfolgt eine primäre Betrachtung des Präferenzzollrechts in Bezugnahme auf die Anforderungen der deutschen Automobilindustrie: Zum einen haben Zölle im Hinblick auf die Fahrzeughersteller eine große Bedeutung und erhebliche Auswirkungen, die anhand drohender Strafzölle unter Trumps Außenhandelspolitik verdeutlicht werden können.23 Zum anderen handelt es sich um eine größtenteils in der EU produzierende Industrie, die allein in Deutschland im Jahr 201724 eine Bruttowertschöpfung von 105,99 Mrd. € und im Jahr 2018 eine Beschäftigtenzahl von 833.937 aufweist.25 Weiterhin ist eine weltweite Exportausrichtung der deutschen Automobilhersteller als Grundlage zur Einholung von LEs zu konstatieren.26 Eine Evaluation der Blockchain-Technologie könnte zwar auch im Allgemeinen vorgenommen werden, da im LE-Austausch keine wesentlichen Unterschiede zu anderen Branchen bestehen. Jedoch weist die deutsche Automobilbranche zusätzlich mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) eine organisierte Verbandsorganisation und -struktur auf, die erforderliche Rahmenbedingungen zu einer potenziellen Implementierung der disruptiven Technologie bereitstellt und mit der Gründung einer VDA-Arbeitsgruppe mit dem Schwerpunkt ‚Warenursprung und Präferenzen‘ im Jahr 2013 einen Treiber darstellen könnte.27
Jedes Interview wurde auf der Grundlage eines semi-strukturierten Leitfadeninterviews geführt.28 Bei der Erstellung dieses Leitfadens wurden verschiedene Fragen vorbereitet, die auf die Expertise des Interviewpartners individuell zugeschnitten wurden. Dieses Vorgehen stellte sich vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Wissensstände entweder in Bezug auf die Blockchain-Technologie oder das Präferenzzollrecht sowie auch der jeweiligen prozessualen Sichtweise als notwendig dar. Trotz der unterschiedlichen Nuancen in den Fragenkatalogen der einzelnen Interviewpartner zielten diese auf übergeordnete Themenkategorien ab. Auch die Abfolgen der Fragen variierten je nach Gesprächsverlauf. Die Interviewfragen waren stets darauf ausgerichtet, eine Diskussion zu eröffnen oder dem Befragten so viel Freiheit wie möglich zu geben, um eine große Anzahl an Informationen zu gewinnen. Das Interview sollte dabei die größtmögliche Offenheit bieten29 und dennoch so strukturiert wie nötig sein.30 Der Interviewleitfaden und eine kurze Beschreibung des Themas wurden dem jeweiligen Experten mehrere Tage vor dem Interview zugeschickt, um ihm eine gewisse Vorbereitung auf das Gespräch zu ermöglichen. Die Leitfäden der Interviewpartner sind in den Anlagen 10 bis 16 abgebildet.
Die Experteninterviews wurden aufgezeichnet und anschließend wörtlich transkribiert, wobei kleine Fehler, wie z. B. Wiederholungen oder Stottern, geglättet worden sind. Als Regelsystem wurde das einfache Transkriptionssystem nach Dresing/Pehl verwendet.31 Sprecherwechsel wurden zudem mit Zeitmarken versehen. Die letzte Ziffer der Zeitmarken ist dabei identisch mit der Interviewpartnernummer, sodass bei einer Zitation unter Angabe der Marke sowohl der Interviewte als auch der Zeitpunkt zurückverfolgt werden können. Exemplarisch sagt #00:09:13-1# aus, dass Interviewpartner 1 im Sprechabschnitt bei 9 Minuten und 13 Sekunden eine bestimmte Aussage getroffen hat. Die erzeugten Transkriptionen der Interviewpartner sind in den Anlagen 17 bis 23 einsehbar. Im Anschluss an die Transkription wurden die Texte einer zusammenfassenden Analyse in Anlehnung an eine qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring32 unterzogen. Die „qualitative Inhaltsanalyse stellt eine Auswertungsmethode dar, die Texte bearbeitet, welche im Rahmen soziowissenschaftlicher Forschungsprojekte in der Datenerhebung anfallen, [...]“33. Die Durchführung der zusammenfassenden Inhaltsanalyse gewährleistet die intersubjektive Nachprüfbarkeit bei der Auswertung der Interviews.34 Es erfolgte lediglich eine Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring, da auf eine Reliabilitätsprüfung durch die Replikation der Codierung verzichtet worden ist. Die Auswertung erfolgte dabei auf der Grundlage einer deduktiven Analyse. Die Kategorien wurden somit direkt aus dem jeweiligen Interviewleitfaden abgeleitet. Welche Fragendimensionen bei den unterschiedlichen Experten betrachtet worden sind, wird im Abschnitt 4 näher beleuchtet.
Die Kernbefunde aus den Expertenbefragungen wurden insgesamt interpretiert und miteinander verglichen, um eine praxisnahe Evaluation des Blockchain-Einsatzes im LE-Austausch durchzuführen, mit dem Ziel, aussagekräftige und valide Resultate zu erhalten. Subjektive Wahrheiten und implizites Wissen der Experten35 waren ebenso relevant wie die Einschätzungen zum potenziellen Anwendungsszenario. Mit den Einschätzungen wurden Hürden, Chancen und Risiken erfasst, die im Anschluss zur Ableitung von Anforderungen zur Implementierung der Blockchain im Präferenzzollrecht herangezogen worden sind. Die Ergebnisse der inhaltlichen Analyse sind im Abschnitt 4 erfasst.
Aufgrund des limitierten Umfangs der Studie müssen thematische Eingrenzungen vorgenommen werden. In Bezug auf das Präferenzzollrecht werden die folgenden Themen wegen ihres geringen Beitrags zur Problemstellung höchstenfalls angeschnitten, aber im Kern nicht näher betrachtet: Toleranzregeln, Warenzusammenstellungen (auch Zubehör, Ersatzteile und Werkzeuge), das Draw-Back-Verbot (Verbot der Zollrückvergütung oder Zollbefreiung), Nachweise der Ursprungseigenschaft beim Export oder Import von Waren, verbindliche Ursprungsauskünfte, Dreiecksgeschäfte, unilaterale Abkommen wie z. B. das Allgemeine Präferenzsystem (APS) und die buchmäßige Trennung. Ebenfalls wird auf die ausführliche Erläuterung des Einreihungsvorgangs von Waren in den Zolltarif verzichtet.
Des Weiteren wird nicht auf einzelne Besonderheiten und Abweichungen im Hinblick auf die unterschiedlichen Freihandelsabkommen eingegangen. Insbesondere werden somit Neuerungen wie beim Comprehensive Economic and Trade Agreement zwischen der EU und Kanada (CETA), dem EU-Singapore Free Trade Agreement (EUSFTA), dem EU-Südkorea Abkommen etc. nicht beachtet. Vielmehr geht es darum, einen generellen Überblick über die Zollpräferenzsystematik zu erhalten. Darüber hinaus werden Präferenznachweise im Proof-of-Concept der Blockchain nicht inbegriffen, da diese beim Export aus der EU bzw. beim Import in ein Vertragspartnerland zur Inanspruchnahme von Zollvergünstigungen vorgelegt werden und nicht als Nachweispapier in der EU fungieren.
In dieser Untersuchung wird kein abschließendes Proof-of-Concept entwickelt, das final in den LE-Austausch implementiert werden kann. Es werden nur die unterschiedlichen Gestaltungsvarianten beleuchtet und mit entsprechenden Einschätzungen versehen. Da es sich um eine reine Evaluierung der Blockchain handelt, wird zwar die Funktionsweise der Technologie an sich betrachtet, jedoch werden konkrete Technologien wie Ethereum, IOTA, Bitcoin oder Hyperledger Fabric im Zusammenhang mit dem LE-Austausch nicht bewertet. Dies ermöglicht es, eine grundlegende Evaluation der Blockchain im LE-Austausch vornehmen zu können, ohne dabei von spezifischen Technologiegrenzen limitiert zu sein.
Zölle stellen eine handelspolitische Maßnahme dar, die wie eine Steuer auf den Import und Export eines Gutes wirken.36 Sie sind eine der ältesten Formen von außenhandelspolitischen Instrumenten, deren ursprüngliche primäre Zielsetzung die Erzielung von Staatseinnahmen war.37 Zollbeschränkungen sind tarifäre Maßnahmen, die sich im Kontext der staatlichen Abgaben noch genauer definieren lassen. Zum einen unterscheiden sich Zollabgaben von Gebühren durch die fehlende Gegenleistung der Verwaltung. Zum anderen erfolgt durch sie keine Belastung von inländischen Waren, was Zölle im Wesentlichen von einer Verbrauchssteuer unterscheidet.38 Die Abgaben auf den grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr weisen drei unterschiedliche Ausprägungsformen auf, wobei die dritte eine Kombination der ersten beiden darstellt. Demnach gibt es einen spezifischen Zollsatz, auch als Stückzoll bezeichnet, der auf jede Einheit einer importierten Ware erhoben wird. Weiterhin ist der Wertzoll zu nennen, dessen Höhe sich prozentual am Waren- bzw. Zollwert orientiert. Abschließend folgt der Mischzollsatz als dritte Variante, der sich aus einem Wert- und Stückzoll zusammensetzt.39 Die Erhebung des Zolls erfolgt durch die Zollbehörden, wobei die Höhe abhängig vom sogenannten Zolltarif ist.40
„Ein Zolltarif ist ein systematisch aufbereiteter Warenkatalog, dessen einzelne Warenlinien Zollsätze enthalten.“41 Eine Ware wird somit in Form eines 11-stelligen Nummerncodes bzw. der sogenannten Codenummer gelistet. Sie bestimmt, wie hoch ein Zollsatz beim Import im grenzüberschreitenden Handelsverkehr ausfällt. Jedes Handelsgut wird nach festgelegten Regeln in jeweils eine bestimme Codenummer eingereiht.42 Die 11-stellige Warennummer setzt sich wie folgt zusammen: Die ersten sechs Stellen werden durch die Weltzollorganisation (WZO) festgelegt und werden als Harmonisiertes System (HS) bezeichnet. Die Codierung ist somit weltweit einheitlich festgelegt. Das HS gliedert sich in 21 Abschnitte, 96 Kapitel und ca. 1200 Positionen.43 Darüber hinaus bilden die siebte und achte Stelle die sogenannte Kombinierte Nomenklatur (KN), die innerhalb der EU festgelegt wird. Für den Fall eines Imports werden hier u. a. Zollsätze, Verbote und Beschränkungen oder Einfuhrgenehmigungserfordernisse einer Ware zugeordnet. Auf der neunten und zehnten Stelle folgt dann der TARIC, der den integrierten Tarif der EU darstellt. Dieser beschreibt weitere gemeinschaftliche Maßnahmen, wie etwa Antidumpingzölle, Zollaussetzungen oder -kontingente. Die letzte Stelle der 11-stelligen Codenummer wird für nationale Zwecke verwendet und umfasst u. a. Umsatzsteuersätze.44
Das vorliegende Kapitel soll zunächst die Grundsätze des Präferenzzollrechts erläutern, auf dessen Grundlage Zollerleichterungen ermöglicht werden. Präferenz bedeutet aus Sicht der europäischen Exporteure die Reduzierung des Zollsatzes beim Import in einem Drittland, mit dem ein Freihandels- bzw. Präferenzabkommen besteht. Die Erleichterungen gelten jedoch nur für Ursprungswaren der EU.45 Derzeit befinden sich 37 Abkommen in vollständiger und 48 in teilweiser Anwendung. Für 21 weitere Abkommen finden derzeit Verhandlungen statt und für 25 zusätzliche sind diese noch ausstehend.46 Eine Übersicht über die bestehenden Freihandelsabkommen kann der Anlage 1 entnommen werden. Die hohe Bedeutung der Präferenzabkommen wird vor allem im Hinblick auf das Handelsvolumen deutlich. Im Jahr 2018 machte der Handel der EU mit Abkommenspartnerländern insgesamt 31 % der gesamten europäischen Handelsströme aus. Größter Handelspartner nach Handelsvolumen waren dabei die Schweiz mit 27 % sowie die Türkei und Norwegen mit jeweils 11 %. Auch bei den EU-Exporten sind die genannten Präferenzpartner identisch: Schweiz mit 24 %, Türkei mit 12 % und Norwegen mit 8 %.47
In diesem Kapitel wird nun die Systematik des Warenursprungs- und Präferenzrechts erläutert. Neben den Prozessen des LE-Austausches sind die rechtliche Einordnung von Präferenzabkommen und die Abgrenzung des präferenziellen Ursprungs einer Ware ebenfalls zentrale Punkte. Ob eine Ware nun im Sinne eines Präferenzabkommens eine Ursprungsware der EU ist und wann eine LE ausgestellt werden kann, sind des Weiteren Bestandteil dieses Kapitels. Daneben werden auch die Inhalte und Formen einer LE betrachtet, ebenso wie die Prinzipien des Präferenzrechts. Dies ermöglicht anschließend die Identifizierung von rechtlichen und literaturgestützten Anforderungen,
Zunächst wird eine rechtliche Einordnung von Freihandelsabkommen im internationalen Wirtschafts- und Handelsrecht vorgenommen. Rechtswissenschaftlich handelt es sich bei Präferenzabkommen um völkerrechtliche Verträge.48 Die EU verfolgt neben multilateralen Bestrebungen seit 2007 verstärkt Bestrebungen zum Abschluss von bilateralen Freihandelsabkommen.49 Das Ziel der EU ist dabei unter anderem, den Export zu fördern, indem Marktzugänge im Drittland erleichtert werden.50 Allein die Ausfuhr von Fahrzeugen beim Abkommen Südkorea hat seit 2011 zu einem Exportanstieg von 244 % geführt. Grundsätzlich können Abkommen entweder gegenseitig oder lediglich einseitig Vorzugsbehandlungen einräumen.51
Wirtschafts- und Handelsabkommen stellen die einfachste von insgesamt fünf wirtschaftlichen Integrationsstufen dar. Damit ist der Grad der wirtschaftlichen Kooperation von zwei oder mehreren Staaten gemeint. Darauf aufbauend ergeben sich Freihandelszonen, Zollunionen, Wirtschafts- und Währungsunionen sowie abschließend politische Unionen.52 Bei einer Freihandelszone handelt es sich um ein „Wirtschaftsgebiet, in dem Zölle abgebaut und Handelshemmnisse zwischen den teilnehmenden Staaten verboten sind“.53 Die Zölle, die von jedem teilnehmenden Land nach außen hin erhoben werden, können dabei individuell festgelegt werden und somit voneinander abweichen. Als Beispiel dient die europäische Freihandelsvereinigung (EFTA). Bei einer Zollunion sind die Zollsätze für Einfuhren aus einem Drittland für jedes partizipierende Land identisch, wie zum Beispiel bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Wirtschafts-, Währungs- und politische Unionen stellen noch engere wirtschaftspolitische Partnerschaften dar.54
In Anbetracht von Zollpräferenzen ist zunächst einmal zu konstatieren, dass gemäß der Meistbegünstigungsklausel nach Art. I GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) 1994 eingeräumte Zollvergünstigungen gegenüber einem Land auch jedem anderen Land eingeräumt werden müssen.55 Es handelt sich um ein sogenanntes Diskriminierungsverbot, an das alle Mitglieder der World Trade Organization (WTO) gebunden sind. Grundsätzlich stellt die Gewährung von Zollbegünstigungen an einen exklusiven Länderkreis einen Verstoß gegen die Meistbegünstigungsklausel dar. Jedoch ist durch die WTO als Rechtsnachfolger des GATT eine Ausnahme im Art. XXIV für Zollunionen, Freihandelszonen und -abkommen verankert.56,57
Diese Ausnahme führte weltweit zu einem starken Anstieg von Handelsabkommen – von einem im Jahr 1958 auf insgesamt 285 im Jahr 2018.58 Freihandelsabkommen unterstützen die Unternehmen dabei, neue Absatzmärkte zu finden, Arbeitsplätze zu schaffen sowie Gewinne zu steigern.59 Das spiegelt sich auch bei der Zielsetzung von Präferenzabkommen wider. Demnach streben diese einen erhöhten Warenaustausch der Abkommensländer untereinander an, um Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung zu fördern. Aus Sicht der EU ergibt sich zudem eine Vorbereitung auf potenzielle EU-Mitgliedsstaaten, um einen erleichterten Übergang in eine Zollunion zu gewährleisten. Daneben sollen auch für Investoren der Partnerländer weitgehend einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.60 Präferenzabkommen haben somit im Ergebnis eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für Unternehmen.61
Dem Ursprung einer Ware kommt im Zoll- und Außenwirtschaftsverkehr eine besondere Bedeutung zu, u. a. bei der Erhebung von Zöllen und der Anwendung handelspolitischer Maßnahmen, wie etwa Genehmigungen oder Kontingenten.62 Das Zollrecht unterscheidet dabei verschiedene Warenursprünge, die voneinander abgegrenzt werden müssen. Abbildung 1 visualisiert hierzu diese unterschiedlichen Ursprünge in einer Übersicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Warenursprünge in Anlehnung an Möller/Schumann (2019) S. 45
Zunächst ist der präferenzielle Warenursprung zu nennen. Dieser ergibt sich aus den Ursprungsprotokollen der Freihandelsabkommen und den Regelungen zum Präferenzursprung in den Artikeln 64 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Unionszollkodex (UZK) i. V. m. Artikel 37 bis 70 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 (UZK-DelVO) i. V. m. Artikel 60 bis 126 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 vom 24. November 2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung der Bestimmungen des UZK (UZK-DVO).63 Dieser Ursprung dient somit der Einsparung von Zöllen beim Export in Präferenzpartnerländer. Zuständig für die Einhaltung der internationalen Regelungen sind die Zollbehörden.64
Daneben existiert der nichtpräferenzielle Warenursprung, der auch als handelsrechtlicher65 oder IHK-Ursprung (Industrie- und Handelskammer) bezeichnet wird. Dieser wird für handelspolitische Maßnahmen und Genehmigungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr benötigt. Bei handelspolitischen Maßnahmen handelt es sich um „[…] nichttarifäre Maßnahmen, die im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik durch Gemeinschaftsvorschriften über die Regelungen für die Ein- und Ausfuhr von Waren getroffen worden sind“.66 Hierzu zählen neben Ein- und Ausfuhrgenehmigungen auch Verbote und Beschränkungen. Der Begriff ‚Verbote und Beschränkungen‘ (VuB) bezeichnet eine Ansammlung unterschiedlicher Rechtsbereiche. Gemeinsam haben diese eine Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter wie beispielweise in Art. 134 Abs. 1 S. 2 UZK aufgeführt: Aufrechterhaltung der öffentlichen Sittlichkeit, den Schutz der Umwelt, den Schutz gewerblichen Eigentums etc.67 Zuständig für den nichtpräferenziellen Ursprung sind die Industrie- und Handelskammern.68 Geregelt ist der nichtpräferenzielle Warenursprung in den Artikeln 59 bis 63 UZK, Art. 31–36 UZK-DelVO und Art. 57–59 UZK-DVO.69
Die weitere Abgrenzung erfolgt zu den Ursprungsangaben bei der Herkunft einer Ware, wie der Kennzeichnung ‚Made in…‘. Diese ergibt sich nicht aus dem Zollrecht, sondern fußt auf dem Madrider Abkommen sowie dem Markengesetz.70 Sie erfolgt im Rahmen des Verbraucherschutzes u. a. mit der Zuständigkeit der Ordnungsämter. Herkunftsbezeichnungen haben im Gegensatz zu den (nicht)präferenziellen Ursprüngen keine Verbindung zu LEs. Vor diesem Hintergrund sind die Herkunftsangaben in der Abbildung 1 von den Warenursprüngen abgegrenzt. Insgesamt können alle drei Ursprünge trotz richtiger Bestimmung einen jeweils anderen Ursprung bescheinigen.71,72
Neben den Warenursprüngen und der Herkunftsbezeichnung ist insbesondere auch eine Abgrenzung zur Freiverkehrseigenschaft vorzunehmen. Beim Warenursprung geht es um die tatsächlichen Wertschöpfungs- und Herstellungsvorgänge, die an einer Ware in einem oder mehreren Ländern und Gebieten vorgenommen werden. Das Freiverkehrsprinzip stellt hingegen auf den zollrechtlichen Status einer Ware innerhalb eines Handelsraums ab, wie etwa den zollrechtlich freien Verkehr. Exemplarisch wird ein Erzeugnis in eine Zollunion, wie z. B. die EU, importiert und der zu zahlende Zoll wird entrichtet. Es befindet sich dann im zollrechtlich freien Verkehr der EU und es fallen keine Abgaben mehr an. Der tatsächliche Herstellungsursprung der Ware ist dabei unerheblich und kann zeitgleich ein völlig anderer sein. Sofern dieselbe Ware wieder in einer anderen Zollunion oder in einem anderen Land unter Zollzahlung importiert wird, ändert sich die Freiverkehrseigenschaft erneut. Die Ware befindet sich dann nicht mehr im zollrechtlich freien Verkehr der EU. Der Warenursprung bleibt jedoch erhalten, solange keine weiteren Be- oder Verarbeitungen vorgenommen werden.73
Im Folgenden wird der präferenzielle Warenursprung in den Fokus der Betrachtung gestellt. Dieser wird innerhalb der EU mit einer LE bzw. LLE nachgewiesen.74
Mit der Ausstellung einer LE werden Angaben zur Präferenzursprungseigenschaft einer Ware dokumentiert und nachgewiesen. Sofern eine Ware durch mehrere Lieferanten, Hersteller und Händler innerhalb der EU gehandelt, bearbeitet oder verarbeitet wird, entsteht durch den gegenseitigen Austausch von LEs eine durchgängige Ursprungsdokumentationskette. Diese ist für eine Inanspruchnahme von Zollvergünstigungen am Ende dieser Kette durch einen Export zwingend erforderlich. Das vorliegende Unterkapitel fokussiert nun die Arten von LEs sowie auch deren kausalen Zusammenhang zu Zollpräferenzen. Zudem wird betrachtet, wann eine LE durch einen Lieferanten ausgestellt werden darf, welche rechtlichen Prüfungen er durchzuführen hat und welche Inhalte anschließend verpflichtend in einer LE enthalten sein müssen. Diese Regelungen und Prozessschritte sind für eine potenzielle Implementierung einer Blockchain von großer Bedeutung.
Mit einer LE gibt ein Lieferant Auskunft über die Präferenzursprungseigenschaft gelieferter Waren.75 Je nach Warenverkehr und Abkommensgebiet können LEs aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen und Ausprägungsformen unterschieden werden. Weltweit gibt es für LEs verschiedene geographisch begrenzte Anwendungsgebiete zum Nachweis des präferenziellen Warenursprungs, der nicht zwingend den EU-Handelsverkehr betrifft. Beispielsweise werden LEs in den Maghreb-Ländern, in der Zollunion des südlichen Afrikas (SACU) oder im Warenverkehr zwischen der EU und der Türkei nach Beschluss 1/2016 verwendet. Jede Abkommensregelung stellt dabei in rechtlicher und förmlicher Sicht unterschiedliche Anforderungen an LEs, sodass diese insgesamt uneinheitlich sind.76
Da der Fokus der Evaluation der Blockchain-Technologie auf dem Austausch von LEs innerhalb der EU liegt, wird der Begriff LE im Folgenden lediglich auf den Nachweis der Ursprungseigenschaft innerhalb der EU gemäß der Rechtsgrundlage des Art. 60 bis 66 UZK-DVO i. V. m. den Durchführungsbestimmungen der Art. 64 bis 66 UZK abgestellt.77
Auch in Bezug auf den Gültigkeitszeitraum und die Ursprungsangaben können LEs differenziert werden. Zeitlich stellt eine LE eine Einzellieferantenerklärung dar und wird somit für eine einzelne bestimmte Warenlieferung abgegeben. Für jede weitere Lieferung an einen Kunden ist der Lieferant gezwungen, eine neue LE auszustellen. Um jedoch den wirtschaftlichen Anforderungen von wiederholten Lieferungen gerecht zu werden und den LE-Ausstellungsaufwand zu verringern, ist eine LLE vorgesehen. Eine solche weitet den Gültigkeitsbereich auf mehrere Warenlieferungen für einen Gesamtzeitraum von bis zu zwei Jahren aus. Einmal ausgestellt kann eine LLE somit für sämtliche Warenlieferungen innerhalb des angegebenen Zeitraums abgegeben werden, solange dieser gemäß Art. 62 UZK-DVO rückwirkend weniger als ein Jahr und insgesamt maximal zwei Jahre beträgt. Die LLE stellt somit eine Prognose an den Warenempfänger dar, der die beschriebenen Waren als Präferenzursprungswaren der EU im Sinne der jeweiligen Abkommen über den genannten Gültigkeitszeitraum liefert. Der Gültigkeitszeitraum einer LLE darf jedoch nicht mit der Gültigkeit einer LLE verwechselt werden. Eine LLE kann als Vorpapier in der Nachweiskette zur Präferenzursprungseigenschaft so lange verwendet werden, wie Waren aus dem auf der LLE angegebenen Lieferzeitraum beim Warenempfänger vorhanden sind. Eine zeitliche Begrenzung existiert hier demnach nicht.78 Musterbeispiele einer LE und einer LLE ergeben sich aus dem Anhang 22-15 UZK-DVO und Anhang 22-16 UZK-DVO, die in den Anlagen 2 und 3 visualisiert sind.
Lieferantenerklärungen können ebenfalls nach ihrer Ursprungsangabe unterschieden werden. Eine Erklärung kann somit zum einen den EU-Ursprung dokumentieren, zum anderen jedoch auch, dass eine Ware keinen EU-Ursprung im Sinne der Freihandelsabkommen besitzt. Der Erhalt einer LLE vom Lieferanten bedeutet für den Kunden somit nicht zwangsweise, dass die Waren auch ihren Ursprung in der EU haben. In diesem Fall handelt es sich um eine LE ohne präferenzverleihenden Ursprung. Der Vorlieferant kann dann aber über die bisher durchgeführten Be- und Verarbeitungen im Präferenzgebiet informieren.79 In den Anlagen 4, 5 und 6 sind ebenfalls Beispiele für eine nichtursprungsverleihende LE gemäß des Anhangs 22-17 UZK-DVO und eine LLE des Anhangs 22-18 UZK-DVO einsehbar.
Lieferantenerklärungen können die an einer Ware durchgeführten Be- oder Verarbeitungen mittels des Warenursprungs bescheinigen. Abbildung 2 visualisiert den innereuropäischen LE-Austausch anhand einer exemplarischen Handelskette zwischen mehreren wirtschaftlichen Akteuren. Dargestellt ist ein in der EU ansässiger Lieferant A, der Fahrzeugteile fertigt und diese anschließend an einen ebenfalls in der EU befindlichen Automobilhersteller B liefert. A setzt zur Herstellung seiner Teile nur Ursprungswaren der EU ein und stellt dem Automobilhersteller B mit jeder Lieferung eine ursprungsbegründende LE für seine gefertigten Teile aus. B verwendet jedoch zur Fertigung seiner Fahrzeuge nicht nur Ursprungswaren der EU von EU-Lieferanten, sondern bezieht zusätzlich Vormaterialen aus dem Drittland. Diese können durch ihren Drittlandbezug gemäß dem Territorialitätsprinzip (siehe Unterkapitel 3.4) keine Ursprungswaren der EU sein, wodurch auch der Nachweis der Ursprungseigenschaft mittels einer LE bei diesen Teilen vollständig entfällt.80
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Abbildung 2: Nachweiskette des EU-Ursprungs von Lieferantenerklärungen bis zur Zolleinsparung (eigene Darstellung)
B liefert anschließend die fertigen Fahrzeuge an C aus, der keine weiteren Be- oder Verarbeitungen durchführt, sondern die PKWs ausschließlich in das Drittland exportiert. Er betreibt somit ein klassisches Handelsgewerbe. Mit dem Export aus der EU und dem anschließenden Import im Drittland fallen für PKWs grundsätzlich Zölle an. Da B jedoch C ebenfalls eine ursprungsverleihende LE für die Fahrzeuge ausgestellt hat, könnte dieser die zu zahlenden Zölle teilweise minimieren oder sogar gänzlich vermeiden. Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer solchen Zollvergünstigung ist das Vorliegen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Zielland. Bei der Annahme eines Fahrzeugexports nach Ägypten wäre dies der Fall. Zwischen der EU und Ägypten besteht seit 2003 ein Freihandelsabkommen81, sodass der fällige Zollsatz von 40 % auf bis zu 0 % reduziert werden kann.82 Die Höhe der Einsparungen ergibt sich aus der Differenz zwischen dem im Rahmen des Meistbegünstigungssatzes geregelten Drittlandzollsatzes (40 %) und dem Präferenzzollsatz (0 %).83
Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Zollpräferenzen im Drittland ist die EU-Ursprungseigenschaft, die C auf Grundlage der erhaltenen LE von B für die Fahrzeuge nachweisen kann.84 Da eine LE jedoch nur ein in der EU anerkanntes Dokument ist, kann C einen sogenannten Präferenznachweis beim Export ausstellen und dem Importeur im Drittland übermitteln. Präferenznachweise sind bspw. eine EUR.1, eine EUR-MED oder eine Ursprungserklärung auf der Rechnung85, die der Importeur den dort ansässigen Zollbehörden vorzeigen muss, um Zollpräferenzen in Anspruch nehmen zu können.86 Grundlage für die Ausstellung eines solchen Nachweises ist das Vorliegen einer LE.87 Ein Beispiel für eine EUR.1 und eine EUR-MED kann in den Anlagen 7 und 8 eingesehen werden.
Im Ergebnis sind LEs Wissenserklärungen über die in der EU bereits durchgeführten Be- oder Verarbeitungen nach den Ursprungsregeln des jeweiligen Freihandelsabkommens.88 Sie werden ausgestellt, damit der Exporteur am Ende der EU-Wertschöpfungskette im darauffolgenden grenzüberschreitenden Warenverkehr einen Präferenznachweis ausstellen kann.89 In Abbildung 2 wurde angenommen, dass jeder Wertschöpfungsschritt in der EU mit der Ausstellung einer LE dokumentiert worden ist. Sofern jedoch eine Unterbrechung innerhalb dieser LE-Kette stattfindet, kann dies zu einem Verlust des Präferenzursprungs führen, sodass am Ende durch den Exporteur kein Präferenznachweis ausgestellt werden kann.90 Das Nichtausstellen einer LE kann mehrere Gründe haben, die im nachfolgenden Abschnitt näher betrachtet werden. Grundsätzlich besteht keine gesetzliche Verpflichtung zur Ausstellung einer LE. Jedoch kann eine Erstellung durch eine handelsrechtliche Verpflichtung zwischen Lieferant und Käufer einer Ware festgelegt werden. Diese ist allerdings unabhängig von den Zollbehörden und muss z. B. im Kaufvertrag vereinbart werden. Darüber hinaus ergibt sich jedoch auch das Motiv zur Ausstellung einer LE beim Lieferanten selbst, um die Kundenzufriedenheit zu erhalten oder zu steigern.91 Lieferant ist dabei die Person, die die Verfügungsgewalt über die gelieferte Ware hat. Angaben aus der Rechnungsstellung sind hiervon unabhängig. So kann ein Lieferant selbst Hersteller bzw. Bearbeiter (B) einer Ware oder lediglich Zwischenhändler (C) sein.92 Handelsbetriebe sind die Intermediäre und können nur das ausstellen, was ihnen selbst als Ursprungsinformation ausgestellt worden ist.93 Im Gegensatz zu Handelsbetrieben müssen Unternehmen, die die Ware weiterverarbeiten, die Voraussetzungen der Ursprungseigenschaft aus den Freihandelsabkommen nach einer festgelegten Systematik prüfen. Eine solche Prüfung wird als Präferenzkalkulation bezeichnet und kann zollamtlich nachgeprüft werden.94
Im Unterkapitel 3.3.2 wurde bereits das Entstehen einer Ursprungsdokumentationskette durch die Ausstellung von LEs vorgestellt. In diesem Unterkapitel steht nun explizit der Austausch der Nachweispapiere zwischen einem Lieferanten und seinem Kunden im Vordergrund. In dieser Untersuchung werden unter dem LE-Austausch sämtliche Prozesse rund um LEs verstanden, primär die LE-Abgabe und die LE-Stornierung. Daneben werden auch derivative Kontrollprozesse der Zollbehörden wie der INF4-Prozess und Nachprüfungsersuchen miteinbezogen. Da die Blockchain ebendiese Zollpräferenzprozesse unterstützen soll, werden nun im Folgenden die Abläufe des LE-Austausches in den Fokus der Betrachtung gestellt.
Sofern ein Lieferant seinen Kunden mit einer Ware beliefert hat, kann dieser aus eigener Initiative eine LE ausstellen. Dies kann direkt mit der Warenlieferung oder auch unabhängig von dieser erfolgen. Eine LE muss somit eine Ware nicht zwingend begleiten, sondern kann auch nachträglich ausgestellt und abgegeben werden.95 Da das Ausstellen einer LE jedoch mit Aufwand verbunden ist, übermitteln Lieferanten eine solche eher selten aus eigener Initiative.96 Häufiger fordern die Kunden von ihren Lieferanten deswegen LEs zu den erhaltenen Waren an. Insofern ergibt sich aus der Perspektive des Lieferanten ein Ausstell- und Übermittlungsprozess einer LE und beim Kunden, sofern erforderlich, ein LE-Einholungs- bzw. Anforderungsprozess. In der weiteren Betrachtung werden diese beiden Prozesse gemeinsam als LE-Abgabeprozess betrachtet.
Wie in Abbildung 3 dargestellt, können beim Prozess der LE-Abgabe zwischen Kunde und Lieferant mehrere Teilschritte bis zum Erhalt einer LE erforderlich sein. LE-Anforderung und -Ausstellung erfolgen dabei auf unterschiedlichen Kanälen, wie etwa via E-Mail, Post oder Internetanwendungen, die im Ergebnis eine Vielzahl von Kommunikationskanälen hervorbringen.97 Desto relevanter die eigene Inanspruchnahme oder zumindest die Ermöglichung von Zollvergünstigungen bei darauffolgenden Akteuren im Wirtschaftsverkehr für den Kunden ist, desto eher ist er bestrebt, LEs von seinen Lieferanten zu erhalten. In der Praxis kann es jedoch auch zu einer Nichtabgabe von LEs kommen – trotz Anforderung und zusätzlichen Mahnungen durch den Kunden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Der Lieferant fürchtet etwa, mit der Abgabe einer anteiligen LE ohne Ursprung vertrauliche und sensible Details wie Einkaufspreise oder zur Produkterstellung erforderliche Informationen zu offenbaren.98
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Abbildung 3: Prozesse beim LE-Austausch (eigene Darstellung)
Ein weiterer Bewegrund kann die Offenlegung des Ursprungslandes sein, wodurch der Kunde nicht mehr beim Lieferanten, sondern direkt im Ursprungsland selbst sourcen könnte. Daneben spielen auch fehlende Kenntnisse bei der Ausstellung von LEs sowie die Einräumung von Zollvergünstigungen nur für eigene Kunden und nicht für weitere EU-Kunden eine Rolle.99 Beim Eingang einer LE muss der Kunde diese zwingend auf Fehlerfreiheit prüfen. Die Verfehlungen reichen dabei von einfachen Arbeits- und Flüchtigkeitsfehlern bis zu grob fahrlässigem Fehlverhalten des Lieferanten. Die in der Literatur bekanntesten Fehlerquellen ergeben sich beim Austausch von LEs, bei den Gültigkeitszeiträumen von LLEs100, bei der Abgabe einer LE ohne Präferenzkalkulation101, beim Fehlen der Unterschrift102, bei einer Preisreduzierung ohne Anpassung der Ursprungseigenschaft103, bei einer unpräzisen Warenbeschreibung104, bei der Ermittlung der falschen Positionsnummer105 oder bei der Beachtung und korrekten Auslegung der unterschiedlichen Listenregeln106. Daneben ergeben sich auch Fehlerquellen, indem eine Ausschlussklausel verwendet worden ist107, eine nicht berechtigte Person eine LE abgibt108 oder das präferenzielle Ursprungsland nicht korrekt angegeben wird109.
Ein Kunde muss somit bei Eingang einer LE zwingend deren Richtigkeit und Plausibilität prüfen.110 Die Verwendung einer fehlerhaften LE in der Präferenzkalkulation könnte dazu führen, dass durch den Kunden selbst ausgestellte LEs oder Präferenznachweise ebenfalls fehlerhaft sind. Ein fälschlicherweise bescheinigter positiver Ursprungsstatus müsste somit revidiert werden und könnte sich auf die gesamte nachfolgende Dokumentationskette auswirken. Am Ende dieser Kette kann ein Importeur Zollbegünstigungen fälschlicherweise in Anspruch genommen haben, die daraufhin widerrufen werden müssen. Zudem können je nach Vertragsgestaltung auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche drohen.111 Sollte der Kunde Fehler feststellen, so kann er diese beim Lieferanten in Form einer Mängelrüge aufzeigen. Der Lieferant kann somit je nach Fehlerart nochmals eine LE ausstellen und den fehlerbehafteten Nachweis stornieren. Aber auch unabhängig davon ist ein Lieferant aus rechtlicher Sicht gezwungen, seine ausgestellten LEs bei der Feststellung von Fehlern aus eigenem Antrieb zu stornieren. Er hat somit die Pflicht, eigenverantwortlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer LE nachprüfbar und auch über den Ausstellungszeitpunkt hinaus vorliegen. Ein Widerruf einer LE muss schriftlich mit Verweis auf die ursprünglich abgegebenen LE dokumentiert werden. Sofern eine LE mehrere Waren umfasst, ist es möglich lediglich eine einzelne betroffene Ware zu stornieren. Der ursprungsverleihende Status bleibt dabei für die übrigen Waren der ausgestellten LE weiterhin gültig. Muss eine LE dennoch gänzlich widerrufen werden, so ist zum Nachweis der Ursprungseigenschaft die Erstellung einer neuen LE erforderlich.112
Während die Abbildung 3 lediglich eine Übersicht über die allgemeinen Schritte des LE-Abgabeprozesses gibt, wird eine zeitlich chronologische Abfolge der Prozessschritte sowie auch der Kommunikationsaustausch zwischen Lieferant und Kunde in den Abbildungen 4 und 5 visualisiert. Es handelt sich bei beiden Prozessdarstellungen um eine BPMN-Modellierung (Business Process Model and Notation). Abbildung 4 zeigt die Initiative des Kunden auf, der eine Ware vom EU-Lieferanten bezieht und hierfür zusätzlich eine LE erhalten möchte. Das Startereignis ist somit der Wareneingang. Zusätzlich ist die Aktivität des Sanktionierens aufgeführt.
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Abbildung 4: BPMN-Modellierung der Lieferantenerklärungsanforderung und -abgabe (eigene Darstellung)
Insbesondere große Kunden sanktionieren ihre Lieferanten, sofern diese keine LE ausgestellt haben, in Form von schlechteren Lieferantenrankings. Diese müssen allerdings vertraglich vorab vereinbart sein und der Kunde sollte zudem über die Marktmacht verfügen, um seine Sanktionsforderungen durchsetzen zu können. Letzteres ist in der deutschen Automobilindustrie grundsätzlich der Fall. Automobilhersteller erhöhen dadurch ihre LE-Eingangsquote, um am Ende der Kette das Maximum an Zollvergünstigungen erreichen zu können.
Die Abbildung 5 visualisiert eine BPMN-Modellierung des LE-Stornierungsprozesses. Sofern die Notwendigkeit einer Änderung oder einer Widerrufung einer LE festgestellt wird, beginnt der Prozess. Je nach Warenart und Listenregel kann daraufhin eine neue LE ausgestellt oder lediglich eine Warenposition in der LE selbst storniert werden.113 Auch hier erfolgt bei nochmaliger Ausstellung einer LE die Überprüfung auf Korrektheit beim Kunden und sofern erforderlich eine sich hier anschließende Mängelrüge.
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Abbildung 5: BPMN-Modellierung der Stornierung einer Lieferantenerklärung (eigene Darstellung)
Sowohl der LE-Abgabeprozess als auch der -Stornierungsprozess erfolgen zwischen einem Lieferanten und einem Kunden bilateral. Sofern ein Lieferant mehrere Kunden mit Waren beliefert, ist er gezwungen, auch mehrere LEs auszustellen bzw. falls erforderlich diese wiederum bei jedem zu stornieren. Hinzu kommen die unterschiedlichen Abgabeformen, wodurch der Ausstellungsaufwand beim Lieferanten und auch beim Kunden stark ansteigt.
Waren, die über einen längeren Zeitraum von einem Lieferanten geliefert werden, können den präferenziellen Warenursprung mittels einer LLE dokumentieren. Bevor der auf maximal zwei Jahre begrenzte Gültigkeitszeitraum einer LLE ausläuft, ist der Kunde bestrebt, eine nachfolgende LLE zu erhalten, sofern die Ware weiterhin durch den Lieferanten geliefert wird. Er ist somit darum bemüht, eine Überbrückung der Gültigkeitszeiträume zu erreichen, um am Ende die Weitergabe des Präferenzursprungs weiterhin aufrechterhalten zu können.
Zunehmend muss ein Unternehmen, das Zollvorteile in Anspruch nehmen möchte, Einkauf, Wareneingang, Logistik, Produktion und Vertrieb eng am Warenursprungs- und Präferenzrecht ausrichten.114
Obwohl eine Implementierung der Blockchain-Technologie im LE-Abgabeprozess evaluiert werden soll, ist es ebenso erforderlich, die Kontrollprozesse der Zollbehörden in die Betrachtung miteinzubeziehen. Werden die Überprüfungsmöglichkeiten der Zollbehörden bei einer Blockchain-Unterstützung eingeschränkt, kann dies zu einem entscheidenden K.-o.-Kriterium für eine potenzielle Implementierung führen.
Sofern bei einer Zollstelle oder einem Kunden Zweifel an der Echtheit einer durch den Lieferanten ausgestellten LE oder dessen Inhalt aufkommen, kann ein Auskunftsblatt INF4 beantragt werden.115 Beim INF4-Prozess handelt es sich um eine zollamtliche Bestätigung der LE nach Art. 64 UZK-DVO. Die Echtheit und Richtigkeit werden mit Hilfe des INF4-Auskunftsblatts nach dem Muster des Anhangs 22-02 UZK-DVO überprüft, das der Lieferant auszufüllen hat.116
Insgesamt können drei Szenarien als Prozessauslöser unterschieden werden, die die Erstellung eines Auskunftsblatts INF4 bedingen. Als erstes sind Zweifel des Ausführers anzuführen. Dieser möchte Waren aus dem Zollgebiet der Union exportieren und dabei Zolleinsparungen im Drittland in Anspruch nehmen. Hierfür muss er eine sogenannte Präferenzkalkulation durchführen, die im Unterkapitel 3.3.4 vorgestellt wird. Bei deren positivem Ergebnis kann zum Nachweis des EU-Ursprungs ein Präferenznachweis z. B. in Form einer EUR.1 oder EUR-MED durch den Ausführer ausgestellt werden. Es können jedoch bei der Präferenzkalkulation Zweifel entstehen, ob eine oder mehrere LEs in Bezug auf die Ursprungsbegründung den Tatsachen entsprechen. In diesem Fall kann der Ausführer einen INF4-Prozess bei seinem Lieferanten für die ausgestellte LE in Auftrag geben. Wird die LE im Anschluss durch den Lieferanten bestätigt, so kann der Ausführer die entsprechenden Präferenznachweise ausstellen. Ist jedoch das Gegenteil der Fall, so muss der Ausführer die entsprechenden Waren des Lieferanten als Vormaterial ohne Ursprung (VoU) in seine Präferenzkalkulation einfließen lassen und gegebenenfalls von einer Ausstellung eines Präferenznachweises absehen.117
Sollte ein Ausführer grundsätzlich nicht zur Ausstellung von Präferenznachweisen berechtigt sein, so ist die Erstellung dieser Nachweispapiere den Zollämtern vorbehalten. Der Ausführer muss hierzu beim Zollamt seine LEs und Vorpapiere vor Ausstellung eines Präferenznachweises vorlegen. Bestehen seitens der Zollbehörde Zweifel an einer vorgelegten LE, kann diese ebenfalls die Vorlage eines INF4 Auskunftsblatts verlangen. Dies stellt den zweiten Prozessauslöser dar, wobei die Auswirkungen, ob ein Präferenznachweis ausgestellt werden kann oder nicht, identisch zum ersten Szenario sind.
Beim dritten Szenario ist eine Ware durch den Ausführer bereits exportiert und beim Zollamt im Drittland unter der Inanspruchnahme von Präferenzzöllen angemeldet. Die Behörde im Drittland kann somit ebenso Zweifel am EU-Ursprung der Ware äußern. Hierzu initiiert diese ein sogenanntes Nachprüfungsersuchen über die Bundesstelle Ursprungsnachprüfung (BUN). Die BUN wendet sich daraufhin an das zuständige Hauptzollamt, das die Präferenzkalkulation des Ausführers überprüft. Sofern hierbei Zweifel bei berücksichtigten LEs aufkommen, wird der Ausführer zur Ausstellung eines INF4 bei seinem Lieferanten aufgefordert. Im Fall einer fehlerhaft ausgestellten LE kann es zu einem Widerruf des Präferenznachweises kommen. In beiden Fällen werden jedoch die ausländischen Behörden durch die EU-Zollbehörden bzw. in Deutschland die BUN informiert.118
Abbildung 6 visualisiert den Ablauf des INF4-Prozesses zur nachträglichen Überprüfung von LEs. Wie bereits beschrieben, müssen zunächst Zweifel an einer LE bestehen. Der Ausführer fordert daraufhin beim Lieferanten das Auskunftsblatt INF4 nach dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck an. Bei Mitwirkung des Lieferanten füllt dieser den Vordruck aus und legt ihm seinem zuständigen Zollamt vor. Innerhalb von 90 Tagen, ab Eingang des Vordrucks, muss die Zollbehörde des Lieferanten gemäß Art. 64 Abs. 3 UZK-DVO und E-VSF Z 4214 (19) die Ordnungsmäßigkeit der LE bestätigen oder dementieren.119
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Abbildung 6: Ablauf INF4-Prozess (eigene Darstellung)
Dieses Ergebnis vermerkt die Zollstelle ebenfalls auf dem Vordruck des INF4.120 Unter Umständen kann sie auch eine erweiterte Prüfung beim Lieferanten vornehmen. Im Anschluss reicht der Lieferant das Ergebnis in Form des ausgefüllten INF4-Vordrucks der Prüfung an den Ausführer weiter, der gemäß E-VSF Z 4214 (18) binnen 120 Tagen eine Rückmeldung an sein zuständiges Zollamt geben muss.121 Sofern der Ausführer keine Antwort vom Lieferanten erhält und nachweislich vorweisen kann, dass er diesen kontaktiert hat, tritt das Zollamt des Ausführers direkt mit dem Zollamt des Lieferanten in Verbindung. Letzteres führt dann eine Prüfung gemäß Art. 66 UZK-DVO beim Lieferanten durch. Die Aufforderung durch die Zollbehörden zur Stellungnahme in Form eines INF4-Vordrucks ist für einen Lieferanten verbindlich, bei der Anforderung durch den Ausführer allerdings unverbindlich. Neben einer Verpflichtung zur Ausstellung einer LE kann dies jedoch ebenfalls vertraglich vereinbart werden, um einen zivilrechtlichen Anspruch geltend machen zu können.122 Sofern der Ausführer kein INF4-Vordruck vom Lieferanten anfordert und die Frist von 120 Tagen verstreicht, so wird die erhaltene LE von den Zollbehörden als ungültig betrachtet.
Das Ziel des INF4-Prozesses ist demnach die Feststellung seitens der Zollbehörden, ob innerhalb der LE-Dokumentationskette keine fälschlichen Ursprungsaussagen getroffen worden sind.123 Eine Überprüfung der LEs kann jedoch auch unabhängig vom INF4-Prozess in Form einer Betriebsprüfung erfolgen. Solche werden regelmäßig durch die Zollbehörden am Sitz des Ausführers vorgenommen. Prüfungsgegenstand sind u. a. die vom Ausführer ausgestellten Präferenznachweise der bereits durchgeführten Exporte gemäß Art. 66 UZK-DVO.124 Neben den ausgestellten Präferenznachweisen prüfen die Behörden auch die Vollständigkeit der Warennummern im Materialstamm, den Abgleich von kalkulierten Ab-Werk-Preisen und tatsächlichen Zahlungseingängen sowie die in der Präferenzkalkulation eingesetzten LEs.125 Prüfungsumfang und -schwerpunkt können dabei variieren und sind einzelfallbezogen. Ein exemplarisches Bespiel eines INF4-Vordrucks nach Anhang 22-02 UZK-DVO findet sich in Anlage 9.
Mit einer LE gibt ein Lieferant nach Brenner/Langenhagen eine Erklärung darüber ab, dass „ […] die von ihm gelieferten Waren in einem bestimmten Land hergestellt worden sind und den Ursprungsregeln für den Warenverkehr mit den auf der Erklärung angegebenen Ländern entsprechen“.126 Die Ausstellung erfolgt ohne Mitwirkung der Zollbehörden.127 Dies bedeutet für den Lieferanten eine hohe Sorgfaltspflicht, da unrichtige Angaben in Präferenznachweisen je nach Häufigkeit, Fallkonstellation und Schwere der Verfehlung zivilrechtlich (§§ 437,433 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), strafrechtlich (§ 370 Abgabenordnung [AO], §§ 263,271 Strafgesetzbuch [StGB]) oder bußgeldrechtlich (§§ 378, 379 AO) geahndet werden können.128 Zudem drohen dem Lieferanten zollrechtliche Konsequenzen bei Falschausstellungen. Die Zollbehörden würden an der Zuverlässigkeit des LE-Ausstellers zweifeln und vermehrt Prüfungen anordnen. Bei weiteren Wiederholungen könnten zudem bestehende Bewilligungen entzogen werden.129
Bevor somit eine LE ausgestellt werden kann, muss ein Lieferant zwingend prüfen, ob die Ursprungsregeln für die entsprechenden Exporte erfüllt sind oder nicht. Die Regelungen ergeben sich dabei aus den jeweiligen Freihandelsabkommen. Um zu bestimmen, ob eine Ware eine Ursprungsware der EU ist und folglich eine LE mit Ursprungsbescheinigung für Lieferungen ausgestellt werden kann, muss der Aussteller eine sogenannte Präferenzkalkulation durchführen. Nach Brenner und Langenhagen umfasst eine solche „[…] die Berechnung der Präferenzeigenschaft eines Artikels nach den Listenregeln des jeweiligen Freihandelsabkommens“.130 Es ist für jedes einzutragende Land eine eigene Prüfung vorzunehmen, weil die Ursprungsregeln unterschiedlich sein können.131 Eine Ware kann gemäß eines Abkommens ein präferenzielles Erzeugnis der EU sein und gemäß eines anderen nicht. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die EU eine Vielzahl von Freihandels- und Assoziierungsabkommen geschlossen hat, die untereinander unterschiedliche Ursprungskriterien aufweisen. So können bei der Herstellung einer Ware Vormaterialen aus dem Balkan verwendet worden sein, die im Sinne des Abkommens mit den westlichen Balkanländern als EU-Ursprungsware zu sehen ist. Bei einer Ausfuhr in die Maghreb-Staaten hingegen handelt es sich um ein völlig anderes Abkommen und im Ergebnis könnte die Ware für dieses Präferenzgebiet keinen Ursprung in der EU haben.132
Zunächst muss daher das maßgebliche Freihandelsabkommen bestimmt werden. In der Praxis werden häufig mehrere erfüllte Abkommen auf die Erfüllung der Ursprungsangaben geprüft. Folglich muss der Aussteller der LE nicht wissen, in welches Präferenzland der LE-Empfänger später exportieren wird und Nachfragen werden reduziert.133 Abkommensübergreifend liegt allerdings eine Systematik zur Prüfung der Ursprungskriterien vor. Wie in Abbildung 7 verdeutlicht, sind zwei Formen möglich: 1. die vollständige Gewinnung oder Herstellung und 2. die ausreichende Be- oder Verarbeitung.
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Abbildung 7: EU-Ursprungsverleihung aufgrund der Abkommenssystematik (eigene Darstellung)
Beide Formen der Ursprungsbegründung werden im Folgenden vorgestellt. Zur Veranschaulichung der Präferenzursprungsregeln werden jedoch nicht alle Regelungen der derzeit bestehenden Freihandelsabkommen betrachtet, sondern lediglich das regionale Übereinkommen über Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln (RÜ).134 Dieses stellt eine Gesamtfreihandelszone bestehend aus der EU, den EWR-Staaten, der Schweiz, der Türkei, den westlichen Balkanstaaten und den Mittelmeeranrainern dar. Die Konsolidierung der Ursprungsregeln ist der Grund zum Abschluss der Pan-Euro-Med-Zone.135 Mit 50 Staaten handelt es sich um eine der weltweit größten Präferenzzonen.136 Das RÜ setzt dabei auf den bestehenden bilateralen Freihandelsabkommen zwischen den Partnerländern auf und vereinheitlicht lediglich die Regeln der einzelnen Ursprungsprotokolle.137 Die Harmonisierung der unterschiedlichen Ursprungsregeln der Abkommen vereinfacht die Bestimmung des präferenziellen Ursprungs erheblich.138
Die erste Möglichkeit zur präferenziellen Ursprungsbegründung einer Ware kann sich auf der Grundlage einer vollständigen Erzeugung oder Gewinnung in der EU gemäß Art. 2 Abs. 1 a) i. V. m. Art. 4 Anlage I RÜ ergeben.139 Es handelt sich hierbei um die einfachste Art der Ursprungsbegründung140 und durch einen hundertprozentigen EU-Anteil gilt die Ware als in der EU ‚geboren‘.141 Art. 4 Abs. 1 a)-k) Anlage I RÜ zählt dabei abschließend sämtliche Vorgänge auf, die als eine vollständige Erzeugung im Sinne des Abkommens gelten.142 Exemplarisch sind hier die Buchstaben a) und k) aufgeführt. Gemäß Buchstabe a) gelten Waren somit als vollständig in der EU hergestellt, sofern es sich bei ihnen um aus dem Boden oder dem Meeresgrund gewonnene mineralische Erzeugnisse handelt. Buchstabe k) schließt dabei sämtliche in der EU gewonnenen Waren ein, die aus Erzeugnissen der Buchstaben a) bis j) hergestellt wurden.
Exemplarisch kann dies mit der Herstellung eines Stuhls veranschaulicht werden. Hierzu müsste ein in der EU gefällter Baum zu Brettern verarbeitet werden und anschließend mit ausschließlich in der EU hergestelltem Leim und Nägeln zu einem Stuhl ebenfalls in der EU zusammengebaut werden. Die Nägel müssten dabei zuvor aus in der EU gewonnenem Eisenerz hergestellt worden sein. Da der gesamte Herstellungsprozess dieses Stuhls in der Union stattfinden müsste, dürften keine VoUs zur Herstellung verwendet werden.143 Wenn jedoch nur ein Nagel einen EU-fremden Ursprung aufwiese, so würde der Stuhl nicht als Ursprungsware der EU gelten, da keine vollständige Erzeugung gemäß Art. 2 Abs. 1 a) Anlage I RÜ mehr vorläge.
In der praktischen Anwendung ist die vollständige Gewinnung und Herstellung einer Ware in Anbetracht des hohen Grads internationaler Arbeitsteilung und grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten als unbedeutend anzusehen.144 Insofern fällt das Vorkommen gering aus und nur wenige Waren kommen auf diesem Wege zu einem präferenziellen EU-Ursprung. Damit jedoch auch bei Vorlage von VoUs trotzdem ein EU-Ursprung gegeben ist und die Herstellvorgänge in der EU berücksichtigt werden, sehen Freihandelsabkommen eine weitere Form der Ursprungsverleihung vor, namentlich die ausreichende Be- oder Verarbeitung.145
[...]
1 Vgl. Galer, (2020).
2 Vgl. Braendgaard, (2018).
3 Vgl. Hablizel, (2018), S. 86 ff.
4 Vgl. Gartner Inc., (2019).
5 Vgl. Von Lindern, (2020).
6 Vgl. Gartner Inc., (2019).
7 Vgl. Hosp, (2018), S. 38 ff.
8 Vgl. Azimdoust, (2019).
9 Vgl. Pischel, (2019), S. 1441 ff.
10 Vgl. Sieben, (2018b), S. 391.
11 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 65 ff.
12 Vgl. Market Access Database, (2020a).
13 Vgl. Meltendorf, (2018), S. 481.
14 Vgl. Wehe/Frank, (2019), S. 273 ff.
15 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 39.
16 Vgl. Hosp, (2018), S. 212 f.
17 Vgl. Wassermann, (2015), S. 53 ff.
18 Vgl. Helfferich in Baur/Blasius, (2019), S. 684 f.
19 Vgl. Bokrantz et al., (2017), S. 154 ff.
20 Vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr, (2008), S. 147.
21 Vgl. Wassermann, (2015), S. 51 f.
22 Vgl. Helfferich in Baur/Blasius, (2019), S. 680 f.
23 Vgl. Reiche, (2019).
24 Vgl. Statistisches Bundesamt, (2019a).
25 Vgl. Statistisches Bundesamt, (2019b).
26 Vgl. VDA, (2019).
27 Vgl. VDA, (2013) S. 128.
28 Vgl. Saunders/Lewis/Thornhill, (2009), S. 320.
29 Vgl. Helfferich in Baur/Blasius, (2019), S. 672.
30 Vgl. ebd., S. 673.
31 Vgl. Dresing/Pehl, (2012), S. 26 ff.
32 Vgl. Mayring, (2015), S. 11 ff.
33 Mayring/Fenzl in Baur/Blasius, (2019), S. 633.
34 Vgl. ebd., S. 633 f.
35 Vgl. Helfferich in Baur/Blasius, (2019), S. 671.
36 Vgl. Krugmann/Obstfeld/Melitz, (2019), S. 292.
37 Vgl. Morasch/Bartholomae, (2017), S. 244.
38 Vgl. Wolffgang/Witte, (2018), S. 1 f.
39 Vgl. Olfert, (2015), S. 116.
40 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 408.
41 Wolffgang/Witte, (2018), S. 502.
42 Vgl. ebd., S. 502 ff.
43 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 76.
44 Vgl. Zoll, (2020a).
45 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 406.
46 Vgl. European Commission, (2019a).
47 Vgl. European Commission, (2019b).
48 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 73.
49 Vgl. Meltendorf, (2018), S. 479.
50 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 33.
51 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 213.
52 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 34.
53 Zandonella, (2005).
54 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 81 f.
55 Vgl. Anderson/Eeckhout, (2018), S. 214.
56 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 65.
57 Vgl. Roszkowski, (2017), S. 226 f.
58 Vgl. Loesche, (2018).
59 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 25.
60 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 17 f.
61 Vgl. Meltendorf, (2018), S. 481.
62 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 41.
63 Vgl. Prieß/Stein, (2018), S. 494.
64 Vgl. Zoll, (2020b).
65 Vgl. Anderson/Eeckhout, (2018), S. 256 f.
66 Zoll, (2020b).
67 Vgl. Ovie/Berger/Harnischmacher, (2018), S. 611 ff.
68 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 261.
69 Vgl. Prieß/Stein, (2018), S. 494.
70 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 43 ff.
71 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 17.
72 Vgl. Pelz, (2017), S. 15 f.
73 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 74.
74 Vgl. Sieben, (2018a), S. 345.
75 Vgl. Zoll, (2020c).
76 Vgl. Zoll, (2020d).
77 Vgl. Zoll, (2020c).
78 Vgl. Sieben, (2018a), S. 351 f.
79 Vgl. Derendinger, (2018).
80 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 32.
81 Vgl. European Commission, (2019c).
82 Vgl. Market Access Database, (2020b).
83 Vgl. Prieß/Stein, (2018), S. 541.
84 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 214.
85 Vgl. Zoll (2020e).
86 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 131 f.
87 Vgl. Roszkowski, (2017), S. 251 f.
88 Vgl. Prieß/Stein, (2018), S. 552.
89 Vgl. Sieben, (2018b), S. 391.
90 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 32.
91 Vgl. IHK Stuttgart, (2020).
92 Vgl. Zoll, (2020c).
93 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 40.
94 Vgl. Sieben, (2018a), S. 348.
95 Vgl. ebd., S. 350.
96 Vgl. Sieben, (2018a), S. 345.
97 Vgl. Wehe/Frank, (2019), 273 ff.
98 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 39 f.
99 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 42.
100 Vgl. ebd., S. 139.
101 Vgl. ebd., S. 119.
102 Vgl. Ziesche, (2016).
103 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 124.
104 Vgl. O&W Rechtsanwälte, (2020).
105 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 120.
106 Vgl. Ziesche, (2016).
107 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 135 f.
108 Vgl. Ziesche, (2016).
109 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 129.
110 Vgl. Sieben, (2018a), S. 350.
111 Vgl. ebd., S. 351.
112 Vgl. Bug, (2009), S. 57 ff.
113 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 39 f.
114 Vgl. Summersberger et al., (2018), S. 236 f.
115 Vgl. Roszkowski, (2017), S. 252.
116 Vgl. Sieben, (2018a), S. 351.
117 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 271.
118 Vgl. Wolffgang/Witte, (2018), S. 104.
119 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 556.
120 Vgl. Sieben, (2018a), S. 351.
121 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 555.
122 Vgl. Sieben, (2018a), S. 351.
123 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 271.
124 Vgl. Wolffgang/Witte, (2018), S. 104.
125 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 177 f.
126 Brenner/Langenhagen, (2010), S. 270.
127 Vgl. Sieben, (2018a), S. 351.
128 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 202 ff.
129 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 179 ff.
130 Brenner/Langenhagen, (2010), S. 216.
131 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 147.
132 Vgl. Prieß/Stein, (2018), S. 540 f.
133 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 86.
134 Vgl. Summersberger et al., (2018), S. 238.
135 Vgl. ebd., S. 237.
136 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 17.
137 Vgl. Möller/Schumann, (2019), S. 38 f.
138 Vgl. Prieß/Stein, (2018), S. 541.
139 Vgl. Roszkowski, (2017), S. 239.
140 Vgl. Martin/Thorwesten, (2017), S. 74.
141 Vgl. ebd., S. 72.
142 Vgl. Wolffgang/Witte, (2018), S. 89.
143 Vgl. Roszkowski, (2017), S. 239.
144 Vgl. Sieben, (2018a), S. 345.
145 Vgl. Brenner/Langenhagen, (2010), S. 214.
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