Bachelorarbeit, 2021
60 Seiten, Note: 1,7
1. Einleitung
2. Diskriminierung
2.1 Definitionen
2.2 Diskriminierungsformen
2.3 Diskriminierungsebenen
2.4 Diskriminierungsmerkmale
2.5 Intersektionalität
2.6 Auswirkungen
2.7 Zusammenfassung
3. Antidiskriminierungsansätze
3.1 Verankerung der Antidiskriminierung im Recht
3.2 Inklusionspädagogik
3.3 Diversity-Ansatz
3.4 Anti-Bias-Ansatz
3.5 Zusammenfassung
4. Antidiskriminierungspädagogik
4.1 Grundlagen
4.2 Ziele
4.3 Zielgruppen
4.4 Erfahrungsräume
4.5 Grenzen
4.6 Zusammenfassung
5. Professionalität in der Jugendarbeit
5.1 Jugendarbeit
5.2 Professionalität in der Jugendarbeit
5.3 Zusammenfassung
6. Empowerment-Arbeit
6.1 Empowerment als Prozess
6.2 Ebenen
6.3 Empowerment-Räume
6.4 Möglichkeiten und Risiken
6.5 Professionelle Empowerment-Arbeit
6.6 Zusammenfassung
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Diskriminierung in Deutschland ist ein wachsendes Problem. Allein die Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle stiegen von 2019 bis 2020 um 78% an. Die Dunkelziffer an Diskriminierungserfahrungen Betroffener wird weitaus höher eingeschätzt (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2021, S. 43). Trotz gesetzlichen Diskriminierungsverboten der Regierung, wie Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006, gehören Diskriminierungserfahrungen für Betroffene zur Lebensrealität. Aufgrund ihrer Identitätsmerkmale werden sie in öffentlichen und privaten Räumen erniedrigt, ausgelacht, ausgeschlossen oder körperlich angegriffen (vgl. Hansen 2009, S. 156). Für die Betroffenen können diese Diskriminierungserfahrungen physisch und psychisch sehr belastend sein (vgl. Beigang et al. 2016, S. 21).
Juristische Regelungen stellen einen wichtigen und unverzichtbaren Baustein gegen Diskriminierungen dar, genügen jedoch nicht, um Diskriminierungen zu verhindern (vgl. Hansen 2009, S. 156). Daher ist Antidiskriminierung als eine Querschnittsaufgabe zu verstehen, die gesellschaftlich gelöst werden muss (vgl. Meißner 2021, 2f). Vor allem Jugendliche benötigen im Umgang mit diskriminierenden Erfahrungen eine professionelle Unterstützung (vgl. Ernst und Schmitt 2020). Hier gelten die Räumlichkeiten der Jugendarbeit als Anlaufstelle und sind ein wichtiger Sozialisationsort (vgl. Riechert et al. 2020, S. 2). Doch wie können diese Jugendlichen durch die Jugendarbeit unterstützt werden?
Im Rahmen dieser Bachelorarbeit wird der Frage nachgegangen, wie außerschulische Jugendarbeit marginalisierten Jugendlichen bei Diskriminierungserfahrungen professionell unterstützen kann. Ziel ist es, den Pädagog*innen aus der Jugendarbeit einen Überblick über Diskriminierung und über professionelle Handlungsmöglichkeiten gegen Diskriminierung zu geben.
Auf der Grundlage von existierenden pädagogischen Konzepten werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Neben Antidiskriminierungsansätzen, wie der Inklusionspädagogik, dem Diversity- und Anti-Bias-Ansatz, steht die Antidiskriminierungspädagogik, als aktueller Antidiskriminierungsansatz, im Fokus der Arbeit. Zuletzt wird der Empowerment Ansatz als Teil der Antidiskriminierungspädagogik näher beschrieben. Hier wird dieser hinsichtlich der Professionalität sowie der sich ergebenden Möglichkeiten und Risiken untersucht.
Eine Arbeit mit einer Literatur, welche die Diversität der Wissenschaftler*innen widerspiegelt und in ihren Inhalten und Veröffentlichung möglichst aktuell ist, war trotz Bemühungen, nicht in allen Kapiteln der Bachelorarbeit möglich.
Im zweiten Kapitel wird zunächst ein Überblick über Diskriminierung gegeben. Angefangen mit der Definition wird Diskriminierung in seinen Formen, Ebenen und Merkmalen aufgeschlüsselt. Mit einer anschließenden Betrachtung von Intersektionalität und den Auswirkungen von Diskriminierung wird eine Grundlage geschaffen, auf der die Bachelorarbeit basiert.
Anschließend wird im dritten Kapitel in die Antidiskriminierung eingeführt. Hier wird zum einen auf die Verankerung der Antidiskriminierung im Recht und zum anderen auf verschiedene pädagogische Antidiskriminierungsansätze eingegangen. Diese sind die Inklusionspädagogik, der Diversity-Ansatz und der Anti-Bias-Ansatz.
Nach dem Einblick in pädagogische Antidiskriminierungsansätze im dritten Kapitel, steht die Antidiskriminierungspädagogik als aktueller Ansatz im Mittelpunkt. In diesem Kapitel wird der Ansatz als grundlegender Wegweiser gegen Diskriminierung thematisiert. Hierbei wird nach den Grundlagen auf Ziele, Zielgruppen, Erfahrungsräume und Grenzen der Antidiskriminierungspädagogik eingegangen.
Im fünften Kapitel widmet sich die Bachelorarbeit, nach den pädagogischen Unterstützungsmöglichkeiten, dem Handlungsfeld der Jugendarbeit. Um herauszufinden, was eine professionelle Unterstützung in der Jugendarbeit ausmacht, wird die Professionalität in der Jugendarbeit anhand eines kompetenzorientierten Professionskonzeptes beschrieben. Dieses definiert alle nötigen Kompetenzen für das professionelle Handeln in der Jugendarbeit.
Anschließend findet ein Exkurs in die Empowerment-Arbeit statt. Die Empowerment-Arbeit ist ein Teilziel der Antidiskriminierungspädagogik und ermöglicht einen praxisnahen Einblick in die pädagogische Antidiskriminierungspädagogik. Durch die Beschreibung des Empowermentprozesses, der Ebenen und den Empowerment-Räumen können praktische Handlungsmöglichkeiten gegen Diskriminierung abgeleitet werden. Mit der Beachtung der Möglichkeiten und Risiken der Empowerment-Arbeit sowie der Überprüfung von Professionalität wird ebenso eine kritische Perspektive berücksichtigt.
Die Arbeit endet mit Kapitel sieben, welches die wichtigsten Ergebnisse zur Beantwortung der Forschungsfrage auf den Punkt bringt.
Um einen professionellen Umgang mit Diskriminierungserfahrungen in der Jugendarbeit zu beschreiben, muss Diskriminierung zunächst definiert und in ihren Erscheinungsformen, -ebenen und -merkmalen erkannt werden. Die Intersektionalität und die Auswirkungen von Diskriminierungen spielen hierbei ebenso eine große Rolle. Dieses Kapitel kann keineswegs das große Themenfeld der Diskriminierung vollständig abbilden, sondern lediglich einen Überblick über Diskriminierung bieten. Sie ist die Basis der Bachelorarbeit, auf der die folgenden Kapitel aufbauen.
Diskriminierung kurz und prägnant zu definieren ist nicht einfach, denn sie bewegt sich in einem weiten Spannungsfeld und knüpft an mehreren Disziplinen an. Rein wörtlich stammt der Begriff Diskriminierung aus dem Lateinischen „discriminare“ und bedeutet „trennen“ und „unterscheiden“ (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 25). Inwieweit der lateinische Begriff zur deutschen Bedeutung von Diskriminierung passt, kommt vor allem bei der psychologischen Definition von Diskriminierung hervor. Für ein umfassenderes Verständnis von Diskriminierung werden im Folgenden Definitionen aus verschiedenen Perspektiven beschrieben. Da die Disziplinen Rechtswissenschaft, Psychologie und Soziologie Diskriminierung aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven untersuchen, weichen die Definitionen in ihren Heraushebungen voneinander ab.
In der Rechtwissenschaft beschreibt Diskriminierung die benachteiligende Behandlung ohne sachlichen Grund oder wegen eines wesentlichen Identitätsmerkmals. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz definiert Diskriminierung detaillierter, indem es zwischen mittelbarer und unmittelbarer Benachteiligung und Belästigung unterscheidet (vgl. ebd., 26). Auf die Verankerung der Anti-Diskriminierung im Recht wird in Kapitel 3.2 näher eingegangen.
Aus psychologischer Perspektive sind Diskriminierungen „alle trennenden Praktiken, die dazu beitragen die vermeintlich natürliche Dominanz der Bezugsgruppe und die Minderwertigkeit vermeintlich untergeordneter Gruppen aufrechtzuerhalten.“ (Zick 2017, S. 63). Somit umfasst Diskriminierung nicht nur Verhaltensweisen, sondern auch Einstellungen und Emotionen, wie zum Beispiel Vorurteile (vgl. Zick 2017, S. 62).
Die soziologische Definition beschreibt Diskriminierung als die Benachteiligung von Individuen, Institutionen und Strukturen aufgrund von minderwertig empfundenen sozialen oder ethnischen Merkmalen (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 27).
In Betracht der drei, in ihren Heraushebungen unterschiedlichen, Definitionen kann festgehalten werden, dass Diskriminierung alle trennenden Praktiken, wie benachteiligende Behandlung, Einstellungen sowie Emotionen gegenüber Individuen und Gruppen aufgrund ihrer bewerteten Merkmale, beschreibt. Aufbauend auf diesem Verständnis von Diskriminierung werden im Folgenden Formen von Diskriminierung beschrieben.
Diskriminierung hat viele Gesichter (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 25). Es tritt in vielen verschiedenen Formen auf und kann anhand mehreren Faktoren unterschieden werden. Diskriminierungen können positiv, durch positive Zuschreibungen und Bevorzugung, und negativ, durch negative Zuschreibungen und Benachteiligung, sein. Diskriminierungen können sprachlich, zum Beispiel durch herabwürdigende unbedachte Witze, und symbolisch, zum Beispiel durch Kleidungsvorschriften, die religiöse Praktiken verbieten, stattfinden. Diskriminierungen können messbar, zum Beispiel in Form von öffentlicher Beleidigung und Körpergewalt, und latent, durch die Ignoranz von Vielfalt in der Gesellschaft, vorkommen. Jeder Form der Diskriminierung liegt, egal ob positiv oder negativ, sprachlich oder symbolisch, messbar oder latent, eine Ungleichbehandlung zugrunde (vgl. Zick 2017, S. 66).
Im wissenschaftlichen Diskurs werden Diskriminierungen mit folgenden Begriffen unterschieden.
Die direkte und unmittelbare Diskriminierung beschreibt die bewusste offensichtliche Ungleichbehandlung aufgrund bestimmter Merkmale (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 31). Direkte Diskriminierung erfährt zum Beispiel ein Kind, das aufgrund einer Behinderung, von schulischen Aktivitäten, Freizeitprogrammen und Vereinen ausgeschlossen wird. Oder zum Beispiel Frauen, deren Leistungen aufgrund ihres Geschlechtes niedriger entlohnt werden als die Leistungen von Männern.
Die indirekt und mittelbare Diskriminierung beschreibt Diskriminierungen, die nicht auf dem ersten Blick offensichtlich sind. Sie ergeben sich zum Beispiel aus Regelungen und Vorschriften, die zunächst neutral definiert sind, aber indirekt Menschengruppen ausschließen beziehungsweise nicht berücksichtigen (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 32). Beispielweise werden Juden, die samstags aufgrund des Sabbats nicht arbeiten, bei verpflichtenden Mitarbeiterschulungen von Freitag bis Samstag indirekt diskriminiert (vgl. Fishman 2010).
Diskriminierungen sind nicht immer beabsichtigt und auf den ersten Blick erkennbar. Wichtig ist es dennoch Diskriminierungen als solche wahrzunehmen und Betroffene zu berücksichtigen (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 33).
Diskriminierung findet nicht nur in verschiedenen Formen, sondern auch auf verschiedenen, aufeinander wirkenden Ebenen statt. Diese sind die individuelle, institutionell-strukturelle und ideologisch-diskursive Ebene.
Diskriminierung auf individueller Ebene bedeutet, dass der Grund der Diskriminierung persönliche Einstellungen und Vorurteile sind und die Diskriminierung zwischen zwei einzelnen Personen stattfindet. Auch wenn Diskriminierungen auf individueller Ebene einer persönlichen Ursache zugrunde liegen, können sie nicht alleinstehend betrachtet werden, da sie in gesellschaftliche Rahmenbedingungen eingebettet sind. Diskriminierungen werden durch diese ermöglicht, normalisiert und nicht ausreichend sanktioniert (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 34).
Diskriminierungen können nicht nur Folge von individuellen Vorurteilen sein, sondern auch institutionell-strukturell verankert sein (vgl. ebd., S. 35). Diskriminierung auf institutionell-struktureller Ebene beschreibt die „dauerhafte Benachteiligungen sozialer Gruppen, die auf überindividuelle Sachverhalte wie Normen, Regeln und Routinen sowie auf kollektiv verfügbare Begründungen zurückgeführt werden“ (Hasse, R., & Schmidt, L. 2012, S. 883). Somit ist die Möglichkeit zu diskriminieren strukturell angelegt, z.B. in formalen Rechten wie die Regelungen der Staatsangehörigkeit, etablierten Verfahrensabläufen auf dem Arbeitsmarkt und eingeschlichenen Praktiken im Schulsystem. Da bei Diskriminierungen auf institutionell-struktureller Ebene die ausführenden Personen nach vorgesetzten Vorgaben handeln, sind sie nicht für die Anwendung dieser verantwortlich zu machen, außer es wurde sich in einem Handlungsspielraum für Diskriminierung persönlich entschieden (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 35). Die Schuld für Diskriminierungen dürfen ebenso nicht einzelnen Organisationen zugewiesen werden, beziehungsweise auf diese reduziert werden (vgl. Gomolla 2017, S. 140). Mit dem Motto: „Dont blame individuals, blame the organisation” (Bhavnani 2001, S. 22) wird der Diskurs depolitisiert und die Gesellschaft von der Verantwortung entlastet (vgl. Gomolla 2017, S. 140).
Die institutionell-strukturelle Ebene der Diskriminierung ist besonders schwer zu fassen, da ausführende Personen vermeintlich nur nach den gesetzlichen Regelungen handeln und sich die Erscheinungsformen permanent verändern (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 35; vgl. Gomolla 2017, S. 149). Das Potenzial der Forschung zur institutioneller Diskriminierung liegt darin, latente Formen der Diskriminierung sichtbar zu machen und eine gezielte Antidiskriminierung umzusetzen (vgl. Gomolla 2017, S. 142). Eine Möglichkeit diese aufzudecken ist den Blick auf die Effekte der Diskriminierung zu wenden: Wer profitiert am meisten durch die Regelungen? Welche Menschengruppen sind unterrepräsentiert und haben systematisch geringere Chancen als andere? (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 38).
Diskriminierungen auf ideologisch-diskursiver Ebene zeigen auf, welche ideologischen Normvorstellungen in der Gesellschaft herrschen und wie über bestimmte Menschengruppen gesprochen wird. Diskurse sind „gesellschaftlich institutionalisierte Redeweisen“ (ebd., S. 37), in denen unter anderem Zuschreibungen und Vorurteile produziert und reproduziert werden. Diskurse finden in der Wissenschaft, Literatur, den Medien, Grundsatzdiskussionen und im privaten Umfeld statt. Hier werden Menschen in „Wir“ und die „Anderen“ getrennt und hierarchisch geordnet, beziehungsweise untergeordnet. Diskriminierende Handlungen reichen von sprachlicher Herabwürdigung, diskursive Reproduktion von diskriminierenden Rollenbildern bis hin zur verschobenen Darstellung von Vielfalt in der Gesellschaft. Auf der ideologisch-diskursiven Ebene der Diskriminierung werden Fremdzuschreibungen, wie zum Beispiel, dass Menschen mit Behinderung bemitleidenswert seien, oder Menschen mit Migrationshintergrund keinen Anstand hätten, erzeugt und in unser Alltagsbewusstsein aufgenommen (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, 37f).
Kübra Gümüsay, Journalistin, Aktivistin und Autorin, beschreibt in ihrem Buch „Sprache und Sein“ ihre Erfahrungen mit Diskriminierung auf ideologisch-diskursiver Ebene wie folgt:
„Darf eine junge kopftuchtragende Frau, die sich seit ihrer Jugend politisch engagiert, in einer Fernsehtalkshow zum Thema Jugend und Politik sprechen? Darf sie nicht, sagte mir eine Freundin, Redakteurin der Talkshow, zu der ich eingeladen werden sollte, bevor die Idee wieder verworfen wurde. Mit welcher Begründung? Die Moderatorin habe gesagt: „Wir können hier keine Frau mit Kopftuch sitzen haben, ohne dass sie über ihr Kopftuch spricht.“
Sprechen wir überhaupt, wenn wir nur die 2 Zeilen O-Ton eines Textes sind, Komparsen einer Debatte, die uns zu Fremden stempelt, angestarrt durch verzerrte, verfärbte Linsen? Sprechen wir, wenn wir uns nur zu vorgegebenen Themen äußern dürfen, innerhalb eng gesetzter Grenzen?“ (Gümüşay 2021, S. 71)
Abschließend ist es wichtig zu erkennen, dass die individuelle, institutionell-strukturelle und ideologisch-diskursive Ebene der Diskriminierung nicht als alleinstehende Ebenen betrachtet werden können, sondern unter wechselseitigem Verhältnis stehen. Institutionen und gesetzliche Regelungen stützen auf der Praxis diskriminierender öffentlicher Diskurse. Menschen mit individuellen Vorurteilen, die durch die Diskurse beeinflusst werden, haben durch strukturelle und institutionelle Regelungen und Praktiken die Möglichkeit zu diskriminieren. Die Ebenen stehen also in einem unmittelbaren Zusammenhang und wirken aufeinander (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 40).
Diskriminierungen in all ihren Formen und Ebenen finden statt, da meist sichtbare Identitätsmerkmale von Menschen nach bestimmten Normvorstellungen bewertet und die Betroffenen dementsprechend ungleich behandelt werden (siehe Kapitel 2.1). Diskriminierungsmerkmale beschreiben wer von Diskriminierung aufgrund welcher Merkmale betroffen ist. Die in Deutschland geltende Norm lässt sich zum Beispiel als „weiß“, „heterosexuell“, „christlichen Glaubens“ und „gesund“ beschreiben und stellt die Mehrheit der deutschen Bevölkerung dar (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, S. 42). Menschen mit von der Norm abweichenden Identitätsmerkmalen stellen Minderheiten dar und werden öfter diskriminiert (vgl. ebd., S. 41).
Menschen werden aufgrund vieler, sehr unterschiedlicher Merkmale diskriminiert. 2019 haben sich die meisten Menschen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufgrund Diskriminierung wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechtes und ihrer Behinderung gewandt (vgl. Janson 2020). Diese Diskriminierungsmerkmale stellen Kerndimensionen der Identität dar. Anders als persönliche Vorlieben und Stile können sie nicht einfach abgelegt werden (vgl. Liebscher und Fritzsche, S. 43).
Die folgende Darstellung stellt mögliche Diskriminierungsmerkmale dar (vgl. ebd., S. 43). Dabei bilden die Kreise Identitätsmerkmale ab, welche vom innersten zum äußersten Kreis eine Abnahme in Hinblick auf die Bedeutung der Identität darstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung 1: Dimensionen der Vielfalt (Liebscher und Fritzsche 2010, S. 43)
Anders als die dargestellten möglichen Diskriminierungsmerkmale werden vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nur „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ als Diskriminierungsmerkmale anerkannt und zu verhindern und beseitigen erzielt (vgl. Bundesgesetz). In Kapitel 3.2 wird auf die rechtliche Verankerung der Antidiskriminierung näher eingegangen.
Jeder Mensch verfügt über eine vielschichtige Identität. Diese Identitätsmerkmale (siehe Abbildung 1) können zu Diskriminierungsmerkmalen werden. Meistens werden Menschen nicht wegen einzelnen, sondern mehreren Merkmalen diskriminiert. Eine sogenannte Mehrfachdiskriminierung beschreibt die mehrfache Diskriminierung im additiven Sinne. Das heißt dass eine Personen je nach Situation wegen des einen oder des anderen Merkmales diskriminiert wird. Diskriminierungsmerkmale dürfen jedoch nicht nur einzeln betrachtet werden (vgl. Liebscher und Fritzsche 2010, 44f).
Die Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken unterschiedlicher Diskriminierungsmerkmale (vgl. Holzleithner 2010, S. 98). Der Fokus liegt dabei auf den Wechselbeziehungen von Diskriminierungsformen, die spezifische Diskriminierungskonstellationen produzieren (vgl. Marten und Walgenbach 2017, S. 166). Die Intersektionale Theorie hat das Ziel die Sichtbarkeit von Wechselwirkungen unterschiedlicher Diskriminierungsmerkmale zu stärken und die Auswirkungen als individuelle und kollektive Diskriminierungserfahrungen aufzuzeigen (vgl. Graneß et al. 2019, S. 79).
Die US-amerikanische Juristin Kimberle Crenshaw nutzte 1989 in ihrer Fallanalyse im antidiskriminierungsrechtlichen Kontext die Metapher der Straßenkreuzung, um Intersektionalität darzustellen (vgl. Marten und Walgenbach 2017, S. 158).
„Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.“ (Crenshaw 2010, S. 38).
Durch die Metapher der Straßenkreuzung wird die Komplexität von Diskriminierungen deutlich. Manche Menschen sind durch ihre Identitätsmerkmale stärker von Diskriminierungen betroffen und erleben intersektionale Diskriminierung. Der Grund für ihre Diskriminierung liegt also nicht an einzelnen Diskriminierungsmerkmalen, sondern an dem Zusammenwirken dieser (vgl. Holzleithner 2010, S. 98).
Ein Arbeitnehmer, der einer Schwarzen, kopftuchtragenden Frau mit einer Behinderung aufgrund ihrer Identitätsmerkmale eine Arbeitsstelle verweigert, übt intersektionale Diskriminierung aus, wenn im selben Unternehmen Schwarze, kopftuchtragende Frauen und Menschen mit Behinderungen arbeiten. Der Diskriminierungsgrund ist nicht auf ein einzelnes Identitätsmerkmal zurückzuführen, sondern liegt in der Kombination mehrerer Merkmale (vgl. ebd, S. 98).
Wie wirken sich Diskriminierungserfahrungen auf Betroffene aus? Betroffene werden immer wieder aufgrund ihrer Identitätsmerkmale anders behandelt und von anderen unterschieden (vgl. Glassl 2008, S. 30). Diese Diskriminierungserfahrungen geschehen nicht ohne eine Wirkung auf die Betroffenen zu hinterlassen (vgl. Hansen 2009, S. 155). Diese können bei jeder Person unterschiedlich stark zum Ausdruck kommen (vgl. Glassl 2008, S. 31).
Diskriminierungserfahrungen sind als chronische Stressoren zu verstehen. Wheaton unterscheidet zwischen neun Formen von chronischem Stress. Die folgenden drei Stressformen können vor allem durch Diskriminierungen ausgelöst werden (vgl. Glassl 2008, S. 31).
1. Bedrohungen (threats): Diese Stressform beschreibt die Situation, in welcher eine Person eine ständige Bedrohung verletzt zu werden verspürt und über keine Kontrolle verfügt. Vor allem bei Diskriminierungen in Form von persönlichen Angriffen, egal ob verbal oder körperlich, trifft dies zu.
2. Strukturelle Zwänge (structural constraints) beschreiben die Stressform, die Menschen erleben, die systematisch durch eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten benachteiligt werden. Dies trifft beispielweise bei Menschen mit Mobilitätsbehinderungen, für die viele Gebäude und Verkehrsmittel nicht barrierefrei erreichbar sind, zu.
3. Benachteiligung (underreward) beschreibt die Stressform, bei welcher sich eine Person benachteiligt fühlt, weil sie ungleich behandelt wird oder glaubt zu geringe Wertschätzung zu erhalten. Dies kann vor allem bei Menschen zutreffen, die aufgrund mehrerer stigmatisierter Identitätsmerkmale intersektionale Diskriminierung erfahren (vgl. Glassl 2008, 31f).
Diskriminierungserfahrungen führen neben psychologisch negativem Stress, der die psychische und körperliche Gesundheit zerstört (vgl. Privatklinik Friedenweiler GmbH & Co. KG), außerdem zu negativen Folgen, wie Depressionen, einem geringeren Selbstwertgefühl, und Angstzuständen (vgl. Schmitt et al. 2014). Wut, Ärger und Angst vor sozialer Abweisung begleiten die Betroffenen in ihrem Alltag (vgl. Hansen 2009, S. 167). Durch die Internalisierung der Bewertung ihrer Identitätsmerkmale, kann zudem das Selbstkonzept der Menschen beeinflusst werden (vgl. Glassl 2008, S. 31).
Diskriminierungserfahrungen haben aber nicht nur einen direkten, sondern auch einen indirekten Einfluss auf Betroffene. Beispielsweise können Diskriminierungserfahrungen Radikalisierungsprozesse begünstigen, die Gewalt zur Folge haben (vgl. Zick 2017, S. 72). Ebenso führen Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt dazu, dass bestimmte Menschengruppen, wie Frauen oder Menschen mit Migrationshintergrund, seltener in hohen Positionen vertreten sind und dadurch ein relativ geringeres Einkommen haben (vgl. Hipp 2016). Menschen mit einem Migrationshintergrund werden auf dem Wohnungsmarkt oft diskriminiert und wohnen unfreiwillig in eher prekären Verhältnissen (vgl. Häußermann und Siebel 2001, S. 66). Somit werden sie nicht nur segregiert, sondern auch sozial marginalisiert, also ausgeschlossen und aktiv verdrängt (vgl. Häussermann 2012).
Die Bewältigung von Diskriminierungen mit derart schwerwiegenden Folgen bedarf zahlreicher mentaler Ressourcen (vgl. Hansen 2009, 166f).
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