Bachelorarbeit, 2021
49 Seiten, Note: 2.5
Zusammenfassung
Abstract
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemdarstellung
1.2 Literaturrecherche
1.3 Theoretische Annäherung
1.3.1 Alexithymie
1.3.2 Emotionale Intelligenz
1.4 Fragestellung und Hypothesen
1.5 Nutzen der Arbeit
2. Stand der Forschung
2.1 Unterteilung der Alexithymie
2.2 Ätiologie und Pathogenese der Alexithymie
2.3 Epidemiologie und Prävalenz der Alexithymie
2.4 Alexithymie und negative Affektivität
2.5 Alexithymie und emotionale Intelligenz
2.6 Korrelate emotionaler Intelligenz
3. Methoden
3.1 Verwendete Verfahren
3.1.1 Die Toronto-Alexithymie-Skala (TAS-26)
3.1.2 Das Emotional Intelligence Inventar (EI4)
3.1.3 Positive Affect Negative Affect Scale (PANAS)
3.2 Stichprobe
3.3 Soziodemographische Variablen
3.4 Erhebung
3.5 Statistische Auswertung
4. Ergebnisse
4.1 Auswertung
4.2 Stichprobenbeschreibung
4.3 Hauptergebnisse
4.4 Nebenergebnisse
5. Diskussion
5.1 Interpretation der Hauptergebnisse
5.2 Interpretation der Nebenergebnisse
5.3 Kritik
6. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
Anhang A: Positive and Negative Affect Schedule (PANAS)
Anhang B: Das emotionale Intelligenz Inventar (EI4)
B.1: Antwortdimensionen
B.2: Subskala Einfühlungsvermögen
B.3: Subskala Menschenkenntnis
B.4: Subskala Emotionale Selbstkontrolle
B.5: Subskala Überzeugungskraft
In der vorliegenden Arbeit wurde ein möglicher Zusammenhang zwischen den scheinbar ähnlichen Konstrukten der emotionaler Intelligenz und Alexithymie untersucht. Beide gelten als unabhängig voneinander, überschneiden sich jedoch in vielen Bereichen in dem, was sie messen. Um Alexithymie und emotionale Intelligenz zu erfassen, wurden die deutsche Version der Toronto Alexithymie Skala (TAS-26) und die Emotional Intelligence Scale (EI4) genutzt. Der negative Affekt wurde mit der Positive Affect Negative Affect Scale (PANAS) kontrolliert. Durch die Erhebung mittels des zusammengefügten Online-Fragebogens ergab sich eine Stichprobe von N = 215 Teilnehmern, die auf eine Endstichprobe von 194 Teilnehmern um den negativen Affekt bereinigt wurde. In dieser konnte zwar kein direkter Zusammenhang gefunden werden, dafür jedoch einer zwischen den Subskalen Schwierigkeiten bei der Identifikation von Gefühlen und emotionale Kontrolle. Die Pearson-Korrelation war mit r = -.14 zwar schwach, aber dennoch signifikant. Der negative Affekt als Mediatorvariable wird diskutiert.
In the present work, a possible connection between the apparently similar constructs of emotional intelligence and alexithymia was investigated. Both are considered independent of each other, but overlap in many areas in what they measure. The german Toronto Alexithymia Scale (TAS-26) and the Emotional Intelligence Scale (EI4) were used to assess alexithymia and emotional intelligence. The negative affect was monitored with the Positive Affect Negative Affect Scale (PANAS). The online survey based on the the combined questionnaires resulted in a sample of N = 215 participants, which was corrected by negative affect to a final sample of 194 participants. Although there was no direct connection between both constructs in this study, a corelation between the subscales difficulty in identifying feelings and emotional control could be found. The Pearson correlation r = -.14 was weak, but still significant. Negative affect and its role as a mediator variable is discussed.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Emotionale Intelligenz (EI) ist ein breites Persönlichkeitskonstrukt, das die Fähigkeit bezeichnet, Affekte in sich selbst wahrzunehmen und zu regulieren. Alexithymie ist ein weiteres Persönlichkeitskonstrukt, das Schwierigkeiten beim Erkennen und Ausdrücken von Emotionen mit einem nach außen orientierten Denkstil bezeichnet. Obwohl sie zuvor als unabhängig angesehen wurden, haben einige Studien gezeigt, dass sich diese Konstrukte in der Theorie überlappen. Das Problem im Kern zeichnet sich also dadurch ab, dass die Linie zwischen dem Konstrukt der emotionalen Intelligenz und der Alexithymie nicht präzise genug gezogen werden kann. Mit dieser Thematik wird sich die vorliegende Arbeit beschäftigen und den in der Forschung postulierten Zusammenhang näher betrachten.
Die Literaturrecherche erfolgte in dem Zeitraum vom 15.05.2021 bis einschließlich 17.07.2021. Den Beginn machte die allgemeine Suche über Google Scholar mit den Schlagworten „Definition emotionale Intelligenz“, „Alexithymie“, „emotionale Intelligenz und Alexithymie“, „EQ AND alexithymia“ und „Zusammenhänge Alexithymie und EQ“. Für die Suche nach dem aktuellen Forschungsstand und der vertiefenden Recherche dessen wurden Google-Scholar, Elsevier, APA PsycNet und EBSCO-Host als Suchmaschinen mit den Schlagworten „emotional intelligence“, „alexithymia overview“, „EQ AND alexithymia“ und „alexithymia somatization“ genutzt. Um spezifischere Resultate für die geschichtliche Entwicklung sowohl des Alexithymie- als auch des Begriffes der emotionalen Intelligenz zu erhalten, wurde in verschiedenen Durchläufen zeitlich begrenzt (19501960, 1960-1970 usw.). Es wurden nur Studien berücksichtigt, die sich ausschließlich mit dem Thema in ihrer Kernfrage befassten. Bei der Suche nach Korrelaten wurde diese Voraussetzung etwas gelockert.
Alexithymie ist ein Begriff, der aus dem griechischen in seine Bestandteilen a = Fehlen, lexis = Wort und thymos = Gefühl wörtlich übersetzt „ keine Worte für die Gefühle “ bedeutet. Umgangssprachlich wird es auch Gefühlsblindheit genannt. Bekannt wurde Alexithymie zuerst als klinisches Phänomen, sowohl im amerikanischen als auch im europäischen Raum, vor allem, weil es mit psychosomatischen Beschwerden in Verbindung gebracht (Lesser, 1981, S. 531543) wurde. In Amerika wurde es erstmals von Nemiah, Freyberger und Sifneos (1976) definiert. Unter dem Begriff verstanden sie die Unfähigkeit der Patienten, ihre eigenen Gefühle zu erkennen und in Worten zu beschreiben. Beschrieben wurde von ihnen auch eine begrenzte imaginäre Kapazität und ein extern orientierter Denkstil, der in der europäischen Literatur zeitgleich als „externally orientated thinking“ oder „pensée opératoire“ (Marty & de M'Uzan, 1963) bezeichnet wurde. Der Betroffene richtet seinen Denkfokus bei einem extern orientierten Denkstil vielmehr auf das äußere Geschehen, als auf das innere Erleben. Außerdem zeigen Menschen mit einem extern orientierten Denkstil wenig Einfühlungsvermögen in das emotionale Befinden anderer. Es zeigte sich darüber hinaus, dass alexithyme Personen Schwierigkeiten dabei haben, zwischen Emotionen und somatischen Empfindungen zu unterscheiden (Nemiah et al., 1976). Das bedeutet im Kern, dass sie zwar starke Empfindungen wie beispielsweise Wutausbrüche erleben, können den Erregungszustand jedoch bezüglich seines Ursprungs und seiner Qualität nur schwer einordnen (Ahrens, 1987). Des Weiteren legen sie nur eine eingeschränkte Vorstellungskraft an den Tag (Sifneos, 1996). Weitere mit Alexithymie assoziierte Merkmale sind nach Taylor, Bagby und Parker (1997) eine steife, hölzern wirkende Körperhaltung; die Tendenz zur sozialen Konformität; seltenes Erinnern von Trauminhalten sowie die Neigung, durch reines Agieren Gefühle auszudrücken oder Konfliktsituationen zu entschärfen. Auch eine Verarmung der Wiederspiegelung von den Emotionen in der Mimik wurde von Taylor et al. (ebd.) als alexithymie- assoziiertes Merkmal aufgeführt.
Über die Jahre wurden die Kriterien für Alexithymie sowohl bei psychiatrischen Patienten, als auch bei Personen in der Normalpopulation gefunden. Dies warf lange die Frage auf, ob es sich bei Alexithymie um ein stabiles Persönlichkeitskonstrukt (trait), oder einen vorübergehenden Krankheitszustand (state) handelt, was aktuell noch immer kontrovers diskutiert wird. Inzwischen wird Alexithymie offiziell als Persönlichkeitsmerkmal angesehen und ist auch ein festes Bestandteil der psychosomatischen Krankheitsforschung, jedoch bisher nicht im ICD-10 oder DSM-5 enthalten. Grund für diese Klassifizierung lieferten Befunde, die auf Zusammenhänge mit chronisch somatischen Erkrankungen und alexithymie- assoziierten psychiatrischen Krankheiten, wie z.B. Substanzabhängigkeit, Angststörungen, Depressionen, Essstörungen und posttraumatischer Belastungsstörung (Zech, Luminet, Rimé & Wagner, 1999) hindeuteten. Alexithymie wurde lange Zeit ebenfalls mit Suizidalität assoziiert. Dies wurde aktuell von Bergmans Guimond, Lambert, McInerney, und O'Brien (2020) untersucht, und es ergab sich, dass jene Teilnehmer, die sich durch hohe Alexithymiewerte auszeichneten, durchschnittlich 7,8 lebenslange Suizidversuche hatten. Es zeigten sich auch hier signifikante Zusammenhänge zwischen Alexithymie, Depression, Hoffnungslosigkeit, Problemlösung und Zufriedenheit mit dem Leben.
Die erste Erwähnung der sozialen Intelligenz, die den Baustein für die Überlegungen zu der emotionalen Intelligenz legte, nahm Edward Lee Thorndike (1920), ein einflussreicher Psychologe seiner Zeit auf den Gebieten Intelligenz, Lernen und Bildung, in seinem Artikel „Intelligence and its uses” im Harper's magazine vor. Durch eine differenzierte Betrachtung der ,,allgemeinen Intelligenz‘‘ schlussfolgerte er, dass es eine Unterteilung in mehrere Arten von Intelligenz geben müsse. Er unterteilte diese folglich in drei spezifische Sektoren: „mechanical intelligence” wird als die Fähigkeit, Dinge und Mechanismen (wie ein Taschenmesser, ein Auto, ein Stück Land,...) zu verstehen, und zu operationalisieren, verstanden; „abstract intelligence“ beschrieb Thorndike als die Fähigkeit, Ideen und Symbole (wie Wörter, Zahlen, Gesetze) zu interpretieren und operationalisieren; und schließlich „social intelligence“, so nannte er die Fähigkeit, das Verhalten von Menschen verinnerlicht zu verstehen und in zwischenmenschlichen Beziehungen vorausschauend zu handeln.
Es mussten noch 60 weitere Jahre verstreichen, bis die ersten konkreten Beschreibungen zu dem Gedankengerüst, aus dem später das Konstrukt der emotionalen Intelligenz hervorging, von Howard Gardner vorgenommen wurden, der in seinem Werk „Frames of Mind” (1983) als erster die Begriffe der „inter- und intrapersonellen Intelligenz“, die heute auch Synonym als soziale Intelligenz verstanden werden, beschrieben hat. Unter interpersoneller Intelligenz beschrieb Gardner die Fähigkeit, unausgesprochene Gefühle und Absichten anderer Menschen nachempfinden und verstehen zu können, und auf Basis dessen ihre Stimmungen und Emotionen zu beeinflussen. Diese Fähigkeit ist vergleichbar mit dem Konstrukt der Empathie und eine wichtige Voraussetzung für den erfolgreichen Umgang mit anderen Mitmenschen. Die intrapersonelle Intelligenz hingegen, beschreibt als Gegenstück zur interpersonellen Intelligenz die Fähigkeit, die eigenen Emotionen, Stimmungen und Antriebe sowohl zu verstehen, als auch zu beeinflussen. Nach Gardner haben Personen mit einer ausgeprägten intrapersonellen Intelligenz eine zutreffende mentale Repräsentation ihrer Persönlichkeit, anhand dessen sie in verschiedenen Situationen ihre eigenen Verhaltensweisen antizipieren können. Diese interne und auf Selbsterkenntnis beruhende Fähigkeit benannte Gardner als „central intelligence agency“ und diese verhilft Menschen zu richtigen Entscheidungen. Diese Vorüberlegungen griffen John D. Mayer und Peter Salovey (1990) in ihrer Theorie der emotionalen Intelligenz auf und definierten daraus die gleichnamige „emotionale“ Intelligenz. Diese Definition ist auch heute noch gültig. Das Konstrukt der emotionalen Intelligenz fasst die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle (richtig) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen ein. Er ist abzugrenzen von dem klassischen Intelligenzbegriff, der primär kognitive und akademische Fähigkeiten umfasst. Eingang in die populärwissenschaftliche Literatur gewann das Konstrukt der emotionalen Intelligenz jedoch erst durch Goleman und die Veröffentlichung seines Werkes „Emotional Intelligence - Why it can matter more than IQ“ (1995).
Fünf Jahre später fand Goleman (2000, S. 17) einen direkten Zusammenhang zwischen berufsbezogenen Tätigkeiten, konkret beruflicher Leistung und emotionaler Intelligenz. Seitdem hat das Konstrukt der emotionalen Intelligenz ein hohes Interesse in sowohl akademischer, als auch populärwissenschaftlicher Literatur erlebt.
Die Bachelorarbeit wird sich im Kern mit der Frage nach der Beziehung, bzw. einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Persönlichkeitsmerkmal Alexithymie und dem Konstrukt der emotionalen Intelligenz beschäftigen. Die naheliegende Vermutung ist, dass hohe Werte auf der Alexithymie-Variable mit niedrigen Werten der emotionalen Intelligenz einhergehen und umgekehrt, niedrige Alexithymie- Werte mit hohen Werten in der emotionalen Intelligenz. Die sich daraus ableitenden Hypothesen sind folgende:
(1) Besteht, der Vermutung folgend, ein negativer Zusammenhang zwischen Alexithymie und emotionaler Intelligenz?
H1: Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen Alexithymie und emotionaler Intelligenz.
H0: Es gibt keinen oder einen positiven Zusammenhang zwischen Alexithymie und emotionaler Intelligenz.
Es lässt sich erkennen, dass es sich hierbei um eine unspezifische und gerichtete Zusammenhangshypothese handelt. Gerichtet, weil ein Unterschied zwischen den untersuchten Variablen in eine bestimmte Richtung unterstellt wird. Falls kein Zusammenhang besteht, wäre die Frage, ob der Alexithymie-Gesamtscore mit den jeweiligen Subskalen der emotionalen Intelligenz, und der EQ mit den jeweiligen Subskalen der Alexithymie korreliert.
(2) Bestehen einzelne Zusammenhänge zwischen dem Gesamtwert Alexithymie/EQ und den Subskalen Alexithymie/EQ?
H1: Es lässt sich ein einzelner oder mehrere Zusammenhänge zwischen den Gesamtwerten und den jeweiligen Subskalen ausmachen.
H0: Es lässt sich kein Zusammenhang zwischen den Gesamtwerten und den jeweiligen Subskalen ausmachen.
Neben diesen ungerichteten Hypothesen, werden weitere einzelne, nebensächliche Zusammenhänge untersucht. Ein Beispiel dafür wäre die Beziehung zwischen dem Alter, dem Geschlecht oder dem Bundesland und den jeweiligen Werten auf der emotionalen Intelligenz, oder der Alexithymie. Die Fragestellungen zu den Beziehungen der soziodemographischen Variablen sind, je nach untersuchter Variable, sowohl gerichtet als auch ungerichtet. Im Ergebnisteil wird auf die Richtung ihrer Beziehung näher eingegangen, falls statistische Signifikanz gegeben sein sollte.
Das Konstrukt der emotionalen Intelligenz und das Persönlichkeitsmerkmal Alexithymie überschneiden sich in der Theorie in vielen Bereichen. Ihre Beziehung wurde noch unzureichend untersucht, dementsprechend stellt die folgende Bachelorarbeit einen möglichen Beitrag für die weitere Forschung dar. Ein weiterer Nutzenpunkt leitet sich aus dem Beitrag zur Forschung ab; aus dem darauf aufbauenden Wissen könnten, durch besseres Verständnis der Beziehung von Alexithymie und emotionaler Intelligenz, schärfere Messinstrumente oder Therapiemöglichkeiten entwickelt werden. Auch die Beziehung zwischen negativem Affekt und Alexithymie sowie emotionaler Intelligenz wird diskutiert.
Alexithymie wird aufgrund von unterschiedlichen Erklärungsansätzen der neurobiologischen Ursachen, die zu unterschiedlichen Arten von Alexithymie führen, in zwei Untertypen unterteilt. Houtveen, Bermond und Elton (1997) sowie Larsen, Brand, Bermond und Hijman (2003) benannten diese Alexithymie Typ I & Alexithymie Typ II. Der erste Typus charakterisiert sich durch das Fehlen von emotionalen Erfahrungen und damit einhergehend auch das Fehlen von emotionsbegleitenden Kognitionen. Bei neurobiologischer Betrachtung wird angenommen, dass eine reduzierte Funktion im orbito-präfrontalen Cortex (genauer eine dort geringere Verfügbarkeit des Neurotransmitters Dopamin) der rechten Hemisphäre Ursache für Alexithymie Typ I sein könnte. Typ II Alexithymie hingegen kennzeichnet sich nur durch ein Defizit der emotionalen Kognitionen, nicht hingegen der emotionalen Erfahrungen und wird durch eine reduzierte Funktion des Corpus Callosum verursacht. Darüber hinaus fand sich in einer Untersuchung von Bailey und Henry (2007), dass Alexithymie Typ II im Vergleich zu Alexithymie Typ I als Prädiktor Somatisierung besser vorhersagte. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch keine Unterscheidung zwischen diesen beiden Alexithymie-Typen unternommen, weil dafür schlichtweg die Messinstrumente fehlen und eine Untersuchung in diesem Rahmen über den geforderten Umfang der Bachelorarbeit hinausführt.
Es liegen nur unzureichend Daten über das Erstmanifestationsalter der Alexithymie vor. Vermutet wird jedoch, dass der relevante Zeitraum der Entstehung in der Kindheit und spätestens in der frühen Jugend liegt. Klinisch manifestiert kann die Alexithymie frühstens im jungen Erwachsenenalter festgestellt werden (Möller, Laux & Deister, 2001, S. 125-133). Bis dato existieren in der Literatur unterschiedliche Modelle verschiedenster Psychologieschulen, die die Entstehung des alexithymen Persönlichkeitsmerkmals versuchen zu erklären. Entwicklungspsychologische Theorien schlagen vor, dass eine problematische Bindungserfahrung in der Beziehung zwischen Mutter und Kind zu einer gestörten Affektverarbeitung führen könnte. Diese gestörte Affektverarbeitung wird als ein prädisponierender Faktor für die Ausbildung einer alexithymen Persönlichkeitsmerkmals angenommen (Ahrens, 1987; Krystal, 1979; Nemiah, 1977). Psychoanalytische Theorien hingegen liefern den Erklärungsansatz, dass die Alexithymie aus einem Defizit innerpsychischer Entwicklung hervorgeht. Dieses entsteht z.B. durch die mangelnde Förderung von affektiven Ausdrucksmodi durch die Mutter, sodass die früh problematische MutterKind-Beziehung als mögliche Disposition in der Entstehung einer alexithymen Persönlichkeit angesehen werden kann. Empirische Untersuchungen bestätigen diese Annahme (Benedetti, 1980, S. 534-541). Arbeiten von Fukunishi et al. (1997) weisen ebenfalls darauf hin, dass der negative Zusammenhang zwischen Alexithymie und mütterlicher Zuwendung eine maßgebliche Rolle in dessen Entwicklung spielt. Folglich nimmt man auch an, dass alexithyme Merkmale sich neben Entwicklungsstörungen auch aus dysfunktionalen Copingprozessen im Verlauf von psychischen oder somatischen Erkrankungen entwickeln (TayIor, 1991).
Auch Gündel, Ceballos-Baumann und von Rad (2002) vertreten die Ansicht, dass der Alexithymie ein intrapsychischer Abwehrvorgang zugrunde liegt, der durch eine oder mehrere traumatisierende Situationen ins Rollen gebracht wird. Vorgeschlagen wird, dass alexithyme Personen ihre Affekte in diesem Rahmen nicht durch Worte oder Mimik, sondern durch körperliche Spannungszustände auszudrücken versuchen, weil in der frühen Kindheit als sensible Periode internalisiert wurde, dass eine Verbalisierung der Affekte eine Gefährdung der Beziehung zur Mutter bedeuten könnte. Diese können sie mit fortschreitender Manifestation des alexithymen Persönlichkeitsmerkmals nicht mehr benennen, weil es ihnen schlichtweg verwehrt bleibt, sie zuvor sachgemäß zu verarbeiten. Hier schlagen Gündel und Kollegen in derselben Arbeit eine neurobiologische Sicht der Dinge vor, um die Annahme zu untermauern. Als funktionelle Grundlage der Alexithymie wird ein Diskonnektionssyndrom benannt, bei diesem Störungen an verschiedenen Stellen neuronaler Regelkreise zwischen affektverarbeitender (präfrontaler Cortex und anteriores Cingulum) und affektgenerierender Strukturen (Amygdala) vermutet werden. Daraus resultiert eine verminderte Transmission emotionaler Aktivitätsmuster. Demnach wären an der mangelnden Verarbeitung von Gefühlen bei Alexithymen aktivierte, frontale Areale verantwortlich. Dies wäre auch ein möglicher Erklärungsansatz für den extern orientierten Denkstil. Des weiteren führen Mahler, Barnow, Freyberger, Spitzer und Grabe (2009) erste Hinweise auf einen möglichen genetischen Faktor in der Entwicklung einer alexithymen Persönlichkeit auf: Die Ergebnisse ihrer Arbeit zeigten, dass der TAS- 20-Gesamtwert der Mütter, ebenso der der Väter, unabhängig voneinander die TAS-20-Gesamtwerte der Kinder prädizierten. Außerdem erklärten die Werte der Eltern auf der TAS-Subskalen »Schwierigkeiten, Gefühle zu identifizieren« und »Schwierigkeiten, Gefühle zu beschreiben« 28% (p<0,001) der Varianz vom Wert des Kindes auf derselben Subskala. Eine intrafamiliäre Assoziation des alexithymen Merkmals aus früheren Familienstudien konnte somit nachgewiesen werden. Der Befund deutet auf relevante genetische Mechanismen bei der Entwicklung und Ausprägung der Affektwahrnehmung- und Regulation hin, die noch weiterer Erforschung bedürfen.
Die Datenlage zur Häufigkeit von alexithymen Persönlichkeiten in der Allgemeinbevölkerung ist unklar, weil die Angaben verschiedener Forscher stark variieren. Nach Parker, Taylor und Bagby (1989) liegt die Prävalenz von Alexithymie in der Allgemeinbevölkerung bei 8,1 %. Ähnliche Angaben machte die Arbeitsgruppe von Joukamaa (2003), die eine Häufigkeit von 7,1% dokumentierte. Eine in Finnland durchgeführte Studie schlug eine noch höhere Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung vor: hier ging man von 13% aus (Salminen, Saarijärvi, Aäirelä, Toikka & Kauhanen, 1999). In der Literatur liegen auch verschiedene Untersuchungen zur Verteilung des Alexithymie-Merkmals zwischen Männern und Frauen vor. Die am häufigsten zitierte Arbeit von Kokkonen, Karvonen, Veijola, Läksy, und Jokelainen (2001) bezieht sich auf den TAS-20 (Bagby, Taylor & Parker, 1994) mit einem Cut-Off-Wert > 61 und weist darauf hin, dass die Mittelwerte bei Männern statistisch signifikant höher waren als bei Frauen, weshalb in ihren Untersuchungen auch von einer erhöhten Lebenszeitprävalenz bei Männern im Vergleich zu Frauen ausgegangen wird. Sie ermittelten eine Prävalenz von 9,4 % für Männer und 5,2 % für Frauen.
Alexithymie und negative Affektivität stehen in keinem direkten Zusammenhang miteinander, doch die Literatur schlägt vor, dass der negative Affekt eine bedeutende Mediatorrolle in der Beziehung zwischen Alexithymie und körperlichen Beschwerden einnimmt. So auch in einer Arbeit von Bailey und Henry (2007), bei der die Zusammenhänge zwischen Alexithymie, Somatisierung und dem negativen Affekt untersucht wurden. Es fand sich, dass spezifische Facetten der Alexithymie, wie z.B. erhöhte Fantasie und Schwierigkeiten beim Erkennen von Emotionen signifikant mit Somatisierung verbunden waren, jedoch nicht direkt mit negativer Affektivität. Die Stärke ihres Zusammenhangs war jedoch abhängig von dem negativen Affekt. Diese Beziehung konnte auch in der Arbeit von Shibata et al. (2014) gefunden werden; negativer Affekt nimmt hier eine Mediatorrolle in der Beziehung zwischen Alexithymie und chronischem Schmerz ein. Insbesondere der Aspekt der Alexithymie, bei dem es schwierig ist, die eigenen Gefühle zu erkennen, ist mit dem Vorhandensein von chronischen Schmerzen in der Allgemeinbevölkerung verbunden. Dieser Zusammenhang wird nicht signifikant, wenn negativer Affekt kontrolliert wird, was darauf hindeutet, dass negative Gefühle wie Depressionen und Angst den Zusammenhang zwischen Alexithymie und chronischen Schmerzen vermitteln können. Die Autoren merken ebenfalls an, dass dieses Ergebnismuster mit früheren Untersuchungen, die Stichproben von Personen mit chronischen Schmerzen umfassten, übereinstimmt. Dieses Muster zeigt sich jedoch nicht nur bei chronischen Schmerzen und Somatisierung, sondern tritt auch zusammen mit Substanzabhängigkeit auf. Lumley, Downey, Stettner, Wehmer und Pomerleau (1994) untersuchten das Zusammenspiel von Alexithymie, dem negativen Affekt und Nikotinabhängigkeit. Es zeigte sich auch hier wieder, dass Alexithymie nicht direkt mit den Rauchgewohnheiten und der Nikotinabhängigkeit zusammen hängt, ein Zusammenhang jedoch durch den negativen Affekt vermittelt werden kann. Daraus schließen die Autoren, dass die Defizite in der Affektregulation bei Alexithymen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Substanzabhängigkeiten spielen können.
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