Masterarbeit, 2020
73 Seiten, Note: 1,3
I. Abbildungsverzeichnis
II. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Theatralität
2.2 Theatralität und Theater
2.3 Theatralität und Sport
3. Forschungsgegenstand Professional Wrestling
3.1 Wrestling Terminologie
3.2 Forschungsstand
3.3 Das Unternehmen WWE
3.4 Methodisches Vorgehen
4. Typologie des Nichttheaters
4.1 Örtlich begründete Theaterablehnung
4.2 Ästhetisch begründete Theaterablehnung
4.3 Skandalisierung und Theaterablehnung
4.4 Zwischenfazit: Nicht-Theater und Wrestling
5. Inszenierung
5.1 Inszenierung einer Wrestling Show
5.2 Inszenierung des Publikums im Wrestling
6. Performativität und Performance im theaterwissenschaftlichen Diskurs
7. Aufführung
7.1 Aufführungen und Wrestling Shows
7.2 Leibliche Ko-Präsenz
7.3 Räumlichkeit
7.4 Lautlichkeit
7.5 Zeitlichkeit
7.6 Körperlichkeit
7.7 Wahrnehmung und Erzeugung von Bedeutung
8. Diskussion und Fazit
9. Quellenverzeichnis
Abbildung 1: RAW Production sheet leaks online – Segments for tonight revealed
Abbildung 2: DDT “SAITAMA SLAM SPECIAL! 2015 ~TELETAMA BROADCASTING 1ST ANNIVERSARY~” Results
Abbildung 3: Will Finn Bálor's "Demon King" resurface in WrestleMania?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„If you've ever watched pro wrestling, in your mind you know its “fake”. But sometimes it looks pretty real “ (Koloff/Gitomer 2004, S. 136).
Diese Ambivalenz bestimmt den alltäglichen Diskurs über Professional Wrestling maßgeblich. Was ist echt und was ist gestellt? Es ist kaum vorstellbar, dass diese Debatte regelmäßig über das Programm des Theaters geführt wird. Die Gespräche nehmen vielmehr eine Dynamik über Darstellung, Bühnenbild, Handlung oder Dauer der Aufführung an. Mit dem Erwerb eines Tickets für das Theater geht Wissen einher, dass zu Gunsten einer Theateraufführung viele Menschen Monate oder sogar Jahre an einem Projekt gearbeitet haben. Warum also die Frage nach dem Realen, wenn es sich offensichtlich um eine schauspielerische Leistung handelt. Leidenschaftliche Fans eines beliebigen Sportvereins kaufen sich Tickets in der Hoffnung, dass ihr Verein gewinnt und sie gleichzeitig unterhalten werden. Dennoch stellt sich nicht die Frage danach, ob das Spiel echt sei. Es handelt sich letztendlich um einen sportlichen Wettkampf, ein Turnier oder eine Meisterschaft, deren Gewinn ein Höhepunkt in der Karriere eines Sportlers darstellen kann. Die Zuschauer, sowohl im Theater als auch beim Sport folgen dabei gespannt den Geschehnissen. Es entstehen Geschichten, die mit Spannungen aufgebaut und von den Zuschauern emotional und körperlich miterlebt werden.
An der Schnittstelle zwischen Theater und Sportveranstaltungen scheint sich Sports Entertainment einzureihen. Eine Mischung aus sportlichen Darbietungen und theaterähnlichen Momenten – besser bekannt als Professional Wrestling. Anhand von Turnieren mit Titeln, wie King of the Ring und Champions, welche sich in der dritten Person als elektrisierend bezeichnen, zeigt sich die überzogene Natur der Wrestling Inszenierungen. Bei der Betrachtung eines Wrestling Kampfes stellt sich ebenfalls die Frage: Ist das echt? Diese Frage wird von Wrestlern1 im Jahr 2020 klar mit einem ‚Nein‘ beantwortet. Doch warum werden Hallen, Arenen und Stadien mit tausenden Zuschauern gefüllt, wenn selbst die Akteure zugeben, dass ihre Aktionen gespielt sind? Schließlich wird ein Wettkampf zwischen den Akteuren teils über Wochen hinweg in verschiedenen Medien und Formaten beworben und in eine Erzählung eingebettet. Warum gibt es Turniere und Champions, wenn diese nicht in einem echten Wettkampf entschieden werden?
Zuschauer in einem Theater sind meistens darüber informiert, was ihnen auf der Bühne präsentiert wird. Trotz Darstellungen von kreativen und teils skurrilen Geschichten stellt sich nicht die Frage, ob das was man auf der Bühne sieht eine reale Situation sei. Dass Theater für gewöhnlich auf einer Bühne stattfindet und Wrestling in einem Ring ist selbstverständlich nicht ausreichend, um die Unterschiede von Wrestling und Theater zu benennen. Doch der Ring erscheint als ein wesentlicher Unterschied, da Wrestling einen Kampf zwischen zwei oder mehreren Personen suggeriert. Demnach soll der Akt im Ring als Solches von besonderer Bedeutung sein, wenn es folgend darum geht die Charakteristika der Theatralität analysieren zu können. In dieser Arbeit soll Wrestling bewusst nicht als TV-Produkt analysiert werden, um den theaterwissenschaftlichen Kontext zu bewahren. Rezeption der Narration durch verschiedene Medien würde das Ziel der Forschung überschreiten. Zuvor soll herausgestellt werden, inwiefern Wrestling als Gegenstand der theaterwissenschaftlichen Aufführung gelten kann, um anschließend das Theatrale im Wrestling herausstellen zu können. Die verschiedenen Aspekte des Professional Wrestlings werden anhand von historischen Beispielen, charakteristischen Eigenschaften und Inszenierungsweisen der Wrestling Industrie voneinander getrennt betrachtet.
Der Theatralitätsbegriff erweist sich bei der Auseinandersetzung mit Theater und Wrestling aufgrund seiner „analytisch spezifischen“ (Willems 2009, S. 10) Leistungsfähigkeit und Anschluss an „niedere[n] Ordnungen wie Inszenierung, Skript oder Performanz“ (ebd., S. 10) als wichtiger Schlüssel- und Leitbegriff. Zuvor bedarf es einer Konkretisierung des universell anwendbaren Begriffs, welcher bereits mit diversen sozio-kulturellen Phänomenen verknüpft wurde. Im Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema Theatralität leitete Erika Fischer-Lichte von 1996 bis 2002 eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, um Theater als „kulturelles Modell“ (DFG 1996, o. S.) zu erproben. Die Forschungsaktivitäten orientierten sich an dem Theatralitätsbegriff Fischer-Lichtes, welcher die vier Aspekte Performance, Inszenierung, Korporalität und Wahrnehmung zu dem Komplex Theatralität zusammenführt. Dadurch konnten Analogien auf soziale Situationen und sozio-kulturelle Realitäten gezogen werden. Diese Entwicklungen zur Theatralitätsforschung führte zu einem gesteigerten Interesse an Phänomenen, die auf Theatralisierung der Gesellschaft hinweisen. Anhand der Diagnose, dass die Wirklichkeit mehr und mehr als Darstellung und Inszenierung erlebt wird (vgl. Willems 2009, S. 9), soll zunächst der Frage nachgegangen werden, wie die Aufführungen des Professional Wrestlings als theatral eingeordnet werden können. Daraufhin folgt eine Definition des Professional Wrestlings anhand von gesammelten Erkenntnissen und Abhandlungen über das Genre. Aufgrund einer eher marginalen wissenschaftlichen Auseinandersetzung im deutschsprachigen Raum erfolgt vorerst eine Definition des Gegenstands Professional Wrestling.
Das Ziel dieser Arbeit ist es demnach herauszustellen, inwiefern Wrestling innerhalb der theaterwissenschaftlich legitimierten Theatralität stattfinden kann, um zu überprüfen, ob der Akt im Ring von den Zuschauern als real wahrgenommen wird.
Im Anschluss an die theoretischen Grundlagen wird der methodische Zugang des Nicht-Theaters nach Andreas Kotte beschrieben, um den Theatralitätsbegriff erweitert darzustellen und die Rahmenbedingungen der Wrestling Kultur aufzuzeigen. Mithilfe einer Gegenüberstellung von Diskursen über Theater und Wrestling soll das Ziel einer ersten Einordnung des Wrestlings im theaterwissenschaftlichen Rahmen erreicht werden. Daraufhin folgt eine exemplarische Darstellung der Inszenierungspraktiken aus einer Szene der Wrestling TV-Show Monday Night Raw, als weitere Beweisführung bei der Beantwortung auf die Frage nach den theatralen Aspekten des Wrestlings . Da der Akt im Ring als zentrale Beobachtungsquelle dieser Arbeit gelten soll, erfolgt der Hauptteil der Analyse im Kapitel zur Aufführung. Dabei werden die grundlegenden Maxime des Theaterhaften phänomenologisch in Verbindung mit Wrestling Matches gebracht. Das Ergründen der Phänomene geschieht dabei hermeneutisch und wird mit verschiedenen Beispielen belegt. Abschließend werden die Ergebnisse diskutiert und auf die zentralen Forschungsfragen bezogen. Diese werden wie folgt gegliedert:
Definierende Forschungsfrage: Wie kann die Aufführung des Professional Wrestlings als theatral eingeordnet werden?
Deskriptive Forschungsfrage: Was sind die spezifischen Merkmale des Wrestlings, die zu einer Rezeption als realen Wettkampf führen?
Im Folgenden werden die Charakteristika des Theaters möglichst differenziert dargestellt, um sie im nächsten Schritt mit denen des Professional Wrestlings vergleichen zu können. Die miteinander verwandten Begriffe Inszenierung, Aufführung oder Performativität sollen dabei in ihrer Kongruenz nachvollzogen werden. Des Weiteren wird auf die Ambiguität in den verschiedenen Sprachräumen eingegangen, da diese mit Blick auf den Forschungsgegenstand Professional Wrestling, welcher hauptsächlich im nordamerikanischen Raum geprägt wurde, als besonders bedeutsam erscheint. Aufgrund eben dieser Mehrdeutigkeit werden sich die nachfolgenden theoretischen Grundlagen hauptsächlich auf die Erkenntnisse der deutschsprachigen Theaterwissenschaft beziehen.
Theatralität umfasst Phänomene, die dem Theater ähnlich zu sein scheinen und wird in Wissenschaften wie Psychologie, Philosophie, Anthropologie oder Theaterwissenschaft verwendet. Der Begriff Theatralität unterliegt verschiedenen Definitionsversuchen und Modellansätzen. In der europäischen Geschichte wurde der Begriff um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erstmals geprägt. Eine Interpretation des Begriffs beschreibt Theater als eigenständige Kunstform, welcher klar definierte Kriterien zugeschrieben werden (vgl. Fischer-Lichte 2007, S. 16). Frühe Ansätze sahen Theatralität bereits außerhalb des Kunsttheaters als ein „Gesetz der schöpferischen Transformation“ oder eine Art „anthropologisches Prinzip“ (Kotte 2005, S. 271), das Menschen befähigt, Kultur zu erzeugen. Als weitere Lesart des Begriffs wird Theatralität als „allgemein verbindliches Gesetz der schöpferischen Transformation der von uns wahrgenommenen Welt“ (Oxford English Dictionary, zit. n. Fischer-Lichte 2007, S. 16) definiert. Demnach lässt sich diese Unterscheidung u.a. dadurch ordnen, dass kein kreativer Anspruch an den Begriff gelegt werden muss. Vielmehr lässt sich Theatralität in diesem Sinne als Veräußerlichung eines kommunikativen Prozesses bezeichnen. Es handelt sich um eine „anthropologische Kategorie“ (ebd., S. 17), die sich nicht zwangsweise in kreativen Prozessen vollzieht, sondern in der gesellschaftlichen Realität. Die Kongruenz des Theatralen zur ursprünglichen Bedeutung besteht in der Zurschaustellung und wird darüber hinaus als „Hervorhebung selbst und ihrem Erkanntwerden als Hauptfunktion“ (Kotte 1998, zit. n. Koch 2009, S.331) definiert. Innerhalb dieser Lesart des Begriffs Theatralität kann auch von „historisch und kulturell bedingte Art der Körperverwendung in kommunikativen Prozessen“ (Fiebach 1978, S. 123) gesprochen werden. Somit erweist sich Theatralität auch als Rollenverhalten in alltäglichen Situationen.
Mit Hinblick auf die Forschungsfrage soll im weiteren Verlauf der Fokus auf der erweiterten Definition von Theatralität auf Theater liegen bzw. „das Theater, die Schauspielkunst betreffend“ (Koch 2009, S. 330). Andreas Kotte beschreibt in seinen Bemühungen Theatralitätsmodelle zu differenzieren, dass die Verwendung von Theaterbegrifflichkeiten in der Kulturwissenschaft des 18. Jahrhunderts u.a. zu einer stetigen Autonomie der aufkommenden Theaterwissenschaft führte (vgl. Kotte 2005, S.272). Daraus resultierte zunächst eine Trennung von Theater und Text, was in der Emanzipation des Theatralitätsbegriffs mündete. Zuvor wurden die Begriffe Drama und Theater synonym verwendet (vgl. ebd., S.272). Somit entstand sukzessive ein Interesse daran, was theaterspezifisch ist. Dazu gehören prinzipiell alle Zeichensysteme und Materialien, die bei einer Aufführung verwendet werden und wie sie „von der Inszenierung vorgenommen werden“ (Fischer-Lichte 2007, S. 16). In diesem Zusammenhang ist Inszenierung als Organisation oder Planung der Aufführung anzusehen. Beide Prozesse münden in Ereignissen, die unter Theatralität diskutiert und analysiert werden. Diese Ereignisse beinhaltet:
„die gesprochene Sprache (Prosodie), Mimik, Gestik und Bewegung/Proxemik (Kinesik), Kostüme, Masken, Frisur und Schminke, Requisiten, Dekoration und Beleuchtung des Bühnenraums, Musik und Geräusche sowie audiovisuelle Medien […], aber auch die spezifische Kommunikation von Bühne und Publikum“ (Koch 2009, S. 331).
Ergänzend fasste Hans-Thies Lehmann 1986 Theatralität wie folgt zusammen:
„[…] Die kombinierte Vielfalt unterschiedlicher Zeichensysteme wie Licht, Klang, Körperlichkeit, Raum in der konkreten Aufführungssituation einerseits; die dem Theater allein wesentliche zeit-räumliche Einheit von Emission und Rezeption der Zeichen im Hier und Jetzt der Aufführung andererseits“ (Lehmann 1990, S. 986f. zit. n. Kotte 2005, S. 273).
In Anbetracht dessen wird die Leistungsfähigkeit und der Anschluss an „niedere[n] Ordnungen wie Inszenierung, Skript oder Performanz“ (Willems 2009, S. 10) als wichtiger Schlüssel- und Leitbegriff deutlich.
Neben der allgemeinen Definition der Theatralität stellt sich zudem die Frage, inwiefern sich der Theatralitätsbegriff von dem Theater als Institution abhebt. Demnach erscheint Theatralität als ein „komplexes mediales Dispositiv“ (Dünne/Kramer 2009, S.17), wessen Teilaspekte im Folgenden zu differenzieren gelten.
Bei der Auseinandersetzung mit dem Theatralitätsbegriff im deutschsprachigen Raum wird schnell deutlich, dass sich der Begriff aus diversen Weiteren konstituiert. Zudem besteht das Dilemma einer negativen Konnotation des Terminus abgeleitet von dem Attribut „theatralisch“ (Kirschbaum/Keller 2001, S. 42). Dies lässt sich im Englischen mit der Bedeutung von „theatracality“ und dem Ausdruck „théâtralité“ im Französischen ableiten (vgl. ebd., S.31). Auch in der Alltagssprache ist das Wort „theatral“ negativ besetzt, wird beispielsweise das Sprichwort „mach nicht so ein Theater“ (Hügel 2011, S. 452) berücksichtigt. Trotz der Mehrdeutigkeit des Begriffs lässt sich Theatralität zunächst als „weiter Theaterbegriff“ (Kotte 2005, S. 275) bezeichnen. Letztlich sollen innerhalb dieser Ausarbeitung die Funktionen und Merkmale von Theatralität bzw. das Theaterhafte mit Bedacht auf die Fragestellung herausgearbeitet werden. Zur Bestimmung des Begriffs Theatralität stellt Erika Fischer-Lichte vier Aspekte vor, die den Begriff in seiner Gesamtheit bestimmen sollen. Diese sind nicht als endgültig zu interpretieren und werden mit anderen Modellen in Verbindung gesetzt. Sie bieten jedoch Ansatzpunkte im Rahmen dieser Arbeit, die Bestimmung von Theater und dessen einzelner Komponenten möglich machen.
Folglich werden in den nächsten Kapiteln die Aspekte Performance, Inszenierung, Korporalität und Wahrnehmung mit Bezug auf Theatralität gegliedert dargestellt, um die Charakteristika der Theatralität auf Professional Wrestling beziehen zu können. Sowohl Inszenierung als auch Aufführung werden im weiteren Verlauf genauer erläutert, wobei Korporalität und Wahrnehmung unter dem Kapitel 7 zur Aufführung behandelt werden. In diesem Zusammenhang führt Andreas Kotte diesen Ansatz wie folgt aus: „Die durch interagierende Körper (Korporalität) entstehende Situation (Performance) wird, weil in besonderer Weise strukturiert (Inszenierung), auch in ihrer Funktion erkannt (Wahrnehmung)“ (Kotte 2005, S. 275). Durch diese detaillierte Auseinandersetzung mit der Konstruktion des Theatralitätsbegriff kann Theater bestimmt werden, ohne dass es explizit benannt wird. Zudem bietet Kottes theoretischer Ansatz des Theatralitätsbegriff ein induktives Konzept, welches als historiografische Methode helfen kann, die Theatergeschichte zu lesen, um Erkenntnisse über Theater im Allgemeinen und den Forschungsgegenstand Wrestling zu erlangen.
Des Weiteren ist zu erwähnen, dass der Begriff Theatralität insbesondere seit den 1990er Jahren zunehmend mit Performativität in Verbindung gebracht wird. Beide Begriffe sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen (vgl. Aehlig 2019, S. 13f.). Erika Fischer-Lichte betont in diesem Zusammenhang, dass Performativität „Selbstbezüglichkeit von Handlungen und ihre wirklichkeitskonstituierende Kraft“ (Fischer-Lichte 2014, S. 29) fokussiert. Während Theatralität sich auf den historisch und kulturell bedingten Theaterbegriff bezieht, und „die Inszeniertheit und demonstrative Zurschaustellung von Handlungen und Verhalten eingrenzt“ (ebd., S. 29). Auch wenn diese wissenschaftliche Auseinandersetzung Theatralität als zentralen Referenzwert zu Wrestling sieht, sei das Potential des Begriffs Performativität in diesem Zusammenhang nicht außer Acht zu lassen.
Theatralität findet im wissenschaftlichen Diskurs viel Übereinstimmung mit diversen gesellschaftlichen Bereichen. Sei es die Theatralität der Werbung nach Willems und Kautt aus dem Jahr 2003 oder Theatralität in medialisierter Religion des Weltjugendtags beschrieben von Hepp, Krönert und Vogelgesang. Im Sammelwerk „Theatralität der Gesellschaft“ werden verschiedene soziale Felder, wie: „Politik, Religion, Wissenschaft, Medizin/Psychotherapie, Kunst [und] Wirtschaft“ (Willems 2009, S.13) analysiert, unter anderem auch die Theatralisierung des Sports.
Die Analogien von Sport und Theater wurden bereits in verschiedenen Bereichen ergründet und werden beispielsweise durch die folgenden Vergleiche deutlich: Das „Stadion […] als Bühne […], Trainer geben Regieanweisungen, Athletinnen und Athleten haben ihre Auftritte, werden ihrer Rolle gerecht […] Fußballspiele als Drama […], eine sportliche Niederlage als Tragödie“ (ebd., S.419). Vornehmlich der massenmedial inszenierte Sport betont den Akzent auf den Unterhaltungsfaktor eines sportlichen Ereignisses. Wettkämpfe, welche sich verschiedener theatraler Elemente bedienen, werden als „Sportainment“ (ebd., S. 420) bezeichnet und erhalten dadurch eine dramaturgische Gestalt (vgl. ebd., S.420). Dabei werden besonders risikoreiche Aktionen oder die „authentischen Körper“ (ebd., S.421) der Athleten in Szene gesetzt und das Ungewisse mit den Kameras eingefangen und dargestellt. Es ist sowohl den Zuschauenden als auch den Akteuren bewusst, dass es sich dabei um eine Als-Ob Situation im Rahmen eines Spiels handelt. Dennoch wirkt das Spiel als ein „Schauplatz des Sinns“ (Bolz 2004, S. 137, zit. n. ebd., S. 420f.), welches eine eigene Semantik produziert und somit Interpretationsraum bildet (vgl. ebd., S. 421). Es lässt sich dabei erkennen, dass die vier Maxime nach Erika Fischer-Lichte zur Theatralität Korporalität, Performance, Inszenierung und Wahrnehmung bedient werden: Die Sportler interagieren untereinander auf einer bestimmten Weise in einem Rahmen, welcher von den Rezipienten erkannt wird. Unabhängig davon, ob es sich um die Wahrnehmung durch ein Endgerät handelt, oder als physisch anwesender Akteur im Publikum. Eben dieser Rahmen sorgt dafür, dass vor allem der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Spannungsbalance ermöglicht wird (vgl. Elias 1983, S. 12ff., zit. n. ebd. S. 421f.), indem beispielsweise Leistungen verglichen werden (vgl. ebd., S. 423). Ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren des Spannungsaufbaus im Sport ist die Unvorhersehbarkeit des Spielausgangs und der Umgang mit den jeweiligen Spielgeräten, welcher zwischen Sieg und Niederlage entscheiden kann (vgl. ebd., S. 424). Die Produktionen hinter den medial aufbereiteten Sportereignissen sind dementsprechend darauf fixiert, dramatische Ereignisse zu dokumentieren und werden „sowohl technisch als auch redaktionell inszeniert“ (ebd., S. 422). Zudem spielen wirtschaftliche Aspekt, wie Marketing und Gewinnorientierung der jeweiligen Unternehmen eine Rolle bei der Inszenierung des Sports (vgl. Müller/Schwier 2006 zit. n. ebd., 422).
Bei dieser Art der Darstellung des sportlichen Wettkampfes findet ein Transformationsprozess statt, der die Prinzipien „Realismus und Unterhaltung“ (ebd., S. 422) in einem Konflikt sieht. Das Produkt wird dabei als möglichst realistisch und authentisch dargestellt, wobei die visuellen Inszenierungspraktiken darauf abzielen, theatrale Elemente einzufangen. Dazu gehören ebenfalls die Protagonisten, welche zum Teil heldenhaft dargestellt werden. Diese dienen nicht nur der theatralen Narrative, sondern erzeugen auch mehr „emotionale Teilhabe“ (ebd., S. 424). Häufig handelt es sich dabei um Personen, die durch ihre herausragende athletische Leistung, bestimmten Lebensstil, Werten oder Erfolgen ins Bewusstsein des Publikums gelangen (vgl. ebd., S.426). Die Persönlichkeit und das Verhalten der Akteure werden ebenfalls teilweise als theatral dargestellt: „Aufgedonnertes Diven-Gehabe, übertriebene Selbstdarstellerei oder taktisch eingesetzte Täuschungen, mit denen sich Sportler im Spiel Vorteile verschaffen wollen“ (Hügel 2011, S. 452) werden diesem Attribut zugeschrieben. Parallel zu den ausgefallenen Sportlern sind Theatralisierungsformen auch im Publikum anhand von lauten Fangesängen bis hin zu Ultras (vgl. ebd., S. 429) zu erkennen. Dabei handelt es sich um fanatische Anhänger einer Sportart oder eines Vereins, welche über sich selbst angeben, dass sie den jeweiligen Verein unterstützen (vgl. Duttler/Haigis 2016, S. 11f.).
Zu erkennen ist eine Umwandlung vom Sport hin zum Showsport anhand der oben genannten Inszenierungspraktiken und theatralen Elementen. Diese Umstrukturierung beinhaltet die Hervorbringung eines arbeitsteiligen, kommerziellen, technisch-wissenschaftlichen Systems mit zunehmender Abhängigkeit des Sportlers von eben diesen. Dazu gehört eine genaue redaktionelle Planung. Eine Verstärkung von Gesten und Emotionen durch die Mittel der Fernsehinszenierung. Dabei werden Emotionen durch Exzessivität und Eindeutigkeit gesteigert. Pragmatisch dargestellt wird „der Körper […] zum Träger von Zeichen und Emotionen, zum emotionalen Körper“ (Bernard 1986, S. 54 zit. n. Möbius 2004, S.55). Im Speziellen wird Professional Wrestling als Format angesehen, welches zu einer besonders dramatischen Darstellung von Emotionen und Personifizierungen von Gut und Böse dargestellt wird (vgl. Willems 2009, S. 427). In welchem Umfang Wrestling sich dieser Mechanismen bedient und wie eine Definition des Genres vorzunehmen ist, wird in den nächsten Kapiteln erläutert.
Im folgenden Kapitel soll der Forschungsgegenstand Professional Wrestling zunächst definiert werden, um anschließend Anknüpfpunkte zur Theatralität herausstellen zu können. Da die Analyse nicht an einer speziellen Aufführung, sondern das Genre selber als Gegenstand dient, werden einzelne Merkmale herausgestellt und in Verbindung zur Theatralität gebracht.
Ursprünglich grenzte sich der Begriff Professional Wrestling von Amateur Wrestling ab, was sich im deutschsprachigen Raum als Ringen übersetzen lässt. Anhand des Eintrags im Oxford Dictionary lässt sich ableiten, dass beide Begriffe eine Parallele in der Praxis des klassischen Ringkampfs haben, indem Wrestling wie folgt beschrieben wird: „[…] to fight somebody by holding them and trying to throw or force them to the ground, sometimes as a sport“ (Oxford Dictionary 2020, o.S.). Demnach geht es bei einem Wrestling Match darum, die Schultern des Gegners auf der Matte zu halten. Während einem Amateur Wrestling Match genügt es die Schultern für eine Sekunde auf die Matte zu bringen, wobei dies im Professional Wrestling für drei Sekunden zu halten ist, um den Kampf zu gewinnen. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich der Begriff Wrestling durchgesetzt und ist demnach als ambig zu betrachten. Sports Entertainment beschreibt das von der größten Wrestling Organisation World Wrestling Entertainment (WWE), welche zuvor als World Wrestling Federation (WWF) bekannt war, kreierte Genre und wurde im Jahr 1989 etabliert. Dies wird im folgenden Kapitel näher erläutert. Folgend wird innerhalb dieser Ausarbeitung der Begriff Wrestling synonym mit Professional Wrestling verwendet. Wrestling ist ein Hybrid aus Sport und Unterhaltung. Die Aufführungen im Ring sind von akrobatischen Bewegungen, extravaganter Mimik und Gestik der Akteure geprägt. Ein Wrestling Match beschreibt den Konflikt, der durch zwei oder mehrere Kontrahenten im Ring ausgetragen wird. Die Bewegungsabläufe sind zum Teil improvisierte Choreografien, bei denen jede einzelne Bewegung zuvor geprobt wurde, um bei der Ausführung Verletzungen zu vermeiden. Denn obwohl die Ausgänge der Kämpfe bereits vor Beginn feststehen, handelt es sich um eine Simulation eines Kampfes, die Körperkontakt bewusst authentisch darzustellen weiß. Die eingeübten und jahrelang geprobten athletischen Leistungen der Wrestler ähneln denen des Balletts und basieren ebenfalls auf gegenseitiges Vertrauen (vgl. Schubert 2014, S. 28). Akrobatische Einlagen und Flugmanöver, weisen durch ihre Körperlichkeit ein reales Verletzungsrisiko und eine notwendige starke Körperbeherrschung auf - ähnlich wie bei Aufführungen von Artisten im Zirkus (vgl. ebd., S. 28). Wrestling Matches werden über einen beliebigen Zeitraum mit einer Geschichte aufgebaut und vermarktet, um Spannung zu generieren. Zum einen äußert sich diese Spannung in der Vermarktung und der Motivation Eintrittskarten und Merchandise Artikel zu verkaufen. Zum anderen besteht in der Wrestling Narrative eine serielle Erzählweise, die sich an Formaten des Fernsehens orientiert (vgl. ebd., S. 153). Zusätzlich wird diese Narrative durch diverse Medien, wie soziale Netzwerke, Zeitungsartikel, Podcasts oder Videospiele außerhalb der eigentlichen Show gestaltet und fortgesetzt. Die Rückkehr des Wrestling Charakters Goldberg nach zwölf Jahren wurde beispielsweise durch die Vermarktung eines jährlich erscheinenden Videospiels angekündigt (vgl. WWE 2016, o.S.). Podcasts von berühmten Wrestlern wurden bereits genutzt, um Geschehnisse im privaten Leben der Wrestler, wie eine Entlassung bei einer Wrestling Liga zu nutzen und eine Fehde mit einem anderen Wrestler zu starten (Talk is Jericho 2019, o.S.). Die Narration im Wrestling wird dementsprechend nicht nur von der Wrestling Liga geschrieben, sondern es liegt ebenfalls individuell in der Verantwortung der Akteure, sich zu vermarkten.
Durch eine eher marginale Behandlung von Wrestling im deutschsprachigen, wissenschaftlichen Kontext kann eine klare Definition nur anhand von Wissen über die Organisation und Funktionen der einzelnen Elemente des Wrestlings erfolgen. Aus diesem Grund werden folgend einzelne Begriffe erläutert, die in der Wrestling Industrie als sprachlicher Code genutzt werden, um sich dem Gegenstand zu nähern.
Kayfabe lässt sich als ein eigens codiertes Sprachsystem in der Wrestling Industrie bezeichnen. Daneben kann Kayfabe als eine Übereinkunft bzw. Pakt unter den Wrestlern übersetzt werden. Anhand dieser Sprache war es den Wrestlern und anderen Beteiligten möglich, über die Illusion des Wrestlings zu sprechen und diese dabei aufrecht zu erhalten (vgl. Schubert 2014, S.102). Der Ursprung des Begriffs stammt aus dem 19. Jahrhundert zu Zeiten der Wanderzirkusse, dessen Hauptattraktion Wrestling beinhaltete (vgl. ebd., S.97). Dementsprechend setzte sich der Gedanke der Aufrechterhaltung dieser Illusion bereits durch den Karnevalsbetrieb durch. Auch in öffentlichen Auftritten außerhalb der Wrestling Shows wurde Kayfabe als Verhaltenskodex eingehalten, da die Wrestler ihren Charakter, den sie bei den Aufführungen verkörperten, zu schützen versuchten (vgl. ebd., S. 102). Wrestler, die zeitweise den Antagonisten spielten, verhielten sich ihrer Rolle entsprechend auch, wenn dies bedeutete Menschen, die sie in alltäglichen Situationen erkannten, zu bedrohen oder zu beleidigen. Stefan Schubert beschreibt diese Grundsätze des Wrestlings wie folgt: „ Kayfabe [hat] seine eigene Wirklichkeit erschaffen, in der die Gesetzmäßigkeiten der Gattung auf das alltägliche Leben übertragen wurden. Der fiktive diegetische Raum eines von Wahrscheinlichkeiten gekennzeichneten Showalltags“ (ebd., S. 104f.) beschreibt die Dynamik der gemeinsamen Absprache. Dies führte zu einer Rezeption der Wrestlingindustrie als Sportart und die Akteure als reale Sportler, unabhängig davon, wie ausgefallen deren Rollen waren (vgl. ebd., S. 105). Veranstalter der Wrestling Shows gingen davon aus, dass Wrestling nur dann profitable sei, wenn die Aufrechterhaltung der Illusion von einer echten Sportart eingehalten wird (vgl. ebd., S. 97f.). Die Strenge der Kayfabe -Konvention ist seit den späten 90er Jahren weniger präsent. Hintergründe für den Wandel dieser Konvention wird in Kapitel 3.3 zum Unternehmen World Wrestling Entertainment näher erläutert.
Storylines nennt man die Fehden zwischen Akteuren, die bis zu den 90er Jahren größtenteils zwischen klassischen guten und bösen Charakteren erzählt wurden. In der heutigen Wrestlingindustrie und dem offenen Bewusstsein über das Kayfabe -Prinzip werden die Linien zwischen Gut und Böse häufig dem Rezipienten zur Interpretation offengelassen. Das Spektakel des Wrestlings entsteht aus der Beziehung zwischen der Darstellungsleistung der Kämpfer und deren Aneignung durch die Zuschauermassen. Dabei werden die von den verschiedenen Handlungen und moralischen Ereignissen genutzt, um einem Teil des Publikums eine Möglichkeit zur Identifikation zu bieten. Bei dem Erzählen von Geschichten wird auf diverse Strategien gesetzt, die durch Wrestler und teilweise Autoren der Shows besprochen werden. Die jeweilige Wrestling Organisation bzw. das Unternehmen, welche die Geschichten zur Vermarktung ihrer Aufführungen nutzen, entscheiden letztlich über den Ausgang der Kämpfe und Storylines (vgl. Schubert 2014, S. 95f.). Dabei können die Leitmotive der Storylines beispielsweise Alters- und Erfahrungsunterschiede, ethnische Herkunft, soziale Abstammung oder familiäre Verbundenheit beinhalten (vgl. Reinhard/Olson 2019, S. 5). Neben diesen klassischen Erzählsträngen gibt es Formen wie clean Wrestling, die als technisch hochwertig verkauft werden und zwei oder mehrere herausstehende Athleten beinhalten. Oder Hardcore und Deathmatches, die durch ihre besondere Form der Gewalt und Einsatz von Waffen, wie Stacheldraht, Baseballschlägern oder Möbelstücken und dem Einsatz von Blut gekennzeichnet sind. In diesen Wrestlingszenen „werden melodramatische Bilder von Gerechtigkeit, Verrat, Gewalt und Schmerz dargestellt, die sich wie Telenovelas jede Woche fortschreiben“ (Möbius 2004, S. 113).
Gimmick bezeichnet die Persönlichkeit der Wrestler, welche beispielsweise durch distinktive äußerliche Merkmale, Verhalten oder Sprache das Interesse des Wrestling Publikums erreicht (vgl. PWTorch 2011, o.S.). Aus diesen künstlich erstellten Persönlichkeiten gehen Motive und Handlungen der Akteure hervor, welche durch den Einsatz von Kostümen oder anderen Utensilien wie Masken verstärkt werden.
Selling bezeichnet das Verhalten der Akteure, wenn diese eine Attacke des Gegners entgegennehmen. Bildlich gesprochen handelt es sich dabei um den Akt die Aktionen als real zu verkaufen. Beispielsweise öffnet sich die Faust der Wrestler bei dem Ansatz eines Schlages kurz vor dem Erreichen des Gegners, sodass keine Berührung stattfindet (vgl. FreelsAGreatPrice 2018, o.S.). Würfe werden so dargestellt, dass die zu Boden Geworfenen aus eigenem Antrieb springen und somit ihren Partner dabei unterstützen, ihre Bewegung durchzuführen. Die Ausführung eines Halte- oder Würgegriffs wird durch den maßlosen Gesichtsausdruck der vermeintlichen Opfer dargestellt und unterstützt durch das Verharren in eben diesen Griffen, um Spannung aufzubauen. Damit befasste sich Roland Barthes bereits treffend im Jahr 1957, indem er Catchen2 wie folgt beschrieb: „Das Catchen als der einzige Sport, der sich nach außen hin den Anschein der Folter gibt […] und der Zuschauer will gar nicht, daß der Kämpfer wirklich leidet, er genießt nur die Perfektion der Ikonographie“ (Barthes 1957, S. 21).
Vereinzelte Publikationen weisen darauf hin, dass die amerikanische Showtradition vorranging aus ethnologischer oder kulturwissenschaftlicher Sicht betrachtet wurde (vgl. Kutzelmann 2014, S.9). Bemühungen von Philipp Kutzelmann, die Showkämpfe in ihren „wichtigsten Grundstrukturen und ihrer historischen Genese herauszuarbeiten“ (ebd., S.9f.), um die Etablierung des Wrestlings in der amerikanischen Popkultur zu erläutern, werden im Laufe dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung u.a. integriert. Weiter erläutert er den Ablauf von Wrestling Aufführungen und stellt Zusammenhänge dar, welche er anhand von historischen Beispielanalysen darstellt, die jedoch einer Erweiterung bedürfen (vgl. ebd., S.10). In vielen Abhandlungen wird Wrestling in einen medienwissenschaftlichen Kontext gesetzt und als TV-Produkt behandelt, was bei der Betrachtung der Historie naheliegend erscheint. Im Kontext der Theatralisierung des Sports wird Wrestling eine Beziehung zwischen den Wrestlern und der Zuschauer attestiert, die auf die Darstellungsleistungen und dem Potential der Identifikation beruhen (vgl. Willems/Burkart 2009, S. 434f).
Es muss der Frage nachgegangen werden, warum den Wrestlingzuschauern suggeriert wird, dass das, was konsumiert wird, authentisch und echt ist. Stefan Schubert gibt in seiner Arbeit „Wrestling als Sports Entertainment“ eine Perspektive auf die intermediale Narration des Professional Wrestling :
„ Professional Wrestling kann […] als mimetischer Versuch verstanden werden, die Aktionen und das Regelwerk des legitimen Ringkampfes nachzuahmen. Jedoch werden diese durch zusätzliche athletische Darbietungen sowie theatrale Showeinlagen erweitert. Während legitime Sportarten den Nebeneffekt erzielen, durch Ausübung eines Sports vor einem Publikum für Unterhaltung zu sorgen, sorgt das Professional Wrestling in erster Linie für Unterhaltung, indem es durch theatrale Inszenierungen den Anschein sportlicher Wettkämpfe erweckt“ (Schubert 2014, S. 29).
Dabei geht Schubert insbesondere auf Storylines ein, welche Ende der 80er Jahre durch die WWF verfasst wurden. Trotz der korrekten Einordnung des Sports Entertainments als Unterhaltungsprodukt geht er in seinen Ausführungen nur gering auf die „theatralen Inszenierungen“ (ebd., S. 29) ein. Er bezieht sich dabei auf die popkulturelle Wirkungsweise auf die Massenmedien (vgl. ebd., S.113f.) und betrachtet Wrestling als „Medienereignis“ (ebd. 135). Im Zuge der vorliegenden Arbeit können diese Erkenntnisse einen Mehrwert bieten. Jedoch wird World Wrestling Entertainment im Diskurs häufig als primärer Referenzwert verwendet, was sicherlich der eindeutigen Branchenführung des Unternehmens weltweit geschuldet ist.
Des Weiteren ist auffällig, dass ein gesteigertes Interesse an der Performance Kunst des Professional Wrestlings und dem Unternehmen WWE im nordamerikanischen Raum in den 2010er Jahren besteht. Da in dieser wissenschaftlichen Auseinandersetzung von einem Theatralitätsbegriff des deutschsprachigen Raums ausgegangen wird, der zum Teil klare Abweichungen in der Definition des Theatralen und Performativen in englischsprachigen Konnotationen und Implikationen aufweist, sei an dieser Stelle auf die etwaigen Unterschiede verwiesen (vgl. Aehlig 2019, S. 7ff.; vgl. Horstmann 2018, S.15f.).3 Dass Wrestling ein Geschäft ist, um Gewinn zu erzielen, soll trotz des Hauptaugenmerks auf Inhalte der Wrestling Shows nicht unberücksichtigt bleiben. Auf dieser Ebene lassen sich ebenfalls Parallelen zum Theater erkennen:
„ Professional Wrestling is, along with Broadway, exemplary of how theatre and other narrative-driven, live events make money despite the many apparent limitations that present themselves. […] the logic of Professional Wrestling at the business level is not unlike any other commercial theatre“ (Laine 2020, S. 18f.).
In diesem Zusammenhang wird eine Analogie zum Theater deutlich, welche auf der kommerziellen Ebene verständlich wird. Roland Barthes beschrieb dieses Prinzip bereits mit der Sicht auf die Verwandlung innerhalb des Schauspiels.
„Wenn der Held oder das Schwein des Dramas – Der Mann, den man noch ein paar Minuten zuvor erlebt hat, wie er, von moralischer Raserei gepackt, sich bis zur Größe einer Art metaphysischen Zeichens erhob – anschließend ruhig, unerkannt, mit einem Köfferchen in der Hand und seiner Frau am Arm, den Saal verläßt, kann niemand mehr daran zweifeln, daß das Catchen eine Verwandlungskraft besitzt, wie sie dem Schauspiel und dem Kultus eignet.“ (vgl. Barthes 1957, S. 27f).
Sowohl im Theater als auch im Wrestling kann das Geschäft demnach nur dann bestehen, wenn mit dem Eintritt in den Saal für alle Beteiligten deutlich wird, um welche Situation es sich handelt.
Als größter Distributor von Wrestling als Unterhaltungsprodukt ist zweifellos das von Vince McMahon geführte Unternehmen Word Wrestling Entertainment zu nennen. Zuletzt konnte das börsennotierte Unternehmen nach eigenen Angaben einen Anstieg der Einnahmen von 60% im Vergleich zum Jahr 2019 verzeichnen (WWE Corporate 2020a, o.S.). Dies ist insofern interessant, da WWE in den letzten zwei Dekaden ihr Angebot als reines Unterhaltungsprodukt verkauft und sich von dem teilweise negativen Image des Wrestlings distanzieren möchte. Der Wechsel von einer Sportpräsentation zu einer Unterhaltungsshow wurde von dem Geschäftsführer Vince McMahon damit begründet, dass somit an die Athletic Commisions der vereinzelten Bundesstaaten keine Erlöse gezahlt werden müssten und Wrestling Events fortan nicht mehr als sportliche Wettbewerbe beworben wurden (vgl. Oliver 2019, S. 21). Zudem stand McMahon zu dieser Zeit in starker Kritik von verschiedenen Medienanstalten. Bereits 1984 stellten Berichte im nordamerikanischen TV die Aktionen der Wrestler im Detail dar und zeigten beispielsweise die übliche Praktik des Blade Jobs (vgl. FreelsAGreatPrice, o.S.). Bei dieser Praktik nutzen die Wrestler kleine Rasierklingen, welche zuvor an ihrer Kleidung versteckt oder vom Schiedsrichter übergeben werden, um mit einem schwer erkennbaren Schnitt auf der Stirn eigenes Blut fließen zu lassen. Das Darlegen dieser zunächst obszön klingenden Praktik sorgte u.a. dafür, dass Vince McMahon sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen musste. Die Entscheidung die Illusionen des Wrestling Geschäfts zu enthüllen, bleibt bis heute unter Wrestlern und Zuschauern umstritten (vgl. Oliver 2019, S. 22f.) - insbesondere im Diskurs über das Reale des Wrestlings (vgl. Hoy-Browne 2014).
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1 In der folgenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form verwendet. Sie bezieht sich auf Personen beiderlei Geschlechts.
2 Der Begriff Catchen wurde bis in die 1960er Jahre im deutschsprachigen Raum genutzt und ist mit dem Wrestling Begriff synonym zu verwenden.
3 In Kapitel 5.2 wird anschließend eine notwenige Abgrenzung zwischen Performativität und Performance gezogen, was wiederum in den analysierenden Teil der Aufführungen mündet.
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