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Masterarbeit, 2020
169 Seiten, Note: 1,0
KURZFASSUNG
ABSTRACT
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
1. Relevanz und Zielsetzung des Themas
2. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
II. SOCIAL ENTREPRENEURSHIP
1. Begriffsbestimmung und Konzeptualisierung
2. Charakteristische Merkmale
2.1. Gründerpersönlichkeit und Governance-Struktur
2.2. Komplexes Stakeholdernetzwerk
2.3. Soziale Wirkungsmessung und Reporting
2.4. Politische Rahmenbedingungen
2.5. (Social) Marketing
2.6. Skalierung und Social Mission Drift
III. STORYTELLING
1. Homo Narrans
2. Begriffsabgrenzung: Geschichte, Narration, Erzählung
3. Architektur einer Geschichte
3.1. Grundelemente
3.2. Strukturelemente
3.3. Botschaft
4. Storytelling in Unternehmen
4.1. Wirkungsweisen von Geschichten
4.2. Bedeutung der Core Story
4.3. Einsatzbereiche
4.3.1. Identitätsarbeit und Wertevermittlung
4.3.2. Leadership und Sinnkommunikation
4.3.3. Wissensmanagement
4.3.4. Marktforschung
4.3.5. Markenbildung und -kommunikation
4.3.6. Change Kommunikation
IV. STAND DER FORSCHUNG
V. UNTERSUCHUNGSLEITENDE FRAGESTELLUNGEN
VI. METHODISCHES VORGEHEN
1. Gütekriterien
2. Erhebungsmethode
3. Auswahl der Interviewpartner, Durchführung, Transkription
4. Auswertungsmethode
VII. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE
1. POTENZIALERKENNUNG UND -NUTZUNG
1.1. Starkes Why - Story in a nutshell
1.2. Status Quo: Storytelling-Kultur
2. Organisationsidentität und soziale Zielsetzung
2.1. Identitätsarbeit und Werte
2.2. Die Core Story
3. Der Gründer und partizipative Governance
3.1. Die Gründerstory: Chancen und Risiken
3.2. Leadership, Sinnstiftung und Storylistening
3.3. Wissensmanagement, NewWork und Teambuilding
4. Multi-Stakeholdergeflecht
4.1. Anpassung der Core Story an das Stakeholdernetzwerk
4.2. Konflikt- und Stakeholderanalyse
4.3. Zusammenarbeit mit Begünstigten
4.4. Pflege von Kooperationen: Community-Aufbau
5. Marktforschung: Problemidentifikation und soziale Wirkungsmessung
6. Die SEO-Marke
7. Public- und Investor Relations
7.1. Das Wirkungsreporting
7.2. Hoffnungsgeschichten in einem gesellschaftlich-politischen Umbruch
7.3. Das Spannungsfeld Social - Business erzählen
7.4. Presse-/Medienarbeit
8. Content Marketing und Fundraising
8.1. Elemente einer überzeugenden Geschichte
8.2. Digitale Storytelling-Trends
8.3. Herausforderungen und Fehler
9. Skalierungsprozesse
10. Der strategische Storytelling-Zyklus
11. Einsatz von Storytelling entlang des SEO-Gründungspfades
VIII. DISKUSSION
1. Bewertung des Forschungskonzeptes
2. Diskussion der Ergebnisse
3. Einordnung der Ergebnisse in das Forschungsfeld
4. Begrenzungen und Empfehlungen für weiterführende Forschungen
IX. FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG A: LEITFADEN EXPERTENINTERVIEW
ANHANG B: CODIERLEITFADEN
Soziale, ökologische und ökonomische Missstände sind in der öffentlichen Debatte allgegenwärtig. Bei dem Weg hin zu einer global nachhaltigen Entwicklung wird Social Entrepreneurship eine Schlüsselposition zuerkannt. Die Faszination des Phänomens liegt in der Verbindung der konkurrierenden Ansätze „Social“ und „Business“: Mit unternehmerischen Mitteln wird die Lösung gesellschaftlicher Probleme angestrebt.
Grundlegendes Ziel dieser Arbeit ist es, narrative Methoden auf den Sektor zu übertragen, um Social Entrepreneure darin zu unterstützen, die ihnen zugrundeliegenden Chancen wahrzunehmen und Herausforderungen zu überwinden. Denn immer mehr Praktiker beobachten, dass die erfolgreichsten Social Enterprises diejenigen sind, die die Kraft von Narrativen verstehen und nutzen. Dazu werden 14 Storytelling-Experten aus der Social Impact-Branche in halbstrukturierten-leitfadenorientierten Interviews befragt.
Die Arbeit führt Lesende entlang einer theoretischen Annäherung an die beiden Themengebiete Social Entrepreneurship und Storytelling überden Weg der Verankerung der Methode hin zu den erforschten Merkmalen und Einsatzpotenzialen im Praxisfeld.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Geschichten neben der Transformation der Gesellschaft auch die Transformation und Reflexion der internen Struktur einer Social Enterprise unterstützen und ihre Legitimationsgrundlage bilden. Über das Erzählen von Geschichten fließen ihr Aufmerksamkeit, Engagement, Legitimation und materielle Ressourcen von außen und innen zu. Social Enterprises, die sich ihrer narrativen Fundierung nicht bewusst sind oder dieser keinen Wert beimessen, können ihrer Aufgabe als Gestalter des Wandels nur bedingt gerecht werden und sind als nicht zukunftsfähig einzuschätzen.
Social, ecological and economic grievances are omnipresent in the public debate. Social entrepreneurship is considered to be a key factor on the way to a globally sustainable development. The fascination of the phenomenon lies in the combination of the competing approaches "social" and "business": With entrepreneurial means the solution of social problems is aimed at.
The objective of the study is to transfer narrative methods to the sector, in order to support social entrepreneurs in seizing the underlying opportunities and overcoming challenges. More and more practitioners observe that the most successful social enterprises are those who understand and use the power of narratives. For this purpose, 14 storytelling experts from the social impact sector are questioned in semi-structured guideline-oriented interviews.
This thesis takes readers along a theoretical approach to the two topics of social entrepreneurship and storytelling, from the way the method is anchored to the characteristics researched and the diverse applications in the practical field.
The results of the study show that, in addition to transforming society, stories also support the transformation and reflection of the internal structure of a social enterprise and form its legitimation basis. By telling stories, attention, legitimacy, commitment and material resources flow to it from outside and inside. Social enterprises that are not aware of their narrative foundation or do not attach any value to it can only fulfil their task as shapers of social change to a limited extent and cannot be regarded as sustainable.
ABB. 1: SE ALS VERBUNDKONZEPT
ABB. 2: DIE WIRKUNGSTREPPE
ABB. 3: KLASSISCHER SPANNUNGSBOGEN NACH LESSING UND HITCHCOCK
ABB. 4: DIE HELDENREISE NACH VOGLER
ABB. 5: KATEGORIENSYSTEM NACH QUALITATIVER INHALTSANALYSE
ABB. 6: POTENZIALERKENNUNG UND -NUTZUNG
ABB. 7: IDENTITÄTSARBEIT UND WERTE
ABB. 8: DIE CORE STORY
ABB. 9: DIE GRÜNDERSTORY
ABB. 10: LEADERSHIP, SINNSTIFTUNG UND STORYLISTENING
ABB. 11: WISSENSMANAGEMENT, NEW WORK UND TEAMBUILDING
ABB. 12: KONFLIKT- UND STAKEHOLDERANALYSE
ABB. 13: ZUSAMMENARBEIT MIT BEGÜNSTIGTEN
ABB. 14: COMMUNITY-AUFBAU
ABB. 15: MARKTFORSCHUNG
ABB. 16: DIE SEO-MARKE
ABB. 17: PUBLIC UND INVESTOR RELATIONS
ABB. 18: STORYTELLING ALS INSTRUMENT IM CONTENT MARKETING UND FUNDRAISING
ABB. 19: ELEMENTE EINER ÜBERZEUGENDEN GESCHICHTE
ABB. 20: DIGITALE STORYTELLING-TRENDS
ABB. 21: HERAUSFORDERUNGEN UND FEHLER
ABB. 22: CHANGE KOMMUNIKATION
ABB. 23: DER STRATEGISCHE STORYTELLING-ZYKLUS
ABB. 24: EINSATZ VON STORYTELLING ENTLANG DES GRÜNDUNGSPFADES EINER SEO
ABB. 25: UNTERSTÜTZER-COMMUNITY
TABELLE 1: CHARAKTERISIERUNG DER INTERVIEWPARTNER
TABELLE 2: AUSZUG DES CODIERLEITFADENS
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Seit Anbeginn der Menschheit trägt die Welt den Kampf zwischen Gut und Böse aus. Einer der berühmtesten Managementtheoretiker, Michael Porter, formuliert diesen Konflikt wie folgt: „There are the folks that worry about the social agenda and then there are the folks that do business and those are in an uneasy, and sometimes conflicting, relationship with each other" (Driver 2012: 423). Die Faszination des Phänomens Social Entrepreneurship liegt in der Verbindung dieser konkurrierenden Ansätze - so werden mit Hilfe unternehmerischer Aktivitäten soziale Verbesserungen erzielt (vgl. Mair / Marti 2006; Marshall 2011).
Weltweit bekannt wurde die Idee des Social Entrepreneurship erstmalig durch die Ehrung des Sozialunternehmers Muhammad Yunus mit dem Friedensnobelpreis im Jahr 2006 (vgl. Danko / Brunner 2010; Plaskoff 2012). Um die Armut in Bangladesh zu bekämpfen, gründete Yunus 1983 die erste Bank, die Mikrokredite an sozial benachteiligte Menschen gewährte, ohne Sicherheiten der Kreditnehmer zu verlangen. Mit diesem Ansatz revolutionierte er nicht nur die Kreditbranche, sondern erhöhte auch die Investitionen in der Mikrokreditbranche auf vier Milliarden USD(vgl. Danko/Brunner2010).
Die Relevanz von Social Entrepreneurship für die Praxis ergibt sich aus der wachsenden Nachfrage nach der Bewältigung gesellschaftlicher Probleme. Soziale, ökologische und ökonomische Missstände sind in der öffentlichen Debatte allgegenwärtig. Während sich ein Großteil der Menschheit mit existenziellen Problemen wie Armut, Menschenrechtsverletzungen oder Hungersnot auseinandersetzen muss, sieht sich die Gesellschaft in entwickelten Industrieländern primär mit ökonomischen Problemen konfrontiert: Wirtschafts- und Finanzkrisen belasten die öffentlichen Kassen, der demografische Wandel, Migration, Arbeitslosigkeit, die Herausforderungen der Digitalisierung und ein erhöhter Druck durch immer kürzer werdende Innovationszyklen beschäftigen die Bevölkerungen der westlichen Welt. (vgl. Achleitner et al., 2007: 13.; Speich; 2012: 13 ff.) Um den Weg hin zu einer global nachhaltigen Entwicklung einzuschlagen, haben die Vereinten Nationen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) definiert, die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. Social Entrepreneurship wird dabei eine Schlüsselposition zuerkannt: „Social entrepreneurs are seen to have contributed the most to advancing the sustainable developmentagenda” (GlobeScan-SustainAbility 2017: 12).
Eine weitere Chance des Social Entrepreneurship liegt in dem sich verändernden Verbraucherverhalten. Der Sustainability Image Score (SIS) 2017 zeigt, dass rund 70% der Konsumenten1 beim Kauf Wert auf die Nachhaltigkeit des Unternehmens und dessen Produkte legen (vgl. Facit Group 2017). Es besteht ein erhöhtes Anspruchsdenken: Die Verbraucher verlangen von Unternehmen, dass sie nicht nur verantwortungsbewusst agieren, sondern auch soziale Missstände beseitigen (vgl. Plaskoff 2012). Dementsprechend können Social Enterprises, die durch das Verfolgen ihrer sozialen Mission dem geänderten Anspruchsdenken gerecht werden, Wettbewerbsvorteile generieren.
Dieser Wettbewerbsvorsprung wird besonders bedeutsam, wenn ein Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage geworfen wird. Denn die Wirtschaft befindet sich auf dem Weg zu einem Paradigmenwechsel, der bereits begonnen hat. Obwohl der Grundgedanke des Kapitalismus im gerechten und effizienten Verteilen von Gütern liegt, hat sich der Schwerpunkt in der modernen Gesellschaft eher auf die Effizienz und weniger auf die ökonomische Gleichverteilung verlagert. Dieses Marktversagen hat den Grundstein für die Entstehung von Social Entrepreneurship gelegt, (vgl. VanSandt et al. 2009; Korten 2015) Für Michael Porter ist Social Entrepreneurship gar ein erster Schritt hin zu einer Transformation des Kapitalismus: Der von SEOs kreierte soziale Wert wird ihm zufolge langfristig als Kerngedanke in jeder Geschäftsidee enthalten und ausschlaggebend für den Unternehmenserfolg sein (vgl. Driver 2012). „Angesichts der hohen sozialen und ökologischen Kosten unseres gegenwärtigen Wirtschaftsmodellswerden soziale und wirtschaftliche Innovationen kein Gegensatzpaar mehr sein, sondern gesellschaftliche Zukunftschancen formulieren“, stellen auch Gottwald et al. (2014: 53)fest.
Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, stecken in dem jungen Feld Social Entrepreneurship zweifelsohne große Chancen, jedoch stehen die Akteure aktuell noch vor vielfältigen Hürden. So weisen Social Entrepreneurship Organizations (SEOs)2 eine vielseitigere Stakeholder- Landschaft als gewinnorientierte Unternehmen auf, wodurch ein komplexes Geflecht aus verschiedenen Ansprüchen entsteht. Die Herausforderung liegt in einer überzeugenden Organisationskommunikation, welche die beiden Ausrichtungen Social und Business gleichermaßen beinhaltet und die unterschiedlichen Stakeholder-Bedürfnisse wirkungsvoll befriedigt. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da diese Interessengruppen wichtige materielle und immaterielle Ressourcen wie Aufmerksamkeit, Legitimität, Engagement und finanzielle Investitionen bereitstellen - Ressourcen, die für das Bestehen einer SEO unerlässlich sind. (vgl. Miller / Wesley 2010: 705 ff.) Mit der Kommunikation ihrer sozialen Zielsetzung sollten SEOs zugleich gesellschaftliche und politische Reflexionsprozesse zukunftsweisend vorantreiben (vgl. Sailer et al. 2014: 110). Die Mitgestaltung politischer Prozesse ist dabei zentral: Eine schwache Lobby für Social Entrepreneurship in der Politik stellt aktuell die größte Hürde für den Sektor dar (vgl. DSEM 2018: 66).
Gesellschaftliche Missstände sind jedoch nicht durch die Leistung einer einzelnen Organisation vollständig zu lösen. Entsprechend ihrerVeränderungsvision haben die meisten SEOs die Absicht, ihre soziale Wirkung zu maximieren. Die Frage der Skalierbarkeit sozialer Wirkung und kooperativen Zusammenarbeit beschäftigt die Gesamtheit der Branchenakteure, (vgl. Beckmann / Ney 2013: 254; Oldenburg 2011: 124). Im Rahmen von Skalierungsprozessen kann es dabei leicht zu einer potenziellen Zielveränderung in der sozialen Mission (Mission Drift) kommen, was eine weitere zentrale Herausforderung des Modells darstellt (vgl. Battilana / Lee 2014: 414 f.). Um der sozialen Zielsetzung treu zu bleiben und nachhaltige Wirkung zu erzielen, sind partizipativere Governance-Strukturen als bei klassischen Unternehmen fundamental wichtig (vgl. Europäische Kommission 2014). Dem scheinbar entgegengesetzt nimmt die Gründerperson eine zentrale Rolle im Modell des Social Entrepreneurships ein (vgl. Roder2011: 129).
Neben den bishergenannten Herausforderungen, liegt auch in der Nachweiserbringung, dass der geschaffene soziale Wert gegenüber den Kosten der damit verbundenen Ressourcen überwiegt, eine besondere Schwierigkeit der Branche (vgl. Dees 2001). Das Verstehen, Messen und Kommunizieren der sozialen Wirkung ist entscheidend, um die Existenz der SEO gegenüber ihren Bezugsgruppen zu legitimieren und die Organisationsidentität zu fördern (vgl. DSEM2018: 37).
Gesamtbetrachtend ist festzustellen: Das Forschungsfeld Social Entrepreneurship steckt noch immer in den Kinderschuhen. Ganz besonders fehlt es an relevanten Erkenntnissen für die Praxis. Um die Chancen des Modells zu fördern und bei der Überwindung der Hürden zu unterstützen, lohnt sich eine Betrachtung aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen. Das grundlegende Ziel dieser Arbeit besteht deshalb in der Übertragung narrativer Methoden auf den Sektor. Denn immer mehr Praktiker beobachten, dass die erfolgreichsten SEOs diejenigen sind, die die Kraft von Narrativen verstehen und nutzen. Der globalen Förderorganisation Ashoka (2018) zufolge, scheint Storytelling gleichzeitig zu den mächtigsten und doch am wenigsten berücksichtigten Tools im Werkzeugkasten eines Social Entrepreneurs zu gehören. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie des Georgetown University Center for Social Impact Communication und der Meyer-Stiftung 2014: Storytelling ist aktuell zwar eines der erfolgversprechendsten, aber am wenigsten verstandenen Themen in der Branche. Ein Verständnis für die Potenziale und Einsatzmöglichkeiten von Geschichten fehlt bei dem Großteil der 150 befragten Organisationen (vgl. Dixon 2014).
Geschichten können Solidarität aufbauen und Zusammenarbeit organisieren (vgl. VanDeCarr 2015: 3). Menschen denken, erinnern und handeln in Geschichten. Durch sie entsteht Sinn und Bedeutung aus dem kontinuierlichen Strom von Ereignissen und Erfahrungen. Werte, Wissen und Normen werden durch Geschichten vermittelt. Sie wirken emotional und schaffen Identifikationspotenzial, (vgl. Chlopczyk 2017: 2) Insbesondere darum geht es auch SEOs: Sie wollen Gefühle wecken sowie Teilhabe und Verbundenheit bewirken. Um den Social Impact zu erhöhen, muss das Umfeld der SEO zum Handeln bewegt werden. Eine Geschichte, die eine SEO erzählt, kann bereits die angestrebte Veränderung selbst sein. (vgl. VanDeCarr 2015: 3) Die Arbeit mit Geschichten umfasst sowohl interne Tiefenstrukturen der Organisation als auch zielgerichtete Kommunikationsmaßnahmen. „Sometimes the stories we tell are the change we make, and they change us just as much as they change the audience [...] A single story won’t change the world. But the practice of storytelling might alter its course by a millimeter" (ebd.: 3). Bestrebungen für einen gesellschaftlichen Wandel kommen ohne Storytelling nicht aus.
Vor diesem Hintergrund wird im Verlauf dieser Studie erstmalig ein möglichst breiter Einblick in die verschiedenen Einsatzpotenziale und Merkmale narrativer Methoden im Social Entrepreneurship gegeben.
So wird untersucht, wie durch die Arbeit mit Geschichten die Entwicklung der sozialunternehmerischen Organisationsidentität und Mission unterstützt wird, wie die SEO ihrer sozialen Mission auch in Veränderungsprozessen treu bleibt und eine partizipative Governance gefördert werden kann. Dies beinhaltet die Frage nach der Rolle des Gründers und dem richtigen Umgang mit der Entstehungsgeschichte. Wie stärkt Storytelling einen effektiven Umgang mit dem komplexen Stakeholdernetzwerk und welche Bedeutung haben Geschichten in der Mobilisierung von Ressourcen wie Legitimität, Engagement, Finanzmittel und Aufmerksamkeit. Hierbei wird der Aufbau der sozialen Marke ebenso beleuchtet wie deren Kommunikation. In diesem Zusammenhang wird auch untersucht, wie Storytelling zu gestalten ist, um an politische Themen anzuknüpfen, gesellschaftliche Veränderung voranzutreiben und die beiden Systematiken Social und Business sinnvoll zu kommunizieren. Des Weiteren steht die Frage nach dem Einsatz narrativer Methoden in der qualitativen Messung der sozialen Wirkung, deren Kommunikation sowie Skalierung im Fokus der Studie. Um Handlungsempfehlungen für den praktischen Einsatz des Instruments Storytellings geben zu können, erfolgt ein knapper Blick auf die Etablierung einer Storytelling-Kultur, -Strategie und den Status Quo. (Siehe zur detaillierten Erläuterung der Fragen Kap. V)
Diese Arbeit basiert auf einem explorativen, qualitativen Forschungsdesign, da über das zu untersuchende Forschungsthema wenig fundiertes Wissen vorhanden ist. Die Durchführung von 14 halbstrukturierten-leitfadenorientierten Experteninterviews mit Storytelling-Beratern für wirkungsorientierte Organisationen dient dazu, Reichweite sowie Tiefe des Themas abzudecken und die Vielschichten Potenziale und Merkmale des Storytellings in SEOs zu verstehen.
Den Rahmen dieser Arbeit bilden Social Entrepreneurship und Storytelling im Unternehmenskontext. Zunächstwerden die relevanten theoretischen Grundlagen (Kap. II und III) innerhalb dieses Rahmens diskutiert. Im Fokus des Kapitels 11.1 steht eine terminologische Klärung des Begriffs „Social Entrepreneurship“ und es wird ein Verbundkonzept vorgestellt, das der Vielfalt an Ausprägungsformen des Phänomens gerecht wird. Darauf aufbauend, folgt in Kapitel II.2 eine Erläuterung der charakteristischen Merkmale, die gegenwärtig das Geschäftsmodell Social Enterpreneurship und den Sektor insgesamt kennzeichnen.
Kapitel III legt das theoretische Fundament für das Themengebiet „Storytelling“. So wird zunächst der Mensch als Geschichtenerzählerin den Blick genommen (Kap. 111.1), worauf eine knappe Definition relevanter Begriffe (Kap. III.2) folgt und die Architektur einer Geschichte (Kap. III.3) vorgestellt wird. Den Schwerpunkt bilden schließlich die Wirkungsweisen und vielfältigen Einsatzbereichevon Geschichten in Unternehmen (Kap. III.4).
Vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlagen, werden in Kapitel IV bisher durchgeführte Studien erläutert und verschiedene Blickwinkel auf das Forschungsfeld aufgezeigt. Aus dem Forschungsstand und den theoretischen Vorüberlegungen abgeleitet, werden in Kapitel V untersuchungsleitende Fragestellungen formuliert, die über das Forschungsdesign bestimmen, welches in Kapitel VI erklärt und begründet wird.
Im Anschluss erfolgt eine Darstellung der Studienergebnisse (Kap. VII). In Kapitel VIII wird zunächst geklärt, wie das methodische Vorgehen in Hinblick auf die Gütekriterien empirischer Forschung einzuschätzen ist. Im Folgenden werden die Resultate zusammengefasst, interpretiert, mit Überlegungen aus dem Theorieteil der Arbeit verknüpft und in den Gesamtkontext der untersuchungsleitenden Fragestellungen gesetzt. Zudem wird auf die Fragen eingegangen, wie sich die Studie in den größeren Zusammenhang des Forschungsfeldes einfügt, wo die Grenzen der Untersuchung liegen und welche Empfehlungen fürweiterführende Studien gegeben werden können.
Im Fazit (Kap. IX) erfolgt die Zusammenstellung derwesentlichen Aussagen dieser Studie.
Auch wenn die folgenden Überlegungen in der hier gebotenen Kürze notwendigerweise an der Oberfläche bleiben müssen, beschäftigt sich das vorliegende Kapitel mit der Definition und Einordnung des Phänomens Social Entrepreneurship sowie der Darstellung charakteristischer Merkmale, die für das allgemeine Verständnis der dargebotenen Thematik relevant sind. Die identifizierten Charakteristika werden im Ergebnisteil (VII) mit der Methode des Storytellings zusammengeführt.
Der begriffliche Ursprung des Social Entrepreneurship liegt in den 1980er Jahren - es handelt sich demnach um ein noch recht junges Feld (vgl. Desa 2010). Zwar besteht Einigkeit darüber, dass Social Entrepreneure auch schon zu früheren Zeitpunkten existierten, allerdings wird dabei meist auf berühmte Persönlichkeiten derWeltgeschichte zurückgegriffen.
So initiierte beispielsweise der Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt die Neuorganisation des Bildungswesens und gründete 1809 die Universität von Berlin. Seine Ideen stießen weltweit eine bedeutsame soziale Veränderung an, was ihn zu einem der bedeutsamsten Social Entrepreneuren seiner Zeit machte. Als eine weitere wichtige Social Entrepreneurin gilt Florence Nightingale (1820-1910), die im Krimkrieg 1854 die Pflege verwundeter britischer Soldaten revolutionierte, indem sie die medizinische Versorgung sowie die hygienischen Verbindungen verbesserte. Ihre Popularität ermöglichte es ihr anschließend, die erste Krankenschwesternschule Englands zu gründen, (vgl. Gergs 2011: 179)
Als grundsätzlich neu kann das Phänomen somit nicht beschrieben werden - die Strategien des aufstrebenden Social Entrepreneurship-Sektors hingegen schon. Ebenso die Versuche, dieses Themengebiet systematisch zu erforschen, was als ein Phänomen der letzten drei Jahrzehnte angesehen wird. (vgl. Boddice 2009: 137; Dees 2001; Faltin2008: 173)
In der Literatur gibt es verschiedene Ansätze, um Social Entrepreneurship zu definieren. Dacin et al. (2010: 39ff.) listen 37 unterschiedliche Definitionen auf, wobei sie herausarbeiten, dass der Fokus vor allem auf vier Bereichen liegt: Charakteristika des Social Entrepreneurs, Branche, Entstehung und Ressourcen sowie Mission und Ergebnis der Gründung. Diese Vielfalt an Interpretationen verdeutlicht, dass es bis dato keine einheitlich anerkannte oder gar exakte Definition des Begriffes Social Entrepreneurship gibt (vgl. Choi / Majumdar2014).
Als einer der einflussreichsten Social Entrepreneurship-Theoretiker gilt Dees (vgl. Barki et al. 2015). In seiner Definition - die zu den meist zitierten zählt - zeigt er fünf Kriterien auf, die einen Social Entrepreneur ausmachen. Ihm zufolge zeichnet sich dieser durch die Motivation aus, die seinem Handeln zugrunde liegt. Er...
... richtet sein Handeln an der Schaffung sozialen Mehrwerts aus: Sein Interesse gilt einer nachhaltig wirksamen und aus diesem Grund auch eher langsamen Entwicklung. Finanzieller Mehrwert rückt in den Hintergrund.
... ist kontinuierlich auf der Suche nach neuen Möglichkeiten und verfolgt hartnäckig die Umsetzung seiner Ideen: Probleme werden für ihn zu Chancen. Dort wo blinde Flecke eingefahrener Normalitäten bestehen, nimmt er Chancen zurVeränderung wahr.
... schafft einen Prozess der fortlaufenden Innovation und des Lernens: Der Social Entrepreneur zeigt sich unermüdlich, wenn es darum geht Pionierarbeit zu leisten und Neuland zu betreten. Erzeichnet sich durch seine Kreativität und Innovationskraft aus.
... handelt mutig und lässt sich nicht von mangelnden Ressourcen einschränken: Bei der Umsetzung seiner Ideen beginnt er häufig mit wenigen Mitteln und zeigt sich als besonders talentiert, wenn es darum geht, notwendige Ressourcen zu akquirieren - z.B. von staatlichen Institutionen, Stiftungen und Privatpersonen.
... zeigt sich in hohem Maße verantwortlich für die Gesellschaft und die sozialen Folgen seines Handelns: Er kontrolliert ständig inwieweit sein Handeln tatsächlich sozialen Mehrwert schafft und versucht, die Werte und Nöte seiner Zielgruppe verstehen, (vgl. Dees 2001; Fueglistaller etal. 2008:492)
Umso besser entspricht ein Social Entrepreneur der Defintion von Dees, je mehr der oben genannten Punkte erfüllt sind (vgl. Dees 2001).
Das Ziel von Social Entrepreneuren ist es, „aus der Mitte der Gesellschaft heraus mit unternehmerischer Kreativität und den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten .sozialen Mehrwert' zu schaffen“ (Empter / Hackenberg 2011:11). Dieser Wert bzw. die soziale Wirkung (vgl. Kapitel II.2.3) hat eine höhere Priorität als die Wohlstandsmaximierung des Gründers und ist das Ergebnis der sozialen Mission (vgl. Chell 2007; Dees 2001). Mit der Konzeption der sozialen Mission wird Auskunft über positive Veränderungen gegeben, welche die SEO in einem gesellschaftlichen Bereich erzielt (vgl. Strothotte / Wüstenhagen 2004). Der Social Entrepreneur fokussiert mit seiner sozialen Mission Grundbedürfnisse, die langfristig befriedigt werden (vgl. Austin et al. 2006). Hiermit ist die Versorgung von grundlegenden Bedürfnissen, wie beispielsweise Essen, Trinken, Obdach, Bildung oder medizinische Versorgung gemeint (vgl. Dacin et al. 2010). Statt nur die Symptome zu bekämpfen, sollen die Ursachen von gesellschaftlichen Problemen behoben werden.
Dieser Glaube an eine nachhaltige, positive gesellschaftliche Veränderung ist stark ausgeprägt und nimmt eine zentrale Bedeutung in der Begriffsbestimmung ein. (vgl. Dees 2001) Bill Drayton, der Gründer von ASHOKA, der führenden Stiftung, die Social Entrepreneurship weltweit unterstützt, wird zitiert mit den Worten: „Social entrepreneurs are not content just to give a fish, or teach how to fish. They will not rest until they have revolutionized the fishing industry" (Neck et al. 2009). Die Autoren Katzenstein und Chrispin (2011: 101) nennen als praktisches Beispiel den afrikanischen Kontinent, dem nach Auffassung der Autoren durch Social Entrepreneurship dazu verholten werden kann, seine gesellschaftlichen Probleme langfristig zu lösen. Vergleichend dazu, beschreiben dieAutoren das Versorgen afrikanischer Länder mit rein finanziellen Mitteln als gescheitert (vgl. ebd.).
Ein Beispiel, anhand dessen dieAusgestaltung einer sozialen Mission nachvollzogen werden kann, liefert „Preserve Products“, ein US-amerikanisches Unternehmen, das aus recyceltem Plastik neue Konsumprodukte herstellt: „To create a company which reuses earth’s resources through the use of recycled materials in the design and manufacture of consumer products" (Preserve Eco 2019). Die Konsumenten sind sich dessen bewusst, dass Ressourcen begrenzt sind und lassen diesen Aspekt mit in ihre Kaufentscheidung einfließen. Es wird also zusätzlich zu dem sozialen Wert (wenigerAbfall) auch eine neue Nachfrage bedient, (vgl. ebd.)
Dees' Begriffsbestimmung enthält zwar die entscheidenden Kritikpunkte vieler Theoretiker3, dennoch entspricht sie keiner einheitlich anerkannten Definition und es gab im Laufe der darauffolgenden Jahre immer neue Versuche, Social Entrepreneurship zu definieren (z.B. Austin et al. 2006; Tracey / Jarvis 2007). Das größte Hindernis für eine klare Begriffsbestimmung liegt nach Certo und Miller (2008: 270) in der Tatsache, dass Social Entrepreneurship sowohl Elemente aus dem gemeinnützigen Sektor als auch aus der Betriebswirtschaft beinhaltet.
Choi und Majumdar (2014: 364) versuchen diese Problematik zu lösen, indem sie Social Entrepreneurship als ein sogenanntes Verbundkonzept aus fünf Subkonzepten darstellen, welche überwiegend die Grundlage der konkurrierenden Definitionen wiedergeben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: SE als Verbundkonzept (vgl. ebd.: 373, Übersetzung durch die Verfasserin)
1. Der soziale Wert als Voraussetzung für Social Entrepreneurship (vgl. Austin et al. 2006; Dees 2001; Peredo / McLean 2006).
2. Der Social Entrepreneur als Initiator einer Gründung, Hauptverantwortlicher für die Durchsetzung sozialer Innovationen und Betreiber des Wandels (vgl. Ziegler 2010; Dearlove 2004; Dees 2001).
3. Die organisatorische Rahmenstruktur, durch welche sich von kleineren Initiativen, die soziale Änderungen hervorbringen (z.B. Bürgerbewegungen), differenziert werden kann (vgl. Mair / Marti 2006). Eine SEO kann verschiedene Rechtsformen annehmen: gewinnorientiert, gemeinnützig oder hybrid (vgl. Dorado 2006).
4. Die Marktorientierung führt zu einer Effektivitäts und Effizienzsteigerung, indem kommerzielle Aktivitäten umgesetzt werden können und eine größere finanzielle Unabhängigkeit besteht (vgl. Harding 2004; Haugh 2005; Nicholls 2010).
5. Die soziale Innovation wird als Teilaspekt für diverse Begriffsbestimmungen herangezogen, um das Konzept von Social Entrepreneurship zu erläutern. Der Wandel geht vom Social Entrepreneur aus (vgl. Austin et al. 2006; Dees 2001; Peredo / McLean 2006).
Der soziale Wert gilt als Voraussetzung für Social Entrepreneurship und umfasst die vier anderen Subkonzepte. Jedoch ist der soziale Wert als einzelnes Subkonzept nicht hinreichend, sondern muss mit weiteren Subkonzepten kombiniert werden. Diese können in unterschiedlich starker Ausprägung vorhanden sein, solange der soziale Wert vorhanden ist. Eine Organisation kann als SEO aufgefasst werden, auch wenn sie weniger als fünf Subkonzepte abbildet, (vgl. Choi / Majumdar 2014: 364 f.; Francyk 2016: 5 ff.)
Ein weithin bekanntes Beispiel für Social Entrepreneurship ist die in der Einleitung (X) beschriebene Grameen Bank. Das Unternehmen erfüllt alle fünf Subkonzepte und gilt als Idealtyp des Social Entrepreneurship. So liegt der soziale Wert in der Reduzierung der Armut und Muhammad Yunus gilt als Paradebeispiel eines Social Entrepreneurs, dessen Fähigkeiten erfolgsentscheidend sind. Die Gründung der Grameen Bank dient als organisatorische Rahmenstruktur, um durch wirtschaftliches Agieren die soziale Mission voranzutreiben. Die soziale Innovation liegt in der Vergabe von Mikrokrediten an kleinere Gruppen von Frauen, (vgl. Grameen Foundation 2019)
Nach Ansicht derAutorin ist die Begriffsbestimmung nach dem vorgestellten Verbundkonzept die Zutreffendste und bildet die Grundlage der hier vorliegenden Arbeit, da es der Vielfalt an Ausprägungsformen des Social Entrepreneurship gerecht wird.
Dieses Kapitel beleuchtet charakteristische Merkmale, Chancen und Herausforderungen des Social Entrepreneurship. Zunächst wird die Gründerpersönlichkeit und -motivation sowie die Governance-Struktur und das vielfältige Beziehungsgeflecht einer SEO analysiert. Darauf folgt eine Diskussion um die Schwierigkeit der Messbarkeit und Kommunikation von sozialem Wert. Den Herausforderungen in der Politik sowie im (Social) Marketing schließt sich die Beschreibung von Skalierungsprozessen und derVersuchung des Mission Drifts an.
Wie bereits im vorhergehenden Kapitel dargelegt, sollte ein Social Entrepreneur in besonderem Maße Persönlichkeitsmerkmale wie Kreativität, Risikobereitschaft und Flexibilität, sowie Innovationsfähigkeit und Engagement mitbringen, um für ein bislang vernachlässigtes, gesellschaftliches Problem ein neues Lösungsangebot zu entwerfen (vgl. Hackenberg / Empter2011: 15).
Nach Heinze et al. (2011: 91) gründet die Risikobereitschaft auf einer philanthropischen Haltung, das Engagement erklärt sich häufig durch die Gründer-Biographie. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie des Mercator-Forscherverbunds „Innovatives Soziales Handeln - Social Entrepreneurship" im Jahr 2013. Darin konnte aufgezeigt werden, dass Gründer einer SEO im Wesentlichen von drei Motiven angetrieben werden: In 37,8 Prozent der Fälle ist es eine professionelle Motivation, bei welcher der Gründer mit dem Problem und einer unzureichenden Lösung konfrontiert ist. Das zweite große Motiv (30,7 Prozent) setzt sich aus einer persönlichen Betroffenheit und einer Betroffenheit im persönlichen/familiären Umfeld zusammen. Ideell getriebene Gründungen, bei der es vor allem um die Verwirklichung sozial orientierterWertvorstellung geht, bilden das dritte vorherrschende Motiv, (vgl. Spiess-Knafl et al.2013: 26 f.)
Social Entrepreneure müssen das gleiche Engagement und die gleiche Entschlossenheit wie ein traditioneller Unternehmer besitzen, plus eine tiefe Leidenschaft für die soziale Ursache, minus die Erwartung erheblicherfinanziellerGewinne (vgl. Ernst2012: 58).
Mair und Noboa (2006: 123) stellen in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Empathiefähigkeit heraus: „Many of these attributes may equally apply to business entrepreneurial behaviour, with one exception, receptivity to the feelings of others, or put differently, empathy“. Empathie ist notwendig, um Chancen im Social Entrepreneurship zu erkennen (vgl. Ernst 2012: 60). Bornstein und Davis (2010: 28) betonen die Eigenschaft der Social Entrepreneure, gute Zuhörer zu sein, denn sie müssen in der Lage sein, sich mit anderen zu identifizieren, um ihre Beweggründe zu verstehen und sie zu effektiven Teams zusammenzuführen: „They must be willing to endure the humbling eclipse of self that comes from profound learning from others“ (ebd.). Sie sind in der Regel aufgeschlossen und ständig auf der Suche nach Informationen (vgl. ebd.). Für das Umsetzen und Initiieren von Projekten ist in besonderem Maße eine charismatische Gründerpersönlichkeit entscheidend, die alle Beteiligten miteinander vernetzt (vgl. Jansen et al. 2013: 376).
Die erläuterten Persönlichkeitsmerkmale werden von Förderorganisationen wie Ashoka, der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship oder der Skoll Foundation ausdrücklich als Kriterien für Social Entrepreneure genannt (vgl. Lautermann 2012: 74). Insbesondere in der Auswahl der Ashoka Fellows wird der Fokus auf eine Person deutlich, denn Ashoka fördert prinzipiell keine Organisationen, sondern Persönlichkeiten (vgl. Ashoka 2012: 5). Auch für Investoren spielt bei Investitionsentscheidungen die Person des Social Entrepreneurs eine zentrale Rolle (vgl. Roder2011: 129).
Die oben genannten Persönlichkeitsmerkmale des Social Entrepreneurs sowie die hybride Ausstattung zwischen unternehmerischen und prosozialen Merkmalen nimmt auch Einfluss auf die Gestaltung der Governance-Struktur einer SEO und spiegelt sich in dieserwider.
Als eine bedeutende Grunddimension des Social Entrepreneurships wird häufig eine eigenständige Steuerung und Formierung durch eine starke inklusive und demokratische Praxis, sowie Partizipationsmöglichkeiten und ein hoher Grad an organisationaler Autonomie angesehen (vgl. Scheuerle et al. 2013b: 125). SEOs zeichnen sich durch eine partizipativere Governance als klassische Unternehmen aus (vgl. Europäische Kommission 2014).
Interne Stakeholder werden besonders dann in Entscheidungsprozesse eingebunden, wenn diese die soziale Zielsetzung betreffen. Dies begründet sich darin, dass die Einbeziehung relevanter Stakeholdergruppen in derartige Entscheidungskontexten eine bestmögliche soziale Wirkung verspricht. Betrachtet man außerdem, dass viele Mitarbeiter eine starke idealistische Motivation mitbringen, dann ist deren Einbindung ein entscheidendes Kriterium um Motivation, Verbundenheit und Verpflichtungsgefühl auch weiterhin sicherzustellen, (vgl. Scheuerle et al. 2013b: 145) Wenn das Wertesystem der SEO mit den Werten der Organisationsmitglieder übereinstimmt, werden das Commitment sowie die Motivation erhöht und die Mitglieder sind sogar bereit, Leistung für die SEO zulasten persönlicher Ziele zu erbringen (vgl. Battilana / Lee 2014: 416).
Dass diese Führungsstrukturen auch eine wegweisende Funktion für die Unternehmensführung allgemein haben können, wird durch ein Zitat des renommierten Managementforschers Gary Hamel (2007: 94) deutlich, welcher die gegenwärtige Situation folgendermaßen auf den Punkt bringt: „Zu viel Management, zu wenig Freiheit“ (ebd.). Ihm zufolge braucht es innovative Formen der Unternehmensführung. Angesichts der neuen gesellschaftlichen Herausforderungen sind gerade jene Führungseigenschaften besonders wertvoll, welche die Kreativität der Mitarbeiter wecken. Eine sogenannte „Kreativitätsapartheid“ (ebd.) zu überwinden ist die große Herausforderung für die Führung eines jeden Unternehmens. Es muss eine „Demokratie der Ideen“ (ebd.) aufgebaut werden, in der die Mitarbeiter ungestört ihre Gedanken und Ideen äußern können, denn nur so sind Unternehmen zu stetiger Erneuerung imstande. Den dringend benötigten Managementinnovationen bieten SEOs einen vielfältigen, bislang noch nicht genutzten Pool an Ideen. Die Diskussion um Social Entrepreneurship bietet die Chance, innovative Lösungen fürdie Herausforderungen des heutigen Managements aufzuzeigen, (vgl. Gergs 2011: 184)
SEOs agieren meist im Rahmen eines größeren gesellschaftlichen Sinnzusammenhangs und beziehen vielfältige Personenkreise ein. Oftmals wirken sie in überbetrieblichen Zusammenhängen und treiben gesellschaftliche oder kulturelle Reflexionsprozesse zukunftsweisend voran, (vgl. Sailer 2014: 110) Demzufolge sind sie stärker als kommerzielle Unternehmen darauf angewiesen, mit ihren Stakeholdern ein funktionierendes Netzwerk zu pflegen. Der sozialunternehmerische Erfolg hängt davon ab, wie wirkungsvoll es dem Unternehmen gelingt, die Anspruchsgruppen von dem eigenen Anliegen zu überzeugen und sie als Unterstützer zu gewinnen. Ihr Stakeholdergeflecht ist jedoch gleichzeitig auch umfangreicher und komplexer als bei anderen Organisationsformen. So haben SEOs mehr Anspruchsgruppen, was zu einer höheren Komplexität in der Kommunikation führt: Um die sozialunternehmerischen Ziele zu erreichen, müssen zum Teil gegensätzliche Interessenslagen in Einklang gebracht werden, (vgl. Brinkmann 2014: 15f.)
Im Folgenden werden beispielhaft einige Stakeholder4 und deren Interessen genannt, um ein besseres Verständnis für die Problematik zu schaffen.
Shareholder erwarten von einer gewinnorientierten SEO die Generierung starker Wettbewerbsvorteile, um einen möglichst hohen Profit zu erwirtschaften (vgl. Nwankwo et al. 2007). Das Interesse von Gemeinden gilt beispielsweise der Reduzierung von Kriminalität oder Armut (vgl. Van Slyke / Newman 2006). Mitarbeiter erwarten eine Entlohnung, während ehrenamtliche Helfer unentgeltlich unterstützen (vgl. Lumpkin et al. 2013). Spendengeber und Förderer fordern alle Informationen, welche die soziale Wirkung aufzeigen (vgl. Darby / Jenkins 2006). Kunden streben nach der Befriedigung ihrer Bedürfnisse und der Staat überwacht die Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen (vgl. Lumpkin et al. 2013). Die Verfolgung teilweise gegensätzlicher Schwerpunkte durch die diversen Stakeholder, stellt eine große Herausforderung für SEOs dar. Während ein Shareholder eine Kooperation der SEO mit einem kommerziellen Unternehmen zur Förderung weiterer Wettbewerbsvorteile favorisieren würde (z.B. Porter / Kramer 2006), könnten die Mitarbeiter darin eine Abkehr von der sozialen Mission sehen (z.B. Rangan 2004). Ein weiterer Zielkonflikt liegt häufig in der Tatsache begründet, dass die Begünstigten einer SEO nicht zwingend diejenigen sind, die für den Service auch zahlen (z.B. Spendengeber) (vgl. Lumpkin et al. 2013).
Eine erfolgreiche Herangehensweise des Social Entrepreneurship an den Umgang mit diesem vielfältigen Stakeholdernetzwerk könnte für die Wirtschaft allgemein eine wegweisende Funktion einnehmen. So machte Klaus Schwab, Gründer des World Economic Forum von Davos in seiner Eröffnungsrede 2013 deutlich:
Letzten Endes geht es darum, wieder zum Stakeholder-Prinzip zurückzukommen, das unter dem Namen Shared Value Creation eine Renaissance erfährt. Ein Unternehmen wird vor allem in einer Zeit, in der Social Networks größere Teilhabe und Transparenz ermöglichen, nur erfolgreich wirtschaften können, wenn es nachhaltig einen Nutzen nicht nurfür seine Aktionäre, sondern für die Allgemeinheit erzielt. (Sprinkart et al. 2014: 20)
Er sieht das Kapital der Zukunft in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Stakeholdernetzwerken durch Kreativität und Innovation und betont: „Wenn man so will, geht es nicht mehr um die Errichtung einer sozialen Sonderwirtschaftszone mit dem Namen Social Entrepreneurship, sondern [...] um ein mögliches Zukunftsszenario des Kapitalismus auf der Grundlage einerSocial Entrepreneurship-Revolution“ (ebd.).
Im Umgang mit ihrem Netzwerk streben SEOs nach Unternehmertum in Gemeinschaft: Um die gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern, bedienen sie sich einer kollektiven Mentalität, die Kooperation über Konkurrenz stellt (vgl. ebd.). Sprinkart et al. (2014: 98) beschreiben das kooperative Handeln von SEOs folgendermaßen: „Miteinander statt gegeneinander, vernetzt statt isoliert, gegenseitige Ergänzung durch Information, gemeinsame Erschließung und Nutzung von Ressourcen“. Die Initiierung und Pflege von Kooperationen ist demnach ein integraler Bestandteil sozialunternehmerischen Handelns, denn das Bündeln von Ressourcen eröffnet neue Möglichkeiten, um gemeinsame Ziele effektiver zu erreichen: Sei es die Stärkung der eigenen Reputation, der gegenseitige Wissens- bzw. Kompetenzaustausch oder der Zugang zu weiteren Zielgruppen (vgl. Heinze etal.2013: 329).
Wie bereits in Kapitel 11.1 beschrieben, haben SEOs grundsätzlich den Anspruch, ihre Arbeit so wirksam wie möglich zu gestalten, denn nur mithilfe einer wirkungsorientierten Organisationssteuerung können gesellschaftliche Herausforderungen ganzheitlich angegangen werden (vgl. DSEM 2018: 37).
Die gemeinnützige Beratungsgesellschaft PHINEO (2018) spricht dann von sozialerWirkung, wenn eine Maßnahme zu Veränderungen bei der Zielgruppe, in deren Lebensumfeld und in der Gesellschaft insgesamt führt. Die verschiedenen Stufen, die Wirkung erreichen kann, werden in derfolgenden Abbildung dargestellt (vgl. ebd.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Die Wirkungstreppe (vgl. Phineo 2018, Übersetzung durch die Verfasserin)
Die obige Wirkungstreppe lässt sich anhand eines Beispiels knapp erläutern. Eine SEO bietet qualifizierende Schulungen an, um Arbeitslosen wieder zu einer Beschäftigung zu verhelfen. Die Leistung („Output", Stufen 1-3) besteht hier aus der Anzahl der Schulungen und Teilnehmer. Werden nur die eingesetzten Ressourcen („Input") und die Outputs zugrunde gelegt, sagt dies noch nichts über die Wirkung aus, da eine hohe Teilnehmerzahl nicht garantiert, dass die Arbeitslosen für den Arbeitsmarkt relevante Fähigkeiten erwerben. Die soziale Wirkung der Maßnahme zeigt sich darin, dass die Teilnehmer Kompetenzen erwerben, Selbstvertrauen aufbauen und ein Wiedereintritt in den Beruf ermöglicht wird („Outcome", Stufen 4-6). Dies bewirkt schließlich eine Veränderung in der Gesellschaft („Impact", Stufe 7) im Sinne eines Rückgangs derArbeitslosigkeit. (vgl. ebd.)
Obwohl die Wirkungsmessung und -kommunikation - wie nachfolgend beschrieben - in vielerlei Hinsicht eine große Bedeutung für SEOs besitzt, ist es kaum möglich, der sozialen Wirkung einen monetären Wert zuzuordnen. Dies liegt begründet in der modernen Ökonomie mit ihrer gängigen Wirtschaftsform. Im Gegensatz zu rein finanziellen Zielen gibt es für soziale Ziele kaum standardisierte Kennzahlen, (vgl. Scheuerle et al. 2013a: 11)
So lässt sich z.B. der soziale Wert der Artenerhaltung einer seltenen Vogelart oder ein Zusammenführen von Menschen verschiedener Generationen nur schwer mit marktüblichen Kennzahlen messen (vgl. Bornstein / Davis 2010: 61). Die Messung von Langzeitergebnissen ist sogar noch schwieriger. Ein Großteil der SEOs versucht Einstellungen zu Themen wie Behinderung, globale Erwärmung oder Homosexualität zu verändern. Diese vollziehen sich jedoch in der Regel Über jahrzehnte, so dass es nahezu unmöglich ist, festzustellen, wie und warum sie sich verändert haben, (vgl. ebd.)
Die Mercator-Stiftung (2012: 10) betont die Bedeutung von Wirkungsmessung in ihrer Rolle als interner Steuerungsmechanismus sowie als Legitimation der SEO. Grimes (2010: 763) bestätigt und vertieft diese Aussage, indem er aufzeigt, dass die soziale Wirkungsmessung nicht nur der Rechenschaft dient, sondern zudem die organisatorische Identität fördert. Er weist darauf hin, dass die organisatorische Identität das Kernelement darstellt, um der sozialunternehmerischen Existenz einen Sinn zu geben (vgl. ebd.). Durch eine wirkungsorientierte Steuerung kann die interne und externe Transparenz erhöht und zu einer verbesserten Ergebnisqualität sowie Lernkultur beigetragen werden (vgl. DSEM 2018: 37). Zudem rückt die Wirkungsmessung durch den verstärkten Wettbewerb um Fördermittel stärker in den Fokus der beteiligten Akteure (vgl. Repp 2013: 25f.). Fundierte Nachweise über die soziale Wirkung von SEOs sind bei der Vergabe von Finanzierungsmitteln zunehmend ein ausschlaggebendes Auswahlkriterium. Investoren wählen die effektivsten Lösungsansätzen und bevorzugen Organisationen, die ihre Wirkungstransparenz durchgehend weiterentwickeln, (vgl. DSEM 2018: 37) Durch eine bessere Erfolgsmessung wird die Entscheidungsgrundlage transparenter, was wiederum die Attraktivität der Investition gegenüber anderen Investitionsoptionen erhöht. So kann letztendlich eine effizientere Kapitalallokation in diesem Sektor stattfinden, (vgl. Roder et al. 2018: 328) Das Fehlen zufriedenstellender Wirkungsmessungsansätze erschwert es sozialen Investoren, die in der Mission mitbedachte Bewertung sozialer oder ökologischer Rendite einzuschätzen (vgl. Scheuerle et al. 2013a: 81).
Wie bedeutsam die Gewinnung von Finanzierungspartnern für das Anliegen der SEO ist, macht ein Blick auf die aktuelle finanzielle Situation in der Branche deutlich. Zu den drei größten Hürden im SE-Bereich zählt laut der Studie „Social Entrepreneurship Monitor (DSEM) 2018“ an zweiter Stelle die zu wenig gezielte Anschlussfinanzierung (65,9%) (vgl. ebd.: 66). Häufig verfallen Investoren nach der Gründungsphase in einen Zustand der Finanzierungsmüdigkeit, wodurch Anschlussinvestitionen in Skalierungsprozessen verhindert werden (vgl. Schmitz / Scheuerle 2013: 106). Als weitere Schwierigkeit wird die Startfinanzierung im SE-Sektor angesehen (vgl. DSEM 2018: 66). Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich 50% der DSEM-Sozialunternehmen in der Gründungsphase aus Kapitalzuschüssen durch Familie und Freunden finanzieren (vgl. ebd.: 42). Jede zweite befragte SEO stuft das Einwerben von staatlichen Fördermitteln als schwer ein (vgl. ebd.: 44). SEOs betreiben aufgrund unterschiedlicher Vorgaben von Kapitalgebern und mangelnden Ressourcen Wirkungsmessung meist noch wenig systematisch (vgl. Mercator 2012: 10). Der unklare Erfolgsbegriff und fehlende Umsetzungskompetenzen stellen weitere Hürden dar (vgl. Repp 2013: 14; Roder 2011: 101). Aufgrund der kaum vorhandenen Messmethoden (vgl. Austin et al. 2006), worunter beispielsweise der Social Return on Investment (SROI) fällt (vgl. Emerson 2003), entwickeln Sozialunternehmer häufig eigene Methoden zur Wirkungsmessung, um der Spezifität ihres Wirkungsbereichs gerecht zu werden (vgl. Scheuerle et al. 2013a: 81).
Als Folge der genannten Problematik weichen Geldgeber diesen komplexen Fragestellungen häufig aus und treffen Entscheidungen, die auf persönlichen Präferenzen oder politischen Erfordernissen basieren (vgl. Bornstein 2010: 61). Investoren begründen ihre Entscheidung noch häufig hinsichtlich ihrer Präferenz für ein bestimmtes gesellschaftliches Thema (vgl. Roder et al. 2018: 328). Andere verlassen sich sogar explizit auf Einschätzungen von Experten im Rahmen von Preisverleihungen, um dem Problem relativ hoher Intransparenz des SE- Sektors zu begegnen (vgl. Scheuerle et al. 2013a: 81).
Neben der Messung der Wirkung, muss diese auch im Zuge eines Wirkungsreportings kommuniziert werden. Ein Reporting meint die externe Unternehmensberichterstattung und umfasst alle Informationen eines Unternehmens, welche die Reporting-Adressaten in ihrer Beurteilung der Aktivitäten des Berichtenden maßgeblich unterstützen (vgl. Roder et al. 2018: 328). Die wesentlichen Adressaten des sozialunternehmerischen Reportings sind (potenzielle) Kapitalgeber, (potenzielle) Kunden und Begünstigte, politische Entscheidungsträger, Nachahmer (andere SEOs, Verbände) sowie die interessierte Öffentlichkeit mit den Medien als Intermediäre (vgl. Roder2011: 82). Mithilfe des Reportings legen die SEOs Rechenschaft darüber ab, wie sie die bereitgestellten Ressourcen einsetzen, um erfolgreiche Lösungen zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme zu verbreiten (vgl. Roder et al. 2018: 328).
Um einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen und die soziale Wirkung im Fokus zu halten, wurde 2011 der Social Reporting Standard (SRS) entwickelt (vgl. Diller 2018). Roder et al. nennen als grundlegende positive Implikationen das interne Monitoring (Eigenevaluation und Weiterentwicklung), die Außendarstellung (Wirkungsweise und Erfolge), die Investorensuche (Darstellung Social Impact, Einschätzung benötigter Mittel und Skalierfähigkeit) sowie die Rechenschaftslegung (vgl. Roder et al. 2018: 328).
Nach einer Studie der KfW 2013 sehen sich einige SEOs trotz dieser positiven Aspekte durch das Ausmaß des Reporting ihrer sozialen Wirkung in ihrem Wirkungspotenzial gefährdet. Sowohl in der Investitionsanbahnung als auch in der -dokumentation übersteigt dies in ihrer Wahrnehmung ein vernünftiges Maß. Das strukturelle Problem stellt sich demnach folgenderweise dar: Geldgeber und Investoren verlangen Nachweise über die Wirkung. Die darauf verwendeten finanziellen und zeitlichen Ressourcen stehen dann nicht mehr für das Erzielen der Wirkung zur Verfügung und reduzieren den (potenziell) überhaupt erst nachweisbaren Impact. Umgekehrt behindern fehlende Mittel für Wirkungsmessung und - dokumentation die Kapitalakquise, (vgl. Scheuerle et al. 2013a: 81)
Wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben, stehen SEOs bei der erfolgreichen Umsetzung ihres Geschäftsmodells vor erheblichen Hürden. Die größte Hürde stellt laut der DSEM-Studie (2018: 66) die schwache Lobby für Sozialunternehmen in der Politik dar.
Social Entrepreneure in Deutschland geben durchschnittlich nur eine 4,6 als „Schulnote“ für die Politik zur Förderung von Social Entrepreneurship und eine 4,4 für den Gründungsstandort (ebd.: 61). Hierin bestätigen sich die Ergebnisse internationaler Erhebungen. So zeigt die Studie „Ein Überblick über Sozialunternehmen und ihre Ökosysteme in Europa" der Europäischen Kommission auf, dass das Thema bislang von der deutschen Politik vernachlässigt wurde. Viele andere EU-Mitgliedsstaaten haben beispielsweise politische Strategien, zielgruppengerechte Finanzierungsinstrumente und eigene Rechtsformen für den Sektor herausgearbeitet, (vgl. Europäische Kommission 2014)
In ihrem Antrag „Strategische Förderung und Unterstützung von Social Entrepreneurship in Deutschland” fordert die Grüne Bundestagsfraktion die Anpassung einiger politischer Rahmenbedingungen wie z.B.: eine soziale Innovationsstrategie; zielgruppenspezifische Finanzierungsinstrumente für SEOs und Matching-Fonds für Social Impact Investing , bei welchen Social Entrepreneure eine leicht zugängliche Möglichkeit haben, ihre Ideen vor potenziellen Investoren zu präsentieren (vgl. Janecek2019).
Jedoch ist nicht nur die Politik, sondern auch der SE-Sektor selbst gefragt. Eine Studie von McMinsey (2019: 29 f.) kommt zu dem Ergebnis, dass SEOs, die einen systemischen Wandel anstreben, sich häufig in einem von politischen Prozessen geprägten Umfeld bewegen. Meist scheuen sie sich jedoch, diese Prozesse aktiv mitzugestalten, politische Opportunitäten zu nutzen und das eigene Anliegen mit den Bedürfnissen, Themen und Motiven von Politikern, Verbänden oder Kirchenverbänden zu verknüpfen. Laut der Studie setzen sich SEOs in diesem Zusammenhang zu wenig mit Lobbying und den passenden Kommunikationsformen auseinander, (vgl. ebd.)
Die meisten Veröffentlichungen beschreiben es als die größte Herausforderung der Social Enterprise, soziale Ziele mit der Notwendigkeit, Einnahmen zu generieren, in Einklang zu bringen. Ihr Ziel ist es, „both solve big societal problems and demonstrate revenue sustainability" (Thompson I MacMillan 2010: 292). Die Ausgewogenheit dieser beiden Ziele ist ein konstantes Thema der Forschung zu Social Entrepreneurship (vgl. Certo / Miller: 2008; Puia / Jaber: 2012). Dies schlägt sich auch im Marketing und in der Unternehmenskommunikation nieder. So nutzen SEOs in unterschiedlicher Ausprägung Elemente des Marketings als auch des Social Marketings.
Bei der Vermarktung sozialer Ideen im SE-Bereich wird der Übernahme von Social MarketingElementen ein großes Potenzial zugesprochen. Social Marketing zielt auf die freiwillige Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen ab, die erstens mit ordnungsrechtlichen Mitteln und Wissensvermittlung allein nicht zu erreichen sind und zweitens dem Wohlergehen der Zielgruppe und der Gesellschaft dienen, (vgl. Henkel / Dietsche 2013: 221) Eine erfolgreiche Einführung von Social Marketing fördert die sozialen Ziele der SEO und verknüpft sie mit größeren Themen, die der Gesellschaft insgesamt dienen (vgl. Satar / John 2016: 21). Die Durchführung von Social Marketing-Maßnahmen erfordert eine konsequente Publikumsforschung. In verschiedenen Studien konnte zudem nachgewiesen werden, dass Marketingwissen den bedeutsamsten Erfolgsfaktor im Skalierungsprozess einer SEO darstellt, (vgl. Satar/John 2016: 20) Mangelnde Marketingfähigkeiten führen nach Studienergebnissen von Boyer et al. (2008) dazu, dass die SEO wenig Wissen über ihre Käufer besitzt - dies ist eine dergrößten Hürden bei derGründung.
Nach Sievert (2011: 353 f.) sitzen SEOs besonders bei einem Teilgebiet des (Social) Marketings - den Public Relations - zwischen den Stühlen: Einerseits fehlt ihnen die Schlagkraft von Business, andererseits verfügen sie auch nicht über denselben Sympathievorteil wie klassische Non-Profit-Organisationen. Der Autor stellt fest, dass das Dilemma bereits in den beiden Wortteilen „Social“ und „Entrepreneur“ steckt, was insbesondere für Journalisten häufig einen Widerspruch darstellt. Auswirkungen auf die Öffentlichkeits-, ganz besonders die Pressearbeit hat es in dem Sinn, dass es von Journalisten als besonders positiv bewertet wird, wenn etwas explizit nicht profitorientiert passiert. Solche Projekte bekommen meist kostenlosen Raum für ihre Themen, wohingegen „Unternehmerisch“ in der Wahrnehmung des Pressesektors als profitorientiert gilt. Demzufolge müssen Sozialunternehmer bessere Überzeugungsarbeit leisten, um eine kostenlose Berichterstattung aufgrund des Nachrichtenwerts eines Themas zu erhalten. Zudem ist das Konzept des Social Entrepreneurship bisher immer noch nicht populär genug, die Vorstellungen darüber zu festgefahren und von falschen Klischees belegt, um von Medienvertretern richtig eingeordnet werden zu können. Grundsätzlich beobachtet der Autor bei SEOs eine primäre Fokussierung auf die Eigenschaften „sozial“ und unternehmerisch“ - und erst danach „kommunikationsorientiert“, (vgl. ebd.) Auch Dölle (2011: 212) konstatiert ungenügende Kompetenzen im Marketing sowie fehlendes Personal und Startkapital.
Nach Franck (2008) ist Pressearbeit zwar ein wichtiges Element sozialunternehmerischer Kommunikation, allerdings geht es seiner Meinung nach dabei letztendlich vielmehr um ein umfassendes Stakeholder- und Beziehungsmanagement. Ruckh et al (2006: 21 f.) fordern, dass Marketingkommunikation im sozialunternehmerischen Bereich als das Management von Stakeholdern verstanden werden sollte. Dabei gehe es jedoch nicht um die individuelle Kommunikation seitens der Social Entrepreneure in ihrer Person, sondern vielmehr um die institutionelle Kommunikation des gesamten Sozialunternehmens (vgl. Gergs 2011: 181). Zwar können Gründer mit ihrer charismatischen Ausstrahlung in ihrer Rolle als authentische Zeugen ein Unternehmen voranbringen, jedoch sollten sich SEOs, sofern man sie „unabhängig von politischem und religiösem Einfluss sowie von einzelnen bedeutenden Stakeholders (Sommerrock 2011: 159) gestalten möchte, gedanklich von der Gründerperson lösen (vgl. Sievert 2011: 361 f.). Nur auf diesem Weg kann sich die SEO professionalisieren, erfolgreiche Kommunikation betreiben und ihre genuinen Kompetenzen im Sinne des Bezugsgruppenmanagement tatsächlich einbringen (vgl. ebd.).
Eine Untersuchung von McKinsey (2019: 30) stellt bezüglich des Bezugsgruppenmanagements außerdem fest, dass besonders bei jungen Sozialunternehmen ein großer Unterschied zwischen der Vision von gesellschaftlichem Wandel und dem aktuellen Tun besteht: „Wenn Sozialunternehmer nur von großen systemischen Visionen sprechen und sich zumindest mittelfristig keine Umsetzung abzeichnet, besteht die Gefahr, Partner zu enttäuschen und zu verunsichern“. Aus diesem Grund sollten Sozialunternehmer in der Kommunikation mit ihren Stakeholdern stets zwischen ihrer Vision, dem konkreten Wandel und Meilensteinen auf dem Weg zum Wandel unterscheiden, um so Fortschritte besser zu kommunizieren und Strategien bei Bedarf anzupassen, (vgl. ebd. 29)
Eine weitere Herausforderung im Kommunikationsbereich besteht für Sozialunternehmer darin, dass sie sich eine Differenzierung ihrer Anliegen wünschen. Um zur Zielgruppe durchzudringen und eine realistische Erfolgschance beim Kampf um Aufmerksamkeit in der Mediengesellschaft zu haben, müssen jedoch komplexe Themen simplifiziert werden, (vgl. Sievert 2011:353 f.)
Die Frage der Skalierbarkeit sozialer Wirkung beschäftigt politische, wirtschaftliche und gemeinnützige Akteure gleichermaßen. Trägt ein Produkt oder eine Dienstleistung dazu bei, ein bestimmtes soziales oder ökologisches Problem effektiv zu lösen, so lässt dies die Vermutung zu, dass das gleiche bzw. ein an die lokalen Gegebenheiten angepasstes Konzept auch an anderen Standorten wirksam ist. (vgl. Hackl 2011: 317) Der DSEM (2018: 33) verdeutlicht die hohe Bedeutung von Skalierung: Laut der Studie haben ungefähr neun von zehn (87,9%) DSEM-Sozialunternehmen die Absicht zu skalieren.
Die Bertelsmann-Stiftung (2015: 12) definiert sozialunternehmerische Skalierung als die möglichst „effektive und effiziente Steigerung sozialer Wirkung, die ein Sozialunternehmen auf Basis seines operativen Modells generiert, mit dem Ziel, der Nachfrage nach diesem Produkt oder dieser Dienstleistung gerecht zu werden“ (ebd.). Eine Skalierung der Wirkung im Sinne eines „scaling for ideas" (Schmitz I Scheuerle 2013: 101) kann auch erfolgen, ohne die eigentliche Organisationsgröße zu verändern. Die Optionen für Skalierung sind für Sozialunternehmen somit in der Natur vielfältiger, aber in vielerlei Hinsicht auch komplexer (vgl. ebd.).
Die Fähigkeit, existierende Lösungen aufzugreifen und deren Verbreitung unternehmerisch voranzutreiben, gehört demnach ebenso zu den Kernkompetenzen eines Social Entrepreneurs wie diese zu erfinden (vgl. Beckmann / Ney 2013: 254). Denn gesellschaftliche Missstände sind nicht durch die Anstrengungen einer einzelnen SEO vollständig zu lösen. Die Entstehung eines Marktes bzw. Nachahmung sind ebenso wichtig (vgl. Oldenburg 2011: 124). Im Zuge von Skalierungsprozessen verschiebt sich bei manchen SEOs der Schwerpunkt ihrer Mission. Ein sogenannter Mission Drift bezeichnet die Entwicklung, dass sich der Fokus zum Nachteil des sozialen Wertes, auf den finanziellen Profit verlagert (vgl. Battilana et al. 2012). Austin et al. (2006: 7) stellen fest, dass SEOs durch Druckausübung von finanziellen Förderern, einer gestiegenen Anfrage oder der eigenen Erwartungshaltung häufig zu schnellem Wachstum gedrängt werden. Ein Mission Drift birgt die Gefahr, den Ruf der SEO bei den Stakeholdern zu schädigen und insbesondere künftige Kapitalgeber abzuschrecken. Die SEO verliert an Identifikationskraft, was interne Konflikte zur Folge haben kann. (vgl. Chambers 2014) Eine feinfühlige Kommunikation mit den Anspruchsgruppen ist in diesem Prozess essentiell, um eine Rufschädigung zu vermeiden (vgl. Fritsch et al. 2013). Moss et al. (2011: 820) begründen, dass ein Mission Drift verhindert werden kann, wenn die soziale Mission konsistent mit der Organisationsidentität ist. Die Balance zwischen den multiplen Logiken Social und Business kann nur durch eine balancierte Organisationsidentitätgelingen, über weiche sich die Organisationsmitglieder im Klaren sind (vgl. Kent / Dacin 2013: 770).
In den folgenden Kapiteln wird das theoretische Fundament für die Forschungsarbeit im Bereich Storytelling gelegt, indem zunächst der Mensch als Geschichtenerzähler in den Blick genommen wird, eine knappe Definition relevanter Begriffe erfolgt und die Architektur einer Geschichte dargestellt wird. Abschließend werden die Wirkungsweisen und Einsatzbereiche von Geschichten in derOrganisation von verschiedenen Seiten beleuchtet.
„Der Mensch ist ein erzählendes Wesen“ (Frenzei et al. 2004: 6). Das Erzählen über andere und sich selbst, macht den Menschen überhaupt erst zum Menschen und gehört zu dessen ältesten Verhaltensweisen (vgl. Weber 2017: 14). So beginnt mit der Geschichte der Menschheit auch das Erzählen (vgl. Barthes 1988: 102) und zählt wie das Essen, Trinken, Gehen und Spielen zu den Grundlagen menschlichen Lebens (vgl. Wittgenstein I960: 302). Barthes (1988: 102) stellt in Bezug auf die weitreichende Bedeutung von Erzählungen fest: „Die Erzählung [...] ist international, transhistorisch, transkulturell und damit einfach da, so wie das Leben“ (ebd.).
Der Wert der Geschichten liegt dabei in der Bedeutung, die sie generieren - für den Zuhörenden, wie auch für den Erzählenden. Einer Geschichte schließen sich aufgrund ihrer Kraft für die Bedeutungssuche und Bedeutungsproduktion eine Vielzahl an Interpretationen und neuen Geschichten an. (vgl. Dietrich / Schmidt-Bleeker 2013: 11) Unsere Geschichten drücken unsere Identität, unser Bewusstsein, unsere Weitsicht und unsere Beziehung zu anderen aus (vgl. Frenzei et al. 2004: 6). Die Identitätsbildung ist als das Konstruieren einer Geschichte, die Menschen über sich selbst schreiben, zu verstehen und stellt eine Art Narration dar, wobei die Prozesshaftigkeit im Vordergrund steht und Ereignisse aus der Vergangenheit aktualisiert oder überschrieben werden (vgl. Dietrich / Schmidt-Bleeker 2013: 12): „Identität ist eine Geschichte, die wir uns selbst erzählen und an die wir schließlich glauben“ (Frenzei et al. 2004: 6). Der Mensch wird bereits in eine Welt der Erzählungen hineingeboren, die den „unbefragten Boden“ (Schütz / Luckmann 1975: 23) seines Seins bilden. Er sozialisiert sich in der Gemeinschaft mit anderen Menschen, wobei Erzählungen von zentraler Bedeutung sind, denn sie dienen als Navigationsgerät in der Sozialisation. Durch das Erzählen glaubhafter Geschichten und weniger durch reine Beobachtung oder die Anwendung von Vernunft erfährt sich der Mensch selbst, (vgl. Weber 2017: 14) Siefer (2015) stellt fest, dass jede Erzählung sozial ist und individuelle Aspekte sowie die sozialen Strukturen, der in der Erzählung involvierten Personen offenbart. Das Erzählen hält demnach auch die Gruppe zusammen. Denn die Menschheit ist wie der Mensch auch ein erzählendes Wesen, das sich selbst erzählt und im Erzählen und Zuhören die Welt erschließt. Durch das Erzählen wird Ordnung, Kontinuität, Sinn und Kontext in eine unüberschaubare, vielgestaltige und unberechenbare Welt gebracht, (vgl. Frenzei et al. 2004: 6) Lehmann (2011: 28) formuliert die These, dass es ein menschliches Grundbedürfnis sei, „die Welt erzählend in allen ihren Dimensionen zu verstehen, zu interpretieren und darüberzu erzählen“.
Zusammenfassend lässt sich konkludieren, dass Geschichten eine Essenz des Daseins und der zwischenmenschlichen Interaktion sind. Sie geben dem Individuum Halt und der Interaktion die Energie, (vgl. Mair 1989)
Obwohl die Begriffe Geschichte, Narration und Erzählung im allgemeinen Sprachgebrauch nahezu identisch verwendet werden, unterscheiden sie sich in der Bedeutung, weshalb sie im Folgenden voneinander differenziert werden.
Der hier gewählte Zugang zu Narrativität basiert auf der strukturalistischen Erzähltheorie bzw. auf Ansätzen, die diese fortschreiben oderweiterentwickeln (vgl. u. a. Martinez/Scheffel 2012; Bal 2009; Genette 2010; Lévi-Strauss 1991; Barthes 1977). Diese unterscheiden die Untersuchungsebenen Geschichte, Narration und Erzählung (vgl. Genette 2010:12; Bal 2009: 5). Bezugnehmend auf Genette (2010:12) bezeichnet die Geschichte den narrativen Inhalt, die Narration meint den produzierenden narrativen Akt, vermittelt durch ein bestimmtes Medium und die Erzählung (Narrativ) stellt die fertige narrative Mitteilung dar. Eine Erzählung wird demnach unter mindestens zwei Aspekten gesehen: der Oberflächen- und der Tiefenstruktur (vgl. Grimm / Müller 2016: 56 f.). Diese beiden Aspekte werden durch die Begriffe histoire bzw. story (was erzählt wird) und discours bzw. plot (wie etwas erzählt wird) beschrieben. So können unterschiedliche Texte auf der Tiefenebene histoire die identische Geschichte erzählen und dennoch auf der Oberflächenebene, dem discours, voneinander abweichen, (vgl. ebd.) Demzufolge lässt sich die histoire nur durch die Darstellungsweise im discours gründlicher erschließen (vgl. Titzmann 2013: 118 f.). Von einem Narrativ wird erst gesprochen, wenn eine Erzählstruktur (histoire) vorhanden ist: Die Existenz einer Geschichte und nicht die Vermittlungsart der Geschichte bildet das definitorische Merkmal eines Narrativs (vgl. Grimm / Müller 2016: 55).
Als Synonym zu Narration wird auch von Storytelling gesprochen. Bei Storytelling handelt es sich weder um einen wissenschaftlichen Terminus noch um einen klar abgegrenzten und einheitlich definierten Begriff. Grundsätzlich beschreibt Storytelling „Konstruktionsformen auf der narrativen Ebene öffentlicher Kommunikation“ (Szyszka 2008: 620). Welcher Art das Begriffsverständnis dieserArbeit von Storytelling im Unternehmen ist, wird unter Kap X näher erläutert.
Die Struktur einer Geschichte gleicht der eines klassischen Dramas mit drei Akten, in denen die Ausgangssituation, das Problem und die Lösung thematisiert werden (vgl. Vincent 2002: 139). Eine solche Struktur zeichnet sich durch verschiedene dramaturgische Elemente aus, die logisch verknüpft sind und aufeinander aufbauen (vgl. Wentzel et al. 2008: 413).
In diesem Kapitel werden zunächst die Grundelemente einer Geschichte erläutert. Darauf aufbauend erfolgt eine Annäherung an die narrativen Strukturmerkmale. Abschließend wird die der Story zugrunde liegende Botschaft dargestellt, welche aus dem Gesamtgefüge dieser Bestandteile resultiert.
Bei der Frage, was zu den konstitutiven Elementen einer Geschichte zählt, herrscht Uneinigkeit. Wentzel et al. (2008: 413 f.) nennen Motiv, Akteur, Konflikt, Handlung und Moral. Fog et al. (2005: 30) hingegen identifizieren Botschaft, Konflikt, Charaktere und Handlung als die bestimmenden Faktoren. Titzmann (2013: 120 f.) erläutert bezugnehmend auf Prince (1973) sechs Bedingungen, die für eine (minimale) Geschichte mindestens erfüllt sein müssen: verschiedene Zeitpunkte/-räume, eine identische Bezugsgröße der Transformation, eine Veränderung der Bezugsgröße, eine alternative Möglichkeit, die Transformation als ein Abweichen von der Regularität, die Ereignisse können aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden (vgl. ebd.). Deutliche Parallelen lassen sich aber, nicht zuletzt aufgrund der Nutzung von Synonymen bei allen finden. In Anlehnung an die vorgestellten Ansätze und zahlreiche weitere Veröffentlichungen (vgl. Bal 2009, 7 f.; Herbst 2014; Genette 2010) werden im Folgenden die Elemente Akteure, Ereignis und Konflikt sowie Ort und Zeit als konstitutive Gestaltungselemente einer Story näher erläutert.
Akteure
Einer Geschichte liegt grundsätzlich eine statische semantische Raumstruktur (eine ausführliche Erklärung folgt im nächsten Unterpunkt) mit einer Grenze sowie eine Handlung, die eine Dynamik verursacht, zugrunde. Diese Dynamik wird durch einen oder mehrere Handlungsträger verursacht. Dabei müssen die Handlungsträger nicht zwingend Menschen sein, sondern können auch ohne anthropomorphe Züge ausgestattet sein. (vgl. Müller/Grimm 2016: 86) Die ihnen zugeschriebenen Charakteristika und Funktionen lassen sie zu wiedererkennbaren Charakteren mit berechenbarem Handlungsspielraum werden, mit denen sich die Rezipienten der Erzählung identifizieren und deren Einstellungen, Emotionen, Motive und Handlungen sie nachvollziehen können (vgl. Bal 2009: 113). Das Verstehen der Charaktere und ihrer Handlungen funktioniert nach den gleichen Mustern wie bei der Wahrnehmung realer Personen (vgl. Bower 1978: 211). Der Held bildet nach Algirdas Greimas mitfünfweiteren Aktanten ein narratives Beziehungsgeflecht, wobei festzuhalten ist, dass die Konstellation von Figur und Aktant verschieden konfiguriert sein kann. So müssen nicht alle Aktanten repräsentiert sein, mehrere Figuren können einen Aktant ausfüllen und vice versa, (vgl. Müller/Grimm 2016: 90)
Die Handlung folgt vor allem der Spur des HELDEN, der mit den meisten anderen Akteuren interagiert und das zentrale Problem der Geschichte löst. Ihm tritt der GEGNER als Problemverursacher entgegen. Das WUNSCHOBJEKT ist das Ziel, das erreicht bzw. das Gut, das gerettet werden soll. Der HELFER des Helden unterstützt ihn bei seinem Vorhaben und wird ähnlich positiv gesehen wie dieser. Bei dem AUFTRAGGEBER kann es sich auch um Werte oder grundlegende Motive des Helden handeln. Der NUTZNIESSER erhält etwas oder profitiert von der erfolgreichen Mission des Helden, (vgl. Viehöver 2011: 203; ebd.: 213 f.) Geschichten bewegen sich in einer Folge von Ereignissen auf einen Zielzustand (siehe Kap.
III. 3.2) zu. Es lässt sich feststellen, dass sich die beschriebenen Akteure durch ihr Verhältnis zu diesem Ziel klassifizieren lassen: Während der Held einer Geschichte sein Handeln auf das Erreichen des Zieles richtet, lassen sich andere Akteure danach klassifizieren, ob sie den Helden bei der Erreichung seines Zieles unterstützen (Helfer) oder ob sie versuchen, ihn daran zu hindern (Gegenspieler), (vgl. Krüger 2014: 85 f.) Die Charakterisierung eines Akteurs über seine Handlungen erfordert eine Konstruktions- bzw. Beurteilungsleistung durch die Rezipienten (vgl. ebd.: 84). Die festgelegten Rollen der Akteure und ihr Verhältnis zueinander sind sowohl Teil des kollektiven Gedächtnisses der Gesamtgesellschaft als auch Bestandteil der Wahrnehmungsstrukturen von Individuen. So steuern sie die Rollenerwartungen der Rezipienten und machen bestimmte Handlungen der Akteure vorhersehbar, (vgl. Bal 2009: 202 f.) Der Psychologe Carl G. Jung hat in Anlehnung an die Heldenreise (vgl. Kap. Vll.3.2: Dramaturgie) 12 Archetypen der Fiktion für den Helden (u.a. Schöpfer, Rebell, Herrscher, Hofnarr) herausgearbeitet. Diese sind laut dem Autor mit Emotionen aufgeladene universale Urbilder, die das gemeinsame Erbe der Menschheit bilden. Die Erörterung der Charaktermerkmale des Helden dient insbesondere der Inspiration zur Stärkung der emotionalen Bedürfnisse und zur Beilegung des Konflikts einer Geschichte, (vgl. Jensen 2002)
Ereignis und Konflikt
Ereignisse bilden die kleinsten Einheiten von Geschichten (vgl. Martinez / Scheffel 2012:111). Aus ihnen setzt sich durch chronologische und kausale Anordnung die Geschichte zusammen. Bal (2009: 6) bezeichnet Ereignisse als prozesshafte Elemente, deren wichtigstes Merkmal die Veränderung ist. Genette (2010: 184) benennt ebenfalls die Zustandsänderung als entscheidendes Merkmal eines Ereignisses und kommt zu dem Schluss, dass bereits beim Vorliegen eines einzigen Ereignisses auch eine Geschichte vorliegt.
Um sich dem Begriff des „Ereignis“ nachvollziehbar anzunähern, lohnt sich ein kurzer Blick auf Juri Lotmans Erzähltheorie, dessen Grundüberlegung es ist, ein räumliches Modell zur Analyse und Interpretation von verbalen und nonverbalen Texten zu verwenden. Den semantischen Raum definiert Lotmann (1972: 312) als die „Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände [...]), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen gleichen (Ununterbrochenheit, Abstand [...])“. Semantische Räume lassen sich differenzieren in topografische Räume, welche konkrete, reale Räume meinen und abstrakte Räume, die z.B. auch geistige Zustände und Sichtweisen betrachten. Beide Räume haben ihre eigene Semantik, ihre eigene universelle Ordnung, (vgl. Dietrich / Schmidt-Bleeker 2013: 27 f.) Die wichtigste Eigenschaft der semantischen Räume ist nach Lotman (1972: 327) ihre Unüberschreitbarkeit: „die Grenze, die den Raum teilt, muss unüberwindlich sein und die innere Struktur der beiden Teile verschieden“. Wenn es einer Figur gelingt, die eigentlich unüberwindbare Grenze eines semantischen Raums dennoch zu überschreiten, wird von einem Ereignis gesprochen (vgl. ebd.: 332).
Die Grenzüberschreitung wird spannend und somit zu einem weitreichenden Ereignis, sobald semantische Räume, die völlig verschiedene Welt- und Wertordnungen besitzen, aufeinanderprallen. Um durch Grenzüberschreitung ein spannendes Ereignis auszulösen, müssen Kräfte existieren, die diese Überwindung erschweren wollen - seien es innerliche oder äußerliche Kräfte, (vgl. Dietrich / Schmidt-Bleeker 2013: 32 f.) Lotman (1972: 374) betont, dass „bedeutsam nur das ist, was eine Antithese besitzt“. Der durch die Grenzüberschreitung entstandene spannungsvolle Zustand zwischen dem Protagonisten und antagonalen Kräften wird als Konflikt bezeichnet. Je größer die Differenz zwischen den semantischen Räumen ist, desto stärker ist auch der Konflikt, (vgl. Dietrich / Schmidt-Bleeker 2013: 33 f.) McKee (1997: 210) sieht in dem Konflikt eine zentrale Bedeutung für die Geschichte: „Nothing moves forward in a story except through conflict“. Der Konflikt ist die Voraussetzung dafür, dass ein Ereignis zu einer Geschichte wird: ,,A Story Event creates meaningful change in the life situation of a character and experienced in terms of a value and achieved through conflict“ (ebd.: 34). Als value bezeichnet McKee (ebd.) menschliche Qualitäten, die zweiwertig angelegt sind: „Story Values are the universal qualities of human experience that may shift from positive to negative, or negative to positive, from one moment to the next“. Die Ursache für Konflikte ist nach dem Autor (ebd.: 210 ff.) der Widerstreit zwischen einerseits der Empfindung von Mangel, die sich in Form des Wünschens äußert und andererseits den Kräften, die sich diesem Wunsch entgegenstellen. Sind menschliche Qualitäten wie z.B. Leben/Tod, Wahrheit/Lüge oder Stärke/Schwäche betroffen, ist die Qualität der Grenzüberschreitung und somit der Konflikt besonders hoch.
Ort und Zeit
Ort und Zeit stellen grundlegende Sinndimensionen menschlicher Wahrnehmung dar und strukturieren die Alltagswelt (vgl. Berger / Luckmann 2007: 29). Die eigene Biographie wird dabei „als eine Episode aufgefasst, die ihren Ort in der objektiven Geschichte der Gesellschaft hat“ (ebd.: 64). Ereignisse finden immer an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeitpunkten bzw. in Zeiträumen statt, weshalb Ort und Zeit sowohl Einfluss auf den Verlauf, als auch auf die Wahrnehmung der Ereignisse haben können (vgl. Krüger 2014: 89). Orte können, genau wie Akteure, mit bestimmten Merkmalen ausgestattet werden, wodurch sie zu wiedererkennbaren Orten werden, die funktional für den Verlauf und die Botschaft der Erzählung sind (vgl. Bal 2009:138.). Während beispielsweise das „Zuhause“ für Geborgenheit steht, wird die „Wildnis“ mit Freiheit assoziiert (vgl. ebd.: 214). Ein klassisches Beispiel für die räumliche Bewegung von Akteuren ist die sogenannte Heldenreise (siehe Kap. III.3.2: Dramaturgie), in welcher der Held der Geschichte auszieht, um an fremden Orten seine Heldentaten zu begehen und schließlich verändert zum Ausgangspunkt zurückkehrt (vgl. Campbell 1999).
Die Zeitkomponente strukturiert Geschichten und lässt sich in der Wahl bestimmter Zeitpunkte, Variationen der Dauer und in der zeitlichen Reihenfolge der Ereignisse wiederfinden (vgl. Bal 2009: 214).
Nachdem nun die zentralen Elemente von Geschichte knapp erläutert wurden, geht es im Folgenden um die Struktur- oder Konstruktionsprinzipien (Chronologie, Kausalität, Dramaturgie, Handlungsmuster) nach denen diese Elemente beim Storytelling zusammengesetzt werden.
Chronologie, Kausalität und Dramaturgie
Geschichten bilden eine abgeschlossene Gesamtheit mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, wobei zwischen Anfang und Ende eine Folge zeitlich geordneter Ereignisse liegt (vgl. Aristoteles 2010: 1450). In diesem Zusammenhang ist der Begriff „Plot“ einzuführen: Dieser ist die Abfolge von Ereignissen, wie sie chronologisch geschehen sind (vgl. Müller 2014: 72). Die seriell aneinander gereihten Ereignisse ergeben ein Geschehen, welches erst dann eine zusammenhängende Geschichte ergibt, wenn diese nicht nur chronologisch aufeinander folgen, sondern auch kausal, also in einem bedeutsamen Zusammenhang miteinander verbunden sind (vgl. Thier 2010: 8; Martinez / Scheffel 2012: 112). Bal (2009: 218) stellt fest, dass einer zeitlichen Sequenz immer auch ein logisches Konzept zugrunde liegt: „It is a matter of logic to suppose that someone who arrives must have departed first; that old age follows youth, reconciliation quarrel, awakening sleep“ (ebd.). Zwar ist der Schluss von einer zeitlichen Abfolge auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung nicht logisch zwingend, dennoch kommt Luhmann zu der Erkenntnis, dass Kausalität nichts anderes ist „als die in bestimmter Weise schematisierte Zeit“ (Luhmann 2006: 179). So bildet der Beobachter Formen, indem er für ihn interessante Ursachen und Wirkungen herausgreift, miteinander koppelt (vgl. ebd.: 180) und eine „Zurechnung“ vornimmt, mit der er Weiterarbeiten kann, um so Unsicherheit zu reduzieren und die Umwelt beherrschbarer zu machen (vgl. ebd.: 455).
Aus den chronologischen und logischen Verknüpfungen der Ereignisse ergibt sich die Dramaturgie der Geschichte. Der dramatische Bogen ist dafür verantwortlich, dass die Geschichte vom Beginn bis zum Ende führt. Die Geschlossenheit der Geschichte ist dann gegeben, wenn die Auflösung unter Rückbezug auf den Anfang der Geschichte erfolgt (vgl. Luhmann 2004: 105). Eine Struktur unterhaltsamer Geschichten ist demnach „die Aufhebung einer selbsterzeugten Ungewissheit über den Ausgang der Geschichte“ (ebd.: 194). Diese dramaturgische Form führt zu einer kognitiven sowie emotionalen „Rezipientensteuerung“, indem neben einer Enthüllung von Informationen auch affektive Reaktionen wie Überraschung, Spannung und Neugier ausgelöst werden (vgl. Martinez / Scheffel 2012: 167 ff.). Den meisten Geschichten liegt der klassische Spannungsbogen (siehe Abb. 3) nach dem dramaturgischen Konzept von Aristoteles über Lessing bis Hitchcock zugrunde.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: KlassischerSpannungsbogen nach Lessing und Hitchcock (vgl. Loebbert 2004: 2)
Nachdem zunächst in das Thema der Geschichte eingeführt worden ist, die handelnden Personen vorgestellt sind und mit den Themen in Beziehung treten, wird unter dem „Schürzen des Knotens“ die Zusammenführung der Handlungsstränge der verschiedenen Akteure verstanden. Einem ersten Höhepunkt, bei welchem es keine Umkehr mehr gibt, folgt meist eine Atempause, bevor sich neue Widerstände aufbauen und die Geschichte hin zum Höhepunkt (Peripetie) eskaliert. Dieser Klimax ähnelt einer Art Krise, in der sich entscheidet, ob sich die Geschichte hin zu einer Verbesserung oder einer Verschlechterung wendet, (vgl. Loebbert 2003: 122 ff.) Durch die Beseitigung des Konfliktes werden Energien freigesetzt, die zu Entscheidungen führen. Die Lösung des Ausgangskonfliktes besteht aus Alternativen, die von den Akteuren ergriffen werden können, (vgl. Herbst 2008:108f; Littek 2011:119)
Eine der ältesten und wirkungsvollsten Dramaturgien ist das Modell der Heldenreise, das auf die Arbeiten des amerikanischen Mythenforschers Joseph Campbell zurückgeht und nach einer Überarbeitung von Christoph Vogler 12 Stufen der Geschichte umfasst. Campbell stellte beim Vergleich von Mythen und Sagen unterschiedlicher Kulturen fest, dass die meisten Geschichten eine ähnliche Grundstruktur aufweisen, (vgl. Campbell 1999; Vogler 1998) Treten zentrale Elemente und Strukturen der Heldenreise in Geschichten auf, so werden diese von Menschen als besonders spannend und bereichernd empfunden (vgl. Littek 2011:13ff). Die Heldenreise erzählt die Geschichte des Helden, von seinem Ruf zum Abenteuer über die Begegnung mit seinem Mentor, dem Aufbruch in eine unbekannte Welt, dem Weg der Abenteuer und Prüfungen hin zu seinem Schatz, der Belohnung und schließlich die Rückkehr mit diesem Schatz in seine gewohnte Welt. Sie fokussiert demnach vor allem auf die Entwicklung des Helden, seinen Weg und das persönliche Wachstum, (vgl. Campbell 1999) Die folgende Abbildung stellt die 12-stufige Heldenreise visuell dar:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Die Heldenreise nach Vogler(1998, Übersetzung durch die Verfasserin) Narrative Frames
Die sinnhafte Struktur einer Geschichte, welche sich aus der Gesamtheit der Ereignisse abstrahieren lässt, wird in der Narratologie als Handlungsschema bezeichnet: Es „ist ein typischer, d. h. mehreren narrativen Texten [...] gemeinsamer Handlungsverlauf“ (Martinez / Scheffel 2012:127). Solche abstrakten, ereignis- und themenunabhängige Schemata, werden auch unter dem Begriff des narrativen Frames geführt. So können Ereignisse zu einem Thema zusammengefasst werden, welches auf der nächsten Abstraktionsebene ein universelles Muster, einen sogenannten Frame ergibt, (vgl. Krüger 2014: 91) Narrative Frames beruhen vor allem auf Erfahrungen aus der Kindheit (vgl. Fuchs 2013: 37), sind „individuell erlernt und darüber hinaus Teil des kollektiven Gedächtnisses der Gesamtgesellschaft“ (Krüger 2014:35). „Geschichten transportieren implizite, kulturell gelernte Bedeutungen, weit über das Offensichtliche und Explizite hinaus.“ (Scheier / Held 2006: 70). Diese universellen Muster korrespondieren demnach mit der schemagestützten Informationsverarbeitung sowohl von Individuen als auch von sozialen Systemen (vgl. Krüger 2014: 96). Mythen, Achetypen, symbolische Handlungen und Handlungsschemata sind als Muster in Geschichten von hoher Bedeutung. Beispiele für Handlungsschemata sind die Heldenreise und die sieben Basic Plots nach Christopher Booker (2004), welche auf der Archetypenlehre von Carl G. Jung sowie den Erkenntnissen Campbells aufbauen. Darunter fallen neben der „Komödie“ und „Tragödie“ zum Beispiel auch die Frames „Das Monster überwinden“ und „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, (vgl. Herbst 2014: 58 f.) Muster finden Anwendung im Alltag, um Situationen, Verhalten und Gefühle mit Gelerntem abzugleichen und diese so zu verstehen oder ein Problem zu lösen (vgl. Herbst2014: 58 f.).
In Kombination aller bisher aufgeführten Bestandteile kann eine Erzählung die zentrale Botschaft auf einzigartige, spannende sowie anschlussfähige Weise übermitteln: „Stories always make a point that is valued (positively or negatively) by the audience [...], and include a message, a conflict, a role distribution and action" (Gummerus et al. 2013: 4 nach Shankar et al. 2001). Als Grundthema zieht sich die Botschaft durch die gesamte Geschichte und entspricht der logischen Folgerung aus der dargestellten Handlung (vgl. Blanchette et al. 2010: 34). Sie ist eine allgemeine Beschreibung von Erlebnis- und Handlungsmustern, die in einer bestimmten Situation erfolgreich waren und dementsprechend häufig mit Lektionen und Lehrsätzen verbunden. Um keine missverständlichen Kernbotschaften zu senden, sollten Nebenbedeutungen eliminiert werden. Das Herausarbeiten der Kernbotschaft bezeichnet die Literatur auch als Storyshaping, (vgl. Frenzei 2008: 178f.; Loebbert 2003: 122) Nach Stanton (2012) ist dieser sinnstiftende Moment aus psychologischer Sicht hoch relevant, da Menschen über den Sinn des Lebens bestärkt werden wollen.
Der Direktor des Kopenhagener Instituts für Zukunftsforschung, Rolf Jensen (1999) geht davon aus, dass die Organisationen, die Geschichten strategisch einsetzen, die Märkte des 21. Jahrhunderts dominieren werden. Den Zusammenhang von Geschäftsmodellen und Storytelling bringt Management Consultant Joan Magretta (2002: 87) anschaulich auf den Punkt: „The word ,model‘ conjures up images of white boards covered with arcane mathematical formulas. Business models, though, are anything but arcane. They are, at the heart, stories - stories that explain how enterprises work“. Die Logik von Geschäftsmodellen funktioniert nur dann, wenn sie auch als Narration funktioniert: „Creating a business model is, then, a lot like writing a new story. At some level, all new stories are variations on old ones, reworking ofthe universal themes underlying all human experience“ (ebd.: 88).
Storytelling ist ein breit einsetzbares Instrument, das in den verschiedensten Teilbereichen eines Unternehmens angewendet werden kann (vgl. Ettl-Huber 2014: 19). Zwar existiert kein Unternehmen, in welchem keine Geschichten kursieren, von Storytelling kann jedoch erst bei einem bewussten Einsatz gesprochen werden, (vgl. ebd.: 22) Eine Storytelling-Strategie umfasst das gesamte Unternehmen und reicht bis in die Grundfesten der Unternehmensphilosophie und -kultur (vgl. ebd.: 19). Ettl-Huber (2014: 20) identifiziert verschiedene Stufen, inwieweit das Unternehmen mit der Integration von Storytelling vorangeschritten ist. Die Autorin bezeichnet sie als Typen von Storytelling-Organisationen, die vom unbewussten bis zum umfassenden strategischen Storytelling reichen. Aufder höchsten Stufe wird Storytelling nicht mehr nur in einer Sender-Empfänger-Perspektive betrieben, sondern auch als Rückkanal von den Mitarbeitern zur Führungsebene genutzt (z.B. Wissensund Projektmanagement). Vorhandene Geschichten werden als Spiegel sowie als Ressource für Botschaften verstanden, (vgl. ebd.: 21 f.)
Mathews und Wacker (2008: 7) sehen in Storytelling eine schlagkräftige, strategische, jedoch meist ungenutzte Waffe:
Storytelling has the power to change the destiny of a company, an industry, a nation, and - ultimately - the world. It’s a force as powerful and universal as gravity and, sadly, often almost as invisible to the people it impacts. What would you say if we told you storytelling was the most underutilized weapon in most companies’ strategic arsenals?
Nach Mast (2016: 59) kann eine gute Geschichte die „Legitimationsgrundlage für die soziale, politische und kulturelle Ordnung eines Unternehmens bieten“.
Diese Studie versteht unter Storytelling im Unternehmenskontext das prozessuale Management von Geschichten über das Unternehmen und seine internen sowie externen Bezugsgruppen, wobei Storytelling und -listening untrennbar zusammengehören. Des Weiteren kann Storytelling sowohl strategisch als eine Management-Disziplin zur Förderung der Kommunikationsqualität in Unternehmen, als auch operativ im Sinne eines Instruments in der Unternehmenskommunikation eingesetzt werden, um komplexe Botschaften besser verständlich zu machen, (vgl. Schmija 2014: 39)
In den folgenden Kapiteln erfahren die Wirkungsweisen und Einsatzmöglichkeiten von Geschichten im Organisationskontext eine nähere Untersuchung.
Der aktuellen Forschung ist es noch nicht gelungen, den breitgefächerten Ausdruck „Wirkung“ in allen seinen Bestandteilen zu erforschen. Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, der Psychologie und den Kulturwissenschaften verdeutlichen allerdings immer präziser, in welchem Ausmaß wirkungsmechanismen von Geschichten greifen, (vgl. Herbst2014: 25)
Im Folgenden werden verschiedene Wirkungsweisen erläutert und in den Kontext von Unternehmen gesetzt.
Das episodische Gedächtnis und Kontextualisierung
Die narrative Form der Vermittlung ist ein Kommunikationsmodus, der sich an der menschlichen Wahrnehmung orientiert (vgl. Herbst 2014: 7). Das Gehirn umfasst ein Areal, das der Verarbeitung von Geschichten dient: das episodische Gedächtnis. Dieses ist von grundlegender Bedeutung für die menschliche Wahrnehmung, da dort Autobiographisches sowie wichtige Erfahrungen und Erlebnisse gespeichert werden (vgl. Schank 1995: 119 ff.). Es beinhaltet Bilder (bewegte oder unbewegte) in Form von narrativen Strukturen, welche in zeitliche, räumliche, inhaltliche und kausale Kontexte gesetzt werden (vgl. Roth 2003: 155; Wagner 2008: 2). Eine Strukturierung von Ereignissen in narrativer Form ermöglicht es, einen Sinn des Erlebten zu gestalten. Somit können Ziele, Motive und Konsequenzen unterschiedlicher Handlungen herausgestellt werden. Im Gegensatz dazu beinhaltet das Faktengedächtnis formale Strukturen, Fakten und Daten, ohne sie in einen größeren Sinnzusammenhang einzubinden, (vgl. Roth 2003: 155) Der Gehirnforscher Spitzer (2007: 453) stellt fest: „Nicht Fakten, sondern Geschichten treiben uns um, lassen uns aufhorchen, betreffen uns und gehen uns nicht mehr aus dem Sinn [...] Geschichten enthalten Fakten, aber diese Fakten verhalten sich zu den Geschichten wie das Skelett zum ganzen Menschen“. Unternehmen können durch Storytelling demnach nicht nur vermitteln, was sie tun, sondern auch warum und welche Konsequenzen dies mit sich bringt (vgl. Herbst 2014: 70). Geschichten erzählen über reine Fakten hinaus, von welchen Handlungsmaximen sich ein Unternehmen leiten lässt und worin dessen einzigartiges Belohnungsversprechen liegt (vgl. ebd.: 69). Beschlüsse werden leichter verständlich und verstärken die Glaubwürdigkeit der unternehmerischen Handlungen. Zudem unterstützen Geschichten darin, vergangene Ereignisse in einen Rahmen zu setzen und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen, (vgl. Erlach / Thier 2005: 146) Negative oder inkonsistente Informationen können durch die Verwebung in Geschichten im Zusammenhang mit positiven Informationen interpretiert werden, wodurch sie eine geringere Wirkung auf den Gesamtzusammenhang ausüben. Werden diese hingegen in einem Sachtext dargestellt, nehmen sie eine höhere Bedeutung ein, da sie unabhängig voneinander bewertet werden, (vgl. West et al. 2004: 624 f.) Geschichten nehmen im Unternehmen zudem die Funktion einer sozialen Landkarte ein: Sie veranschaulichen die verschiedenen Rollen und Kompetenzen und zeigen die Regelungen des zwischenmenschlichen Umgangs auf (vgl. Thier2017: 47).
Unbewusste Wahrnehmung
Storytelling wird in erster Linie unbewusst wahrgenommen. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Menschen 95 Prozent der wahrgenommenen Informationen unbewusst verarbeiten. Unterbewusste bzw. implizite Prozesse benötigen nur 5 % der Körperenergie, wohingegen aktive Denkprozesse bis zu 20 % verbrauchen. Um Energie zu sparen, übernimmt das implizite Bewusstsein die meisten Prozesse im Gehirn. Zudem dauert die bewusste Analyse wahrgenommener Reize länger als die direkte und unbewusste Realisierung in Handlungen. Das implizite Bewusstsein greift auf gespeicherte Erlebnisse zurück: Je mehr Erfahrungen gemacht werden, desto weniger Zeit und Informationen werden benötigt, um eine Entscheidung zu treffen, (vgl. Herbst 2014: 26) Wie bereits in Kapitel III.3.2 erläutert, eignet sich das Gehirn neues Wissen auf Basis von narrativen Frames an. Mit jeder abgespeicherten Schlüsselinformation werden Gefühle verknüpft, die bei einer ersten spontanen Einschätzung bspw. eines Unternehmens mit abgerufen werden. Von diesen Schlüsselinformationen wird auf weitere Charakteristika geschlossen, (vgl. ebd.: 27 f.)
In Unternehmen besitzen Muster die Fähigkeit, einen kollektiven Dialog unter allen Unternehmensangehörigen aufrechtzuerhalten. Dies schafft eine Voraussetzung für Veränderungen, indem Hinweise für notwendige Veränderungsprozesse geliefert, neue Perspektiven gewonnen und Einstellungen sowie Meinungen von Mitarbeitern beeinflusst werden können, (vgl. Denning 2011: 140) Guber (2011: 19) vergleicht diesen Wirkungsmechanismus mit dem eines Trojanischen Pferdes, wobei dies nicht manipulativ gemeint ist:
The Trojan Horse was a delivery vehicle in disguise. [...] Thanks to their [stories, Anm. d.
Verf.] magical construction and appeal, stories emotionally transport the audience so they don’t even realize they’re receiving a hidden message. They only know after the story is told that they’ve heard and felt the teller’s call to action.
Mental Images
Menschen rezipieren über 80 Prozent aller Informationen über ihre Augen; 60 Prozent der Gehirntätigkeit widmen sich dem Wahrnehmen, Verarbeiten und Speichern von Bildern (vgl. Gegenfurter et al. 2002:69). Eine entscheidende Charakteristik von Geschichten ist ihre starke bildhafte Wirkung, wodurch auch trockene und abstrakte Informationen in anschauliche Bilder übersetzt werden (Schmieja 2014: 40). Physikalische Bilder sind dabei von eher untergeordneter Bedeutung, können aber unterstützend wirken. Geschichten lassen innere Bilder entstehen, die als Gedächtnisbilder (= Mental Images) gespeichert werden und einen starken Einfluss auf Meinungen, Einstellungen und Verhaltensabsichten haben, (vgl. Herbst 2014: 61ff) Je lebendiger und ansprechender innere Bilder sind, desto stärker wirken sie und desto wirkungsvoller sind die Geschichten. Zu beachten ist hierbei, dass bekannte Bilder das Gefühl der Sicherheit auslösen, während unbekannte Bilder die Aufmerksamkeit steigern.
Ein Unternehmen ist als gedankliches Vorstellungsbild in dem menschlichen Gehirn repräsentiert und setzt sich aus Wissen und Meinungen über das Unternehmen sowie den damit verbundenen Emotionen zusammen, (vgl. ebd.: 65 ff.) Geißlinger und Raab (2007: 13) stellen fest, dass niemand von etwas ergriffen werden kann, ohne ein inneres Vorstellungsbild davon zu besitzen. Somit muss ein Vorstellungsbild des Unternehmens existieren, um als Anspruchsgruppe eine Unterstützungs- bzw. Handlungsentscheidung zu fällen (vgl. Herbst 2014: 175).
Emotion und Belohnung
Um Rezipienten zu überzeugen, ist es elementar, ihre Emotionen anzusprechen: „[The] key to their hearts is [a] story" (McKee 2003: 51). Das Einspeichern von Geschichten und Fakten funktioniert nach unterschiedlichen Regeln. Das limbische System, der Sitz unserer emotionalen Intelligenz, bewertet einströmende Informationen nach ihrer emotionalen Bedeutung, (vgl. Herbst 2014: 33) Bilder, die im episodischen Gedächtnis encodiert werden, sind zu 80 Prozent von starken Emotionen begleitet - Zugang ins episodische Gedächtnis findet nur das, was auch berührt (vgl. Wagner 2008:2). Viele aktuelle Forschungen bestätigen, dass Entscheidungen vor allem emotional getroffen werden: Ein Verlust der Emotionalität z. B. durch Hirnschädigungen führt dazu, dass auch rationale Entscheidungen nicht mehr getroffen werden können (vgl. Herbst 2014: 26-30).
Grundsätzlich versucht der Mensch, negative Emotionen zu meiden und sich stattdessen ausschließlich positiven Emotionen auszusetzen. Es wird das beste emotionale Gesamtergebnis angestrebt, um das Wohlbefinden zu steigern. (Häusel 2012: 58) In Geschichten werden emotionale Erwartungen erzeugt, die wie eine Belohnung wirken, wenn sie erfüllt oder gar übertroffen werden (vgl. Herbst 2014: 45).
Das Effektgesetz nach Edward L. Thorndike besagt, dass Handlungen, auf die ein befriedigender Zustand folgt, gut behalten werden und einen positiven Nacheffekt hinterlassen. Dieses Behalten (z. B. als Ergebnis eines Lernvorganges) kann einen starken Motivator darstellen, um die belohnten Handlungen zu wiederholen, (vgl. Lay 2000:108) Fazit: Je emotionaler und belohnender das unternehmerische Storytelling wirkt, desto besser für das Lernen und Handeln der internen und externen Bezugsgruppen.
Identifikation und Beteiligung
Die narrative Verarbeitung von Informationen führt häufig zu einer Transportierung (vgl. Green / Brook 2000: 701). Diese gilt als der „zentrale Wirkmechanismus von Narrativen“ (Neder2017: 62). Der Rezipient wird dabei aktiv in den Prozess einer Geschichte eingebunden und dazu angeregt, sich die Erzählung vorzustellen, sodass er die Inhalte ganzheitlich erleben und indirekt daran partizipieren kann (vgl. Faust 2006: 22 f.). Er distanziert sich von der eigenen Welt, reist in eine andere Realität und kehrt aus der narrativen Welt mit neuen Einstellungen, Eindrücken und Sichtweisen zurück (Weber 2017: 15). Mit dem Eintauchen in einer Geschichte wirkt die Handlung auf den Rezipienten so lebensnah, wie ein Teil des eigenen (Er)Lebens (vgl. Neder 2017: 63). Die Überzeugungskraft einer Geschichte hängt davon ab, inwieweit sich der Rezipient in die Geschichte hineinversetzt fühlt und sich emotional beteiligt (vgl. Green / Brock 2000: 701 ff.). Dabei wird die emotionale Beteiligung über Selbstreferenzen erleichtert. Dies bedeutet, dass Informationen, welche die Rezipienten persönlich betreffen, leichter, intensiver und länger erinnerbar sind, als Informationen ohne persönlichen Bezug (Faust 2006: 22). Durch Geschichten werden innere Bilder (eigener) Erfahrungen hervorgerufen, die wiederum mit der Geschichte verknüpft werden und zu einer höheren Aktivierung der Rezipienten führen (vgl. Herbst 2014: 40 f.; ebd.: 170). Der Rezipient befindet sich nicht in einer passiven Rolle der Informationsaufnahme, sondern verfällt in einen Zustand des aktiven Mitdenkens (vgl. Denning 2011: 22).
Um Gefühlslagen und Handlungsmotive anderer nachzuvollziehen, spiegeln Menschen deren Emotionen (vgl. Herbst 2014, 52 f.). Hasson et al. (2012) sprechen bei diesem Prozess von der „Synchronisierung von Gehirnen“. So löst das Nachvollziehen der Emotionen und Motive von Akteuren in Geschichten die Aussendung sogenannter Spiegelneuronen aus: Der Rezipient spiegelt innerlich das Verhalten der Akteure, wodurch er eventuelle Ähnlichkeiten erkennt und sich mit den dargestellten Figuren identifiziert (vgl. Herbst 2014, 52 ff.). Die Geschichte wird durch ihre Kreierung in der Vorstellung des Rezipienten ein Teil seiner Identität und nicht mehr als etwas Fremdes von außen angesehen (Green / Brook 2000: 701). Für Unternehmen bedeutet das: Der Zustand der Identifikation löst häufig aktive Mitarbeit, Engagement und Unterstützung aus. Die Rezipienten kommen proaktiv auf Ideen und erkennen, welche Chancen in der Geschichte transportiert werden, (vgl. Herbst 2008: 53; Frenzei et al. 2004: 114; Denning 2001: 55 f.) Narrative Kommunikation verstärkt die Interaktion zwischen den Beteiligten (vgl. Faust 2006). Mitarbeiter, die Geschichten über ihr Unternehmen erzählen, empfinden sich selbst als einen Bestandteil der Unternehmenskultur (Fahrenwald 2005: 37). Frenzei et al. (2006: 5 f.) verstehen den narrativen Modus in diesem Zusammenhang als einen „Gegenpol zur Einweg-Kommunikation“: Die Rezipienten werden implizit dazu angehalten, sich durch das Weitererzählen an der Geschichte zu beteiligen. Im Prozess des Weitererzählens verarbeitet der Rezipient die Inhalte tiefgreifend und setzt sich bewusst mit der Botschaft auseinander (vgl. Miller et al. 2008: 100).
Glaubwürdigkeit
Vertrauen meint nach Rotter (1967: 651) die „Erwartung, dass man sich auf das Wort, die Versprechen, die verbalen oder geschriebenen Aussagen anderer Individuen oder Gruppen verlassen kann“. Der Soziologe Luhmann (1973: 93) spricht in diesem Zusammenhang von der „Sicherheit der sozialen Selbstdarstellung“ und bezeichnet damit, wie gut es einer Organisation oder Person gelingt, „ein konsistentes Bild von sich selbst zu entwerfen und zu sozialer Geltung zu bringen“.
Eine Charakteristik, die Geschichten für Unternehmen so erfolgreich macht, ist ihre Glaubwürdigkeit. Während die Quelle der Information in den meisten Fällen nach einiger Zeit vergessen wird, bleibt die Botschaft bestehen. Dazu müssen unternehmerische Geschichten konsistent, vollständig und plausibel sein (vgl. Pennington / Hastie 1992, 191 ff.). Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, erwartet der Rezipient keine manipulativen Absichten, seine Entscheidungsfreiheitwird nicht eingeschränkt und es stehen ihm Deutung und Interpretation der Handlung offen (vgl. Sammer2014, 95).
Die Basis jeglicher Beschäftigung und strategischen Ausrichtung von Storytelling im Unternehmen bildet die „organisatorische Basiserzählung“, die Core Story. Sie stellt die Einzigartigkeit des Unternehmens heraus, definiert die Identität und bildet damit die Grundlage für weitere Erzählungen im und über das Unternehmen, (vgl. Schach 2016: 29 f.) Sie steckt in jeder Geschichte, die innerhalb einer Kommunikationsmaßnahme erzählt wird. Einerseits ist sie ein Werkzeug, um geeignete Geschichten zu kreieren, andererseits fungiert sie als Analyseinstrument, um die Passung von Strategie und neuen Geschichten zu beurteilen, (vgl. Müller2014: 120) Von ihr lassen sich alle weiteren Geschichten für die internen und externen Stakeholder ableiten (vgl. Haringer / Maier 2008: 9 f.). Beim Verfassen sind demnach die Bezugsgruppen des Unternehmens mitzudenken, die häufig stark ausdifferenziert sind, sich aber im Idealfall mit der Basisgeschichte identifizieren sollten. Dabei ist die Core Story niemals starr festgelegt, sondern muss konkrete Veränderungen widerspiegeln und sukzessive weiterentwickelt werden. (Loebbert 2003: 69). Eine Core Story ist so dynamisch wie die Unternehmensidentität selbst und gibt den Bezugsgruppen Orientierung, da sie auf den Sinn der Organisation Bezug nimmt. Das Erzählmuster nimmt Einfluss auf das Handeln und Erleben der Unternehmensmitglieder (ebd.: 62 f.).
Nach Herbst (2014: 84 f.) umfasst die Core Story drei Bestandteile: Ein übergeordnetes Belohnungsversprechen, die zu dessen Erfüllung notwendigen Erfolgsfaktoren und die unternehmerische Haltung (z. B. fürsorglicher Experte).
Faust (2006: 6 f.) unterscheidet drei Typen von Core-Stories: „Wer-bin-ich“-Geschichten (erzählen die Geschichte des Unternehmens); „Wofür-stehe-ich“-Geschichten (vermitteln die unternehmerischen Werte); „Was-will-ich“-Geschichten (veranschaulichen Vision / Mission).
In Bezug auf den Aufbau der Core Story, beschreibt Müller (2014: 121) die folgende Basisstruktur: „Das Unternehmen/das Produkt bietet dies oder das um für den Kunden/AnwendereineVeränderung auszulösen hin zu diesem oder jenem Resultat“.
Häufig ist die Core Story abgeleitet aus der Entstehungs- oder Gründungsgeschichte und vermittelt die Identität und das in Zukunft angestrebte Unternehmensziel (vgl. Knöß 2014: 67). In Bezug auf die Entstehungsgeschichte findet sich in der Literatur häufig der Bezug zu dem Mythos, der in der Basisgeschichte gestaltet werden kann (vgl. Ebert 2014: 125). Sammer (2014: 71) beschreibt zwei Grundmuster, die bei der Erzählung des Gründungsmythos Verwendung finden: Die Gründer als charismatische Visionäre, als Pioniere ihrer Zeit oder Gründungsmythen, welche die Umstände einer Unternehmensgründung darstellen und den ursprünglichen Gründergeist beschwören.
Eine Basisgeschichte, welche weit in die Vergangenheit zurückgreift, kann jedoch auch die Weiterentwicklung des Unternehmens behindern (vgl. Loebbert 2003: 68). Neuerungen können Ablehnung hervorrufen, weil sich die Zielgruppen nicht mit dem Unternehmen und dessen grundlegender Historie identifizieren können (vgl. Schach 2016: 29 f.).
Ein Modell, das für den Aufbau von Core Stories eine ideale Voraussetzung bietet und dementsprechend häufig zur Anwendung kommt, ist der „Golden Circle“ nach Simon Sinnek. Die Grundthese des Modells lautet: Wer überzeugende Geschichten erzählen möchte, muss die Fragen nach dem „Warum?“, „Wie?“ und „Was?“ konkret beantworten. Sinneks Hauptthese ist, dass „warum” Unternehmen etwas tun und nicht „was“ sie tun, entscheidend für deren Erfolg ist: „People don't buy what you do; people buy why you do it.“ Sammer (2017: 60) ergänzt in diesem Zusammenhang: „Während uns austauschbare und neutrale Beschreibungen von Produkten und Dienstleistungen („Was“) zunehmend langweilen, faszinieren uns Visionen, Utopien und Zukunftsbilder“ (Sammer 2017: 60). Menschen folgen einerWertvorstellung und keinem Produkt oderService (vgl. Wieskamp2016: 19).
Das Instrument Storytelling findet in den unterschiedlichsten Bereichen eines Unternehmens Anwendung, in welche das folgende Kapitel aufgrund des begrenzten Rahmens dieserArbeit lediglich knappe Einblicke gewähren kann.
Die Identität eines Unternehmens manifestiert sich in dessen Handlungen, die als Produkte des handelnden Zusammenwirkens der individuellen Organisationsmitglieder betrachtet werden. Basis der Unternehmensidentität ist dabei die Unternehmenskultur, zu der Werte, Normen und Denkhaltungen gehören (vgl. Belgorodski 2017: 137 f.). Eine starke Unternehmensidentität schafft das Gefühl der Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit, den „zutiefst menschlichen Bedürfnissen“ (Bickmann 1999: 45). Für Luhmann (2006: 421) stellt sie eine „Entscheidungsprämisse“ dar, indem sie die Erwartungen sowie das Vertrauen der Anspruchsgruppen begründet. Dem Konstrukt „Identität“ steht das primär nach außen gerichtete Konstrukt des „Unternehmensimage“ gegenüber, das in hohem Maß von der Unternehmensidentität abhängt (vgl. Belgorodski 2017: 137 f.).
Dass Identität narrativ konstruiert wird, weisen zahlreiche psychologische sowie hirnphysiologischen Forschung nach (vgl. Keupp et al. 2008: 56). Sie formt sich aus Geschichten, zu denen Erfahrungen und Erlebnisse des Individuums verdichtet werden. Geschichten, die Menschen von sich erzählen und die über sie erzählt werden, haben eine identitätsstiftende Funktion (vgl. Lucius-Hoene / Deppermann 2002: 53):
Erzählung kann als eine spezifische Form diskursiver Praxis betrachtet werden, die durch die sprachliche Darstellung von Zeiterfahrung, ihre Kohärenzstiftung und ihr Re- Inszenierungspotential besondere Möglichkeiten der diskursiven Darstellung und Verhandlungvon Identitätöffnet. (ebd.)
Wie die persönliche Identität, bildet sich auch die Unternehmensidentität immer wieder neu an dem Schnittpunkt von Selbstnarrationen, Fremdnarrationen und kontextuellen Narrationen (vgl. Müller 2019:132). Sie ist somit keine feststehende, sondern eine instabile Größe, die sich im Erzählen immer neuer Geschichten stetig verändert. Ein Unternehmen kann aufgrund von Fremdnarrationen nie die vollständige Kontrolle über die eigene Identität bzw. den narrativen Kosmos, derdiese Identitätabbildet, besitzen, (vgl. Müller2019: 133 f.)
Teilweise übereinstimmend mit Faust (2006: 6 f.) (vgl. Kap. III.4.2) nähert sich Abels (2010: 16) der Definition von Identität mittels vier Fragen an, die bezogen auf die narrative Konstruktion der Unternehmensidentität von hoher Relevanz sind: Die erste Frage („Wie sind wir geworden, was wir sind?“) zielt auf Gründungsgeschichten und stark identitätsstiftende Geschichten über Unternehmens- und Geschäftsstrategien ab. Die zweite Frage („Wer will ich sein?“) bezieht sich auf die Unternehmensidentität im engeren Sinn (Corporate Identity) bzw. auf die Marke (siehe Kap. III.4.3.5: Markenbildung). Frage drei („Was tue ich?“) meint das Geschäftsmodell und Frage vier („Wie sehen mich die anderen?“) betrifft die Fremdnarrationen. Sie ist die entscheidende Frage nach der Positionierung am Markt, (vgl. ebd.; Müller2019: 132 f.)
[...]
1 Die weibliche Form ist der männlichen Form in dieser Studie gleichgestellt; lediglich aus Gründen der Vereinfachung und der Leserlichkeit wurde die männliche Form gewählt.
2 Das Sozialunternehmen bzw. die Social Enterprise im Sinne von Social Entrepreneurship Organization wird im Folgenden überwiegend mit dem Kürzel SEO bezeichnet und Social Entrepreneurship wird z.T. mit SE abgekürzt. Englische und deutsche Begriffe werden parallel verwendet (z.B. Sozialunternehmer = Social Entrepreneur; Soziale Mission = Social Mission). Es wird von Unternehmen ebenso wie von Organisationen gesprochen.
3 Im begrenzten Rahmen dieser Arbeit kann nicht näher auf die Herleitung des Begriffs eingegangen werden. Für eine vertiefende thematische Auseinandersetzung können die folgenden Literaturquellen nachgeschlagen werden. Der Großteil der Entrepreneurship-Theoretiker bezeichnet das Adressieren eines sozialen Problems (vgl. Austin / Stevenson / Wei-Skillern 2006), sowie die Schaffung eines sozialen Werts (vgl. Dacin / Dacin / Matear 2010; Peredo / McLean 2006) und den Aspekt der Nachhaltigkeit (vgl. Seelos / Mair 2005) als typische Charakteristiken des Social Entrepreneurship. Zudem hat Dees den Opportunitätscharakter Druckers“ (vgl. Drucker 1985: 22 f.), den Innovationscharakter Schumpeters“ (vgl. Schumpeter 1934) sowie den Ressourcencharakter Stevensons (vgl. Stevenson et al. 1989) in seine Definition mitaufgenommen.
4 Eine detaillierte Auflistung aller Anspruchsgruppen liefert Schneidewind (2018: 20 f.): Staatliche Einrichtungen, Mitglieder, Kunden, Begünstigte, Spender, Investoren mit verringerter finanzieller Renditeerwartung sowie Kapitalgeber mit marktgerechter finanzieller Renditeerwartung, Mitarbeiter, das Management, Eigentümer, potentielle Kunden, Medien, Verbände und Vereinigungen, die interessierte Öffentlichkeit, Berater, Finanzintermediäre, Lieferanten und Dienstleister.