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Bachelorarbeit, 2021
53 Seiten, Note: 2,3
1. Einleitung
1.1 Relevanz
1.2 Forschungsstand
2. Fridays for Future
2.1. Gegenwind
2.2. Organisation
2.3. Jugend - Generation Z
2.4. Scientists for Future
2.5. Umweltbewusstsein
2.6. Soziale Bewegung
3. Niklas Luhmann
3.1. Protest nach Niklas Luhmann
3.2. Die Unterscheidung von Risiko und Gefahr
3.3. Systemtheorie und Soziale Bewegungen
3.3.1. Funktionen der neuen sozialen Bewegungen
3.3.2 Motivation der sozialen Bewegungen
3.4. Massenmedien als Umwelt von Protestbewegungen
3.5. Umweltbewusstsein
4. Diskussion: Anwendung systemtheoretische Perspektive auf FFF
4.1. Soziale Systeme
4.2. Politik
4.3. Massenmedien
4.4. Risiko / Gefahr Zuordnung
4.5. Soziale Bewegung / neue soziale Bewegung
4.5.1. Funktionen der FFF-Bewegung
4.5.2. Motivation der FFF-Bewegung
4.6. Umweltbewusstsein
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
I. Abkürzungsverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
„ Wir sind hier, wir sind laut, weil Ihr uns die Zukunft klaut “ - Fridays for Future (Dolinga 2019: o.A.)
Unter diesem Motto streiken Millionen Schüler*innen und Student*innen in den vergangenen drei Jahren. Die Fridays for Future (FFF) Bewegung bewegt zahlreiche Jugendliche und Erwachsene und verbreitet ein allgemeines Umweltbewusstsein in der Gesellschaft. In den Jahren 2018 bis 2020 sind sie aus den Medien und auf der Straße nicht wegzudenken und sprengen damit nicht nur die politische Vorstellungskraft, sondern auch die bisherig bekannten Protestbewegungen (ebd.).
Die Teilnehmer*innen setzen sich für den Umwelt- und Klimaschutz ein und kämpfen gegen die aktuellen Klimaprobleme. Die Protestbewegung um Greta Thunberg als Leitfigur fand ihren Ursprung in Schweden und verbreitete sich schnell auf dem gesamten Globus. Sie streiken nahezu jeden Freitag und schwänzen für ihr Anliegen die Schule, um für die Umsetzung der 2015 festgelegten Ziele der Pariser Klimakonferenz zu kämpfen (Toyka-Seid 2019: o.A.). 195 Länder haben sich dem „Pariser Klimaabkommen“ verpflichtet und als Hauptziel eine 1,5 Grad Grenze für die Erderwärmung akzeptiert (Europäische Union 2015: o.A.). In Deutschland starteten die Proteste Ende 2018 und entwickelten eine Mobilisierungsdynamik, die ihren Höhepunkt im September 2019 erreichte. Bis zu 1,4 Millionen Teilnehmer*innen sollen am internationalen Klimastreiktag in Deutschland, dem 20.09.2019, teilgenommen haben (Rucht / Rink 2020: 98). Die Protestbewegung fand neben dem großen Zuspruch der Jugendlichen, auf der konservativen und rechten Seite Ablehnung in Form von Unterstellungen, die Protestierenden seien „unpolitische Wohlstandskinder“ (Haunss et al. 2020: 7). Sie seien nur am Schulschwänzen interessiert und würden von anderen Umweltorganisationen gesteuert (ebd.). Trotz der Kritik gab es in der Gesellschaft auch große Hoffnung, dass sich die Jugend mehr politisch engagiere und an der Demokratie teilnehme (ebd.).
Die Protestbewegung wirft verschiedene interessante Neuheiten auf. Zum einen protestieren junge Menschen, Jugendliche und Kinder. Sie beanspruchen Ihr Recht auf Meinungsfreiheit und streiken in ihrer Schulzeit. Dieses Phänomen ist nahezu einzigartig, da man heutzutage Streiks eher ausgerichtet auf dem Arbeitsmarkt findet, wenn Arbeitnehmer*innen für mehr Rechte und Zusprechungen gegen ihre Arbeitgeber*innen streiken. Diese Streiks geschehen immer während der Arbeitszeit, was im übertragenen Sinne auch auf die FFF-Bewegung zutrifft (IG Metall o.J.: o.A.)
Die Besonderheit an der FFF-Protestbewegung ist, dass die Protestierenden nicht für persönliche oder soziale Veränderungen protestieren, wie etwa gegen einen neuen Gesetzesentwurf oder regionale Beschlüsse, sondern für das Gemeinwohl der gesamten Weltbevölkerung und für strukturelle Änderungen in der Gesetzgebung (Sommer et al. 2020: 35). Dieses Phänomen, dass nicht für ein unmittelbares Anliegen protestiert wird, macht die Bewegung nicht nur einzigartig, sondern lässt sie auch schwerer einordnen und lösen. Auch die Unterstützung aus vielen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Lagern begründen das Allgemeinanliegen als überaus wichtig. FFF stützt sich ausschließlich auf wissenschaftliche Daten und bekommt namhafte Unterstützung aus Forscher*innen-Kreisen (Scientists for Future 2019: o.A.).
Mit Hilfe des systemtheoretischen Ansatzes von Niklas Luhmann setzt sich diese Arbeit mit der Protestbewegung FFF auseinander. Er beschäftigte sich Ende des 20. Jahrhunderts sowohl mit Protest als auch mit dem ökologischen Zustand der Umwelt und definierte neue soziale Bewegungen im systemtheoretischen Kontext.
Nach der Vorstellung und Analyse der FFF-Bewegung wird jedes Kapitel durch die systemtheoretische Brille betrachtet und eingeordnet. Daher lautet die zu beantwortende Forschungsfrage:
„Welche Aspekte der FFF-Bewegung lassen sich anhand der systemtheoretischen Perspektive von Niklas Luhmann erläutern?“
Dabei befasst sich die Arbeit ausschließlich mit seinen Ausarbeitungen bezüglich der Thematik „Protest“ und den nötigen Erklärungen, erläutert dabei aber nicht die gesamte Systemtheorie.
Durch Dieter Rucht und Kai-Uwe Hellmann tauchen die Ausarbeitungen Luhmanns immer wieder in der heutigen Zeit und in Bezug zu „modernen“ Protestbewegungen auf. Mit Hilfe dieser zwei Wissenschaftler und einigen weiteren wird Luhmanns Theorie an FFF angewendet. Niklas Luhmann trifft einen Nerv der (heutigen) Zeit, denn die Umweltthematik schwebt schon lange im Raum, fand allerdings in der Industrie und in der Politik kaum Eingang. Im Jahr 1986 in seinem Buch „Ökologische Kommunikation“ betonte er bereits, dass sich die Protestbewegungen wandeln und nicht mehr zwischen den Gesellschaftsklassen ausgetragen werden, sondern eine übergeordnete Dimension erreichen (Luhmann 1986: o.A.). Die Besonderheit, dass in den Jahren 2018 und 2019 gerade Kinder diese Bühne betreten und für die Allgemeinheit protestieren, sprengt die bisher dagewesenen Grenzen des Protests und macht das Thema nicht nur aktuell, sondern auch einzigartig.
Die Relevanz der Arbeit begründet sich hauptsächlich in ihrer Aktualität. Die FFFProtestbewegungen finden seit Ende 2018 statt und bleiben bis heute, in das Jahr 2021, aktuell. Zwar gab es durch die Corona-Pandemie im Jahr 2020 Einbußen bei der Durchführung und Teilnahme der Freitags-Proteste, dennoch bleiben die Forderungen bestehen und einige namhafte Aktivist*innen bleiben politisch engagiert und vertreten die Bewegung medial. Während der Pandemie wurden Webinare und „Streiks“ hauptsächlich online ausgeführt (Rucht/Rink 2020: 99). Nicht nur die Proteste, sondern auch die Klimakrise selbst erreichte in den vergangenen Jahren ihren Höhepunkt. Die Hitzesommer 2018 und 2019 machten weltweit auf die Erderwärmung aufmerksam und lenkten die Aufmerksamkeit vieler Menschen und Medien auf die Missstände der ökologischen Umwelt (Welthungerhilfe 2020: o.A.).
In der Soziologie herrscht seit je her eine Kinder- und Jugendvergessenheit. Die meisten Theorien oder Untersuchungen beruhen auf der Gesellschaft, die ausschließlich erwachsene Personen einbezieht (Bühler-Niederberger 2010: 437). Ambert (1986) analysierte aufgrund von veröffentlichten Artikeln in soziologischen Fachzeitschriften, wie häufig von Kindern gesprochen wurde und stellte fest, dass Kinder in Forschungsarbeiten bei Soziologen wie Marx, Simmel und Compte und vielen mehr eine verschwindend geringe Aufmerksamkeit erhalten. Anders seien Durkheim oder Parsons mit der Thematik Kinder und Jugend umgegangen, sie behandelten sie folgendermaßen:
„Die soziologischen Klassiker haben Kinder entweder stillschweigend aus dem Kreis sozialer Akteure ausgeschlossen oder ausdrücklich ihre Inkompetenz sozial zu handeln hervorgehoben. Diese Inkompetenz, die als naturgegeben unterstellt wurde - nämlich als Natur des „reinen Individuums“ (vgl. Bühler-Niederberger 2010: 198f.).
Außerdem würde man der Gruppe „Kinder“ erst nach einer Art Vorbereitungszeit eine Teilhabe an der Gesellschaft zusprechen. Diese Vorbereitung ist sowohl die Zeit, also das Alter ab wann Kinder nicht mehr als solche angesehen werden und der Aspekt der Bildung (Bühler-Niederberger 2010: 437). Diese ist die Schulbildung, die im Falle der FFF-Proteste eben genau das Druckmittel der Kinder ist, um die Ziele durchsetzen zu können (Hurrelmann/Albrecht 2020: 12).
Diese Nicht-Beachtung zog sich bis in die 1980er Jahre, in denen ein größeres Interesse für Minderheiten aufkam und aus soziologischer Sicht das auch Kinder betraf. Daraufhin wurde die „Kindheitssoziologie“ oder „new childhood sociology“ gegründet, die sich bis heute eher in den skandinavischen und angelsächsischen Ländern etabliert hat (Bühler-Niedernberger 2010: 437). In der Kindheitssoziologie gibt es drei Konzepte der soziologischen Einbettung. Es brauche einen sozialstrukturellen Zugang, ein generationales Ordnen - Kindheit als soziale Konstruktion und Kinder als (kompetente) Akteure. Dabei wird deutlich, dass bis in die 2000er Jahre Kinder weiterhin als Außenstehende der Gesellschaft betrachtet werden. So werden zwar sozialstrukturelle Forschungen zwischen Kindern aus verschiedenen Ländern durchgeführt, dennoch werden diese keineswegs untereinander verglichen, sondern stets in den Vergleich mit dem „Standard“ der Erwachsenen gesetzt (ebd.: 329). Kinder werden im soziologischen Kontext meist abgeschottet betrachtet und bei gesamtgesellschaftlichen Fragen außen vor betrachtet (ebd.).
Die Arbeit untersucht FFF, dabei werden eigene Aussagen und die mediale Berichterstattung zur Definition herangezogen. Außerdem gibt es einige Publikationen aus den Jahren 2019 und 2020, die sich mit verschiedenen Thematiken innerhalb der FFFBewegung auseinandersetzen. Sebastian Haunss und Moritz Sommer arbeiten in ihrem Sammelband „Fridays for Future - Die Jugend gegen den Klimawandel: Konturen der weltweiten Protestbewegung“ Profil, Entstehung, Mobilisierungsdynamik, Gegenmeinungen und weitere Themen auf (Haunss/Sommer 2020).
Mit Hilfe von verschiedenen Publikationen des Bundesministeriums für Umwelt (BMU) und des Umweltbundesamtes (UBA) kann die Veränderung des Umweltbewusstseins in der Gesellschaft und die Verschiebung der politischen Interessen dokumentiert werden. Explizit in den Jahren 2018 und 2020 wurde eine Studienreihe begonnen namens „Zukunft? Jugend fragen! Klima, Politik, Engagement - Was junge Menschen bewegt “. Nicht nur die Ergebnisse der Studien verändern sich und lassen sich als Beweisführung für ein größeres Umweltbewusstsein verwenden, sondern auch die Benennung beziehungsweise die Themen der Studien passen sich der Umwelt- und Klimathematik an (Lutz et al. 2018/ Gossen et al. 2020).
Der Forschungsstand zu Systemtheorie ergibt sich aus diversen Ausarbeitungen Luhmanns. Darüber hinaus trägt Kai-Uwe Hellmann maßgeblich zu der Auflösung verschiedener Sachverhalte bei, indem er die Thematik des „Protests“ zu einem eigenen Werk zusammenfasst (Hellmann 2016). Niklas Luhmann bringt dafür kein eigenes heraus, thematisiert den Protest immer wieder in anderen systemtheoretischen Ausarbeitungen.
Anhand der Ausarbeitungen von den genannten Forscher*innen und der aktuellen Definition von Protest nach Dieter Rucht, ordnet diese Arbeit die FFF-Bewegung in die systemtheoretischen Ansätze von Niklas Luhmann ein (Rucht 2019: o.A.).
„Die Klimakrise ist eine reale Bedrohung für die menschliche Zivilisation - die Bewältigung der Klimakrise ist die Hauptaufgabe des 21. Jahrhunderts. Wir fordern eine Politik, die dieser Aufgabe gerecht wird.“ heißt es auf der Webseite von FFF (vgl. Fridays for Future o.J.: o.A.). Diese Überschrift trifft genau die Zusammenfassung der Forderungen, die FFF an die Politik und die Gesellschaft stellt.
„Fridays for Future: Das sind alle, die für unser Klima auf die Straße gehen. Die Klimastreik-Bewegung ist international, überparteilich, unabhängig und dezentral organisiert.“ beschreibt sich die Bewegung einige Zeilen weiter unten (vgl. Fridays for Future o.J.: o.A.).
FFF ist eine relativ neuartige Protestbewegung, die für den Klimaschutz kämpft. In Deutschland starteten die Proteste im Winter 2018/19 und bauten auf den Klimastreik, der in Schweden 2018 begann auf. Die schwedische Schülerin Greta Thunberg streikte freitags für den Klimaschutz die Schule und brachte eine internationale Bewegung ins Rollen. Mit ihrem „skolstrejk för klimatet“ als originale Bezeichnung für die Protestbewegung von Schüler*innen und Student*innen weltweit startete sie die Bewegung 2018 (Toyka-Seid 2019: o.A.). Nahezu jeden Freitag wurde ab diesem Zeitpunkt auch in Deutschland von Schüler*innen die Schule bestreikt und sie versammelten sich an öffentlichen Plätzen. Ihr Hauptanliegen ist das Ziel des Pariser Klimaabkommens, welches 2015 von 195 Ländern unterzeichnet wurde. Darin legt die Politik eine 1,5 Grad Grenze für die Erderwärmung fest (Europäische Union 2015: o.A.).
Durch die Nicht-Einhaltung dieses Ziels, werden die Proteste der Jugend-Bewegung angeheizt und die entwickelte Mobilisierungsdynamik breitet sich global aus und erreicht ihren Höhepunkt im September 2019. Bis zu 1,4 Millionen Teilnehmer*innen sollen am internationalen Klimastreiktag, dem 20.09.2019, teilgenommen haben (Rucht / Rink 2020: 98).
Denn auch nach knapp über zwei Jahren des Klimastreiks und der medialen Aufmerksamkeit habe, laut FFF, keine Partei die 1,5 Grad-Grenze in das Parteienprogramm aufgenommen, geschweige denn einen Plan für die 1,5 Grad-Politik aufgesetzt (FFF o.J.: o.A.). Warum diese aber dringend notwendig ist, begründet die Bewegung mit den möglichen Risiken der Klimaerwärmung, die maßgeblichen Einfluss auf unser Leben, unsere Gesundheit, unsere Wasserversorgung und unsere Weltwirtschaft hat. Weitere Folgen der Nicht-Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze sind Armut, steigende Hitzeperioden und Dürren, Überschwemmungen, Artensterben, steigende Fluchtrate und mehr Infektionen und Viruserkrankungen verbreiten sich zu möglichen Pandemien (FFF o.J: o.A.).
Gerade der letzte Punkt ist aktueller denn je. Das Corona-Virus zeigt uns seit März 2020 wie schnell sich Krankheiten vom Tier auf den Menschen übertragen können und mit was für einer Geschwindigkeit sie sich verbreiten können. Aber vor Allem, wie gefährlich sie für unsere Gesundheit sind und das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben herunterfahren können (Wiesendanger 2021: o.A.). Ebenso wird durch die Pandemie auch der Streik-Rhythmus der FFF-Bewegung eingeschränkt und sie verlieren durch den Ausfall von Schule oder Studium ihre Bedeutung. Dennoch verlagert FFF die Kundgebungen ins Netz und veranstaltet immer wieder online Streiktage oder Seminare (FFF o.J.: o.A..).
Um eben genau solche Pandemien zu verhindern, setzen die Aktivist*innen sich weiterhin mit der Politik, Gesellschaft und den Medien auseinander, damit sie nicht in den Hintergrund zu geraten.
Durch die Streiks und die mediale Aufmerksamkeit sind die Sorgen, Ziele und Forderungen allgemein bekannt, dennoch gibt es für FFF viel Gegenwind. Ein maßgeblicher Kritikpunkt bei den „Gegnern“ ist das Alter der Protestierenden (Haunss et al. 2020: 7).
Auf der Gegenseite macht sich Unmut breit, dass die Jugendlichen das Klima als Vorwand benutzen, um nicht zur Schule gehen zu müssen. Diese Annahme wird auch in Politiker*innen-Kreisen geäußert (Frankfurter Rundschau 2019: o.A.)
„Ich finde politisches Engagement von Schülerinnen und Schülern toll. Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis. CL“ (vgl. Frankfurter Rundschau 2019: o.A.).
Diese Ablehnung findet sich bei einigen weiteren Politiker*innen wieder und sie erfahren dadurch ebenfalls große Kritik. Auf den Kommentar Lindners reagiert via Twitter Volker Quaschning, Ingenieurwissenschaftler und Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wissenschaft in Berlin wie folgt: „ Ja, und die Profis sagen: Die Schüler*innen haben recht! Am Dienstag 10:00 Bundespressekonferenz werden das tausende von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einer Stellungnahme erklären [...] “ (vgl. Frankfurter Rundschau 2019: o.A).
FFF ist dezentral organisiert, das heißt es gibt keine übergreifende, bundesweite Organisationsstruktur. Es gibt zwar eine deutschlandweite Webseite, die mit den Forderungen und Zielen bespielt wird, die Proteste werden dennoch regional und ortsgebunden organisiert. Die FFF-Bewegung ist in Ortsgruppen unterteilt, diese treffen sich regelmäßig und planen ausschließlich innerhalb der Gruppen ihre Proteste, Aktionen und Kundgebungen (Döninghaus et al. 2020: 148).
„ Entsprechend stehen die Ortsgruppen zwar für die Forderungen von FFF Deutschland ein, sehen sich jedoch gleichzeitig als lokale Protestakteur*innen mit eignen Zielorientierungen und entwickeln jeweils eine eigene kollektive Identität “ (vgl. Döninghaus et al. 2020: 147).
Insgesamt gibt es etwa 600 Ortsgruppen, die sich durch wöchentliche Telefonkonferenzen national organisieren (Hurrelmann/Albrecht 2020: 35). Durch diese Kooperation sind deutschlandweite Klimastreiktage möglich (ebd.). Dennoch bildete sich in den letzten Jahren eine Art „Führungselite“ von FFF, die in der Kritik steht. Da FFF die eigene Organisationsstruktur als basisdemokratisch definiert, sollten keine einzelne Aktivist*innen aufgrund der Person mehr Stimmrechte haben (FFF o.J.: o.A.). Trotz dessen ist es wichtig anzumerken, dass sich alle Teilnehmer*innen von FFF-Protesten zwar dem Thema des Klimaschutzes widmen und unter dem Namen „Fridays for Future“ ihre Forderungen stellen, dennoch besteht der Anspruch auf Individualität. Allerdings schließe das nicht aus, dass Repräsentant*innen die Forderungen öffentlich vertreten oder in den politischen Diskurs treten, und so mehr Aufmerksamkeit auf ihre Person bekommen (Hurrelmann/Albrecht 2020: 35f.). Die Führungselite ist klar die Namensgeberin Greta Thunberg auf internationaler Ebene und Luisa Neubauer in Deutschland (Merkur.de 2020: o.A.).
Diese Individualität ist nicht nur ein Anspruch der FFF-Demonstrierenden, sondern ein Anspruch der gesamten Generation und des Zeitgeistes (Statista 2019: 16).
Als Generation Z werden alle Kinder und Jugendlichen bezeichnet, die ab dem Jahr 2000 geboren wurden. Sie löst die Generation Y ab, die, wie ihre Vorgänger, politisch eher unengagiert war.
„ Die Kompromisslosigkeit, mit der sie ihre Forderungen vortragen, zeigt einen grundlegenden Wandel in den Generationen.“ (vgl. Hurrelmann/Albrecht 2020: 9).
Das große Interesse der Generation Z an politischen Entscheidungen kann durch zwei Faktoren erklärt werden. Erstens beruht das politische Engagement auf der Ablehnung der Regierungsentscheidungen. Beispielsweise herrscht eine große Skepsis der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber, da sie einst als „Klimakanzlerin“ antrat und nach ihrer vierten Amtszeit allmählich alle, das Klima betreffenden Punkte, nicht umgesetzt hat (ebd.: 8).
Zweitens hat die Generation Z Angst um die eigene Zukunft. Wie wird die Welt in 50 oder 100 Jahren aussehen und wird sie noch so bewohnbar sein wie heute? Diese Mischung aus Angst und Ablehnung breitet sich so aus, dass der Klimastreik weltweit Anklang findet (Sommer et al. 2020: 15). Diese Angst wird durch den Individualitätsanspruch verstärkt. Das politische Desinteresse der vorherigen Generation kann ihnen aber keinesfalls übelgenommen werden, sie wurden in eine Zeit geboren, die durch hohe Arbeitslosigkeit Anfang der 2000er und die Wirtschaftskrise im Jahr 2009 geprägt wurde. Die Priorität lag bei ihnen auf der Optimierung der persönlichen Schul- und Berufslaufbahn, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Umso mehr engagierten sie sich jetzt bei den FFF-Protesten (Hurrelmann/Albrecht 2020: 16).
Trotz vieler anderer Organisationen und Aktivist*innen, konnte sich erst FFF durchsetzen und brachte den Klimawandel ganz oben auf die politische Agenda und setzte die Regierung unter Zugzwang.
„ Ihr war es von Anfang an gelungen, über die eigenen Eltern die älteren Generationen von der Relevanz ihrer Ziele und der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten zu überzeugen.“ (vgl. Hurrelmann/Albrecht 2020: 13).
Dieser Einfluss auf die Politik wurde in den Europawahlen 2019 deutlich, als die Grünen durch ihr umwelt- und klimapolitisches Wahlprogramm mit einem Plus von 9,8 Prozentpunkten und 20,5% zweitstärkste Partei wurden (Bundeswahlleiter 2019: o.A.).
„ [politische Regulierung] ist eine der Grundforderungen der Jugend, die auf die Straße geht. Sie weiß: Individueller Verzicht wird das Klima nicht retten. Deshalb verlangt sie mehr Regulierung durch die Politik. Ob Industrie und Verkehr, Konsum und Landwirtschaft, Gebäudesanierung und Flugreisen - die Klimawende muss fast alle Bereiche unseres Lebens erfassen, wollen wir die Klimakrise noch stoppen oder zumindest ihre Folgen abmildern. “ (Hurrelmann/Albrecht 2020: 15).
Die Kritik an den politischen Machthabern bezieht sich hauptsächlich auf die Entscheidungen, die sie treffen oder getroffen haben. Das funktionierende System der Demokratie findet in der Generation Z großen Anklang. Knapp 77 % der Jugendlichen sprechen sich für die Demokratie aus (ebd.: 16). Die Zahlen werden durch die Art ihrer Proteste gestützt. Obwohl sie keinerlei Mitbestimmungsrecht innerhalb des deutschen Systems haben und weder an Wahlen teilnehmen können, noch aktiv an der Politik mitwirken, nutzen sie das demokratische Werkzeug des Streiks für die Durchsetzung ihrer Forderungen. Und noch besser, sie streiken während ihrer „Arbeitszeit“ oder besser während ihrer „Bildungszeit“. Aus Sicht von FFF soll das Schwänzen der Schule den Forderungen mehr Nachdruck verleihen, einfach gesagt: Das Klima und dessen Erhaltung ist vorrangig vor der individuellen (Aus-)Bildung (ebd.: 36f.).
„ Ich lerne nicht für eine zerstörte Zukunft “ ist nur eines der Plakat-Sprüche, die die Jugendlichen freitags auf den Demonstrationen zeigen (Klimaschutz-Baustelle 2020: o.A.).
Ihr Individualitätsanspruch spiegelt sich in ihren Forderungen wider. Protestbewegungen in den vergangenen Jahren wurden hauptsächlich von direkt Betroffenen, einzelnen Minderheiten oder Zweckgemeinschaften geführt. Die Generation Z hebt sich mit ihren Forderungen für einen strukturellen Wandel davon ab (Hurrelmann/Albrecht 2020: 16). Sie traut sich zu, politische Forderungen zu stellen und für diese sowohl einzustehen als auch diese bis zum Schluss umzusetzen. Ihnen sind demokratische Mittel bekannt und sie wenden sie an. Die Proteste werden von den Jüngsten der Gesellschaft ausgeführt, die in der sonstigen Sozialwissenschaft oder Gesellschaft oft nicht mit einbezogen werden, da sie „noch nicht fertig ausgewachsen und ausgebildet“ seien. Ihr Anspruch auf Mitsprache wurde bisher erst ab dem Erwachsenenalter zugesprochen (Haunss et al. 2020: 12). Diese Struktur wird von der Generation Z und in der FFF-Bewegung komplett aus dem Sattel gehoben.
Das Umweltbundesamt hat unter anderem die Jugend in drei Lebenswelten unterteilt. In der Studie „Zukunft? Jugend fragen“ geht es zentral um die herausragende Entwicklung des öffentlichen Bewusstseins über Umweltprobleme und den Klimawandel. Dabei sind trotzdem nicht „alle Jugendlichen gleich“ oder vertreten alle die gleiche Meinung und Einstellung. Maike Gossen et al. teilen die Jugendlichen in Idealist*innen, Pragmatist*innen und Distanzierte ein. Die Jugendlichen, die sich der Gruppe der Idealist*innen zuordnen, sind am nächsten der Umwelt und Natur. „ Nachhaltig leben und die Welt zu einem besseren Ort machen “ ist ihr Motto. Überrepräsentiert sind Mädchen / junge Frauen und Menschen mit Abitur und Studium (Gossen et al. 2020: 10). Die Pragmatist*innen wollen „Flexibel sein und Chancen wahrnehmen“, damit meinen sie ihre persönliche Entwicklung im Sinne von Bildung, Karriere und Wohlstand. Frauen, Schüler*innen, Auszubildende und mittlere und untere Bildungsgruppen sind in dieser Gruppe unterrepräsentiert (ebd.). Die Distanzierten distanzieren sich, wie der Name schon sagt, von der Politik und politischer Verantwortung (ebd.).
Noch mehr gilt es nach dieser Zuordnung zu betonen, dass 35 % (Idealist*innen) der Jugendlichen es geschafft haben, eine internationale Protestbewegung ins Leben zu rufen und das Umweltbewusstsein der Bevölkerung nachhaltig zu beeinflussen, sowie den Umweltschutz und die Bekämpfung des Klimawandels auf die politische Agenda der Parteien und Regierungen weltweit zu setzen. Ihr hohes Interesse an der Demokratie und der ökologischen Umwelt bringt die Jugendlichen dazu, den Protest als Werkzeug für die Durchsetzung ihrer Ziele zu nutzen. 95% der Idealist*innen ist es 2020 wichtig, in einer Demokratie zu leben (ebd.: 13).
„ Durch den Schulstreik als gezielten Akt des zivilen Ungehorsams erfuhren ihre Demonstrationen eine gewaltige öffentliche Aufmerksamkeit. “ (vgl. Hurrelmann/Albrecht 2020: 12). Diese Aufmerksamkeit wurde unter anderem durch die Organisation „Scientists for Future“ (S4F) verstärkt. Mehr als 28.000 Wissenschaftler*innen schlossen sich 2019 zusammen, um die Klimaziele der Schüler*innen der FFF-Bewegung zu unterstützen und diese wissenschaftlich zu untermauern.
„[...] scientists signed a statement declaring that the concerns of the protesting students organized as Fridays For Future “are justified and supported by the best available science [...]” (S4F 2019: o.A.).
Die Wissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass der ökologischen Umwelt durch den menschlichen Einfluss irreversible Schäden zugefügt werden und das Klima zu schnell zu warm wird. Durch die Unterstützung von S4F für die FFF-Bewegung haben die Jugendlichen einen entscheidenden Meilenstein bewältigt. Zwar richten sie ihre Forderungen an die Politik, sie erhalten aber zusätzlich Gehör in anderen Bereichen. Die Wissenschaft als zentraler Richtungsgeber, üben zusätzlichen Druck auf die Regierung aus (Baumann et al. 2020: o.A.).
Auf ihrer Webseite erklären die Wissenschaftler*innen die Fakten, wie es zum Klimawandel kam, wie der aktuelle Stand ist, was es mit der 1,5 Grad-Grenze auf sich hat und was zu tun ist, um die Erwärmung aufzuhalten (S4F 2019: o.A.).
Der Klimawandel ist Menschengemacht, seit 1900 ist das Klima um einen Grad gestiegen, die Hälfte davon in den letzten 30 Jahren. So waren die letzten Jahre seit 2015 die Wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung, welche am Ende des 18. Jahrhunderts begann. Der Anstieg ist auf den künstlich herbeigeführten Treibhaus-Effekt zurückzuführen. Die vom Menschen erzeugten Treibhausgase setzen sich dabei auf der Erdatmosphäre ab und lassen nahezu das komplette Sonnenlicht auf die Erde. Im Gegenzug ist die Atmosphäre durch die Treibhausgase weniger durchlässig für Wärme, die von innen nach außen strömt (ebd.). Sollte dieser Prozess nicht verlangsamt oder gestoppt werden, rechnen Wissenschaftler*innen damit, dass ab dem Jahr 2035 solche Schäden entstanden seien, dass das Öko- und Klimasystem nicht wie vorher wiederhergestellt werden kann und es fatale Folgen für die Natur und die Menschen geben wird (ebd.). Diesen Ausblick stellt weder S4F noch FFF ohne Lösungsvorschlag vor. Die FFF-Aktivist*innen ziehen verschiedene Institute heran, um mögliche Pläne auszuarbeiten, wie Deutschland dieses Ziel, bis 2035 CO2-neutral zu werden, erreichen kann (Kobiela 2020: 1-4).
Diese Unterstützung ist ein wichtiger Schritt im Prozess von FFF. Da der Streik und die Forderungen von Kindern geäußert werden, finden sie weder in der Politik noch in der „Erwachsenen-Gesellschaft“ Anklang. Die ewige Jugendvergessenheit in der Politik und das Unterschätzen der jungen Menschen, ebenfalls politisch Handeln zu können, lenkt die Aufmerksamkeit vom Klimawandel oft auf die Akteur*innen. Sie seien zu privilegiert, kämen aus gutem Elternhaus und hätten keine finanziellen Sorgen in der Zukunft oder wollen nur Schule schwänzen (Haunss/Sommer 2020: 7).
Dies ist ein weiterer Faktor, der essenziell für diese Arbeit ist. Die Wissenschaft, die von den Schüler*innen genutzt wird, um den politischen Forderungen Ausdruck zu verleihen. Der Startpunkt von FFF ist das Bewusstsein über die Missstände in der ökologischen Umwelt. Das sogenannte Umweltbewusstsein kristallisiert sich in dieser Generation besonders heraus.
„Es ist diese Sachlichkeit und Informiertheit, die den Protest der FFF-Bewegung so wirkungsvoll macht.“ (vgl. Hurrelmann/Albrecht 2020: 44).
Das Umweltbewusstsein der Bevölkerung insbesondere der Jugendlichen und Kinder ist nachweislich in den letzten Jahren angestiegen. Laut dem UBA und dem BMU ergaben sich aus der Studie „Zukunft? Jugend fragen“ folgende Ergebnisse.
„In der Repräsentativerhebung zeigte sich: Umwelt- und Klimaschutz war das wichtigste Thema zum Zeitpunkt der Erhebung. 45 Prozent der befragten jungen Menschen fanden Umwelt- und Klimaschutz sehr wichtig und weitere 33 Prozent eher wichtig. In der Repräsentativbefragung waren zehn gesellschaftliche Problemfelder vorgegeben und die Befragten sollten ankreuzen, wie wichtig diese jeweils für sie sind. Von ähnlich hoher Bedeutung wie Umwelt- und Klimaschutz sind der Zustand des Bildungswesens und das Thema soziale Gerechtigkeit.“ (Gossen et al. 2020: 13) .
Diese Auswertungen sind repräsentativ für die gesamte Studie und den Zeitvergleich mit der gleichnamigen Studie aus dem Jahr 2018.
Warum der Zeitpunkt 2018 für den Beginn von FFF eine Schlüsselfunktion für den Erfolg der Bewegung hat, liegt an den Extremtemperaturen, die im Sommer 2018 erreicht wurden. 2018 war bis dahin für viele der heißeste und vor allem längste Sommer, der je erlebt wurde. In Deutschland löste er eine Wasserknappheit, Dürren und Ernteausfälle aus. Eine noch offensichtlichere Veränderung des Klimas gab es kaum und somit fand FFF großen Anklang in den Köpfen der Menschen, die teilweise erstmals persönliche Erfahrungen mit dem Klimawandel gemacht haben (Welthungerhilfe 2020: o.A.). Diese dynamische Entwicklung der Protestbewegung nahm unter anderem durch die starke mediale Präsenz an Fahrt auf und gewann so viele Anhänger*innen weltweit. Der öffentliche Druck, der auch das Umweltwissen der Gesellschaft erweiterte, schaffte ein Generationenübergreifendes Bewusstsein für die ökologische Umwelt und übte wiederum Druck auf die politischen Akteur*innen in der Entscheidungsmacht aus (Sommer/Haunss 2020: 249).
Aus verschiedenen Publikationen des UBA und des BMU geht hervor, dass sich die Problemkonzentration verlagert hat. Allein in den Jahren 2016 bis 2018 hat sich die Themenbehandlung von Gesundheitsschutz und Ernährung in Energiepolitik, Landwirtschaft und Mobilität gewandelt (Benthin et al. 2017: 53 / Rubik et al. 2019: 30). Alle Ergebnisse sind mit dem Hintergrund die Energiewende voranzutreiben und nachhaltigere Alternativen zu schaffen, zu betrachten (ebd.).
Das Umweltbewusstsein hat sich demnach eher gewandelt, als dass es gestiegen ist. Die Probleme sind schon seit Jahrzehnten bekannt und allgegenwärtig. Viele NGOs und andere Organisationen weisen seit dem 20. Jahrhundert auf die Missstände der Umwelt hin. Dennoch ist die Gesellschaft in den Jahren vor und während der FFFBewegung lösungsorientierter und bietet der Politik Alternativen an, die die Umwelt schonen können. Die Energiewende ist dabei eine zentrale Forderung, um die Klimaziele des Pariser Klimaabkommens einhalten zu können (Rubik et al. 2019: 10).
[...]