Bachelorarbeit, 2022
40 Seiten, Note: 2,0
1. EINLEITUNG
2. WAS IST FREUNDSCHAFT?
2.1 „Freundschaft“ aus der Perspektive von Kindern
2.2 „Freundschaft“ in der Literatur
2.3 Merkmale von Freundschaften
2.4 Die Bedeutung von Freundschaft
3. GRUNDLAGEN DER FREUNDSCHAFTSFORSCHUNG
3.1 Struktureller Analyse-Ansatz
3.1.1 Das fünfstufige Entwicklungsmodell von Selman
3.1.2 Die Theorie nach Youniss
3.2 Inhaltsorientierter Ansatz
3.2.1 Die Stadientheorie von Bigelow und LaGaipa
3.3 Zusammenfassung
4. KINDERFREUNDSCHAFTEN, WIE SIE ZUSTANDE KOMMEN
4.1 Auswahlkriterien für das Eingehen einer Freundschaft
4.2 Die Entstehung und das Eingehen einer Freundschaft
4.3 Emotionale Basiskompetenzen als Grundbedingung
4.4 Familiäre Einflüsse auf die Wahl von Freunden*innen
5. ARTEN VON FREUNDSCHAFTEN
5.1 Die „Sandkastenliebe“
5.2 Geschwisterbeziehungen
5.3 Freundschaften und Geschwister im Vergleich
6. KONFLIKTE SIND TEIL VON FREUNDSCHAFTEN
7. DIE FRÜHKINDLICHE KONSTITUTION ALS GRUNDLAGE EINER FREUNDSCHAFT
7.1 Einfluss der Kindertageseinrichtung
7.2 Kindliche Annäherungsversuche
8. PÄDAGOGISCHE ARBEIT ALS POSITIVE BEGLEITUNG VON FREUNDSCHAFTEN
8.1 Rahmenbedingungen schaffen
8.2 Die Arbeit mit dem Kind
8.3 Die Arbeit als Team
9.FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
QUELLENVERZEICHNIS
„Kinder spielen und scherzen miteinander; sie streiten und verprügeln sich; sie lachen und necken, verspotten und verachten einander; sie sprechen miteinander; vertrauen sich Geheimnisse an, schließen Bündnisse und geben Versprechen ab, […], sie versöhnen sich und schließen Frieden, […] - und sie erziehen einander.“ – Johannes Gruntz, 1989, S.9
Die genannten Interaktionsformen von Gruntz, sind im täglichen Umgang eine kleine Auswahl von Vielen, welche zwischen Kindern zu beobachten sind. Es wird harmonisch miteinander gespielt, ein paar Minuten später fallen Aussagen wie, „Du bist jetzt nicht mehr mein*e Freund*in!“. Schnelles Schließen und Beendigen von Freundschaften können besonders im Alltag von Kindern in Kindertageseinrichtungen beobachtet werden. Freund*innen nehmen für Kinder eine feste Rolle im Alltag ein. Sie stellen nicht nur einflussreiche Interaktionspartner*innen dar, sondern sie sind unverzichtbar. Sie stehen einander zur Seite, in guten, wie in schlechten Zeiten. Gemeinsame Erlebnisse werden durchlebt, Geheimnisse geteilt und Konflikte überwunden. Schlichtweg könnte bereits aus diesen Erkenntnissen angenommen werden, dass Freundschaften mehr für ein Kind bedeuten als das gemeinsame Spielen.
In der folgenden Arbeit geht es darum, inwiefern eine Kindertagesstätte einen Einfluss auf das Herausbilden von Kinderfreundschaften hat. Um diese Ausarbeitung bewusst einzugrenzen, bezieht sie sich auf Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren.
Es soll dargelegt werden, was unter einer Freundschaft verstanden wird, unter welchen Kriterien ein Kind die Freunde*innen auswählt und welche Gegebenheiten vorhanden sein sollten, um eine Freundschaft einzugehen.
Aufgrund dessen wird im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung der Begriff „Freundschaft“ genauer definiert. Zum einen aus der Sicht von Kindern, wie sie in der Literatur ihren Lauf genommen hat, um damit abzuschließen, welche Merkmale und Bedeutungen, Freundschaft ausmachen. Darüber hinaus wird auf Grundlagen, wie auf den Inhaltsorientierenden aber auch den Strukturellen Ansatz der Freundschaftsforschung eingegangen. Beispielhaft dafür werden die Theorien von Youniss, Selman und Bigelow mit LaGaipa herangezogen, um die Freundschaftsforschung zu verdeutlichen. In Kapitel 4 wird die Entstehung der Freundschaft, welche bedeutsam für die Frage ist, wie Kinder ihre Freunde*innen auswählen, thematisiert und erforscht. Ferner, wird darauf eingegangen, welche Arten der Freundschaften existieren und inwiefern diese von Bedeutung sind. Zu Freundschaften gehören neben dem gemeinsamen Spiel auch negative Seiten, wie Konflikte. Diese werden in Kapitel 6 aufgegriffen. Anschließend folgt, um zurück auf den Ursprung dieser Ausarbeitung zu kommen, in welchem Ausmaße Kindertageinrichtungen eine Grundlage für die Bildung einer Freundschaft sein können, wie Fachkräfte ihr pädagogisches Handeln anpassen können, um Freundschaften zu fördern und was im gemeinsamen Team einer Kindertageseinrichtung unternommen werden kann, um im Sinne von Freundschaften zu agieren. Abschließend wird in einem Fazit erörtert, inwiefern die Kindertageseinrichtung einen Einfluss auf Freundschaften hat.
„Freunde sind Menschen, die man mag, deren Gesellschaft man genießt, mit denen man Interessen und Aktivitäten teilt, die hilfreich und verständnisvoll sind, denen man vertrauen kann, mit denen man sich wohl fühlt und die emotionale Unterstützung gewähren.“ - M.Agryle, 1986
Agryle’s Definition von Freundschaft, ist verständlich formuliert und nachvollziehbar. Trotz dessen, kann sie nicht als allgemeingültige Definition gewertet werden, denn Freundschaften sind überall anzutreffen. Sie ist eine vertraute Form sozialer Beziehung, welche in jeder Kultur, bei jedem Geschlecht, jeglichen sozialen Schichten und auch allen Altersklassen existiert (vgl. Wagner, 1994, S.1). Jede*r hat eine abweichende Idee oder gar Ansprüche, dass eine allgemein gültige Definition, die ihrem Umfang gerecht wird, weniger simpel ist, wie es den Anschein macht.
Der Begriff „Freund“ ist verwandt mit dem Lateinischen Begriff „amicus“. Dieser wiederum gehört derselben Wortgruppe an wie der Lateinische Begriff „amor“, sonach der Liebe (vgl. Pons, 2022). Zu beachten ist, dass dieses Freundschaftsverständnis nichts mit einer sexuellen Beziehung zu tun hat. Des Weiteren ist auch der althochdeutsche Begriff „friunt“ mit der Bedeutung eines Liebenden gleichzusetzen (vgl. Duden, 2021). Wissend, dass dieser Begriff auch für Liebe verwendet wird, lässt sich daraus schließen, dass Freunde*innen eine enge Beziehung führen, in welcher eine gewisse Zuneigung besteht. Freundschaft ist somit eine Form von persönlicher Beziehung. Rückblickend ist der Ursprung des Freundschaftsbegriffs in weiter Ferne verankert, weshalb es stätig neue, leicht veränderte Definitionen gibt.
Ein*e Freund*in kann nun jedoch ein Schulkamerad, ein*e Arbeitskollege*in, eine eng vertraute Person oder jemand sein, der lebenslang bekannt ist. Freundschaften sind individuell und keine Freundschaft gleicht einer anderen. Sie definiert sich aus den Personen, welche daran beteiligt sind. Freundschaften sind in der eigenen Form intensiv, haben eine eigene Zeitspanne oder gar Entfernung voneinander. Für den einen ist es ein eher weitgreifender Begriff und sogar Mitarbeiter werden zu den eigenen Freunden*innen gezählt. Für andere indessen ist der Freundschaftsbegriff auf einen engen Kreis bezogen und es wird genau darauf geachtet, wer als Freund*in bezeichnet wird und wer nicht. Ergänzend muss beachtet werden, dass der Begriff der Freundschaft in verschiedenen Altersstufen unterschiedlich definiert wird. Bereits Aristoteles machte darauf aufmerksam und stellte die „drei Arten der Freundschaft“ (vgl. Schmidt-Deuter, 2005, S.105) auf. Unterteilt in Nummer Eins, der „Nützlichkeit“, welche sich darauf bezieht, dass eine Freundschaft einem materiellen Nutzen zugrunde liegt. Die zweite Art, die Stufe der „Freude“, handelt von einer Beziehung, welche aus sozialen, freundlichen und empathischen Bausteinen besteht und durch sie funktioniert. Die letzte und dritte Art der Freundschaft nach Aristoteles ist der „Idealismus“. Diese Art ist gegründet und existiert aufgrund von Liebe zu dem anderen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die dritte Art, einer vollkommenen Freundschaft entspricht, in welcher der Andere so angenommen und wertgeschätzt wird, wie er ist, ohne einen Hintergedanken zu haben (vgl.ebd., S.105ff). Doch nicht nur Aristoteles widmete sich der Thematik der Freundschaft.
Blickend in den Bereich der Psychologie, ist Freundschaft nach Wenninger (2001, S.74) eine: „zwischenmenschliche Beziehung, die besonders viel individuellen Gestaltungsspielraum bietet.“. Dennoch sind Freundschaften somit nicht allein für angenehme Erfahrungen vorhanden, sondern zudem für die soziale Entwicklung (vgl. Wagner, S.4).
In der Soziologie ist eine Freundschaft dadurch gekennzeichnet, dass sie eine persönliche Beziehung ist, welche sich durch eine langfristige, vor allem aber auch freiwillige Verbindung zwischen Personen abspielt. Zusätzlich dazu, ist die Freundschaft stark durch Qualitäten der sozial-emotionalen Bereiche geprägt (vgl. Fuchs-Heinritz et.al., 1994, S.210).
Möchte der Begriff der Freundschaft definiert werden, sollte zuerst überlegt werden, wie genau eine Freundschaft aussieht, welche Anforderungen eine*n Freund*in erfüllt, wie lange eine Freundschaft besteht und wo eine Freundschaft hinführt. Ein bedeutsames Detail, welches es hierbei zu beachten gilt, liegt in der Änderung von Freundschaften im steigendem Alter. Damit auch die Anforderungen, die Dauer und Intensivität. Für jede Phase des Lebens wird Freundschaft individuell definiert. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass von einer Freundschaft gesprochen wird, sobald mindestens zwei Personen gleichermaßen in einer reziproken Beziehung zueinanderstehen, in welcher eine gewisse Vertrautheit herrscht (vgl. Bachmann, 1996).
Dennoch ist aus genannten Gründen eine allgemeingültige Definition nicht einfach. Aufgrund dessen wird im weiteren Verlauf darauf eingegangen, wie Kinder eine Freundschaft definieren, da sie der Schwerpunkt dieser Ausarbeitung sind.
Freundschaftsdefinitionen sind zumeist aus der Perspektive von Erwachsenen verfasst. Es ist somit nicht simpel, eine Definition für die Kinderfreundschaft aufzustellen (vgl. Wagner, S.16). Um das Freundschaftsverständnis der Kinder nachzuvollziehen, befragte sie Wagner mit zwei simplen Fragen. Zum einen „Was ist ein Freund?“ und „Was ist für dich ein Freund?“. Die Kindergartenkinder gaben daraufhin als Antwort „spielt mit mir“, „haut mich nicht“, „ist so lieb“, „sie hat rosa Sachen an“, „er lässt mich beim Spielen gewinnen“ und „wir streiten uns nicht“ (ebd., S.17f). Diese Aussagen werden im steigenden Alter präzisiert und bilden somit ein zusammenhängendes Ganzes. Kinder ändern meist nicht ihre Antwort darauf, was für sie ein*e Freund*in ist, sondern die Bedeutung hinter ihren Antworten unterzogen sich einem Wandel. Kinder ändern mit steigendem Alter ihr Freundschaftsverständnis, intensivieren und spezifizieren es (vgl. ebd., S. 22).
Es lässt sich sagen, dass Kinder unter einem*r Freund*in jemanden verstehen, welche*r die gleichen Absichten, wie Interessen im alltäglichen Spielen hat. Lieb muss das Kind sein. Darunter verstehen die Kinder, dass im Spiel eine gewisse Harmonier herrscht. Sie betiteln dies so, dass ein Kind nicht haut oder böse wird. Freundschaften werden zudem dadurch begründet, dass die Kinder in der gleichen Kindertageseinrichtung sind. Räumliche Nähe begünstigt, der Aussage der Kinder nach, dass Freundschaften geschlossen werden (vgl.Valtin.S.42f). Jemand, der umgänglich ist und eigene Ideen in das gemeinsame Spiel miteinbringt, wird bei Kindern als Freund*in bezeichnet (vgl. ebd., S.45).
Deutlich wird desgleichen, dass Kinder nur dann ein Verständnis dafür, was ein*e Freund*in ist entwickeln können, wenn sie in einen sozialen Austausch mit Peers treten. Demgemäß kann bereits angenommen werden, dass aus diesem Aspekt, eine Kindertagesstätte Einfluss auf die Ausbildung von Freundschaft hat, da diese für Kontakte wie auch Interaktionen zwischen Kindern gleichen Alters sorgt und sie zusammenbringt.
Die Freundschaft wird auch in der Literatur bereits seit der Antike und dem Mittelalter thematisiert. Es gilt als ein zentrales Thema, welches unerschöpflich ist. In der Literatur unterzieht sich die Freundschaft meist einer Art Beweis. Eine Mutprobe die beweisen soll, dass die Freundschaft real und stark ist, ist nicht von Seltenheit.
Dass Freundschaften in Büchern thematisiert werden, hat seinen Ursprung in der Antike (vgl. Wagner, S.1). Geprägt wurde das Ganze von Freundschafts-Darstellungen, welche in einer engen Verbindung zu philosophischen Reflexionen stehen. Als bedeutungsvolle Nennung steht dafür beispielsweise Platons Dialog „Lysis“ aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Es handelt sich hierbei um ein von Platon entwickeltes Modell, welches das Wesen der Freundschaft darstellt. Zudem sind die Werke des ältesten Dichters des Abendlandes, Homer, beispielhafte Werke, welche die Freundschaft aufgreifen und analysieren. Der allgemeine Gedanke von dem Freundschaftsverständnis in der Antike ist jener, dass eine freundschaftliche Beziehung nur dann von Bestand ist, wenn sie durch willkürliche Taten bewiesen werden kann. Freundschaft und Tod stehen in einem reziproken Verhältnis zueinander. Bis heute bekannte Freunde aus der Antike sind unter anderem Achill und Patroklos (vgl. Kühner, 2016, S.81/ Wagner, S.2).
Über das Mittelalter hinweg, in welcher Freundschaft als ritterliche Tugend benannt wurde und zudem von Nächstenliebe geprägt ist, hielt das Thema der Freundschaft seinen festen Platz in der Literatur. Mutige Taten, auch wenn sie das eigene Leben kosten, beweisen wahre Freundschaften. Bekannte Werke sind unter anderem „Parzifal“ von Wolfram von Eschenbach aus dem Jahre 1210 (vgl. Kühner).
Ferner widmeten sogar 1604 William Shakespeare mit seiner Dramaturgie „Othello“, wie der Marbach gebürtige Friedrich Schiller mit „Wallenstein“ (1800), ihre Aufmerksamkeit treuen Freunden, welche sich als heimliche Feinde entpuppen. Die Werke veranschaulichen wie eng Glück und Unglück in einer Freundschaft verknüpft sein können.
Es gibt zahlreiche Bücher über Freundschaften. In aktuellen Romanen, aber auch vielen Kinderbüchern, ist die Freundschaft im Fokus. Sie ist ein wiederkehrendes Thema. So zeigen Autoren und Illustratoren, wie bedeutsam es sein kann, eine*n gute*n Freund*in an der Seite zu haben. Denn wenn alles bergab geht, ist das schönste an der Seite, ein*e gute*r Freund*in, welche*r einem den Weg zeigt. Aber auch in schönen Momenten, wird die Zeit am liebsten mit einem*r Freund*in verbracht. Großartige gemeinsame Abenteuer, toben, jede Menge Spaß und Geheimnisse schweißen zusammen. Genau wegen diesen Gründen, geht es in den meisten Kinderbüchern auch um Freundschaften. Meist werden diese vor allem zwischen zwei oder mehreren außergewöhnlich verschiedenen Protagonisten dargestellt, von welchen nicht erwartet wurde, dass sie eine Freundschaft eingehen.
Eines der bekanntesten und wohl auch beliebtesten Kinderbüchern ist „Der Grüffelo“ von Axel Schoeffler und Julia Donaldson. Es handelt von einer kleinen Maus, welche sich eine ganz besondere Taktik ausdachte, um sich durch den finsteren Wald durchzuschlagen. Sie erzählt jedem, der sie fressen will, von ihrem furchteinflößenden Freund: dem großen gemeinen Grüffelo. Er beschützt sie und jeder hat Angst vor dem großen starken Monster. Doch den Grüffelo, gibt es nicht. In diesem glauben geht die kleine Maus durch die Welt, bis der Grüffelo eines Tages vor ihr steht. Das Buch beschreibt eine wundervolle Freundschaft, durch welche sich Kinder stärker fühlen können (vgl. Schoeffler; Donaldson, 2002).
Ebenfalls zu den Klassikern der Kinderbücher, welche die Freundschaft thematisieren ist von Helme Heine „Freunde“. Die drei Freunde veranschaulichen, wie alle Höhen und Tiefen gemeinsam gemeistert werden, wenn man in der Freundschaft zusammen hält. Das Buch handelt von Freundschaft, Zusammenhalt und großen gemeinsamen Abenteuern (vgl. Heine, 1982).
Genannte Bücher sind eine kleine Auswahl einer Vielzahl von Literatur, die sich mit Freundschaft auseinandersetzen. Deutlich wird dennoch, dass sie dadurch, dass sie in großem Ausmaß thematisiert wird, ein wesentlicher Schwerpunkt im Leben eines jeden Menschen ist. Bereits im jungen Alter werden Kinder durch verschiedenste Medien mit der Thematik der Freundschaft konfrontiert.
Freundschaften sind, durch gewisse Merkmale gekennzeichnet, auf welche nun kategorisch eingegangen werden soll. Freundschaften entstehen nicht nur, sie unterliegen einem stätigen Prozesse des Wandels und ändern sich, genau wie die Menschen selbst, im Fortlauf des Lebens.
Für Youniss (1982), sind die wesentlichsten Merkmale einer Freundschaft Nähe, Konflikte, zudem Eifersucht und Vertrauen. Sie basieren auf gegenseitiger Zuneigung, ähnlichen Wertvorstellungen, Loyalität und Einfühlungsvermögen (vgl. Wagner, S.23f). Gleiches zieht Gleiches an – auch bei der Wahl eines*r Freundes*in. Freunde*innen haben somit eine Ähnlichkeit zu der eigenen Persönlichkeit. Geprägt ist diese besondere Form der Beziehung durch eine symmetrische Reziprozität- einer wechselseitigen Beeinflussung voneinander (vgl. ebd., S.24).
Das Hauptmerkmal von Freundschaft ist nach Damon (1984) die Zuneigung zueinander. Diese wird als Sympathie empfunden und das Gefühl von „gemocht“ sein, stärkt eine freundschaftliche Beziehung. Sie äußert sich zudem in positiven Gefühlen und reproduziert Eigenschaften wie gegenseitiges Vertrauen. Blickend auf die Freundschaft zwischen jüngeren Kindern, sind diese laut Damon (1989), durch zwei Merkmale geprägt. Ersteres ist das Rollenspiel. Dabei handelt es sich um phantasiegeprägte Spiele, welche reichhaltig sind und deren keine Grenzen gesetzt sind. Zweitens werden Streitigkeiten offen ausgelebt. Die Kinder wenden Strategien an, um schon im Vorhinein einem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Dadurch erreichen sie eine Stufe, auf der von beiden Parteien ein Einverständnis herrscht. Diese „größere kommunikative Klarheit“, wie Damon (S.152) sie bezeichnet, ist elementarer Bestandteil der Streitkultur unter Kindern und ein zentrales Merkmal von Kinderfreundschaften.
Dahingegen ist für Reismann (1979), ebenfalls wie für Krappmann (1993), das Hauptmerkmal von Freundschaft die Freiwilligkeit und Spontanität. Durch diese zwei Faktoren wird die Gesellschaft des anderen aufgesucht. Dazu zählt jedoch auch Gleichheit. Freunde*innen gehören, in den häufigsten Fällen, zumindest derselben Altersgruppe an. Zudem ist es wesentlich, dass keine Verwandtschaft zwischen den Beteiligten besteht und auch keine sexuellen Beziehungen.
Drei wesentliche Merkmale wiederum zählt Hartup (1978) auf. Die Freundschaftsbeziehung ist hierbei zum einen durch Unterhaltungen, Lachen und dem Teilen geprägt. Zweitens gibt es in Freundschaften „Trennungsschmerz“ oder auch Wiedersehensfreude. Und zuletzt verdeutlicht sich eine Freundschaft durch gewisse Interaktionskonzepte, ebenfalls wie durch sprachliche Kategorien, die von außen deutlich erkennbar sind.
„Gleich und Gleich gesellt sich gern“, dieses alte Sprichwort befürworteten zwei Forscher. Die US-Wissenschaftler James Fowler und Nicholas Christakis (2011) konnten feststellen, dass das Erbgut des*r besten Freund*in meist so ähnlich ist, dass es Cousin oder Cousine vierten Grades sein könnten. Wie sowas bei der Wahl des*r Freundes*in einspielt, konnte aktuell noch nicht bewiesen werden.
Die genannten Merkmale zeigen deutlich, dass es alles andere als simpel ist, eine allgemeingültige Aussage für den Begriff „Freundschaft“ festzuhalten. Klar wird gleichwohl, dass sich alle in einem Punkt einig sind. Der Nähe und Verbundenheit zueinander.
Die Freundschaftsforschung wird ein nie zu Ende erforschtes Thema sein. Es tauchen wiederkehrend neue Erkenntnisse auf. Die Frage „Weshalb brauchen Kinder Freunde?“ steht hierbei mehrfach im Mittelpunkt und ist auch in diesem Kapitel die zentrale Frage welcher nachgegangen werden soll.
Entwicklungspsychologe Jean Piaget nimmt Bezug zu der Bedeutung von Freundschaft:
„Der Spielkamerad dagegen ist sowohl dem Ich des Kindes ähnlich als auch davon verschieden. Er ist ihm ähnlich, weil er gleich ist im Können oder Wissen; ganz verschieden aber, gerade weil er auf demselben Niveau steht und nicht wie ein überlegener Erwachsener in das Innere der Wünsche oder in die Perspektive des eigenen Denkens eindringt.“– Piaget, 1972, S.72
Kinder setzen sich, Piaget nach, gern mit Gleichaltrigen, den Peers, auseinander. Ähnliche Verhaltensweisen, wie auch Fähigkeiten sind verantwortlich dafür, dass Kinder in den Kontakt treten und gemeinsam spielen. Die Aussage, dass Spielkameraden „dem Ich des Kindes ähnlich“ sind, ist so zu verstehen, dass in dem*r Freund*in ein Wesen gesucht wird, dass dem eigenen Charakter ähnlich ist. Dass der Spielkamerad „ganz verschieden“ ist, ist auf die eigenen Differenzerfahrungen zurückzuführen. Gleiches Interesse im Spiel bedeutet nicht, dass dieselben Erfahrungen gemacht wurden. Durch diese diversen und individuellen Erfahrungen prägen sich die Kinder gegenseitig. Piaget ist der Auffassung, dass Kinder zwar nicht voneinander abhängig sind, sie aber durch diese nicht vorhandene Abhängigkeit jedoch mehr und intensiver voneinander profitieren können als beispielsweise durch einen Elternteil (vgl. Piaget, 1983, S.378).
Bekannt ist, wie bereits erwähnt wurde, dass ab dem Kleinkindalter soziale Beziehungen zu Peers eine immens wegweisende Rolle im Leben der Kinder einnehmen. Kinder lernen durch Kinder grundlegende Eigenschaften, die nicht über Eltern, Familie oder pädagogisches Personal gelehrt werden können (vgl. Wagner, S.3f). Kinder erfahren im gegenseitigen Austausch nicht nur Gleichheit, sondern auch Gleichberechtigung. Jedes Kind möchte gerne seinen eigenen Plan durchsetzen, in der Interaktion mit anderen Kindern lernen sie jedoch, dass nicht nur die eigene Sicht der Dinge vorhanden ist. In den Anfängen der Kindheit kann dies für viele Kinder eine grauenvolle Erfahrung sein, dass nicht nur die eigenen Ideen umgesetzt werden. Für sie ist es schwer verständlich, weshalb der eigene Vorschlag abgewiesen und nicht nachvollzogen werden kann. Genau diese Abweisungen und Rücksichtnahme sind entscheidende Eigenschaften, die ein Kind während Interaktionen mit Peers erlernt. Zwischen den Kindern entsteht eine Kooperation, wie sie sonst nirgends zu finden ist (vgl. Uhlendorff, 1995, S.19).
Diese Sozialisationsfunktionen können nicht durch einen Erwachsenen weitergegeben werden, da zwischen Kind und Erwachsener Person eine andere Beziehung herrscht. Eine Freundschaftsbeziehung schafft Raum für Erfahrungen, die Familie und Institutionen so nicht bieten können (vgl. Wagner, S.69f). Jede Erfahrung macht ein Kind in jeglicher Hinsicht reicher. Vor allem in den Bereichen der sozialen, kognitiven, aber auch moralischen Entwicklung. Zurückblickend auf die Psychologie, geht diese davon aus, dass eine Freundschaft grundlegende menschliche Bedürfnisse befriedigt. Dies wiederum geht nur, wenn sozialer Kontakt zu weiteren Personen besteht, denn Isolation und Einsamkeit führt neben Frust auch zu psychischen Folgen (vgl. Uhlendorff, S.19).
Soziale Kontakte führen dazu, dass das Wesen eines Menschen ausgeglichener und zufriedener ist. Zu beobachten ist das bei Kinderfreundschaften (vgl. Wagner, S.10). Gemeinsam gespielt wird, wenn es den Kindern gut, aber auch wenn es ihnen nicht gut geht. Durch das gemeinsame Spiel erfahren Kinder Freude und sie werden unterbewusst von den Spielpartnern getröstet (vgl. Bachmann, S.9). Neben dem gemeinsamen Spielen, erfahren Kinder in der Beziehung zu den Peers noch weitere lebenswichtige Werte. Dadurch, dass Beziehungen zwischen Gleichaltrigen symmetrisch verlaufen, erlenen sie „Kooperation, Wettbewerb, moralische Normen, Aggressionskontrolle, Vertrauen und Sensibilität“ (Wagner, S.4). Die genannten Werte fördern es, dass das Kind zu einer individuellen, selbstständigen, ausgereiften Persönlichkeit heranwachsen kann.
Auffällig ist, dass Kinder besonders in gewissen Entwicklungsstadien eine*n Freund*in an der Seite haben. Der Start in ein neues Kindergartenjahr, Beginn der Schule oder in der Pubertät. Diese enorm belangreichen Phasen werden meist von einem*r Freund*in begleitet, da diese Situationen entschleunigen und Ängste mildern (vgl. Wagner, S. 13). Außerdem fällt es Kindern, die diese Erfahrungen gemacht haben, im Erwachsenenalter leichter, intime Beziehungen einzugehen (vgl. ebd., S.13).
Kinder, die eine Freundschaft haben und sich um sie sorgen, können besser mit außenstehenden Personen interagieren. Hauptbestandteil davon ist nicht nur das Spiel, besonders die Kommunikation ist von höchster Priorität. Kommunikation ist nicht allein verantwortlich dafür, dass Freundschaften entstehen, sondern dass sie auch bestehen (vgl. Weidemann, S.231). Bei Kleinkindern wird dies durch Mimik und Gestik kommuniziert. Mit steigendem Alter, steigt auch die Kommunikationsfähigkeit eines Kindes (vgl. Schneider-Andrich, 2011, S.14). Dazu gehört nicht nur das Sprechen selbst, auch gegenseitiges zuhören, ausreden lassen und auf das Gesagte eingehen, ist Teil davon. Innerhalb einer Freundschaft erlernen Kinder zudem, wie weit mit Worten gegangen werden darf. Worte können stärkere Auswirkungen haben als meist gedacht. Kinder sind hierbei ehrlich und sagen, wenn sie etwas nicht gut finden. Das Feingefühl für die gegenseitige Kommunikation wird bereits in einer Kinderfreundschaft geprägt und ausgereift. Während Konflikten lernen die Kinder zu Argumentieren und ihre Meinung zu vertreten, im besten Fall so, dass der*die Freund*in nicht verletzt wird. Gedanken zu formulieren ist nicht immer leicht, wird jedoch durch Gleichaltrige herangetrieben (vgl. Rubin, S.12).
Eltern sind einflussreiche Bestandteile eines Lebens, doch mit zunehmendem Alter sind besonders gleichaltrige Bezugspersonen von hoher Bedeutsamkeit für das Kind selbst, aber auch für die Entwicklung. Kinder profitieren von dem Zusammensein und den Interaktionen mit Peers und lernen aus solchen Freundschaften bedeutsame Aspekte für ihr Leben. Durch die besondere Beziehungsform zueinander, die durch Vertrauen und Sympathie geprägt ist, wird klar, wie einflussreich eine Freundschaft ist (vgl. Schneider-Andrich, S.4). Das Wohlbefinden wird durch eine Freundschaft gestärkt, da sie neben genanntem Punkt, Geborgenheit und Zugehörigkeit vermitteln. Kinder entwickeln durch Freunde*innen ein positives Selbstbild, spüren mehr Optimismus, haben Vertrauen ineinander und sind weniger ängstlich (vgl. Wagner, S.10). Freunde*innen sind demnach für alle Lebenslagen, ein positiver Begleiter, welchem keine negativen Aspekte angehängt werden können.
3. Grundlagen der Freundschaftsforschung
Die Freundschaftsforschung erfuhr in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Aufmerksamkeit, in der intensiv untersucht wurde, was Kinder genau unter einer Freundschaft verstehen und was diese für sie bedeutet. Neben Rousseau, wie auch Piaget, widmeten sich viele Personen der Pädagogik der Thematik der Freundschaftsforschung, um somit das kindliche Verstehen zu erforschen.
Bereits bekannt ist die Erkenntnis, dass für die Entwicklung des Kindes insbesondere zwei Sozialisationsagenten eine immens wertvolle Rolle spielen. Zum einen die Eltern, auf der anderen Seite jedoch die Gleichaltrigen, die sich häufig in Freundesgruppen darstellen (vgl. Merkens, 2000, S.14). Bekannt ist zudem, dass sich das Kind zu einem autonomen Menschen hin entwickelt. Dies gelingt im besten Falle, wenn es sich zu eine*r Freund*in hinbewegen und von den Eltern lösen kann (vgl. Valtin, S.7). Die Freundschaft dient somit als sicherer Hafen, wenn es zu einer Trennung von den Eltern kommt. Beziehungen zu den eigenen Eltern sind zudem mit einer gewissen Über- und Unterordnung verknüpft. Freundschaften finden auf einer Ebene statt. Sie verlaufen symmetrisch und ohne Hierarchien. Sie sind durch Gleichheit, Gleichrangigkeit, wie auch Gegenseitigkeit geprägt (vgl. ebd. S.31).
In der aktuellen Forschung in Bezug auf Kinderfreundschaften und wie diese genau entstehen, bestehen dennoch Lücken, die es gilt zu füllen. Fortgehende wird daher auf den strukturellen Analyse-Ansatz und den inhaltsorientierten Analyse-Ansatz eingegangen, um weitere Sichtweisen und Erkenntnisse über die Freundschaftsforschung im Kindesalter zu erlangen.
Strukturelle Ansätze sind, im Gegensatz zu inhaltsorientierten Ansätzen, darauf fokussiert, den Zusammenhang von Freundschaftskonzepten und der Entwicklung kognitiver Strukturen im Sinne von Piaget zu entwickeln. Trotz dessen bestehen zwischen strukturellen und inhaltsorientierten Ansätzen in dem Aufbau Gemeinsamkeiten. Sie sind in Stufen strukturiert, um dadurch die Stadien von Freundschaften zu verdeutlichen. Im weiteren Verlauf wird das fünfstufige Entwicklungsmodell von Selman beispielhaft für einen strukturellen Analyse-Ansatz vorgeführt. Als Vergleich, wird die Theorie von James Youniss herangezogen.
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