Bachelorarbeit, 2020
56 Seiten
Medien / Kommunikation - Medien und Politik, Pol. Kommunikation
Vorwort
1.0 Einleitung
1.1 Einleitung
1.2 Problemstellung
1.3 Parteiprogramme
1.4 Forschungsfrage
1.5 Teilfragen
2.0 Theoretischer Rahmen
2.1 PolitischeKommunikation
2.2 Politische Kommunikation aus linguistischer Sicht
2.3 Die Rolle von Parteiprogrammen in der politischen Kommunikation
2.4 Sprachliche Allgemeinverständlichkeit
2.5 Formale Textverständlichkeit und kognitive Fähigkeiten der Leser
2.6 Inszenierung der Politikersprache
2.7 Forschungsstand
2.8 Vorgehensweise
3.0 Methodik
3.1 Datenmaterial
3.2 Indikatoren für formale Sprachverständlichkeit
3.3 Aggregierte Daten / Indizes für formale Sprachverständlichkeit
3.4 Indikator für politische Ausrichtung
3.5 Analyseschritte
3.5.1 Transkribieren der Originaltexte in standardisierte Texte
3.5.2 Erfassung der Häufigkeit von Fachwörtern und Nominalisierungen
3.5.3 Ermittlung des Verständlichkeitsindex SEM
3.5.4 Ermittlung des Lesbarkeitsindex LIX
4.0 Ergebnisse
4.1 Länge der Parteiprogramme im Original und transkribiert
4.2 Fachwörter und Nominalisierungen : Verständlichkeitsindex SEM
4.3 Lesbarkeitsindex
4.4.Häufigkeitsanalyse von politischen Begriffen
5.0 Fazit
5.1 Zusammenfassung des theoretischen Rahmens und der Forschungsfrage
5.2 Zusammenfassung der Vorgehensweise und der Methodik
5.3 Beantwortung der Forschungsfrage
5.4 Beantwortung der Teilfragen
5.5 Methodenkritik
5.6 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Ich habe mich für dieses Forschungsthema entschieden, weil ich es für sehr wichtig erachte, eine Gesellschaft über kommunikative Merkmale der Politik aufmerksam zu machen. Wir leben in einer Zeit, in der politische Informationen immer schneller, polarisierender und aggressiver an das Volk eines politischen Systems gerichtet werden. Dabei spielen Social-Media-Kanäle wie „Twitter“ eine wichtige Rolle, welche die impulsiven politischen Gedanken politischer Akteure in unvergleichlicher Form in die digitale Welt verschiffen und große Teile der globalen Bevölkerung in einen Zustand der Zustimmung oder Verdrossenheit versetzen können. Mir persönlich fällt es schwer, den Überblick über „Fake News“ und echte politische Äußerungen zu behalten. Darüber hinaus spielt aber auch die Verständlichkeit der Sprache eine entscheidende Rolle in der Frage nach dem Wahrheitsgehalt politischer Kommunikation. Die vorliegende Arbeit untersucht die Verständlichkeit politischer Kommunikation beispielhaft an aktuell vorliegenden Parteiprogrammen.
Sprachanalysen können eher qualitativ oder auch anhand quantitativer Methoden erfolgen - mit den jeweils damit verbundenen Vorteilen und Nachteilen. Ich habe mich für ein rein quantitatives Vorgehen entschlossen, da ich der besseren Vergleichbarkeit der Vorgehensweise und der Ergebnisse den Vorzug geben wollte.
Da die Sprachverständlichkeit von Parteiprogrammen in Deutschland und Österreich bereits ansatzweise anhand quantitativer Sprachanalysen erforscht wurde, habe ich den geographischen Fokus dieser Arbeit auf die Schweiz gesetzt. Dort liegen vergleichbare Analysen meines Wissens noch nicht vor. Diese Forschungslücke versuche ich in dieser Arbeit ansatzweise zu schließen. Dabei kommt ein Methodenmix zum Tragen, der auf bestehende Analysemethoden zurückgreift, in dieser Kombinationjedoch nicht angewandt wurde. Bei der Zusammenstellung der Methodik habe ich mich von den Kriterien der Plausibilität, Einfachheit und der Nachvollziehbarkeit leiten lassen.
Ich weise daraufhin, dass einige Inhalte dieser Arbeit vorab veröffentlicht wurden in Nußbaum (2020), einem studentischen Forschungsbericht, der im kleinen Rahmen einer Seminararbeit entstand. Die vorliegende Bachelor-Thesis ist eine umfassende Erweiterung dieses Forschungsberichts. Auszüge, welche auf Inhalten dieser Veröffentlichung basieren, wurden entsprechend kenntlich gemacht. Die in der Bachelor-Thesis vorgenommen Erweiterungen betreffen sowohl den Forschungsgegenstand selbst als auch die in der Sprachanalyse verwendete Methodik. Sie vertiefen / modifizieren die in der vorhergehenden Veröffentlichung gewonnenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in der vorliegenden Bachelor-Thesis die männliche Form gewählt. Diese bezieht sich hiermit zugleich auf männliche als auch auf weibliche Personen. Dies impliziert keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern dient der sprachlichen Vereinfachung.
“Political language — and with variations this is true of all political parties, from Conservatives to Anarchists — is designed to make lies sound truthful and murder respectable, and to give an appearance of solidity topure wind." (Orwell 1950)
Mit dieser Aussage machte der britische Schriftsteller George Orwell (1950) bereits im Jahre 1950 deutlich, wofür die Politische Sprache in der Gesellschaft bekannt ist: Wenig opportune Inhalte werden in der Kommunikation aus taktischen Gründen verschleiert bis zur Unkenntlichkeit. Dabei kann man zwischen der inneren Kommunikation (zwischen Politikern) und der Außenkommunikation (zur Öffentlichkeit hin) unterscheiden, obwohl eine klare Trennung zwischen beiden bis heute nicht klar zu erkennen ist (Sarcinelli 2009: 11). In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt der Betrachtungen auf der Außenkommunikation. In einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft stehen Politiker und Parteien in der Verantwortung und vor der Aufgabe, die von ihnen vertretenen politischen Inhalte und Werte dem Volk gegenüber offenzulegen. Denn in der Demokratie gilt die Politik als begründungspflichtig und zustimmungsab- hängig(Sarcinelli 2009: 11).
Inwiefern dieser Anspruch eines demokratischen Systems an die Transparenz der Politischen Sprache (Semsrott: 2016: 7) in der aktuellen Politik gelingt, soll in dieser Arbeit an einem konkreten Beispiel näher erörtert werden. Das Thema hat damit über die Wissenschaft hinaus eine gewisse gesellschaftliche Relevanz. Informationsfreiheit und die Transparenz politischer Information ist für das Volk nur gegeben, wenn die überwiegende Mehrheit einer Bevölkerung die Sprache, in denen die politische Information verfasst ist, verstehen und anhand dieses Verständnisses am Ende eine durchdachte Wahlentscheidung treffen kann. Wichtige Kanäle der Parteien zur Information der Bevölkerung vor anstehenden demokratischen Wahlen sind ihre Parteiprogramme. Medial werden diese vom Sprachniveau her häufig als auf dem Niveau von Akademikern liegend eingeschätzt (Verbeet 2009). Es versteht sich von selbst, dass ein Parteiprogramm, das alle Wählerschichten erreichen soll, in einer allgemein verständlichen Sprache verfasst sein sollte. Diese Arbeit beschäftigt sich im Rahmen der Analyse der Politischen Sprache ausschließlich und exemplarisch mit der Analyse von Parteiprogrammen.
Auch die vorliegende Arbeit - insbesondere die in ihr verwendete Methodik - soll leicht verständlich undjedem zugänglich sein. Durch die Verwendung eines quantitativen Ansatzes sollen die Ergebnisse leicht überprüfbar und mit anderen Untersuchungen potentiell vergleichbar sein.
Politikverdrossenheit und die Forderung nach transparenter und vertrauenserweckender politischer Aktivität sind in vielen europäischen Ländern allgegenwärtig:
„Die bisherigen, gerade unter dem Eindruck von Stuttgart 21 und ähnlicher Projekteforcierten Bemühungen von Politik, Unternehmen und Verwaltungen, das eigene 'Verhalten transparenter zu gestalten, mehr Bürgerbeteiligung zuzulassen und dadurch 'Vertrauen zurückzugewinnen und die Akzeptanzfür das eigene Handeln und Projekte zu verbessern, waren bisher nicht erfolgreich. Dies und die über lange Untersuchungszeiträume repräsentativ erhobenen stabilen Einstellungen zeigen, dass die Debatte um Akzeptanz, öffentliches Vertrauen, Partizipation und Transparenz kein Modethema von vielen, sondern Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels in unserer Gesellschaft ist.“ (Bentele et al.2015: 138)
Es ist an dieser Stelle müßig, darüber zu spekulieren, ob es die politischen Aktivitäten selbst sind, die zum Vertrauensverlust führen, oder die unzureichende Kommunikation über diese Aktivitäten. Jedenfalls bedarf es laut Bentele et al. (2015: 196) in der modernen öffentlichen Kommunikation von Parteien und Institutionen hoher Transparenz gegenüber Lesern und Zuhörern. Transparenz spielt in der Politik eines demokratischen Systems eine entscheidende Rolle. Politiker demokratischer Systeme sind nämlich in der Pflicht, komplexe Information in verständlicher Art und Weise aufzubereiten und an die Bürger zu vermitteln (Bentele et al. 2015: 217).
Im Gegenzug stellt sich vielen die Frage, ob die in der Politik zu vermittelnde Information nicht oft inhaltlich zu komplex ist, um sie in verständlicher Sprache an die Allgemeinheit adressieren zu können. In den Medien wird die politische Kommunikation von Parteien gegenüber dem Bürger häufig als zu unverständlich bezeichnet (Girnth 2010). Dabei ist eine Partei darauf angewiesen, kommunikative Nähe zu den Bürgern aufzubauen, um eine möglichst breite Zielgruppe für ihre politischen Überzeugungen zu erreichen. Um diesen Widerspruch zu beseitigen, werden verschiedene Verbesserungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Im Wesentlichen konzentrieren sich diese auf die Anpassung der Kommunikation an das Sprachniveau der Zielgruppe. Nach Baumert (2019: 40) können Zielgruppen im Allgemeinen für verfasste Texte präziser erreicht werden, wenn eine einfache Sprache Verwendung findet. Um Texte in verständlicher Sprache verfassen zu können, sollten ihre Autoren die Lesekompetenz möglicher Zielgruppen stärker beachten (Baumert 2019: 40).
Eine Analyse der politischen Sprache im Allgemeinen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der exemplarischen Untersuchung der in den Parteiprogrammen verwendeten Sprache. Parteiprogramme sind in der Politik von hoher Relevanz, da sie darauf abzielen, die Willensbildung eines Volkes in der Demokratie unmittelbar zu beeinflussen. Parteiprogramme sollen Parteien dabei helfen, möglichst viele Wähler von den politischen Standpunkten der Partei zu überzeugen. Um möglichst viele Wählerstimmen für sich zu generieren und um Missverständnisse auf Seiten der Leser ausschließen zu können, bedarf es einer präzisen Vermittlung politischer Aussagen an die Öffentlichkeit (Ickes 2008: 121). Eine fachspezifische und komplizierte Sprache stellt in diesem Zusammenhang eine Barriere dar.
Greift man die Forderung Baumerts (2019) auf, in Texten die Lesekompetenz möglicher Zielgruppen stärker zu beachten (Baumert 2019: 40), so tut sich für Parteiprogramme ein Dilemma auf: Sie sind in der Regel an alle Gesellschaftsschichten gerichtet sind. Wenn man davon ausgeht, dass alle Bürger, die veröffentlichen Parteiprogramme lesen, gilt es, eine Vielzahl von Lesergruppen verschiedenster Sprachniveaus zu erreichen. Um politische Inhalte in Pateipro- grammen an die Gesamtbevölkerung zu vermitteln, bedarf es als Konsequenz einer möglichst einfachen Sprache, ohne dass diese über-simplifiziert und noch hinreichend differenziert. Das ist keine leichte Aufgabe, und es verwundert nicht, dass dies offensichtlich in der Praxis häufig nicht gelingt. Es stellt sich auch die Frage, wodurch sich eine einfache Sprache auszeichnet. Darauf wird in Kapitel 4 noch eingegangen.
Die in Parteiprogrammen vorfindbare politische Kommunikation wurde bereits wissenschaftlich untersucht. Dabei kamen sowohl qualitative als auch quantitative Forschungsmethoden zur Anwendung. Die Ergebnisse sind vielschichtig und schwierig miteinander vergleichbar - nicht zuletzt, weil methodisch sehr unterschiedlich vorgegangen wurde. Auf Seiten der quantitativen Studien bezüglich der Sprachlichen Verständlichkeit von Parteiprogrammen fehlt bisher eine Analyse der Programme Schweizer Parteien. Diese Forschungslücke soll in dieser Arbeit weiter geschlossen werden. Außerdem fehlt auf Seiten der quantitativen Studien ein simples, transparentes und nachprüfbares Verfahren für die Analyse der sprachlichen Verständlichkeit von Parteiprogrammen. Zwar konnten schon unter Verwendung quantitativer Methoden aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden (Brettschneider/Thoms 2019), jedoch ist das methodische Vorgehen nicht konkret nachvollziehbar. Die vorliegende Arbeit liefert einen Vorschlag zum Schließen dieser (methodischen) Forschungslücke.
Diese Arbeit geht folgender Forschungsfrage nach:
In -welcher Art und Weise gelingt es Schweizer Parteien, ihre politischen Überzeugungen in verständlicher Sprache an das Volk der Schweiz zu -vermitteln?
- Eine Sprachanalyse von Parteiprogrammen der EVP, der SP, der SVP, der CVP, der GPS und der BDP aus dem Jahr 2020
Im Rahmen dieser Arbeit beschäftige ich mich ausschließlich mit der politischen Kommunikation Schweizer Parteien. Eine Sprachanalyse der Parteiprogramme Deutschlands (Brettschneider und Thoms 2019) und Österreichs (Brettschneider et al. 2017) existiert bereits, während eine Sprachanalyse der Parteiprogramme in der Schweiz nach aktuellem Kenntnisstand noch nicht erfolgt ist. Die Konzentration auf Schweizer Parteiprogramme bietet damit einen wissenschaftlichen Mehrwert. Ich berücksichtige in der Sprachanalyse die aktuellen Parteiprogramme der EVP, der SP, der SVP, der CVP, der GPS und der BDP. Es werden ausschließlich die Programme der Parteien untersucht, welche im Internet auf den Webseiten der Parteien aufzufinden sind. Trotz dieser Beschränkung bilden die oben genannten Parteien ein breites Spektrum von „linken“ bis zu konservativen und „rechten“ Parteien ab. Insgesamt ist die Schweizer Parteienlandschaft damit relativ gut abgebildet, so dass die Ergebnisse der Analyse auch eine praktische Relevanz für die aktuelle Wählerschaft haben könnte.
Wesentliche theoretische und methodische Grundlagen dieser Arbeit sind in sprachwissenschaftlichen Publikationen sowie in solchen zur politischen Kommunikation zu finden. Publikationen in der Schnittmenge der beiden Themenbereiche sindjedoch äußerst selten.
Im Rahmen der allgemeinen Forschungsfrage sind in dieser Arbeit einige Teilfragen von besonderem Interesse:
Nutzen rechtspopulistische Parteien eine volknähere Sprache in ihren Parteiprogrammen als andere Parteien?
Rechtspopulisten werfen anderen Parteien häufig die sprachliche Verschleierung politischer Inhalte vor, was sich in einer komplexen Sprache und dem häufigen Gebrauch von Fachtermini niederschlagen müsste. Das Umgekehrte sollte für die Sprache in ihren eigenen Parteiprogrammen zutreffen.
Welches Sprachniveau wird in den Schweizer Parteiprogrammen verwendet, um möglichst breite Wählergruppen zu erreichen?
Ein für alle Wählergruppen verständliches Sprachniveau ist für die Wirksamkeit eines Parteiprogramms unerlässlich.
Inwiefern gibt es eine Anhäufung -von bestimmten Wörtern, -welche imjeweiligen Parteiprogramm der Parteien -vorzufinden sind?
Der häufige Gebrauch bestimmter Wörter kann als Hinweis für das Gewicht thematischer Schwerpunkte imjeweiligen Parteiprogramm dienen.
Die Auswahl der Teilfragen erfolgte vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Relevanz und methodischer Machbarkeit.
Ein Großteil der für diese Arbeit herangezogenen wissenschaftlichen Quellen besteht aus Publikationen zu politischer Kommunikation, zu Parteiprogrammen und zu sprachlicher Verständlichkeit. Es wird der Versuch unternommen, Theorien von politischer Kommunikation mit Sichtweisen zu Parteiprogrammen zu verknüpfen und diese in Beziehung zu Theorien bezüglich sprachlicher Verständlichkeit zu setzen.
Die politische Kommunikation lässt sich nach Kercher (2013: 25) in verschiedene Kommunikationsformen aufteilen. Die politische Außenkommunikation ist demnach an die Öffentlichkeit eines politischen Systems gerichtet, in welchem die Bürger als Rezipienten dienen. Die Binnenkommunikation ist interner Natur und zielt auf die Politiker als Rezipienten (Kercher 2013: 25). Dabei kommt es gerade bei politischer Binnenkommunikation zur Verwendung einer fachspezifischen Sprache mit einer Anhäufung von Fachbegriffen und für die Politik typischen Redewendungen (Kercher 2013: 25).
Die Unterscheidung zwischen Außen- und Binnenkommunikation spielt im Umgang mit Parteiprogrammen eine wesentliche Rolle, denn hier haben wir es ausschließlich mit einer Kommunikation zu tun, die an die Öffentlichkeit gerichtet ist (politische Außenkommunikation). Diese Öffentlichkeit istjedoch beim Prozess der Aufstellung und Formulierung der Parteiprogramme ausgeschlossen - hier haben wir es also ausschließlich mit Binnenkommunikation zu tun. Im Rahmen dieser Arbeit sind vor allem Publikationen zur politischen Außenkommunikation relevant.
Die politische Außenkommunikation lässt sich nach Kercher (2013: 25) in zweierlei Bereiche unterteilen. Es gibt zum einen mit der Sprache der Gesetzgebung einen kommunikativen Bereich in der Politik, welcher zur Erstellung von Gesetzesentwürfen genutzt wird und den Bürger als ein sprachliches Objekt versteht (Kercher 2013: 25). Dieser Bereich richtet sich nicht unmittelbar an die Bürger eines politischen Systems als Subjekte, sondern beschreibt ihre Rolle in Form von Gesetzesentwürfen (Kercher 2013: 25).
Im Bereich der Außenkommunikation, der von Politikern für die wechselseitige Kommunikation mit der Öffentlichkeit (Journalisten und Bürger) genutzt wird, kommt die sogenannte Politikersprache zur Anwendung (Kercher 2013: 25). Hierbei richten sich Politiker kommunikativ direkt an die Bürger eines politischen Systems zur politischen Willensbildung (Kercher 2013). Die Bürger nehmen hierbei die Rolle von Subjekten ein.
Folgt man Kerchers (2013) Terminologie, so werden Parteiprogramme in Politikersprache verfasst.
Sprache als eine Hauptform der Kommunikation ist für die Politik von großer Bedeutung. Ohne Sprache ist Politik in demokratischen Gesellschaften kaum denkbar: „Kommunikation und Information sind also die Grundkategorien der 'westlichen Demokratie-Auffassung. Sie ermögli- chenjene diskursive Meinungsbildung, auf der demokratische Entscheidungs- und Handlungsvollzüge aufruhen.“ (Jäger 1996: 67)
Unter den vielfältigen Funktionen der Sprache ist laut Niehr (2014: 13) die Appellfunktion für die Politik von besonderer Bedeutung. Schon Burkhardt (1996), der den Begriff der „Politolinguistik“ als Grenzgebiet zwischen Politikwissenschaft und Linguistik einführte
(Burkhardt 1996: 82), wies auf diesen Charakter der politischen Sprache hin:
„Politischem Handeln und Sprechen liegen vielfältige Interessen zugrunde, die ihrerseits die Handlungs- und Sprechhandlungsintentionen determinieren. In demokratisch-pluralistischen Systemen ist politische Kommunikation vom Widerstreit der Interessen, Meinungen und Weltanschauungen geprägt, der sich bis in die - großenteils selber konfliktäre - Lexik und deren ideologisch gegensätzliche Verwendung hinein auswirkt. Insofern ist politisches Sprechen notwendigerweise parteilich und bedient sich ideologisch wertender Sprachformen.“ (Burkhardt 2003: 120)
Das methodische Vorgehen in der Politolinguistik ist recht komplex und vielseitig. Dem dort vorherrschenden wissenschaftlichen Anspruch kann die vorliegende Arbeit nicht in vollem Umfang gerecht werden. Stattdessen beschränkt sich diese Studie in zweierlei Hinsicht:
a) Sie findet ausschließlich aufWortebene statt.
Die Methoden der Politolinguistik kennen drei Analyseebenen (Niehr 2014):
- die Wortebene,
- die Textebene,
- die Diskursebene
In der vorliegenden Studie werden also die Textebene und die Diskursebene nicht behandelt.
b) Sie geht streng quantitativ vor.
Linguisten stellen bei ihrer Analyse einzelne Wörter immer in den Zusammenhang mit Texten, Textsammlungen und übertextlichen Gegebenheiten. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem „Textkorpus“ (Niehr 2014: 63) oder auch von „Frames“ (Niehr 2014: 76 ff.) unter denen die beim Rezipienten vorherrschenden Wissensstrukturen versteht. Dies entspricht weitgehend einem qualitativen Forschungsansatz. Diesem Anspruch kann und will die vorliegende Arbeit nicht gerecht werden.
Der Vorteil dieser beiden methodischen Beschränkungen liegt in der Einfachheit und der Übertragbarkeit auf andere als die hier untersuchten politischen Texte.
Der politische Wortschatz
Der politische Wortschatz ist laut (Dieckmann 2005: 17) „insgesamt nichtfachsprachlich“, also alltagssprachlich. Dies liegt vermutlich am oben angesprochenen Appellcharakter der politischen Sprache: Es geht in einer Demokratie darum, Mehrheiten zu schaffen. Dazu braucht man eine bürgernahe Sprache.
Laut Dieckmann (2005:17 ff.) macht es allerdings Sinn, im politischen Wortschatz zwischen bestimmten Teilbereichen zu unterscheiden:
a) Institutionsvokabular
Die hier vorzufindenden Wörter werden benutzt, um politische Sachverhalte in der Kommunikation zwischen Politikern sowie zwischen diesen und den Bürgern möglichst neutral zu benennen. Beispiele dafür sind „Demokratie“, „Grundgesetz“ oder „Abstimmung“.
b) Ressortvokabular
Bei diesen Wörtern handelt es sich um Expertenbegriffe, die im politischen Alltag zwischen Politiker verwendet werden, die sich mit speziellen Sachfragen beschäftigen. Beispiele dafür sind „Gesundheitsfond“, „Abwrackprämie“ oder „Giftmüll“. Je nach Zusammenhang können solche Begriffe allerdings auch zum Ideologievokabular gerechnet werden.
c) Ideologievokabular
Wörter in dieser Kategorie sind in der Regel neben ihrer reinen Wortbedeutung mit politischen oder weltanschaulichen Werten besetzt (z.B. „Frieden“, „Folter“ oder „Menschenrechte“). Außerdem ist die Wortbedeutung häufig mit bestimmten politischen oder weltanschaulichen Ideologien verbunden (z.B. „progressiv“, „konservativ“ oder „Schwangerschaftsunterbrechung“).
d) Allgemeines Interaktionsvokabular
Dieser Kategorie ordnet Dieckmann (2005:17 ff.) alle politischen Begriffe zu, die nicht in die ersten drei Kategorien gehören.
Bei der in dieser Studie untersuchten Parteiprogrammen könnte die Häufigkeit, mit der bestimmte politische Begriffe in den untersuchten Texten vorkommen, Hinweise dafür liefern, inwiefern Wörter, die dem Ressortvokabular entstammen, im Wettstreit der Parteien zum Ideologievokabular geworden sind.
Deontik
Neben der Grundbedeutung (Denotation) besitztjedes Wort eine Reihe von Nebenbedeutungen (Konnotationen). Durch den Appellcharakter der politischen Sprache sind hier besonders Bedeutungen wichtig, die man als „deontisch“ bezeichnet:
„Deontische Bedeutung: mit diesem Begriff ist also diejenige Bedeutung oder Bedeutungskomponente von Wörtern oder Wendungen gemeint, kraft derer Wort oder Wendung bedeutet oder mitbedeutet, daß wir, in Bezug auf einen Gegenstand, etwas nicht dürfen, dürfen oder sollen. Das Paradebeispiel für ein Wort mit einer deontischen Bedeutung ist das Wort Ungeziefer, in dessen Bedeutung mit enthalten ist, daß man das vertilgen und ausrotten soll, was man als Ungeziefer bezeichnet. Ein toto coelo anderes Beispiel ist das Wort Freiheit, in dessen Bedeutung mitenthalten ist, daß sie ein hohes Gut ist, das also erstrebt und erhalten werden muß“ (Hermanns 1989: 74).
Besetzt eine Partei einen politischen Begriff eindeutig positiv oder negativ in deontischer Weise, so kann es ihr gelingen, aufkommende Diskussionen im Keim zu ersticken, indem man sie als überflüssig abtut. Die in der Schweiz sehr positive Besetzung des Begriffs „direkte Demokratie“ kann es z.B. Gegnern gewisser Auswüchse dieser Demokratieform deutlich erschweren, ihre Argumente hörbar zu machen.
Schlagwörter
„Die moderne Forschung bezeichnet mit, S.‘ einen Ausdruck, der zu einer bestimmten Zeit besondere Aktualität gewinnt und mit dem ein Programm oder eine Zielvorstellung öffentlich propagiert wird. S. sollen sowohl das Denken wie auch die Gefühle und das Verhalten von Menschen steuern. Deshalb werden sie in metaphorisch-polemischer Perspektive häufig mit einer gefährlichen Waffe verglichen, die der (politische) Gegner in Händen hält [...]“ (Niehr 2007: 496).
Hermanns (1994) unterscheidet Schlagwörter in Affirmationswörter und Stigmawörter. Welches von beiden der Fall ist, hängt vom jeweiligen politischen Standpunkt ab. Besonders Stigmawörtern kommen seiner Ansicht nach die Funktion des „Markierens des Parteistandpunkts“ zu (Hermanns 1994: 19)
Parteiprogramme aus linguistischer Sicht
Unter den Texten, die von der Politolinguistik untersucht werden, spielen Parteiprogramme eine prominente Rolle. Insbesondere mit ihren Grundsatzprogrammen geben sich Parteien auf Jahre hinaus eine strategische Richtung, die sowohl parteiintern verpflichtend ist, für die sie nach außen hin auch konsequent werben. Parteiprogramme sind für alle Mitglieder einer Partei verbindlich. Dies macht nach Hermanns (1989: 73) insbesondere Grundsatzprogramme nicht nur zu parteiinternen „Grundgesetzen“ sondern auch zu „Sprachnormierungsversuchen“. Durch das Festlegen auf konkrete Standpunkte und die damit verbundenen Begrifflichkeiten werden Parteiprogramme von außenjedoch leicht angreifbar.
Nach Hermanns (1989: 118) sind die Verfasser von Parteiprogrammen in einer Situation, die mit einem Verhör vergleichbar ist: Alles, was sie sagen, kann gegen sie verwendet werden. Neben den Grundsatzprogrammen haben die Wahl-, Aktions- und Regierungsprogramme ebenfalls verpflichtenden Charakter, sie sindjedoch eher auf kurz- bis mittelfristige Ziele ausgerichtet. Parteiprogramme können also unterschiedliche Funktionen haben. Sie dienen damit nach (Hermanns 1989: 119) „nicht nur vielen Herren, sondern auch unterschiedlichen Zwecken“.
Politikwissenschaftler haben sich ausführlich mit den unterschiedlichen Funktionen von Parteiprogrammen beschäftigt (Ballnuß 1996: 38 ff., Niehr 2006: 26). Dem gegenüber analysieren Sprachwissenschaftler die Parteiprogramme nach sprachlichen Kriterien. In dieser Arbeit ist dabei im Wesentlichen die Wortebene interessant:
Laut Niehr (2014: 114 ff.) versuchen die Autoren der Parteiprogramme, strategisch wichtige deontische Begriffe für ihre Zwecke einzusetzen sowie durch die Auswahl der richtigen Schlagwörter den eigenen Parteistandpunkt zu markieren. Er macht dies am Beispiel des Wahlprogramms der SPD aus dem Jahre 2005 deutlich. Schon bei oberflächlicher Betrachtung springen im bereits in den Überschriften zahlreiche Schlagwörter wie „Soziale Marktwirtschaft, Solidarität, Freiheit, Sozialstaat, Frieden, Chancengleichheit“ ins Auge. Dabei handelt es sich ihm zufolge um affirmative Schlagworte für die Charakterisierung des eigenen Standpunktes. Bei der Beschreibung des generischen Standpunktes (von CDU und FPD) kommen dagegen stigmatisierende Schlagwörter ins Spiel, wie z.B. „Irrglaube, Entsolidarisierung, Zerstörung“ usw.
[...]
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