Bachelorarbeit, 2021
46 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Theorieteil
2.1. Grundlagen der Bruchrechnung
2.1.1. Grundvorstellungen
2.1.2. ArtendesWissens
2.2. Mathematikdidaktische Prinzipien
2.2.1. Entdeckendes Lernen
2.2.2. Das operative Prinzip
2.2.3. Inhaltliches Denken vor Kalkül & fortschreitende Schematisierung
2.2.4. Begründungen im Mathematikunterricht
2.2.5. Der Darstellungswechsel und seine Vernetzung
3. Forschungsinteresse
4. MethodenderDatenauswertung
5. Datenauswertung
5.1. Bettermarks
5.2. Alice:Bruchrechnen
5.3. KLSoft
5.4. GeoGebra
5.5. Ergebnisse derUntersuchung
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
,,Bruchrechnen ohne dahinterstehende Vorstellungen ist ein totes Wissen, das man nicht anwenden kann“1
In Deutschland ist die Zahlenbereichserweiterung der natürlichen Zahlen auf die Bruchzahlen ein zentraler Lerninhalt zu Beginn der Sekundarstufe I. Sie nimmt dort einen großen Raum ein. Für viele Schülerinnen ist diese Erweiterung mit Schwierigkeiten verbunden. Schließlich ist mit der Einführung der Bruchrechnung kein intuitives Rechnen mehr möglich. Merksätze von Lernenden wie „Multiplizieren vergrößert immer“ oder „Dividieren verkleinert immer“ gelten nicht mehr im Bereich der Bruchzahlen. Insgesamt ist dieses Themenfeld besonders anfällig für Rechenfehler. Viele Fehler sind darauf zurückzuführen, dass vorschnell auf einer formalen, regelorientierten Ebene gearbeitet wird. Dabei sollten mathematische Inhalte im Allgemeinen begriffen werden. Es reicht nicht aus, Regeln und Algorithmen abzuarbeiten. Schülerinnen sollten vielmehr ein „inhaltliches Verständnis“ von mathematischen Inhalten erwerben (vgl. Wartha 2011, S. 15).
Auf das inhaltliche Verständnis der Gleichwertigkeit von Brüchen wird sich die folgende Arbeit konzentrieren. Hierzu werden vier digitale Lernumgebungen untersucht und anhand von ausgewählten und begründeten Kriterien analysiert. Der Autor dieser Arbeit hat sich für digitale Lernumgebungen entschieden, da sie eine gute Möglichkeit sind, um Schülerinnen im Unterricht zu fördern. Dank digitalen Lernumgebungen stehen Lernenden abrufbare Hilfen, direkte Rückmeldungen, Tests sowie Veranschaulichungen zur Verfügung. Dies optimiert den Lernprozess (vgl. Brüning 2008, S. 19).
Dennoch ist die Qualität von Lernumgebungen entscheidend. Aus diesem Grund wird die Qualität von solchen Angeboten untersucht. Hierzu werden theoriebasierte Kriterien entwickelt, mit denen man Lernumgebungen untersuchen kann. Daraus ergibt sich das Ziel dieser Arbeit. Sie möchte offenlegen, inwieweit digitale, interaktive Lemumge- bungen zum Aufbau eines inhaltlichen Verständnisses im Bereich der Gleichwertigkeit von Brüchen beitragen können.
Das erste Kapitel stellt die theoretische Grundlage dieser Arbeit dar. Dazu werden zunächst die Grundlagen der Bruchrechnung erläutert. Anschließend wird das von Rudolf vom Hofe erarbeitete didaktische Konstrukt der Grundvorstellung vorgestellt. Das erste Unterkapitel dieser Arbeit wird mit einer Erklärung der unterschiedlichen Wissensarten abschließen. Das zweite Unterkapitel befasst sich mit den mathematikdidaktischen Prinzipien. Hierbei werden unter anderem das „entdeckende Lernen“ und das „operative Prinzip“ näher beleuchtet. Anschließend wird die Arbeit das didaktische Prinzip „Inhaltliches Denken vor Kalkül“ nachzeichnen. Darauf aufbauend wird ein Weg zur schrittweisen und eigenständigen Erstellung eines Kalküls vorgestellt - die „fortschreitende Schematisierung“. Anschließend werden die „Begründungen im Mathematikunterricht“ thematisiert. In diesem Kapitel werden die unterschiedlichen Funktionen von Begründen genannt und erläutert. Das theoretische Kapitel endet mit dem Darstellungswechsel und seiner Vernetzung. Im Anschluss der theoretischen Überlegungen wird das Forschungsinteresse des Autoren genannt. Alsdann werden in Kapitel 4 die Methoden der Datenauswertung vorgestellt und erläutert. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel die zu untersuchenden Lernumgebungen vorgestellt. Das Kapitel ist das Kernstück dieser Arbeit. In diesem Kapitel erfolgt die Untersuchung der digitalen Lernumgebungen. Auf Grundlage des erarbeiteten Analyserasters werden die Plattformen nacheinander analysiert. Bevor die Arbeit mit einem Fazit abschließt, werden die Ergebnisse der Untersuchung verglichen.
Das folgende Unterkapitel beginnt mit einer kurzen Definition von Bruchzahlen. Anschließend werden Schwierigkeiten, die im Bereich der Bruchrechnung auftreten können, beschrieben. Darauffolgend wird das Grundvorstellungskonzept des Didaktikers vom Hofe näher erläutert. Hierbei konzentriert sich die Arbeit vor allem auf die Grundvorstellungen im Bereich der Bruchrechnung. Das Unterkapitel wird mit den unterschiedlichen Arten von Wissen abschließen.
Im zweiten Kapitel des Theorieteils werden mathematikdidaktische Prinzipien erläutert und vorgestellt. Diese Prinzipen sind wichtig, da sie die Grundlage des zu erstellenden Analysekatalogs bilden.
Mathematisch lässt sich eine Bruchzahl als die Menge aller äquivalenten Paare von Zahlen (xi/x2) E ZxZ \0 definieren, die die Gleichung x.- • x = Xi lösen.
Es finden sich zahlreiche Unterschiede zwischen den natürlichen Zahlen und den Bruchzahlen, die zu erheblichen Schwierigkeiten führen können. Hierzu erklären beispielsweise Padberg und Wartha, dass die natürlichen Zahlen „viele unterschiedliche Gesichter“, die sogenannten Zahlaspekte, haben. Beispiele für Zahlaspekte der natürlichen Zahlen sind der Kardinalzahlaspekt, Ordinalzahlaspekt oder der Vielfachheitsaspekt. Die Autoren erklären, dass sich Zahlaspekte auch bei Bruchzahlen finden, diese unterscheiden sich jedoch grundlegend. Einige Zahlaspekte aus den natürlichen Zahlen müssten überarbeitet werden, andere hingegen werden gar nicht übernommen. Darüber hinaus finden sich völlig neue Zahlaspekte, wie z.B. die Deutung des Bruches als relativer Anteil oderVergleichsoperator(vgl.Padberg/Wartha2017, S. 151).
Aber auch die Zahldarstellung unterscheidet sich grundlegend. Während jede natürliche Zahl eindeutig ist, besitzen Bruchzahlen in Form von äquivalenten Brüchen „viele verschiedene Darstellungen“ (Padberg/Wartha 2017, S. 152). Ein weiterer Unterschied betrifft die „Dichte“ von Brüchen. Während jede natürliche Zahl genau einen Nachfolger sowie - bis auf die 1 - genau einen Vorgänger hat, finden sich zwischen zwei Brüchen unbegrenzt viele weitere Brüche.
Neben Unterschieden in der Zahldarstellung beider Zahlbereiche gibt es eklatante Unterschiede bei den Rechenoperationen. Eine zentrale Vorstellung in der Multiplikation von natürlichen Zahlen ist die Vorstellung der wiederholten Addition gleicher Summanden. Dies ist im Bereich der Bruchzahlen lediglich ein Sonderfall, nämlich dann, wenn eine natürliche Zahl mit einem Bruch multipliziert wird.
Insgesamt ist dieses Themenfeld somit besonders anfällig für Fehler. Günther Malle erklärt, dass „Bruchrechnen ohne dahinterstehende Vorstellungen [...] ein totes Wissen [ist], das man nicht anwenden kann“ (Malle 2004, S. 4). Der größte Fehler im Mathematikunterricht sei das zu schnelle Wechseln auf eine „formal-regelhafte Ebene“, ohne eine ausreichende inhaltliche Vorstellung vom jeweiligen Stoff erworben zu haben. Dies betreffe jedes Gebiet der Mathematik, die Bruchrechnung sei jedoch besonders davon betroffen. Malle erklärt, man erkenne das an Schülerheften. Hier fänden bereits auf der ersten Seite zahlreiche Rechnungen statt. Meistens werden sie durch Regeln „Man multipliziert zwei Brüche, indem man gelernt. Diese Regeln würden durch besonders viele Aufgaben eingeübt werden (vgl. ebd.). Ein solches Vorgehen sei zwecklos, wenn sie nicht durch intuitive Darstellungen bzw. Zeichnungen begleitet würden. Werden keine inhaltlichen Vorstellungen zum Bruchrechnen aufgebaut, „bleibt das gesamte regelhafte Rechnen nur eine sinnentleerte, auswendig gelernte, aber letztlich unverstandene Angelegenheit“ (ebd.).
Ähnlich sehen es die Autoren Padberg und Wartha. Das „unumstrittene Ziel“ des klassischen Mathematikunterrichts sei ein „Verständnis“ von mathematischen Inhalten. Die Didaktiker grenzen Verständnis vom reinen Beherrschen ab. Verständnis sei vielmehr „das sichere Wissen zu Zahlzeichen, Zahlworten und das bildlich-gegenständlichen Zahlrepräsentationen sowie das flexible Übersetzen zwischen diesen Darstellungen“ (Roche 2010, zit. nach Padberg/Wartha 2017, S. 1). Das Grundvorstellungskonzept des Mathematikdidaktikers vom Hofe ermögliche Verständnis zu klären, zu untersuchen und zu fördern (vgl. Padberg/Wartha 2017, S. 1). Dieses Konzept wird im nächsten Unterkapitel ausführlich erläutert.
Die didaktische Forschung der letzten Jahre betonte mehrfach, dass zu Brüchen nicht nur Rechenfertigkeiten trainiert werden sollten, sondern inhaltliche Vorstellungen aufgebaut werden müssten, um mit Brüchen flexibel arbeiten zu können. Mit dem Konzept der Grundvorstellung werden „die Wissenselemente zu Interpretationen mathematischer Inhalte spezifiziert, die als Schnittstellen zwischen inhaltlichen Denken und Kalkül dienen“ (Prediger2011, S. 5).
Grundvorstellungen können als „gedankliche Werkzeuge“ verstanden werden, die Übersetzungsprozesse zwischen mathematischen Objekten und Verwendungssituationen ermöglichen (vgl. Wartha 2011, S. 16). Die Subtraktion von natürlichen Zahlen kann so in verschiedenen Darstellungen interpretiert werden: Symbolisch-algebraisch durch einen definierten Rechenausdruck wie 7 — 4 = 3, einer bildlichen Darstellung, in der das Wegnehmen von Gegenständen deutlich wird oder einer passenden Rechengeschichte. Gelingt einem Lernenden das flexible Übersetzen zwischen diesen Repräsentationsebenen, ist die Grundvorstellung der Subtraktion aktiviert. Auch wenn das Erstellen einer Rechengeschichte oder einer Bilderserie zu Subtraktionsaufgaben auf Grund ihres geringen Schwierigkeitsgrades „trivial“ erscheinen kann, „so ist es bei einem Rechenausdruck wie 2 2
— : - oder 0,47 + 0,03 für viele Menschen nicht mehr so leicht, diesen Term in eine Handlung, ein Bild oder eine passende Sachsituation zu übertragen“ (Padberg/Wartha 2017, S. 2). Von einem Verständnis mathematischer Inhalte könne nur gesprochen werden, wenn die entsprechende Grundvorstellung aktiviert wurde. Dies könne überprüft werden, indem Schülerinnen zu Übersetzungen mathematischer Objekte aufgefordert würden. Daraus ergibt sich eine erste Forderung an Lemumgebungen - die Übersetzung mathematischer Objekte.
Neben den bereits genannten Zahlaspekten von Bruchzahlen lassen sich Grundvorstellungen zu Rechenoperationen und Strategien definieren. Die Arbeit wird zunächst Grundvorstellungen zu Strategien erläutern. Anschließend wird sie die Grundvorstellungen zu Rechenoperationen thematisieren.
Sebastian Wartha versteht Strategien als Werkzeuge eines Lösungsprozesses. Damit ist nicht der gesamte Lösungsweg gemeint, sondern vielmehr „Werkzeuge aus einzelnen Schritten im Bearbeitungsprozess.“ Er räumt ein, dass Schülerinnen „Strategien als (unverstandene) Rezepte“ auswendig lernen können. Diese seien jedoch sehr fehleranfällig, z.B. durch Übergeneralisierungen. Darüber hinaus sei eine solche Strategie unflexibel (vgl. Wartha 2011, S. 17). Aus diesem Grund sei der Aufbau von geeigneten Grundvorstellungen zu Strategien wichtig, denn sie erlauben „ein flexibles Anwenden der Strategie - auch auf verschiedenen Darstellungen“ (ebd.). Beispiele für Grundvorstellungen zu Strategien seien das Auffinden einer gemeinsamen Unterteilung, um zwei Brüche miteinander zu addieren bzw. zu subtrahieren oder auch das Verfeinern bzw. Vergröbern der Einteilung eines Bruchs. Sie ist die zentrale Grundvorstellung im Bereich des Erweiterns und Kürzens von Brüchen (vgl. ebd. S. 18) und somit eine weitere Bedingung an eine verständnisorientierte Lernumgebung.
Grundvorstellungen zu den Grundrechenarten werden schon in der Grundschule aufgebaut. „Die Grundvorstellungen zu den Operationen ermöglichen die Interpretation der Rechenzeichen auf der Ebene der Bilder, von Handlungen bzw. in realen Situationen“ (ebd.). Einige Grundvorstellungen aus H sind auch in Q+ tragfähig. Beispiele hierfür ist das Zusammen- und Hinzufügen in der Addition sowie das Wegnehmen in der Subtraktion. Jedoch erweisen sich einzelne Grundvorstellungen zur Multiplikation oder Division als nicht länger tragfähig. Hierzu erklärt Wartha: „Multiplizieren als Vervielfachen und 2 4 3 1
Verteilen als Division ermöglichen bei Bruchtermen wie - • - oder -: - keine Übersetzung in eine anschauliche Ebene.“ Diese Grundvorstellungen aus den natürlichen Zahlen seien also in Q+ „Sackgassen“ im Lernprozess (ebd.).
Aufgrund von Überlappungen in den Bruchzahlaspekten verstehen Padberg und Wartha zwei Grundvorstellungen als zentral - Bruch als Anteil und Bruch als Operator. Erstere wird von den Autoren in zwei Teilaspekte unterteilt, nämlich, Bruch als Anteil eines Ganzen und Bruch als Anteil mehrerer Ganzer. Der Bruch als Anteil eines Ganzen wird häufig beim Einstieg in die Bruchrechnung eingeführt. Klassischerweise wird der Einstieg mithilfe von Kreisen, die Pizzen oder Torten darstellen sollen, visualisiert. Sobald die Lernenden Teile eines Ganzen selbst herstellen müssen, seien Rechtecke sowie Strecken geeigneter (vgl. Padberg/Wartha 2017, S. 21 - 24).
Die Grundvorstellungen zu Zahlen, Strategien und Operationen können nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Grundvorstellungen zu Operationen seien nutzlos, wenn keine Grundvorstellungen zu Zahlen aktiviert sind. Sie muss mit der Grundvorstellung von Strategien angereichert werden. Deswegen müsse das Ziel eines verständnisorientierten Unterrichts die Ausbildung eines Netzes sein, das diese mentalen Werkzeuge miteinander verbindet. Dies ermögliche ein inhaltliches Verständnis von Brüchen sowie ein „flexibles Operieren“ mit Brüchen (Wartha 2011, S. 19).
Malle weist anhand der empirisch didaktischen Forschung daraufhin, dass Schülerinnen Schwierigkeiten haben, die richtige Operation in Anwendungsaufgaben auszuwählen. Hier kommen die Grundvorstellungen ins Spiel. Einerseits seien sie das Werkzeug, mit dem Schülerinnen eine Situation mathematisieren können. Andererseits rufe eine bestimmte Rechenoperation eine bestimmte Grundvorstellung hervor. Somit sei zum einen klar, dass diese Übersetzungsprozesse keine „Einbahnstraße“ seien, zum anderen, funktioniere ein Übersetzungsprozess nicht ohne die passende Grundvorstellung. Schließlich gebe es „kein Anwenden ohne Grundvorstellung“. Auch wenn Schülerinnen das formale Arbeiten beherrschten, sei dies ohne Grundvorstellung ein „totes Wissen“ (Malle 2004, S. 8).
Nachdem das Konzept der Grundvorstellungen erläutert wurde, thematisiert die Arbeit die unterschiedlichen Wissensarten, die während des Lehrgangs des Bruchzahlbegriffs angesprochen werden.
Das Verständnis von Brüchen umfasst zwei Aspekte - den Bruchzahlbegriff sowie das Rechnen mit gemeinen Brüchen. Diese Aspekte kann man als konzeptuelles Wissen und prozedurales Wissen ausdifferenzieren. Die Unterscheidung der Wissensart ist in der mathematikdidaktischen Forschung nicht neu. Die Wissensarten sind im Hinblick auf die Unterschiede von Schüler*innenleistung entscheidend (vgl. Lenz et al. 2019, S. 1).
Die Didaktiker Lenz, Wittmann und Holzäpfel machen darauf aufmerksam, dass es Schülerinnen vor allem an konzeptuellem Wissen mangele. Es liege an unzureichenden Lemgelegenheiten im Unterricht. Wie bereits erwähnt, vertritt die deutschsprachige Forschung die These, dass zu schnell in das „formal-regelhafte“ Arbeiten übergegangen werde und man sich auf das prozedurale Wissen fokussiere (vgl. ebd.).
Prozedurales Wissen lässt sich definieren als „Wissen bezüglich der formalen Sprache der Mathematik und der Ausführung von mathematischen Verfahren.“ In der Alltagsprache ist prozedurales Wissen als „Können“ bekannt (vgl. Lenz et al. 2019, S. 1; Renkl 2020, S. 4). Dieses Wissen ist im Bereich der Brüche äußerst komplex, da Brüche in den jeweiligen Rechenverfahren unterschiedlich verarbeitet werden. So erlaubt die Multiplikation von Brüchen eine „komponentenweise Verarbeitung von Zähler und Nenner“, während ein solches Vorgehen in der Addition bzw. Subtraktion von Brüchen nicht erlaubt ist (vgl. Lenz et al. 2019, S. 2).
Konzeptuelles Wissen lässt sich definieren als Wissen zu mathematischen Begriffen und das Wissen darüber, warum einzelne Verfahren funktionieren. Konzeptuelles Wissen zu Brüchen meint also das Wissen über die Eigenschaften von Brüchen, wie z.B. die Zähler-Nenner-Relation oder die Dichte von Brüchen. Aber auch Grundvorstellungen von Brüchen werden unter dem Begriff des konzeptuellen Wissens verstanden (ebd.).
Für das nähere Verständnis beider Wissensarten werden Beispiele gemacht. Möchten Schülerinnen zwei Brüche auf Gleichwertigkeit prüfen, ist zunächst prozedurales Wissen nötig. Die Schülerinnen benötigen Wissen zu den Teilschritten des Lösungsverfahrens, z.B. das Bestimmen des „kleinsten-gemeinsamen-Vielfachen, Erweitern bzw. Kürzen“. Um hingegen zu verstehen, warum man mit Hilfe von Erweitern bzw. Kürzen die Gleichwertigkeit von Brüchen ermitteln kann, ist konzeptuelles Wissen nötig. Zum einen brauchen die Lernenden die Grundvorstellung der Verfeinerung bzw. Vergröberung der Einteilung. Zum anderen benötigen sie eine geeignete Visualisierung durch geeignete Modelle.
Die Didaktiker Lenz, Wittmann und Holzäpfel berufen sich auf Studien, die deutlich machen, dass sich Schülerinnen beim Rechnen mit Brüchen vollständig auf prozedurales Wissen verlassen. Darüber hinaus sei konzeptuelles Wissen unzureichend ausgebildet. Aufgrund der hohen Komplexität von Brüchen führe dieser Fakt zu fehlerhaften Rechenverfahren bzw. zu einer falschen Vorgehensweise. Zum Beispiel ist die Merkregel „Zähler mit Zähler, Nenner mit Nenner“ für die Multiplikation korrekt, nicht jedoch für die Addition bzw. Subtraktion. Mithilfe von konzeptuellem Wissen und einer bildhaften Vorstellung der Rechnung könnten Schülerinnen erkennen, warum diese Merkregel nicht für die Addition von Brüchen gilt, für die Multiplikation von Brüchen hingegen schon. Die Autoren erklären, dass die Fähigkeit genutzte Rechenverfahren zu begründen, dazu beitrage, Fehler während einer „Prozedur“ zu vermeiden. Daraus folgt, dass ein wichtiges Ziel des Mathematikunterrichts sowohl die Vermittlung von konzeptuellem und prozeduralem Wissen als auch die Vernetzung dieser beiden Wissensarten ist (vgl. ebd. S. 2).
Neben prozeduralem und konzeptuellem Wissen, existiert eine weitere Wissensart - das metakognitive Wissen. Das metakognitive Wissen meint „das Wissen über Wissen.“ Renkl definiert metakognitives Wissen als „Wissen über Wissenserwerb, Wissen um den Sinn einer Lernstrategie oder das Planen des eigenen Vorgehens“ (Renkl 2020, S. 20). Die vorgestellten Wissensarten werden zur Analyse der Lemumgebung in den Analysekatalog aufgenommen.
Nachdem die Bedeutung von Grundvorstellungen im verständnisorientierten Unterricht dargestellt und die unterschiedlichen Wissensarten vorgestellt wurden, ergibt sich die Frage nach der Grundlage für die Konzipierung eines verständnisorientierten Unterrichts. Hierfür werden die mathematikdidaktischen Prinzipien im nächsten Kapitel vorgestellt.
Mathematikdidaktische Prinzipien beschreiben „durchgängige Leitvorstellungen des Lernens und Lehrens“. Sie sind wichtig bei der Auswahl der zu thematisierenden Inhalte sowie für „die Organisation und Durchführung des Unterrichts in allen Phasen“ (Müller/Wittmann 1984, S. 156). Mit Hilfe der Leitvorstellungen versucht die Mathematikdidaktik, Ergebnisse aus der Lernpsychologie sowie Erkenntnistheorie für das mathematische Lernen nutzbar zu machen. Hierzu erklärte Wittmann (1992):
„Das Aufgabenfeld derMathematikdidaktik ist die Erforschung und Entwicklung des Lernens und Lehrens vonMathematik in allen Altersstufen einschließlich ihrer Voraussetzungen. Zielsetzungen und Rahmenbedingungen“
Didaktischen Prinzipien dürfe man keine „dogmatische Bedeutung“ geben und seien auch nicht widerspruchsfrei. Es komme häufig im Unterricht vor, dass sich zwei Prinzipien entgegenstehen, obwohljedes einzelne Prinzip für sich eine Daseinsberechtigung habe (vgl. Krauthausen/Scherer 2003, S. 122).
Im Folgenden werden einige didaktische Prinzipien vorgestellt, die sich für die Konzipierung von Lemumgebungen eignen und Grundlage für den zu entwickelnden Analysekatalog sind.
Der klassische Mathematikunterricht des 19. Jahrhunderts war geprägt von einem „mechanistisch-verbalistisches Lernen“, in dem Merksätze und Definitionen auswendig gelernt und lediglich durch Reime attraktiver gemacht wurden. Begründungen oder Erklärungen wurden nicht gegeben. Ein katastrophaler Ruf der Mathematik war die logische Konsequenz (vom Hofe 2001, S. 4). Erste Kritiken kamen von Pestalozzi, der das sinnlose Auswendiglernen durch tragfähige Vorstellungen zu mathematischen Inhalten ersetzen wollte. Auch wenn seine Bemühungen fortschrittlich waren, hatte seine Unterrichtspraxis Elemente eines „sinnblinden Lernens“, das durch „Nachahmen bzw. Nachsprechen“ geprägt war. Hier wird deutlich, dass die „rezeptive Wahrnehmung“ der Schülerinnen über- und die Eigenständigkeit im Lernen der Kinder unterschätzt wurde. Vom Hofe nennt die Form des Unterrichtens „abbildendes Lernen“. Diese war bis ins 20. Jahrhundert die alltägliche Praxis im Unterricht (vgl. ebd. S. 4f.).
Eine Gegenbewegung für diese Art des Unterrichtens fand sich in der Reformpädagogik wieder. Sie traute den Lernenden eine größere „Eigentätigkeit in einem problem- und anwendungsorientierten Unterricht“ zu (ebd. S. 5). Die Schülerinnen sollten eigenständig Probleme entdecken, formulieren, strukturieren und rechnerisch bewältigen. Diese Ziele fanden Zuspruch in den neuen psychologischen Schulen. Demnach solle Lernen an Tätigkeiten des Individuums gebunden seien, da Begriffe nicht „auf Abdrücken von äußeren Reizen, sondern auf Verinnerlichungen tatsächlicher oder vorgestellter Handlungen“ basieren (ebd.).
Der Franzose Jean Piaget hat diese Sichtweise durch seine Arbeiten konkretisiert und empirisch begründet. Die Entwicklung von Intelligenz eines Individuums sei ein Prozess, „der in ständiger Wechselwirkung mit der Außenwelt zur Ausbildung immer komplexerer Schemata intelligenten Handelns und Denkens führt“ (ebd.). Piagets Auffassung von Lernen beeinflusst noch heute viele Bereiche der Lehr/Lernforschung und ist die „psychologisch-pädagogische“ Grundlage für den Konstruktivismus. Nach der Lehre des Konstruktivismus gebe es weder Erkenntnis noch Wissen in einem objektiven Sinne. Das Wissen sei vielmehr „subjektabhängig“, das vom denkenden Individuum aktiv konstruiert werden muss. Die Annahmen des Konstruktivismus führen zu einer neuen Interpretation des Lehrens und Lernens. Eine „direkte Übernahme, Verarbeitung oder Speicherung von Wissen“ sei utopisch. Einer Lehrkraft sei es nicht möglich, Lernende zur Übernahme „interner Strukturen“ zu zwingen. Als Lehrkraft könne man die Lernenden lediglich dazu motivieren. Jedoch müsse man für die Konstruktion dieser „kognitiven Strukturen“ sowohl die Anpassung an die Umwelt als auch die Tragfähigkeit von bereits individuell vorhandenem Vorwissen berücksichtigen.
Aus diesem neuen Verständnis von Lehren und Lernen ergeben sich Forderungen für die Konzipierung von Lerneinheiten. Man dürfe Lernumgebungen nicht so gestalten, dass ein Begriff möglichst gut „übertragen bzw. übermittelt“ wird, sondern sie so konzipieren, dass sie
- „unterschiedliche Wege und individuelle Lemstrategien eröffnen;
- Gelegenheiten zum Einbringen von intuitiven Vorwissen und Alltagswissen bieten;
- Möglichkeiten zur aktiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten bieten;
- Kommunikations- und Interaktionsprozesse unterstützen;
- auf Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation der Lernenden basieren“ (ebd. S. 6).
Die Forderungen an Lernumgebungen werden aus diesem Grund im Analysebogen aufgenommen. Mit den Überlegungen des Didaktikers Wittmann kann ein weiteres Argument für die neue Unterrichtskultur genannt werden. Die Komplexität von Lernprozessen mache eine „bis ins Detail getriebene Formalisierung oder eine kleinschrittige, genau kontrollierbare Folge von Lernanweisungen“ unmöglich. Bestünde eine Lehrkraft auf solch einen Unterricht, müsse sie die Komplexität drastisch reduzieren. Die Folge sei ein entarteter Unterricht, der sich auf Rezeptewissen beschränke und auf ganz bestimmte Aufgabentypen zugeschnitten sei (vgl. Wittmann 1989, S. 237). Wittmann fordere stattdessen einen lebendigen Mathematikunterricht, der „individuelle Lernprozesse, Aha-Erlebnisse, Vorgriffe, Sprünge, Brüche, Stillstände, Rückschläge“ ermögliche (vgl. Wittmann 1989, S. 235). Dies sei nur möglich, wenn Schülerinnen in komplexen Lernsituationen arbeiten und dabei eigenständig mathematische Erfahrungen erleben würden. Anstelle einer Reihe von Übungen schematischer Standardverfahren, sollten Lernbedingungen geschaffen werden, die auf die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Lernenden basieren und so die Schülerinnen herausfordern (vom Hofe 2001, S. 7).
Ähnlich sieht es der Didaktiker Heinrich Winter. Je mehr Schülerinnen dazu angeregt werden, eigene Erfahrungen zu machen und „der Fortschritt im Wissen, Können und Urteilen des Lernenden auf selbstständigen entdeckerischen Unternehmungen beruht“ (Winter 2016, S. 1), umso erfolgreicher sei das Lernen von Mathematik. Winter erinnert, dass entdeckendes Lernen ein Konstrukt sei, das den Lernenden verantwortlich für seine erfolgreiche Wissenssteigerung macht, da „Wissenserwerb und Erkenntnisfortschritt“ nicht von außen geschehe. Vielmehr trage der Lernende aktiv am Lernprozess bei, indem er sich auf sein Vorwissen berufe. Er relativiert allerdings die Aussage, da Schülerinnen Anregungen und Impulse von Lehrkräften benötigen würden. Ein solcher Unterricht benötige ein „planmäßiges, professionelles Angebot an Erfahrungs- und Übungsmöglichkeiten.“ Diese Form des entdeckenden Lernens nennt Winter „gelenktes Entdecken“ (vgl. ebd. S. 4).
Das nächste mathematikdidaktische Prinzip, das von dieser Arbeit vorgestellt wird, beruht ebenfalls Piagets auf Überlegungen und der daraus resultierenden Lehre des Konstruktivismus - das operative Prinzip.
Das operative Prinzip geht auf Jean Piagets Theorie der Operation (1969) zurück. Demnach entwickele sich die Intelligenz eines Menschen „etappen-, stufen- oder stadienweise“ in ständiger Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt. Das Denken bilde sich hierbei in „Form von flexiblen Systemen, Mustern oder ,kognitiven Schemata[4]“ (Weigand et al. 2018, S. 8) aus, welche von den Aktivitäten des Individuums gesteuert werden. Zentral sind hierbei die „Handlungen an konkreten Objekten“ (Krauthau- sen/Scherer 2003, S. 135), die zu einem späteren Zeitpunkt mit Handlungen an Bildern, Zeichen und Symbolen erweitert werden.
Jean Piaget erklärte: „Denken ist verinnerlichtes oder 'vorgestelltes Tun.“ Das Besondere an diesen verinnerlichten Operationen ist ihre Flexibilität, d.h., die Handlungen sind umkehrbar, zusammensetzbar sowie assoziativ, so dass das denkende Individuum auf unterschiedlichen Wegen ans Ziel gelangen kann. Das Ziel des operativen Prinzips ist die Ausbildung von Fähigkeiten, die durch eine „systematische Veränderung der beteiligten Objekte, der Ausgangssituation und der Lösungswege“ erreicht und so den Wissenserwerb unterstützen sollen (Weigand et al. 2018, S. 18).
Der Didaktiker Erich Christian Wittmann hält in einem Artikel die wichtigsten Punkte des operativen Prinzips fest. Demnach sei es typisch, dass das Subjekt durch seine Handlungen auf ein Objekt einwirke und seine Wirkungen auf dieses Objekt beobachte. Darüber hinaus könne eine bewusste Einwirkung vom Subjekt „antizipiert“ werden. Außerdem sei das Wissen des Individuums nicht vorgefertigt, sondern werde in „Wechselwirkung mit der Realität“ konstruiert (vgl. Wittmann 1985, S. 7).
Damit Lernende das Objekt erfassen können, müssen sie zunächst erforschen, wie dieses Objekte konstruiert ist und wie es sich verhält, wenn gewisse Handlungen auf dieses Objekt einwirken. Aus diesem Grund muss der Lernende im ,,Erkenntnisproze[ss] in systematischer Weise
- untersuchen, welche Operationen ausführbar und wie sie miteinander verknüpft sind;
- herausfinden, welche Eigenschaften und Beziehungen den Objekten durch Konstruktion aufgeprägt sind;
- beobachten, welche Wirkungen Operationen auf Eigenschaften und Beziehungen der Objekte haben (vgl. Wittmann 1985, S. 9).“
Ein klassische Frage, die das operative Prinzip darstellt, lautet: „Was passiert mit wenn ich ...?“
[...]
1 Malle 2004, S. 4.
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