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Bachelorarbeit, 2022
108 Seiten, Note: 1,7
II Abbildungsverzeichnis
III Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Hintergrund 2.1 Stresserleben 2.1.1 Definition von Stress 2.1.2 Stresstheorien 2.1.3 Stresserleben von Studierenden 2.2 Achtsamkeit 2.2.1 Historie der Achtsamkeit 2.2.2 Definition von Achtsamkeit 2.3 Achtsamkeitsbasierte Verfahren 2.3.1 Atemraum 2.3.2 Body-Scan 2.4 Selbstwirksamkeit 2.4.1 Definition der Selbstwirksamkeitserwartung 2.5 Aktueller Forschungsstand
3 Hypothesen
4 Methode 4.1 Studiendesign 4.2 Erhebungsinstrument 4.2.1 Methode zur Erfassung der Konstrukte 4.2.2 Gütekriterien der verwendeten Instrumente 4.3 Stichprobenkonstruktion 4.4 Durchführung 4.5 Statistische Auswertung
5 Ergebnisse 5.1 Stichprobenbeschreibung 5.2 Vergleich der beiden Messzeitpunkte 5.3 Hypothesenprüfende Datenauswertung
6 Diskussion und Ausblick 6.1 Interpretation der Untersuchungsergebnisse 6.2 Reflexion der Untersuchung 6.3 Implikation für die weitere Forschung 6.4 Implikation für die Praxis
7 Fazit.
V Literaturverzeichnis
VI Anhangsverzeichnis
Das Stresserleben von Studierenden nimmt in den vergangenen Jahren, ausgelöst durch verschiedene Faktoren, stetig zu. Die Verwendung einer Bewältigungsstrategie ist dementsprechend notwendig, um einen adäquaten Umgang mit Stress zu erlernen und dieses Stresserleben zu reduzieren. Achtsamkeitsbasierte Interventionen und eine damit einhergehende achtsame Haltung stellen eine mögliche Strategie dar. Die Etablierung der Achtsamkeit im Rahmen der Psychologie erfreut sich stetiger Anwendung und zeigt bereits interessante empirische Belege bezüglich des Zusammenhanges von Achtsamkeit und Stresserleben. Die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung ist in diesem Kontext bisher wenig erforscht.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, den Einfluss der Achtsamkeit auf das Stresserleben von Studierenden zu untersuchen und festzustellen, inwiefern die Selbstwirksamkeitserwartung diesbezüglich von Bedeutung ist. Infolgedessen wird, in Anlehnung an eine zuvor durchgeführte Studie von Büttner und Dlugosch (2013), eine deduktive Längsschnittstudie an einer Stichprobe vonN= 42 Studierenden durchgeführt. Mittels einer quantitativen Datenerhebung mit Messwiederholung wird der Zusammenhang der drei Konstrukte analysiert.
Die erhobenen Daten zeigen, dass die Teilnehmenden ein gewisses Maß an Stress erleben, welches unter anderem durch eine hohe zeitliche Belastung für den Besuch von Lehrveranstaltungen, veranstaltungsbegleitenden Aktivitäten und einer studienbegleitenden Erwerbstätigkeit negativ beeinflusst wird. Darüber hinaus zeigt sich, dass eine schlechte Leistung mit einem höheren Maß an Stresserleben einhergeht. Hinsichtlich des Zusammenhanges von Achtsamkeit und Selbstwirksamkeitserwartung ergibt die Untersuchung, dass diese beiden Konstrukte stark positiv miteinander korrelieren. Eine höhere Ausprägung der Selbstwirksamkeitserwartung geht dementsprechend mit einem höheren Maß an Achtsamkeit einher. Des Weiteren ließen sich leichte positive Zusammenhänge hinsichtlich der Ausprägung der Achtsamkeit und dem Stresserleben der Studierenden feststellen. Ein höheres Maß an Achtsamkeit scheint einen positiven Einfluss auf ein niedrigeres Stresserleben auszuüben. Das Korrelat einer höheren Selbstwirksamkeitserwartung und einem niedrigeren Stresserleben zeigt leichte Tendenzen bezüglich eines positiven Effekts. Auf Grundlage der vorliegenden Daten kann dieser Einfluss jedoch nicht eindeutig bestätigt werden.
Stress experienced by students has increased steadily in recent years, triggered by various factors. Therefore, the use of a coping strategy is necessary to reduce and to learn how to adequately deal with the experienced stress. One such strategy centers around mindfulness as the base for interventions and the general attitude. Mindfulness as a research topic in psychology has aroused increasing interest recently and shows intriguing empirical evidence regarding the correlation between mindfulness and experienced stress. There has been little to none research on the importance of self-efficacy in this context to date.
The aim of this thesis is to examine the influence of mindfulness on the experienced stress of students and to determine the effect of self-efficacy. For this purpose, based on a previous study done by Büttner and Dlugosch (2013), a deductive longitudinal study is carried out on a sample ofN= 42 students. A quantitative data collection with repeated measurements is used to analyze the correlation between the three constructs.
The collected data shows that the participants experience a certain level of stress, which is partially negatively influenced by a high expenditure of time spent on attending courses, course related activities and employment. Moreover, the study indicates that poor performance is associated with higher levels of stress. Regarding the relation between mindfulness and self-efficacy, it shows that these two constructs correlate strongly and positive with one another. Therefore, a higher degree of self-efficacy is accompanied with a higher degree of mindfulness. There were also slight tendencies regarding the degree of mindfulness and stress experienced by the students. A higher level of mindfulness seems to have a certain positive influence on a lower level of stress. The correlate between a higher self-efficacy and a lower experience of stress shows slight tendencies towards a positive effect. However, based on the available data, the influence cannot be clearly confirmed.
Abbildung 1: Faktoren, die den Aufbau von Selbstwirksamkeitserwartungen unterschiedlich stark beeinflussen
Tabelle 1: Reliabilitäten der Skalen anhand von Cronbachs Alpha
Tabelle 2: Spearman-Korrelation der Achtsamkeit und SWE
„Es scheint kaum ein Problem zu geben, zu dessen Lösung Achtsamkeit nicht beitragen kann wissenschaftlich fundiert“ (Schindler, 2020, S. 112).
Heutzutage sind unzählige Achtsamkeits-Ratgeber, die vielfältige positive Folgen achtsamkeitsbasierter Übungen versprechen, vorzufinden. Eine achtsame Haltung verhelfe unter anderem zu mehr Ruhe und Entspannung, einer tieferen Bedeutung des Alltags, einem höheren Maß an Selbstvertrauen und einer geringeren Anfälligkeit für Stress (Schindler, 2020; Utsch et al., 2018). Achtsamkeit ist zu einer Art Modeerscheinung geworden (Chang-Gusko et al., 2019). Laut Schindler (2020) führt eine „Google“-Suche zum Thema Achtsamkeit zu mehr als 150.000 Ergebnissen und zum Begriff „mindfulness“ zu mehr als 16 Millionen Ergebnissen. Eine Suche bezüglich Achtsamkeit in der Rubrik der Ratgeber über das Buchhandelsund Serviceunternehmen „Thalia“ ergab in etwa 700 Treffer. Allein in den letzten drei Jahren sind mehr als 150 dieser Bücher, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels, jährlich erschienen. Der achtsamkeitsbasierte Trend ist jedoch nicht nur im alltäglichen Leben zu beobachten. Sowohl in der Psychotherapie, der therapeutischen Weiterbildung sowie im Coaching-Bereich sind achtsamkeitsbasierte Verfahren zunehmend gefragter (Utsch et al., 2018). Doch woher stammt dieser Achtsamkeitstrend?
Die gegenwärtige Zeit ist durch eine schnelllebige und eine damit einhergehende stressige Umwelt gekennzeichnet. Unteranderem stellen neuzeitliche Phänomene, wie die zunehmende Globalisierung, Kapitalisierung, Beschleunigung und Individualisierung, Personen vor damit verbundene Anforderungen. Diese werden zunehmend als inhuman erlebt. Dies hat zur Folge, dass Individuen ausdrücklich nach Ruhe, Entspannung und Entschleunigung streben (Schmidt, 2014). Insbesondere Studierende leiden in den vergangenen Jahren, verursacht durch verschiedene Faktoren, unter den schwierigen Bedingungen ihres Studiums. Zum einen führte die Umsetzung der „Bologna-Reform“ im Jahr 1999 zu umfassenden Änderungen in den Studienmodulen, den Prüfungsordnungen sowie der Dauer des Studiums. Zum anderen haben sich die Bedingungen in den vergangenen Jahrzehnten in Form von Umfang und Struktur der Erwerbstätigkeit der Studierenden und den quantitativen sowie qualitativen Anforderungen auf Seiten des Studiums geändert (Bacher & Wetzelhütter, 2014). Die genannten Aspekte bringen enorm zunehmende Anforderungen an die Studierenden mit sich, welche in einem ansteigenden Stresserleben der Studierenden resultieren (Bauer & Seppelfricke, 2020). Im Rahmen einer Online-Befragung der „Freien Universität Berlin“, dem „Deutschen Zentrum für Hochschulund Wissenschaftsforschung“ sowie der „Techniker Krankenkasse“ aus dem Jahr 2017 wurden Studierende zu diesem Themas befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass 25 % der befragten Personen von ausgeprägter Erschöpfung, welche zugleich in Initialsymptom von Burnout darstellt, berichteten (Gusy et al., 2018).
Dementsprechend wächst das Verlangen nach einer Bewältigungsstrategie, welche einen adäquaten Umgang mit Stress und eine Reduktion des Stresserlebens ermöglichen kann. Die Durchführung von achtsamkeitsbasierten Interventionen stellt in dieser Hinsicht eine mögliche Strategie dar (Büttner & Dlugosch, 2013). Diese aus dem Buddhismus stammende Praxis wird als psychologischer Prozess verstanden, in dem der gegenwärtige Moment sowie die gegenwärtigen Empfindungen des Individuums beobachtet und wertfrei angenommen werden (Chang-Gusko et al., 2019). Nach buddhistischer Philosophie führen Akzeptanz und eine wertfreie, bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit zu einer Erlösung von körperlichem und seelischem Leiden (Heidenreich & Michalak). Studien zu Folge kann durch die Ausführung von achtsamkeitsbasierten Interventionen und einer nachhaltigen achtsamen Einstellung, dass Stresserleben minimiert werden (Meibert et al., 2006). Darüber hinaus stellt die Selbstwirksamkeitserwartung des Individuums diesbezüglich einen möglichen Faktor dar. Sie wird als die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, ein bestimmtes Verhalten innerhalb neuer oder anspruchsvoller Anforderungssituationen ausführen zu können, verstanden (Knoll et al., 2017, Schwarzer, 2004). Die achtsamkeitsbasierten Interventionen haben das Ziel die Selbstwirksamkeitserwartung zu steigern und das Stresserleben zu verringern (Meibert et al., 2006; Schwerdtfeger et al. 2008). Die Studienlage bezüglich dieses Zusammenhanges ist bisher jedoch nicht besonders ausgereift.
Vor diesem Hintergrund ist das Ziel dieser Bachelorarbeit, den Einfluss der Achtsamkeit auf das Stresserleben von Studierenden zu untersuchen. Darüber hinaus soll festgestellt werden, inwiefern die Selbstwirksamkeitserwartung in diesem Rahmen von Bedeutung ist. Dazu wird eine Studie von Büttner & Dlugosch (2013) repliziert und erweitert.
Im Verlauf dieser Arbeit werden zunächst Theorien, Definitionen sowie der aktuelle Forschungsstand der Konstrukte Stresserleben, Achtsamkeit und Selbstwirksamkeitserwartung im Rahmen des theoretischen Hintergrundes beleuchtet. Darauf aufbauend werden die konkrete Fragestellung sowie die abgeleiteten Hypothesen definiert. Für einen transparenten und verständlichen Ablauf dieses Projekts, wird zudem das methodische Vorgehen erläutert. Darüber hinaus werden die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit vorgestellt und diskutiert, um abschließend einen Ausblick für mögliche weitere Forschung und praktische Maßnahmen darzustellen.
Das folgende Kapitel dient dem Verständnis der studienrelevanten Konstrukte und der Durchführung der empirischen Forschung. Aus diesem Grund folgen zunächst die theoretischen Grundlagen des Stresserlebens, der Achtsamkeit, den dazugehörigen achtsamkeitsbasierten Verfahren und der Selbstwirksamkeit. Eingangs wird das Konstrukt des Stresses definiert, die damit einhergehenden Stresstheorien erläutert und das Stresserleben von Studierenden dargestellt. Daraufhin folgt die Darstellung des Ursprungs und die Definition der Achtsamkeit sowie die Erläuterung der damit einhergehenden achtsamkeitsbasierten Verfahren. Folgend wird der Begriff der Selbstwirksamkeit beziehungsweise Selbstwirksamkeitserwartung definiert. Auf dieser Grundlage erfolgt abschließend eine Übersicht über den aktuellen Forschungsstand der genannten Konstrukte.
In den vergangenen Jahren steigt das Stresserleben in Deutschland stetig an. Im Rahmen einer Studie zu diesem Thema der „Techniker Krankenkasse“ gaben 87 % der häufig gestressten Personen an, dass ihre individuelle Stressbelastung kontinuierlich zunimmt. Darüber hinaus zeigt die Befragung, dass 30 % der Proband:innen der Altersgruppe von 40 bis 59 Jahren bereits Stress erlebt haben, der so stark oder langanhaltend war, dass sie ihn nicht mehr selbstständig bewältigen konnten (Wohlers & Hombrecher, 2016). Jedoch sind Personen nicht ausschließlich im Alltag betroffen, insbesondere das Stresserleben von Studierenden nimmt stetig zu. Im Jahr 2010 stellte das „Deutsche Studentenwerk“ fest, dass annähernd 26.000 Studierende die Hilfe einer psychologischen Beratungsstelle in Anspruch nahmen. Dies verzeichnet einen Anstieg von 14 % gegenüber dem Vorjahr (Deutsches Studentenwerk, 2011). Ergebnisse des „Arztreports“ der Krankenkasse „BARMER“ aus dem Jahr 2018 zeigen zudem, dass bei jede:r sechste Studierende eine psychische Störung diagnostiziert wurde (Grobe et al., 2018).
Im Verlauf dieses Kapitels wird zunächst der Begriff Stress definiert und die verschiedenen Stresstheorien dargestellt, um anschließend das Stresserleben von Studierenden konkreter zu beleuchten.
Im alltäglichen Gebrauch wird unter Stress meistens eine psychosoziale Belastung verstanden. Oftmals wird der Begriff im Zusammenhang mit Situationen verwendet, die „Störungen, Irritationen und Angst hervorrufen und zu einer Beeinträchtigung des psychischen oder physischen Wohlbefindens beitragen“ (Plaumann et al., 2006, S. 3). Im 17. Jahrhundert wurde der Begriff Stress von dem Physiker Robert Hooke geprägt. Ursprünglich war damit „die Kraft innerhalb eines Festkörpers, die von einer externen Kraft (load) hervorgerufen wird“ (Laux 1983, zitiert nach Faltermaier, 2005, S. 74) gemeint. Im Kontext der naturwissenschaftlichen Beschreibung des Stresszustandes leitet sich der Begriff Stress vom lateinischen Wort „stringere“ ab. Dies bedeutet so viel wie „verengen“, in Anspielung auf körperliche Symptome in einer Notsituation. In der englischen Sprache bedeutet „stress“ übersetzt „Beanspruchung“, „Spannung“ und „Druck“. Somit bezieht sich der Begriff sowohl auf eine physikalische Wirkung als auch auf eine Wirkung auf das Wohlbefinden des Menschen. Beide Herleitungen sind durch äußere Reize gekennzeichnet, die eine innere Verformung und Verarbeitung des Individuums zur Folge haben (Wippert & Beckmann, 2009).
Im psychologischen Kontext liegt keine eindeutige Definition für Stress vor. Laut Schwarzer (2004) existieren drei prägnante Perspektiven. Stress kann entweder als schädigender Umweltreiz, als eine Belastung für das Individuum oder als transaktionales Ereignis verstanden werden. Diese belastenden Umweltreize werden als Stressoren bezeichnet, welche sich unter anderem in chemische, physikalische, seelische/psychische und soziale Stressoren einteilen lassen. Zu den chemischen Stressoren zählen Drogen und Chemikalien und zu den physikalischen Stressoren Hitze, Kälte sowie Lärm. Versagensängste, Zeitdruck oder auch Leistungsüberbzw. Unterforderung werden unter den seelischen/psychischen Stressoren zusammengefasst. Konflikte, Meinungsverschiedenheiten, Gruppendruck und Rivalitäten werden hingegen als sozialen Stressoren kategorisiert (Wippert & Beckmann, 2009). Über diese Einteilung hinaus wird ebenfalls zwischen primären und sekundären Stressoren unterschieden. Primäre Stressoren stellen hierbei die Originalstressoren dar, welche anfänglich unmittelbar auf das Individuum einwirken, während unter sekundären Stressoren die Folgen eines primären Stressors verstanden werden (Pearlin, 1999). Des Weiteren können Stressoren sowohl personal als auch kontextual bedingt sein. Dabei wird zwischen organisationsbedingten Stressoren (bürokratische Strukturen), rollenbedingten Stressoren (Rollenkonflikte) und personenbedingten Stressoren (Unsicherheiten) unterschieden. Zusätzlich spielen die Reizdauer und -intensität eine Rolle. Stressoren die häufig auftreten und/oder eine lange Einwirkzeit haben, werden als chronischer Stress, vielmehr daily hassles,bezeichnet. Demgegenüber werden Stressoren, welche selten auftreten und/oder eine kurze Einwirkzeit haben, akuter Stress oder kritische Lebensereignisse genannt. Ein solcher Stressor kann negativ, dazu zählt unter anderem Kälte, oder entbehrt positiv, beispielsweise auf Grund von Schlafmangel, auftreten. Nimmt das Individuum diesen Reiz nun wahr, ordnet es ihn entweder als Herausforderung, Eustress genannt oder als Überforderung, Distress genannt, ein (Wippert & Beckmann, 2009). Unter Eustress wird ein anregender und leistungssteigender Zustand verstanden, welcher mit positiven Gefühlen wie Freude, Stolz und Befriedigung einhergeht. Distress dagegen ist ein Zustand, in dem das Individuum körperliche Anforderungen nicht adäquat bewältigen kann (T. Weigl, persönliche Kommunikation, 20. Mai 2021). Stress entsteht im Allgemeinen durch Eintreten eines individuellen biopsychosozialen Bewertungsprozesses. Psycholog:innen unterscheiden diesbezüglich nicht ausschließlich zwischen verschiedenen Stressoren, sondern darüber hinaus zwischen verschiedenen Stressarten (Wippert & Beckmann, 2009). Der Psychologe Richard Lazarus differenziert unter anderem zwischen vier verschiedenen Arten von Stress. Hierzu zählen existenzieller, struktureller, konstitutioneller und funktioneller Stress. Existenzieller Stress geht mit einem Schock oder einer Sinnkrise einher, während struktureller Stress beispielsweise im Zusammenhang mit einer Weltkrise auftritt. Konstitutioneller Stress tritt mit einer Anpassungsoder Widerstandskrise und funktioneller Stress beispielsweise mit Lampenfieber auf (Wippert & Beckmann, 2009). Aufgrund der fehlenden eindeutigen Definition von Stress, werden im Folgenden drei Stresstheorien vorgestellt, die Stress aus verschiedenen Sichtweisen heraus betrachten.
Im wissenschaftlich-medizinischen Kontext wurde der Begriff Stress zum ersten Mal im Jahr 1944, im Index der „Psychological Abstracts“ verwendet. Der Mediziner, Biochemiker und Hormonforscher Hans Selye war einer der ersten Stressforscher in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts und führte den Begriff im Titel seiner Monografie im Jahr 1950 ein. Sechs Jahre später, im Jahr 1956, veröffentlichte er eines der bekanntesten Stressmodelle, das „Generelle Adaptationssyndrom (GAS)“. Dieses Modell ist biologisch orientiert und gilt als reaktionsorientierter Erklärungsansatz für das Auftreten von Stress (Krämer & Kawohl, 2018). Selye geht in diesem Modell von Stress als Output aus. Er ist demnach eine Reaktion des Organismus auf eine mehr oder weniger komplexe Situation. Die Stressreaktion dieses Modells ist in drei Phasen eingeteilt: die Alarmreaktion, die Widerstandsphase und die Erschöpfungsphase. Innerhalb der ersten Phase setzt sich das Individuum einer Situation aus, an die es nicht angepasst ist. Infolgedessen steigt die Herzschlagfrequenz und der Blutdruck, während der Muskeltonus und die Körpertemperatur sinken (Krämer & Kawohl, 2018). Des Weiteren kommt es währenddessen zur vermehrten Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol (Heuft, 2020; Kauffeld, 2011). In der Widerstandsphase leistet das Individuum den Stressoren gegenüber Widerstand. Die zuvor ausgeschütteten Hormone werden wieder abgebaut und der Körper erholt sich (Krämer & Kawohl, 2018; Kauffeld, 2011). Der Zuckerstoffwechsel wird innerhalb dieser Phase erhöht und die Empfindlichkeit der Gefäßmuskulatur gesteigert, während die Schilddrüsenund Sexualfunktionen gedämpft werden. Die Reaktionsmöglichkeiten gegenüber anderen Stressoren sind eingeschränkt (Heuft, 2020). Dauert die Belastung zu lange an und gelingt es dem Individuum nicht sich den Stressoren zu widersetzen „kommt es in der Erschöpfungsphase zur Funktionseinbuße wichtiger physiologischer Funktionen wie Immunabwehr, Wachstum und Reproduktion mit ... organischen Veränderungen“ (Heuft, 2020, S. 1824). Somit können sich mittelbis langfristig schwerwiegende gesundheitliche Probleme entwickeln. Bereits im alten Griechenland erkannten die Menschen, unter anderem Hippokrates und Epikur, dass die Psyche einen Einfluss auf den Körper und somit auf die Entstehung von Krankheiten hat (Brinkmann, 2014). Laut Litzcke und Schuh (2007) ähneln die körperlichen Anzeichen dieser Phase denen eines Burnouts. Hierzu gehören unter anderem physische Symptome, wie chronisch erhöhter Blutdruck oder psychische Symptome, wie Erschöpfungszustände und Depressionen (Bauer & Seppelfricke, 2020). Nach Selye ist der Zustand eines Individuums jederzeit von der Einwirkung verschiedener Stressoren, an die es sich anpassen muss, abhängig. Jedoch bedeutet die Anpassung an einen Stressor gleichzeitig, die Beeinträchtigung der Anpassung an einen anderen Stressor (Heuft, 2020). In der Gesundheitspsychologie ist diese Sichtweise, „die die physiologische Belastungsreaktion in den Mittelpunkt stellt“ (Schwarzer, 2004, S. 153), allerdings heutzutage kaum noch von Bedeutung.
Neben der reaktionsorientierten Sichtweise, werden unter der stimulusorientierten Sichtweise weitere Stresstheorien zusammengefasst. Im Fokus dieser Theorien steht nicht die Reaktion als solche, sondern der Reiz selbst (Knoll et al., 2017). Dieser entsteht durch jegliche äußere Faktoren, die von dem Individuum wahrgenommen werden. Zu diesen zählen „objektive Herausforderungen oder Stimuli, die Gefahr, Schaden bzw. eine Bedrohung signalisieren“ (Brinkmann, 2014, S. 187). Im Rahmen dieser Theorien, werden innere sowie äußere aversive Reize, die für das Individuum unangenehm sind, als Stressoren bezeichnet. Diese werden in physische und psychogene Stressoren unterschieden. Wie im Vorfeld bereits erwähnt, können Hitze und Kälte in Form eines Stressors auftreten. Sie zählen, wie Verletzungen oder körperliche Anstrengungen, zu den physischen Stressoren. Psychogene Stressoren sind entweder vorgestellte oder tatsächlich erlebte Situationen, die die Psyche des Individuums belasten (Brinkmann, 2014). Bei den Modellen der stimulusorientierten Stresstheorien werden Listen kritischer Situationsreize zusammengestellt, um sie anschließend anhand der Stärke des impliziten Bewältigungsaufwands zu ordnen. Eine der bekanntesten stimulusorientierten Theorien ist die der „kritischen Lebensereignisse“von Holmes und Rahe aus dem Jahre 1967. Sie nahmen an, dass die bloßen Veränderungen des Lebens, durch externale Auslöser stimuliert, für Individuen zur Belastung werden und im schlimmsten Fall die Entstehung von Krankheiten zur Folge hat (Knoll et al., 2017). Die Belastungen werden kritische Lebensereignisse genannt, bei denen es zunächst unerheblich ist, ob diese von dem Individuum positiv oder negativ bewertet werden. Bedeutsamer ist das Ausmaß an Veränderungen für das Leben des Individuums, soziale Reorientierung genannt (Knoll et al., 2017; Schwarzer, 2004).
Die „kognitiv-transaktionale Stresstheorie“ von Lazarus ist seit den 1960er Jahren die einflussreichste und meistzitierte Stresstheorie der Psychologie. Dieser liegt eine komplexe Wechselwirkung der Situation, als Situationsfaktoren oder -komponenten bekannt und der Person, personenbedingte Faktoren genannt, zugrunde. Im Fokus sind hierbei kognitive Prozesse sowie die Stressbewältigung. Dieses Modell verdeutlicht die Individualität des Entstehungsprozesses von Stress und die persönliche Bewertung der Situation (Bauer & Seppelfricke, 2020; Schwarzer, 2004). Am Anfang jeder Stressepisode stehen kognitive Bewertungen, Primärbewertungen genannt. Stress beruht dementsprechend auf der Einschätzung des Individuums, dass die Person-Umwelt-Beziehung entweder herausfordernd, bedrohlich oder schädigend ist (Knoll et al., 2017; Schwarzer, 2004). Diesbezüglich werden Situationen anhand verschiedener Aspekte, „die die Vorhersagbarkeit, Kontrollierbarkeit und zeitliche Erstreckung der Reizgegebenheit betreffen“ (Knoll et al., 2017, S. 95), bewertet. Während der Primärbewertung findet zeitgleich die Sekundärbewertung statt. Hierbei werden die Bewältigungsmöglichkeiten des Individuums, so genannte persönliche Ressourcen, in Betracht gezogen. Mäßig stabile Einflussfaktoren sind unter anderem persönliche Motive, Ziele und Wertvorstellungen. Eine der wichtigsten Ressourcen stellt die Selbstwirksamkeitserwartung eines Individuum „ihre Überzeugung, spezifische Anforderungen durch eigenes kompetentes Handeln unter Kontrolle zu bringen“ (Schwarzer, 2004, S. 154) dar. Auf diese Ressource wird im späteren Verlauf des theoretischen Hintergrunds ausführlicher eingegangen. Ein Mangel an persönlichen Ressourcen bedeutet, dass das Individuum eine stressreiche Situation nicht effektiv bewältigen kann. Es ist wichtig zu betonen, dass die implizierte Reihenfolge der kognitiven Bewertung keinesfalls gegeben sein muss. Beide Bewertungsvorgänge laufen laut Lazarus vorwiegend parallel zueinander und keinesfalls unabhängig voneinander ab (Knoll et al., 2017). Wie die Situation von dem Individuum bewertet wird, „hängt maßgeblich davon ab, wie sehr eine Person glaubt, Kontrolle über eine Situation ausüben zu können“ (Knoll et al., 2017, S. 97). Das Ergebnis der Primärbewertung kann in unterschiedlichen Formen subjektiv wahrgenommener v Stressepisoden eingeteilt werden. Diese lauten Herausforderung, Bedrohung, Schaden oder Verlust, oder Gewinn beziehungsweise Gleichgültigkeit. Herausforderungen und Bedrohungen beziehen sich auf zukünftige Ereignisse, beispielsweise eine bevorstehende Prüfung, während Schaden und Verlust die Folge eines bereits eingetretenen Ereignisses, wie eine misslungene Prüfung, sind. Je nachdem wie die Situation von dem Individuum bewertet wird, folgen unterschiedliche Emotionen und Bewältigungsversuche. Bei einer Bedrohungsbewertung entsteht beispielsweise Angst oder Furcht. Eine Herausforderungsbewertung führt zunächst nicht zu einer Angstreaktion, da die Erwartung eines möglichen Gewinns noch an ihr haftet. Bei einem bereits eingetretenen Schaden oder Verlust entsteht Traurigkeit (Knoll et al., 2017; Schwarzer, 2004). Aus der Einschätzung des Individuums resultieren unterschiedliche Bewältigungsformen, das sogenannte Coping (Knoll et al., 2017). In diesem Rahmen aktiviert das Individuum zur Verfügung stehende Strategien, „um der antizipierten Bedrohung zu entgehen, den eingetretenen Schaden/Verlust zu überwinden bzw. die Herausforderungen zu meistern“ (Wippert & Beckmann, 2009, S. 156). Lazarus unterscheidet diesbezüglich zwischen einer problemorientierten und einer emotionsorientierten Form des Copings. Die problemorientierte Strategie zielt auf das Lösen des eigentlichen Problems ab, während bei der emotionsorientierten Strategie die Linderung der Belastungssymptome im Vordergrund steht. Die Bewältigungsversuche können beispielsweise zu einer Änderung der Gefühlslage oder zur Überwindung der eigentlichen Stresssituation führen. Allerdings ist ebenfalls mit langfristigen Konsequenzen, wie seelischem oder körperlichem Missbefinden zu rechnen (Schwarzer, 2004). Im psychologischen Kontext hat sich die „kognitiv-transaktionale Stresstheorie“ von Lazarus weitestgehend durchgesetzt. Sie gilt als Grundlage des Stressverständnisses dieser Arbeit.
Im Jahr 1998 schaffte Deutschland gemeinsam mit Frankreich, Italien und Großbritannien die Grundlage für eine einheitliche europäische Hochschulbildung. Ein Jahr später schlossen sich weitere 30 Staaten diesem Konzept an und die „Bologna-Erklärung“ wurde verabschiedet (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2021). Die Bildungsminister:innen der „Europäischen Union“ erhofften sich im Zuge dessen unter anderem Verbesserungen im Bereich der Mobilität von Studierenden und Lehrenden sowie die Flexibilisierung von Studiengängen. Außerdem ermöglicht die Erklärung die Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme mit einem gemeinsamen Leistungspunktesystem durch die Einführung des Bachelorund Mastersystems. Diese Abkehr vom deutschen Diplomund Magisterstudium führte zu umfassenden Änderungen in den Studienmodulen, den Prüfungsordnungen sowie der Dauer des Studiums, welche enorm ansteigende Anforderungen an die Studierenden zur Folge hatte (Bauer & Seppelfricke, 2020). Während die Regelstudienzeit eines Diplomund Magisterstudiums vier bis fünf Jahre beträgt, dauert diese bei einem Bachelorstudium in der Regel drei und bei einem folgenden Masterstudium zwei Jahre (Süddeutsche Zeitung, 2017). Die verkürzte Studiendauer bedeutet insbesondere für Bachelor-Studierende überfüllte Stundenpläne, eine dichte Abfolge von Prüfungen und eine mangelnde Flexibilität in der Studiengestaltung (Bauer & Seppelfricke, 2020). Häufig spiegelt sich dies in schlechten Leistungen wider, welche sich wiederum auf das Stresserleben der Studierenden auswirken können. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Leistungen schlechter ausfallen als erwartet (Büttner & Dlugosch, 2013). Eine Studie von Krings et al. (2018) zeigt zudem, dass Studierende, die mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten, eine schlechtere Abschlussnote, meist um 0,2 Notenpunkte, im Vergleich zu anderen Studierenden haben. Darüber hinaus berichten unter anderem 14 % der Studierenden in einer Befragung des „Deutschen Zentrums für Hochschulund Wissenschaftsforschung“ und des „Bundesministeriums für Gesundheit“, dass sie schon einmal leistungssteigernde Substanzen eingenommen haben, um den Anforderungen ihres Studiums gerecht zu werden (Middendorff et al., 2015). Obgleich hiermit grundsätzlich frei erhältliche Substanzen gemeint sind, welche „sich teilweise deutlich vom nicht bestimmungsgemäßen Medikamentengebrauch oder dem Konsum illegaler Drogen [abgrenzen]. . Gesundheitlich bedenkliche Nebenwirkungen sind allerdings auch bei frei verkäuflichen Substanzen selbstverständlich nicht ausgeschlossen.“ (Middendorff et al., 2015, S. 11).
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Bedingungen in Form von Umfang und Struktur der Erwerbstätigkeit und den quantitativen sowie qualitativen Anforderungen auf Seiten des Studiums geändert (Bacher & Wetzelhütter, 2014). Inzwischen sind zwei von drei Studierenden neben ihrem Studium erwerbstätig und arbeiten in einer repräsentativen Semesterwoche im Durschnitt 13 Stunden (Middendorff et al., 2013; Middendorff et al., 2017). Middendorff et al. (2013) fanden im Rahmen einer bundesweiten Befragung von Studierenden in Deutschland, der „20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks“, heraus, dass eine in Nebenerwerbstätigkeit verbrachte Arbeitsstunde in etwa mit einer halben Stunde weniger Zeit für das Studium zusammenhängt. Eine Umfrage von Bacher und Wetzelhütter (2014), die an der „Johannes-Kepler-Universität Linz“ durchgeführt wurde, zeigt, dass etwa 70 % der erwerbstätigen Studierenden Schwierigkeiten haben, ihr Berufsund Privatleben zu vereinbaren. Zusätzlich erleben rund 40 % der Teilnehmenden Problematiken auf Grund der Studienbedingungen. Sie kamen zu dem Schluss, dass diese Konflikte signifikant mit Abbruchsabsichten der Studierenden korrelieren. Darüber hinaus erkannten sie, dass die Schwierigkeiten mit den Studienbedingungen und die Vereinbarkeitsprobleme mit dem Erwerbsausmaß zunehmen. Es ist deutlich zu erkennen, dass Studierende heutzutage unter einer Vielzahl von Aspekten leiden. Diesbezüglich kann eine entsprechende Bewältigungsstrategie den Umgang mit Stress erleichtern und das Stresserleben reduzieren. Eine mögliche Strategie wird im Folgenden eingehender beleuchtet.
Meditation ist keine Droge, die uns unsere konkreten Probleme vergessen lässt. Wenn wir unseren eigenen Geist und unser eigenes Leben intensiv betrachten, können wir allmählich erkennen, was wir tun und was wir lassen müssen, um in uns selbst und in der Gesellschaft wirklichen Frieden herbeizuführen. (Thich Nhat Hanh, 2001 zitiert nach Meibert et al., 2006, S. 276)
Der Einfluss von Achtsamkeit hat insbesondere in den vergangenen 20 Jahren im Bereich der psychologischen Forschung zugenommen. Insbesondere in den Bereichen der klinischen Psychologie, Persönlichkeitspsychologie sowie der Gesundheitspsychologie erhält das Konzept zunehmende Aufmerksamkeit (Hart & Ivtzan, 2013). Die Ergebnisse verschiedener Studien zeigen zahlreiche positive Effekte von achtsamkeitsbasierten Interventionen auf (Schindler, 2020). Wie im Vorfeld bereits verdeutlicht nimmt das Stresserleben von Studierenden stetig zu und das Konzept der Achtsamkeit stellt diesbezüglich eine mögliche Bewältigungsstrategie dar (Büttner & Dlugosch, 2013). Im folgenden Kapitel wird zunächst die Historie der Achtsamkeit dargestellt, um anschließend das Konstrukt zu definieren.
Die Entwicklung der Achtsamkeit kann in fünf Phasen eingeteilt werden. Seinen Ursprung findet das Konzept der Achtsamkeit, mit einer 2.500 Jahre alten Tradition, im Buddhismus. Achtsamkeit bezeichnet in diesem Fall eine konkrete Art der Aufmerksamkeit und ist auf die Erfahrungen des momentanen Augenblicks bezogen. Diese Erfahrungen sollen weder bewertet werden, noch soll versucht werden sich mit ihnen zu identifizieren (Tammena & Iwers-Stelljes, 2014). Innerhalb des Buddhismus gibt es verschiedene, komplexe Strömungen und Schulen. Beispielsweise hat sich in Südostasien und Sri Lanka der „Theravada“ ausgebreitet und in China der „Zen“ beziehungsweise „Chan“. Der tibetische Buddhismus reicht von „Mahayana“ bis zum tantrischen „Vayrayana“. Diese Strömungen betrachten Achtsamkeit auf unterschiedliche Art und Weise (Heidenreich & Michalak, 2004). Das Konstrukt wird zum einen als eine Eigenschaft, die es zu entwickeln und zu verbessern gilt und zum anderen „als ein Aspekt der uns innewohnenden Natur des Geistes“ (Heidenreich & Michalak, 2004, S. 27) verstanden. In den ältesten Schriften des Buddhismus ist die Rede von „sati“. Dies ist eine sinngemäße Übersetzung für Achtsamkeit in der Sprache Päli (Heidenreich & Michalak, 2004).
Pali ist eine frühe Form des Mittelindoarischen. Es wird vermutet, dass die Lehre Buddhas in dieser Sprache zum ersten Mal niedergeschrieben wurde (Bechert & Gombrich, 2000). „Sati“, ist wie anfangs beschrieben, eine Art der Aufmerksamkeit des gegenwärtigen Momentes ohne Bewertung und Verurteilung. Die Lehre des Buddha besagt, dass Achtsamkeit sowohl der Weg als auch das Ziel ist. Die Reden und Taten des Buddhas wurden in drei sogenannten Körben von seinen Jüngern niedergeschrieben. Diese lauten „Vinaya Pitaka“, „Sutta Pitaka“ und „Abidhamma Pitaka“.Das „Sutta Pitaka“ ist in verschiedene Sammlungen, die „Nikaya“eingeteilt. In der mittleren Sammlung dieser Lehrrede ist die „Rede von den Grundlagen der Achtsamkeit“, der „Satipatthana Sutta“, dargestellt. Diese Rede des Buddhas ist für viele buddhistische Strömungen die Grundlage ihrer Praktiken. Achtsamkeit wird hier in vier Trainingsund Beobachtungsbereiche eingeteilt: der Körper, genannt kaya, die Empfindungen, als vedana bekannt, der Geist, genannt cita und die Geistesobjekte, als dhamma bekannt (Tammena & Iwers-Stelljes, 2014). Der Körper stellt in diesem Rahmen die erste Grundlage der Achtsamkeit dar. Im Fokus sind hierbei Methoden des bewussten Einund Ausatmens, anapanna sati genannt, und die Körperhaltung sowie Körpertätigkeiten. Diese Faktoren bilden die Grundlage der Empfindungen und Geisteszustände. Die bewusste Wahrnehmung der Einund Ausatmung wird bevorzugt zur Einführung in die Achtsamkeitspraxis eingesetzt und wird im Verlauf der Praxis durchgehend gelehrt. Die zweite Grundlage der Achtsamkeit bilden die Empfindungen, welche als Gefühlsqualität oder -färbung bezeichnet werden können (Tammena & Iwers-Stelljes, 2014). Eine direkte Übersetzung von vedana gibt es in den westlichen Ländern nicht (Heidenreich & Michalak, 2004). Hiermit sind jegliche angenehme, unangenehme und neutrale physische oder psychische Empfindungen gemeint (Nyanaponika, 1993). Im Fokus ist hierbei die neutrale, nicht bewertende und nicht verurteilende Wahrnehmung dieser Zustände. Die dritte Grundlage der Achtsamkeit beinhaltet den Geist (Tammena & Iwers-Stelljes, 2014). Der Begriff citta beschreibt diesbezüglich den gegenwärtigen psychischen und geistigen Zustand eines Individuums (Nyanaponika, 1993). Hiermit sind kognitive und geistig-intellektuelle Zustände sowie Emotionen, Gefühle und Stimmungen gemeint. Wie in der zweiten Grundlage der Achtsamkeit ist hier die wertfreie Wahrnehmung des Zustands von großer Bedeutung. Die vierte Grundlage der Achtsamkeit bezieht sich auf die Geistesobjekte (Heidenreich & Michalak, 2004). Dieser Bereich ist sehr komplex, da er „grundlegende Inhalte der Lehre miteinschließt, wie z.B. die auf die Vier Edlen Wahrheiten gerichtete Achtsamkeit“ (Heidenreich & Michalak, 2004, S. 34). Meditationsarten, die auf diesen vier Grundlagen basieren werden als „Vipassana“ bezeichnet. Dies bedeutet übersetzt „Einsicht“, welche das höchste Ziel der buddhistischen Achtsamkeit ist (Hart & Bartsch, 2015).
Achtsamkeitsbasierte Konzepte lassen sich jedoch nicht ausschließlich innerhalb des Buddhismus finden, sondern beispielsweise ebenfalls in der christlichen Mystik, welche die zweite Phase der Achtsamkeit kennzeichnet. Sie ist der östlichen Achtsamkeitslehre am nächsten (Tammena & Iwers-Stelljes, 2014). Die Mystik entstammt dem Christentum, ist jedoch überreligiös und überkonfessionell. Unter dem Begriff der christlichen Mystik sammeln sich verschiedene Strömungen. Mit der Lehre des dominikanischen Philosophen und christlichen Mystikers Meister Eckhart des 13. Jahrhunderts wird eine Haltung der Gelassenheit in Verbindung gebracht, welche dem buddhistischen Verständnis von Achtsamkeit ähnlich ist. Meister Eckhart beschreibt diese Gelassenheit als Lebenseinstellung, da sie jeder Tätigkeit des Lebens zugrunde liegt (Tammena & IwersStelljes, 2014). Sie soll zu einer inneren Distanz zwischen dem Individuum und „eigenen Bestrebungen, zu Vorstellungen und zu jeder Form von Ehre und Besitz“ (Flasch, 2010, S. 75) führen. Angelehnt an das Verständnis von Achtsamkeit im Buddhismus, fordert Meister Eckhart dazu auf, die eigene innere Verfassung samt möglicher negativer Stimmungen zu beobachten, darauf zu achten, wie sie entstehen und welche Reaktionen sie zur Folge haben. Er ist der Auffassung, dass jeder Mensch selbst die Ursache seines Leidens ist. Damit ist nicht der eigentliche Grund des Leidens gemeint, sondern die Auswirkungen auf die Stimmung der Individuen (Manstetten, 2011).
Die dritte Phase der Achtsamkeit beginnt in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die achtsamkeitsbasierten Ideen des Buddhismus erlangten zu diesem Zeitpunkt einen bedeutsameren Stellenwert innerhalb der westlichen Psychologie (Straub, 2012). Dies ist insbesondere auf ein wachsendes Interesse des „Zen-Buddhismus“ in Amerika zurückzuführen (Chang-Gusko et al., 2019). Zu dieser Zeit entstand eine ausgeprägte humanistische Bewegung, die einen großen Einfluss auf die Wissenschaft hatte. Dieser Bewegung gehört unter anderem die Gestalttherapie an (Straub, 2012). Diese Form der Therapie wurde Ende der 1940er Jahre in den USA gegründet. Der deutsche Psychoanalytiker Fritz Perls, der Psychologe Ralph Hefferline, der Schriftsteller Paul Goodman und die Psychoanalytikerin Laura Perls untermauerten in ihrem Grundlagenwerk „Gestalt Therapy“ die zentralen Begriffe und Konzepte der Gestalttherapie (Doubrawa, 2006). Insbesondere das Konzept der Achtsamkeit, welches in diesem Rahmen als „awareness“ bezeichnet wird, ist einer der zentralen Faktoren, neben der Wahrnehmung und des Gewahrseins, der Gestalttherapie (Doubrawa, 2006).
In der vierten Phase geschah eine Integration der Achtsamkeit in etablierte Therapiekonzepte. Zu den bekanntesten Vertretenden dieser Zeit zählen Satya Narayan Goenka, Jack Kornfield, Joseph Goldstein und Sharon Salzberger sowie Jon Kabat-Zinn.
Satya Narayan Goenka war ein führender Lehrer der „Vipassanä“-Meditation in Indien. „Vipassanä“ ist eine der ältesten Meditationstechniken Indiens (Hart & Bartsch, 2015). Im Fokus steht diesbezüglich die tiefe Wechselbeziehung zwischen Körper und Geist. Anhand einer bewussten Aufmerksamkeit auf physische Empfindungen kann Achtsamkeit empfunden werden. Auf der ganzen Welt werden im Rahmen der Organisation von Goenka, zehntägige „Vipassanä“ Schweigeretreats in Meditationszentren angeboten (Schmidt, 2014). Während der Retreats wird die „Vipassanä“-Meditation unterrichtet und die Teilnehmenden werden gebeten, „bestimmte ethische Verhaltensregeln ... einzuhalten“ (Schmidt, 2014, S. 16).
Die Meditationslehrenden Jack Kornfield, Joseph Goldstein und Sharon Salzberger gründeten 1976 die „Insight Meditation Society (IMS)“ in Massachusetts. Ihr Fokus liegt ebenfalls auf der Lehre der „Vipassana“-Meditation. Heutzutage gehören zwei Meditationszentren, das „Retreat Center“ und das „Forest Refuge“ der „IMS“ an. Im „Retreat Center“ werden über 30 Meditationskurse angeboten, die von einer Woche bis zu drei Monaten in Anspruch genommen werden können (Insight Meditation Society, o.D.). Als einer der Pioniere der Integration von Achtsamkeit in etablierte Therapiekonzepte gilt der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn. Dieser begann Anfang der 1970er Jahre die achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung zu entwickeln (Margraf & Schneider, 2009). Ursprünglich wurde sein Programm zur Behandlung von Schmerzpatienten entwickelt, bei denen andere Therapieformen bereits gescheitert waren (Berking & Rief, 2012). Im Jahr 1979 gründete Kabat-Zinn die „Stress Reduction Clinic“ an der „University of Massachu-setts Medical School“. An diesem Ort entwickelte er das „Mindfulness-Based Stress Reduction Programm (MBSR)“. Dieses achtwöchige Programm vereinbart Anteile aus „Hatha Yoga“, „Vipassana“ und „Zen“ miteinander (Margraf & Schneider, 2009). Es ist insbesondere für Menschen konzipiert, die unter Stress, Schmerzen oder chronischen Erkrankungen leiden und in dem Zusammenhang nach Bewältigungsstrategien suchen (Schmidt, 2014). „Ein zentrales Kennzeichen von MBSR . ist, dass die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer während der Übungen in den Sitzungen und während der Integration von Achtsamkeit in den Lebensalltag ausführlich besprochen werden“ (Margraf & Schneider, 2009, S. 572).
Insbesondere in den vergangenen Jahren hat der Einfluss von Achtsamkeit zugenommen. Das Konstrukt ist zu einer Art Modeerscheinung geworden (Chang-Gusko et al., 2019). „Bedingt durch die drei Momente Kulturtransfer, Säkularisierung und Spezifizierung der Anwendungsfelder gibt es nun eine Vielzahl unterschiedlichster Motive, aus denen heraus Menschen Achtsamkeit formal oder informell praktizieren“ (Schmidt, 2014, S. 18). Zu diesen Motiven zählen unter anderem Stressbewältigung, Entspannung, Umgang mit (chronischen) Erkrankungen und Selbstregulation. Die Gründe dieses zunehmenden Einflusses liegen laut dem Diplom-Psychologen Stefan Schmidt (2014) in den Entwicklungen der menschlichen Kultur. Die gegenwärtige Zeit ist durch eine schnellere und stressigere Umwelt gekennzeichnet, wodurch Individuen nach Ruhe, Entspannung und Entschleunigung streben (Schmidt, 2014). Allein über den amerikanischen App-Entwickler „Headspace“ haben mehr als 18 Millionen Menschen eine Achtsamkeits-App runtergeladen (Chang-Gusko et al., 2019). Schmidt (2014) sieht in der gegenwärtigen Entwicklung erst den Anfang, der in Zukunft noch weiter reichen wird. Aus der Historie der Achtsamkeit heraus entwickelten sich verschiedene Definitionen. Eine Auswahl dieser Definitionen wird im folgenden Kapitel dargestellt.
Achtsamkeit geht etymologisch auf das indogermanische Wort ok zurück und bedeutet sinngemäß „nachdenken“, „beachten“, „beraten“, „schätzen“, „bedenken“ oder „zaudern“ (Blankertz & Doubrawa, 2005). Im heutigen Sprachgebrauch ist die Definition des Dudens verbreiteter. Demnach wird das Adjektiv achtsam als „aufmerksam“ beziehungsweise „wachsam“ oder „sorgfältig“ beziehungsweise „vorsichtig“ definiert (Dudenredaktion, o.D.). Im Laufe der Zeit hat sich das Konstrukt der Achtsamkeit in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft etabliert. Infolgedessen hat es sich zu einem „recht unspezifischen Sammelbegriff mit vielfältigen Bezügen und Bedeutungen“ (Schmidt, 2014, S. 16) entwickelt. Verschiedene Autoren haben über die Zeit hinweg versucht Achtsamkeit zu definieren. Zimmermann et al. (2012) betonen jedoch, dass keine eindeutige Definition für das Konstrukt der Achtsamkeit oder einen verwandten Begriff existiert.
Laut Schmidt (2014) bezieht sich das Konzept auf vier wesentliche Aspekte, die von östlichen Quellen geprägt sind. Als erstes sieht er Achtsamkeit als formale Meditationspraxis, beziehungsweise Achtsamkeitsmeditation. Als zweites versteht Schmidt (2014) Achtsamkeit als theoretisches Konzept der buddhistischen Lehre. Des Weiteren sieht er Achtsamkeit als „eine bestimmte innere Grundhaltung gegenüber den eigenen Erfahrungen und Handlungen im Alltag“ (Schmidt, 2014, S. 16), die dementsprechend als informelle Achtsamkeit bezeichnet werden kann. Als vierten und letzten Aspekt versteht der Diplom-Psychologe unter Achtsamkeit ein psychologisches Konzept, das seinen Ursprung in der buddhistischen Lehre findet, sich jedoch durch Begriffe der westlichen Psychologie definiert. Die ersten beiden Aspekte sieht Schmidt (2014) sowohl in der buddhistischen Lehre als auch in der christlichen Mystik verankert. Der dritte Aspekt kann vorzugsweise mit der Definition von Jon Kabat-Zinn beschrieben werden. Dieser definiert Achtsamkeit „as moment-to-moment, non-judgemental awareness, cultivated by paying attention in a specific way, that is, in the present moment, and as non-reactively and as non-judgementally and openheartedly as possible” (Kabat-Zinn, 2005, S. 108). Hiermit ist die wertfreie Wahrnehmung der gegenwärtigen persönlichen Erfahrungen und Handlungen des Individuums gemeint, ohne eingreifen zu wollen. Darüber hinaus sind für Kabat-Zinn sechs Qualitäten relevant, die mit seiner Auffassung von Aufmerksamkeit verknüpft sind. Hierzu zählen Nicht-Werten, Geduld, Anfängergeist, Vertrauen, Akzeptanz und Loslassen (Kabat-Zinn, 1990). Seine Definition ist demnach in Übereinstimmung mit der des Buddhismus und somit eine „radikale Abweichung von den meisten klinischen Interventionen“ (Tammena & Iwers-Stelljes, 20014, S. 220). Die sechs Qualitäten nach Kabat-Zinn wurden von Shapiro und Schwartz (2000) durch fünf zusätzliche Qualitäten erweitert: Sanftmut, Großzügigkeit, Empathie, Dankbarkeit und liebende Güte. Schmidt (2014) merkt diesbezüglich an, dass diese Definition zwar in der Praxis hilfreich sein kann, für den wissenschaftlichen Kontext jedoch zu diffus ist. Im Rahmen eines Konsensustreffens im Jahr 2004 in Toronto wurde daher eine „operationalisierbare und damit wissenschaftlich zugängliche Definition“ (Schmidt, 2014, S. 17) entwickelt. Laut diesen Forschenden ist Achtsamkeit durch eine Verbindung zweier Komponenten, ferner Prozesse geprägt. Die erste Komponente wird als Selbstregulation der Aufmerksamkeit verstanden. Dieser Faktor bezeichnet die Fähigkeit eines Individuums, sich seiner gegenwärtigen Geisteszustände und -inhalte bewusst zu sein. Die zweite Komponente, Haltung der Neugierde, beziehungsweise Orientierung an der Erfahrung, beschreibt die Akzeptanz des Individuums gegenüber des derzeitigen Moments. Es soll jeglichen Erfahrungen gegenüber offen sein. Dabei ist unerheblich, ob diese geplant, unerwartet oder gewollt sind (Bishop et al., 2004; Tammena & Iwers-Stelljes, 2014). Im wissenschaftlichen Kontext existieren mehrere Definitionen von Achtsamkeit, bei denen der Präsenzfaktor, womit die Gegenwärtigkeit gemeint ist, und der Akzeptanzfaktor im Fokus stehen. Shapiro et al. (2006) entwickelten diesbezüglich ein Modell, welches aus drei Grundbestandteilen besteht. Hierzu gehören „ (1)Intention oder Absicht, hier wird der spezifischen [sic] Zweck der jeweiligen Praxis betont und berücksichtigt, (2)Aufmerksamkeit, hier wird der Selbstregulationsaspekt der Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment benannt und (3)Haltung, hier werden die Qualitäten betont, mit denen diese zielgerichtete Aufmerksamkeit praktiziert wird“ (Schmidt, 2014, S. 17).
Die Gemeinsamkeit der vorgestellten Definitionen des Buddhismus, der christlichen Mystik und dem modernen Verständnis der Achtsamkeit liegt darin, dass Achtsamkeit als psychologischer Prozess definiert wird. Jede dieser Definitionen liegen der Präsenz- faktor, der die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf gegenwärtige Empfindungen des Individuums beinhaltet sowie der Akzeptanzfaktor, der den wertfreien Beobachtungszu- stand der Empfindungen kennzeichnet, zugrunde (Chang-Gusko et al., 2019). Um eine achtsamkeitsbasierte Haltung zu erlernen, helfen sogenannte achtsamkeitsbasierte Verfahren, welche im Verlauf des nächsten Kapitels näher erläutert werden.
Die Stressbewältigung durch Achtsamkeit ist in der Medizin sowie in der Psychotherapie bei den achtsamkeitsbasierten Interventionen zu verzeichnen. Zu diesen Interventionen gehören diverse Methoden, bei denen die durchzuführenden Übungen und die Vermittlung einer achtsamen Haltung im Fokus der Behandlung stehen. Sie sind insbesondere für Menschen geeignet, die unter ihren Stresssymptomen leiden und lernen wollen, wie sie den Stress reduzieren können, um nicht daran zu erkranken (Lehrhaupt & Meibert, 2010). Die Stressbewältigung geht im achtsamkeitsbasierten Kontext über die Beseitigung der Stresssymptome des Individuums hinaus. Die Lehre der Achtsamkeit vermittelt insbesondere eine akzeptierende Haltung und eine innere Wertschätzung der eigenen Person. Durch eine Wechselwirkung aus Entspannung, Phasen von Stille und Meditation wird ein Ausgleich zum Stresserleben geschaffen, welcher dafür sorgt, dass bevorstehende Aufgaben mit einer Gelassenheit und Kraft bewältigt werden können (Meibert et al., 2006). Die Interventionen haben zum Ziel „die Selbstregulationsfähigkeit und das Selbstvertrauen bzw. Selbstwirksamkeitserleben zu stärken“ (Meibert et al., 2006, S. 276). Den Teilnehmenden werden hierdurch ihre Stressmuster sowie ihr schädliches Stressbewältigungsverhalten bewusst und sie lernen, wie sie dieses Verhalten zukünftig durchbrechen können. Insbesondere in einem Aspekt unterscheiden sich die achtsamkeitsbasierten Interventionen zu anderen Stressbewältigungsverfahren. Sie stellen ausdrücklich die gegenwärtige Erfahrung des Augenblicks und körperliche Empfindungen in den Fokus. Dieser Aspekt wird unter anderem von vielen Teilnehmenden des „MBSR“-Programms „als große Bereicherung und Ressource“ (Meibert et al., 2006, S. 276) wahrgenommen und kann in erster Linie eine große Hilfe im Umgang mit Stress darstellen. Des Weiteren wird bei dieser Art des Praktizierens von Achtsamkeit eine akzeptierende Grundhaltung gefördert, die insbesondere bei der Herstellung eines Gleichgewichtes zwischen Veränderung und Akzeptanz unterstützt (Meibert et al., 2006). Langfristig gesehen helfen die achtsamkeitsbasierten Interventionen, persönliche Ressourcen zu erkennen und in einer Weise einzusetzen, dass das Individuum ein gesundheitsförderndes Leben führen kann (Lehrhaupt & Meibert, 2010).
Im Rahmen der achtsamkeitsbasierten Interventionen wird zwischen formellen und informellen Achtsamkeitsübungen unterschieden. Formelle Achtsamkeitsübungen umfassen spezifische Meditationsübungen, welche den Fokus auf „Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle oder Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Riechen) im Hier und Jetzt“ (Mander & Blanck, 2018, S. 255) legen. Die Durchführung der Übungen geschieht meistens aktiv sitzend oder liegend. Zur Gruppe der formellen Achtsamkeitsübungen gehören der Body-Scan, die Sitzmeditation und das Praktizieren von Yoga (Mander & Blanck, 2018; Meibert et al., 2006). Eine achtsame Haltung wird zusätzlich zu diesen Übungen durch kurze strukturierte Übungen, wie dem Atemraum, gefördert. Diese helfen bei der Integration von formellen Achtsamkeitsübungen in den Alltag (Mander & Blanck, 2018). Informelle Achtsamkeitsübungen zeichnen sich durch das achtsame Durchführen von routinierten Tätigkeiten aus. Darüber hinaus charakterisieren sie sich durch die Beobachtung von sowohl angenehmen als auch unangenehmen Ereignissen und die Reaktion der Psyche und Physis des Individuums darauf. Des Weiteren wird die zwischenmenschliche Kommunikation und der Umgang mit beschwerlichen Gefühlen und Gedanken erforscht. Alltägliche Tätigkeiten, wie Zähneputzen, Essen, Duschen, Spülen, Aufräumen und Kochen werden mit einer achtsamen Präsenz durchgeführt. Bei Gesprächen oder Auseinandersetzungen mit Freunden oder Kollegen stellt eine achtsame Haltung eine Bereicherung und Unterstützung dar (Meibert et al., 2006). In den beiden folgenden Kapiteln werden zum einen der Atemraum und zum anderen der Body-Scan näher erläutert. Diese beiden Übungen bilden im Rahmen dieser Studie die achtsamkeitsbasierte Intervention.
Der Atemraum dient den Teilnehmenden dazu, sich im Hier und Jetzt zu Verankern. Diese Übung zählt zu den Kurzmeditationen der achtsamkeitsbasierten Intervention und dauert in der Regel drei Minuten. Der Atemraum ist der Metapher einer Sanduhr nachempfunden (Mander, 2020). Zunächst werden jegliche gegenwärtige Erfahrungen, wie Gedanken, Emotionen, Gefühle und Körperempfindungen aufmerksam wahrgenommen und beobachtet. Daraufhin wird die Aufmerksamkeit auf die Atmung gerichtet und anschließend allmählich auf die Gesamtheit der gegenwärtigen Körperempfindungen ausgedehnt. Sowohl angenehme als auch unangenehme Empfindungen werden gleichermaßen akzeptiert und weder verändert noch beeinflusst. Falls der Fokus während der Übung abschweifen sollte, werden diese aufkommenden Gedanken bewusst wahrgenommen und akzeptiert. Anschließend wird die Aufmerksamkeit sanft wieder auf die physischen
Empfindungen zurückgelenkt (Mander, 2020). Diese Übung wird in der Regel täglich zu einer festen Uhrzeit, entweder morgens, mittags oder abends durchgeführt. Die Durchführung dieser Intervention eignet sich insbesondere für kritische, stressreiche Situationen, um sich auf den gegenwärtigen Moment zu fokussieren und anschließend Problembewältigungsstrategien anwenden zu können (Mander, 2020).
Die achtsame Körperwahrnehmung, der sogenannte Body-Scan geht auf das „Bodysweeping“, zu Deutsch „Körperdurchkehren“, zurück. Dies ist eine Methode in der Tradition der „Vipassanä“-Meditation des indischen Meditationslehrers Goenka (Astin, 1997). Der Body-Scan ist die erste Achtsamkeitsübung die im Rahmen des „MBSR“Programmes gelehrt und täglich praktiziert wird. Die Übung kann je nach Belieben zu Hause oder in der Natur durchgeführt werden. Der ausgewählte Ort sollte möglichst ruhig gelegen sein, um mögliche Störungen zu vermeiden. In der Regel dauert die Durchführung der Übung 40 bis 45 Minuten, sie kann jedoch kürzer durchgeführt werden. Wenn diese Interventionsübung regelmäßig angewandt wird, kann sie bei kürzerer Durchführungsdauer gleichermaßen intensive Erfahrungen der Physis herstellen (Meibert et al., 2006). Zunächst werden die physischen Empfindungen des eigenen Atems, entweder aufrecht sitzend oder auf dem Rücken liegend, achtsam wahrgenommen. Daraufhin wird beobachtet wie sich die Bauchdecke beim Einatmen hebt und sich anschließend beim Ausatmen senkt. Infolgedessen wird die Aufmerksamkeit der Reihe nach auf einzelne Körperteile wie Hände, Arme, Füße, Beine und Bauch ausgeweitet. Jede einzelne Körperregion soll wertfrei und akzeptierend wahrgenommen werden (Mander et al., 2020; Meibert et al., 2006). Der Fokus dieser Übung liegt auf der Wahrnehmung der körperlichen Empfindungen mit einer neugierigen und akzeptierenden Haltung (Heidenreich et al., 2011). Übereinstimmend mit der Durchführung des Atemraums werden sowohl angenehme als auch unangenehme Empfindungen gleichermaßen wahrgenommen und akzeptiert, ohne sie verändern oder beeinflussen zu wollen. Bei dieser Übung kann es ebenfalls vorkommen, dass die Aufmerksamkeit unbewusst auf andere Gedanken gerichtet wird. Falls dies geschehen sollte, werden die Gedanken gleichermaßen bewusst wahrgenommen und akzeptiert. Anschließend wird die Aufmerksamkeit wieder sanft, wie bei der Durchführung des Atemraums, auf die körperlichen Empfindungen zurückgelenkt (Mander, 2020). Mit dem Body-Scan eignen sich die Teilnehmenden ein neues Körpergefühl an. Sie lernen ihren Körper zu erforschen, sich zu entspannen und auf dessen Signale zu hören. Das übergeordnete Ziel ist hierbei nicht die Entspannung, sondern eine achtsame und wertfreie Wahrnehmung der gegenwärtigen körperlichen Empfindungen. Der Body-Scan bildet gemeinsam mit dem Atemraum die Grundlage für sämtliche weitere Meditationstechniken (Meibert et al., 2006) und ist somit optimal für die achtsamkeitsbasierte Intervention der Studie geeignet.
Im Jahr 1954 schaffte Roger Bannister als erster Läufer die sogenannte Vier-MinutenMeile zu unterbieten, da er eine halbe Sekunde schneller als der damalige Rekordhalter lief. Diese Nachricht verbreitete sich auf der ganzen Welt und fortan folgte ein Rekord auf den nächsten. Psycholog:innen schlossen daraus, dass für die Leistungsfähigkeit des Körpers psychische Barrieren und nicht natürliche Grenzen ausschlaggebend seien. Neue Rekorde wurden jedes Jahr aufs Neue aufgestellt, da viele Läufer ihre eigene Selbstwirksamkeit, ebenfalls Selbstwirksamkeitserwartung genannt, durch die Leistung der anderen Sportler erhöhten (Schwarzer & Jerusalem, 2020).
Im Jahr 1968 gelang es Bob Beamon in Mexico City einen neuen Weltrekord aufzustellen, indem er fast 60 cm weiter als der Rekordhalter zuvor sprang. Schnell war eine externe Erklärung für dieses sensationelle Ereignisse gefunden. Das besondere Höhenklima in Mexico City galt als ausschlaggebender Faktor für den Rekord. Diese falsche Ursachenzuschreibung hatte zur Folge, dass 23 Jahre lang kein anderer Sportler diesen Rekord brechen konnte. Die Selbstwirksamkeitserwartung wird demnach nicht dadurch stimuliert, dass eine Leistung äußeren Umständen und nicht der Kompetenz zuzuschreiben ist. Es ist demzufolge von großer Bedeutung, wie Individuen Barrieren interpretieren (Schwarzer & Jerusalem, 2020). Im Folgenden wird der Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung anhand einer hierfür relevanten Theorie definiert.
Wie bereits in Kapitel 2.1.2. erwähnt, stellt die Selbstwirksamkeitserwartung eines Individuums eine der wichtigsten Ressourcen bei der Bewältigung von kritischen Situationen dar (Schwarzer, 2004). Sie ist bekanntermaßen Bestandteil „der individuellen Bewertung eigener Copingmöglichkeiten“ (Bengel et al., 2001, S. 54). Die Selbstwirksamkeitserwartung wird als Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, ein bestimmtes Verhalten innerhalb neuer oder kritischer Anforderungssituationen ausführen zu können, definiert (Knoll et al., 2017, Schwarzer, 2004). Bei diesen Situationen handelt es sich nicht um leicht lösbare Aufgaben, denn sie erfordern „Handlungsprozesse der Anstrengung und Ausdauer“ (Schwarzer, 2004, S. 12) um sie erfolgreich bewältigen zu können. Die alleinige Erwartung eines positiven Ergebnisses genügt jedoch nicht, um Einfluss auf das eigene Verhalten ausüben zu können. Die persönliche Überzeugung, ein bestimmtes Verhalten tatsächlich ausüben zu können ist diesbezüglich entscheidend (Bengel et al., 2001).
Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung beruht auf der „sozial-kognitiven Theorie“ des kanadischen Psychologen Albrecht Bandura, welche er im Jahr 1977 erstmals vorstellte (Knoll et al., 2017). Die Selbstwirksamkeitserwartung stellt in diesem Rahmen, neben der Handlungsergebniserwartung, eines der zwei Hauptkonstrukte dar. Bandura geht davon aus, dass emotionale, kognitive, motivationale und aktionale Handlungen durch subjektive Überzeugungen, wie Handlungssergebniserwartungen, beziehungsweise Konsequenzerwartungen und Selbstwirksamkeitserwartungen, ebenfalls Kompetenzüberzeugungen genannt, gesteuert werden. Die Konsequenzerwartungen beziehen sich auf das Verhalten, welches für bestimmte Resultate notwendig ist. Konkret geht es darum, wie die benötigten Kenntnisse und Fähigkeiten erworben werden können (Schwarzer, 2004). Beispielsweise wird ein Herzpatient, der darüber nachdenkt seine Ernährung umzustellen, um das Risiko einer koronaren Herzerkrankung zu senken, vermutlich die Vorund Nachteile einer solchen Ernährungsumstellung abwägen. Handlungsergebniserwartungen können entweder positiv oder negativ formuliert werden. Welches Ziel das Individuum sich setzt, hängt davon ab, welche Arten der Handlungsergebniserwartungen überwiegen. Ob eine Person sich selbst in der Lage sieht diese Handlungen ausführen zu können, ist diesbezüglich nicht relevant (Knoll et al., 2017). Handlungsergebniserwartungen können nach ihrer positiven, negativen, langfristigen oder kurzfristigen Wirkung unterschieden werden. Darüber hinaus differenziert Bandura zwischen physischen Konsequenzen, welche körperliche Veränderungen beinhalten, sozialen Folgen, wie Anerkennung oder Ablehnung aus dem persönlichen sozialen Umfeld, und selbstbewertenden Konsequenzen, wie Stolz, wenn das Verhalten ausgeführt wurde (Brinkmann, 2014). Im Rahmen der Kompetenzerwartungen ist die Frage nach der persönlichen Verfügbarkeit von Handlungen im Fokus. Hierbei erfolgt die Einschätzung, ob ein Verhalten in bedrohlichen Situationen anhand der eigenen Kompetenzen ausgeführt werden kann. Eine schwach ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartung ist dann gegeben, wenn das Individuum weiß welche Kenntnisse von Nöten sind, um das benötigte Verhalten auszuüben, es sich aber nicht im Stande sieht, sich diese Kenntnisse selbst anzueignen und sie anzuwenden (Schwarzer, 2004). Im Falle des Herzpatienten
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