Masterarbeit, 2021
71 Seiten, Note: 1,7
Zusammenfassung
Abstract
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung und Public Health Relevanz
1.2 Zielsetzung und Fragestellung
1.3 Methodik
1.4 Inhaltliche Struktur der Arbeit
2 Onlinebasierte Gesundheitskommunikation
2.1 Bedeutung und Potenziale
2.2 Determinanten digitaler Gesundheitskommunikation
2.3 Formen digitaler Gesundheitskommunikation und ihre Nutzergruppen
2.4 Problematik bei der Nutzung
3 Health Literacy und eHealth Literacy
3.1 Begriffsklärung und konzeptionelle Verortung
3.2 Modelle und Theorien
3.2.1 Das Lilienmodell
3.2.2 Das Integrierte Modell von Health Literacy
3.2.3 Das Modell der Akzeptanz-Theorie UTAUT
4 Gegenwärtiger Forschungsstand
4.1 Zugang zu gesundheitsrelevanten Informationen im Internet
4.2 eHealth Literacy in der Bevölkerung
4.3 Bevölkerungsgruppen mit eingeschränkter eHealth Literacy
4.3.1 Einfluss sozialer und kultureller Gradienten
4.3.2 eHealt Literacy - Eine Frage des Alters
4.4 Die digitale Kluft und ihre Konsequenzen
5 Ansätze zur Förderung der eHealth Literacy
5.1 Gesundheitspolitische Maßnahmen
5.1.1 Internationale und nationale Forderungen
5.1.2 Maßnahmen und Gesetzgebung in Deutschland
5.1.3 Strategien zur Umsetzung der Digitalisierung
5.2 Best Practice
5.2.1 Chancengleichheit durch Bildung
5.2.2 Generationsübergreifende Interventionen
5.2.3 Social Marketing
5.3 Ansätze und Maßnahmen zur Qualitätssicherung
6 Diskussion
6.1 Inhaltsbezogene Diskussion
6.2 Implikationen
6.2.1 Forschung
6.2.2 Beispielhafter Ansatz zur Förderung der eHealth Literacy im Alter
6.2.3 Public Health Praxis
6.3 Ausblick
7 Literaturverzeichnis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich das Maskulinum für bestimmte Begriffe, Personen sowie Personengruppen verwendet. Eine Diskriminierung ist mit dieser Schreibweise keinesfalls beabsichtigt.
Immer mehr Menschen informieren sich im Internet über Gesundheitsthemen. Im Gegensatz zu analogen Quellen bietet das World Wide Web zum einen eine Vielzahl an Informationen, zum anderen ist es heutzutage für die meisten Nutzer jederzeit und überall verfügbar. Durch den Austausch mit anderen über soziale Medien oder der Vor- und Nachbereitung von Arztbesuchen kann die Rolle des Patienten gegenüber Health Professionals gestärkt werden. Auch präventive und gesundheitsfördernde Effekte können durch die Verwendung internetbasierter Gesundheitsgadgets auf individueller Ebene erzielt werden. Die Anwendung digitaler Gesundheitsangebote, insbesondere mittels onlinebasierter Gesundheitskommunikation, bietet reichlich Potential zur Verbesserung der Gesundheit jedes Einzelnen, geht aber auch mit beträchtlichen Herausforderungen einher. Es zeigt sich, dass onlinebasierte Gesundheitskommunikation häufig von fragwürdiger Qualität ist. Die Informationen sind oftmals schwer verständlich und die Navigation auf vielen Homepages nicht benutzerfreundlich. Je mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, desto unübersichtlicher wird das Angebot. Es zeigt sich, dass die Nutzung und Anwendung digitaler Gesundheitsinformationen heterogen ist und von der Akzeptanz digitaler Lösungen sowie der Ausprägung der eHealth Literacy (digitale Gesundheitskompetenz) abhängig ist. Die eHealth Literacy Forschung offenbart große Defizite auf, insbesondere mit Blick auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Demnach korrelieren soziodemografische und sozioökonomischen Variablen mit dem Ausprägungsgrad der eHealth Literacy. Wissenschaftler gehen bereits von einer digitalen Kluft aus, die sich verstärken könnte, wenn nicht entsprechend gehandelt wird. Einige Strategien und Maßnahmen wurden bereits entwickelt. Allerdings ist der Bereich der eHealth Literacy Forschung ein junges Forschungsfeld, welches noch große Lücken der Evidenz aufweist. Um eine Verbesserung der Gesundheit in der Bevölkerung zu erreichen, ist es wichtig, die digitale Kluft mit Hilfe zielgruppenorientierter Maßnahmen zu reduzieren. Aufgrund der weiter zunehmenden Digitalisierung ist eHealth Literacy als eine wesentliche Schlüsselkompetenz zur Ermöglichung gesundheitlicher Chancengleichheit zu betrachten und dementsprechend auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen zu fördern.
More and more people are seeking information on health topics on the Internet. The World Wide Web not only offers a wealth of information, but it is also available to the majority of users today at anytime, anywhere, in contrast to analogue sources. Interaction with others via social media, or preparing for and following-up on doctor's visits, can enhance the patient’s confidence when dealing with health professionals. On an individual level, preventive and health-promoting effects can also be achieved by using internet-based health devices. The adoption of digital health services, through online-based health communication in particular, provides ample potential for improving the health of each individual, but also comes with considerable challenges. It is becoming apparent that online-based health communication is often of questionable quality. Information is often difficult to understand and the navigation on many homepages is not user-friendly. The more options that become available, the more confusing the offer becomes. It is becoming obvious that the consumption and application of digital health information is heterogeneous and depends not only on the acceptance of digital solutions but also on the level of eHealth literacy. The research on eHealth literacy reveals major deficits, especially in certain population groups. This research indicates that socio-demographic and socio-economic variables correlate to the level of eHealth literacy. Today, researchers postulate the existence of a digital divide that could widen if no action is taken. Some strategies and measures have already been developed. However, the area of eHealth literacy is a young field of research which is still suffering from large gaps in evidence. In order to achieve an improvement in the health of the general population, it is important to reduce the magnitude of the digital divide by implementing measures directed at specific target groups. Due to increasing digitisation, eHealth literacy should be regarded as a key skill in enabling health equity and should be promoted appropriately at all political and social levels.
Abbildung 1: Verwendete Schlüsselwörter bei der Datenbankrecherche
Abbildung 2: Relativer Anteil ausgewählter Expertenforen
Abbildung 3: Das Lilienmodell von Skinner & Normen
Abbildung 4: Das integrierte Modell der Health Literacy
Abbildung 5: Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (UTAUT)
Abbildung 6: eHealth Literacy nach Bevölkerungsgruppen
Abbildung 7: Bereitschaft für die Nutzung digitaler Gesundheitsangebote
Abbildung 8: Gründe für die Ablehnung des Internets bei den Senioren
Die Entwicklung des Internets im vergangenen Jahrhundert läutete den Beginn des digitalen Zeitalters und somit eine bahnbrechende dynamische Entwicklung ein, die noch immer zu beobachten ist und gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie weiter an Bedeutung gewinnt (Ludwigs & Nöcker, 2020, S. 1). Die Nutzung digitaler Medien und Technologien ist sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft allgegenwärtig und aus unseren Lebenswelten nicht mehr wegzudenken. Auch im Gesundheitswesen hat der Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen (kma-online.de, 2021, Fischer & Krämer, 2016, S. 4). Mit Hilfe internetfähiger Technologien soll einerseits die medizinische Versorgungsqualität der Patienten verbessert und andererseits die Prävention und Gesundheitsförderung in der Bevölkerung unterstützt werden (Fischer & Krämer, 2016, S. 4 ff). Damit dies gelingen kann, sind grundlegende Voraussetzungen zu erfüllen. So werden wesentliche strukturelle Rahmenbedingungen für die „digitale Gesundheit“ (eHealth), z. B. durch den kontinuierlichen Ausbau des Breitbandnetzes in weiten Teilen Deutschlands, verbunden mit einer schnelleren Datenübertragung und mit der Bereitstellung technischer Innovationen geschaffen (Tennant et al., 2015, S. 2). Zudem wurden verschiedene Gesetze, wie z. B. das „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ (DVG) verabschiedet, die den digitalen Wandel im Gesundheitswesen weiter voranbringen sollen (BMG, 2021a). Um auch als Patient von der Digitalisierung profitieren zu können, wird es immer wichtiger, souverän mit gesundheitsrelevanten Daten sowie entsprechender Technik umgehen zu können.
Aufgrund der Omnipräsenz digitaler Medien ist es nicht verwunderlich, dass sich heutzutage zahlreiche Menschen im World Wide Web über Gesundheits- bzw. Krankheitshemen informieren. Schließlich ist der Zugang zu Informationen über das Internet im Gegensatz zu analogen Quellen viel leichter, schneller, überall und jederzeit möglich. Dabei wird die schnelle Suche bei „Dr. Google“ immer beliebter (Bertelsmann Stiftung, 2019, S. 2 ff).
Doch wie wertvoll sind diese Informationen? Geht man davon aus, dass viele der resultierenden Suchergebnisse aufgrund bestimmter Algorithmen entstehen, ist die Wahrscheinlichkeit, falsche bzw. gesundheitsgefährdende Auskünfte zu erhalten, sehr groß. Hinzu kommt, dass die Informationsfülle im Netz sehr umfangreich und unübersichtlich ist, was die Auswahl der relevanten Information deutlich erschweren kann (Bertelsmann Stiftung, 2019, S. 2 ff).
Auch ist in Bezug auf die onlinebasierte Gesundheitskommunikation zu beobachten, dass die Beeinflussung der Menschen über soziale Netzwerke im positiven wie im negativen Sinne überaus wirkungsvoll ist. Augenscheinlich kommt es vor, dass Personen mittels „populistischer Rhetorik“ fehlgeleitet werden (Koch, 2018, S. 333 f). In Deutschland zeigt sich dies heute im Rahmen der Pandemie am Beispiel populistischer Initiativen („Querdenken 711“) besonders deutlich. Hier werden Bürger u. a. mit Hilfe sozialer Netzwerke zu einem Verhalten ermutigt, das nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch andere Mitmenschen gefährdet. Berichte von „Corona-Demonstrationen“ gegen Restriktionen oder gegen das Tragen von Mund-Nasen-Masken auf den Straßen veranschaulichen, dass jene Art der Beeinflussung durchaus gelingt. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie wichtig es ist, den Zugang zu evidenzbasierten Datenbanken für alle Zielgruppen zu erleichtern und sie vor allem dabei zu unterstützen, die Qualität der Daten und Fakten aus dem Internet richtig einschätzen zu können. Die richtigen Gesundheitsinformationen dienen also nicht nur dem Selbstschutz und der Verbesserung der eigenen Gesundheit, sondern auch dem Gemeinwohl und einer besseren Kommunikation mit Health Professionals. Zudem gibt es eine Vielzahl digitaler Instrumente wie Gesundheits-Applikationen (Apps) und Wearables, deren Nutzung den Bürgern zu mehr Verständnis, Selbstbestimmung, Partizipation, Fitness und folglich mehr Lebensqualität verhelfen kann. Eine Verbesserung der Gesundheitschancen jedes Einzelnen ist demzufolge davon abhängig, inwieweit seine eigene (digitale) Gesundheitskompetenz ausgeprägt ist.
Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Digitalisierung, sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch im Gesundheitswesen, nimmt die digitale Gesundheitskompetenz jedes Einzelnen für die Verbesserung der Prävention und Gesundheitsförderung sowie der Krankheitsbewältigung einen besonderen Stellenwert ein.
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, die gesundheitswissenschaftliche und -politische Relevanz der Förderung der eHealth Literacy in sämtlichen Bevölkerungsschichten zu verdeutlichen und voranzutreiben. Demgemäß müssen die Probleme in Bezug auf die Qualität der Gesundheitsinformationen sowie weitere hemmende und fördernde Determinanten, besonders in Bezug auf vulnerable Bevölkerungsgruppen, identifiziert werden, um schließlich den damit verbundenen Herausforderungen entgegenzutreten und Handlungsempfehlungen entwickeln zu können.
Aus der Zielformulierung ergeben sich folgende Forschungsfragen, die der Masterarbeit zu Grunde liegen:
- Welche Probleme ergeben sich in Hinblick auf den Zugang zu Gesundheitsinformationen im Internet und wie ist deren Qualität zu bewerten?
- Welche zielgruppenspezifischen Barrieren hemmen die Entwicklung der eHealth Literacy und wie sind diese Hindernisse zu überwinden?
- Inwieweit kann eHealth Literacy zu einer Verbesserung der Gesundheitschancen beitragen?
- Welche Ansätze zur Förderung von eHealth Literacy gibt es bereits?
Die dargelegten Daten und Fakten wurden in erster Linie im Internet mittels Literaturrecherche erfasst. Die Auswahl relevanter Datenbanken, wie z. B. Base, Pubmed, SpingerLink, BiomedizinHub, erfolgte größtenteils über die Bibliothek der Universität Bielefeld. Des Weiteren wurde gezielt in internationalen Datenbanken, wie z. B. der Cochrane Library und Google Scholar sowie auf Homepages gesundheitswissenschaftlicher bzw. -politischer Institute (u. a. RKI, BMG, BZGA), nach entsprechender Literatur gesucht.
Weitere Quellen sind nach dem Schneeballprinzip sondiert und analysiert worden. So auch einige Studien der Techniker Krankenkasse (TK), Bertelsmann-Stiftung sowie weitere internationale Studien. Eine darauffolgende Kategorisierung der Quellen ermöglichte einen schnelleren Zugriff entsprechend der vorgesehenen Gliederung.
Bei der Datenbankrecherche wurden folgende Schlüsselwörter verwendet:
Abbildung 1: Verwendete Schlüsselwörter bei der Datenbankrecherche (eigene Darstellung)
Die vorliegende Arbeit besteht aus insgesamt sechs Kapiteln. Nachdem in der Einleitung u. a. ein grober Überblick über die Problematik dargelegt wurde, wird im 2. Kapitel ein tiefer gehender Eindruck über die Hintergründe onlinebasierter Gesundheitskommunikation vermittelt. Dazu gehören sowohl die Einflussfaktoren, die Qualität und die Nutzung von Gesundheitsinformationen aus dem Internet als auch Vor- und Nachteile, die eine kritische Betrachtung erforderlich machen. Im darauffolgenden Kapitel werden die Begrifflichkeiten Health Literacy und eHealth Literacy erläutert. Die politischen Rahmenbedingungen und Hintergründe werden aufgezeigt und einige Modelle und Theorien vorgestellt, mit dessen Hilfe die Notwendigkeit von eHealth Literacy, aber auch grundlegende Voraussetzungen erklärt werden können.
Das Kapitel 4 vermittelt einen Überblick über den gegenwärtigen wissenschaftlichen Kenntnisstand in Bezug auf den Zugang zu Gesundheitsinformationen im Netz und dem Ausprägungsgrad der eHealth Literacy in der Bevölkerung sowie in bestimmten Bevölkerungsgruppen, welche besondere Schwierigkeiten hinsichtlich des Zugangs bzw. des Verständnisses gesundheitsrelevanter Informationen haben. Ferner wird die digitale Kluft mit ihren Auswirkungen in Bezug auf gesundheitliche Chancengleichheit thematisiert. Im Anschluss daran werden verschiedene Ansätze zur Förderung der eHealth Literacy dargelegt. In der abschließenden Diskussion werden alle ermittelten Informationen zusammengefügt und die Forschungsfragen beantwortet. Zudem wird überlegt, wie sich die eHealth Literacy in der Bevölkerung weiter verbessern lässt und welche Schlüsse sich insgesamt aus der dargelegten Thematik für Public Health ergeben.
Die Gesundheitskommunikation zwischen Health Professionals und Patienten war in den vergangenen Jahren hauptsächlich durch eine Informationsasymmetrie gekennzeichnet (Schneider, 2002, S. 448 f). Mit Hilfe der Digitalisierung ist nun der Zugang zu Gesundheitsinformationen deutlich vereinfacht und Patienten haben u. a. die Möglichkeit sich im Internet über Gesundheitsthemen zu informieren und den Akteuren im Gesundheitswesen entsprechend aufgeklärt gegenüberzutreten (Baumann & Link, 2016, S. 386). Jedoch gibt es verschiedene Einflussfaktoren, die sowohl den Zugang als auch die Qualität gesundheitsrelevanter Informationen determinieren.
Als „Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine“ (Opaschowski, 2018) soll onlinebasierte Gesundheitskommunikation der Verbesserung der Gesundheit sowie der Lebensqualität dienen “ (Opaschowski, 2018, S. 16). Die Gesundheitskommunikation beschränkt sich dabei jedoch nicht nur auf die Informationsvermittlung und der Interaktion ihrer Rezipienten, sondern auch auf die Nutzung von Apps, Wearables und anderer Medien mit der Möglichkeit des Teilens verschiedener gesundheitsrelevanter Daten (Pundt & Scherenberg, 2018, S. 19 f). Ein Beispiel dafür ist die elektronische Patientenakte (ePA) mit deren Hilfe das Speichern, Teilen sowie der Zugang zu entsprechendem Wissen erleichtert werden soll (BMG, 2021b).
Digitale Medien dienen, insbesondere in der jüngeren Bevölkerung, als wichtige Bezugsquelle von Gesundheitsinformationen und gewinnen zunehmend an Bedeutung (Salascheck & Bonfadelli, 2020, S. 160; Stehr & Rossmann, 2018, S. 38). Die vielfältigen Kommunikationsangebote im Internet sind, unabhängig von Zeit und Raum, schnell verfügbar und helfen Patienten und Interessierten nicht nur Fahrkosten und Wartezeiten einzusparen, sondern ermöglichen darüber hinaus den Zugriff auf Auskünfte über besonders sensible oder tabuisierte Gesundheits- bzw. Krankheitsthemen (Verbraucherzentrale, 2021; Stehr & Rossmann, 2018, S. 32). Insbesondere chronisch Kranke und Personen mit seltenen oder stigmatisierenden Erkrankungen profitieren davon (Verbraucherzentrale, 2021; Stehr & Rossmann, 2018, S. 32). Gerade in Online-Kommunikationsforen fördert der sogenannte „mediale Enthemmungs-Effekt“ eine Offenbarung der eigenen Probleme. Die vermeintliche Anonymität durch Verwendung von Pseudonymen sowie die zeitliche Asynchronität, die z. B. bei der Beantwortung von Fragen gegeben ist, macht es den Nutzern leichter, ihre Probleme, Sorgen, Ängste bzw. Erkrankungen mit anderen zu teilen (Döring, 2014, S. 288). Ein persönlicher, emotionaler und sozialer Austausch durch Online-Kommunikation und Vernetzung kann zudem helfen, ein besseres Verständnis für die eigene Erkrankung zu entwickeln und entsprechend leichter damit umzugehen (Stehr & Rossmann, 2018, S. 33). Zudem wird die aktive Rolle des Patienten durch z. B. Vor- und Nachbereitung des Arztbesuches, das Einholen von Zweitmeinungen und Zusatzinformationen gestärkt und bestehende Informationsasymmetrien im Arzt-Patienten-Verhältnis ausgeglichen bzw. vermindert (Baumann & Link, 2016, S. 393 f). Entscheidungen über Therapien und Behandlungen können gemeinsam getroffen werden (Verbraucherzentrale, 2021). Folglich fördert eine forcierte Aufklärung und Gesundheitsbildung mittels internetbasierter Gesundheitskommunikation die Interaktion und Kooperation der Patienten mit den Akteuren im Gesundheitswesen und befähigt Patienten sich besser im Gesundheitssystem zurechtzufinden.
Nicht nur bei pathologischer Indikation, sondern auch präventiv und gesundheitsfördernd ist onlinebasierte Gesundheitskommunikation nützlich.
So können sich Nutzer von Gesundheits-Applikationen (Fitness-Apps, Ernährungs-Apps) nicht nur über relevante Themen informieren, sondern sich gegenseitig supporten (Stehr & Rossmann, 2018, S. 33). Sie können sich Videos und Fotos innerhalb der Apps ansehen oder eigene Erfolge teilen und von den Erfahrungen anderer Nutzer profitieren, um ggf. Verhaltensweisen anzupassen oder zu ändern (Döring, 2014, S. 297). Diesbezüglich fragten Dumitru et al. in ihrer Studie zur Nutzung und Wahrnehmung des Internets für gesundheitsbezogene Zwecke in Deutschland nach den Auswirkungen und stellten fest, dass die Nutzung onlinebasierter Gesundheitskommunikation mit 48,7% der Befragten tatsächlich häufig die Bereitschaft zur Verhaltensänderung bzw. Lebensstil-Änderung erhöhte; auch gibt die Nutzung von Gesundheitsinformationen aus dem Internet den Patienten und Bürgern mehr Sicherheit. (Dumitru, Bürkle, Potapov, Lausen, Wiese & Prokosch, 2007, S. 278).
Neben den individuellen Auswirkungen auf Seiten der Rezipienten kann digitale Gesundheitskommunikation auch positive externe und präventive gesellschaftliche Effekte erzielen. So lassen sich bestimmte Gesundheitsrisiken durch massenmediale Social-Marketing-Kampagnen zielgruppengerecht über Online-Kanäle, in Form von Videos, Abbildungen, Texte, Quiz, umfangreich und wirkungsvoll vermitteln. Auf verschiedene Weise können so gesundheitsbezogene Ideen und Verhaltensweisen im positiven Sinn beeinflusst werden (Loss & Nagel, 2010, S. 54 ff). Beispielhaft sind hier die BZgA-Kampagne „Alkohol? Kenn dein Limit!“ zu nennen, die sich an Jugendliche ab 16 Jahren zur Suchtprävention richtet sowie die Impfkampagne „Deutschland sucht den Impfpass“ zur Verbesserung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung (BZgA, 2020; BZgA, 2021a). Zusammenfassend lassen sich mit Hilfe onlinebasierter Gesundheitskommunikation präventiv bzw. gesundheitsfördernd Erkrankungsrisiken verringern und Gesundheitschancen der Bürger verbessern.
An dieser Stelle sei jedoch festzuhalten, dass die Konsultation eines Arztes bzw. von Health Professionals bei medizinischer Indikation nicht durch digitale Gesundheitsangebote ersetzt werden kann (Verbraucherzentrale, 2021). Zudem gibt es Einflussfaktoren sowie Barrieren, Probleme und Herausforderungen, die es bestimmten Bevölkerungsgruppen erschweren, relevante Gesundheitsinformationen im Internet zu erhalten und zu transformieren.
Digitale Gesundheitskommunikation, insbesondere deren Qualität, wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dabei lassen sich folgende Determinanten identifizieren:
1. Motivation der Anbieter von Gesundheitsinformationen:
Zunächst kommt es darauf an, welchen Nutzen sich ein Anbieter von der Bereitstellung verschiedener Daten verspricht. Verfolgt er dabei eigene (pekuniäre) Interessen, die z. B. der Kommerzialisierung, Produktempfehlung, Generierung von Kunden oder dem Erlangen von Kundendaten dienen, oder handelt der Anbieter aus rein altruistischen Gründen im Sinne des Patienten oder Klienten? Je nach Motivation des Anbieters kann sich dies auf verschiedene Variablen, wie die Qualität der bereitgestellten Informationen, Transparenz oder Datenschutz auswirken (Baumann & Link, 2016, S. 389). Des Weiteren ist festzustellen, dass zur Verfügung gestellte (vermeintliche) Gesundheitsinformationen aus Motiven politischer oder populistischer Hintergründe nicht unbedingt optimierend, sondern auch „antiaufklärerische“ Wirkungen auf die Rezipienten ausüben können (Koch, 2018, S. 333).
2. Zugang, Benutzerfreundlichkeit und Algorithmen
Da das Angebot onlinebasierter Gesundheitsinformationen größtenteils unübersichtlich und intransparent ist, verschaffen sich viele Nutzer den Zugang über Suchmaschinen wie Google (Baumann & Link, 2016, S. 391; TK, 2018, S. 22). Nach einer Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) ist Google bei 92 % der Befragten die wichtigste Anlaufstelle im Internet (TK, 2018, S. 21 f). Dabei werden zunächst in erster Linie Websites angezeigt, die automatisch von Algorithmen zusammengestellt werden. Das heißt, Nutzer dieser Seiten bekommen keine individuellen Informationen, sondern greifen auf automatisch erstellte Inhalte zurück (Salaschek & Bonfadelli, 2020, S. 160). Darüber hinaus spielt die Nutzerfreundlichkeit eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Website. Onlineangebote, die von Unübersichtlichkeit geprägt oder visuell nicht sehr ansprechend sind, werden seltener ein zweites Mal aufgesucht bzw. weiterempfohlen (ebd., S. 162).
3. Soziale Netzwerke
Soziale Netzwerke zeichnen sich durch Interaktion und Vernetzung aus, wobei es sich hier sowohl um den Austausch zwischen zwei oder mehreren Personen in geschlossenen oder offenen Gruppen oder ganzen Netzwerken handelt (BpB-Bundeszentrale für politische Bildung, 2017; Möcker & Ludwigs, 2020, S. 1).
Auch die Möglichkeit der Verbindung verschiedener Medienformate wie z. B. Video, Bildmaterial, Chats oder Nachrichten in Kurz- oder E-Mail-Format, ist ein Vorteil sozialer Netzwerke (BpB, 2021). So lassen sich schnell und unkompliziert Informationen verbreiten und teilen. Dabei unterscheidet man zwischen Social-Network-Plattformen (Facebook), Content-Plattformen (YouTube), Bloggingdiensten (Tumblr) und Onlinediskussionsforen (Webforen) (Döring, 2014, S. 286). Eine der erfolgreichsten und beliebtesten Social-Network-Plattformen weltweit ist Facebook, trotz einer mehrfachen Verwicklung in Datenschutzskandalen, mit einem monatlich aktiven Nutzeranteil von 2,7 Mrd. (Statista, 2021a). Neben den bereits beschriebenen positiven Effekten der Nutzung sozialer Netzwerke kann das erleichterte Teilen verschiedener Inhalte auch zu Problemen führen (siehe 2.4).
4. Soziodemografische- und ökonomische Merkmale der Nutzer
Bei der Suche nach Gesundheitsinformationen im Netz kommt es nicht nur auf den Zugang in Form von Internetverfügbarkeit, sondern auch auf soziodemografische bzw. sozioökonomische Faktoren an, wie das Bildungsniveau oder das Alter der Nutzer. Studien zufolge sind die Internetnutzer eher jung, besser gebildet und gehören größtenteils höheren sozialen Statusgruppen an (Baumann & Link, 2016, S. 391; Salaschek & Bonfadelli, 2020, S. 163).
Auf ihren Homepages, Videoplattformen, Microblogging-Diensten oder auch sozialen Netzwerken können Anbieter gesundheitsbezogene Informationen übermitteln (Pundt & Scherenberg, 2018, S. 19). Dabei wird in erster Linie zwischen 3 verschiedenen Arten der Informationsvermittlung unterschieden:
Sogenannte Health Content Angebote stellen den Rezipienten allgemeines, umfangreiches gesundheitsbezogenes Wissen wie auch spezifische, themenbezogene Informationen zur Verfügung (Baumann & Link, 2018, S. 387). Hierbei handelt es sich hauptsächlich um einseitige Informationsvermittlung über Gesundheitswebsites, allgemeine oder Gesundheits- bzw. Medizin-Lexika. Zudem haben Nutzer dieser Angebote auch die Möglichkeit Kontaktinformationen bestimmter Akteure im Gesundheitswesen zu erhalten (ebd.).
Eine weitere Form der Gesundheitskommunikation im Netz, die Health Community, basiert auf dem interaktiven Austausch über gemeinsame themenspezifische Interessen in sozialen Netzwerken (Baumann & Link, 2016, S. 387). Die Nutzer treten dabei zum einen als Produzenten und zum anderen als Rezipienten der Information auf (ebd.). Demzufolge haben Health Communities häufig gleiche Merkmale und Funktionsweisen wie Selbsthilfegruppen oder präsentieren sich als solche (Stehr & Rossmann, 2018, S. 32). Zu nennen sind bspw. verschiedene Selbsthilfegruppen auf Facebook. Hier müssen sich die Nutzer anmelden, können jedoch unter Verwendung von Pseudonymen bzw. Alias-Adressen anonym auftreten. Der Vorteil dieser Art des Austauschs ist, dass u. a. sensible Themen kommuniziert werden, die in der analogen Welt eher tabuisiert werden oder Stigmatisierungen hervorrufen. Gerade bei sensiblen Themen erfahren die Nutzer häufig emotionale Unterstützung und Hilfen im Umgang mit ihrer Erkrankung (Stehr & Rossmann, 2018, S. 32 f). Auch gibt es Internetportale, auf denen ein Austausch zwischen Experten und Laien bzw. Interessierten oder Patienten stattfindet (ebd.). Hier gibt es jedoch Qualitätsunterschiede, die zu beachten sind (siehe 2.4).
Die onlinebasierte Kommunikation zwischen Patienten und Akteuren im Gesundheitswesen, wie z. B. Krankenkassen, Ärzten, welche in Form von gezieltem, wechselseitigem Austausch per E-Mail oder auch telemedizinischer Natur erfolgt, wird als Health Provision bezeichnet (Baumann & Link, 2016, S. 388).
Neben den Angeboten von Gesundheitsinformationen im Internet lassen sich die Nutzergruppen nach ihrer Motivation der Online-Suche klassifizieren (Baumann & Link, 2016, S. 392 f). Demnach gibt es die Gruppe der Personen, die sich eher über Präventions- und Wellnessangebote informieren („The Well“).
Nutzer, häufig chronisch kranke Patienten, die ein ausgeprägtes Informationsverhalten aufweisen und gezielt bestimmte Internetangebote zur Informationsbeschaffung sowie den Austausch und Unterstützung zur Erfüllung bestimmter gesundheitsrelevanter Bedürfnisse fokussieren, werden in der Literatur als „The Chronically Ill“ bezeichnet (ebd.). Überdies gibt es Patienten, die nach einer neuen Krankheits-Diagnose systematisch auf Informationssuche gehen oder weiteren Expertenrat wünschen und sich bspw. nach einer Zweitmeinung erkundigen („The Newly Diagnosed“). Weitere Nutzergruppen, die keiner offiziellen Klassifikation angehören sind Nutzer, die vorwiegend jünger und gebildet sind und sich gerne vor einem Arztbesuch informieren oder auf sogenannte Diagnosetools im Internet aufgrund bestehender Symptomatiken zurückgreifen (Baumann & Link, 2016, S. 392 f). Diese lassen sich als „The Researchers in Advance“ bezeichnen. Zudem gibt es scheinbar eine Korrelation zwischen dem Vertrauen zum Arzt und dem Informationsbedürfnis bzw. dem Informationsverhalten des Patienten (ebd.). Ergänzend sind die Nutzergruppen zu erwähnen, die Angehörige unterstützen, welche aus verschiedenen Gründen (Zugangsbarrieren) auf derartige Hilfe angewiesen sind (ebd., S. 394).
Bereits die Vielfalt an Gesundheitsinformationen, die im Internet zu finden sind, ist problematisch (Mex, 2020). Gibt man bspw. in einer Suchmaschine das Stichwort „Gesundheit“ ein, bekommt man, der Verbraucherzentrale zufolge, über 200 Mio. Treffer angezeigt (Verbraucherzentrale, 2021b). So wurden bei einem Selbstversuch der Verfasserin bei Google 304 Mio. Angebote für den Suchbegriff “Gesundheit“ in 0,56 Sek. angezeigt. Diese schnelle Verfügbarkeit einer großen Menge an Informationen erscheint zunächst als Vorteil. Jedoch stellt sich die Beschaffung der richtigen, wirklich relevanten und qualitativ hochwertigen Gesundheitsinformationen nicht trivial dar. Manipulation, Ängste, Zugangsbarrieren, ethische Herausforderungen, Datenschutzbestrebungen und nicht zuletzt die Schwierigkeit der Nutzer überhaupt aus dem immensen und größtenteils intransparenten Angebot an Informationen die für sie relevanten Informationen zu filtern, stehen dem entgegen. Nur in seltenen Fällen sind die Beratungsangebote und Gesundheitsinformationen evidenzbasiert und valide (Salascheck & Bonfadelli, 2020, S. 160).
Es fehlen adäquate Qualitätskontrollen, die den Nutzern z. B. mit Hilfe von Gütesiegeln bei der Auswahl der richtigen Websites helfen und somit das Risiko der Fehlinformation eindämmen können (Pundt & Scherenberg, 2018, S. 20). Ferner ist zu bedenken, dass die Verbreitung von Gesundheitsinformationen zu großen Teilen von privatwirtschaftlichen Akteuren und Institutionen besetzt wird (Stehr & Rossmann, 2018, S. 31). Das heißt, gerade kommerzielle Websites finanzieren sich über Werbenetzwerke, die im Hintergrund mitlaufen (Salaschek & Bonfadelli, 2020, S. 160). So liegt häufig der Fokus der Anbieter auf den Verkauf eigener Produkte oder zumindest auf das Gewinnen von Kundendaten und eben nicht auf dem Angebot qualitativ hochwertiger Informationen (ebd.). Selbst wenn sich Nutzer gezielt um medizinischen Rat von Experten im Internet bemühen, ist die Wahrscheinlichkeit, falsche bzw. schlechte Informationen zu bekommen, beträchtlich hoch. Dies verdeutlicht eine Studie der Verbraucherzentrale NRW, deren Ziel es war, sowohl die Transparenz als auch die Qualität bestimmter Onlineangebote auf Internetseiten, welche medizinischen Expertenrat anbieten, zu überprüfen. Zu diesem Zweck hat die Verbraucherzentrale Qualitätsmerkmale nach den Dimensionen Qualität, Datenschutz, Informationen der Experten und formale Angaben definiert und anhand von Fallbeispielen ausgewählte Websites aufgesucht, um diese zu testen und zu bewerten (Verbraucherzentrale NRW, 2015, S. 5 ff). Dabei stellte sich heraus, dass Nutzer- und Nutzerinnen sogenannter Expertenforen Schwierigkeiten haben, verlässliche Informationen zu bekommen. Wie die folgende Abbildung illustriert, zeigte sich zum einen, dass die Qualität der Information häufig unzureichend ist. Demnach wurden Fragen teilweise nur ungenügend bzw. falsch beantwortet oder es wurden unzulässige Therapien empfohlen. Zum anderen gab es Defizite in der Transparenz z. B. in Bezug auf die Qualifikation der beratenden Experten. Auch bezüglich der Dimension Datenschutz wurde deutlich, dass eine Fülle von Daten der Anwender erhoben wurden (ebd., S. 23 f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Relativer Anteil ausgewählter Expertenforen an den 4 Dimensionen (Entnommen aus Verbraucherzentrale NRW, 2015, S. 24)
Die Abbildung verdeutlicht, dass in dieser Studie nur eines der ausgewählten Expertenforen alle 4 Dimensionen hinreichend erfüllte. Mehr als die Hälfte der getesteten Portale erreichte nicht die Hälfte der vorgegebenen Punktzahl. Insbesondere zeigt sich hier ein großes Defizit hinsichtlich der Qualität der Informationen (Verbraucherzentrale NRW, 2015, S. 23 f). Wenn Rezipienten falsche und irreführende Gesundheitsinformationen erhalten und diese für sich anwenden, kann dies möglicherweise schwere bzw. lebensbedrohliche Folgen haben.
Eine weitere umfangreichere Studie, die sich mit der vorliegenden Problematik beschäftigt, trägt den Titel „Praxis Dr. Internet“ und wurde von der Central Krankenversicherungs-AG durchgeführt. Ziel dieser Studie war es, zunächst herauszufinden, welche Gesundheitsinformationen Nutzer im Internet erfragen und wie die Qualität der erhaltenen Antworten ist (Central, 2015, S. 3). Dementsprechend wurden mit Hilfe einer quantitativen Untersuchung die 10 (in Deutschland) online am häufigsten gesuchten Krankheiten ermittelt. Auf dieser Grundlage wurden 100 Gesundheitsratgeber im Internet anhand eines umfassenden Kriterienkatalogs qualitativ analysiert und bewertet. Zu den untersuchten Ratgebern im Internet gehörten auch Websites von Gesundheitsportalen, institutionelle Einrichtungen und Verbände sowie Ratgeberinformationen von Unternehmen (Central, 2015, S. 6).
Die zu überprüfenden Dimensionen des Kriterienkatalogs umfassten die Verständlichkeit der Inhalte, die Darstellung aus medizinischer Sicht, die Korrektheit der Aussagen sowie die Einhaltung formaler Kriterien wie Transparenz und Zuordnung (Central, 2015, S. 6).
Die Studienergebnisse zeigen, dass das Suchvolumen in der deutschen Bevölkerung sehr hoch ist, allerdings die Antworten der erfragten Informationen signifikante Defizite aufweisen (Central, 2015, S. 4). So wurde keine der untersuchten Ratgeberseite mit „sehr gut“ bewertet, nur 9 Webseiten erhielten ein „gut“, 34 erwiesen sich als „befriedigend“, 24 erhielten das Urteil „ausreichend“, 30 wurden als „mangelhaft“ bewertet und 3 Beratungsseiten erhielten ein “ungenügend“ (ebd.). Insbesondere wurde die Qualität der angebotenen Informationen aller 100 Webseiten mit einer Durchschnittsnote von „ausreichend“ bewertet. Hinsichtlich der Notenvergabe anhand der Bewertungsdimensionen zeigte sich, dass lediglich für den Bereich der Transparenz ein „gut“ und für die Verständlichkeit ein „befriedigend“ vergeben werden konnte, während die Bereiche Vollständigkeit, Belegbarkeit, Ausgewogenheit und Zuordnung nur ein „ausreichend“ erhielten (Central, 2015, S. 16).
Neben der inhaltlichen Qualität gesundheitsrelevanter Onlinekommunikation müssen zusätzlich die Gefährdung der Privatsphäre und des Datenschutzes kritisch betrachtet werden. Obwohl es nicht immer erforderlich ist, sich im Internet mit seinem Namen anzumelden, um an entsprechende Informationen zu gelangen, kann nur bedingt von einer anonymen Nutzung ausgegangen werden (Döring, 2014, S. 291). Denn allein durch die IP-Adresse und der Softwarekonfiguration des beim Surfen im Internet verwendeten Gerätes ist eine Identifizierung für die Internet Service Provider möglich. Überdies geben viele Menschen im Internet freiwillig Hintergrundinformationen zur eigenen Lebenssituation preis, die den Providern bzw. anderen Nutzern eine Identifikation erleichtern (ebd.).
Obwohl, wie bereits beschrieben, gerade soziale Netzwerke überaus gesundheitsförderndes Potential aufweisen, muss auch hier auf die negativen Effekte der Peer-to-Peer-Gesundheitskommunikation hingewiesen werden. So kann sich die Verbreitung von mangelndem Fachwissen insbesondere durch Laien nicht nur in der Qualität der Inhalte widerspiegeln, sondern es können andere negative Effekte verstärkt werden.
Döring (2014) berichtet von einer möglichen Verzerrung von Weltansichten bei Nutzern von Foren oder Videokanälen, in denen gesundheitsschädigendes Verhalten verharmlost oder gar glorifiziert wird (Döring, 2014, S. 293). Dazu gehören bspw. Pro Anorexie- und Pro Bulimie-Foren und -Videos (YouTube, Instagram) genauso wie Suizid- und Selbstverletzung verherrlichende Kommunikationsangebote (Döring, 2014, S. 293). Allerdings gibt es in Hinblick auf die Problematik der Verherrlichung gefährlicher Essstörungen auch zahlreiche aufklärende Informationen im Netz wie z. B. Erklärvideos oder verschiedene Online-Flyer herausgegeben von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit Hilfsangeboten für Betroffene und deren Angehörigen (BZgA, 2021b). Weniger gefährlich, aber dennoch abträglich, erscheint vor diesem Hintergrund die mögliche Beeinflussung des Publikums von Onlinevideos (YouTube), welche sich hauptsächlich über Productplacement finanzieren. Denn hier steht nicht die Qualität der Information im Vordergrund, sondern der Verkauf bzw. die Vermarktung eines bestimmten Produktes. Gerade Jugendliche glauben den Ratschlägen ihrer YouTube-Stars (Döring, 2014, S. 295 f).
Die beschriebene Beeinflussung und Meinungsbildung kann sich sowohl positiv als auch negativ auf ganze Bevölkerungsgruppen auswirken, wenn es darum geht, externe Effekte zu erzielen. So lassen sich bspw. die Ansichten von Impfgegnern im Internet leichter verbreiten, obwohl diesbezüglich bereits eine breite Evidenz über den Nutzen von Impfungen besteht (ebd., S. 298). Oder, wie in der Einleitung am Beispiel der Corona-Demonstrationen beschrieben, die Verbreitung parteiischer und populistischer Informationen, die Bürger mit geringer Literalität leicht fehlleiten können und diese zu falschen Gesundheitsentscheidungen veranlassen (Hurrelmann & Schaeffer, 2018, S.331; Koch, 2018, S. 333 ff).
Ein Großteil der geschilderten Probleme liegt in der Verantwortung der Anbieter von Gesundheitsinformationen. Dies verdeutlicht jedoch, wie wichtig es ist, Gesundheitsinformationen aus dem Internet zu hinterfragen und kritisch zu betrachten. Allerding hängt dies von den Kompetenzen der Nutzer ab. So ist bspw. die Bewertung der Qualität aufgrund mangelnder Medien- und Gesundheitskompetenz erschwert (Baumann & Link, 2016, S. 396).
Da die Nutzung digitaler Angebote teilweise sehr schwierig und mitunter nicht benutzerfreundlich gestaltet ist, kann es in erster Linie aufgrund status- und altersbedingter Benachteiligungen zu gesundheitlichen Ungleichheiten kommen (Baumann & Link, 2016, S. 394). Denn gerade Menschen aus sozioökonomisch niedrigen Statusgruppen und ältere Personen sind hier besonders betroffen (siehe 4.).
Um qualitativ hochwertige gesundheitsrelevante Informationen erhalten und anwenden zu können, ist das Vorhandensein einer wesentlichen Schlüsselkompetenz, der Health Literacy bzw. die eHealth Literacy, eine Grundvoraussetzung. Deren Bedeutung und wissenschaftlicher Hintergrund wird nachfolgend erläutert. Zunächst wird der Begriff Health Literacy dargelegt, um anschließend eine Abgrenzung zum Konzept der eHealth Literacy vornehmen zu können.
Es existieren zahlreiche Definitionen des Begriffs Health Literacy. Die World Health Organization (WHO) definiert folgendermaßen:
“Health Literacy represents the cognitive and social skills which determine the motivation and ability of individuals to gain access to understand and use information in ways which promote and maintain good health” (WHO, 1998, S. 20).
Im deutschsprachigen Raum wird der Terminus (e)Health Literacy häufig mit der Bezeichnung (digitale) Gesundheitskompetenz gleichgesetzt (Abel, Bruhin, Sommerhalder & Jordan, 2018). Dabei wird Health Literacy als umfassendes Konzept, das zum einen Patienten ermächtigt, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden und zum anderen Individuen unterstützt, einen gesundheitsfördernden Lebensstil zu pflegen, um Krankheiten zu bewältigen und mit Hilfe dieses Wissens Entscheidungen zu treffen, die die Lebensqualität verbessern bzw. bewahren (Abel et al., 2018; WHO, 2012, S. 6). Abel et al. (2018) weisen explizit darauf hin, dass es sich bei diesem Begriff nicht allein um das Verstehen und Anwenden von Gesundheitsinformationen handelt, sondern vielmehr soziale Determinanten sowie kulturelle, gesundheits- und bildungspolitische Rahmenbedingungen auf individueller Ebene einbezieht (Abel et al., 2018).
Gerade der Aspekt der Bildungsvoraussetzung spielt eine wesentliche Rolle in der Entwicklung und Förderung der Health Literacy. Somit kommt dem Bildungswesen mit all seinen Verantwortlichen eine zentrale Bedeutung zu. Health Literacy entsteht in verschiedenen Kontexten und Settings wie z. B. in der Schule, der Familie, am Arbeitsplatz oder auch sozialen Netzwerken im Internet. Da digitale Medien allgegenwärtig sind und somit der Zugang zu Wissen immer einfacher wird, gewinnt dieser Bereich fortwährend an Bedeutung.
Die Entwicklung der Health Literacy auf digitalem Wege wird als eHealth Literacy (Digitale Gesundheitskompetenz) bezeichnet und ist als Teilgebiet der Health Literacy einzuordnen (Fischer & Dockweiler, 2016, S. 414). Normen & Skinner definieren das Konzept der eHealth Literacy als die Fähigkeit, mit Hilfe des Internets und dazu notwendiger technologischer Ressourcen Gesundheitsinformationen zu suchen, zu finden, zu verstehen, zu bewerten und dieses Wissen zur Lösung eines gesundheitlichen Problems anzuwenden bzw. gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen (Normen & Skinner, 2006a, S. 2). Auch sie weisen darauf hin, dass eHealth Literacy das Vorhandensein bestimmter individueller Ressourcen voraussetzt. Die notwendigen sechs Kompetenzen veranschaulichen sie in ihrem Lilien-Modell, welches u. a. nachfolgend erläutert wird (Norman & Skinner, 2006, S. 3).
Den theoretischen Rahmen der vorliegenden Arbeit bilden drei verschiedene Theorien und Modelle, mit deren Hilfe die Hintergründe und die damit verbundenen Problematiken der eHealth Literacy-Entwicklung erklärt werden sollen. Zunächst wird das Lilien-Modell nach Norman & Skinner erläutert, anschließend wird das Integrierte Modell der Health Literacy veranschaulicht, welches die beschriebenen Definitionen unterstützt. Schließlich wird das UTAUT-Akzeptanz-Modell erklärt, da die Akzeptanz digitaler Technologie grundlegend für Entwicklung der eHealth Literacy ist.
Mit dem Lilienmodell greifen Norman & Skinner den Aspekt der Bildungsvoraussetzung auf, indem sie feststellen, dass die Nutzung und Anwendung gesundheitsbezogener Informationen im Internet von bestimmten kognitiven sowie sozialen und auch technischen Kenntnissen und Fähigkeiten abhängt.
Wie nachfolgend veranschaulicht, sind sechs grundlegende Kompetenzen für die Entwicklung der eHealth Literacy erforderlich (Norman & Skinner, 2006a, S. 3 ff).
Abbildung 3: Das Lilienmodell von Skinner & Normen (Entnommen aus Normen & Skinner, 2006a, S. 3 f)
Zu unterscheiden sind dabei analytische Fähigkeiten wie:
1. Traditional Literacy & Numeracy - dieses Konzept umfasst das Schreiben, Lesen und Verstehen von Texten und Zeichen sowie das Rechnen. In Bezug auf das Internet wird hier auch die Sprache (z. B. Englischkenntnisse) als wertvolle Ressource angesehen.
2. Information Literacy - bezeichnet das Vorhandensein bestimmter Ressourcen zum Auffinden, Selektieren sowie Anwenden erforderlicher Informationen aus einer Vielzahl von Angeboten im Internet.
3. Media Literacy - die Medienkompetenz beinhaltet die kritische Reflexion eigener sowie das Abwägen dargebotener Medieninhalte u. a. im Kontext sozialer Interaktion. Und die kontextspezifischen Fähigkeiten wie:
4. Health Literacy - wie bereits beschrieben, müssen u. a. angebotene Gesundheitsinformationen verstanden und angewendet werden können.
5. Computer Literacy - ist sicherlich eine grundlegende Voraussetzung zur Nutzung der technologischen Hilfsmittel, ohne die ein Informationsgewinn im World Wide Web nicht möglich ist.
6. Science Literacy - ist die Fähigkeit wissenschaftlich fundiertes Wissen zu erkennen und wertzuschätzen.
Alle genannten Kompetenzen bilden zusammen die eHealth Literacy. Norman & Skinner entwickelten auf Grundlage dieses beschriebenen Konzeptes das Instrument eHealth Literacy Scale (eHEALS) zur Erfassung der subjektiven, selbstbewerteten eHealth Literacy, welches erstmalig an 664 Studienteilnehmern im Alter zwischen 18 und 21 Jahren überprüft wurde (Norman & Skinner, 2006b, S. 1 ff). Dieses Messinstrument ist international anerkannt und wird in verschiedenen Ländern und Sprachen angewandt. So wurden u. a. in Italien, Spanien, Japan, Iran und den Niederlanden Befragungen mit Hilfe der eHAELS durchgeführt (Guidice et al., 2018, S. 2).
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