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Bachelorarbeit, 2021
50 Seiten, Note: 1,85
1. Einleitung
1. 1 Von der Inspiration zum Thema
1. 2 Vorgehensweise und Aufbau
2. Was ist Performance-Kunst?
2. 1 Performativitat? Performativ? Performance!
2. 2 Performance-Kunst
2. 2. 1 Die Komponenten der Performance-Kunst
2. 2. 2 Performance-Kunst und ihre Zuschauenden
2. 2. 3 Historische Entwicklung der Performance-Kunst
3. Was ist Macht?
3. 1 Theorien des Machtbegriffs
3. 2 Das Spiel mit der Macht in der Performance-Kunst
4. Untersuchung des Machtverhaltnisses anhand ausgewahlter Performances
4. 1 Rhythm 0
4. 2 The Artist Is Present
4. 3 Erfahrungsraum Spannung - eigene Performance
5. Resumee
Literaturverzeichnis
Im Rahmen einer Seminarveranstaltung im Sommersemester 2017, entwickelte ich mit einer Kommilitonin zusammen die PerformanceErfahrungsraum Spannung. Herr Henschel, welcher Kunstwissenschaftler und Kunstpadagoge an der Universitat Oldenburg ist, leitete dieses Seminar mit dem Titel „Modellieren im Unterricht“. Unsere Aufgabe war es, zur alljahrlichenShowtimeeinen Raum zu gestalten, der einen elfminutigen Workshop jeglicher Art zulieB. MitRaumwar hier nicht nur ein physisch abgegrenzter Bereich gemeint, sondern auch ein Raum, der durch Interaktion mit besagter Kommilitoninund mir sowie den Besucher*innen entstehen sollte.Anlasslich dieser erwahntenShowtime 2017konzipierten | und ich eine Performance im Rahmen des Se
minars. Wahrend der Vorstellung konnten wir vier Durchlaufe vollziehen und fuhrten je- weils im Anschluss eines solchen ein von uns geplantesInterviewmit den teilnehmenden Akteur*innen, um zu erfahren, wie unsere Performance wahrgenommen wurde. Im fol- genden Absatz wird die Performance kurz dargestellt. In dieser Darstellung mag es zu Uberschneidungen mit | Erfahrungen, welche sie in ihrer Bachelorarbeit1
in einem anderen Kontext verwendete, kommen.
Die Performance: Erfahrungsraum Spannung
^^^^^^|undich waren uns einig, mittels zwischenmenschlicher Beziehung und der daraus resultierenden Spannung, einen Raum zu schaffen, in dem die Zuschauenden zu Akteur*innen werden sollten. Wir erschufeneinerseitsdurch die aufgestellten Tische sowohl einen physischen Raum innerhalb des unszur Verfugung stehenden Seminar- raumes, inwelchem zeitgleich andere Performances stattfanden. Andererseits erzeug- ten wird durch unsere korperliche Prasenz und Handlungen einen atmospharischen Raum. Bezogen auf den physischen Raum sei erwahnt, dass wir ihn bewusst derart konstruierten, dass dieser durch eine Wand von Tischen vom allgemeinen Besucher- strom groBtenteils abgeschirmt wurde und somit von auBen nicht sogleich erkennbar war, wassichhinter der aufgebautenWand abspielte. Eine spannungsgeladene Atmo- sphareversuchten wir auch durch unser auBeresErscheinungsbild zu kreieren. Wir tru- gen schwarze Kleidung undhatten weiBe Maskenaufgesetzt, welche unseren Mund und unsere Nase vollstandig bedeckten. Die Zuschauenden erhielten Anweisungen durch vorbereitete Zettel, welche mit den Imperativen „Setzen!“ oder „Modelliere!“ beschriftet waren. Auf dem Tisch platzierten wir verschiedene Materialien wie Knete oder
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Von links: Anita Schmidt,
In den Gesprachen, die wir im Anschluss der Performance mit den Teilnehmenden fiihr- ten, stellte sich heraus, dass einige Teilnehmende die Situation in den schulischen Kon- text brachten, in welchem das Losen von Aufgaben zum Teil unter Druck tiblich ist. An- dere hingegen beschrieben, dass sie sich wie Unterworfene fuhlten und wir die Autoritat darstellten. Besonders spannend fand ich hier, dass es uns gelungen ist, ein gewisses Mali an Macht auszuuben, umso mehr, wenn man berucksichtigt, dass wir diese selbst an Personen demonstrieren konnten, die uns anscheinend uberlegen waren, sei es etwa in Bezug auf Alter Oder Status. Hierbei war auch festzustellen, dass unsere Machtaus- iibung unterschiedlich wirkte. Wahrend bei einigen eine leichte MaBreglung vollig ausreichend war, mussten wir bei anderen viel energischer und radikaler durchgreifen, um unseren Willen im Sinne der Performance durchzusetzen.
Inspiration fur unsere Performance lieferten Werke wieRhythm 0oderThe Artist Is Presentvon Marina Abramovic. Wichtig zu erwahnen ist, dass bei AbramovicsRhythm 0die Lebensgefahr der Kunstlerin eine wesentliche Rolle spielte. Obwohl und ich auch einen Tisch mit Materialien ausgebreitet hatten, wirktendiese nicht gefahr- lich und luden eher zum Spielen oder Basteln ein (vgl. Abbildung 1). Allerdings hatten die Zuschauer*innen uns unter Umstanden auch korperlich angehen konnen, da wir ebenfallszu handgreiflichen Interventionen, wie zum Beispiel die Hand des Zuschauen- den wegnehmen, den Tisch ruckartig verschieben etc., griffen. Hier hatte der Zuschau- ende aus der Notwehr heraus eingreifen konnen. Obwohl sich unsere Performance in diesem Fall als ungefahrlich einstufen lieB, versuchten wir dennoch mit Autoritat und Macht zu spielen. So stellten wir fest, dass zwischen den Zuschauenden und uns immer mehr eine heterogene Machtdynamik und ein variables Machtverhaltnis entstanden. Wahrend der Interviews horten wir oft, dass die Zuschauenden sich angespannt und unterjocht gefuhlt haben. Aucherwahnten einige der Zuschauenden, dass sie sich gerne getraut hatten,noch intensiver zu intervenieren. Diese unterschiedlichenMachtausubun- gen der Akteur*innen und die scheinbare Machtdynamik innerhalb der Performance weckten mein Interesse. DieseVerhaltnisse und die Dynamikin der Wechselbeziehung der Macht, die sich zwischen uns Performerinnen und den Mitwirkenden abspielten, er- schienen mir als ein sehr interessantes Forschungsobjekt. Insbesondere deshalb, weil sich mir bei der Performance die Gelegenheit bot, einmal die direkteErfahrung aus der Sichtweisevon Kunstschaffendenzu erleben.
In dieser Bachelorarbeit mochte ich genau diese Dynamik untersuchen und widme mich folgender Fragen: Was fuhrt dazu, dass Zuschauer*innen Macht wahrend einer Performance zulassenoder selbst ausuben?Und welche Rolle spielen dabei die Performer*in- nen? Von diesen Fragen und der Performance inspiriert, formte sich folgende dieser Ausarbeitung zugrunde liegende Forschungsfrage:Welches Machtverhaltnis und wel- che Machtdynamik entstehen innerhalb der Performance-Kunst zwischen Kunstler*in- nen undZuschauer*innen?
Die Beantwortung der Forschungsfrage, welches Machtverhaltnis und welche Machtdy- namik zwischen Kunstler*innen und Zuschauer*innen wahrend einer Performance ent- stehen, bedarf einer Vielzahl an Erlauterungen und kunsttheoretischer sowie machtphi- losophischer Grundlagen. So wird nach dieser Einleitung im zweiten Kapitel der Begriff Performance (2.1) erortert und von anderen Kunstformen (2.2) abgegrenzt. Zudem wer- den signifikante Komponenten dieser Kunstform (2.2.1) herausgestellt und die Rolle des Zuschauenden (2.2.2.) erlautert. Dieses Kapitel schlieBt mit der historischen Entwicklung der Performance (2.2.3). Hierzu werden die Ansatze und Theorien verschiedener Au- tor*innen wie etwa Jappe, mit dem WerkPerformance Ritual ProzeB,Schimmel, Butler und Carlson herangezogen.
Nachdem die theoretische Betrachtung der Performance-Kunst erfolgte, wird im dritten Kapitel der Machtbegriff theoretisch (3.1) erlautert. Hier werden verschiedenen Macht- begrifflichkeiten thematisiert, zusammengefugt oder unterschieden. Neben FoucaultsAnalytik der Machtreihen sich verschiedene Autor*innen sowie weitere Theorien von beispielsweise Weber, Canetti oder Bourdieu in die Grundlagenbetrachtung ein. Nach- dem Performance und Macht einzeln thematisiert wurde, werden diese in Abschnitt 3.2 aufeinander bezogen und der Begriff Macht in der Performance-Kunst definiert.
Im vierten Kapitel der Ausarbeitung wird die zusammengefuhrte Definition des vorheri- gen Kapitels auf ausgewahlte Performances von Marina Abramovic und der eigenen Performance bezogen. Diese sind namentlich AbramovicsRhythm 0aus 1974 (4.1) undThe Artist Is Presentaus 2010 (4.2) sowie | und meine PerformanceErfah- rungsraum Spannung(4.3). Hier erfolgt bei Abramovics Performances zuerst eine Be- schreibung dieser und im Nachgang die Anwendung von Macht in der Performance- Kunst aus den Abschnitten 3.1 und 3.2. BeiErfahrungsraum Spannunggehen die Be- schreibung dieser Performance mit der Machtanwendung in einander uber. Die Auswahl derbeidenPerformances von Abramovicerfolgte bewusst, weil jeneauf den ersten Blick verschieden in der Machtdynamik wirken (4.1 & 4.2). Die eigene PerformanceErfah- rungsraum Spannungpasst zuAbramovics, da sie von diesen inspiriert ist und Parallelen aufzuweisen scheint (4.3). Die Erkenntnisse aus den Interviews, dass Teilnehmende sich unterworfen fuhlten oder die Situation mit Machtgefugen verbunden haben, begrun- deten die Berucksichtigung der eigenen Performance nachvollziehbar und bilden ein in- teressantes Untersuchungsobjekt bezuglich Machtverhaltnisse und -dynamik.
Nachdem somit das erste Kapitel das Thema instruierte, das zweite und dritte Kapitel die theoretische Betrachtung behandelte und das vierte Kapitel die Theorie auf die aus- gewahlten Performances bezog, wird im funften und letzten Kapitel ein Resumee gezo- gen und weitere Fragen aus dem Thema abgeleitet. In diesem Kapitel wird ebenfalls die eingangs formulierte Forschungsfrage mit den Ergebnissen der Ausarbeitung beantwor- tet.
Der folgende Abschnitt stellt einen kurzen Exkurs in die Sprachphilosophie von John L. Austin sowie in den kulturphilosophischen Diskurs Butlers dar, um den Entstehungspro- zess und die Bedeutung des Begriffs Performance zu umreiBen. Hier werden einige pragnante Merkmale behandelt, da eine umfassendere Untersuchung den Umfangdie- ser Ausarbeitung uberschreiten wurde und nicht das Hauptthema ist. Hauptanliegen ist es, ein Grundgerust zu schaffen und aufzuzeigen, welche Bedeutung Performance in der Kunst bekommt, mit dem Fokus auf der zwischenmenschlichen Beziehung von Per- formenden und Zuschauenden.
Das englische Verbto performbedeutet im Deutschentun,handeln, vollziehen, ausfuh- renoderleisten. Von diesem Verb leitet sich der Begriff Performance ab, welcher sich „sowohl als ,Auffuhrung‘ als auch als ,Ausfuhrung/Leistung‘ ubersetzen lasst" (Fischer- Lichte 2013: 53). John L. Austin fuhrte den Begriffperformativ1955 in seiner VorlesungHow to do things with wordsin Harvard ein. Das Wortperformativist ein Neologismus, welchen Austin einfuhrte, um ein sprachliches Phanomen darzustellen. Nach Austin dient Sprache nicht nur der Feststellung einer Tatsache oder eines Sachverhalts, son- dern sie erweist sich auch als performativ in dem Sinne, dass mit ihr wirkliche Handlun- gen einhergehen konnen(vgl. Austin 1979: 29).Veranschaulichtwirddiesmit dem Aus- spruchdes*derStandesbeamten*Standesbeamtin, wenn er*sie sagt:„Hiermit erklare ich Sie zu Mann und Frau“ (Fischer-Lichte 2013: 38), wobei hier keine Feststellung getrof- fen, sondern mit diesem Ausspruch eine neue Realitat geschaffen werde (vgl. Fischer- Lichte 2013: 37f.).
„Das Aussprechen dieser Satze hat die Welt verandert. Denn die Satze sagen nicht nur etwas, sondern sie vollziehen nur die Handlung, von der sie sprechen. Sie sind selbstre- ferentiell, das heiBt beziehen sich auf sich selbst, insofern sie das bedeuten, was sie tun, und sie sind wirklichkeitskonstituierend“ (vgl. Fischer-Lichte 2013: 38).
Allerdings kann das schiere Aussprechen der passenden Formulierung keineswegs auch als Garant fur den Erfolg gewertet werden, sofern die Umstande nicht kongruent sind. Wenn im obigen Beispiel der Trauspruch der EheschlieBung von einer nicht auto- risierten Person geauBert wurde, ware die EheschlieBung nicht vollzogen und somit ware dieperformative Au&erungmisslungen. Schlussfolgernd musste eine soziale oder gar institutionelle Rahmenbedingung gegeben sein, da die Aussage allein in dieser Situation nicht ausreichendware (vgl. Fischer-Lichte 2013: 38). Wie kann dieses sprachli- che Phanomen mit Kunst-Performances in Verbindung gebracht werden? Um diese Frage beantworten zu konnen, ist es hilfreich, die Ausfuhrungen der Kulturphilosophin Judith Butler in ihrem EssayPerformative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theoryzu berucksichtigen. Butler erweitert den von Austin beschriebenen performativen Begriff von reinen Sprechhandlungen auf korperliche Handlungen (vgl. Butler 1990: 270f.). Im Mittelpunkt der Betrachtung Butlers steht ahn- lich wie bei Austin, die „transformative Kraft des Performativen, die imstande ist, soziale Wirklichkeit zu konstituieren“ (Fischer-Lichte 2013: 41). Allerdings geht Butler nicht von der Sprachphilosophie als Bezugspunkt aus, sondern vielmehr vom Phanomen der Handlung (vgl. Fischer-Lichte 2013: 41). In dem oben erwahnten Essay stellt Butler die These auf, dass etwa die Geschlechtsidentitatperformedwird und somit eine soziale Realitat darstellt(vgl. Butler 1990: 270f.). Dadurch, dass Butler Geschlechtsidentitat mit dem Auffuhren beziehungsweise dem Performen einer Rolle in Verbindung bringt, stellt sie den Bezug zum Theater her (vgl. Fischer-Lichter2013: 38-42). Diesersoziale Aspekt kann mit Max Herrmannsneuem Theater-Verstandnisin Verbindung gebracht werden. Herrmann betrachtete Anfang des 20. Jahrhunderts Theaterwissenschaft als eigene Kunstwissenschaft und trennte sie von der Literaturwissenschaft. Seine Ausfuhrungen beschreiben das Zusammenspiel zwischen Darstellenden und Zuschauenden, wenn er erlautert, dass der ursprungliche Sinn des Theaters darin bestehe, dass „Theater ein soziales Spiel war [ [ [...]. Ein Spiel, in dem Alle Teilnehmer sind, -Teilnehmer und Zu- schauer“ (Herrmann 1981: 19). Weiterhin bezeichnet er das Publikum als mitwirkenden, gar mitspielenden Faktor (vgl. Herrmann 1981: 19). In dieser Eigenschaft als Mitwir- kende gewinnt das Publikum eine bedeutende Rolle insbesondere im Hinblick auf die Performance-Kunst. Fischer-Lichtes Beobachtung: „Was immer die Akteure tun, hat Auswirkungen auf die Zuschauer, und was immer die Zuschauer tun, hat Auswirkungen auf die Akteure und andere Zuschauer“ (Fischer-Lichte 2013: 54), lasst sich somit auch auf die Performance-Kunst ubertragen. So scheint ein wesentlicher Unterschied dersel- ben zum Theater -obwohl laut JappePerformance2 sich nicht strikt vom Theater-Genre loslosen lasst - darin zu bestehen, dass sie „echt“ ist, da hier keine Rolle von Schau- spielenden gespielt wird, sondern es sich dabeium eine Selbstdarstellung realer Perso- nen handelt(vgl. Jappe 1993: 53).
Der nachfolgende Abschnitt behandelt das Thema der Performance-Kunst. Elisabeth Jappe beschreibt im Vorwort ihres BuchesPerformance Ritual ProzeB,dass diese Kunstform zu den freiestenundspontansten Ausdrucksformen gehort, welche die Kunst des letzten Jahrhunderts hervorgebracht hat (vgl. Jappe 1993: 5).
Die Kategorie Performance hat heutzutage nicht nur als Auffuhrungskunst, sondern auch wegen ihrer Moglichkeiten der Einflussnahmein Hinblick auf lokale, globale, soziale und politische Zusammenhange immer mehr an Bedeutung gewonnen. Sie genieBt nicht nur ein Ansehen als verbindendes Element verschiedener Kunstformen, wie etwa Malerei, Video, Fotografie, Theater etc., sondern auch als Interaktions-und Kommunikationsver- such (vgl. Lange 2015: 125f.). Der Begriff Performanceim Zusammenhang mit bildender Kunst tauchte in denfruhen 1970er Jahren vermehrt auf. Nun, losgelost vom darstellen- den Spiel und Theater, etablierte sich Performance als eigene Kunstform (vgl. Jappe 1993: 9). Sie bildet eine Innovation, die nicht fur eine spezifische theatralische Vorge- hensweise steht, sondern flexible, intermediale Aktionen als soziale und asthetische Praxis kreiert (vgl. Klein & Sting 2005: 13). Ihren Ursprung findet die Performance somit bereits im 20. Jahrhundert. Hier fuhrten sogenannte Aktionen und Happenings, insbe- sondere jene der Dadaist*innen, Surrealist*innen und Futurist*innen, letzten Endes zu den performativen Kunsten, welche im Kapitel 2.2.3 zur historischen Entwicklung noch naher ausgefuhrt werden(vgl. Jappe 1993: 9).
„Performance ist bildende Kunst -wenngleich weit entfernt von der traditionellen Vorstel- lung, so doch in dem Sinne, dass auch eine Handlung ein Bild darstellen kann“ (Jappe 1993: 10). Bei Performance-Kunst gibt es keine Vorgaben bezuglich technischer Mittel oder welche Materialien und Medien verwendet werden sollen. Des Weiteren muss nicht festgelegt werden, wo, mitwem und wie lange sie durchgefuhrt wird. Hauptanliegen ei- ner Performance ist die visuelle Erfahrung und nicht ein materielles Exponat von langer- fristiger Bestandigkeit. Ein einmaliges ephemeres Ereignis soll geschaffen werden(vgl. Jappe 1993: 10f.). Das bedeutet, sieist etwas, das nur kurze Zeit Bestand hat und „mit den Sinnen wahrgenommen, im Gedachtnis festgehalten werden kann“ (Jappe 1993: 10). Der Begriffephemerstammt aus der Botanik und bezieht sich auf kurzlebige Orga- nismen (vgl. Digitales Worterbuch der deutschen Sprache 2021). Das heiBt, einsolches Ereignis geht rasch voruber und es entsteht kein fur die Dauer hergestelltes Kunstwerk (vgl. Lange 2015: 125). Kunstwerke durchlaufen bei ihrer Herstellung Prozesse, die hin- ter „verschlossenen Turen" (Jappe 1993: 10) stattfinden, woraus resultiert, dass die Of- fentlichkeit nur das fertige Produkt zu sehen bekommt. Bei einer Performance ist jetzt ein Novum, dass der Arbeitsvorgang als solcher das wichtigste Element eines Kunstwer- kes darstellt. Das kunstlerische Ausdrucksmittel ist das Geschehen selbst (vgl. Jappe 1993: 10f.).Unter Performance wird folglich eine kunstlerische Darbietung, die nicht wie- derholbar ist, bei der die Momenthaftigkeit und die korperliche Prasenz von Kunstschaf- fenden eine wichtige Rolle spielen, verstanden. Sie brechen die klassischen Elemente der bildenden Kunst auf, welche nun vom Atelier hinaus zum Publikum gelangen (vgl. Klein & Sting 2005: 12).
Die Auffuhrenden dieser Kunstform begrunden ihre Arbeiten in der Regel nicht auf Cha- raktere, die bereits von anderen Personen kreiert wurden. Die Grundlage ihrer Performance bildet haufig der eigene Korper, die personlichen Lebenslaufe und individuelle kulturelle Erfahrungen (vgl. Carlson 2004: 5). Kunstler*innennehmen somit eine zentrale Funktion wahrend einer Performance ein und stellen ein lebendes Bild dar (vgl. Jappe 1993: 10). „Das Werkzeug [.] ist der Korper des Performers im Zusammenspiel mit den Komponenten Zeit und Raum“ (Meyer 2008: 10). Zum Korper des*derKunstschaffenden fugen sich nun weitere Dimensionen, welche die Performance ausmachen, diese sind Zeit -wobei es hier keine zeitlichen Begrenzungen gibt -, dann Raum -mal ortsgebun- den, mal uberall - und nicht zuletzt die Zuschauenden und deren Verhaltnis zu Kunst- schaffenden. Die bisher klassische Rolle der*des Zuschauenden als passive*n Konsu- mierende*n wandelt sich, in dem sie*er nun mehr als Handelnde*r auftritt und in das Geschehen eingreift(vgl. Klein & Sting 2005: 12f.). Trotz Einbindung von Zuschauenden in die Performance „ist ihr Ablauf vor oder bei ihrem Beginn oder zu irgendeinem Zeit- punkt ihrer Dauer auch nicht vollstandig planbar“ (Fischer-Lichte 2013: 55). Somit kann Performance bis zu einem gewissen MaB einer Dramaturgie folgen, wobei einzurechnen ist, dass aufgrund einer einzukalkulierenden Unvorhersehbarkeit der handelnden Ak- teur*innen, von einem moglichen Ablaufkonzept abgewichen wird. Diese Unvorherseh- barkeit in Performances konnte auchdazu fuhren, dass aufgrund massiven Eingriffs sei- tens des Publikums die Auffuhrung abgebrochen wird (vgl. Fischer-Lichte 2013: 55). Eine solche Intervention besitzt die Macht, eigene Bedingungen fur den Ablauf einer Performance zu stellen, auf diese einzuwirken und sie zu lenken. Alle Beteiligten er- schaffen zusammen die Auffuhrung, bar jeglicher Vorherrschaft uber Kontrolle, denn keine*r der Mitwirkenden besitzt durchgehend die alleinige Macht oder Verfugungsge- walt (vgl. Fischer-Lichte 2013: 56).
In diesem Abschnitt werden die im vorherigen Kapitel angefuhrten Komponenten der Performance-Kunst aufgegriffen und konkretisiert. Die zu diesem Thema hervorzuhe- benden Komponenten sindZeit, RaumundKorper,welche jeweils kurz dargestellt wer- den.
Die Nutzung von Zeit bekommt in der Performance-Kunst eine neue Funktion und setzt neue MaBstabe. Wie bereits beschrieben, verlauft eine Performance in der Regel in Echtzeit und kann „auch vier Stunden, mehrere Tage oder ein ganzes Jahr dauern" (Jappe 1993: 69). Somit bildet das Element Zeit einen wichtigen Bestandteil des perfor- mativen Geschehens und hat ein Herausstellungsmerkmal inne, da es sich um eine ephemere Kunstform handelt. Wahrend Zeit im Theater manipulativ genutzt werden kann, spielt sich die Performance nur in Realzeit ab. So kann die in einem Theaterstuck behandelte Zeitspanne beliebig wiederholt werden, wohingegen die Zeitlichkeit der Performance Einmaligkeitscharakter aufweist(vgl. Jappe 1993: 53). Sie ist folglich eine ver- gangliche Handlung, die nur im Hier und Jetzt erscheint und kein dauerhaftes Werk her- vorbringt (vgl. Meyer 2008: 62ff.). Vielmehr wird Zeit wahrend einer Performance unmit- telbar erlebbar und wahrnehmbar (vgl. Fischer-Lichte 2004: 239). Die Intensitat einer Performance, insbesondere bei Dauerperformances, kann zu einer veranderten subjek- tiven Zeitwahrnehmung bei den Akteur*innen fuhren und sich mithin „schmerzhaft ge- dehnt" (Meyer 2008: 66) anfuhlen. Hier „entsteht ein lebendes Bild als Prasenz vor den Augen von Zeugen" (Meyer 2008: 63). Ein Bild, welches nicht schon vorher in der Ver- gangenheit entstanden ist, sondern augenblicklich in Erscheinung tritt, gegenwartig ist und wieder aus dem Raum und der unmittelbaren Erfahrbarkeit der Zuschauenden ent- weicht. Fischer-Lichte vergleicht diesen Umstand mit sogenannten Zeit-Inseln, wenn sie sagt: „Eine Zeit-Insel tauchte auf, wenn etwas zum Erscheinen kam, das heiBt, sich im Raum ausbreitete; und sie versank, wenn das, was in Erscheinung getreten war, wieder aus dem Raum und damit aus der Wahrnehmung verschwand" (Fischer-Lichte 2004: 230ff.).
Raum
Das obige Zitat im Kontext der Zeit lasstsich ebenso auf einen reellen Raum zu bezie- hen, also einem Raum, der als Behalter fungiert. Ahnlich wie Zeit besitzt auch Raum eine funktionale Aufgabe, einlebendiges Bild zu gestalten (vgl. Meyer 2008: 37). Jappe geht auf diesen Raum ein, wenn sie zwischen dem fingierten Raum eines Theaters und dem Raum, der fur eine Performance genutzt wird, differenziert. Die Kunstschaffenden arbeiten mit und im Raum, indem sie auf Selbigen individuell eingehen. Sie reagieren und beziehen sich auf eben diesen bei ihren Performances und greifen in die Raumlich- keit gestalterisch ein (vgl. Jappe 1993: 69).Abhangig von der Gestaltung des Raumes wird die Beziehung zwischen Zuschauenden und Performenden beeinflusst. Dieser ar- chitektonisch-geometrische Raum, der sowohl vorals auch nachder Performance existent ist und sich nicht verandert, ist zu differenzieren von dem aus derPerformance kon- struierten Raum, welcher variabel, instabil und beweglich ist. Der performative Raum kann permanent durch die „Bewegung von Menschen, Objekten, Licht [und dem; AS] Erklingen von Lauten" (Fischer-Lichte 2013: 58) modelliert werden. Im Zuge einer Performance entsteht und entwickelt sich erst der performative Raum und wird von den gegebenen Umstanden beeinflusst (vgl. Fischer-Lichte 2013: 59). Daraus ist zu erschlie- Ben, dass bei einer Performance im Prinzip zwei Raumlichkeiten parallel existieren. Feral beschreibt diese beiden Raume als physischen Raum und psychologischen Raum (vgl. Feral 1982: 176). Dieser Unterschied wird auch von Herrmann betont, der den rea- len Raum deutlich von dem durch die Performance konstruierten Raum abgrenzt. Der performative Raum ist eine Schopfung aller Mitwirkenden, der nur fur den Zeitraum der Performance besteht (vgl. Herrmann 2006: 502).
Korper
Der performative Raum entsteht zusammen mit dem Korper der*des Performenden, wel- cher eine signifikante Position in der Performance einnimmt (vgl. Jappe 1993: 7). Viel- mehr kann behauptet werden, dass der Korper des*der Kunstschaffenden eine Einheit mit seinem*ihrem Material bildet, von dem er*sie sich im Hinblick auf das eigene Werk nicht losen kann. Dieses Kunstwerk wird erst mittels des Korpers des*der Kunst- lers*Kunstlerin erschaffen (vgl. Fischer-Lichte 2004: 129). Laut Feral nutzen die Perfor- menden ihren Korper so wie ein*e Maler*in die Leinwand benutzt (vgl. Feral 1982: 171). Anders als im herkommlichen Sinne der bildenden Kunst wird hier das Werk auch nicht mit Farben, Gips oder anderen Materialien gleich einem Exponat prasentiert, sondern der Korper des*der Performenden bildet den Mittelpunkt als ein Kunstobjekt von ver- ganglicher Natur (vgl. Luthy 2009: 204f.). Somit gibt es in der Performance-Kunst kein dauerhaftes Kunstobjekt als Resultat, das losgelost von dessen Schopfer*in weiterexis- tiert. Das Resultat ist immer „fluchtig und transitorisch und aus einem eigenartigen, ja eigenwilligen Material hergestellt: aus ihrem eigenen Korper“ (Fischer-Lichte 2013: 60). Durch die schopferische Auseinandersetzung mit dem eigenen Korper als kreatives Mit- tel und der Aktivitat, die der Korper hervorbringt, entsteht eine Handlung, welche letztlich als ephemeres Werk offentlich in Erscheinung tritt (vgl. Benkel 2015: 58ff.). Der Korper bekommt hier verschiedene Funktionen, die er gleichzeitig erfullt. Die Kunstschaffenden bilden mit ihrem Korper eine Einheit, wenn sie als Subjekte ihre Werke kreieren, als Medium fungieren, in dem sie ihren eigenen Korper als Material benutzen und letztlich als Beobachtungsgegenstand der Performance gleichsam als Objekte in Erscheinung treten,an denen die Spuren der Auffuhrung zu sehen sind (vgl. Luthy 2009: 211).
Solche Spuren sind authentisch und zeigen die Realitat. Wenn dem Korper beispiels- weise eine Verletzung zugefugt wird, bei derBlut flieBt, handelt es sich auch um echtes menschliches Blut und nicht um eine Reprasentation von Blut, wie oftmals in Theater- auffuhrungen (vgl. Meyer 2008: 56).
[...]
1 : Aggression im Spannungsfeld von Pädagogik und Kunst. Untersuchung ihrer virtuellen Gefahren und Vermittlungspotenzialität im edukativen Handlungsraum Schule, Oldenburg 2019.
2 Wenn in dieser Ausarbeitung von Performance gesprochen wird, steht dies im Kontext von bil- dender Kunst, also Performance-Kunst