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Bachelorarbeit, 2022
59 Seiten, Note: 1,7
Darstellungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Gender-Hinweis
1. Einleitung
2. Alkoholabhängigkeit
2.1 Zahlen und Fakten zur Alkoholabhängigkeit
2.2 Entstehung der Alkoholabhängigkeit
3. Auswirkungen auf die Kinder
3.1 Das Kindes-und Jugendalter
3.2 Ein Fallbeispiel
3.3 Die familiäre Situation
3.4 Die Rollen der Kinder in der Familie
3.5 Körperliche, psychische und soziale Folgen für die Kinder
3.5.1 Direkte Folgen
3.5.2 Indirekte Folgen
3.6 Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung seitens der alkoholabhängigen Eltern
4. Erklärung der Auswirkungen auf die Kinder und deren Verhalten
4.1 Risikofaktoren im Leben der Kinder
4.2 Die Bedeutung von Resilienz in Anbetracht der Auswirkungen auf die Kinder
4.3 Das bio-psycho-soziale Modell
4.4 Das stress-strain-coping-support Modell
5. Ziele innerhalb der Arbeit mit Kindern alkoholabhängiger Eltern
6. Hilfen der Sozialen Arbeit für Kinder aus alkoholbelasteten Familien
6.1 Herausforderungen in der Erreichbarkeit von Kindern und Eltern mit Alkoholbelastung
6.2 Prävention und Frühintervention als Handlungsmodell
6.2.1 Definition und Begriffserklärung
6.2.3 Die Wirksamkeit von Prävention und Frühintervention
6.2.4 Spezifische Hilfen
6.2.4.1 Aktuelle Situation der Hilfen für Kinder alkoholkranker Eltern in Deutschland
6.2.4.2 Vernetzung und Koordination der Hilfen
6.2.4.3 Maßnahmen zur Erreichung der Ziele
6.3 Explizite Angebote für Kinder und Eltern
6.3.1 Gruppenangebote
6.3.1 Internetangebote
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Darstellung 1: Transmissionswege von Suchterkrankungen und weiteren psychischen Störungen
Darstellung 2: Bio-psycho-soziales Modell
Darstellung 3: Ziele innerhalb der Arbeit mit Kindern alkoholabhängiger Eltern
BPS bio-psycho-soziales Modell
FAS fetales Alkoholsyndrom
ICD englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems/ deutsch: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
SGB Sozialgesetzbuch
SSCS stress-strain-coping-support Modell
In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
Bereits ein altgriechischer Gelehrter namens Plutarch sagte „Trinker zeugen Trinker“ (Goodwin 1985, zitiert nach Zobel 2017, S. 21). Dieser Spruch legt die Vermutung nahe, dass schon im frühen Altertum ein Zusammenhang zwischen elterlicher Abhängigkeit und folgender kindlicher Abhängigkeit bekannt war. Ungefähr 2,65 Millionen Kinder galten in Deutschland lange Zeit als die „vergessenen Kinder“ - als die Kinder, die in der Wissenschaft weitestgehend pathologisch betrachtet wurden (vgl. Zobel 2017, S. 21). Dass Kinder, die in einer alkoholbelasteten Familie aufwachsen, einer besonderen Problematik ausgesetzt sind, ist heutzutage in der Fachöffentlichkeit und der Gesellschaft anerkannt. Historisch gesehen tritt diese Erkenntnis jedoch nur zyklisch in das Bewusstsein der Menschen. Das erste Mal war zu Beginn des 18. Jahrhunderts von der sogenannten „Gin-Epidemie“ die Rede. Dabei rückte die überdurchschnittliche Kindermortalität durch den Alkoholmissbrauch der Mutter in den Vordergrund. Später, Ende des 19. Jahrhunderts, verbreiteten sich immer mehr aufklärerische Bilder von armen, trinkenden Eltern. Zu diesen Zeitpunkten bestanden noch keine spezialisierten Hilfsangebote für die Kinder der Alkoholabhängigen. Eine Beschäftigung mit der Problematik der Kinder fand erst durch die Abstinenzbewegung Ende des 19. Jahrhunderts statt. Da diese jedoch zerbrach und das Leben der Menschen immer mehr von Krieg bestimmt war, verschwanden auch die Hilfsangebote. Jahre nach dem 2. Weltkrieg erst erlangte die Thematik wieder Aufmerksamkeit. Zuerst in Skandinavien und den USA, später dann auch in Deutschland. Dabei waren vorerst die Eltern von Interesse, darauffolgend die Kinder (vgl. Klein 2005a, S. 189 f.). Erst in den 1980er Jahren weckten Kinder suchtkranker Eltern in Deutschland das öffentliche Interesse. Es stellte sich heraus, dass der elterliche Konsum und die damit verbundenen Entwicklungsauswirkungen auf die Kinder von wissenschaftlicher Relevanz sind (vgl. Zobel 2017, S.13).
Im Mittelpunkt dieser literaturbasierten Arbeit steht die Frage, welche Auswirkungen elterliche Alkoholabhängigkeit auf Kinder hat, welche Mechanismen diese verursachen, inwiefern die Soziale Arbeit Hilfsangebote zur Verfügung stellt und wie diese gestaltet werden können.
Im zweiten Kapitel wird zunächst ein Überblick über allgemeine Zahlen und Fakten zur Alkoholabhängigkeit und deren Entstehung gegeben. Anschließend folgt in Kapitel 3 die Darstellung der komplexen Auswirkungen auf die Kinder von alkoholabhängigen Eltern. Aufbauend auf diesem Aspekt werden Erklärungsmodelle dieser Auswirkungen im vierten Kapitel behandelt. Im Fokus des fünften Kapitels stehen die Ziele innerhalb der Arbeit mit Kindern alkoholabhängiger Eltern. Das sechste Kapitel widmet sich schließlich den Hilfsangeboten der Sozialen Arbeit und führt zwei unterschiedliche Maßnahmen auf. Ein Fazit und ein kurzer Ausblick beenden die vorliegende Bachelorarbeit.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Alkoholabhängigkeit. In der verwendeten Literatur wird häufig auch von Alkoholmissbrauch gesprochen und die beiden Begriffe werden nicht selten synonym verwendet. Aufgrund dessen wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch in dieser Arbeit beide Begriffe synonym verwendet werden.
Zu Beginn erfolgt eine Definition der Alkoholabhängigkeit und des schädlichen Gebrauchs. Um zu beleuchten, welche Kriterien vorliegen müssen, damit eine Diagnose gestellt werden kann, wird die International Classification of Diseases (ICD-10) herangezogen. In dieser wird zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeitssyndrom unterschieden. Der schädliche Gebrauch ist unter F 10.1 wiederzufinden und beschreibt einen Konsum, der sich auf körperlicher oder psychischer Ebene schädlich auf die Gesundheit auswirkt. Eine Alkoholabhängigkeit (F 10.2) liegt nach ICD-10 dann vor, wenn der Konsument einen gesteigerten Drang hat Alkohol zu konsumieren und wenig Kontrolle über den Konsum aufweist. Zudem nimmt der Konsument Alkohol zu sich, obwohl negative Konsequenzen wahrnehmbar sind, der Konsum Vorrang vor Pflichten hat, eine Toleranz gegenüber des Alkoholkonsums vorliegt und wenn physische Entzugssymptome auftreten (vgl. Dilling/ Freyberger 2016, S. 76 f.).
Im Jahre 2018 wurde im Zuge der epidemiologischen Suchtsurvey festgestellt, dass in Deutschland insgesamt 1,9% der Frauen und 4,8% der Männer im Alter zwischen 18 und 59 Jahren eine Alkoholabhängigkeit aufweisen. Einen missbräuchlichen Konsum zeigen 1,5% der Frauen und 4% der Männer (vgl. Seitz et. al 2019, S. 589). Gemäß einer Veröffentlichung der ehemaligen Drogenbeauftragten Deutschlands, Marlene Mortler, leben rund 6,6 Millionen Kinder bei einem Elternteil mit riskantem Alkoholkonsum und etwa 4,2 Millionen bei einem Elternteil, welches regelmäßiges Rauschtrinken betreibt (vgl. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung 2017, S. 5). In Deutschland ist in jeder siebten Familie ein Kind zeitweise und in jeder zwölften Familie auf Dauer der Alkoholproblematik mindestens eines Elternteils ausgesetzt (vgl. Klein 2008b, S. 23). Somit sind 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren von einer elterlichen Alkoholstörung zeitweise oder andauernd betroffen. Außerdem sind beide Elternteile in jeder 67. Familie von Alkoholmissbrauch oder - abhängigkeit betroffen (vgl. Klein 2008a, S. 116).
Zunächst ist es wichtig zu erwähnen, dass es nicht den einen Grund gibt, der zu der Entstehung einer Alkoholabhängigkeit führt. Zudem ist es falsch, von Ursachen zu sprechen. Vielmehr entsteht eine Alkoholabhängigkeit aus dem Zusammenspiel von mehreren Komponenten, welche die Entstehung forcieren (vgl. Lindenmeyer 2008, S. 67). Es gibt mehrere Modelle, die sich je nach Fachrichtung voneinander unterscheiden: somatisch-medizinische, psychologische und soziologische Modelle. Da sie alle relevant sind, ist es am sinnvollsten sie zu einem Mehrebenenmodell zusammenzufassen, welches die Vielschichtigkeit und Wechselwirkungen der Alkoholabhängigkeit berücksichtigt (vgl. Soyka/ Küfner 2008, S. 20). Das Mehrebenenmodell bezieht sich auf mehrere Faktoren. Dazu zählt der Alkohol als Konstrukt, das soziale Umfeld und das Individuum mit seinen körperlichen und psychischen Aspekten. Diese Faktoren wirken wechselseitig aufeinander ein (vgl. Klein 2005a, S. 16).
Meist wird dieses Modell als Dreiecksschema dargestellt. Beim Phänomen der Alkoholabhängigkeit wird von mehreren Teufelskreisen gesprochen. Diese Teufelskreise führen zu erneutem Alkoholkonsum, welcher als Problemlöser fungiert. Es bestehen ein somatischer, ein intrapsychischer und ein psychosozialer Teufelskreis. Der somatische Teufelskreis meint beispielweise Entzugserscheinungen und Toleranzentwicklung. Auf der intrapsychischen Ebene spielen sich Prozesse des Spannungsabbaus sowie der Verringerung von Problemlösungsstrategien unabhängig vom Alkohol ab. Soziale Spannungen, Konflikte und Schwierigkeiten sind auf der psychosozialen Ebene verortet. Der Alkohol, der bei diesem Prinzip als universaler Problemlöser eingesetzt wird, verschafft den Betroffenen jedoch nur kurzweilige Erleichterung und Unterstützung. Vielmehr verstärkt er auf lange Sicht die Probleme des Konsumenten (vgl. Soyka/ Küfner 2008, S. 20 f.).
Vor allem das soziale Umfeld spielt eine zentrale Rolle im eben beschriebenen Dreiecksschema. Personen, die in einer häuslichen Gemeinschaft und somit sehr eng zusammen mit einer suchtkranken Person leben, haben einen Einfluss auf den Beginn und die Beibehaltung einer Alkoholabhängigkeit. In den meisten Fällen sind dies Partner und Kinder (vgl. Klein 2001b, S. 201). Welche Folgen die Kinder der Alkoholabhängigen erleiden, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit ausführlich beleuchtet.
Lange Zeit wurden Kinder, die mit alkoholabhängigen Eltern(-teilen) aufwachsen, in der Forschung wenig fokussiert. Erste Forschungen fanden in den USA statt, später dann auch in Deutschland. Die zentrale Thematik lag dabei häufig auf dem Alkoholkonsum in der Schwangerschaft und den folgenden Konsequenzen, nicht aber auf der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter (vgl. Klein 2003, S. 359). Im weiteren Verlauf werden verschiedene Auswirkungen auf das Verhalten und die Entwicklung der Kinder näher erläutert. Zu Beginn ist es elementar zu erwähnen, dass Kinder alkoholabhängiger Eltern nicht als homogene Gruppe angesehen werden dürfen. Sie stellen eine heterogene Gruppe dar, in der es extrem belastete Kinder gibt, aber auch Kinder mit psychischer Widerstandskraft (sogenannter Resi- lienz). Die genannten Auswirkungen gelten dementsprechend nicht für individuelle Einzelfälle, sondern für die Gesamtgruppe aller betroffenen Kinder. Jeder Einzelfall weist eigene Risiko- und Resilienzfaktoren auf und bedarf somit einer individuellen Betrachtung (vgl. Zobel 2017, S. 45).
Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit den Kindern alkoholabhängiger Eltern. Es liegen dabei verschiedene Definitionen des Kindes- und Jugendalters vor, deshalb werden diese nachstehend aufgeführt. Als Kind bezeichnet werden Personen ab der Geburt bis zum Beginn der Pubertät. Kinder durchlaufen dabei einen Entwicklungsprozess, der von der Umwelt und ihren Funktionszusammenhängen bestimmt wird (vgl. Wirtz o.D., o.S.). Im Rahmen des achten Sozialgesetzbuches (SGB) unter §7 Absatz 1 wird das Alter näher bestimmt. Ein Kind ist demnach, wer das 14. Lebensjahr noch nicht überschritten hat und Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist.
Auch erwachsene Kinder über 18 Jahren sind von den Auswirkungen des elterlichen Alkoholkonsums geprägt. Da jedoch eine Betrachtung der Auswirkungen über die gesamte Lebensspanne den Umfang dieser Arbeit überschreiten würde, orientiert sich diese Arbeit an der Definition des SGB. Somit sind im Folgenden mit dem Begriff „Kinder“ Personen gemeint, die unter 18 Jahren alt sind und mit mindestens einem alkoholabhängigen Elternteil zusammenleben.
„In meiner Familie haben eigentlich alle getrunken: meine Mutter, mein Vater, mein Opa und meine Tante. Der Opa war morgens um 10 schon voll. Meine Mutter und meine Tante waren rund um die Uhr betrunken. [...] Wenn ich Glück hatte, wurde ich morgens geweckt, wenn nicht, musste ich eben sehen, dass ich pünktlich in die Schule kam. Frühstück gab es sowieso nie, da die anderen noch völlig fertig in den Betten lagen. Und dann in der Schule - meine Gedanken waren zu Hause geblieben: Was, wenn meine Mutter wieder betrunken die Treppe herunterfällt? Dass sie total betrunken war, wenn ich nach Hause kam, war normal. [...] Abends habe ich mich um meine jüngere Schwester gekümmert, sie ein bisschen getröstet und mit ihr gespielt. Ich war sehr traurig, fühlte mich hilflos“ (Zobel 2005a, S. 21 f.).
Dieses Fallbeispiel zeigt die Situation eines Jungen, der in einem familiären Umfeld aufwuchs, in welchem viele Familienangehörige Alkohol konsumierten. Er beschreibt ein Gefühl der Hilflosigkeit und das Erleben von Vernachlässigung, beispielsweise beim morgendlichen Aufwecken. Auch spricht er über die Traurigkeit, die er im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum seiner Familie wahrnahm. Die Situation des Jungen steht exemplarisch für viele Kinder in Deutschland, die mit ihren alkoholabhängigen Eltern zusammenleben. Wie zuvor bereits erwähnt, ist jeder Einzelfall sehr individuell. Nichtsdestotrotz kann diese Schilderung des Jungen das Gefühl annähernd vermitteln, welchem viele Kinder tagtäglich ausgesetzt sind. Im weiteren Verlauf dieser Bachelorarbeit werden die komplexen Auswirkungen auf Kinder von alkoholabhängigen Eltern ausführlich erläutert.
In der Psychologie bestehen verschiedene familienpsychologische Modelle. Die Familienstresstheorie stellt eine relevante Theorie in Bezug auf das Familiensystem bei Kindern mit alkoholabhängigen Eltern dar. Diese Theorie basiert auf einem Modell aus vier Faktoren, dem sogenannten ABCX-Modell (vgl. Hill et al. 1949, zitiert nach Weidtmann 2018, S. 227 f.). Es wird als Basis vieler weiterer Familienstressmodelle angesehen. Es beschäftigt sich unter anderem mit Faktoren, die vor einer Familienkrise relevant sind. Dabei stehen die Buchstaben A, B, C und X jeweils für einen Faktor: (A) ist dabei der auslösende Stressor, der auf die Bewältigungsressourcen der Familie (B) und auf die eigene Definition der Alkoholabhängigkeit seitens der Familie (C) trifft und schlussendlich die Krise (X) verursacht (vgl. Weber 2011, S. 82). Der Umgang mit dieser Situation innerhalb der Familie kann je nach individueller, intrafamiliärer Interaktion unterschiedlich gelingen (vgl. Weidtmann 2018, S. 227). Als Stressoren werden Lebensereignisse und Übergangszustände bezeichnet, die die Familie beeinflussen und im Familiensystem zu Veränderungen führen (vgl. Schneewind 2010, S. 110). Stressoren können sich unterschiedlich auf die familiäre Situation auswirken. Es kommt dabei darauf an, welche Schwierigkeiten und Nöte durch den Stressor entstehen und welche Bewältigungsstrategien und -ressourcen innerhalb der Familie vorhanden sind. Ressourcen bestimmen demnach die Fähigkeit der Familie, mit dem Stressor umzugehen. Nebstdem ist auch die subjektive Definition des Stressors zentral, da so eine Deutung und Interpretation entsteht, die die Krise bedingt oder den Stressor vielmehr als lösbare Herausforderung für die Familie definiert. Diese drei Faktoren beeinflussen sich und resultieren final in der Krise. Aufbauend auf diesem Modell existiert das doppelte ABCX-Modell. Es erweitert dieses um die Möglichkeit von Stressorenhäufungen und zusätzlichen Ressourcen nach dem Eintritt der Krise, der sogenannten „postcrisis“. Außerdem werden in diesem erweiterten Modell auch Coping- und Adaptionsmechanismen beachtet. Coping, sprich die Bewältigungsstrategie, beeinflusst dabei, inwiefern eine Familie mit der Krise umgeht beziehungsweise diese bewältigt. Adaption beschreibt die gelungene oder auch misslungene Anpassung der Familie an die Veränderungen nach der Krise. Diese kann beispielsweise in veränderten Familienrollen, Familienregeln, Kommunikationsformen und Wahrnehmungen resultieren (vgl. Weber 2011, S. 82 ff.). Je nach Familienorganisation- und Dynamik führt der ausgelöste Stress zu einer Desorganisationsphase. Darauf folgt eine Phase der Erholung, welche dann einen neuen Standard der Krisenbewältigung etabliert. Diese Bewältigung hängt schlussendlich vom Umgang der Familie mit der Krise ab (vgl. Schneewind 2010, S.110).
Nachstehend wird das Familiensystem, in welchem Kinder alkoholkranker Eltern leben, näher beschrieben. In den meisten Fällen ist der Vater von einer Alkoholabhängigkeit betroffen und die Mutter befindet sich in einer Co-Abhängigkeit (vgl. Klein 2008b, S. 24). Sie, als nicht-suchtkrankes Elternteil, investiert ihre Energie in das Zusammenhalten der Familie und in das Aufrechterhalten der scheinbar positiven Erscheinung der Familie (vgl. Klein 2005b, S. 54). Diese Situation führt dazu, dass sich die Familiendynamik verändert und gegebenenfalls Gefahren mit sich bringt. Kinder werden auf Grund der Fixierung auf die Abhängigkeit seitens der Eltern weniger wahrgenommen und die elterliche Erziehung findet nicht mehr ausreichend statt. Dies führt dazu, dass sich der Zusammenhalt innerhalb der Familie verstärken oder verschlechtern kann. Zudem werden die Bedürfnisse der Kinder, wie zum Beispiel Sicherheit und Geborgenheit, vernachlässigt (vgl. Klein 2008b, S. 24). Klein (2008b, S.24) spricht von einer sogenannten Volatilität des Elternverhaltens. Damit sind plötzliche, unvorhersehbare und starke Verhaltensumschwünge der Eltern gemeint. Auch verändern sich die Grenzen innerhalb der Familie meist extrem. Es findet eine Abgrenzung zur Umwelt statt und intrafamiliär übernehmen die Kinder nicht selten Rollen der Eltern oder Partner. Dieser Umstand wird als Parentifizierung bezeichnet. Die beschriebene Situation ist vor allem deshalb problematisch, da die Kinder Aufgaben ihrer Eltern übernehmen müssen und somit eine große Verantwortung tragen. Ist ein Elternteil alleinerziehend kommt erschwerend hinzu, dass das nicht-suchtkranke Elternteil fehlt und Kindern somit die schützende Wirkung des nicht-abhängigen Elternteiles nicht vorhanden ist (vgl. ebd., S.24). Nebstdem erleben diese Kinder eine veränderte Familiendynamik, die durch ständige Konflikte und schwankendes Erziehungsverhalten geprägt ist (vgl. Moesgen/ Schulz/ Klein 2012, S. 110).
Auf diese Situation bezogen lässt sich das zuvor beschriebene Familienstressmodell übertragen und anwenden (vgl. Weber 2011, S.82 ff.). Als auslösender Stressor könnte demnach der Alkoholkonsum der Eltern oder eines Elternteils angesehen werden. Die Bewältigungsressourcen sind in jeder Familie und je nach Person sehr individuell. Dabei können beispielsweise das soziale Umfeld, die Eltern-Kind-Beziehung oder auch persönliche Eigenschaften von Bedeutung sein. In Zusammenhang damit steht die subjektive Bewertung des Stressors seitens der Familie. Sie kann die Alkoholsucht als negatives und unüberwindbares Ereignis ansehen oder aber als Herausforderung, die gemeistert werden kann. Die drei Faktoren des Familienstressmodells (auslösender Stressor, Bewältigungsressource und Definition der Familie) bestimmen folglich die Ausprägung und auch den Umgang mit der entstandenen Krise. Als solche kann beispielsweise Vernachlässigung oder Missbrauch innerhalb der Familie bezeichnet werden. Auf diese zwei Aspekte wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher eingegangen. Im Hinblick auf das doppelte ABCX-Modell sind Coping und Adaption zu erwähnen. Auf Coping-Strategien, die Kinder in alkoholbelasteten Familien anwenden, wird unter dem Aspekt der Stressbewältigung im sechsten Kapitel näher eingegangen.
Kinder nehmen das Verhalten des alkoholabhängigen Elternteils oftmals als ambivalent wahr, denn es ist auf der einen Seite geprägt durch Zuwendung und Empathie und auf der anderen Seite durch Ablehnung, Vernachlässigung oder gar Gewalt. Außerdem sind die Kinder sogenanntem Duldungs- und Katastrophenstress ausgesetzt. Duldungsstress entsteht, wenn Kinder Situationen und Reaktionen ausgesetzt sind, die gegen ihren Willen geschehen. Jedoch glauben sie nicht, diese verändern zu können. Spricht man von Katastrophenstress, sind damit plötzlich auftretende und nicht zu beeinflussende Situationen gemeint. Diese können bei den Kindern Stress auslösen. Sie haben dabei nicht die Möglichkeit, diesen zu kontrollieren (vgl. Wudrak et al. 2015, S. 17 f.).
Um sich zu schützen und mit der familiären Situation zurechtzukommen, begeben sich Kinder in Rollen. Die Autorin Sharon Wegscheider untersucht das Bestreben nach Anpassung der Kinder und analysiert es auf Basis eines systemischen Blickwinkels. Diese Rollen beschreiben das Coping-Verhalten der Kinder in alkoholbelasteten Familien (vgl. Zobel 2017, S. 27). Wichtig zu erwähnen ist, dass die Rollen dazu dienen, sich selbst in einem destruktiven Umfeld zu schützen. Dabei haben sie zweideutige Funktionen: Im Kindesalter dient das Verhalten der Anpassung. Es wird folglich internalisiert und kann im Laufe der weiteren Entwicklung bis hin zum Jugendlichen und Erwachsenen zu enormen Schwierigkeiten führen (vgl. ebd., S. 30). Zu den von Wegscheider (vgl. 1988, S. 112 ff.) vorgeschlagenen Rollen zählen: Der Held, das schwarze Schaf, das stille Kind und der Clown.
Der Held
Dem erstgeborenen und somit ältesten Kind wird meist die Rolle des Helden zugeordnet. Der Held hilft der Familie und strahlt Erfolg und Stolz an die Umwelt aus. Er gibt der Familie einen Wert und somit auch Hoffnung. Jedoch entspricht dieses Bild nicht der Realität. Um zu verstehen, weshalb man den Helden mit dem eben genannten assoziiert, muss das Konstrukt von Mutter, Vater und Kind näher beleuchtet werden. Diese Konstellation wird als Dreiecksbeziehung beschrieben. Sobald das Kind geboren ist, befindet es sich aktiv in einer alleinigen Situation als Erstgeborenes. Das bedeutet, dass alles was sich zwischen den Eltern ereignet eine enorme Wirkung auf das Kind hat. Diese Rolle werden Geschwister nie einnehmen, denn sie ist einzigartig und nicht ersetzbar. Der Held erlebt in seiner Rolle einige Vorteile. Zum einen wächst das Kind mit mehr Zuneigung und Unterstützung auf, da die Eltern mehr Zeit investieren und somit viel Aufmerksamkeit auf dieses Kind gelenkt wird. Daher haben Helden das Gefühl, etwas Besonderes und Einzigartiges zu sein. Dies resultiert in einem höheren Selbstwertgefühl, welches in der weiteren Entwicklung des Kindes als Basis für Glanzleistungen fungiert. Zum anderen jedoch erlebt das Kind in seiner Rolle nicht nur Positives. Im Vergleich zu Geschwistern ist es einem höheren Druck ausgesetzt und kann auch Vernachlässigung seitens der Eltern erleben. Dies ist den persönlichen Problemen der Eltern geschuldet. Sie sorgen sich folglich zu viel oder zu wenig um ihr Kind. Helden sind außerdem laut Wegscheider immer bemüht, die Balance innerhalb der Familie aufrecht zu erhalten, sprich das Leid des trinkenden Elternteils und der gesamten Familie zu verringern (vgl. Wegscheider 1988, S. 112 f.).
Der Held leidet infolge der innehabenden Rolle unter dem mangelnden Selbstwertgefühl der Eltern und versucht dieses zu kompensieren. Wobei aber den eigenen Interessen und Anliegen kaum mehr Beachtung geschenkt wird (vgl. ebd., S .116). Wegscheider (ebd., S. 116 ff.) spricht darüber hinaus von Potenzialen. Zuerst führt sie das physische Potenzial an: Kinder wenden ihre ganze Kraft für den Erfolg einer Begabung auf. Dabei kommt es zu einer Überforderung und körperliche Folgen können entstehen. Auch treten psychosomatische Beschwerden auf. Das emotionale Potenzial beleuchtet die Gefühle des Helden. Primär erlebt das Kind eine Minderwertigkeit und ist belastet durch Gefühle der Schuld. Dies beruht darauf, dass das Kind zwar für die Familie etwas Besonderes verkörpert, trotz dessen aber die Probleme der Familie nicht lösen kann. Dadurch entstehen die genannten Schuldgefühle. Sie entwickeln sich auch auf Grund der Tatsache, dass das Kind eigene Erfolge erlebt, während Mitglieder der eigenen Familie mit Konflikten zu kämpfen haben. Das Gefühl der Wut bestimmt auch das Leben des Kindes. Die Wut resultiert aus den Umständen, dass es erfolgreich sein und eigene Bedürfnisse hintenanstellen muss. Im Umkehrschluss bekommt das Kind das Gefühl vermittelt, nie genug leisten zu können. Als weiteren Aspekt nennt Wegscheider (ebd., S.188 f.) das soziale Potenzial. Sie führt an, dass Helden in der Schule wenige Freundschaften knüpfen, da im Zentrum die eigene Leistung und der Erfolg stehen. Somit bleibt wenig Zeit, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Des Weiteren ist das Kind stets bemüht, den elterlichen Alkoholkonsum zu verheimlichen. Innige und ehrliche Freundschaften gestalten sich unter diesen Voraussetzungen schwierig. Kinder in der Heldenrolle sind perfektionistisch veranlagt und verfolgen zwanghaft Ziele, die unmöglich zu erreichen sind (vgl. ebd., S. 112f.).
Das schwarze Schaf
Das schwarze Schaf wird auch als Sündenbock bezeichnet. Im Gegensatz zur Rolle des Helden, welcher sich wie schon beschrieben im Dreieckskonstrukt befindet, steht das meist zweitgeborene Kind außerhalb der Dreieckskonstellation. Da die Rolle des Helden schon durch das erstgeborene, besondere Kind belegt ist, wird vom schwarzen Schaf erkannt, dass es nie gleichwertig angesehen wird wie das Kind in der Rolle des Helden. Selbst dann, wenn es sich gleichermaßen anstrengt gut zu sein. Auf Grund dessen wendet sich dieses Kind von der Familie ab und zieht sich zurück. Im Kindesalter zieht es sich noch zu Hause zurück, doch sobald das Kind älter wird, flieht es von zu Hause oder versucht so wenig Zeit wie möglich daheim zu verbringen. Der eigene Freundeskreis hat deshalb eine besondere Bedeutung: Hier dienen die Freunde als Familienersatz, um eigene, unbefriedigte Bedürfnisse zu stillen. Sie sind jedoch selbst von Frustration, auf Grund ihrer familiären Situation, betroffen und haben deshalb einen Hang zum Konsum von Drogen und zur Kriminalität (vgl. Wegscheider 1988, S. 124 f.). Auf physischer Ebene zeigt das zweitgeborene Kind Verhaltensweisen, die ihm selbst schaden. Der Drogenkonsum beispielsweise beeinflusst die Gesundheit negativ und bei Töchtern alkoholabhängiger Eltern können ungewollte Schwangerschaften auftreten. Die Verhaltensweisen der Kinder in dieser Rolle können, wenn man sie nur oberflächlich betrachtet, mit den Worten unkooperativ, aggressiv, aufsässig und zerstörerisch beschrieben werden. Hinter diesem Verhalten stecken jedoch Gefühle von Einsamkeit, Kränkung und Ablehnung. Im sozialen Umfeld sucht dieses Kind deshalb Anerkennung und Zuneigung in einer Freundesgruppe. Dabei wird es jedoch keine sozialen Kompetenzen erlernen, sondern eher Manipulation und Oberflächlichkeit. Es zeigt sich bei dieser Beschreibung, dass das schwarze Schaf genau das Gegenteil des Helden darstellt. Erwähnenswert ist hierbei, dass das schwarze Schaf dieses Verhalten nutzt, um Anerkennung und das Gefühl der Zugehörigkeit von den Eltern zu erhalten und um nicht mehr im Schatten des Helden zu stehen (vgl. ebd., S. 129 ff.).
Das stille Kind
Die Rolle des stillen Kindes wird auch als die des verlorenen oder vergessenen Kindes beschrieben und trifft auf das dritte Kind in der Familie zu. Auch dieses Kind befindet sich nicht in der Dreieckskonstellation. Als Drittgeborenes wächst es bereits in einer Familie mit vielen Konflikten und Spannungen auf. Diese werden dem Kind jedoch nicht erklärt und so fügt es sich der vorgefundenen Situation. Als Konsequenz macht es sich unbemerkbar und zieht sich in seine eigene Welt als Einzelgänger und Außenseiter zurück. Von seinen Eltern wird es als unkompliziert wahrgenommen, da es keine Forderungen stellt. Durch den Rückzug werden dem Kind aber gleichzeitig auch positive Erlebnisse innerhalb der Familie verwehrt. Daneben werden die Bedürfnisse des Kindes nicht berücksichtigt und die Eltern zeigen gegenüber Leistungen, Erfolgen und dem Alltag des Kindes wenig Interesse. Somit erreicht das Kind ein Gefühl der Wertlosigkeit und Unbedeutsamkeit. Im Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen zeigen sich Schwierigkeiten, da wenige Erfahrungen im familiären Umfeld gesammelt wurden. Nennenswert ist darüber hinaus, dass das stille Kind, im Vergleich zum schwarzen Schaf, seine Rolle annimmt und nicht dagegen rebelliert (vgl. Wegscheider 1988, S. 136 ff.).
Kinder in dieser Rolle verhalten sich passiv und so besteht keine Option für sie, negative Gedanken und Gefühle nach außen zu tragen. Sie sind geprägt von dem Gefühl des Alleinseins, welches zweierlei Folgen mit sich bringt: (1) Schutz vor familiären Konflikten und (2) Verhindern ein Teil der Familie zu sein. Im sozialen Kontext hat das Kind Probleme zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, da diese Kompetenz innerhalb der Familie nicht vermittelt wurde. Überdies liegen Schwierigkeiten vor, interpersonelle Nähe zuzulassen (vgl. Wegscheider 1988, S. 141 f.).
Der Clown
Zuletzt führt die Autorin die Rolle des Clowns an. Dieses Kind ist meist das Jüngste und es wird in eine Familie hineingeboren, in welcher multiple Problemlagen vorzufinden sind. Es wird von den Eltern sehr behütet. Die wahren Konflikte und Probleme der Alkoholabhängigkeit werden dabei verschwiegen. Somit befindet sich das Kind in einer Rolle, in der es das Gefühl hat, „verrückt“ zu werden. Selbst kleine Kinder nehmen Situationen feinfühlig wahr und bemerken, wenn im intrafamiliären Kontext Differenzen vorliegen. Da diesem Kind aber immerzu versichert wird, dass alles in Ordnung sei, entstehen bei ihm Ängste und Spannungen, die es nicht äußern kann. Aus diesem Grund verhält sich das Kind spaßig, überdreht und extrovertiert. So kann es die angestauten Anspannungen abbauen und positive Aufmerksamkeit auf sich lenken. Hinter diesem Verhalten steckt zudem die Tatsache dass, während das Kind für gute Laune sorgt, es die Situation kontrollieren kann. Dadurch entsteht ein Gefühl der Sicherheit (vgl. ebd., S. 147 ff.).
Der Clown ist vor allem von Einschränkungen in seinem Dasein geprägt, da seine Eltern und die gesamte Familie ihn immer als das jüngste und somit unreifste Kind ansehen. Dadurch werden notwendige Entwicklungen gehemmt und womöglich verhindert. Das Kind kann sich infolgedessen nicht frei entfalten. Dies zeigt sich auf mehreren Ebenen. Betrachtet man den körperlichen Aspekt, zeigen sich vermehrt stressbedingte Krankheiten, die durch die dauernde Anspannung entstehen (vgl. Wegscheider 1988, S. 152 ff.). In Anbetracht dessen sind bei Kindern in der Rolle des Clowns auch Hyperaktivität, Lernstörungen und Konzentrationsprobleme häufig anzutreffen (vgl. Zobel 2017, S. 28). Die Gefühlswelt des Kindes ist geprägt durch Alleinsein, Schuld, Verwirrung und Wertlosigkeit. Trotz der Aufmerksamkeit, welches es bekommt, fühlt es sich einsam. Des Weiteren ist Angst ein vorherrschendes Gefühl. Im sozialen Kontext zeigen sich außerdem Verhaltensweisen der Manipulation. Von seinem Umfeld wird das Kind zwar gemocht, jedoch selten ernst genommen. Diesbezüglich werden die Gefühle der Wertlosigkeit und Befangenheit verstärkt (vgl. Zobel 2017., S.153 f.).
Diese Rollen setzen voraus, dass mehrere Kinder in der Familie leben. Jedoch besteht auch die Möglichkeit, dass ein Kind als Einzelkind in einer suchtbelasteten Familie aufwächst. Einzelkinder übernehmen dabei meist gleichzeitig oder aufeinanderfolgend mehrere Rollen und eine eindeutige Rollenzuschreibung ist somit nicht vorhanden (vgl. Kolitzus 2011, S. 73 f.).
Neben den von Wegscheider präsentierten Rollen, bestehen noch weitere. Black (1988, S. 27 f.) schlägt beispielsweise nahezu identische Rollen vor, die sich lediglich in der Namensgebung unterscheiden. Sie betitelt die Rollen als das verantwortungsbewusste Kind, das ausagierende Kind, das verlorene Kind und das fügsame Kind. Zusätzlich bringt sie die Rolle des Friedensstifters an Stelle des Clowns ein, welcher als helfendes und fürsorgliches Kind beschrieben wird. Es existieren noch weitere Rollenmodelle, die grundsätzlich auf den zuvor beschriebenen aufbauen oder diese noch weiter spezifizieren. Nennenswert ist hier die Rolle des Unverletzten nach Ackerman (1987, zitiert nach Zobel 2017, S. 28). Diese Rolle ist die Einzige, die die Option innehat, dass sich das Kind gesund und altersgerecht trotzt einer alkoholbelasteten Familie entwickeln kann (vgl. Zobel 2017, S. 28 f.).
Laut Zobel (ebd., S. 30) stellen die Rollen grundsätzlich Gegenpole dar. Das erste Kind ist geprägt durch zu hohe Verantwortung, wohingegen sich das Zweitgeborene eher unzuverlässig und leichtsinnig verhält. Das drittgeborene Kind zieht sich mehr zurück und versucht so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen. Das Kind in der vierten Rolle hingegen strebt nach Aufmerksamkeit. Die vorgestellten Rollen dürfen nicht als starr und endgültig angesehen werden, sondern eher als Typen, die nicht konstant auftreten müssen. Ein Kind kann auch während seiner Entwicklung die Rolle wechseln oder Aspekte mehrerer Rollen gleichzeitig zum Ausdruck bringen. Elementar ist im Zusammenhang mit den Rollenmodellen, dass die Aussagekraft dieser wissenschaftlich überprüft und belegt wurde (vgl. ebd., S. 30).
Eine Untersuchung aus dem Jahre 1993 von Devine und Braithwaite (S. 73) zeigt, dass die Rollen sowohl auf Kinder aus alkoholbelasteten als auch auf Kinder aus nicht-alkoholbelas- teten Familien zutreffen. Letztere zeigen jedoch sehr wahrscheinlich weniger Gründe auf, diese für sich zu nutzen. Die Untersuchung ergab außerdem, dass Kinder, denen Rollen zugeschrieben werden, von Stigmatisierung betroffen sind. Außerdem werden mögliche positive Fähigkeiten durch eine voreingenommene Wahrnehmung des Gegenübers nicht beachtet. Die Autoren fanden zusätzlich heraus, dass eine gestörte und schädigende Familiensituation eher für das Rollenverhalten der Kinder verantwortlich ist als das elterliche Alkoholproblem selbst. Nicht nur elterlicher Alkoholkonsum steht also direkt in Verbindung mit der Entwicklung der Rollen, sondern weitere intrafamiliäre Aspekte haben darüber hinaus Einfluss auf deren Ausprägung. Ein weiterer Aspekt, der beachtet werden muss, sind die individuellen Charakterzüge eines Kindes, die sich auch im Verhalten widerspiegeln. Beispielsweise passt ein von Natur aus ruhiges und introvertiertes Kind eher in die Rolle des stillen Kindes und ein witziges und aufgedrehtes Kind in die des Clowns. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Rollenmodelle als Bewältigungsstrategien der Kinder angesehen werden sollten, die sie nutzen, um der angespannten, stressigen und häufig auch gefährdenden Familiensituation standzuhalten (vgl. Devine/ Braithwaite 1993, S. 73 f.). Die schon angesprochene, eher negative Auslegung der Rollentypen, kann bei den Kindern zwar zu Nachteilen führen, gleichzeitig besitzen sie aber auch Ressourcen und Fähigkeiten, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Kolitzus (2011, S. 66 f.) beschreibt jene für die vier Rollen genauer. Der Held kann sich zu einer disziplinierten, strebsamen, verantwortungsbewussten und qualifizierten Person entwickeln, die in Leitungspositionen arbeitet, sobald sie sich mit ihren Konflikten und Problemen aus der Herkunftsfamilie beschäftigt hat. Personen in der Rolle des schwarzen Schafes sind mutig und nutzen ihre Risikobereitschaft, um eigene Ziele und Ziele anderer zu erreichen. Das stille Kind besitzt die Fähigkeit kreativ und erfinderisch zu sein. Außerdem kann es sich zu einem selbstbewussten und sicheren Menschen entwickeln. Zuletzt der Clown: Kinder in dieser Rolle sind empathisch und charmant. Durch ihre pulsierende, witzige Art können sie sich in Bereichen des Entertainments wiederfinden (vgl. ebd., S. 66 f.).
Im Verlauf der letzten Jahre findet sich das Rollenmodell auch in Konzepten der Förderung und Prävention von Kindern alkoholabhängiger Eltern wieder (vgl. Ehrenfried/ Mayer 2005, S. 123). Ein Ausbau des Modells auf wissenschaftlicher Ebene unter dem Aspekt der Nutzung von Prävention und Intervention steht jedoch noch aus (vgl. Zobel 2017, S. 32). Nichtsdestotrotz wird der Aspekt der Rollentypen in Kapitel 6 nochmals aufgegriffen und auf der Handlungsebene erweitert. Abschließend lässt sich sagen, dass die Rollenmodelle durchaus auch kritisch betrachtet und reflektiert in der Praxis angewandt werden müssen, um Vorurteilen, Stigmatisierung und negativen Grundannahmen entgegenzuwirken.
Betrachtet man das Verhältnis der Verteilung der Auswirkungen auf die Kinder zeigt sich, dass circa ein Drittel selbst eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit entwickelt, ein Drittel Symptome anderer psychischer Erkrankungen zeigt und das letzte Drittel keine oder wenige Symptome aufweist und somit weitestgehend psychisch gesund ist. Die Kinder dieses letzten Drittels werden als resilient bezeichnet und im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch ausführlich thematisiert (vgl. Klein 2005b, S .53 f.). Die Ausprägung der Schädigungen auf die Kinder alkoholsüchtiger Eltern wird von mehreren Faktoren beeinflusst. Dazu zählen vor allem zusätzliche Erkrankungen der Eltern, die sogenannte Komorbidität. Als weiterer Faktor werden die Abhängigkeit von beiden Elternteilen und Suchtstörungen in mehreren Generationen der Familie aufgeführt. Darüber hinaus bedingen der Beginn sowie die Dauer des Konsums der Eltern sowie Umfang und Stärke der Alkoholabhängigkeit die Auswirkungen auf die Kinder. Des Weiteren beeinflusset der Erziehungsstil, der soziale und wirtschaftliche Status, die Größe der Familie, die Beziehung und Bindung zum nicht-alkoholabhängigen Elternteil, das kriminelle Verhalten seitens eines Elternteils und auch das Bestehen eines stellvertretenden Unterstützungs- und Hilfesystems unabhängig von den Eltern die Auswirkungen. Zusammenfassend lässt sich demnach sagen, dass Kinder, die in einer Multi-Problem-Familie leben, in welcher eine elterliche Alkoholabhängigkeit vorliegt, unter auffallend stärkeren Schädigungen leiden als Kinder aus Familien, die nur eine Suchtproblematik aufweisen (vgl. Klein 2001a, S. 121). Bestehen also neben der Alkoholproblematik zusätzlich die oben genannten Umstände, ist die Entwicklung der Kinder gefährdeter als ohne Multiproblemkontext.
Wie in der nachstehenden Darstellung 1 zu sehen ist, hat die familiäre Alkoholbelastung verschiedene Auswirkungen auf die Kinder. Diese gliedern sich in homopathologische (eigene Entwicklung einer Abhängigkeit), heteropathologische (Entwicklung anderer psychischer Erkrankungen) und mittelmäßige (Symptome unterhalb der diagnostischen Relevanz) Folgen. Resiliente Kinder hingegen zeigen keine Auffälligkeiten. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden die Auswirkungen weiter untergliedert und ausführlich beschrieben.
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