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Doktorarbeit / Dissertation, 2022
147 Seiten, Note: cum laude
1. WHO - World Health OrganizationEinleitung
1.2 Forschungsziele und Hypothesen
2.4 Ätiopathogenetische Ansätze
2.4.1 Prozedurale Informationsverarbeitung
2.4.2 Rechtshemisphärische Kompensation
2.4.4 Kognitive Filterfunktion
2.5 Bewertungskriterien und Erfassung
2.7 Risiken und Beeinträchtigungen
3. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM)
3.1 Entwicklung und Bestimmung BGM
3.2 Ziele
3.3 Modelle und Ansätze
3.3.1 Pathogenese
3.3.2 Salutogenese
3.3.3 Disability Management
3.3.4 Normierte Qualitätsstandards
3.3.5 Sozialkapitalansatz
3.4 Instrumente
3.4.1 Fordern statt Überfordern
3.4.2 Gesundes Führen
3.4.3 Digitalisierung
3.4.4 Psychische Gefährdungsbeurteilung
3.4.5 Analyseverfahren und Erhebungsinstrumente
3.5 Grenzen
3.5.1 Selbstbestimmung und Datenschutz
3.5.2 KMU
4. Empirie
4.1 Aufbau des Fragebogens
4.2 Stichprobe
4.3 Pretest und Durchführung
4.4 Statistische Auswertung
4.5 Ergebnisse
4.5.1 Beschreibung der Population und deskriptive Auswertung
4.5.2 Beschäftigungsfähigkeit von Inselbegabten in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße
4.5.3 Beschäftigungsfähigkeit von Inselbegabten in Abhängigkeit von der Gewinnorientierung der Organisation
5. Diskussion
5.1 Hypothese1
5.2 Hypothese2
5.3 Hypothese3
5.4 Hypothese4
6. Schlussbetrachtung
6.1 Fazit
6.2 Limitationen
6.3 Ausblick
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3 – Übersicht zur Operationalisierung
Anhang 4 – Fragebogen
Anhang 5 – Codeplan
Eidesstattliche Versicherung
Danksagung
Abbildung 1 Kennwerte eines Boxplots
Abbildung 2 Stärken und Unternehmensgröße.
Abbildung 3 Schwächen und Unternehmensgröße.
Abbildung 4 Rahmenbedingungen und Unternehmensgröße.
Abbildung 5 Gesamtscore und Unternehmensgröße.
Abbildung 6 Stärken und Gewinnorientierung.
Abbildung 7 Schwächen und Gewinnorientierung.
Abbildung 8 Rahmenbedingungen und Gewinnorientierung.
Tabelle 1: Item-Skala-Statistik "Stärken"
Tabelle 2: Item-Skala-Statistik "Schwächen"
Tabelle 3: Item-Skala-Statistik "Rahmenbedingungen1"
Tabelle 4: Inter-Item-Korrelationsmatrix "Rahmenbedingungen2"
Tabelle 5: Reliabilitätsstatistik
Tabelle 8: Kennwerte der Skalen in Abhängigkeit der Unternehmensgröße.
ArbSchG – Arbeitsschutzgesetz
BISI – Bielefelder Sozialkapital Index
BGF - Betriebliche Gesundheitsförderung
BGM - Betriebliches Gesundheitsmanagement
BISI - Bielefelder Sozialkapital-Index
BKK - Betriebskrankenkasse
bzw. – beziehungsweise
COPSOQ – Copenhagen Psychosocial Questionnaire
CSR - Corporate Social Responsibility
DIN - Deutsche Industrienorm
DQS GmbH - Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen
ERI-Modell – Effort-reward imbalance Modell
gem. - gemäß
IAB - Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
ICD - International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems
IGA - Initiative Gesundheit und Arbeit
IMWF - Institut für Management- und Wirtschaftsforschung
IQ - Intelligenzquotient
IT – Informationstechnologie
KFZA – Kurzfragebogen zur Arbeitsanalyse
KMU - Kleine und Mittlere Unternehmen
KoSMaS - Koordinierungsstelle Managementsystemnormung
LBG - Landesbeamtengesetz
mA - Milliampere
MRT - Magnetresonanztomographie
NRW - Nordrhein-Westfalen
o. g. - oben genannten
REHA - Rehabilitation
rTMS - repetitiven transkraniellen Magnetstimulation
S. - Seite
SAP - SAP SE
SCOHS - Social Capital and Occupational Health Standard
SGB - Sozialgesetzbuch
tdcs - transcranial direct current stimulation
TMS - Transkranielle Magnetstimulation
WAI - Work Ability Index
Der deutsche Philosoph Karl Philipp Moritz gilt als der erste, der einen Patienten mit Inselbegabung wissenschaftlich untersucht und dokumentiert hat (Moritz, 1783). Der Begriff der Inselbegabung ist ein Synonym für das englische Savant-Syndrom, welches erstmalig jedoch erst vom englischen Neurologen J. Langdon Down im Jahr 1887 benannt wurde (Down, 1887/2018). Während seiner Tätigkeit in einer neurologischen Klinik beobachtete Down Patienten[1], die einerseits unter zum Teil schwersten neurologischen bzw. psychischen Ausfällen litten, andererseits aber mit außergewöhnlichen Fähigkeiten verblüfften. Er berichtete unter anderem von Personen, die mehrere Bücherbände auswendig rezitieren konnten, allerdings ohne deren Sinn zu verstehen. Down bezeichnete diese Menschen als Idiot-Savants (Down, 1887/2018).
Seitdem wurde die Inselbegabung in der Literatur vielfach behandelt. Dabei ist es abhängig vom kulturellen und gesellschaftlichen Umfeld, ob sie dämonisiert, pathologisiert oder idealisiert wird (Steinmetzer & Müller, 2015b, S. 374).
Auch heute mangelt es an einer allgemeingültigen Definition trotz der mittlerweile 130jährigen Erforschung des Syndroms. Herrschend ist allerdings das Verständnis, dass die Inselbegabung ein medizinisches Syndrom ist und sich durch Fähigkeiten und Kompetenzen eines Individuums auszeichnet, die weit über den menschlichen Durchschnitt hinausgehen.
Umgangssprachlich wird der Begriff „Inselbegabung“ auch auf Menschen mit speziellen außergewöhnlichen Fähigkeiten in einem kleinen Teilbereich („Insel“) angewendet (Neumann, 2015, S. 4). Dabei können die Art und die Ausprägung dieser Fähigkeiten stark variieren.
Die breite Faszination für Inselbegabte führte dazu, dass diese Eigenschaften bereits als Material für Hollywood-Produktionen verwendet wurden. Die Fähigkeiten gelten als unmenschlich, ihre Perfektion wird mit der von elektronischen Geräten verglichen. „Manchmal werden sie gar außerirdisch oder auch als Vertreter der neuen Evolutionsstufe eingeschätzt " (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 8).
Dabei liegt diesen Mystifizierungen grundsätzliches Un- und Falschwissen zu Grunde. Zunächst werden Inselbegabte beneidet, denn es scheint, als würden diese über die besseren Voraussetzungen verfügen, um in der Gesellschaftsstruktur Erfolg zu haben. Dabei werden erst auf dem zweiten Blick die mit den Fähigkeiten der Inselbegabten einhergehenden Defizite wahrgenommen (Neumann, 2015, S. 3).
Allerdings sind auch die benannten Defizite unterschiedlich hinsichtlich Ausprägung und Art. Pauschalisierungen, Inselbegabte könnten sich weder allein die Zähne putzen, noch allein die Knöpfe zumachen (Jacobs, 2008), entsprechen nicht der Realität.
Neben Ausprägung und Art der Fähigkeiten und Einschränkungen ist trotz intensiver Forschung die Genese der Inselbegabung weitgehend ungeklärt. Die Vielfalt der Theorien korrespondiert mit der Heterogenität der Erscheinungen und macht es der Forschung schwer, eindeutigen Erklärungen auf die Spur zu kommen (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 8). "Grund hierfür sind in erster Linie das Fehlen einer übereinstimmenden Klassifizierung und eine uneinheitliche Ätiologie des Syndroms bei den Betroffenen" (Neumann, 2015, S. 8).
Eingebettet ist das Syndrom der Inselbegabung in bestimmte Krankheitsbilder. Diese Krankheitsbilder sind unterschiedlich, können sich auf angeborene oder hinzugetretene Schäden zurückführen lassen (Brodbeck, 2015). Daneben werden Inselbegabte nach talentierten und außergewöhnlichen Fähigkeiten geclustert (Treffert, 2009). Diese Differenzierungen bieten eine hohe Varianz und eine Vielzahl an ätiopathogenetischen Erklärungsansätzen, was die Erforschung des Syndroms maßgeblich erschwert. Gemeinsamer Nenner aller Inselbegabten ist lediglich die kognitive Einschränkung, die nur bei jedem zweiten Betroffenen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (F84.0, F84.1 und F84.5 der ICD-10) einhergeht. Es bleibt die Tatsache, dass es sich keine Gesellschaft leisten kann, ihre begabtesten Mitglieder zu ignorieren, vielmehr müssen sich alle Gesellschaften ernsthaft damit auseinandersetzen, wie sie besondere Talente am besten fördern und ausbilden können (Winner & Klostermann, 1998, S. 9).
Dennoch haben Menschen mit Handicap einen schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt (Pfaff, 2018); diese Tendenzen lassen sich auch allgemein bei Menschen mit psychischen Erkrankungen feststellen (Ulich & Wülser, 2018, S. 319). Ohne dass belastbare Arbeitslosenquoten für Inselbegabte existieren, können überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquoten bei Autisten festgestellt werden (Lever, 2016). Die Übertragung auf Inselbegabte liegt nahe.
Gleichzeitig zeichnet sich in Deutschland ein demografischer Wandel ab, der in den nächsten 20 bis 30 Jahren einen Fachkräftemangel zur Folge haben wird (z. B. Brandenburg & Domschke, 2007). Damit einher geht eine Alterung des Erwerbspersonenpotenzials (Bellmann, Kistler & Wahse, 2007). Die unabwendbare Existenz des durch den demografischen Wandel bestehenden Fachkräftemangels wird durchaus kritisch bewertet. Dennoch erscheint es als Paradoxon, dass sich eine erhöhte Quote von Beschäftigungslosigkeit bei Inselbegabten vermuten lässt, obwohl diese über überdurchschnittliche Fähigkeiten verfügen und gleichzeitig ein Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt besteht. Der Fachkräftemangel und die weiter zu erwartende Entwicklung fordert von Unternehmen noch mehr als bisher, ihre als wichtigste Ressource des Unternehmenserfolgs zu pflegen und zu fördern, um deren Gesundheit und damit die Arbeitskraft möglichst lange zu erhalten und die Mitarbeiter an sich zu binden (Huber, 2010, S. 67).
Das BGM verleiht der Fokussierung auf die Gesundheit von Beschäftigten seinen konzeptionellen Rahmen. Sofern die Integration von gesundheitlich beeinträchtigten Beschäftigten, deren Genesung sowie Vermeidung zukünftiger Erkrankungen in das Blickfeld unternehmerischer Überlegungen genommen wird, erscheint das BGM als naheliegendes Instrument. „Nur gesunde Mitarbeiter sind in der Lage, motiviert und leistungsfähig zu sein, daher ist Gesundheit ein entscheidender Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor" (Sayed & Kubalski, 2016, S. 2). Dabei umfasst das BGM die Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeiter zum Ziel haben (Badura, Walter & Hehlmann, 2010, S. 33). BGM zielt auf den Erhalt und die Förderung der Mitarbeitergesundheit im Unternehmen ab (Petzi & Kattwinkel, 2016, S. 3). Bei näherer Betrachtung ist fraglich, ob das präventiv aufgebaute BGM auch geeignete Maßnahmen kennt, die für die Integration von dauerhaft Erkrankten angemessen sind.
Der Beginn einer BGM-Betrachtung umfasst zunächst die Analyse der Gesundheitssituation, aus der Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden (Uhle & Treier, 2019, S. 254). Dabei erfolgt die Bewertung der Gesundheitssituation primär anhand von gängigen Kennzahlen. Vorrangig zu nennen ist hier die Anzahl der Arbeitsunfälle und die Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage (Badura, 2013b, S. 45).
Eine differenziertere Analyse nimmt Abstand von Fehlzeitenstatistiken und Unfallzahlen, weil salutogene wie pathogene Folgen von Arbeit und Organisation zuallererst im Bereich des psychischen Befindens und auch außerhalb der Arbeit anfallen. Diese Beobachtungen sind überwiegend bei Beschäftigten festzustellen, die sich in ihrem Aufgabenfeld mit Kommunikation und Kopfarbeit beschäftigen.
Die daraus resultierende Verhaltensweise stellt das Gegenteil zur mit Krankheit begründeten Abwesenheit (Absentismus) dar und wird unter dem Synonym „Präsentismus“ diskutiert (Uhle & Treier, 2013, S. 223). Der Präsentismus führt zu ähnlichen Produktionseinbußen wie der Absentismus. Er bezeichnet das Arbeiten trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen unter Einschränkung der kognitiven, emotionalen, motivationalen oder physischen Fähigkeiten. Der Präsentismus ist in Unternehmen weit stärker verbreitet als der Absentismus und erzeugt deutlich höhere Kosten, als sie zu belegen sind. Die Gesamtkosten eines unterlassenen BGM ergeben sich durch Addition von Absentismus- und Präsentismuskosten. Nicht Absentismus, sondern Präsentismus bildet die zentrale Herausforderung betrieblicher Gesundheitspolitik (Badura, 2013a, S. 11). Dieser Richtungswechsel rückt auch erkrankte Beschäftigte am Arbeitsplatz in den Fokus und eröffnet Instrumente, die bei der Integration von Inselbegabten geeignet sein können.
Diese zuvor genannte (betriebliche) Gesundheitspolitik verfolgt als oberstes Ziel, mit begrenzten Mitteln die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung (im Unternehmen) zu erreichen. Jede gesundheitspolitische Maßnahme muss deshalb daraufhin bewertet werden, ob sie die Gesundheit verbessert, eine Verschlechterung abwendet oder zumindest Leiden reduziert (Fleßa, 2013, S. 19). Dabei ist fraglich, ob das BGM auf Beschäftigte ausgerichtet ist, deren Gesundheit zweifellos nicht herzustellen ist, weil ihre Erkrankung chronisch und unheilbar ist. Zum besseren Verständnis ist dazu auf den Begriff der „Gesundheit“ abzustellen. Die World Health Organization (WHO) hat dabei eine Beschreibung geliefert: „Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit, sie ist vielmehr ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens" (WHO in: Kaminski, 2013, S. 11). Dem BGM liegt dieser positiv besetzte und erweiterte Gesundheitsbegriff, in Anlehnung an die Definition der WHO, zugrunde (Petzi & Kattwinkel, 2016, S. 4). Die Literatur erweitert die Definition und beschreibt Gesundheit als eine Fähigkeit zur Problemlösung und Gefühlsregulierung, „(…) durch die ein positives seelisches und körperliches Befinden – insbesondere ein positives Selbstwertgefühl – und ein unterstützendes Netzwerk sozialer Beziehungen erhalten oder wiederhergestellt wird" (Badura et al., 2010, S. 32).
Gesundheit wird verstanden als psychisches Wohlbefinden, das in erster Linie von den Erfahrungen abhängt, die Menschen mit anderen Menschen machen, und dies über ihre gesamte Lebensspanne hinweg. Sicherheit, Vertrauen und Sinnstiftung sind dabei in der Literatur immer wiederkehrende Begriffe zur Charakterisierung gesundheitsförderlicher Lebens- und Arbeitsbedingungen (Seligman, 2003). Naidoo und Wills (2010, S. 5). vertreten die Auffassung, dass das BGM damit auch chronische Erkrankte erschließt, deren psychisches Wohlbefinden durch geeignete Maßnahmen gesteigert werden können, weil Gesundheit mehr ist als nur die Abwesenheit von Krankheit.
Wenn ein BGM daher Maßnahmen umfasst, die nicht nur das berufliche sondern auch das persönliche Wohlbefinden ihrer Beschäftigten behandeln, kommt es letztlich ihrer Organisation zugute und eine wertschöpfende Integration kann erreicht werden (Singer & Neumann, 2010, S. 49). Wie dies bei dem spezifischen Syndrom der Inselbegabung gelingen kann, ist eine Perspektive der wertschöpfenden Integration und Nutzbarmachung.
Eine vollumfassende Wertschöpfung oder Nutzbarmachung von Inselbegabten kann aber nur dann erreicht werden, wenn auch vorhandene Fähigkeiten auf neurotypische Beschäftigte projiziert und Synergien geknüpft werden können. Hierzu ist die genaue Beleuchtung der Inselbegabung erforderlich.
Dabei erscheinen Unterschiede nicht signifikant. In vielfacher Hinsicht sind auch Neurotypen[2] inselbegabt. So zum Beispiel im Sprachverständnis, das sich durch ein außergewöhnliches Maß an Komplexität auszeichnet, welches noch nicht abschließend erforscht wurde. Dennoch ist der Mensch nahezu automatisch und instinktiv, intuitiv und mühelos in der Lage, die Komplexität des Sprachverständnisses anzuwenden. Inselbegabte übertragen diese Fähigkeit auch auf andere Bereiche und Fähigkeiten der menschlichen Kognition (Interview mit Diane Powell, Ken Hennacy & Peter Slezak, 22.10.2005). "Jedes Gehirn ist zu erstaunlichen Leistungen fähig, was in der Wissenschaft eine bekannte Tatsache ist, nachdem man viele Jahre lang nicht nur das Gehirn von Genies, sondern auch von Hausfrauen, Taxifahrern und vielen anderen Menschen aus allen erdenklichen Lebensbereichen untersucht hat" (Tammet & Klostermann, 2009, S. 9). Darold Treffert (1989) beschrieb die neurotypische Fähigkeit im Vergleich zu Inselbegabten wie folgt:
"You and I, like a savant, have a tremendous amount of material recorded on the disc of our lives in our heads. We simply cannot access most of it most of the time" (Treffert, 1989, S. 225).
Dieses Verständnis mag danach klingen, dass Inselbegabte im Vergleich zu Neurotypen nichts unterscheidet. Stattdessen legt es lediglich nahe, dass Neurotypen über vergleichbares Potential wie Inselbegabte verfügen. Die Möglichkeiten der Ausschöpfung dieser Fähigkeiten und Nutzbarmachung ist die zweite Perspektive für die Beurteilung einer Wertschöpfung durch die betriebliche Integration von Inselbegabten.
Ziel dieser Dissertation ist es, das Syndrom der Inselbegabung im Kontext zum Themengebiet „Arbeit und Beschäftigung“ näher zu untersuchen. Beide Themengebiete wurden isoliert betrachtet hinreichend erforscht und in der Literatur behandelt.
Dennoch ist auch nach einer ausführlichen Literaturrecherche keine Forschungs- oder Literaturarbeit bekannt, die sich mit der betrieblichen Eingliederung von Inselbegabten beschäftigt und somit die Themenkomplexe der Inselbegabung und der Beschäftigung miteinander verknüpft.
Dabei stellt sich wie bei jedem theoretischen Thema die Frage der Praxisrelevanz. Um diese bewerten zu können, ist zunächst die Prävalenz zu bestimmen, wodurch das quantitative Aufkommen eingeschätzt werden kann. Bei nur geringen Fallzahlen ist kaum davon auszugehen, dass global anzuwendende Konzepte eine Inselbegabung berücksichtigen. Zudem ist maßgeblich, ob aufgrund der Inselbegabung eine atypische Behandlung erfolgt, die einen Missstand darstellt und eine Änderung erforderlich macht.
Im Allgemeinen scheint die Prävalenz von Inselbegabten gering zu sein. Zwar sind die Angaben in der Forschung und Literatur unterschiedlich [Tammet (2015) schätzt 100 Fälle; Treffert & Wallace (2002) geben die Prävalenz mit 50 Fällen an]. Eine genaue Prävalenzbestimmung ist aber zum Gegenstand der Hypothesenprüfung zu machen. Die atypische Behandlung von Inselbegabten könnte neben der Prävalenz ebenfalls eine Relevanz begründen. Diese Relevanz könnte sich aus einem sozialen Druck oder einem offenkundigen Defizit bei der Beschäftigung von Inselbegabten ergeben. Hoffmann (1996) beschreibt Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen als Randgruppe der Gesellschaft. Die Gesellschaft sei mit einem Sandhaufen zu vergleichen. Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen würden den Rand dieses Sandhaufens darstellen. Allerdings verfolgt dieses Sinnbild auch den Ansatz, dass es einen Rand, also eine Randgruppe, unabhängig von Interventionen immer geben wird. Wegen der mehr oder weniger begrenzten Leistungsfähigkeit von Menschen mit kognitiven Einschränkungen kann Arbeit im Sinne der wirtschaftlichen Verwertbarkeit zumeist nicht die Funktion erfüllen, den eigenen materiellen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu decken (Bieker, 2013, S. 29). Dabei kann die Ursache in dem heterogenen Erkrankungsbild liegen, dass zwar einerseits „Wunderkinder“ zu kreativen und innovativ tätigen Erwachsenen heranreifen lässt, andererseits aber Inselbegabte zurücklässt (Winner & Klostermann, 1998, S. 136). Die Inklusionsbereitschaft einzelner Unternehmen kann hier als förderlich betrachtet werden. Die Bewertung der Prävalenz und der Ist-Situation ist Gegenstand der ersten Hypothese (H1), die theoriegeleitet geprüft werden soll:
„Die Inselbegabung hat eine Relevanz für den Arbeitsmarkt in Deutschland.“
Die Bewertung der "Nutzbarmachung" einer Inselbegabung erfordert eine mehrdimensionale Betrachtung, bei der alle betroffenen Gruppen zu berücksichtigen sind. Dadurch können Fähigkeiten, Einschränkungen und Übertragungsansätze beleuchtet werden. Für die Nutzbarmachung ist also Maßstab die Beschäftigungsfähigkeit der Unternehmen für Inselbegabte. Beschäftigungsfähigkeit bedeutet, dass Unternehmen in der Lage sind, Frauen und Männer, die dauerhaft am wirtschaftlichen und sozialen Leben aktiv teilhaben können, zu beschäftigen (Seiler, 2009).
Bei der Personengruppe der Inselbegabten mag eine betriebliche Integration noch offenkundig sinnvoll erscheinen. Der Blick auf das BGM als geeignetes Instrument ist naheliegend. Das BGM widmet sich der Gesundheitsförderung und dem Gesundheitserhalt und muss um das Wohlbefinden ergänzt werden (Petzi & Kattwinkel, 2016, S. 3). Dabei sind die geeigneten Maßnahmen und Instrumente in den für das BGM markanten Säulen des Arbeitsschutzes, der Betrieblichen Gesundheitsförderung und der Prävention zu suchen. Die bislang beliebtesten Themengebiete für das BGM sind Grippeschutzimpfungen, Mitarbeiterbefragungen und Gesundheitskurse mit Bewegung, Ernährung, Suchtprävention oder Entspannung (Thienel & Neubauer, 2018, S. 525). Sie bieten zwar augenscheinlich keinen Mehrwert bei der Integration von Inselbegabten, sind aber bei einer weitreichenden Analyse einzubeziehen. Aus dieser These leitet sich die Forschungsfrage ab, wie ein BGM gestaltet sein muss, um Inselbegabte wertschöpfend im Unternehmen integrieren zu können.
Die Erkenntnisse dieser Forschungsfrage dienen zur Konstruktion eines zu erstellenden empirischen Fragebogens. Übergeordnetes Ziel der Beantwortung der o. g. Forschungsfrage ist ein förderlicher Beitrag, der zur Unterstützung der Inselbegabten beitragen kann, aber auch Unternehmen eine Nutzbarmachung der Fähigkeiten ermöglichen könnte. Um eine Wertschöpfung bewerten zu können, soll aber außerdem analysiert werden, wie neurotypische Kollegen profitieren können, in dem besondere Fähigkeiten optimal genutzt werden. Ein Beispiel für diese Veränderungskraft neuer gesellschaftlicher Erfahrungen bezüglich der Schaffung beruflicher Teilhabemöglichkeiten sind die sich sukzessiv international in der IT-Branche etablierenden Arbeitsstellen zur Software-Prüfung, die für Menschen mit Asperger-Syndrom eingerichtet werden (z. B. Bund, 2012). Mittlerweile ziehen multinationale Software-Konzerne nach und schaffen Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Asperger und herausragenden einzelnen Fähigkeiten (am Beispiel von SAP: Motzkau, 2013). Mit der gezielten Einstellung von Inselbegabten werden damit Möglichkeiten geschaffen, Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden und eine Form der Selbstbestimmung und finanziellen Unabhängigkeit zu erlangen. Zudem folgt die Praxis damit der theoretischen Thesis, dass eine sinnstiftende und herausfordernde Arbeit das Wohlbefinden erhöht und letztlich die Gesundheit fördert. „Sowohl die Unternehmen profitieren von den außergewöhnlichen Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen ihrer neuen Beschäftigten als auch die Beschäftigten selbst durch die ihnen zu teil werdende soziale Wertschätzung und ihre gesellschaftliche Integration“ (Popescu-Willigmann, 2014, S. 193). Neben der Wertschätzung sind auch anderweitige Synergieeffekte für neurotypisches Bestandspersonal denkbar. Die Prognose, dass wir auch zukünftig Versuche zur Beeinflussung verfolgen werden, welche geistigen Fähigkeiten das Gehirn uns zur Verfügung stellt, ist unzweifelhaft. Inselbegabte können zur Motivation und Zielerreichung eine wesentliche Rolle spielen (Adam, 2018, S. 30).
Dennoch ist zu hinterfragen, welchen Beitrag das BGM mit einem ausschließlich präventiven Ansatz leisten kann. Deshalb lautet die zweite – ebenfalls theoriegeleitet zu prüfende – Hypothese (H2):
„Das BGM ist ein geeignetes Instrument zur Nutzung von Synergieeffekten im Rahmen der Beschäftigung von Inselbegabten.“
In Bereichen, in denen die konsequente Umsetzung eines strukturierten BGM nicht zu erwarten ist, muss unter Annahme der zuvor aufgestellten Hypothese mit Rahmenbedingungen gerechnet werden, die eine Integration von Inselbegabten erschweren oder unmöglich machen.
Die Unternehmensgröße stellt deshalb die unabhängige Variable dar. Abhängige Variable ist der Grad der Beschäftigungsfähigkeit des Unternehmens. Die dritte, empirisch zu prüfende Hypothese (H3) lautet daher:
„Je größer das Unternehmen, desto höher die Beschäftigungsfähigkeit für Inselbegabte.“
Die vierte Hypothese soll ähnlich aufgebaut sein wie bereits die vorherige. Sie setzt dort an, wo das BGM offenkundig an seine Grenzen kommt und hinterfragt die Gegebenheiten zur Prüfung der Frage, welche Integrationsmöglichkeiten für Inselbegabte vorhanden sind. Hierbei soll allerdings als abhängige Variable die Eigenschaft erfragt werden, ob die Organisationseinheit gewinnorientiert handelt oder ob es sich um eine non-profit-Organisation handelt. Denn die erfolgreiche Umsetzung eines BGM ist abhängig von der strategischen Ausrichtung der Organisationseinheit.
Die vierte, empirisch zu untersuchende Hypothese (H4) lautet daher:
„Die Beschäftigungsfähigkeit von Inselbegabten ist abhängig von einer Gewinnorientierung der Organisation.“
Die Arbeit beginnt im ersten Kapitel mit einer Einleitung, die sich zunächst mit der Hinführung zum Thema beschäftigt, damit ein Interesse des Lesers geweckt wird. Zudem ist die anfängliche Einführung erforderlich, um den nachfolgenden Ausführungen bis zur Grundlagenvermittlung des Theorieteils folgen zu können.
Es schließt sich ein Abschnitt zu den Forschungszielen an, die den Autor dazu bewegt haben, die Thematik wissenschaftlich zu verfolgen. In diesem Abschnitt werden auch die Hypothesen generiert. Sie leiten sich von den Begriffsbestimmungen der gängigsten Fachliteratur/Fachzeitschriften ab und versetzen den Autor in die Lage, auf deren Basis eine Behauptung aufzustellen. Die Hypothese wird den Anforderungen an Allgemeinheit und Kritisierbarkeit gerecht (Kieser, Kubicek & Wollnik, 1978).
Zur Darstellung der Forschungsziele werden die Forschungslücken umrissen, wozu eine Repetition des Forschungsstandes erforderlich ist. Anschließend erfolgt die Darstellung des Forschungsdesigns und dem weiteren Aufbau der Arbeit.
In den folgenden beiden Kapiteln wird eine Grundlagenforschung beschrieben. Diese widmet sich zunächst dem Syndrom der Inselbegabung.
Das erste theoretische Grundlagenkapitel beginnt einleitend mit einer allgemeinen Bestimmung sowie einer (historischen) Herleitung des Syndroms. Anschließend soll die Prävalenz beschrieben werden. Die Prävalenz gibt Aufschluss über die Bedeutung der Integration von Inselbegabten. Ätiopathogenetische Aspekte sollen im nächsten Abschnitt mit dem Ziel beschrieben werden, die Ursache des Syndroms erklärbar zu machen. Dazu werden die gängigsten Theorien dargestellt. Dies sind unter anderem Theorien der zerebralen Lateralisierung, der basalen Informationsverarbeitung und der hereditären Einflüsse (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 1).
Insbesondere wegen der Heterogenität der Krankheitsbilder wird nach einer allgemeingültigen Bestimmung und Klassifizierung geforscht. Dies ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.
Trotz der Tatsache, dass Menschen mit Inselbegabungen viele herausragende Fähigkeiten, etwa ein gutes Gedächtnis oder auch Zahlenverständnis gemeinsam haben, unterscheiden sie sich enorm im Grad der Ausprägung und den damit verbundenen Einschränkungen. Einige von ihnen konzentrieren sich auf triviale Dinge wie dem Auswendiglernen von Statistiken oder Telefonbüchern und erreichen dabei beträchtliche Erfolge. „Talentiertere Personen haben musikalische oder künstlerische Fähigkeiten, die deutlich über dem liegen, was man von Menschen mit ihrer Behinderung erwarten würde. Nur wenige entwickeln jedoch so herausragende Eigenschaften, dass diese auch bei einem nicht behinderten Menschen auffielen" (Treffert & Wallace, 2002, S. 3). Damit einhergehen aber auch heterogene, wenn auch sich stetig wiederholende Einschränkungen, die ebenfalls aufgezeigt werden.
Im nächsten Abschnitt werden Übertragungsversuche und –ansätze beschrieben. Dieser Abschnitt befasst sich mit Bestrebungen sowie dem Stand der Technik, die besonderen Fähigkeiten von Inselbegabten auf Neurotypen zu übertragen. Diese Bestrebungen basieren auf der Erkenntnis, dass eine erhöhte Gehirnerregung einen durch Krankheit hervorgerufenen Verlust der kognitiven Leistung zu kompensieren versucht. Diesen Effekt auch ohne die negativen Einschränkungen einer Verletzung oder Erkrankung zu erreichen, ist Gegenstand vieler Experimente und ein wichtiger Ausgangspunkt für ein kognitives Enhancement (Adam, 2018, S. 226).
Zum besseren Verständnis des Syndroms werden wenige Beispiele dargestellt.
Das darauffolgende zweite Grundlagenkapitel widmet sich dem BGM und beginnt mit einer Entwicklung und der Annäherung an eine Begriffsbestimmung. Anschließend werden die Ziele eines BGM aufgeführt. Um ein mögliches Modell des BGM zu finden, mit welchem eine wertschöpfende Integration von Inselbegabten erfolgen kann, werden einzelne Einschlägige vorgestellt. Anschließend erfolgt eine Darstellung der unterschiedlichen Instrumente, mit denen Einfluss auf die besondere Beeinträchtigung von Inselbegabten genommen werden kann. Dabei stehen vorrangig die Verursacher der Frühindikatoren im Arbeitsumfeld und in den Prozessen eines Unternehmens im Fokus. Hierzu gehören Gesundheitschancen und -risiken, insbesondere Arbeitsabläufe, Verantwortlichkeiten, Führungsverhalten, Handlungsspielraum, Ergonomie, Kommunikation und Information (Kaminski, 2013, S. 7). Für die Beurteilung der Wertschöpfung ist zudem die Kostenstruktur einzelner Maßnahmen zu betrachten. „Dabei sind v. a. auch diejenigen Kosten zu beachten, die entstehen, wenn man BGM-Maßnahmen nicht durchführt" (Uhle & Treier, 2019, S. 352).
Anschließend folgt das methodische Kapitel der Empirie. Der Aufbau entspricht dem Forschungszyklus, auf dem nach der Hypothesenbildung die Datenerhebung und Datenauswertung folgt (Behnke, Baur & Behnke, 2012, S. 33–34). Der Gang der Untersuchung und das Forschungsdesign werden bereits im nachfolgenden Abschnitt 1.4 dargestellt.
Nach der Empirie schließt sich die Diskussion an, bei der mit Hilfe der Ergebnisse aus der Empirie sowie den theoretischen Grundlagen die Hypothesenprüfungen erfolgen werden. Die Resultate werden mit Hilfe der existierenden Literatur interpretiert. Erkenntnisgewinne werden anhand der zuvor gestellten Forschungsfragen reflektiert.
Die Arbeit endet mit Kapitel 6 und einem Fazit zu den Untersuchungsergebnissen vor dem Hintergrund der eingangs gestellten Hypothesen. Anschließend werden Implikationen für die unternehmerische Praxis erläutert. Mögliche Limitationen schließen die Arbeit ab. Erzielte Forschungsergebnisse werden der Forschungslücke gegenübergestellt, um eine zukünftige Forschungsentwicklung aufzuzeigen.
Das Zusammenspiel zweier Disziplinen wie der Medizin und der Wirtschaftswissenschaften erfordert methodologisch einen Denkansatz, der dem hermeneutischen Verstehen folgt. Die Lehre vom Verstehen soll genutzt werden, um Wirkungs- und Sinnzusammenhänge nachvollziehen und Interaktionsprozesse interpretieren zu können [Neumann (2015, S. 3) empfiehlt bereits für die Inselbegabung eine interdisziplinäre Betrachtung]. Damit kann das Verständnis von vermittelten Texten erzeugt werden, die in einem bestimmten sozialen und situativen Kontext entstanden sind. „Vertreter der Hermeneutik betrachten Sätze und deren Bedeutung(en) in ihrem Zusammenhang (Kontext). Sie gehen davon aus, dass man das Einzelne nur durch das Ganze verstehen kann und umgekehrt" (Kornmeier, 2018, S. 123).
Dabei erfolgt die Forschungsstruktur deduktiv im Sinne des kritischen Rationalismus nach Karl Popper auf Basis der durch die Forschungsfragen gebildeten Hypothesen.
Sie wurden theoretisch fundiert und realitätserklärend begründet. Sie entsprechen dem „Popper-Kriterium der Falsifizierbarkeit“ und halten einer logischen Prüfung auf Widerspruchsfreiheit stand (Kornmeier, 2007, S. 41).
Da Hypothesen überprüfbar sein müssen, werden die theoretischen Konstrukte mittels logischer Begriffe verknüpft, welche die angenommene Wirkungsbeziehung beschreiben (Goldenstein, Hunoldt & Walgenbach, 2018, S. 110). Die Hypothesen werden zudem den Anforderungen an Allgemeinheit und Kritisierbarkeit gerecht (Kieser et al., 1978).
Die Falsifikation der Hypothesen soll mit einem mixed-methods-Ansatz geprüft werden. Dieser Ansatz bezeichnet die Kombination zweier Forschungsmethoden und wird auch als polymethodischer Forschungsansatz bezeichnet (Roch, 2017). Konkret sind zwei der Hypothesen ausschließlich über einen theoretisch-konzeptionellen Ansatz zu prüfen. Dadurch erfolgt eine argumentativ-deduktiv aufgebaute Analyse anhand einer theoretisch-konzeptionellen Vorgehensweise für zwei Hypothesen. Die Prüfung der anderen beiden Hypothesen erfolgt empirisch.
Eine quantitative Forschung kann schon deshalb nicht für alle Hypothesen verfolgt werden, weil kein entsprechendes Ausgangsmaterial zugänglich sein wird. Zum einen liegt dies an der ohnehin geringen Prävalenz des Syndroms. Andererseits ist das Merkmal der Inselbegabung nicht eindeutig und identifizierbar, so dass die gewünschte Zielgruppe nicht ermittelt und konkret adressiert werden kann. Zudem ist die Zielgruppe nicht systematisch organisiert, so dass sie nicht durch eine Umfrage erreichbar wäre. Medizinische Organisationen stellen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Schnittstelle zur Personengruppe bereit.
Außerdem führt die Heterogenität der damit verbundenen Krankheitsbilder zu großen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Teilnehmern für aussagekräftige Analysen. Auf dem Gebiet der Klassifizierung der Inselbegabung ist deshalb insgesamt noch nicht genug empirisch geforscht worden (Neumann, 2015, S. 8). Gleiches Problem stellt sich auch in dieser Forschungsarbeit, weshalb nicht alle Hypothesen empirisch untersucht werden können.
Für die theoretische Forschung sind Erkenntnisse anhand vorliegender wissenschaftlicher Literatur sowie durch endogener und exogener Kritik von Studien zu erlangen.[3] Die theoretisch-konzeptionelle Arbeit dient der Schließung konzeptioneller Lücken durch Entwicklung von Konzepten und/oder Theorien bzw. Übertragung auf neue Sachverhalte. Die im Zentrum stehenden Forschungsfragen und Hypothesen werden auf bestehender Literatur gestützt bearbeitet. Die theoretisch-konzeptionelle Arbeit stellt somit keine reine Literaturarbeit dar, in welche ausschließlich bereits vorliegenden Erkenntnisse zusammengefasst werden, sondern sie nutzt ein Review, um neue Erkenntnisse zu ermöglichen. Das heißt, dass die theoretisch-konzeptionelle Arbeit den Stand der Forschung aufarbeitet und diese Aufarbeitung nutzt, um neue theoretische Argumente einzuführen (Goldenstein et al., 2018).
Die Falsifikation von zwei der vier Hypothesen wird im Rahmen einer empirischen Sozialforschung überprüft. Hierzu dient eine quantitative Befragung im Feld. Zur Stichprobe zählen keine Inselbegabten, sondern Neurotypen in abhängiger Beschäftigung. Ziel ist es, Arbeitsplätze zu lokalisieren, die für eine Integration von Inselbegabten geeignet sind und Muster zu erkennen. Die Verwendung von Befragungsdaten gilt in der Grundlagenforschung als hinlänglich überprüft und ist für ausreichend verlässlich befunden worden. Befragungen stellen heute das zentrale Erhebungsverfahren im betrieblichen Setting dar (Steinke & Lampe, 2017, S. 134). Die Empirie wird im typischen Aufbau wie folgt dargestellt: Charakterisierung des Untersuchungssamples, Stichprobenauswahl, Durchführung und Ergebnisdarstellung (Kornmeier, 2018, S. 119).
Die Empirie wird maßgebliche Erkenntnisse liefern, welche Bereitschaft mit Abhängigkeiten zur Beschäftigung von Inselbegabten besteht. Es werden die Situationsmerkmale Stimulus – Person – Reaktion berücksichtigt (Atteslander & Cromm, 2008, S. 106).
Die quantitative Forschung ist hypothesenprüfend und analysiert die Zusammenhänge und Beziehungen zwischen Konstrukten sowie den daraus abgeleiteten Variablen und deckt somit allgemein theoretische Annahmen auf (Goldenstein et al., 2018). Das festzulegende Untersuchungssample prüft dadurch die Gültigkeit und Übertragbarkeit der Wirkungszusammenhänge auf die Grundgesamtheit. Die Befragung soll theoriegeleitet Daten über die soziale Realität sammeln, wobei diese Daten den Kriterien der Reliabilität, der Validität sowie der Repräsentativität der intersubjektiven Überprüfbarkeit zu genügen haben (Atteslander & Cromm, 2008, S. 70). Die Repräsentativität meint die Unabhängigkeit von Forschungsergebnis und -prozess der forschenden Personen. Unter Validität wird die Gültigkeit der Forschung dahingehend verstanden, ob der zu erforschende Gegenstand mit dem Forschungsdesign erfasst/gemessen wird. Reliabilität umfasst die Zuverlässigkeit der Forschung in dem Sinne, dass die Messung stabil und genau ist (Mayring, 2010, S. 116).
Die Repräsentativität bzw. Objektivität wird durch ein geringes Signifikanzniveau gewährleistet, wodurch ein Alpha-Fehler vermieden wird. Das Signifikanzniveau gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der die Nullhypothese zurückgewiesen wird, obwohl sie in Wirklichkeit wahr ist (beruhend auf falsch positiven Ergebnissen). Die Nullhypothese ist dabei die gegensätzliche Formulierung zum untersuchten Zusammenhang (Goldenstein et al., 2018, S. 110). Zudem wird eine repräsentative Stichprobe durch Zufallsauswahl sichergestellt.
Die gesammelten Ergebnisse der Empirie werden mit geeigneten Analysemethoden bewertet. Die Wahl des geeigneten statistischen Verfahrens hängt unmittelbar vom Erkenntnisinteresse und den zur Verfügung stehenden Daten ab. In dieser Dissertation sollen die Variablen einzeln überprüft werden. Hierzu dienen univariate Analyseverfahren, die Verteilungen, Mittelwerte und Streuungen kenntlich machen. Die deskriptive Statistik wird auch verwendet, um aus Mittelwerten und Standardabweichungen Hinweise auf Korrelationen zu finden. Abhängig vom Vorliegen einer Normalverteilung kommen parametrische oder nicht-parametrische Verfahren zur Anwendung.
Die Diskussion überprüft die aufgestellten Hypothesen theoretisch und wertet außerdem die Ergebnisse der Empirie aus. Die Diskussion dient der Darstellung eines Beitrags zur Theorieentwicklung, der kritischen Würdigung der Arbeit sowie dem Aufzeigen weiteren Forschungsbedarfs. Auch hier wird Maßstab die Reliabilität, Validität und Repräsentativität sein (Bogner, Littig & Menz, 2002).
Fazit der Arbeit wird weniger die Produktion von Tatsachen sein, sondern vielmehr die Erkenntnis über die Bedeutung dieser Tatsachen und deren Ableitung auf zukünftiges Handeln (Hermelin, 2001, S. 10).
Trotz nahezu 130-jährig andauernder Forschung ist die Genese des Syndroms der Inselbegabung weitgehend ungeklärt. Hierfür liefert die unterschiedliche Form und Ausprägung des Syndroms und der Vielfalt des verbundenen Krankheitsbildes eine mögliche Erklärung (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 8). Zugleich gibt es bislang keine allgemeingültige Definition für das Syndrom (Neumann, 2015, S. 3). Vielleicht gerade deshalb ist die Faszination für Inselbegabte groß. Die Theorie, dass Wahnsinn und Genie Hand in Hand gehen, gilt als belegt, in dem der Nachweis darüber erbracht werden konnte, dass eine geringe Inhibition als Merkmal für Psychosen aber auch kreativem Denken gleichermaßen gilt (Carson, Peterson & Higgins, 2003).
Insbesondere außergewöhnlichen Lichtgestalten und Personen, denen allgemein ein hoher Intellekt zugeschrieben wird, wurde daher eine Inselbegabung unterstellt. Unter diesen Personen finden sich zum Beispiel Mozart, Einstein, Kasparow oder Bill Gates, die allesamt über beträchtliche mentale Fähigkeiten verfüg(t)en, die von denen der meisten Menschen abweichen (Adam, 2018, S. 260–261; Tammet & Klostermann, 2009, S. 8–9). Fitzgerald (2019) hat in mehreren Publikationen das Verhalten von Newton, Tesla und Mendel untersucht und auch dort Merkmale einer Inselbegabung gefunden. Trotz fehlender Definition gibt es unterschiedliche Erklärungen, die schnell Widersprüche aufwerfen.
Dabei kann schon bei der Begriffsbestimmung ein Schwerpunkt auf Einschränkungen als auch Fähigkeiten gesetzt werden. Darold A. Treffert (1989) beschreibt das Syndrom daher weniger als eine Krankheit oder Störung, sondern mehr als einen Zustand bzw. als ein dauerhaftes Phänomen. Dazu definiert sich ein Syndrom, wenn die Komplexität der verschiedenen pathogenen Faktoren und manifestierter Symptome nicht mehr voneinander differenziert werden können (Uhle & Treier, 2019, S. 55). Schon bis heute unterlag die Begriffsbestimmung einer ständigen Dynamik. Der viele Jahrzehnte verwendete Begriff des „idiot savant“ bezeichnet einen geistig behinderten Wissenden. In der englischen Fachliteratur hat sich der (weniger despektierlich klingende) Begriff „savant“ durchgesetzt. Nach Hermelin (Hermelin, 2001, S. 10) meint er einen geistig, psychisch oder sensorisch Behinderten, der in einem umgrenzten Bereich eine Inselbegabung zeigt. Von dieser Beschreibung wurde mittlerweile Abstand genommen. Dies erscheint auch vor dem Hintergrund sinnvoll, als dass Uneinigkeit über die mit einer Inselbegabung zwangsläufig einhergehenden Einschränkungen besteht. Einerseits handelt es sich um geistig behinderte Menschen mit geringen IQ und eingeschränkter Alltagsfähigkeit (Miller, 1998; Adam, 2018, S. 15; Jacobs, 2008; Winner, 1999, S. 3–4). Andererseits können Inselbegabte teilweise mit hohen IQ sehr wohl zu außergewöhnlichen Erfolgen in der Lage sein (Treffert & Wallace, 2002, S. 16). Die mit dem Syndrom verbundenen Einschränkungen können zum Teil erhebliche Defizite in der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Orientierung, Imagination, Introspektion und anderen kognitiven Fähigkeiten zeigen (Neumann, 2015, S. 4).
Vor dem Hintergrund erscheint die bereits in Abschnitt 1.1 erwähnte Beschreibung von Brodbeck (2015) als passend, wonach die Inselbegabung ein medizinisches Syndrom ist, dass sich durch Fähigkeiten und Kompetenzen eines Individuums auszeichnet, die weit über den menschlichen Durchschnitt hinausgehen. Verknüpft sind diese Fähigkeiten und Kompetenzen immer mit bestimmten Krankheitsbildern. Diese Krankheitsbilder sind unterschiedlich, können sich auf angeborene oder unfallbedingte Schäden zurückführen lassen.
Diese Unterscheidung wird auch als „congenital and present at birth” und „acquired and developed“ beschrieben (Treffert, 1989). Die Inselbegabten, die als „congenital and present at birth“ [Anteil etwa 90 %, (Treffert & Rebedew, 2015, S. 158)] bezeichnet werden, wurden als Inselbegabte geboren, während die als „acquired and developed“ bezeichneten Inselbegabten ihre Fähigkeiten erst im Laufe ihres Lebens – beispielsweise durch einen Unfall – erlangt haben. In späteren Jahren erweiterten Treffert und Rebedew (2015, S. 161) die Kategorie „congenital and present at birth“ auf Kinder, deren Einschränkungen und Fähigkeiten zwar nicht ab Geburt bestanden, aber in frühen Lebensjahren hinzutreten. Zur Kategorie „acquired and developed“ gehören Fälle, in denen bspw. ein Opfer einer Schussverletzung sein Gehör und Stimme verloren, gleichzeitig aber enorme technische Fähigkeiten erlangt hat. Auch ist ein Fall bekannt, bei dem eine schwere Kopfverletzung zu überdurchschnittlicher Fähigkeit im Kalenderrechnen geführt hat (Steinmetzer & Müller, 2015a, S. 400). Dieser plötzliche Erwerb von Fähigkeiten bei gleichzeitiger Behinderung bleibt in der Literatur bis heute unverstanden (Brackmann, 2017, S. 150).
Eine weitere Unterscheidung kann zur Bestimmung des Syndroms vorgenommen werden. Treffert (2011) ordnet Inselbegabte zusätzlich den Kategorien „außerordentlich“ (prodigious) und „talentiert“ (talented) zu. Die talented savants sind jene Personen, deren Inselbegabung höchstens durchschnittliche Leistungen in einem Teilbereich ermöglicht, die aber in Anbetracht ihrer Beeinträchtigungen bemerkenswert sind. Die prodigious savants verfügen über Fähigkeiten, die auch für Neurotypen bemerkenswert wären (Treffert, 1989). In einiger Literatur wird der Begriff „savant“ ausschließlich für die prodigious savants genutzt, was nicht zu einem einheitlichen Verständnis des Syndroms führt.
Die Auflistung der Historie kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Komplexität des Syndroms zu verstehen. Dabei ist grundsätzlich zwischen der Historie des Syndroms sowie dessen Erforschung zu differenzieren.
Beobachtungen, die eine Inselbegabung vermuten lassen, gehen zurück bis in das sechste Jahrhundert vor Christus. Hippolyt, einer der großen Theologen der frühchristlichen Kirche, beschrieb die Fähigkeiten von Pythagoras. Demnach wäre Pythagoras ein Wissenschaftler, der den Kosmos singen und ihn mit Musik beschreiben könne (Tammet, 2015, S. 182). Die Synästhesie, d. h. die Fähigkeit Zahlen bildlich wahrzunehmen sowie Buchstaben fühlen oder Worte schmecken zu können, ist ein häufiges Merkmal von Inselbegabten. Die Historie lässt sich fortführen mit weiteren Persönlichkeiten wie Kardinal Giuseppe Mezzofani (1774-1849), der 50 Sprachen sprechen und aus 114 Sprachen übersetzen konnte. Berühmtheit erlangte auch Sir John Brown, ein britischer Diplomat, der sich angeblich in 100 Sprachen unterhalten und Texte in 200 Sprachen lesen konnte (Hermelin, 2001, S. 92). Im Jahr 1783 erschien eine erstmalige Benennung des Syndroms mit einer Fallbeschreibung durch den deutschen Philosphen Karl Philipp Moritz (Moritz, 1783) (Eng,Å. Nur wenige Jahre später im Jahr 1789 folgte dann eine ausführliche durch Benjamin Rush. Er schilderte darin die Fähigkeiten von Thomas Fuller, der ungewöhnlich schnell Kopfrechnen konnte. Fuller war mathematisch zu nicht mehr als einfachem Zählen in der Lage, dennoch gab er auf die Frage, wie viele Sekunden ein Mensch im Alter von 70 Jahren, 17 Tagen und 12 Stunden bereits erlebt hat, innerhalb von 90 Sekunden die richtige Antwort: 2.210.500.800 Sekunden - unter Berücksichtigung von 17 Schaltjahren (Rush in: Treffert & Wallace, 2002, S. 1–2).
Die medizinische Erforschung des Syndroms findet seinen Ursprung erst im Jahre 1887 (Treffert, 1989, S. 5). Der englische Neurologe J. Langdon Down (Down, 1887/2018), bekannt vor allem für die Erkennung des nach ihm benannten Down-Syndroms, beschrieb erstmals das Syndrom der Inselbegabung und untersuchte die bemerkenswerte Koexistenz fehlender und zugleich überragender Fähigkeiten. Er prägte den Begriff des „idiot savant“: eine Kombination aus der damals akzeptierten Klassifikation des „Idioten“, als Menschen mit einem Intelligenzquotienten von weniger als 25 und einem Abkömmling des französischen Wortes savoir für „Wissen" (Treffert & Wallace, 2002, S. 2). Down hatte damals zwischen Menschen mit Lernschwierigkeiten und Autisten nur unzureichend differenziert bzw. eine geistige Behinderung (v.a. Idiotie) als Leitstörung angenommen. Dies hatte zur Folge, dass bis auf wenige Ausnahmen autistische Personen oder anderweitig kognitiv eingeschränkte Personen mit Potenzialen in Form von „Inselbegabungen“ kaum Beachtung, keine Förderung oder gar Wertschätzung erfuhren (Theunissen & Schubert, 2010, S. 47). Lange Zeit waren sie deshalb Gegenstand aller möglichen Spekulationen, Missverständnisse und leider gelegentlich auch Ausbeutungen (Tammet & Klostermann, 2009, S. 31). Down konnte die Fähigkeiten von Inselbegabten noch keiner Hemisphäre zuordnen, auch wenn die Kartographierung von Gehirnteilen zur ihren Funktionen bereits 1861 durch Broca erfolgte (Broca, 1861). Einer der frühesten und wissenschaftlich dokumentierten Berichte über einen Musiker mit Inselbegabung stammt von Edouard Séguin (Séguin & Krenberger, 1912). In seiner klassischen Abhandlung beschrieb er einen blinden Sklavenjungen, der nur über ein sehr eingeschränktes Sprach- und Denkvermögen verfügte, sich aber mühelos ein umfangreiches Klavierrepertoire angeeignet hatte. Obwohl seine Intelligenz nicht wissenschaftlich untersucht wurde, scheint gesichert zu sein, dass sein musikalisches Talent nicht mit seinem übrigen Können korrelierte (Hermelin, 2001, S. 203–204).
Dass die erste allgemeine Begriffsbestimmung noch keinen Einfluss auf die Vorstellung zum Verstand und der Gehirnleistung hatte, erkennt man an der Forschung zur Bewertung der Intelligenz, die sich in den Folgejahren anschloss. Im Jahr 1904 stellte Charles Edward Spearman (1863-1945) seine Intelligenztheorie aufgrund seiner Beobachtungen an Menschen bei verschiedenen Leistungstests auf. Er stellte fest, dass diejenigen Probanden, die in einem Test gut abschnitten, diese guten Leistungen auch in anderen Tests zeigten (Reichardt, 2018, S. 37). Der Spearman-Test, der bis heute Anwendung findet, geht von einer „Grundintelligenz“ aus. Die Möglichkeit, in nur einzelnen Bereichen besondere Fähigkeiten zu besitzen, sieht er nicht vor. Methodisch sind diese Tests nur eingeschränkt in der Lage, die Fähigkeiten von Inselbegabten zu bewerten. Eine Hochbegabung, wie immer man sie interpretiert, schließt aber nahezu ausnahmslos einen hohen IQ mit ein, was es für Inselbegabte bis heute nahezu unmöglich macht, in standardisierten Testverfahren als begabt erkannt zu werden (Terman, Oden & Bayley, 1976).
In den Folgejahren setzte sich diese Forschung fort. In der damaligen Sowjetunion erforschte während des zweiten Weltkrieges der Wissenschaftler A. R. Lurija die Beziehung zwischen Gehirn und Geist, auch wenn die Ergebnisse in den westlichen Ländern erst in den 70er Jahren übersetzt und bekannt wurden. Er beschrieb dabei seine eigene Inselbegabung sehr systematisch, wissenschaftlich fundiert und konnte die Funktionsweise der linken geschädigten Gehirnhälfte beschreiben. Auffällig war aber, dass keine Beobachtungen über die Funktionsweise der rechten Gehirnhälfte vorlagen (Lurija & Lurija, 1997). Die Erforschung der rechten Hemisphäre stellte die Forschung damals vor große Probleme.
Für Patienten mit bestimmten Syndromen der rechten Gehirnhälfte ist es nicht nur schwierig, sondern unmöglich, ihre eigene Störung zu erkennen - dies ist eine besondere und spezifische Form der Anosognosie. Im Gegensatz dazu kann man sich in die Syndrome der linken Gehirnhälfte relativ leicht hineinversetzen. Obwohl die Syndrome der rechten Gehirnhälfte ebenso häufig sind wie die der linken, wird man in der neurologischen und neuropsychologischen Literatur vermehrt Beschreibungen von Syndromen der linken Hemisphäre finden (Sacks, 2018, S. 20).
Noch bis in die 1980er Jahre hinein war das Bild, das sich Forscher von der Funktionsweise des Gehirns machten, auf die Ratio beschränkt (Kast, 2009, S. 17). Zwei Meilensteine der Medizin veränderten die Forschung des Syndroms der Inselbegabung aber maßgeblich. Einer davon ist die Erkenntnis, dass äußerliche Reize (ob elektrisch oder magnetisch) die Gehirnfunktionalität beeinflussen können. Der andere Meilenstein ist, dass man während der Erforschung die Funktionalität durch visualisierende Untersuchungsmethoden, etwa der Magnetresonanztomographie, lokalisieren kann (Sandrini & Cohen, 2014, S. 239–240). In der breiten Bevölkerung erlangte das Syndrom erst durch die mediale Verfilmung Aufmerksamkeit. Im Jahr 1989 wurde der Film „Rain Man“ veröffentlicht, der von einem autistischen Inselbegabten handelt. Der Film war insofern wertvoll, als dass Forscher nun von vielen potentiell Betroffenen, aber auch deren Lehrern, Eltern, Freunden etc. aufgesucht wurden. Das bisherige Problem der Identifizierung von Personen wurde dadurch gemildert und eine Forschung mit repräsentativer Menge konnte verfolgt werden (Treffert & Rebedew, 2015, S. 159).
Abschließend kann festgehalten werden, dass, obwohl das Syndrom der Inselbegabung erst seit etwa 130 Jahren bekannt ist, sich potentielle Erscheinungsbilder seit mehreren Jahrhunderten beobachten lassen. Ein Durchbruch und fundierte Erforschung des Syndroms kann erst seit etwa 40 Jahren erfolgen, seitdem visualisierende Untersuchungsmethoden des Gehirns möglich sind und bekannt ist, dass sich die Gehirnleistungen durch Stimulation verändern können.
Die Prävalenz des Syndroms der Inselbegabung ist bislang nicht bestimmt. Dies hat mehrere Gründe. Viele Fälle werden nicht diagnostiziert, da Kriterien für eine Inselbegabung nicht klar festgelegt sind (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 4). Außerdem sind viele Betroffene zu einer adäquaten Selbstreflexion unfähig (Neumann, 2015, S. 8). Unabhängig von einer fehlenden Klassifizierung gibt es mehrere Möglichkeiten, das Syndrom der Inselbegabung zu kategorisieren. Dabei gilt die Unterscheidung zwischen außerordentlichen (prodigious) und talentierten (talented) Inselbegabten als am meisten verbreitet (Treffert, 2011). Die Prävalenz der talentierten Inselbegabten ist bei weitem höher als die der außerordentlichen (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 1). Bei vielen Angaben in der Literatur zur Prävalenz fehlt aber eine Angabe zur jeweiligen Kategorie völlig. Dem Leser verbleibt eine Spekulation, unter welchen Kriterien der Forscher den Begriff der Inselbegabung umfasst (Dubischar-Krivec, Poustka, Bölte, Neumann & Birbaumer, N, Braun, C., 2006, S. 17). Treffert (1999) gab bereits 1999 an, dass weltweit lediglich 200 prodigious savants bekannt seien. Drei Jahre später korrigierte er diese Angabe auf unter 50 Fälle (Treffert & Wallace, 2002, S. 3)
Tammet (2015, S. 9) behauptet, dass es weltweit 100 Inselbegabte gibt [2009 behauptete er noch, dass weltweit weniger als 50 Inselbegabte leben (Tammet & Klostermann, 2009, S. 30)]. Diese Aussage lässt sich auch bei anderen Autoren finden. Sie unterstellt, dass alle Fälle der Inselbegabung bekannt seien. Es fehlt die Angabe, dass sich diese Fallzahlen lediglich auf prodigious savants beziehen kann. Diese Vorgehensweise ist vermutlich auf Hill (1977) zurückzuführen, der vorschlägt, den Terminus „savant“ lediglich für die sensationellen Fälle, somit die „prodigious savants“ nach Treffert, zu verwenden. Nach einer Literaturanalyse kam Hill 1974 zu dem Ergebnis, dass bislang lediglich über weltweit 52 Fälle berichtet wurde (Hill, 1974).
Diese Angaben zu Gesamtfallzahlen umfassen eine geringe Anzahl an außerordentlichen Fällen, die medizinisch zweifellos dem Syndrom der Inselbegabung zugerechnet werden können. Sie basieren auf beobachteten Fällen.
Eine andere Art der Prävalenzbestimmung sind Hochrechnungen, die auf relativ kleinen Datenmengen basieren, um damit auch die talented savants zu erschließen. Dabei stehen grundsätzlich zwei unterschiedliche Datengrundlagen zur Verfügung. Vorangestellt ist zu erwähnen, dass 50 % der Inselbegabten eine Autismus–Spektrum–Störung aufweisen. Die anderen 50 % haben eine andere neurologische Beeinträchtigung, wie beispielsweise Demenz oder Dysfunktionen im Gehirn infolge eines Schlaganfalls (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 4). Die zweite Hälfte ist damit der Gruppe der geistig Behinderten bzw. mental Retardierten zuzurechnen. Bisherige Prävalenzberechnungen basieren entweder auf der Datengrundlage von mental Retardierten oder Autisten.
Hill hat Untersuchungseinrichtungen für psychisch Erkrankte befragt, deren Zuständigkeit sich auf 90.000 Menschen mit mentaler Retardierung erstreckt (Hill, 1977). Ihm wurden 54 Fälle der Inselbegabung gemeldet. Daraus ableitend errechnet er eine Prävalenz der Inselbegabung bei mental Retardierten von 1 auf 2000. Diese Angabe zur Prävalenz wird durch Hermelin bestätigt, wenn sie die Angabe auch ausschließlich den prodigious savants zuordnet (Hermelin, 2001, S. 19). Saloviita, Ruusila und Ruusila (2000) geben die Prävalenz des Syndroms der Inselbegabung bei Personen mit geistiger Behinderung mit 0,14 % an. Sie führten eine Umfrage in Finnland unter 31.300 mental Retardierten durch und konnten 45 Inselbegabte identifizieren. Geht man davon aus, dass etwa 2-3 % der Bevölkerung eine mentale Retardierung haben, entspricht dies einer Prävalenz von 0,003-0,004 % an der Gesamtbevölkerung. Die Prävalenzangabe liegt damit um etwa 300 % höher als die von Hermelin und Hill. Treffert und Wallace (2002, S. 1) geben den Anteil von Inselbegabten zu mental Retardierten sogar nur mit 0,05 % an. Dieser Wert wäre nur ein Bruchteil der Schätzungen der zuvor genannten Autoren (Vergleich von 0,05 % zu 0,14 %). Allerdings mangelt es an einer Berechnungsgrundlage und der Angabe, welche Kategorie der Inselbegabung gemeint ist.
Weitaus mehr Hochrechnungen gibt es auf der Basis autistischer Patienten. Rimland hat Ende der 1970er Jahre 5.400 autistische Kinder untersucht. Von diesen Kindern hat er 531 als inselbegabt identifiziert (Rimland, 1978). Seine Hochrechnung ergibt daher, dass 9,8 % aller Autisten eine Inselbegabung haben. Kritisch ist dabei zu werten, dass die meisten Autismus-Erkrankungen erst ab dem 16. Lebensjahr diagnostiziert werden. Treffert (2011) bestätigt aber diese Schätzung und gibt die Prävalenz unter Personen mit einer Autismus-Spektrum-Störung ebenfalls mit 10 % an. Eine Prävalenz von 11,67 % unter Autisten ist das Ergebnis von Howlin et al. (Howlin, Goode, Hutton & Rutter, 2009) deren Datengrundlage allerdings lediglich 137 Patienten mit Autismus-Spektrum-Störung umfasst. Noch 1993 schätzten Ehlers und Gillberg (1993) die Fallzahl von Inselbegabten bei Autismus-Patienten auf nur 30 von 10.000. Sah untersuchte 725 autistische Kinder und konnte 47 als inselbegabt identifizieren (= 7 %) (Sah, 2015).
Die Datengrundlage von autistischen Patienten als Grundlage zu nehmen, birgt allerdings Risiken. Und zwar zunächst deshalb, weil die Anzahl an Autismus-Diagnosen seit Jahren stetig steigt. Insbesondere frühere Prävalenz-Angaben sind daher um den inflationären Diagnosen-Anstieg zu bereinigen. Die Tatsache, dass Autismus-Diagnosen eine steigende Tendenz haben, liegt daran, dass verbesserte Diagnoseinstrumente zur Verfügung stehen (Hermelin, 2001, S. 64). Zudem zählt mittlerweile auch das Asperger-Syndrom (neben dem Kanner-Autismus) zur Autismus-Spektrum-Störung. Dies war bis in die 70er Jahre nicht so. „Danach schwoll die Anzahl der in Feldforschungen erkannten Personen mit Autismus von früher 4-5 pro 10.000 der Geburtsjahrgänge auf jetzt um die ein Prozent mit der ‘Autismus-Spektrum-Störung‘ an" (Hartl & Poustka, 2010, S. 12).
Nicht zu vernachlässigen ist die hohe Dunkelziffer, die allgemein beim Syndrom der Inselbegabung vermutet wird (Neumann, 2015, S. 5). Darin findet sich auch die Bestätigung, das Syndrom und deren betriebliche Nutzbarmachung zu erforschen.
Zum Abschluss dieses Abschnitts sei noch erwähnt, dass der männliche Anteil am Syndrom der Inselbegabung auffällig hoch ist. Treffert und Rebedew (2015, S. 158) geben ihn mit 4:1, Hill (1977) mit 6:1 und Rimland (1978) mit 3,25:1 an.
Geschwind und Galaburda (1985) liefern eine denkbare Erklärung für Ursachen der linksseitigen Hirnschädigungen sowie für die relative Häufigkeit von Inselbegabungen bei Männern. Im männlichen Fetus kann zirkulierendes Testosteron bewirken, dass das Wachstum vorrangig in der empfindlicheren linken Hirnhälfte verlangsamt wird und die neuronalen Funktionen beeinträchtigt werden. Infolgedessen kompensiert die rechte Hirnhälfte öfter die Unterfunktion bei Männern, wird größer und dominanter. Nicht nur bei der Inselbegabung ist ein Ungleichgewicht zu Lasten des männlichen Geschlechts zu verzeichnen, sondern auch bei anderen zentralnervösen Fehlfunktionen wie Legasthenie, verzögertem Sprechen, Stottern, Hyperaktivität und eben Autismus.
In den folgenden Unterabschnitten sollen die unterschiedlichen ätiopathogenetischen Ansätze beschrieben werden. Zunächst soll auf die Theorie zur prozeduralen Informationsverarbeitung eingegangen werden. Mit dieser Theorie schildert A. Snyder (2009) die Möglichkeit, dass Inselbegabte Zugang zu basalen (low-level) Prozessen der Informationsverarbeitung haben. Inselbegabte operieren demnach auf vorbewussten Verarbeitungsstufen. Sie arbeiten mit rohen, unverarbeiteten Inhalten, bevor diese vom Gehirn in nutzbare, ganzheitliche Konzepte transferiert werden. Neurotypische Menschen haben dagegen keinen Zugang zu basalen Prozessen der Informationsverarbeitung. Neue Informationen werden im Gehirn mit bereits bekannten Konzepten verglichen, in diese integriert und im Arbeitsgedächtnis gespeichert. Inselbegabte hingegen haben direkten Zugriff auf die früheren, vorbewussten Schritte der Informationsverarbeitung. Diese Art der „Vereinfachung“ des Arbeitsprozesses lege Reserven frei, was die Entwicklung von Insel-Fähigkeiten begünstige, so Snyder. Schon Treffert (1989, S. 200) stellte viele Jahre zuvor fest, dass eine der wenigen Gemeinsamkeiten aller Inselbegabten die außerordentliche Gedächtnisleistung ist. Im Jahr 1983 hat M. Mishkin (Mishkin, Ungerleider & Macko, 1983) für das scheinbar grenzenlose Gedächtnis von Inselbegabten eine Hierarchie der neuronalen Instanzen des Gehirns vorgeschlagen. Neben dem semantischen Gedächtnis würde eine niedere Instanz zwischen Hirnrinde und einem als Streifenkörper bezeichneten Gehirnkern das prozedurale Gedächtnis umfassen (Treffert & Wallace, 2002, S. 44). Dieses Gedächtnis wird auch als Gewohnheitsgedächtnis bezeichnet und ermöglicht zum Beispiel das Fahrradfahren, ohne über das „Wie“ nachdenken zu müssen. Die Gedächtnisleistungen beim Syndrom der Inselbegabung scheinen nach Mishkin von eben dieser Art zu sein. Auch Squire (1992) bestätigt diese Theorie, in der er das Gedächtnis zwischen „declarative memory“ und „procedural memory“ unterscheidet. Erklärungsversuche beschreiben, dass in frühen Phasen des Erwerbs von Fähigkeiten deklaratives Wissen bezüglich des Interessensgebiets angesammelt wird und sich anschließend Assoziationen bilden, welche dieses Wissen mit Handlungen verbinden (Anderson, 1995). Dadurch gelingt es dem effizient agierenden Gehirn, Aktionen mit möglichst wenig Energieaufwand zu bewerkstelligen. Prozesse, die scheinbar unbewusst ablaufen, sind dabei stoffwechselphysiologisch weniger aufwändig, daher laufen sie schneller ab. Im Gegensatz dazu laufen Prozesse, die bewusst wahrgenommen werden, langsamer ab, da sie eines vergleichsweise erhöhten Energiebedarfs bedürfen (Neumann, 2015, S. 11).
Um seine Annahme zu bestätigen, versuchte A. Snyder (2009) die veränderte Informationsverarbeitung bei neurotypischen Probanden zu simulieren. Dafür beeinflusste er bestimmte Areale im Gehirn von Versuchspersonen mithilfe der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS). Dabei handelt es sich um ein nichtinvasives Verfahren, das in der neurowissenschaftlichen Forschung oft zum Einsatz kommt. Durch magnetische Felder werden temporäre Reizeffekte in bestimmten Hirnarealen ausgelöst. Man nutzt rTMS als medizinisches Hilfsmittel in der Hirnchirurgie, um bestimmte Hirnareale zu stimulieren oder zu unterdrücken, was Medizinern die Möglichkeit bietet, die Folgen eines Eingriffs in Echtzeit zu beobachten (Miller, Kühn & Ptok, 2013).
Vier von elf Probanden zeigten bei Snyders Versuch dabei Strategien, die auf eine basale Informationsverarbeitung deuten können. Malerische Zeichnungen waren naturalistischer, detailgetreuer, was auf eine Wiedergabe des Sichtbaren ohne Interpretation hindeutet. Beim Lesen von Texten mit Wortverdopplungen registrierten die Versuchspersonen Fehler sofort. Im neurotypischen Fall werden diese Fehler herausgefiltert, da das Gehirn mit festen Interpretationsmodellen operiert. Snyder argumentiert, dass Insel-Fähigkeiten möglicherweise in allen Menschen angelegt sind, dass die meisten sie nur niemals erschließen. Mehrere Versuche mit Probanden unterschiedlicher sozialer Schichten scheinen zu belegen, dass jedes Gehirn zu erstaunlichen Leistungen fähig ist (Tammet & Klostermann, 2009, S. 9).
Auffällig war bei vielen Inselbegabten, dass bei ihnen Epilepsie diagnostiziert worden ist. Nach Snyder würden epileptische Anfälle eine ähnliche Wirkung haben können, wie die magnetischen Energiestöße eines TMS-Geräts, indem sie bestimmte Hirnareale beeinflussen und den Weg für besondere Fähigkeiten mit Zahlen und verschiedenen Wahrnehmungsprozessen ebnen (Snyder et al., 2003).
Treffert (1989) geht davon aus, dass sich die ausschließliche Nutzung des basalen Gedächtnisses auf eine Kompensierung des Gehirns zurückführen lässt, die ihren Ursprung in einzelnen lokalen Beschädigungen findet. Diese Schädigungen bedeuten, dass Menschen mit Inselbegabung sich auf die ursprünglicheren, aber verschonten Schaltkreise des prozeduralen Gedächtnisses stützen müssten. Möglicherweise lassen sich Hirnschäden - gleich ob nun durch Hormone, Krankheiten, vorgeburtliche oder spätere Verletzungen bedingt - in einigen Fällen mit gewissen Fertigkeiten des prozeduralen Gedächtnisses zusammenbringen. Unter diesen Umständen könnte dann die Inselbegabung auftreten.
Die Theorie findet seine Begründung in den mittlerweile vielfach wiederholten Versuchen mit der rTMS. Festzuhalten bleibt aber, dass, sollte diese Theorie ihre Bestätigung finden, jeder Mensch über die Fähigkeiten der außergewöhnlichen prodigious savants verfügen würde. Denn die Theorie besagt auch, dass durch die Nutzung der prozeduralen Informationsverarbeitung lediglich der Zugang zu den Fähigkeiten gelegt werden würde, über die jeder Mensch ohnehin verfüge (Adam, 2018, S. 9–10). In diesem Fall wäre also „nur“ noch nach Wegen zur Erschließung zu suchen.
Das menschliche Gehirn besteht aus der linken und der rechten Hemisphäre. Diesen sind bestimmte kognitive Strukturen zugeordnet. In der linken Hemisphäre sind die Sprache, Motorik, Logik und das verbale Gedächtnis verortet, in der rechten Kreativität, visuelle Fähigkeiten, Emotionen und das non-verbale Gedächtnis (Podbregar & Lohmann, 2012). Die rechte Hemisphäre kümmert sich außerdem um Strategien zur intuitiven Problemlösung. Unabhängig davon kommunizieren beide Hemisphären ununterbrochen über den Balken (Adam, 2018, S. 201). Aufgrund der Spezialisierung und Differenzierung wurde die linke Hemisphäre in der Neurologie und Neuropsychologie weit eingehender erforscht als die rechte „primitivere“ Hemisphäre (Sacks, 2018, S. 18–20).
Beim Syndrom der Inselbegabung ist die Lokalisierung teilweise strittig. Young et al. (2004) gehen davon aus, dass sich die Beeinträchtigungen zwar überwiegend, nicht aber ausschließlich auf die linke Hemisphäre beziehen. Neumann (2015, S. 5) behauptet, dass sich die beobachteten Skills der Inselbegabten ausschließlich der rechten Hemisphäre zuordnen lassen, was für Beeinträchtigungen linksseitig spricht. Auch Treffert (1999) beobachtete bei seinen Probanden Läsionen ausschließlich im linken Temporallappen. Bruce L. Miller et al. (1998) kam zum ähnlichen Ergebnis, als er Patienten mit fortschreitender Demenz untersuchte. Die Patienten waren in der Lage, akribisch genaue Kopien von Kunstwerken herzustellen, ohne zuvor auffällig genau oder gut zeichnen zu können. Es wurden also einhergehend mit kognitiven Läsionen (hier: Erinnerungsverlust) neue Talente gebildet. MRT-Untersuchungen dieser Patienten brachten vor allem linkshemisphärische Gehirnschäden hervor. Gleiches stellte Miller (1999) wenig später fest, als er 46 Patienten mit frontotemporaler Demenz untersuchte und ebenfalls ausschließlich Beeinträchtigungen des linken Temporallappens feststellte, vorrangig hervorgerufen durch Durchblutungsstörungen.
Die geläufigsten Theorien zur Ätiologie des Syndroms der Inselbegabung beziehen sich daher auf eine Schädigung der linken Hemisphäre durch Schäden am Frontal,- oder Temporallappen, teilweise auch durch Schäden am Balken. Im Zuge dessen sind die außerordentlichen Fähigkeiten von Inselbegabten meistens Funktionen der rechten Gehirnhälfte, während ihre am schlechtesten entwickelten Fähigkeiten die Funktionen der linken Gehirnhälfte betreffen (Neumann, 2015, S. 8–9).
Geschwind und Galaburda (1985) beschrieben dieses Phänomen bereits mehrere Jahre zuvor damit, dass die rechte Hemisphäre die Defizite der linken Hemisphäre zu kompensieren versucht. Sie prägten damit die Theorie der zerebralen Lateralisierung. Treffert (1989) beschrieb diese Theorie auch damit, dass unter den Umständen einer Läsion die rechte Gehirnhälfte von der Unterdrückung und Aufsicht der linken befreit wird. Die rechte Hemisphäre übernimmt die Aufgaben der linken Hemisphäre– allerdings führt sie dieselbe Aufgabe unterschiedlich aus. Manchmal können diese unterschiedlichen Lösungen eine massive Verbesserung bringen, einen mentalen Phasenübergang (Adam, 2018, S. 200). Wolford et al. (2000) sind davon überzeugt, dass die Herangehensweise an Probleme mit den Denkweisen der rechten Hemisphäre effizienter ist, da die linke Hemisphäre immer nach Mustern sucht und diese mit schon bekannten Mustern abgleicht, während die rechte Hemisphäre eher neutral an Problemstellungen herangeht und so zu effizienteren/kreativeren Lösungen kommt.
2014 berichteten japanische Forscher von dem Fall eines pensionierten Büroangestellten, der mit Mitte 60 eine Gehirnblutung erlitt. Der Patient malte gern, und eines der letzten Bilder, das er vor seiner Gehirnverletzung fertigstellt hatte, war das Porträt seiner Frau. Sein Gehirnschaden ereignete sich im linken Scheitellappen, an derselben Stelle, an der Patienten mit frontotemperaler Demenz verletzt sind. Rund ein Jahr später, ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hätte, griff der Patient erneut zu seinen Pinseln. Er wählte als Motiv seine Frau und malte ein Porträt, das für die ungeübten Augen der Wissenschaftler realistischer und lebensechter aussah. Um ihre These zu überprüfen, riefen sie renommierte Spezialisten hinzu - 27 professionelle Gutachter der nationalen Universität für Kunst und Musik in Tokio. Ohne sie über die Gründe oder Umstände zu informieren, baten die Wissenschaftler die Kritiker, jedes Bild anhand von mehreren Kriterien zu beurteilen und zu bewerten. Die Experten beurteilten das zweite Bild in puncto Realismus und technischer Fertigkeit tatsächlich höher; doch niedriger, was die Ästhetik und den evokativen Eindruck anging. Die Verletzung des linken Scheitellappen habe, so die Wissenschaftler, eine kompensatorische Zunahme an Aktivität in diesem anderen Bereich ausgelöst (Takahata et al., 2014). Die Fähigkeit des Gehirns, sich nutzungsabhängig in Anatomie und Funktion zu verändern, wird als Neuroplastizität bezeichnet. Sie wird auch genutzt, um Patienten zu behandeln, die an Phantomschmerzen leiden, in dem das Gehirn Lähmungen, Schmerzen und das Bewusstsein einzelner Körperteile „verlernt“ (Ramachandran & Hubbard, 2001a). Snyder (2009) vertritt die Theorie, dass man diesen Zugang auch bei Neurotypen erschließen könne, indem man die Aktivität in der linken frontalen Hirnhemisphäre (die mit dem logischen und begrifflichen Denken zusammenhängt) vorübergehend „ausschaltet“, wodurch dann für kurze Zeit die Inselbegabungen auftauchen könnten. Schon 2003 hatte Snyder (Snyder et al., 2003) in Versuchen die umschriebenen Areale des linken Temporallappens elf neurotypischer Versuchspersonen durch die Magnetfeldstimulation gehemmt. Währenddessen mussten die Probanden Tests im Zeichnen und Lesen von Texten mit Wortverdopplungen absolvieren. Vier von elf Probanden zeigten dabei Strategien, die auf gesteigerte Fähigkeiten durch Neuroplastizität hinweisen können. Die Zeichnungen waren naturalistischer und detailgetreuer, was auf eine Wiedergabe des Sichtbaren ohne Interpretation hindeutet. Beim Lesen von Texten mit Wortverdopplungen registrierten die Versuchspersonen Fehler sofort. Im neurotypischen Fall werden diese Fehler herausgefiltert, da das Gehirn mit festen Interpretationsmodellen operiert. Tammet und Klostermann (2009, S. 296) können sich dieser Theorie nicht anschließen und begründen dies damit, dass die Theorie keine Erklärung für die spezielle Kreativität von Inselbegabten liefere.
Widersprüchlich sind zudem die Ergebnisse vorangegangener Studien. Im Jahr 2000 forschten die Mediziner Young und Ridding (2004) an 17 Probanden, indem sie mittels TMS die fronto-temporalen Hirnlappen stimulierten. Die Wissenschaftler berichteten, dass man nur bei zwei Teilnehmern eine signifikante kurzfristige Verbesserung des zeichnerischen Geschicks oder des Erinnerungsvermögens feststellen konnte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Fähigkeiten auf einen kleinen Prozentsatz der normalen Population begrenzt sind. Auch andere Forscher stellten die Ergebnisse Snyder´s in Abrede. Wassermann hat TMS im Laufe der Jahre „bei Hunderten“ von Studienteilnehmern getestet und weist darauf hin, dass sich bei keinem Einzigen je eine plötzliche Genialität entfaltet hat (Freedberg, Reeves, Hussain, Zaghloul & Wassermann, 2019).
Snyder wiederholte 2011 (Chi & Snyder, 2011) seine Versuche, indem er mit der TMS einzelne Hirnregionen der linken Hemisphäre von Neurotypen hemmte. Den Versuchsteilnehmern wurden unter anderem Sprichwörter auf einem Bildschirm präsentiert, die kleine Fehler beinhalteten, wie „Alte Liebe nicht rostet“ oder „Früher ogel fängt den den Wurm“. Die Versuchsteilnehmer sollten diese Sprichwörter dann laut vorlesen. Eine weitere Testaufgabe bestand darin, ein Tier aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Snyder beobachtete, dass Versuchsteilnehmer nach der Stimulation mehr Fehler erkannten und präziser zeichneten als zuvor. Snyder schloss daraus, dass die Versuchsteilnehmer nach der TMS weniger vernunftgesteuert, weniger konzeptuell und weniger in festen Bahnen dachten – also mit geringerem Einfluss von Vorurteilen; seiner Meinung nach nahmen sie für einen Moment die Welt so wahr wie Inselbegabte. Dies kam aber auf Kosten anderer, komplexerer Gehirnfunktionen zustande: Den Versuchsteilnehmern fiel es schwerer, die ihnen eigentlich bekannten Sprichwörter schnell zu erkennen.
Mittlerweile wird die transkranielle Gleichstromstimulation [engl. transcranial direct current stimulation (tDCS)] verstärkt zur partiellen Stimulation eingesetzt, da sie günstig, benutzerfreundlich und im Wesentlichen gut verträglich ist (Stagg, 2014, S. 146). Die Technik wird oft als nicht-invasiv bezeichnet, da die Geräte so arbeiten, dass sie durch mit Kochsalzlösung getränkte Pads bescheidene Ströme (~ 1-2 mA) von der Außenseite des Kopfes zum Gehirn senden. Die Stimulationszeit beträgt meistens 20 Minuten (Moreno-Duarte et al., 2014, S. 38). Heutzutage erzeugt tDCS Aufregung als ein einzigartiges Untersuchungsinstrument in der klinischen und kognitiven Neurowissenschaft, eine aufkeimende Behandlung für verschiedene neurologische und psychiatrische Zustände und ein potenzieller kognitiver Verstärker für Neurotypen (Fitz & Reiner, 2014, S. 62). Es gibt gar Anleitungen, mit denen man eine tDCS selbst bauen und sich kognitiv stimulieren kann (bspw. https://www.diygenomics.org/files/DIYneuroscience.pdf oder https://www.diytdcs.com/).
Die wissenschaftliche Forschung setzt sich mit der tDCS-Stimulation fort. Iyer et al. stellten fest, dass sich der Sprachfluss durch eine 2 mA-anodische Stimulation verbessern ließe, die auf der linken Gehirnhälfte platziert war (Iyer et al., 2005).
In einem Experiment wurde die tDCS-Stimulation über den hinteren Teil des linken perisylvischen Bereichs bei 19 jungen Rechtshändern angewendet, während die Teilnehmer ein Miniaturlexikon mit 30 neuen Objektnamen erlernen mussten. Diese Studie beschäftigte ein doppelblindes, scheinkontrolliertes Design. Jeder Teilnehmer erhielt anodische, kathodische und Schein-Sitzungen in einer zufälligen, ausgeglichenen Weise. Dabei konnte während der Stimulationsphasen eine signifikante Leistungssteigerung festgestellt werden (Flöel, Rösser, Michka, Knecht & Breitenstein, 2008).
In einer weiteren Studie wurde untersucht, ob tDCS die visuelle Bildnennung verbessern könnte. Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer signifikant schneller reagierten, nachdem anodisches tDCS auf die linke posteriore perisylvische Region angewendet wurde (Sparing, Dafotakis, Meister, Thirugnanasambandam & Fink, 2008). Mit einer Studie an Kaninchen wurde gezeigt, dass unter Anwendung des tDCS Einfluss auf die Häufigkeit des Augenblinzelns genommen werden konnte. Man setzt das Augenblinzeln mit der Aufmerksamkeit gleich und kommt demnach zum Schluss, dass mit einem tDCS die Aufmerksamkeit erhöht werden kann (Márquez-Ruiz et al., 2012).
Die zahlreichen – wenn auch nicht unstrittigen – Versuchsergebnisse scheinen nicht nur die Neuroplastizität zu belegen, sondern auch, dass die Funktionsweise einer Hemisphäre divers ist. Übernimmt sie Aufgaben der jeweils anderen Hemisphäre, können außerordentliche Leistungen erzielt werden. Dies zeigt die Hemmung einzelner Hemisphären ebenso, wie deren Stimulation. Die Annahme, dass insbesondere durch die Hemmung der linken Hemisphäre Inselbegabungen künstlich erzeugt werden konnten, scheint hinreichend fundiert zu sein.
Theorien, die hereditäre Einflüsse bei Inselbegabten abstreiten, argumentieren vorrangig mit neurotypischen Hochbegabungen. Polgar (1989) zeigte durch eine intensive, exzentrische Erziehungsmethode bei seinen eigenen Töchtern auf, dass eine außerordentliche Fähigkeit allein auf die Anleitung der Eltern zurückzuführen sei. Mit dem Ergebnis, dass er seine drei Töchter zu Schachgroßmeistern erziehen konnte, fühlte er sich in seiner Annahme bestätigt. Jacobs (2008, S. 5) argumentiert, dass ein außergewöhnliches Gehör bei Blinden durchaus verbreitet sei. Eine Faszination für die Musik, die ebenso wie Kalender für Kalenderrechner gewissen Regeln unterliegt und festen Strukturen folgt, könnte sich durchaus in eine Obsession für das Auswendiglernen von Tonabfolgen und Harmonien entwickelt haben. Wynn (1992) zeigte in seinen Versuchen mit Babys auf, dass bei allen Menschen intuitive Zählfähigkeiten vorhanden seien und diese durch unterschiedliche Einflüsse erwachen würden. Ähnliche Versuche mit sechs Monate alten Babys machten die Psychologen Spelke und Fei Xu (2000). Sie, wie auch Butterworth (1999), kamen ebenfalls zur Erkenntnis, dass ein angeborenes Zahlenmodul im neurotypischen menschlichen Gehirn existiert. Zur Untermauerung dieser These weist Butterworth auf die offenbar universale menschliche Fähigkeit hin, eine Anzahl von eins bis vier Gegenständen sofort zu erkennen, ohne sie zählen zu müssen.
Vereinzelt werden erbliche Einflüsse als ein begünstigender Faktor der Inselbegabung angesehen. Nurmi et al. (2003) identifizierten unter 94 Familien mit gehäuftem Auftreten der Autismus-Spektrum-Störung 21 Familien, in denen Familienmitglieder Inselbegabungen vorwiesen. Eine genetische Analyse zeigte, dass bei ihnen eine bestimmte Kombination der Genvarianten auf dem 15. Chromosom häufiger auftrat als in den Familien mit Autismus, aber ohne Inselbegabungen. Andere Forschungsergebnisse stellten ebenfalls Genvariationen am 15. Chromosom fest (z. B. Ma et al., 2005). Damit sahen sie die Theorie bestätigt, die Ursache des Syndroms wäre hereditärer Natur. Wie und ob sich die Inselbegabungen in diesem Fall manifestieren, hänge von vielen weiteren Umwelt- und genetischen Faktoren ab, so Nurmi et al. Diese Theorie deckt sich mit der von Treffert (1988), der ebenfalls bei erblichen Einflüssen eher einen begünstigenden Faktor vermutet als eine universelle Erklärung. Der Rückschluss, hereditäre Einflüsse wären ein – aber kein alleiniger – Faktor, stellten bereits Rife und Snyder (1931) vor knapp 90 Jahren fest. Sie untersuchten 33 Patienten und deren Familien und fanden heraus, dass die Art der Inselbegabung sowohl beim retardierten Patienten als auch bei Verwandten mit normalem Intelligenzniveau auftrat. Sie folgerten, dass die herausragende Leistung nicht ausschließlich durch Übung entstanden sei und schlossen somit eine rein behaviorale Erklärung des Phänomens aus. Inselbegabte haben ihrer Ansicht nach durch Zufall zwei Faktoren geerbt: den der mentalen Retardierung einerseits und den der speziellen Fähigkeit andererseits.
Es gibt auch Theorien, die den erblichen Einfluss am Syndrom der Inselbegabung als wesentlich größer vermuten. Amidzic et al. (Amidzic, Riehle, Fehr, Wienbruch & Elbert, 2007) sind nach Untersuchungen bei Schachgroßmeistern zu dem Ergebnis gelangt, dass die mentale Verarbeitungsfähigkeit genetisch festgelegt ist und konstant bleibt, unabhängig davon, wie viel Zeit man in Übung und Lernanstrengung investiert. Andreasen (2005) kam zuvor zu ähnlichen Erkenntnissen, allerdings mit der Begründung, dass mehrere berühmte Familien, in denen mindestens zwei Mitglieder bedeutende kreative Beiträge leisteten, zum Beispiel die Darwins (Erasmus und sein Enkel Charles), die Brontë-Schwestern oder die Familie Bach, die von 1550 bis 1800 über acht Generationen hinweg sehr kreative Köpfe hervorbrachte. Tammet und Klostermann (2009, S. 179) kritisieren diese Studie, da sie wenig darüber aussagt, ob die Ungleichheit zwischen den Verwandten der Autoren- und Kontrollgruppe auf genetische oder soziale Faktoren zurückzuführen ist. Der Unterschied könnte zum Beispiel auch darauf beruhen, dass eine Person in ein förderndes Umfeld hineingeboren wird.
Insgesamt ist darauf zu achten, dass die Prüfung der hereditären Einflüsse auf das Syndrom der Inselbegabung nicht mit den Erkenntnissen zur Vererbbarkeit von kognitiven Fähigkeiten vermischt wird. Die Forschung zur Intelligenz kommt unstrittig zur Erkenntnis, dass das Erbgut maßgeblichen Einfluss auf die Intelligenz hat (z.B. Plomin & Stumm, 2018). Das belegen Forschungen von Rosemann (1979) an eineiigen Zwillingen sowie die Korrelationsuntersuchungen von Coon und Carey (1989) von ein- und zweieiigen Zwillingen. Voraus ging die Theorie von Charles Edward Spearman aus 1904 zur angeborenen Grundintelligenz, dem sogenannten g-Faktor. Bei der Inselbegabung handelt es sich aber in den meisten Fällen nicht um Fähigkeiten, die mit denen einer Hochbegabung vergleichbar wären. Vielmehr sind es Fähigkeiten, die mit einem einzelnen Peak vergleichbar sind und sich von den vorhandenen Einschränkungen insoweit abgrenzen, dass sie lediglich das Niveau eines Neurotypen erreichen.
Treffert (1989) beschreibt im Besonderen die Fähigkeit von Inselbegabten, nie Erlerntes zu vollführen. Er geht davon aus, dass Nervenverbindungen existieren, die in unseren Genen verwurzelt sind. Diese seien die Ursache für unsere intuitiven Handlungen und sollen bei Inselbegabten zu ihren Fähigkeiten führen. Er nennt dies „genetischer Transfer von Wissen“. So könnte dieses genetisch verankerte Gedächtnis oder der Wissenstransfer den „core savant skill“ darstellen, dem alle weiteren Fähigkeiten zugrunde liegen.
Die Vermutung liegt nahe, dass ohne eine signifikante genetische Prädisposition Inselbegabte nicht das Level einer außergewöhnlichen (prodigious) Performance erreichen (Heaton & Wallace, 2004, S. 904). Diese These erscheint auch deshalb plausibel, weil die mit der Inselbegabung verbundenen Krankheitsbilder oftmals genetische Einflüsse haben. Sofern eine Inselbegabung allerdings ausschließlich auf die Genetik zurückzuführen wäre, ließe sich eine Übertragung von Synergien auf Neurotypen wohl nicht herstellen.
Nachdem ankommende Reize vorgefiltert werden, gelangen diese Informationen in drei separate Speichersysteme des Gedächtnisses: das sensorische Gedächtnis, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Sie müssen zunächst das sensorische Gedächtnis und das Kurzzeitgedächtnis passieren, wo sie weiter gefiltert werden. Anschließend werden sie im expliziten oder impliziten Speicherareal des Langzeitgedächtnisses abgelegt. Einen wichtigen Teil des impliziten Gedächtnisses stellt das prozedurale Gedächtnis dar. Der gesamte Komplex von Filterprozessen dient als Schutz des Gehirns vor Überlastung bzw. Reizüberflutung (Hubmer, 2019). An dieser Filterfunktion scheint es Inselbegabten zu mangeln. Die Theorie der "zentralen Kohärenz" bezieht sich auf die Fähigkeit, große Mengen an Informationen zu einem bedeutungsvollen Ganzen zusammenzuziehen. Laut Frith (Frith & Herbst, 1992, S. 172) scheint diese Fähigkeit zur Zusammenfassung von Informationsbruchstücken bei Inselbegabten verändert zu sein, was eine Detailorientierung auf Kosten des Wesentlichen oder des "größeren Bildes" zur Folge hat. Neurotypen hingegen sehen zunächst „das große Ganze“ und erschließen sich dann einzelne Details, was allerdings zu Fehlern und Täuschungen führen kann (Bartlett, 1932). Diese Annahme deckt sich mit den Studienergebnissen von Baron-Cohen (Baron-Cohen, Lutchmaya & Knickmeyer, 2004), der eine schwache zentrale Kohärenz bei autistischen Kindern festgestellt hat. Diese und ähnliche Forschungen laufen wiederholt nach dem gleichen Raster ab. Neurotypen und Inselbegabte bekommen Aufgaben, mit denen ihr Bewusstsein auf Fehler getestet werden soll. Ramachandran legte den Versuchspersonen mehrere Assoziationen mit dem Wort „süß“ vor. Anschließend wurde die Gruppe gefragt, ob das Wort in der Aufzählung enthalten war. Neurotypen konnten sich fälschlicherweise lebhaft an den Begriff erinnern, während Inselbegabte die Frage richtigerweise verneinten (Ramachandran, Blakeslee & Kober, 2009). Diese Versuche wurden mit optischen Täuschungen wiederholt und bewiesen ebenfalls, dass Inselbegabte deutlich akribischer sind (Happé et al., 1996). Ein unterhaltsamer Versuch erfolgte durch Simons und Chabris (Chabris, Simons & Mallett, 2013). Sie zeigten neurotypischen Probanden Videoaufnahmen eines Baseballspiels, bei denen diese die Aufgabe hatten, die Anzahl der Würfe zu zählen. Dabei bemerkten sie nicht einen verkleideten Gorilla, der sich zwischen den Spielern bewegte.
In einem weiteren Versuch durch Wiseman (2003) wurden neurotypische Testpersonen gebeten, die Fotos in einer Zeitung zu zählen. Die meisten brauchten für die Aufgaben zwei Minuten, einige etwas länger, weil sie die Zeitung gleich zweimal durchsahen. Keine Testperson las die Überschrift in Großbuchstaben: HÖREN SIE AUF ZU ZÄHLEN - ES SIND 43 FOTOS IN DIESER ZEITUNG! Die Versuchspersonen bewiesen ihre kognitive Filterfunktion, in dem sie sich ausschließlich auf die enthaltenen Fotos konzentrierten.
Nach Sacks (2018) führt die detailorientierte Wahrnehmung von Inselbegabten zu einer ständigen Reizüberflutung und lässt bereits einfachste Alltagstätigkeiten schwerfallen. Die schwache zentrale Kohärenz führt zu einer Art der Wissensaufnahme ohne Kontextualisierung oder Verständnis.
Die kognitive Filterfunktion sorgt im Gehirn für eine weitere wichtige Eigenschaft, die ein Defizit bei Inselbegabten darstellt: Dem Vergessen. Dabei ist das Vergessen wichtig. Ohne die Fähigkeit, bestimmte Vorfälle aus der Vergangenheit zu vergessen, so Nack, könnte man anderen Menschen nicht vergeben (Interview mit Gordon Bell & Frank Nack). Bei Inselbegabten ist hingegen die Eigenschaft bekannt, sich an konkrete Details zu erinnern, die schon seit vielen Jahren im Gehirn gespeichert waren, die ansonsten aber niemals den Weg in die bewusste Wahrnehmung gefunden hätten (Adam, 2018, S. 229). Forscher leiten daraus mittlerweile die Fragestellung ab, wie viele Information man weglassen muss, um Intelligenz zu fördern. Dies lässt sich auf die Erkenntnis zurückführen, Intelligenz erfordere ein höheres Abstraktionsniveau und eine Kategorisierung von Wissen. Dieses Phänomen lässt sich bei Kindern beobachten, bei denen sich das konkrete Denken noch nicht ins Abstrakte entwickelt hat (Nave, Neuman, Perlovsky & Howard, 2014). Kinder lernen zum Beispiel, die Unterschiede zwischen individuellen Katzen zu ignorieren, und gruppieren sie stattdessen in die abstrakte Kategorie „Katze“, die sich von der Kategorie „Hund“ unterscheidet.
Dass aber auch Neurotypen die gefilterten Informationen wenigstens unterbewusst abrufen können, zeigen weitere Versuche. In einer Studie von 2016 wurden Probanden Werbespots mit der Bitte gezeigt, sich die Spots zu merken, da sie am Schluss Fragen dazu gestellt bekommen sollten. Auf einem unteren Banner des Bildschirms wurden aber etliche Börsenkurse vieler Unternehmen angezeigt. Nach Ende der Präsentation wurden die Probanden nach den einzelnen Kursen befragt. Niemand hatte sich die Kurse gemerkt. Dann wurden sie gefragt, welche Aktien sie heute kaufen würden. Alle Probanden antworteten intuitiv und entschieden sich für die Aktien, die zuvor mit den größten Wachstumsraten gezeigt wurden (Betsch, Plessner, Schwieren & Gütig, 2016).
Ein anderes Beispiel für die unbewusste Wahrnehmung ist der sogenannte „Cocktail-Party-Effekt“ (Kast, 2009, S. 88). Er beschreibt die Situation, dass man auf einer Party mit größerer Gesellschaft das Gespräch von anderen Menschen nicht verfolgt, doch sobald der eigene Name fällt, schreckt man auf. Eine Erklärung dafür ist, dass man sehr wohl Wort für Wort mitverfolgt, dies aber nur unbewusst geschieht – bis der eigene Name fällt. Nørretranders (2002) geht sogar davon aus, dass Neurotypen lediglich 0,1 Prozent der über die Sinne empfangenen Daten bewusst verarbeiten.
Treffert (1989) hält die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz nicht für eine Ursache der Inselbegabung. Er führt dazu Beispiele von Inselbegabten ins Feld, die über kein eidetisches Gedächtnis verfügen, sehr wohl aber über außergewöhnliche Fähigkeiten. Ebenso sind Fälle bekannt, bei denen keine Inselbegabung vorliegt, dennoch aber eine Störung der kognitiven Filterfunktion. Hermelin hingegen geht wenigstens bei autistischen Inselbegabungen davon aus, dass die außergewöhnlichen Leistungen möglicherweise so zustande kommen, dass „(…) sie sich zunächst auf Details und Einzelsegmente konzentrieren und Inselbegabte mit Hilfe dieser Strategie letztlich fähig sind, in sich stimmige Bilder zu schaffen, zu musizieren, kalendarische Berechnungen anzustellen, Gedichte zu schreiben oder sich Fremdsprachen anzueignen" (Hermelin, 2001, S. 64).
Neben den bisher genannten Theorien zur Ursache von Inselbegabungen gibt es noch viele weitere. Wenige sollen nachfolgend erwähnt werden. Eine Theorie geht auf pränatale Hirnschäden zurück (Jourdain & Numberger, 2001, S. 251). Hirnschäden bei Frühgeborenen können viele Ursachen haben, etwa ungünstige Bedingungen während der Schwangerschaft, Sauerstoffmangel bei der Geburt oder eine überhöhte Sauerstoffzufuhr, bei der überdies Erblindung droht. Tatsächlich ist für viele musikalische Inselbegabte die Trias aus Frühgeburt, Blindheit und starken rechtshemisphärischen Fähigkeiten kennzeichnend (Shatz, 1992). Auch Hamburger und Oppenheim (1982) sahen bereits mehrere Jahre zuvor darin einen möglichen Grund für Inselbegabungen und konkretisierten dies mit dem sogenannten Pruning, also dem massiven Zellsterben im fetalen Gehirn. Wenn die linke Hirnhälfte bereits vor dem Pruning in irgendeiner Form geschädigt wird, kann eine große Anzahl von ungebundenen, rechtshemisphärischen Nervenzellen die Aufgaben der verlorenen Zellen übernehmen. Die Superioritätspathologie nach Geschwind und Galaburda (1985) verfolgt einen ähnlichen Ansatz, wonach eine pränatale Hirnwachstumshemmung durch benachbarte Hirnareale kompensiert wird. Diese Theorie der Superiorität sieht einen Zusammenhang zwischen rechtshemisphärischen (räumlichen) Fähigkeiten, linkshemisphärischen (sprachlichen) Defiziten, Nicht-Rechtshändigkeit und Störungen des Immunsystems durch die Wirkung des Hormons Testosteron. Auch Winner und Klostermann (1998, S. 44) sowie Baron-Cohen (Baron-Cohen et al., 2004) gehen von einer Testosteronvergiftung während der Embryonalentwicklung aus. Für diese Hypothese spricht der erhöhte männliche Anteil an Inselbegabten.
Hennacy hingegen sieht einen Zusammenhang der Fähigkeiten von Inselbegabten mit der Quantenphysik. Er argumentiert, dass Inselbegabte, um zu ihren rechnerischen Ergebnissen zu gelangen, viele mögliche Lösungen gleichzeitig im Sinn haben müssen; etwas, das nur auf einer Quantenebene des Bewusstseins geschehen könne (Interview mit Diane Powell, Ken Hennacy & Peter Slezak, 22.10.2005). Slezak hingegen sieht keinen Zusammenhang zur Quantenphysik, sondern vergleicht die Inselbegabung mit der instinktiven und intuitiven Anwendung von Sprache bei Neurotypen.
Eine weitere Theorie geht auf den Einfluss einer sensorischen Deprivation zurück. Diese entsteht durch soziale Isolation aufgrund der Behinderung oder aufgrund geschädigter sensorischer Kanäle (z. B. bei Menschen ohne Hör- oder Sehvermögen). Daraus folgt Langeweile bzw. frei werdende Ressourcen, welche wiederum die Entwicklung bizarrer oder trivialer Beschäftigungen, wie das Merken von Fakten oder das Kalenderrechnen, begünstigen (Sacks, 2018). Schon Lindsley (1965) ging davon aus, dass Inselbegabte nach Stimuli streben und nur dafür einzelne Fähigkeiten entwickeln würden.
Ericsson und Faivre (1988) folgern, dass die Möglichkeit zum extensiven Üben, gemeinsam mit einem moderaten Anteil an fördernder Intervention aus dem Umfeld sowie einer angemessenen motivationalen Prädisposition, die Entstehung von Inselbegabungen zu erklären vermag. Diese These wird durch Thioux et al. (Thioux, Klaiman & Schultz, 2008) bestätigt, die kein Indiz dafür erkennen, dass dieses Wissen von Inselbegabten nicht verborgen in Neurotypen schlummert, sondern auch von ihnen erlernt und trainiert werden muss. Diese Übung würde durch Interesse beginnen. Eine Bestätigung dafür könnte sich in Forschungsergebnissen finden lassen, die eine Häufigkeit von Personen mit perseverativen Verhalten und Fokussierung auf Spezialinteressen bei Inselbegabten zeigen (O'Connor & Hermelin, 1991). Die zuvor erwähnten Stimuli können auch extrinsisch begründet sein. LaFontaine (1974) geht davon aus, dass Inselbegabte durch Lob und Interesse für ihre ungewöhnliche Begabung Anerkennung erfahren. Dadurch wird die Selbstachtung gesteigert und Inselbegabte verstärken ihre Skills. Dafür spricht ein von Treffert (1989) beschriebener Fall eines Patienten mit Inselbegabung, der sämtliche Fähigkeiten nach dem Tod seiner Bezugsperson verlor. Allerdings läge bei allen Menschen mit Behinderungen die Motivation zugrunde, kompensatorisch eine herausragende Leistung zu entwickeln - kaum einer von ihnen erreicht jedoch den Grad einer Inselbegabung. Somit müssen spezifische Faktoren vorliegen, die Inselbegabte vom Rest der geistig Behinderten unterscheiden.
Möchte man Diagnosekriterien aufstellen, müssen diese den Grundsätzen der Gemeinsamkeit und Einzigartigkeit entsprechen. Es sind also Eigenschaften festzulegen, die alle Inselbegabten gemein haben und mit denen sie sich zugleich von Anderen abgrenzen. Dass diese bislang nicht existieren, liegt zunächst einmal daran, dass die Inselbegabung keine Erkrankung ist, für die eine Klassifikation existieren würde, sondern vielmehr ein „Syndrom“ im Sinne einer Begleiterscheinung (Neumann, 2015, S. 8; Treffert, 1989). Dabei scheitert es bereits an Diagnosekriterien zur allgemeinen geistigen Behinderung, die bislang nach F70 bis F79 ICD-10 nur auf einen IQ von unter 70 abstellen (Haydt, Greenspan & Agharkar, 2014). Zur Diagnose ist daher zunächst eine Bestimmung erforderlich. Hoffman und Reeves (1979) kamen zu dem Schluss, dass die notwendigen Bedingungen ein minimales kognitives Funktionsniveau, intensives Üben und Motivieren, starke Verstärkung zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der ungewöhnlichen Fähigkeit sowie idiosynkratisches Muster der intellektuellen Leistung mit überlegener Eignung und Vorliebe für mechanische Aufgaben sind. Tammet (Tammet & Klostermann, 2009, S. 72) sah als Gemeinsamkeit das Erinnerungsvermögen und die Fähigkeit, sich an eine gewaltige Fülle von sehr speziellen Informationen erinnern zu können. Diese Beschreibungen erscheinen aber als nicht eindeutig, messbar und abgrenzbar zu anderen Syndromen bzw. Krankheitsbildern. Zumal der Umkehrschluss nicht zulässig ist und das Vorliegen der Fähigkeit nicht zwangsläufig die Diagnose der Inselbegabung erlaubt.
Ein solches eindeutige Merkmal wäre bspw. die Form oder Größe des Gehirns. Die Korrelation von Leistungsfähigkeit und der Größe des Gehirns war zwar vorrangig Anfang des 20. Jahrhunderts von Forschungsinteresse, ist aber auch heute noch Gegenstand von (umstrittenen) wissenschaftlichen Untersuchungen (z. B. Burrell, 2003; Deary et al., 2007; Holt, 2005). Mehrere postmortem-Untersuchungen ergaben aber, dass sich das Gehirn in Form und Gewicht nicht von neurotypischen Gehirnen unterscheidet (Treffert, 1989, S. 158–159). Eine andere Möglichkeit wäre, Gemeinsamkeiten mit anderen Syndromen zu finden, um dann eine Abgrenzung zu entwickeln. Hier könnte sich die Hochbegabung eignen, die in vielen Bereichen Ähnlichkeiten mit Inselbegabungen aufweist (Winner & Klostermann, 1998, S. 283). Allerdings basiert auch der Begriff der Begabung in der Psychologie und Erziehungswissenschaft auf keiner klaren Definition (Neumann, 2015, S. 3). Dabei hatte Perkins (1984) bereits die Kreativität als Haupterkennungsmerkmal für eine Begabung definiert und Kriterien festgelegt. Demnach sei Kreativität eine Aktivität und kein Zustand. Außerdem sei eine Zielgerichtetheit erforderlich. Ob diese Zielgerichtetheit bei den Leistungen von Inselbegabten eine wesentliche Rolle spielt, ist fraglich. Die Bestimmung einer Hochbegabung erfolgt dabei in der Regel durch einen IQ-Test, bei dem ein allgemeiner Punktwert ermittelt wird. Der IQ bildet die Grundlage für die Zulassung zu speziellen Förderprogrammen ebenso wie für die Aufnahme in psychologischen Studien (Winner & Klostermann, 1998, S. 17). Den Zusammenhang zwischen allgemeinen Intelligenzfaktoren und den bestimmten herausragenden Leistungen von Inselbegabten hat auch Miller gesehen (Miller, 1999).
Dabei ist auch die Intelligenzforschung, d. h. deren Bestimmung und Messung, nicht unumstritten. Die Vorstellung von Intellekt und Intelligenz war schon früher für Erfolge in der Schullaufbahn und bei akademischen Fragen reserviert (Adam, 2018, S. 53–54). Dabei haben auch die letzten 100 Jahre kein geschlossenes Meinungsbild ergeben (Sternberg, 1988). Aus dem Jahr 2007 wiederum stammt eine Veröffentlichung von Schweizer Experten, in der Intelligenz inzwischen auf mehr als 70 unterschiedliche Arten interpretiert wurde (Legg & Hutter, 2007). Aber schon die Angabe über den IQ von Inselbegabten ist widersprüchlich. Miller (1998) sieht sie bei einem IQ von unter 70, Treffert und Wallace (2002, S. 16) sehen sie bei einem IQ von über 70, teilweise auch über 114. Ein denkbares Vorgehen zur Erstellung von Kriterien wäre nun, die Auffälligkeit bei den Ergebnissen eines IQ-Tests in Verbindung mit mental Retardierten als Grundlage zur Identifizierung einer Inselbegabung heranzuziehen. Diese Auffälligkeit könnten einzelne Ausschläge oder ein homogenes, hohes Niveau sein. Problematisch ist dabei aber, dass in Studien bei 20 % aller getesteten Autisten der IQ wegen erhöhter Impulsivität oder Rastlosigkeit nicht zu messen war (Poustka, Bölte, Feineis-Matthews & Schmötzer, 2004, S. 1). Hintergrund ist, dass IQ-Tests häufig hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades der Fragen subsidiär steigend aufgebaut sind. Kann ein Proband vier bis fünf Fragen nacheinander nicht beantworten, wird die Testreihe abgebrochen (Brackmann, 2017, S. 148). Unabhängig der Spezifikation von Inselbegabungen gibt es zudem eine Vielzahl an Kritiken für die unterschiedlichen IQ-Testverfahren. Ein heute noch häufig verwendeter IQ-Test ist der von Alfred Binet aus dem Jahr 1905 (Binet & Simon, 1905). Dieser – ursprünglich für Kinder entwickelte - Test steht im Zusammenhang mit dem Alter. „Wenn eine Fünfjährige bei einem IQ-Test das Ergebnis einer mental Zehnjährigen erreicht, ihr also ein IQ von 200 attestiert wird, und sie dann am nächsten Tag, der zufällig ihr sechster Geburtstag ist, wiederum mit dem (sehr weit fortgeschrittenen) Ergebnis einer mental Zehnjährigen abschneidet, so ist ihr IQ über Nacht dennoch auf 167 geschrumpft" (Adam, 2018, S. 152). Zudem wird bemängelt, dass einmalig festgestellte Untersuchungsergebnisse oft tagesabhängig seien und sich durch eine persönliche Entwicklung durchaus ändern können. Insbesondere für Inselbegabte dürfte ein zusätzlicher Nachteil sein, dass künstlerische, sportliche, musische Begabungen und die sogenannte emotionale oder soziale Intelligenz in diesen Tests nicht ausführlich oder differenziert berücksichtigt werden (Reichardt, 2018, S. 59). Gerade diese nicht berücksichtigten Testfelder decken sich in vielen Fällen mit den Fähigkeiten von Inselbegabten. Hermelin (2001, S. 18) geht sogar davon aus, dass sich ungefähr die Hälfte der Inselbegabten nicht durch einen IQ-Tests erkennen ließen, da sie bei einem allgemeinen Intelligenztests in einem oder mehreren Untertest Werte erzielen, die einem normalen geistigen Funktionsniveau entsprechen. Auch Fälle von Hochbegabung sind nicht primär durch einen überdurchschnittlich hohen IQ gekennzeichnet, sondern eher durch andere, kreativere Denkmuster bzw. Herangehensweisen an Probleme (Neumann, 2015, S. 10).
Insofern lässt sich festhalten, dass ein strukturiertes Prüfraster zur Erkennung von Inselbegabten nicht möglich ist. So würden Inselbegabte ohne ASS einen IQ von >70 erreichen können und damit nicht als mental Retardiert gelten Zum anderen auch deshalb, weil außerordentliche Leistungen nicht automatisch dem Syndrom der Inselbegabung zugeschrieben werden können. Dadurch lässt sich keine Abgrenzung zu ähnlichen Syndromen oder Krankheitsbildern wie der Hochbegabung, den high-functional Autismus oder Neurotypen mit partiellen Defiziten vornehmen.
Die Mehrheit der Fähigkeiten, die Inselbegabte aufweisen, sind der rechten Hemisphäre zuzuordnen. Dazu gehören Musik, bildende Kunst, Rechenfertigkeiten sowie Fähigkeiten mechanischer oder räumlicher Art (Neumann, 2015, S. 5). Darüber hinaus gilt ein außerordentlich gutes Erinnerungsvermögen als typische Inselbegabung (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 4).
Im Grad der Ausprägung der Fähigkeit unterscheiden sich Inselbegabte erheblich. Einige von ihnen konzentrieren sich auf triviale Dinge wie das Auswendiglernen von Sportstatistiken oder Autokennzeichen. Talentiertere Personen haben musikalische oder künstlerische Fähigkeiten, die deutlich über dem liegen, was von Menschen mit ihrer Behinderung erwartet werden würde (Treffert & Wallace, 2002, S. 3). Treffert und Rebedew (2015, S. 158) geben an, dass lediglich jeder Zweite über multiple Fähigkeiten verfügt, wogegen die anderen 50 % der Inselbegabten lediglich eine ausgeprägte Fähigkeit besitzen. Bei erworbenen Syndromen zeigt sich überwiegend eine einzelne Fähigkeit. So sind Fälle bekannt, bei denen ein Junge nach einer Kopfverletzung Kalenderrechnen konnte oder ein Mann nach einer Schussverletzung eine außerordentliche technische Begabung erlangte (Steinmetzer & Müller, 2015a, S. 400). Das außergewöhnliche Gedächtnis scheint eine Fähigkeit aller Inselbegabten zu sein. Treffert (2002, S. 3) beschreibt die Funktionsweise des Erinnerns als eng fokussiert und tiefgehend, aber rein schematisch und praktisch ohne inhaltliches Verständnis für die Sache. Auch Heavey et al. (Heavey, Hermelin, Crane & Pring, 2012) haben in einer Studie festgestellt, dass die Gedächtnisleistungen von Inselbegabten nicht universell gut seien, sondern lediglich in ihren präferierten Bereichen. Eine vorausgegangene Studie aus dem Jahr 1993 (Pring & Hermelin) kam zu dem Ergebnis, dass das Gedächtnis von Inselbegabten nicht nur photographisch funktioniert, da Inselbegabte ihre Erinnerungen klassifizieren würden. Weit verbreitend sind Fähigkeiten in den Bereichen Sprache und Musik. Auch wenn beide Bereiche sehr unterschiedlich wirken, folgen sie doch der gleichen Symmetrie. Diese evolutionär bedingte Symmetrie in der Sprache lässt sich heute noch erkennen und zeigt, dass auch für Neurotypen Logik im täglichen Gebrauch bzw. Synästhesie unverzichtbar ist. Symmetrie fußt auf dieser einheitlichen Logik. Ramachandran und Hirstein (1999) glauben, dass die Empfindung von Symmetrie evolutionäre Historie und Merkmal biologischer Formen hätte. Unsere Vorfahren hätten so potenzielle Räuber, Beutetiere oder Partner erkannt. Eine ihrer Studien bestätigt dies, bei der Neugeborene länger auf symmetrische Bilder schauen als auf asymmetrische. Die Sprache basiert auf dieser Logik, nachdem sie sich aus Lauten ableitet, die an die jeweils beschriebenen Objekte erinnern (Lakoff & Johnson, 1981). Auch die Zungenbewegungen folgen einer Synästhesie, was an Lauten mit i´s für Verkleinerungsformen erkennbar ist und für Ramachandran den Beweis darstellt, dass sich Sprache aus der großen Zahl synästhetischer Verbindungen im menschlichen Gehirn entwickelt hat (Ramachandran & Hubbard, 2001b).
Chromsky (1969) behauptete schon vor 50 Jahren, dass Kinder ähnlich Sprache erlernen, wie Inselbegabte andere Wissensgebiete. Chomsky führt an, dass Grammatik im Bewusstsein entsteht und dass sich Kinder die Syntax nicht durch Lernen aneignen, sondern sie intuitiv generieren. Diese Funktionsweise ähnelt derer, die bei musikalischen Begabungen festgestellt wurde (Kowal-Summek, 2012, S. 47). Strukturelles Wissen dieser Art versetzt Inselbegabte nicht nur in die Lage, einem Datum aus der Vergangenheit den richtigen Wochentag zuzuordnen oder ein Musikstück nachzuspielen, sondern dient ihnen auch als Ausgangsbasis dafür, zukünftige Daten zu berechnen oder neue Musik zu kreieren (Hermelin, 2001, S. 207). Grundlage ist die mentale Strategie, aus Einzelelementen übergreifende Muster und Strukturen höherer Ordnung abzuleiten. Dagegen gehen die meisten Neurotypen beim Denken und anderen geistigen Prozessen genau umgekehrt vor (Hermelin, 2001, S. 207). Miller (Miller & Newman, 1989) stellt fest, dass alle musikalischen Inselbegabten ein absolutes Gehör besäßen und schlussfolgert, dass das intuitive Begreifen höherer musikalischer Strukturen darauf beruht. Das absolute Gehör allein reicht zwar nicht aus, damit sich eine musikalische Inselbegabung entwickeln kann, doch es ist möglicherweise eine notwendige Vorstufe.
Auch die mathematischen Fähigkeiten folgen dieser Logik. Mitchell behauptete noch 1907, dass manche der großen Rechenkünstler von bestimmten Eigenschaften der Zahlen ausgehen, andere sich eher auf arithmetische Verfahren stützen und wieder andere raffinierte Schnellverfahren und Symmetrien nutzen, die sie entdeckt haben (Mitchell, 1907). Eine weitere Theorie für Kalenderbegabungen geht von dem Gedanken aus, dass das Gedächtnis durch ausgiebiges Üben gestärkt wird. Allerdings entdeckte der Psychologe W. A. Horwitz, der ein inselbegabtes Zwillingspaar untersuchte, dass einer der beiden Probanden die Wochentage für einen Zeitraum von fast 40.000 Jahren angeben konnte. Diese Zeitspanne ist bei weitem zu groß, als dass er sich die betreffenden Einzelinformationen durch das Studieren von Kalendern und durch Üben und Memorieren hätte aneignen können. Dennoch favorisieren nach wie vor viele Wissenschaftler die Hypothese, dass Kalender-Inselbegabte sich auf ein Gedächtnis für Einzeldaten stützen, das sie durch ausgiebiges Üben trainieren (Horwitz, Kestenbaum, Person & Jarvik, 1965). Sacks (2018) berichtet von einem Fall, in dem ein Inselbegabter spontan die (dreistellige) Anzahl an Streichhölzern benennen konnte, die aus einer Schachtel vor ihm auf den Boden fielen. Unabhängig davon, dass Tammet (Tammet & Klostermann, 2009) diese Fähigkeit grundsätzlich anzweifelt und anderweitige Erklärungen liefert, sind auch neurotypische Gehirne fähig, die Anzahl von Gegenständen ohne systematisches Zählen zu sehen (Tammet, 2015, S. 186). In der Neurologie wird diese Fähigkeit als Subitieren bezeichnet.
Ergänzend sind vereinzelt weitere Fähigkeiten bekannt. Dazu gehören auch atypische Kenntnisse in Gebieten wie Geschichte, Neurophysiologie, Statistik oder Navigation. Eine besondere Sensibilität für Gerüche oder visuelle Reize ist ebenfalls bekannt. Unter die eher seltenen Talente fallen zudem räumliche Fähigkeiten (Treffert & Wallace, 2002, S. 2). Außergewöhnliche mechanische Fähigkeiten sind genauso dokumentiert (Treffert, 1989, S. 92–94) wie Erzählungen über angeblich hellseherische Fähigkeiten, die aber nicht belegt werden konnten (Rimland, 1978).
Die meisten Fähigkeiten lassen sich neben der kognitiven Möglichkeit auch mit einem ausgeprägten Interesse begründen (Neumann, 2015, S. 5). Dieses Interesse ist Antreiber und Voraussetzung, aber auch zugleich Risiko. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass Inselbegabte ihre Begabungen verlieren. Dies mag am schwindenden Interesse oder dem Wegfall eines Kompensationserfordernisses liegen. Es sind Fälle bekannt, bei denen Inselbegabte ihre zeichnerischen Fähigkeiten verloren, nachdem ihre sprachlichen Fähigkeiten therapiert wurden (Park, 1978). Grandin (1992, S. 120) geht davon aus, dass in diesen Fällen die Fähigkeiten wiederbelebt werden können. Treffert (1989, 263–265) wirft daher die Frage auf, ob heil- oder sonderpädagogische Förderungsmaßnahmen moralisch zu vertreten sind, wenn damit der Verlust der besonderen Begabungen oder Stärken einhergehen kann.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Funktionsweise immer einer Logik und Struktur folgt. Dies sind die Gemeinsamkeiten aller Fähigkeiten von Inselbegabten. Dabei sind diese Eigenschaften auch in Bereichen zu finden, in denen man sie nicht vermutet hätte, so zum Beispiel in der Kunst.
Obwohl die Inselbegabung viele Fähigkeiten vereint, steht jedoch fest, dass dem Syndrom der Inselbegabung kognitive Beeinträchtigungen zugrundeliegen. Mit einer kognitiven Beeinträchtigung ist die zum Teil erhebliche Einschränkung von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Orientierung, Imagination, Introspektion und anderen kognitiven Leistungen gemeint (Neumann, 2015). Zudem ist ihre Kreativität gering (Viscott, 1969). Hermelin (Hermelin, 2001, S. 229) behauptet, dass diese Beeinträchtigung natürliche Grenzen hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten setzt. Ihr zur Folge können sich Inselbegabte nicht zu Genies entwickeln, was einen Widerspruch zur der Vermutung von Fitzgerald (2019) darstellt, wonach viele bekannte und erfolgreiche Persönlichkeiten eine Inselbegabung vorzuweisen hätten.
Dabei ist wiederholt anzumerken, dass die Inselbegabung keine Krankheit ist, sondern eine neurologische Disposition mit defizitären Begleiterscheinungen (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 3). Hinsichtlich der Beeinträchtigungen ist daher weniger auf die Inselbegabung als solche, sondern vielmehr auf die eigentlichen Erkrankungen abzustellen, die mit der Inselbegabung einhergehen. Hier ist zunächst die Autismus-Spektrum-Störung zu nennen. Nach Kanner (1943) besteht ein Bedürfnis nach Eintönigkeit und Berechenbarkeit. Dieses Beharren auf Eintönigkeit geht mit einer starken Einengung des Interessenspektrums einher. Zur Berechenbarkeit entwickeln sie Rituale, die beruhigend wirken (Hermelin, 2001, S. 53). Diese Form der Ordnung und Struktur ist überlebenswichtig, um sich zu orientieren, Halt zu finden und emotionale Reize zu verarbeiten (Brackmann, 2017, S. 154). Im Gegensatz zu Neurotypen neigen Autisten nicht dazu, von Dingen und Ereignissen nur einen allgemeinen Eindruck im Gedächtnis zu behalten (Bartlett, 1932). Selfe (1983) berichtete von einem „abnormalen Aufmerksamkeitsfokus“, der die Erklärung für die exakte Wiedergabe kleinster Einzelheiten erklären würde.
Für einzelne Inselbegabte trifft zu, dass sie aufgrund ihrer geistigen Behinderungen meistens nicht eigenständig leben können oder ständige Hilfe und Förderung benötigen (Hermelin, 2001, S. 18–19). Als Hauptursache gilt auch die Beeinträchtigung im Aufbau sozialer Kontakte. Wobei nicht erforscht ist, ob diese Eigenschaft dem Syndrom der Inselbegabung oder der Erkrankung zuzurechnen ist [Asperger (1944) beschrieb z. B. die Beziehungsebene von Autisten als gestört]. Brackmann forschte an inselbegabten Kindern und stellte Beeinträchtigungen bei Aufgaben fest, die u.a. Kommunikation erforderten, mehrdeutig waren, Zeitdruck bestand und die Berücksichtigung vieler Aspekte gleichzeitig erforderten. Werte im oberen Extrembereich (IQ über 140) erzielten die Inselbegabten hingegen in Aufgaben, „die 1. eindeutig waren, 2. keine Kommunikation erforderten, 3. ohne Zeitdruck auszuführen sind und 4. die Konzentration auf einen oder einige wenige Aspekte erlauben" (Brackmann, 2017, S. 145).
Die Auswirkungen dieser Beeinträchtigungen zeigen sich auch in der späteren beruflichen Eingliederung. So sind im Jahr 2001 nur 12 % der Personen mit High-Functioning-Autismus oder Asperger-Syndrom einer Vollzeitbeschäftigung nachgegangen. Allerdings waren im gleichen Zeitraum 49 % der Personen mit anderen Behinderungen und 81 % der Personen ohne Behinderung erwerbstätig (Lever, 2016, S. 2 und Tammet, 2016, S. 166, Angaben beziehen sich auf Großbritannien). Dabei erhielten nur 10 % Unterstützung am Arbeitsplatz (Bancroft K., Batten, Lambert & Madders, 2013). Eine ähnliche Untersuchung, welche die Entwicklung von High-Functioning-autistischen Kindern bis ins Erwachsenenalter begleitete, zeigte, dass nur 5 von 18 Kindern den Weg in eine feste Anstellung fanden (Wing, 1992, S. 133–134). Auch wenn High-Functioning-Autismus nicht mit einer Inselbegabung identisch ist, ist dennoch fraglich, ob nicht einzelne Berufe besser auf die Fähigkeiten und Beeinträchtigungen eingehen und damit eine Eingliederung ermöglichen können. Berufe in Bibliotheken, Archiven oder in der Softwareentwicklung und Datenbankadministration seien hier nur beispielhaft erwähnt. Aktuell sprechen die Statistiken das eindeutige Bild, wonach hochqualifizierte "behinderte" Menschen weiterhin überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind (Pfaff, 2018, S. 236).
Eine Studie der BKK aus dem Jahr 2010 stellte fest, dass 6,7 % der Erwerbslosen an einer psychischen Störung (= Kapitel V der ICD 10) leiden. Dagegen sind es 1,1 % unter den Erwerbstätigen (abgedruckt in: Mohr & Hollederer, 2015). Nur 57 % der psychisch Erkrankten befinden sich im Erwerbsleben; lediglich 5,6 % sind vollbeschäftigt (Mecklenburg & Stock, 2010, S. 79). Die Korrelation von psychischer Erkrankung und Erwerbslosigkeit kann aber keine Aussage über die Kausalität bzw. dem Ursache-/Wirkungszusammenhang leisten. Unterstützungsleistungen sind in mehreren Bereichen denkbar. Steinhausen (2002) benennt Behandlungsmethoden und (Verhaltens-)therapien, die vor allem die soziale und kommunikative Entwicklung unterstützen sollen sowie Verhalten abbauen, dass das Erlernen von Techniken zur Bewältigung des Alltags und zum Aufbau sozialer Kontakte behindert. Daneben bietet die Digitalisierung Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation, Emotionen leichter auszudrücken und zu verstehen sowie Hemmnisse abzubauen (Tammet, 2016, S. 162).
Die Beeinträchtigungen der Inselbegabung sind also abhängig vom jeweiligen Erkrankungsbild facettenreich und in Art und Ausprägung unterschiedlich. Eine Förderung und Unterstützung ist bislang nicht befriedigend, dies belegen die Arbeitsmarktzahlen und erhöhten Arbeitslosenquoten. Dabei ist eine Förderung durch Therapien oder spezifische Berufsfelder durchaus möglich.
Übertragungsversuche und –möglichkeiten sind wechselseitig zu betrachten. Gegenstand dieses Abschnitts ist deshalb einerseits die Behandlung von Inselbegabten und andererseits die Adaption dieser außergewöhnlichen Fähigkeiten auch auf Neurotypen.
Zu den Behandlungsmethoden gehören – jeweils diagnosespezifisch – unterschiedliche Therapiemöglichkeiten sowie auch medikamentöse Verfahren (Dalferth, 2013, S. 41). Durch die Gesprächstherapie (als Teil einer Verhaltenstherapie) kann die Neuverschaltung stimuliert und die Verbindung zwischen rechter und linker Hemisphäre gefördert werden (Mason, Peters, Williams & Kumari, 2017). Diese gängige Therapie kann durch Virtual-Reality-Systeme unterstützt werden, die soziale Interaktionen simulieren (Tartaro, Cassell, Ratz, Lira & Nanclares-Nogués, 2015). Treffert (1989, S. 267) geht davon aus, dass das Training des Talents die Beeinträchtigung verringern kann. Zudem führt er aus, dass die Entwicklung durch Zuversichtlichkeit, Beharrlichkeit und Fürsorge gefördert werden kann (Treffert & Wallace, 2002, S. 6). Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine mögliche Autismuserkrankung nicht ursächlich, sondern lediglich symptomatisch behandelt werden kann (Kowal-Summek, 2012, S. 37). Zu ergänzen ist außerdem die TMS-Therapie, die bereits zuvor behandelt wurde und laut dem Forscher Allan W. Snyder eine zeitweise Funktionsfähigkeit der beeinträchtigten Hemisphäre hervorrufen kann (Snyder, 2009). Zu diesen Forschungsergebnissen mehren sich allerdings auch kritische Stimmen (z. B. (Young et al., 2004).
Die Versuche der Übertragung dieser Fähigkeiten auf Neurotypen sind vielfältig und vorrangig zwischen medikamentösen Therapien und Formen der Elektrostimulation zu unterscheiden. Kognitives Enhancement am Arbeitsplatz mit Medikamenten wie Psychostimulanzien, Antidementiva, Antidepressiva und Herzmitteln wie Betablocker nimmt zu (Uhle & Treier, 2019, S. 235). Die sogenannte Neuromodulation gilt als eine der am schnellsten wachsenden Marktsektoren bei Medizinprodukten (Assaf & Kerr, 2014, S. 487). So wird Lecithin in Kombination mit Cholin zur Verwendung als Gedächtnisverstärker empfohlen (Storfer, 1984). Sacks (2018, S. 201–204) beschreibt einen Patienten, der vermutlich durch einen regelmäßigen Konsum von synthetischen Medikamenten den Geruchssinn in der Intensivität eines Hundes entwickelt hat. Sogar Emotionen wie Angst, Wut und Erregung konnte der Patient per Geruch wahrnehmen. Treffert (1989, S. 225) berichtet von einer Patientin, deren Gedächtnisleistung durch die Einnahme von Natriumamytal außergewöhnlich verbessert werden konnte.
Die kognitive Elektrostimulation wurde 1999 wieder neu entdeckt (Elliott, 2014). Seitdem wurde versucht, zahlreiche Menschen mit unterschiedlichen mentalen Problemen mit einem schwachen elektrischen Strom zu behandeln. Neben der erfolgreichen Behandlung von Inselbegabten durch Snyder zeigt eine 2016 veröffentlichte Übersicht von unterschiedlichen Studien Hinweise darauf, dass elektrische Gehirnstimulation helfen kann, Symptome der Depression und Schizophrenie sowie Ess-, Angst- und Zwangsstörungen zu lindern (Kekic, Boysen, Campbell & Schmidt, 2016).
2013 wurde bei Kindern an einer Sonderschule durch eine Gehirnstimulation die Kognition insoweit verbessert, als dass diese bei Mathematik-Übungen deutlich bessere Ergebnisse erzielten (Geddes, 2015). Bei Studenten konnten durch eine Gehirnstimulation die Ergebnisse in Allgemeinbildungstests verbessert werden (Chua, Ahmed & Garcia, 2017). Es gibt ebenfalls Studien, die unter einer elektrischen Gehirnstimulation eine verbesserte Reaktionsgeschwindigkeit (Sparing et al., 2008), eine verbesserte Gedächtnisleistung (Flöel et al., 2008) und eine erhöhte Reaktionsempfindlichkeit (Clark et al., 2012) belegt haben. Ein bekanntes Problem der Hirnstimulation ist, dass sie entweder eine gewünschte Funktion oder eine ungewünschte Funktion verändern kann, da die verursachten Neuronenbeeinflussungen nicht punktuell steuerbar sind (Fitz & Reiner, 2014, S. 70). Eine weitere Variante, Inselbegabungen bei Neurotypen künstlich zu erzeugen, ist ein Implantat im Gehirn. Diese Methode nutzte zunächst der Neurowissenschaftler Kennedy, um durch einen Schlaganfall gelähmte Patienten zu therapieren (Kennedy, 1989). Seitdem wird sie auf unterschiedlichste Art und Weise angewendet, um das Gehirn zu übernatürlichen Leistungen zu bringen. Die Erkenntnisse sind zweifelhaft und gehen von telepathischen Errungenschaften (Warwick, 2004) hin zur Digitalisierung des Gedächtnisses (Kurzweil, 2013).
Die Theorie der pränatalen Testosteronvergiftung von Ungeborenen für Inselbegabungen führte zu der von Hawasli geäußerten These, die pränatale Injektion von Hormonen oder Morphogenen würde zu einer Intelligenzsteigerung führen (Hawasli et al., 2007). Weitere Versuche zur Behandlung von Inselbegabten waren in der Neurochirurgie zu beobachten. Dabei wurde gesundes Hirngewebe auf geschädigtes Hirngewebe implantiert, wodurch die Neuronen neue Fasern bildeten, sich in eine Elektronenmikrosphäre entwickelten, in angrenzende Bereiche ausbreiteten und als funktionierende neuronale Zellen fungierten (Kiesters, 1986).
Zielsetzung ist bei allem entweder die Behandlung von Inselbegabten oder die Beeinflussung von neurotypischen Gehirnen, um die Fähigkeiten der Inselbegabten zu adaptieren. Die Forscher Herrnstein und Murray (1994) gehen davon aus, dass ein durchschnittlich um drei Punkte erhöhter Intelligenzquotient der Menschen zu einer um ein Viertel reduzierten Armen-, Inhaftierten- und Schulabbrecherquote führt.
Die nachfolgenden Beispiele zeigen Inselbegabte mit unterschiedlichen Fähigkeiten und unterschiedlichen Begleiterkrankungen in Art und Ausprägung.
Daniel Tammet wurde am 31. Januar 1979 als erstes von neun Kindern in London geboren. Tammet war als Kind schwer verhaltensauffällig, ohne motorische oder sprachliche Entwicklungsverzögerungen zu zeigen. Geringe Routineabweichungen führten zu Wutanfällen mit selbstverletzendem Verhalten. Er suchte keinen Kontakt zu anderen Kindern (Tammet, 2016, S. 92). Mit vier Jahren erlitt Tammet einen epileptischen Anfall, der vom linken Temporrallappen ausging. Seither begeistert er sich für Zahlen, nimmt diese synästhetisch wahr und schreibt sich einen besonderen Blick für Detailorientierung zu (Tammet & Klostermann, 2009, S. 166). Er kann innerhalb von einer Woche eine Sprache auf Muttersprachenniveau erlernen. Heute hält er den Europarekord im Aufsagen der Kreiszahl Pi mit über 20.000 Nachkommastellen (Smith, 2011, S. 151). Er ist erfolgreicher Autor und Leiter einer Sprachschule (Tammet, 2015, S. 9). Tammet lebt in fester Partnerschaft und ist gesellschaftlich sowie beruflich voll integriert.
Nadia ist ein Beispiel für ausgeprägte Fähigkeiten, allerdings auch ebenso tiefgreifende Beeinträchtigungen. Im Alter von sechs Jahren konnte sie kaum mehr als zwei Wörter kombinieren. Es manifestierten sich alle Symptome eines frühkindlichen Autismus. Sie vermied körperlichen- und Augenkontakt (Treffert, 1989, S. 80). Ihr IQ lag zwischen 60 und 70. Im Alter von fünf Jahren hat sie das Bild „Der galoppierende Reiter“ (Abbildung 10 im Anhang 1) gemalt, obwohl sie bis dahin nur selten Pferde gesehen hat. Abbildung 11 im Anhang 1 zeigt die Zeichnung eines fünfjährigen neurotypischen Kindes zum Vergleich. Nadia konnte auch andere Tiere zeichnen, ohne sie jemals vorher gesehen zu haben (Selfe, 1977, S. 111). Im Alter von zehn verließen sie ihre Fähigkeiten (Theunissen & Schubert, 2010, S. 90–92).
Der wohl bekannteste Inselbegabte war Kim Peek. Er wurde von Darold A. Treffert persönlich als prodigious savant diagnostiziert, dessen Inselbegabung schon angeboren bzw. „congenital and present at birth“ war (Treffert & Wallace, 2002, S. 1). Peeks Gehirn zeigte von Geburt an mehrere Anomalien auf. Neben einem beschädigten Kleinhirn fehlten ihm Balken und Querbahn. Die ersten Fähigkeiten zeigte Peek im Alter von 16–20 Monaten. Peek konnte sich an jedes Buch, das ihm vorgelesen worden war, wortwörtlich erinnern. So konnte er mit den Augen die zu lesenden Zeilen mitverfolgen und sich die Buchstabenbilder der einzelnen Wörter einprägen. Im Alter von drei Jahren begann Peek, Wörter wiederzugeben, die ihm schriftlich vorlagen, was seine Eltern zu der falschen Annahme verleitete, er könne lesen. Er zeigte damit die Symptome einer Hyperlexie (= Lesen ohne zu verstehen). Peek überstrich mit beiden Augen gleichzeitig jeweils eine Seite eines Buches in ungefähr acht Sekunden. Seine Wiedergaberichtigkeit lag bei Erinnerungstests bei 98 %. Zuletzt kannte Peek 12.000 Bücher auswendig (Stegemeyer-Senst, 2017, S. 4). Aufgrund der Anomalien seines Kleinhirns konnte Peek bis zu seinem vierten Lebensjahr nicht laufen. Das aufrechte Gehen hat er bis zu seinem Lebensende nicht erlernen können; er lief immer zu einer Seite geneigt. Er zeigte nie die Symptome autistischen Verhaltens. Er ging einer beruflichen Tätigkeit nach, in dem er ohne die Hilfe von Taschenrechnern Lohngehälter berechnete. Peek war die Inspiration für die Hauptfigur des Films „Rainman“ aus dem Jahr 1988. Seit dem Oscargewinn für Rainman bis zu seinem Tod im Alter von 58 Jahren (2009) reisten er und sein Vater als Botschafter für Menschen mit kognitiven Behinderungen durch ganz Amerika (Neumann, 2015, S. 6–7).
Greta Thunberg ist eine Person mit großer medialer Aufmerksamkeit, die mehrere Anzeichen für eine Inselbegabung zeigt. Bei ihr wurde Asperger mit hochfunktionalem Autismus und Zwangsstörungen diagnostiziert (Thunberg, Thunberg & Ernman, 2019). Sie verfügt über ein photographisches Gedächtnis und behauptet, CO2-Ausstoss „sehen“ zu können. Greta hat keine sozialen Kontakte außerhalb der Familie. Die Lehrinhalte der 5. Klasse lernte sie durch nur zweistündigen Privatunterricht pro Woche (Thunberg et al., 2019, S. 37). Die wahnhafte Fixierung auf den globalen Umweltschutz lässt sich auf ihr Elternhaus zurückführen, das ebenfalls gesteigertes Engagement für Flüchtlingshilfe und Umweltschutz zeigte.
Ein letztes Beispiel handelt von einer Frau namens Pip. Beim Aufstehen im Bus stieß sie sich im Sommer 1994 den Kopf. Dies hatte eine Blutansammlung in einem Kapillargefäß zur Folge. Ein Aneurysma in ihrem Gehirn riss noch am selben Tag und sorgte für eine Subarachnoidalblutung. Nach einem Krankenhausaufenthalt erholte sie sich schnell. Obwohl sie künstlerisch nie als talentiert galt, malte sie danach gestochen scharfe Portraits. Vergleiche mit Zeichnungen aus der Vergangenheit legten eine deutliche Steigerung ihrer künstlerischen Fähigkeiten offen, siehe Abbildung 12 im Anhang 2 vor dem Unfall und Abbildung 13 nach dem Unfall im Anhang 2 (Adam, 2018, S. 206–210).
Weitere Beispiele sind zahlreich und unterscheiden sich hinsichtlich prodigious und talented savants, hinsichtlich angeborener und erworbener Fähigkeiten. Doch auch wenn die Anzahl an prodigious savants eindeutig überwiegt, sind vorrangig die populär gewordenen talented savants in der Literatur behandelt worden.
Bachelorarbeit, 58 Seiten
BWL - Unternehmensführung, Management, Organisation
Diplomarbeit, 50 Seiten
Bachelorarbeit, 44 Seiten
Bachelorarbeit, 69 Seiten
Bachelorarbeit, 138 Seiten
Bachelorarbeit, 76 Seiten
Bachelorarbeit, 58 Seiten
BWL - Unternehmensführung, Management, Organisation
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