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Masterarbeit, 2022
130 Seiten, Note: 1,0
Einleitung
1. Begriff: Was ist Digital Nudging?
2. Prinzip: Wie funktioniert Digital Nudging?
3. Potential: Wo kann Digital Nudging eingesetzt werden?
4. Kritik: Wann ist Digital Nudging wirksam und legitim?
Schlusswort
Quellenverzeichnis
Die vorliegende Arbeit ist der Versuch einer Verortung des aktuellen Forschungsstandes zu Digital Nudging sowie einer Inventarisierung konkreter Anwendungsfelder. Sie ist in vier Kapitel unterteilt, von denen jedes einer anderen Fragestellung gewidmet ist.
Im Kapitel „Begriff: Was ist Digital Nudging?“ wird Digital Nudging aus dem historischen Kontext heraus erklärt. Dazu wird ein Bogen von den Anfängen der Wirtschaftswissenschaften bis in die Gegenwart gespannt.
Das Kapitel „Prinzip: Wie funktioniert Digital Nudging?“ widmet sich der Psychologie und stellt die wichtigsten kognitiven Verzerrungen (Biases, Heuristiken, Effekte) im Zusammenhang mit Digital Nudging vor.
Das Kapitel „Potential: Wo kann Digital Nudging eingesetzt werden?“ zeigt praktische Einsatzmöglichkeiten von Digital Nudging in unterschiedlichen Anwendungsfeldern einschließlich seiner negativen Ausprägung in Form von „Dark Patterns“.
Das Kapitel „Kritik: Wann ist Digital Nudging wirksam und legitim?“ ist dem Aufzeigen praktischer und ethischer Grenzen digitaler Nudges sowie Frameworks zu deren Erstellung gewidmet.
Die Arbeit richtet sich sowohl an Entscheidungsarchitekten („Nudger“), die Digital Nudging für gesellschaftspolitische oder kommerzielle Zwecke einsetzen möchten, als auch an Nutzer („Nudgee“), die sich im Sinne einer „digitalen Mündigkeit“1 vor ungewünschter Manipulation durch digitale Nudges schützen möchten.
Das in der Arbeit verwendete generische Maskulinum ist ausschließlich dem Lesefluss geschuldet. Selbstverständlich sind damit jedoch Personen jedweder geschlechtlichen oder genetischen Zuteilung gemeint.
„Ökonomie ist das einzige Fach, in dem zwei Forscher den Nobelpreis bekommen, weil sie das genaue Gegenteil herausgefunden haben.“
(Paul Krugman)
Vieles ist nur in seinem historischen Kontext zu verstehen. Hierin stellt Digital Nudging keine Ausnahme dar. In diesem Abschnitt möchte ich deshalb einen historischen Bogen von den Anfängen der Wirtschaftswissenschaften bis in die Gegenwart spannen.
Klassische Nationalökonomie
Während der Ära der klassischen Nationalökonomie2 besteht zunächst noch eine enge Verbindung zwischen Wirtschaftstheorie und menschlicher Psychologie. So beschreibt etwa der schottische Ökonom und Moralphilosoph Adam Smith (1723-1790) in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ aus dem Jahr 1759 menschliche Irrationalitäten wie Selbstüberschätzung, Verlustaversion, Altruismus oder den Konflikt zwischen kurz- und langfristigen Zielen.3 Smith ist demnach der erste Verhaltensökonom lange bevor er durch sein Werk „Der Wohlstand der Nationen” aus dem Jahr 1776 zum Vater der modernen Wirtschaftswissenschaften wird.4
Wie sich schon aus dem Titel dieses Standardwerks ergibt, geht es Smith dabei nicht um einen Kampf jeder gegen jeden, sondern um die Schaffung von Gemeinwohl durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes.5 So schreibt Smith: “It is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our necessities but of their advantages.”6 Smith stellt damit gleichsam die Gegenthese zu Thomas Hobbes7 auf, indem er der Verfolgung individueller Interessen einen gemeinschaftlichen Mehrwert zuschreibt.8
Neoklassische Theorie
Ende des 19. Jahrhunderts wenden sich die Ökonomen von der Psychologie ab, indem sie versuchen, ihre Disziplin nach dem Vorbild der Physik als Naturwissenschaft zu positionieren.9 So schreibt der italienische Ökonom Vilfredo Pareto 1897 in einem Brief: „Reine politische Ökonomie hat daher ein großes Interesse, sich so wenig wie möglich auf das Gebiet der Psychologie berufen zu müssen.”10 Obwohl die Psychologie zunächst noch die Entwicklung der neoklassischen Theorie beeinflusst, ist sie bald weitgehend aus der ökonomischen Debatte verschwunden.
Menschlich agierende Subjekte werden durch das Konzept des stets rational handelnden Homo Oeconomicus ersetzt.11 Als Unternehmer maximiert dieser Gewinne, als Konsument wählt er den höchstmöglichen Punkt der Indifferenzkurve.12 Fortan interessieren sich Ökonomen nur mehr dafür, wie sich Menschen entscheiden, nicht mehr dafür, warum sie es tun. Die vorherrschende Idee dabei lautet, dass rationale Agenten ihre Präferenzen durch Entscheidungen ausdrücken. Die Fokussierung auf die Entscheidung ohne Berücksichtigung der dahinterstehenden Motive erleichtert das wissenschaftliche Arbeiten, da der Blick auf den Menschen den Blick in den Menschen erübrigt.13
Ökonomischer Imperialismus
Ab den 1950ern wird das Konzept des Homo Oeconomicus über die Wirtschaft hinaus auch auf andere Lebensbereiche wie Familie, Recht oder Politik übertragen.14 Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Gary Becker beispielsweise wendet den ökonomischen Ansatz auf Gebiete an, die bislang von der Soziologie behandelt wurden, wie Heiratsverhalten, Kriminalität, Drogenkonsum oder Rassendiskriminierung. Er geht in seiner Rational-Choice-Theorie davon aus, dass Menschen alle ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen (Geld, Zeit, Wissen, Fähigkeiten) nutzenmaximierend einsetzen. Demnach sind menschliche Handlungen rationale Reaktionen auf Veränderungen der Anreize.15 Wissenschaftler wie Duncan Black, Kenneth Arrow oder Anthony Downs begründen die Neue Politische Ökonomie16, indem sie das Konzept des Homo Oeconomicus auf die Politik übertragen und fortan auch den Wähler als rationalen, individualistischen Eigennutzenmaximierer verstehen.17
Krise des Homo Oeconomicus
Ab den 1970er Jahren bekommt das neoklassische Gedankenmodell erste Risse. Spätestens seit den zahlreichen Finanzkrisen lässt sich die massive Diskrepanz zwischen ökonomischer Theorie und ökonomischer Realität nicht mehr leugnen.18 Symptome dieses Scheiterns sind unvollständige Markträumung, Überproduktion, Monopole, Massenarbeitslosigkeit, Ungleichverteilung, Ressourcenverschwendung, uvm. Ökonomische Gesetze der Standardtheorie basieren auf Annahmen, die mehr der Logik als der Realität entsprechen.19 Sie eignen sich zur Beschreibung des Soll-Zustandes, nicht aber zur Beschreibung des Ist-Zustandes. Reinhard Zintl weist deshalb zurecht darauf hin, dass der ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens vor allem dann an seine Grenzen stößt, wenn man ihm empirische Relevanz abverlangt.20
Während in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie Probleme mit Logik und Eintrittswahrscheinlichkeiten gelöst werden, ist dies in der Praxis kaum möglich.21 Da die Ökonomik keine Natur- sondern eine Sozialwissenschaft ist, ist es falsch von ökonomischen „Gesetzen“ zu sprechen. Wirtschaftliche Kenngrößen wie Mindestlöhne, Leitzinsen oder Sparquoten werden von Menschen festgelegt, weshalb ökonomische „Gesetze“ nicht entdeckt, sondern nur postuliert werden können.22
Grenzen menschlicher Rationalität
Reale Menschen verfügen nur über begrenzte zeitliche und kognitive Kapazitäten der Informationsspeicherung und -verarbeitung23, werden von Emotionen24 und sozialen Faktoren25 beeinflusst und verwenden deshalb zur Problemlösung mentale Abkürzungen (Heuristiken).26 Das bringt das Bild des rationalen Homo Oeconomicus in Bedrängnis.27 Zwar eignet er sich hervorragend, um mit ihm zu rechnen, aber er ist ungeeignet, menschliches Verhalten abzubilden, zumal er regelmäßig an empirischen Tests scheitert.28 Als stets rationale, eigennützige, emotionsfreie, willensstarke und vollständig informierte Mensch-Maschine erinnert er nicht nur stark an Mr. Spock aus der TV-Serie „Raumschiff Enterprise“, er ist vermutlich auch so realistisch wie dieser.29 In der realen Welt handelt nämlich nicht der Homo Oeconomicus sondern der Homo Sapiens.30
Deshalb beginnen Wissenschaftler damit, die Grenzen menschlicher Rationalität zu erforschen. Die im Zusammenhang mit Digital Nudging wichtigsten Theorien sind die „Bounded Rationality Theory“ von Herbert Simon sowie die „Prospect Theory“ und die „Dual Process Theory“ von Daniel Kahneman und Amos Tversky.
Bounded Rationality Theory
Der Sozialwissenschaftler und Nobelpreisträger31 Herbert Simon entwickelt Mitte der 1950er Jahre die „Bounded Rationality Theory“. Sie besagt, dass Menschen nicht vollkommen, sondern nur begrenzt rational handeln. Begrenzte Rationalität ergibt sich aus Informationsdefiziten, begrenzten kognitiven Fähigkeiten und dem Rückgriff auf Heuristiken. Auch müssen Entscheidungen unter Ungewissheit getroffen werden, wenn die Kosten zusätzlicher Informationsbeschaffung höher sind als der daraus gewonnene Nutzen. In dem Fall suchen Menschen nicht nach der optimalen Handlungsalternative, sondern nach einer, die ein bestimmtes Nutzenniveau erreicht, selbst wenn es unter Umständen bessere Alternativen gäbe. In diesem Sinne ist der Mensch kein Nutzenmaximierer, sondern lediglich ein „Satisfizierer“. Es sucht nicht das Optimum, sondern nur ein für ihn befriedigendes Ergebnis.32 Auch wenn die Bedeutung Simons für die Wirtschaftswissenschaften trotz des Nobelpreises eher gering einzuschätzen ist,33so gilt er doch als einer der Väter der Verhaltensökonomik.34
Prospect Theory
Die Psychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky stellen 1979 die „Prospect Theory“ oder auch „Neue Erwartungstheorie“ vor, die eine wesentliche Säule der Verhaltensökonomik darstellt. Sie ist eine Kritik bzw. Erweiterung der klassischen Erwartungsnutzentheorie.35 Im Unterschied zu dieser ist sie kein normativer Leitfaden für richtige Entscheidungen, sondern eine deskriptive Vorhersage tatsächlichen Verhaltens.36 So stellt die Prospect Theory etwa fest, dass sich Menschen eher auf relative als auf absolute Tradeoffs konzentrieren,37 Gewinne und Verluste unterschiedlich bewerten38 und kleine Wahrscheinlichkeiten tendenziell überschätzen.39 Kahneman und Tversky wiederlegen die Annahme rational handelnder Subjekte, indem sie aufzeigen, dass menschliches Verhalten systematisch verzerrt ist. Kahneman erhält 2002 den Wirtschaftsnobelpreis für „das Einführen von Einsichten der psychologischen Forschung in die Wirtschaftswissenschaft, besonders bezüglich Beurteilungen und Entscheidungen bei Unsicherheit“.40
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Wertfunktion der Prospect Theory41
Dual Process Theory
Der „Dual Process Theory“ zu Folge werden menschliche Entscheidungen von zwei unabhängigen Systemen getroffen. Situationsabhängig greifen die Menschen auf eines der beiden Systeme zurück:42
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Systeme der Dual Process Theory
Beide Systeme haben Vor- und Nachteile und keines ist per se besser als das andere. Vielmehr geht es darum, für die jeweilige Aufgabe das richtige System zu wählen. Routineaufgaben werden meist von System 1 abgewickelt, während System 2 dann übernimmt, wenn System 1 nicht mehr weiterweiß (Suffizienzprinzip). Diese Form der Arbeitsteilung ist äußerst effizient, denn sie minimiert den Aufwand und liefert dennoch meist gute Ergebnisse.43
Der Grund, warum Menschen auf der einen Seite großartige Leistungen vollbringen und auf der anderen Seite an einfachen Aufgaben scheitern, liegt an der Verwendung des falschen Systems.44 Oftmals wird auf die Aktivierung von System 2 verzichtet.45 Es wird geschätzt, dass 95% der täglichen Entscheidungen von System 1 erfolgen.46 Der von Shane Frederick entwickelte Cognitive Reflection Test (CRT) gilt als der kürzeste Intelligenz-Test der Welt und verdeutlicht den Konflikt zwischen beiden Systemen. 90% aller Probanden machen dabei mindestens 1 Fehler.47
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Cognitive Reflection Test
Bounded Rationality Theory, Prospect Theory und Dual Process Theory sind die wissenschaftlichen Wegbereiter der Verhaltensökonomik.48
Verhaltensökonomik
Die Verhaltensökonomik (Behavioral Economics) nutzt die Erkenntnisse verwandter Disziplinen wie Sozial-, Neuro- oder Kognitionswissenschaft, um Grenzen menschlicher Rationalität und Abweichungen vom Modell des Homo Oeconomicus aufzuzeigen.49 Sie möchte mehr Wissen über das Entscheidungsverhalten gewinnen, um die Ergebnisse in das bestehende Theoriengebäude einzuordnen und gesellschaftliche Entscheidungen wie Altersvorsorge, Gesundheit, Finanzen oder Bildung besser gestalten zu können. Die Verhaltensökonomik ist demnach der Versuch, die während der neoklassischen Wende vollzogene Eliminierung der Psychologie aus den Wirtschaftswissenschaften rückgängig zu machen.50 Sie ist sowohl Objekt- als auch Theorie-getrieben. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Mikroebene in Form von Labor- und Feldexperimenten,51 deren Grundstein der US-Ökonom und Nobelpreisträger Vernon Smith legt.52 Hinzu kommen zunehmend auch neurowissenschaftliche Messungen. Die Hypothesengewinnung erfolgt dabei sowohl induktiv als auch deduktiv.53
Die Verhaltensökonomik ist (zumindest derzeit noch) keine eigene Disziplin wie beispielsweise der Keynesianismus oder die Österreichische Schule, sondern die Erweiterung der klassischen Wirtschaftswissenschaft, deren Erkenntnisse sie nicht ablehnt, sondern um psychologische Ansätze erweitern möchte.54 Sie ist jedoch inzwischen ein anerkanntes Feld der Ökonomik, was nicht zuletzt durch die Vergabe der Wirtschaftsnobelpreise an Verhaltensökonomen belegt wird.55
Obwohl die Verhaltensökonomik die Schnittmenge aus Wirtschaftswissenschaft und Psychologie bildet, sind ihre Vertreter fast ausschließlich Ökonomen.56 Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang vor allem Richard Thaler, George Loewenstein57, Robert Shiller58, Colin Camerer59 und Eric Wanner.60 Einer der erfolgreichsten Ableger der Verhaltensökonomik ist die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie (Behavioral Finance). Diese beschäftigt sich mit irrationalem Verhalten auf Finanz- und Kapitalmärkten und steht damit in Kontrast zur traditionellen Effizienzmarkthypothese.61 Ein weiteres Anwendungsfeld ist der libertäre Paternalismus, der im nächsten Abschnitt behandelt wird.62
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Traditionelle Ökonomik vs. Verhaltensökonomik63
Libertärer Paternalismus
Der Begriff „Libertärer Paternalismus“64 (bzw. „Liberaler Paternalismus“) ist ein bewusster Widerspruch. Er versucht liberale Elemente (keine Ausübung von Zwang) mit Paternalismus (der Staat weiß, was gut für seine Bürger ist) zu vereinen. Richard Thaler und Cass Sunstein, die beiden Väter des Konzepts, verstehen unter „Paternalismus“ das Bemühen, Menschen bei der Erreichung ihrer Ziele zu unterstützen. Die Menschen sollen in Nachhinein gemessen an ihren eigenen Maßstäben besser dastehen. Es soll nur das vermieden werden, was die Menschen selbst als Fehler bezeichnen würden. Unter „libertär“ verstehen sie das Bemühen, dieses Ziel ohne Einschränkung der Entscheidungsfreiheit zu erreichen. Thaler und Sunstein bezeichnen ihren Ansatz als den „real third way“.65
Die Idee des Liberalen Paternalismus besteht darin, das Verhalten der Bürger ohne Zwang oder monetäre Anreize zu lenken. Dieser „weiche“ Paternalismus unterscheidet sich vom klassischen „harten“ Paternalismus dadurch, dass die Handlungsoptionen nicht eingeschränkt werden, sondern nur die Entscheidungsarchitektur zugunsten eines bestimmten Ergebnisses verändert wird. Unter Entscheidungsarchitektur („Choice Architecture“) versteht man die Beeinflussung der Entscheidung durch die Form der Präsentation.66 Entscheidungsarchitekten sind demnach Menschen, die das Umfeld gestalten, in dem andere Menschen Entscheidungen treffen.67 Die Verhaltensökonomie ist somit die „Wissenschaft der Entscheidungsarchitektur“.68
Im Unterschied zum Liberalismus, der davon ausgeht, dass Bürger selbst am besten wissen, was gut für sie ist, erheben sowohl weicher als auch harter Paternalismus den Anspruch, es besser zu wissen.69 Während der harte Paternalismus die Bürger durch Ge- und Verbote zwingt, so zu handeln, versucht der weiche Paternalismus seine Bürger sanft in die richtige Richtung zu „schubsen“. Der libertäre Paternalismus ist somit ein Mittelweg zwischen paternalistischer Regulierung durch den Staat und der liberalen Idee völlig rational handelnder Bürger.70
Dabei wird angenommen, dass diese Entscheidungshilfen von den Menschen positiv bewertet werden und sie die gelenkte Entscheidung bevorzugen. Vor allem die USA und Großbritannien bringen Verhaltensökonomik mit wachsender Selbstverständlichkeit in das Design und die Umsetzung ihres politischen Instrumentariums ein. Das gilt vor allem für die Bereiche Altersvorsorge, Besteuerung und Konsumentenschutz.71 Für seine Verfechter ist der libertäre Paternalismus eine Win-Win-Situation: Die Bürger führen ein besseres Leben, die öffentliche Hand hilft ihnen dabei und die Wissenschaft findet ein praktisches Anwendungsfeld, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.72
Nudging
Während der „libertäre Paternalismus“ für das Konzept steht, ist „Nudging“ („Stupsen“) die Methode zu dessen Umsetzung. Trotz dieses Unterschieds werden die beiden Begriffe meist synonym verwendet. Der Ansatz wurde 2008 von Richard Thaler und Cass Sunstein in ihrem Buch „Nudge: Verbesserung der Entscheidungen über Gesundheit, Wohlstand und Glück“ eingeführt.73 Thaler und Sunstein definieren einen Nudge als jeglichen „Aspekt der Entscheidungsarchitektur, der das Verhalten der Menschen auf vorhersehbare Weise verändert, ohne irgendwelche Optionen zu verbieten oder ihre wirtschaftlichen Anreize erheblich zu ändern.“74
Im weiteren Sinn ist Nudging der Einsatz von Verhaltensstimuli zur Erreichung intendierter Ergebnisse. Dazu zählen auch kommerzielles Marketing oder politische Meinungsbildung (Wahlwerbung, Propaganda). Die Idee von Thaler und Sunstein ist es, diese Stimuli auch im öffentlichen Kontext anzuwenden.75
Für Nudging im engeren Sinn gelten folgende Kriterien:76
- Legitimität: Nudging soll sowohl dem einzelnen als auch der Gesellschaft dienen.77
- AJBT-Kriterium: Die Menschen müssen durch Nudging bessergestellt werden „as judged by themselves”.78
- Verhältnismäßigkeit: Nudges sind die minimalinvasivste Umgestaltung der Entscheidungssituation.79
- Transparenz: Nudging darf nicht durch versteckte Designtricks oder unnötige Komplexität in die Irre führen.80
- Wahlfreiheit: Ein Nudge muss sich jederzeit leicht, d.h. ohne hohen Einsatz von Zeit, Energie oder sozialer Ächtung umgehen lassen.81
- Biases: Nudges versuchen, Biases (kognitive Verzerrungen) entweder entgegenzuwirken oder sie gezielt zu fördern.82
- Kosten: In der Regel verursacht die Einführung von Nudges keine oder nur sehr geringe Kosten.83
Abgrenzung des Nudging von verwandten Konzepten
1. Neuroökonomie ist die Brücke zwischen Neurowissenschaften, Ökonomik und Spieltheorie. Sie untersucht psychologische und physiologische Prozesse und versucht herauszufinden, was menschliche Entscheidungen steuert.84 Neurodesign nutzt die so gewonnenen Erkenntnisse, um Designs in der realen oder virtuellen Welt zu entwerfen, deren Ziel es ist, das Verhalten der Nutzer zu beeinflussen.85 Vom Nudging unterscheidet es sich dadurch, dass Neurodesign primär der Erreichung unternehmerischer Ziele dient, während Nudging auf den Bereich der Politik fokussiert.86
2. Boosting („Antreiben“) ist der Versuch, menschliche Entscheidungen durch die Stärkung von Kompetenzen zu verbessern. Während Nudging systematische Verhaltensfehler durch den Einsatz von Biases korrigieren möchte, geht Boosting von einem lernfähigen Entscheider aus und setzt auf dessen Bildung. Vorteile von Boosting gegenüber Nudging sind seine vollkommene Transparenz, die Wahrung der Autonomie sowie die Tatsache, dass die Effekte auch nach Beendigung der Maßnahmen erhalten bleiben, was bei Nudges meist nicht der Fall ist.87
3. Persuasive Technologies („Überzeugungs-Technologien“) möchten Einstellungen bzw. Verhaltensweisen der Nutzer durch Überredung und sozialen Einfluss ohne Ausübung von Zwang ändern.88 Persuasive Technologies werden zwar in allen Bereichen des Lebens (Politik, Religion, Management) eingesetzt, haben aber besondere Bedeutung bei der Mensch-Computer-Interaktion (HCI).89 Sowohl Nudging als auch Persuasion können dazu beitragen, das Nutzerverhalten in Informationssystemen zu steuern, doch sie unterscheiden sich sowohl in ihrem Ursprung als auch in ihrem normativen Anspruch.90 Während Nudging in der Ökonomik entwickelt wurde und vorschreibt, dass die Freiheit des Nudgees unbedingt gewahrt bleiben muss, hat Persuasion seinen Ursprung in der Informatik und ist hinsichtlich der Einschränkung der Freiheit offener.91
4. Mindless Computing („unbewusstes Verarbeiten“) ist ein neuer Ansatz der Persuasive Technologies und nutzt Theorien und Konzepte aus Psychologie und Verhaltensökonomik.92 Wie auch Nudging will Mindless Computing menschliches Verhalten lenken. Der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen besteht darin, dass Nudging sowohl System 1 als auch System 2 nutzt und auf die Veränderung von Umweltmerkmalen auf Gruppenebene abzielt, während Mindless Computing ausschließlich auf System 1 setzt und primär auf der Einzelebene funktioniert.93
Klassifizierung von Nudging
Zur Klassifizierung der Nudges haben mehrere Autoren unterschiedliche Taxonomien entwickelt. So differenzieren Mazar et al die Nudges anhand folgender vier Dimensionen:94
- Stärkung der Selbstkontrolle vs. Aktivierung eines gewünschten Verhaltens
- Intern (selbst auferlegt) vs. extern (von außen gesteuert)
- Bewusst (kognitiv) vs. unbewusst (Emotionen, Biases)
- Ermutigen (positive Verstärkung) vs. abhalten (negative Verstärkung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5: Klassifizierung von Nudges nach Caraban et al95
Caraban et al präsentieren zwei Vorschläge zur Klassifizierung von Nudges. Im ersten Vorschlag lehnen sie sich an das Verhaltensmodell von B.J. Fogg an, dem zu Folge Verhalten von den drei Faktoren Motivation, Fähigkeit und Auslöser bestimmt wird.96 Sind Motivation und/oder Fähigkeit gegeben, so kann der Nudge als Auslöser (Trigger) dienen. Die Autoren klassifizierten die Nudges nach drei Arten von Triggern (siehe Abb. 5 linke Grafik):97
- Facilitators (Ermöglicher): Ist ausreichende Motivation vorhanden, so erhöhen Facilitators die Fähigkeit (bzw. vereinfachen die Aufgabe), z.B. Opt-out zur Vereinfachung der Entscheidungsarchitektur.
- Sparks (Funken): Ist ausreichende Fähigkeit vorhanden, so erhöhen Sparks die Motivation, z.B. durch soziale Vergleiche.
- Signals (Signale): Sind Motivation und Fähigkeit zwar vorhanden, aber es besteht eine Diskrepanz zwischen Intention und Verhalten, so können Signals auf das richtige Verhalten hinweisen oder daran erinnern, z.B. durch Erzeugen von Unbehagen.
Ein anderes Klassifizierungsschema (siehe Abb. 5 rechte Grafik) erfolgt in Anlehnung an das Modell von Hansen und Jesperen anhand der beiden Dimensionen Transparenz (transparent vs. nicht transparent) und Reflexion (automatisches System 1 vs. reflexives System 2).98
Nudging in der Politik
Unmittelbar nach der Vorstellung des Nudge-Begriffs und der Veröffentlichung des gleichnamigen Buches im Jahr 2008 wird die Politik auf das neue Konzept aufmerksam. Die Vorreiterrolle bei der politischen Implementierung übernehmen die USA und Großbritannien. Mittlerweile wird in 150 Ländern der Erde mit Nudging gearbeitet.99
In den USA übernimmt im Jahr 2009 Cass Sunstein die Leitung des „Office of Information and Regulatory Affairs (OIRA), das der Behörde für Verwaltung und Haushaltswesen in Washington zugeordnet ist. Die Aufgabe des OIRA ist es, die wirtschaftlichen Auswirkungen neuer Gesetze zu bewerten. Sunstein ist als Berater für Barack Obama tätig und führt das OIRA bis 2012.100
In Großbritannien wird 2009 der MINDSPACE-Report veröffentlicht, der politischen Entscheidern aufzeigt, wie das Verhalten der Bürger durch Nudging gelenkt werden kann. MINDSPACE ist ein Akronym und dient als Checkliste bei der Politikgestaltung:101
- Messenger: Menschen sind davon beeinflusst, wer Informationen vermittelt
- Incentives: Reaktionen auf Anreize sind von mentalen Abkürzungen geprägt
- Norms: Menschen sind stark von dem beeinflusst, was andere tun
- Defaults: Menschen bleiben bei voreingestellten Optionen
- Salience: Menschliche Aufmerksamkeit wird auf das Neue gelenkt
- Priming: Handlungen werden durch unbewusste Hinweise beeinflusst
- Affect: Emotionalen Assoziationen prägen menschliches Handeln
- Commitments: Menschen wollen mit ihren Versprechungen im Einklang stehen
- Ego: Menschen handeln so, dass sie ein positives Bild von sich selbst haben
Angeregt durch den MINDSPACE-Report wird 2010 in Großbritannien von der Regierung unter David Cameron das „Behavioral Insights Team“ (kurz BIT bzw. „Nudge Unit“) gegründet. David Halpern übernimmt dessen Leitung, Richard Thaler wird Berater. Ziel des BIT ist es, Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung in die Politik zu integrieren, wichtige Veränderungen anzustoßen und die Effizienz des Regierungshandelns zu erhöhen.102
Im Jahr 2015 wird Richard Thaler Präsident der American Economic Association, der führenden Gesellschaft für Wirtschaftswissenschaften in den USA. Ein Jahr später wird Robert Shiller sein Nachfolger. Dies zeigt, wie sehr es der Verhaltensökonomik inzwischen gelungen ist, sich innerhalb der Wirtschaftswissenschaften zu etablieren oder wie es Thaler formuliert: „Die Verrückten haben die Leitung der Nervenheilanstalt übernommen!“103
Der endgültige Ritterschlag erfolgt im Jahr 2017 mit der Verleihung des Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften an Richard Thaler für seine Beiträge zur Verhaltensökonomik. In der Begründung der Königlich-Schwedischen Wissenschaftsakademie heißt es, Thaler habe gezeigt, dass begrenzte Rationalität, soziale Vorlieben und ein Mangel an Selbstbeherrschung systematisch Entscheidungen und Marktergebnisse beeinflussen.104
Digital Nudging
Zu seinen Anfängen wird Nudging fast ausschließlich in Offline-Umgebungen eingesetzt. Aufgrund der steigenden Anzahl digitaler Entscheidungen wird das Konzept 2016 auf den digitalen Bereich übertragen.105 Weinmann et al definieren Digital Nudging als „die Verwendung von Designelementen für Benutzeroberflächen, um das Verhalten von Menschen in Umgebungen mit digitaler Auswahl zu steuern.“106 Meske und Potthoff verstehen darunter „eine subtile Form der Nutzung von Design-, Informations- und Interaktionselementen, um das Nutzerverhalten in digitalen Umgebungen zu lenken, ohne die Entscheidungsfreiheit des Individuums einzuschränken.“107 Mirsch et al beschreiben Digital Nudging als „die Verwendung von Gestaltungselementen auf digitalen Benutzeroberflächen, um das Nutzerverhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken.“108
Digitale Nudges funktionieren, indem verändert wird, was präsentiert wird (Inhalt)109 oder wie es präsentiert wird (Design).110 Es kann so Nutzererlebnisse verbessern, bessere Entscheidungen anstupsen, Zufriedenheit und Loyalität steigern, Konversionsraten erhöhen, uvm. Viele Grundsätze, die offline gültig sind, gelten nicht im digitalen Kontext.111 Nudges dürfen deshalb nicht unreflektiert vom Offline- in den Online-Bereich übernommen, sondern müssen für den spezifischen digitalen Anwendungsfall entwickelt werden.112
Unterschiede zwischen analogem und digitalem Nudging
Im Gegensatz zum herkömmlichen Nudging konzentriert sich das digitale Nudging auf Benutzeroberflächen. Dazu zählen Websites, mobile Apps, Online-Formulare oder Schnittstellen von Organisationsinformationssystemen (ERP, CRM). Daraus ergeben sich wichtige Unterschiede zwischen digitalen und analogen Nudging:
- Kosten und Zeit: Digitale Nudges sind einfacher, schneller und billiger zu implementieren und in ihrer Wirksamkeit leichter mess- und analysierbar.113
- Personalisierung: Digitale Nudges können durch Microtargeting individuell auf den einzelnen Nutzer abgestimmt werden.114
- Hypernudging: Digitale Nudges ermöglichen durchgängige Überwachung inkl. personalisiertes Echtzeit-Feedback im Rahmen des Self-Tracking.115
- Barrieren: Digitales Nudging ist niederschwelliger, weil ein Mausklick schneller und einfacher gesetzt ist als Handlungen in der Offline-Welt.116
- Mobilität: Digitale Nudges funktionieren besonders auf mobilen Geräten, da deren Bedienung intuitiver und die emotionale Distanz geringer ist als auf einem PC.117
- Transparenz: Digitale Nudges sind meist weniger leicht erkennbar und damit vor allem bei „digital immigrants“ manipulativer.118
- Konsumentenschutz: Digitale Nudges sind individueller und flüchtiger, weshalb eine allfällige Rechtsdurchsetzung schwieriger ist.119
“Was uns in Schwierigkeiten bringt, ist nicht das, was wir nicht wissen. Es ist das, was wir mit Sicherheit wissen, was jedoch in Wahrheit falsch ist.”
(Mark Twain)
Ziele und Methode des Nudging sind überlappend. Einerseits ist es die Absicht von Nudging, kognitive Verzerrungen, die aus Biases oder der Anwendung von Heuristiken resultieren, zu verhindern oder zumindest in ihrer Wirkung abzuschwächen, andererseits nutzt Nudging genau diese kognitiven Verzerrungen, um menschliches Verhalten in die gewünschte Richtung zu schubsen. Biases und Heuristiken sind somit gleichzeitig Zweck als auch Mittel zum Zweck.
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Abb. 6: Cognitive Bias Codex120
Unter einem „Bias“ versteht man in der Psychologie eine kognitive Verzerrung, die dazu führt, dass Überzeugungen, Präferenzen oder Entscheidungen vom Normmodell des Homo Oeconomicus systematisch abweichen.121 Die Ursachen für abweichendes Verhalten liegen entweder im Individuum selbst (z.B. Limitierungen menschlichen Denkens) oder im Entscheidungskontext (z.B. soziale Normen).122 Das Feld der Biases wird ständig erweitert.123
Unter einer „Heuristik“124 versteht man eine mentale Abkürzung bzw. Daumenregel zur Bewältigung der Informationsflut.125 Je komplexer Probleme sind, desto höher ist der damit verbundene Rechenaufwand. Heuristiken vereinfachen und beschleunigen vor allem bei Unsicherheit126 das Entscheiden.127 Ein Beispiel ist der gordische Knoten, den Alexander mit dem Schwert durchtrennt. Die Lösung ist effizient (einfach und schnell), hat aber unerwünschte Nebenwirkungen (Seil durchtrennt).128 Darin zeigt sich die Ambivalenz von Heuristiken: Einerseits sind sie ein effizientes Mittel, um durch Einsatz geringer Mittel zu einem Ergebnis zu kommen, andererseits machen sie anfällig für Fehler.129
Die Grenze zwischen Bias, Heuristik, Effekt, Nudging und Dark Pattern verläuft fließend. So kann beispielsweise die menschliche Tendenz, eine aktive Entscheidung zu unterlassen (Omission) und dadurch bei der Voreinstellung (Default) bzw. beim Status-Quo zu bleiben interpretiert werden als:
- Effekt, weil es eine wertneutrale Beschreibung eines beobachteten Phänomens menschlichen Verhaltens darstellt
- Bias, weil Menschen nicht unter Abwägung von Vor- und Nachteilen den Erwartungsnutzen maximieren
- Heuristik, weil die Wahl der Voreinstellung zeit- und energiesparend ist, die Voreinstellung als Handlungsempfehlung interpretiert oder weil die mögliche Reue über eine falsche Entscheidung antizipiert wird
- Nudging, weil die Entscheidungsarchitektur so gestaltet wird, dass die Person durch die Voreinstellung bessergestellt ist
- Dark Pattern, weil die Entscheidungsarchitektur so gestaltet wird, dass die Person durch die Voreinstellung schlechter gestellt ist
Darüber hinaus sind die Effekte überlappend. So ist beispielsweise der Status Quo Bias eine Folge von Verlustaversion, Omission Bias, Default Effekt und der Angst vor Reue. Im Folgenden werden die im Zusammenhang mit (digitalem) Nudging wichtigsten Effekte in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt.
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Abb. 7: Nudging Beispiele für die Affektheuristik130
Affektheuristik
Affekt ist der Akt des Erlebens von Emotionen131. Die Affektheuristik ist eine Heuristik, die Emotionen (z.B. Ekel132 ) oder Instinkte (z.B. Hunger133 ) zur Grundlage von Entscheidungen macht.134 Emotionen entstehen schnell, automatisch und teilweise unbewusst, sodass Menschen die Verhaltensreaktion erleben, bevor sie überhaupt erkennen, worauf sie reagieren. Unter Einfluss von Emotionen getroffene Entscheidungen werden im Nachhinein meist nicht kritisiert, sondern rationalisiert.135 Die Affektheuristik ist der heilige Gral derer, die Menschen nicht nur rational, sondern vor allem emotional überzeugen wollen (Werbeindustrie, Politik).136 Es ist davon auszugehen, dass die Affektheuristik gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung besondere Bedeutung erhält, da man in der schnellen Online-Welt noch leichter in eine instinktive Art des Entscheidens verfällt.137
Ankereffekt
Verankerung und anschließende Anpassungen sind eine weitverbreitete Entscheidungsheuristik. Man beginnt mit einem ersten Wert, dem Anker, und passt diesen bis zur endgültigen Entscheidung an.138 Das passiert vor allem, wenn nur wenige sonstige Anhaltspunkte zur Verfügung stehen.139 Von einem Ankereffekt spricht man, wenn diese an sich nützliche Heuristik in die Irre führt. Dies kann zum einen dadurch passieren, dass Menschen durch ihre Anfälligkeit für Bestätigung dazu neigen, sich auf Informationen zu konzentrieren, die ihren ursprünglichen Anker stützen und gegenteilige Informationen ignorieren.140 Dies führt zu einer ungenügenden Anpassung und bewirkt, dass die endgültige Entscheidung zu nahe am Ausgangswert liegt.141 Zudem wirken Anker auch dann, wenn offensichtlich kein Zusammenhang besteht. So konnte beispielsweise die Schätzung des prozentuellen Anteils afrikanischer Staaten unter den Mitgliedstaaten der UNO durch vorheriges Drehen eines Glücksrades manipuliert werden.142 In einer anderen Studie beeinflusste die eigene Sozialversicherungsnummer die Höhe abgegebener Gebote bei einer Auktion.143 Studien belegen, dass sogar Profis für solche Ankereffekte anfällig sind.144 Der dritte und im Zusammenhang mit Nudging wichtigste Aspekt betrifft die Tatsache, dass Anker bewusst gesetzt werden können, um eine gewünschte Entscheidung zu provozieren.145 Besonders häufig passiert dies, um höhere Umsätze oder Preise zu erzielen. So wurden in einer Studie in einem Supermarkt zwei Sonderangebote für Dosensuppen verglichen. In einem Fall wurde nur der Preis gesenkt, im anderen Fall wurde der Preis gesenkt und zusätzlich ein Hinweis angebracht, dass das Angebot auf maximal 12 Dosen pro Person beschränkt ist. Dieser künstliche Anker verdoppelte die Verkaufsmenge pro Person von durchschnittlich 3,3 auf 7 Dosen.146 Typische Einsatzmöglichkeiten von Ankern sind Preisverhandlungen147, Teleshopping148, Spendensammlungen149 oder Schadenersatzprozesse150.
Authority Bias und Messenger Effect
Für die Glaubwürdigkeit einer Botschaft ist deren Quelle entscheidend. Zwei Effekte sind hierbei von Bedeutung: der Authority Bias und der Messenger Effect. Der Authority Bias beschreibt die Tendenz, der Meinung einer autoritären Person oder Institution mehr Bedeutung zuzuschreiben und von ihr stärker beeinflusst zu werden.151 Autorität kann durch vieles erweckt werden, wie Popularität, Expertise, Titel, Uniform, Erfolg, etc.152 Das wohl bekannteste Beispiel für den Authority Bias ist das berühmte Milgram Experiment.153 Der Messenger Effekt beschreibt das Phänomen, dass Menschen eher auf Informationen reagieren, wenn der Bote ähnliche Eigenschaften wie sie selbst hat. Vor allem Menschen aus unteren sozioökonomischen Schichten reagieren sensibler gegenüber Boten, die ihnen in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, soziale Klasse, Status, Kultur, Beruf usw. ähnlich sind.154 Konkrete Beispiele für den Messenger Effekt findet man etwa bei der Kreditvergabe155 oder der Erziehung.156
Besitztumseffekt
Der Besitztumseffekt (Endowment Effect) besagt, dass Menschen ihren eigenen Besitz höher bewerten als fremden Besitz.157 In Experimenten lässt sich der Besitztumseffekt dadurch nachweisen, dass der Reservationspreis (Preis, zu dem man bereits wäre, zu verkaufen) stets höher ist als die Zahlungsbereitschaft (Preis, zu dem man bereits wäre, zu kaufen).158 Der Effekt hängt eng mit dem Phänomen der versunkenen Kosten (Sunk Cost Fallacy) bzw. mit dem Choice-Supportive-Bias (auch Post-Purchase-Rationalisation) zusammen. Hat man Geld für etwas ausgegeben und es besteht keine Chance es zurückzubekommen, wird selbst eine offensichtliche Fehlentscheidung durch Rationalisierung legitimiert.159 Der Mensch ist eben weniger ein rationales Wesen als vielmehr ein rationalisierendes Wesen. Dadurch steigt der subjektive Wert des Besitzes. Weitere kognitive Verzerrungen, die ebenfalls in engem Zusammenhang mit dem Besitztumseffekt stehen, sind der Status-Quo-Bias und die Verlustaversion.
Bestätigungsirrtum
Der Bestätigungsirrtum (Confirmation Bias) beschreibt den Wunsch, die eigene Überzeugung beibehalten zu wollen. Zu diesem Zweck werden bestätigende Fakten stärker gesucht160 bzw. höher gewichtet (My-side-Bias)161, zweideutige Fakten im Sinne der eignen Meinung interpretiert und gegenteilige Fakten ausgeblendet.162 Auch haben Fakten am Anfang des Entscheidungsprozess mehr Gewicht als Fakten am Ende (Primacy Effect).163 Der Bestätigungsirrtum konnte in zahlreichen Experimenten nachgewiesen werden. So fühlen sich beispielsweise Befürworter der Todesstrafe nach dem Lesen eines Beitrags über deren Wirkung ebenso in ihrer Meinung bestärkt wie Gegner der Todesstrafe, die denselben Text lesen.164 Ein in der Fachwelt zwar umstrittenes, dafür aber umso anschaulicheres Beispiel für den Confirmation Bias ist das Rosenhan-Experiment, in dessen Rahmen der sich selbst bestätigende Effekt psychiatrischer Diagnosen getestet wurde.165 In einem anderen bekannten Experiment wiesen Forscher nach, dass Lehrer, denen mitgeteilt wurde, bestimmte Schüler seien besonders begabt, diese unbewusst so förderten, dass die Schüler tatsächlich bessere Leistungen erzielten (Pygmalion-Effekt).166 Besonders stark ist der Confirmation Bias in den sozialen Medien in Form von Echokammern und Filterblasen beobachtbar.167 Die extremste Ausprägung des Conformation-Bias ist es, die eigene Meinung zum Dogma zu erheben und auch dann noch an ihr festzuhalten, wenn diese bereits widerlegt ist, wie es beispielsweise bei Anhängern von Verschwörungsmythen der Fall ist (Believe Perseverance).168
Choice-Supportive-Bias
Choice-Supportive-Bias (wahlunterstützender Bias) beschreibt die Tendenz, einer gewählten Option rückwirkend positive Eigenschaften zuzuschreiben bzw. nicht gewählte Optionen abzuwerten.169 Das Phänomen wird auch als Post-Purchase-Rationalisation170 bezeichnet und ist durch mehrere Studien belegt. So wurde etwa nachgewiesen, dass Wähler unmittelbar nach ihrer Stimmabgabe eher glauben, dass ihr Kandidat gewinnt, als noch vor Betreten des Wahllokals.171 Spieler bei Pferdewetten sind unmittelbar nachdem sie ihren Wetteinsatz getätigt haben hinsichtlich ihrer Gewinnchancen zuversichtlicher als davor.172 Der Choice-Supportive-Bias erhöht die Zufriedenheit mit der eigenen Entscheidung und reduziert die Gefahr eines Bedauerns aufgrund nicht ergriffener Optionen.173 Unterstützt werden kann er zusätzlich durch Choice-Closure. Darunter versteht man eine physische Handlung,174 die eine Entscheidung symbolisch abschließt und dadurch weiteres Nachdenken über nicht gewählte Alternativen verhindert.175
Commitment
Unter Commitment-Bias versteht man den Wunsch, mit vergangenen Entscheidungen (bzw. Handlungen oder Ankündigungen) in Einklang zu stehen.176 Einmal getroffene Entscheidungen „schlagen Wurzeln“177, weshalb das Phänomen auch „Selbstprophezeiungseffekt“ genannt wird.178 Treffen Menschen Vorhersagen über ihr eigenes Verhalten, so neigen sie dazu, sich positiv darzustellen. Bietet sich später die praktische Möglichkeit zu handeln, stehen diesem Vorhaben meist Zeit- und Energiekosten oder zwingende Alternativen im Weg. Hat man sich jedoch zuvor festgelegt, so ist das Selbstbild einem inneren Druck (man will konsistent sein) und einem äußeren Druck (man will konsistent erscheinen) ausgesetzt.179 Zur Erhaltung der Konsistenz werden deshalb Brüche mit früheren Entscheidungen vermieden.180 Dies dient dem Selbstbild, der Berechenbarkeit für andere und erleichtert den Umgang mit der Komplexität des Lebens.181 Schon eine kleine Veränderung des Verhaltens kann in Kombination mit dem Wunsch nach Konsistenz zu einer großen Verhaltensänderung führen.182 Der Bias tritt insbesondere dann auf, wenn das Commitment öffentlich erfolgt183 und zeitlich konkret ist,184 starke normative Überzeugungen beteiligt sind185 und wenn die Kosten des Scheiterns besonders hoch sind.186
Der Commitment-Bias wurde durch zahlreiche Studien nachgewiesen. So schreiten Menschen bei einem Diebstahl eher ein, wenn sie sich vorher bereit erklärt haben, auf die Sachen von jemandem anderen aufzupassen187 oder nehmen eher an einer Wahl teil, wenn sie angekündigt haben, wählen gehen zu wollen.188 Das Phänomen wurde ebenfalls nachgewiesen im Zusammenhang mit gemeinnützigen Arbeiten,189 sportlichen Aktivitäten190, der Wahrnehmung von Arztterminen,191 Sparverhalten192, Studienfortschritt193 oder der Einhaltung unternehmensinterner Richtlinien.194 Der Commitment-Bias kann gezielt für (Selbst-)Nudges eingesetzt werden, um langfristige Ziele zu erreichen.195 Auch wenn seine Wirkung primär auf dem automatischen System 1 beruht (z.B. die Angst vor Scheitern), ist seine Verwendung eine rationale Entscheidung von System 2.196
Besonders wirkungsvoll ist es, wenn ein Scheitern nicht nur mit sozialen, sondern auch mit finanziellen Sanktionen verbunden ist. So wurde Rauchern ein Sparkonto angeboten, auf das sie sechs Monate lang den Betrag einzahlten, den sie bislang fürs Rauchen ausgegeben hatten. War nach einem halben Jahr ein Nikotintest negativ, erhielten sie ihr Geld zurück. Die Zusage erhöhte die Wahrscheinlichkeit einer Raucherentwöhnung um 30%.197 Selbstverständlich kann der Effekt auch dazu genutzt werden, Menschen zu Handlungen zu bewegen, die sie sonst nicht setzen würden. So kann eine abgestufte Folge zustimmender Äußerungen eine „Spirale der Willfährigkeit“198 auslösen, an deren Ende größere Zugeständnisse stehen. Diese „Fuß-in-der-Tür-Taktik“ wird im Verkauf bewusst eingesetzt.199
[...]
1 Digitale Intelligenz ist ein umfassendes Set technischer, kognitiver, metakognitiver und sozio-emotionaler Kompetenzen, die auf universellen moralischen Werten beruhen und es dem Einzelnen ermöglichen, sich den Herausforderungen des digitalen Lebens zu stellen und dessen Chancen zu nutzen. Vgl. DQ Institute, online unter: https://www.dqinstitute.org/dq-framework/#digital_intelligence
2 Der Begriff “Klassische Nationalökonomie” wird von Karl Marx geprägt und umfasst den Zeitraum von etwa 1770 bis 1870.
3 Smith (1759): The Theory of Moral Sentiments
4 Vgl. Camerer / Loewenstein (2004); Der US-Ökonom und Nobelpreisträger George Stigler meint, es gäbe in den Wirtschaftswissenschaften nichts Neues, weil Adam Smith schon alles gesagt hätte. Vgl. Thaler (2019): S. 126
5 Smith verwendet die Metapher in seinen Werken insgesamt dreimal und dabei jedes Mal in einer anderen Bedeutung. Vgl. Rothschild (1994)
6 Smith (1776); Damit weist Smith darauf hin, dass anonyme Gesellschaften aufgrund ihres Komplexitätsgrades nicht mehr mit den gleichen Modellen beschrieben werden können wie kleine Gruppe mit stabilen Normen. Vgl. Suchanek/ Kerscher (2007): S. 261
7 Als eines der ersten sozialphilosophischen Werke der Ökonomik gilt der Leviathan aus dem Jahr 1651. In dem Werk beschäftigt sich der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) mit der Frage, wie in einer Gesellschaft ohne Religion Ordnung sichergestellt werden kann, da eine Gemeinschaft aus individuellen Eigennutzenmaximierern zwangsläufig im Bürgerkrieg enden müsse. Erst durch die teilweise Abgabe der individuellen Freiheit an den Staat (Leviathan) kann ein Krieg aller gegen alle verhindert werden. Damit thematisiert Hobbes den Interessenskonflikt zwischen Individuum und Gemeinschaft und nimmt in seinem Verständnis des Menschen als Wolf („homo homine lupus“) den Homo Oeconomicus vorweg. Vgl. Suchanek/ Kerscher (2007): S. 259f
8 Vgl. Myers (1993)
9 Die Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet die wissenschaftliche Disziplin, an deren Gesetzen sich die Ökonomen zu orientieren versuchen, diese Gesetze relativiert. 1900 begründete Max Planck die Quantentheorie. Auf deren Basis entwickeln Werner Heisenberg und Niels Bohr die statistische Vorstellung der mikroskopischen Welt. Damit gibt die Physik den Determinismus („alles ist vorherbestimmbar“) auf, behält aber das Prinzip der Kausalität („alles hat eine Ursache“) bei. Im Unterschied dazu halten viele Ökonomen bis heute am Determinismus fest. Vgl. Holle (2019): S. 446f
10 Vgl. Vienna Behavioral Economics Network
11 Als Urheber des Modells des Homo Oeconomicus wird oftmals der britische Ökonom David Ricardo (1772-1823) angesehen, weil er sich in seinen „Principles of Political Economy and Taxation“ aus dem Jahr 1817 auf den „nothing but economical man“ bezieht. Diese Figur wird später unter anderen von John Stuart Mill (1806-1873) weiterentwickelt. Vgl. Suchanek/ Kerscher (2007): S. 261
12 Vgl. Mankiw / Taylor (2016)
13 Vgl. Vienna Behavioral Economics Network; Kaum eine andere Wissenschaft wird so stark von einem einzigen Paradigma beherrscht wie die Ökonomik vom Konzept des Homo Oeconomicus. Dessen Vormachtstellung zeigt sich unter anderem darin, dass alle anderen Ansätze (z.B. Keynesianismus, Ordoliberalismus, marxistische Ökonomik, Verhaltensökonomik) als „heterodox“ bezeichnet werden.
14 Vgl. Döring, Öffentliche Finanzen und Verhaltensökonomik, S. 16
15 Vgl. Becker (1976); Suchanek/ Kerscher (2007): S. 263
16 Die Neue Politische Ökonomie (NPÖ) wird auch Public Choice Theorie oder Ökonomische Theorie der Politik genannt. Die Bezeichnung Neue Politische Ökonomie grenzt diese von der klassischen Politischen Ökonomie (= Volkswirtschaftslehre) ab.
17 Vgl. Suchanek/ Kerscher (2007): S. 262
18 Vgl. Enste et.al. (2016): S. 7ff
19 Vgl. Holle (2019): S. 333
20 Vgl. Zintl (1989): S. 52
21 Deshalb wird das Menschenbild der klassischen Ökonomik als „anti-behavioral“ bezeichnet. Vgl. Mullainathan / Thaler (2000)
22 Vgl. Holle (2019): S. 338f
23 Vgl. Simon (1955), Hilbert (2011)
24 Vgl. Pfister / Böhm (2008)
25 Vgl. Wang et al (2001)
26 Vgl. Mankiw, / Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 173
27 Vgl. Zintl (1989), Suchanek / Kerschner (2007), Thaler / Sunstein (2008), Selten (1999)
28 Vgl. Boland (1981); Daniel Kahneman behauptet, die meisten Ökonomen gewinnen durch ihr Studium zwar neue Einsichten, verlieren dabei aber gleichzeitig den Blick für die Wirklichkeit. Die Theorie wird über die Realität gestellt („theorieinduzierter Blindheit“). Vgl. Thaler (2019): S. 133f
29 Vgl. Beck (2014): S. 1
30 Vgl. Mankiw, / Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 381
31 Simon ist der erste Nichtökonom, der 1978 den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhält.
32 Vgl. Herbert A. Simon (1959): S.258ff
33 Nach Ansicht von Richard Thaler liegt die geringe Bedeutung von Simons Werk daran, dass für viele Ökonomen die eingeschränkte Rationalität ein zwar richtiges aber gleichzeitig unwichtiges Konzept darstellt. Die meisten Ökonomen begnügten sich damit, in ihre Gleichungen einen Fehlerterm einzubauen, der allfällige Abweichungen ausgleicht. Vgl. Thaler (2019): S. 44
34 Vgl. Enste et.al. (2016): S. 12
35 Vgl. Beck (2014): S. 145ff
36 Vgl. Thaler (2019): S. 52
37 Gemäß der Prospect-Theory bewerten Menschen Konsequenzen nicht absolut, sondern in Abhängigkeit von einem Referenzpunkt. Ein solcher kann beispielsweise das aktuelle Einkommen sein. Ein Mehr oder Weniger wird dann als Gewinn oder Verlust empfunden.
38 Verluste werden stärker gewichtet als Gewinne. So entscheiden sich Probanden beispielsweise eher dafür, 100 Euro zu gewinnen, als 200 Euro zu gewinnen und danach 100 Euro wieder zu verlieren. Auch werden (nach der Erwartungsnutzentheorie) gleichwertige Optionen unterschiedlich bewertet: Bei Gewinnen verhalten sich die Probanden risikoavers und bevorzugen den sicheren kleinen Gewinn (100 Euro x 100%) gegenüber dem unsicheren größeren Gewinn (200 Euro x 50%). Diese „Spatz in der Hand“-Haltung dreht sich jedoch um, sobald es um Risiken geht: Bei Verlusten verhalten sich Probanden risikoaffin und bevorzugen den unsicheren großer Verlust (200 Euro x 50%) gegenüber dem sicheren kleinen Verlust (100 Euro x 100%).
39 Vgl. Kahneman / Tversky (1979)
40 Amos Tversky erhält den Preis nicht, weil er bereits 1995 verstirbt.
41 Gabler Wirtschaftslexikon
42 Vgl. Kahneman (2003), Klein (2009), Thaler / Sunstein (2010), Kahneman (2011), Kahneman (2012); Eine ähnliche Theorie, die auch von 2 Systemen ausgeht, stammt von Norman und Shallice (1986): Die beiden unterscheiden zwei Prozesse der Aufmerksamkeitskontrolle: 1. Content Scheduling („Inhaltsplanung“) ist der automatische Prozess. Er führt Routinehandlungen aus und erfordert keine kognitive Anstrengung. Er nutzt Schemata, also mentale Strukturen, mit denen Menschen ihr Weltwissen kategorisieren. 2. Das Supervisory Attentional System („Überwachungssystem“) kommt außerhalb der Routinehandlungen zum Einsatz.
43 Vgl. Kahneman (2011)
44 Vgl. Hofmann (2019): S. 51
45 Das Gehirn hat nur 2% des Körpergewichts, aber es verbraucht 20% der Stoffwechselenergie. Um Energie zu sparen, arbeitet es lieber mit dem automatischen System 1. Vgl. Peyrolon (2020): S. 13; Das aufmerksame, aber energieraubende System 2 wird nur sparsam eingesetzt, weil Aufmerksamkeit zu „zahlen“, teuer ist (vgl. das englische „to pay attention“).
46 Vgl. Bargh et al (2001)
47 Vgl. Frederick (2005); In einem Anschlussexperiment zum Cognitive Reflection Test wird eine zusätzliche Hürde eingebaut: Die Schrift ist kleiner und hellgrau und deshalb schwerer zu lesen. Dadurch sinkt die Fehlerquote auf 35%, weil die kognitive Anstrengung beim Lesen System 2 aktiviert. Daraus folgt: Wer Menschen verführen möchte, sollte die Botschaft so einfach wie möglich präsentieren, um zu verhindern, dass System 2 aktiviert wird. Vgl. Hofmann (2019): S. 63f; Auch Stirnrunzeln aktiviert System 2. Vgl. Alter et al (2007)
48 Vgl. Ho et al (2005)
49 Vgl. Simon (1972); Ho et al (2005)
50 Vgl. Camerer / Hogarth (1999)
51 Zu Beginn dominieren Laborexperimente, inzwischen gewinnen auch Feldexperimente immer mehr an Bedeutung. Zur Differenzierung: Labor-Experiment (= künstliche Situation + künstliche Umgebung), Feld-Experiment (= künstliche Situation + natürliche Umgebung), Natürliches Experimente (= natürliche Situation + natürliche Umgebung). Ein Beispiel für ein natürliches Experiment liefern die US-Staaten New Jersey und Pennsylvania. Beide Staaten führten Autoversicherungen ein, die inhaltlich ident waren, sich jedoch in ihrer Darstellung unterschieden. So konnte untersucht werden, ob bestimmte Biases in der Wahrscheinlichkeitsbewertung die Entscheidungen der Verbraucher beeinflussen. Vgl. Johnson et al (1993)
52 Vernon L. Smith erhält den Preis 2002 für „die Integration von Laborexperimenten als Werkzeug in den empirischen ökonomischen Analysen, insbesondere in Studien zur Erforschung unterschiedlicher Marktmechanismen”.
53 Vgl. Netzwerk Plurale Ökonomik e. V., online unter: https://www.exploring-economics.org/de/
54 Vgl. Camerer / Loewenstein (2004); Thaler (2019): S. 27; Brandstätter und Güth (1994) bezeichnen die verhaltensökonomische Forschung als „Neo-classical repair shop“, da Standardmodelle durch verhaltensökonomische Erkenntnisse erweitert werden, aber das rationale Maximierungskalkül erhalten bleibt.
55 Vgl. Camerer, Behavioral Economics, S. 10576
56 Richard Thaler führt folgende Gründe an, warum sich Psychologen nur wenig für die Verhaltensökonomik erwärmen können: 1. Psychologen gehen nicht von einem rational handelnden Menschen aus, weshalb abweichendes Verhalten für sie nicht besonders spannend ist. 2. Psychologen halten die Konzepte der Verhaltensökonomen für nicht besonders innovativ. 3. Die Erforschung menschlicher Alltagsschwächen bringt in der akademischen Welt wenig Aussicht auf Ruhm. Vgl. Thaler (2019): S. 236
57 George Loewensteins Interesse an der Psychologie könnte mit seinem berühmten Urgroßvater zusammenhängen: Loewenstein ist der Urenkel von Sigmund Freud. Vgl. Thaler (2019): S. 236
58 Robert Shiller gilt vielen als Prophet, weil er in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch „Irrationaler Überschwang“ auf dem Höhepunkt der New-Economy-Euphorie die Baisse der Jahre 2003 ankündigt. Auch vor der 2007 geplatzten Immobilienblase warnt er.
59 Colin Camerer begründet das Gebiet der verhaltensorientierten Spieltheorie und ist Wegbereiter der Neuroökonomik. Vgl. Camerer (2003)
60 Eric Wanner ist Präsident der Russel Sage Foundation, einer 1907 gegründeten Sozialorganisation, welche die Lebensbedingungen in den USA verbessern möchte. Im Jahr 1992 stellt die Foundation den „Behavioral Economics Roundtable“ und ein kleineres Budget zusammen. Zur Förderung der jungen Disziplin beschließt man ab Sommer 1994 zweiwöchige Intensivkurse anzubieten, die seither alle 2 Jahre stattfinden und in den letzten Jahrzehnten zum Inkubator der Behavioral Economics werden. Vgl. Thaler (2019): S. 232ff
61 Die Effizienzmarkthypothese besagt, dass Kapitalmärkte effizient funktionieren, weil ihre Akteure rational handeln und sich deshalb alle Informationen in den Kursen widerspiegeln. Allfällige Abweichungen würden umgehend vom System korrigiert. Namensgeber und Verfechter der Effizienzmarkthypothese ist der US-Ökonom Eugene Fama, der den Nobelpreis im Jahr 2013 kurioserweise zusammen mit Robert Shiller erhält, der die Idee der Effizienzmarkthypothese ablehnt. Nach Ansicht von Shiller sind die Kursschwankungen an der Börse zu hoch, als dass diese durch rationale Akteure erklärt werden könnten. Vgl. Beck (2014): S. 349ff
62 Systemisch bedeutet, dass das System als Ganzes betroffen ist. Handlungsfehler kommen in jeder Situation unabhängig von Person oder Zeitpunkt vor. Es ist so, wie denn ein Zielfernrohr falsch eingestellt ist und somit jeder Schuss gleichermaßen vom Ziel abweicht.
63 Vgl. Beck (2014): S. 11
64 Zunächst nennt Sunstein das Konzept „Anti-Anti-Paternalismus“, erst später schlägt Thaler „Libertärer Paternalismus“ vor. Thaler und Sunstein sind nicht die ersten, die über ein solches Konzept nachdenken: So schreiben Camerer et al (2003) über „asymmetrischen Paternalismus“ und O'Donoghue und Rabin (2003) referieren über „optimalen Paternalismus.“
65 Vgl. Thaler (2019): S. 409ff
66 Vgl. Thaler / Sunstein (2008); Johnson et al (2012); Die Wortschöpfung ist inspiriert von Don Normans Buch „The Design of Everyday Things“. Vgl. Thaler (2019): S. 412
67 Vgl. Thaler / Sunstein (2010): S. 11
68 Vgl. Desai (2011), Hargreaves Heap (2013)
69 Die Idee des Paternalismus hat eine lange Tradition. Auguste Comte, der Begründer von Positivismus und Soziologie, glaubt, dass es zur Schaffung einer guten Gesellschaft nur einer kleinen Gruppe von Finanziers und Intellektuellen bedürfe. Marx und Engels sind der Meinung, dass es nur die richtige Theorie die Arbeiter aus ihrem falschen Bewusstsein in den Kommunismus führen kann (historischer Materialismus). Vgl. Chriss (2015): S. 54; DeMaria bezeichnet den paternalistischen Staat abwertend als „Nanny state“ („Kindermädchen-Staat“). In diesem sind Regierungen übermäßig besorgt um das Gemeinwohl und treffen Entscheidungen, die normalerweise Bürger für sich selbst treffen. Vgl. DeMaria (2013)
70 Vgl. Enste et.al. (2016): S. 5f
71 Vgl. Mankiw, / Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, S. 176
72 Vgl. Chriss (2015): S. 55
73 Der Vorschlag, das Konzept „Nudging“ zu nennen stammt von einem Lektor, der das Buch-Exposee von Thaler und Sunstein prüft. Vgl. Thaler (2019): S. 410
74 „Any aspect of the choice architecture that alters people’s behavior in a predictable way without forbidding any options or significantly changing their economic incentives”. Thaler / Sunstein (2008); Doch wie Hausman und Welch zu Recht anmerken, reagieren rationale Agenten nicht nur auf wirtschaftliche Anreize, sondern beispielsweise auch auf physische Schmerzen. Würde man die Definition von Thaler und Sunstein wortwörtlich verstehen, wäre demnach auch ein 10.000-Volt-Stromschlag ein Nudge. Sie schlagen deshalb folgende Definition vor: „Nudges sind Wege, die Wahl zu beeinflussen, ohne die Auswahlmöglichkeiten einzuschränken oder Alternativen in Bezug auf Zeit, Ärger, soziale Sanktionen usw. zu verteuern. Nudges bedarf es aufgrund von Fehlern in der individuellen Entscheidungsfindung und sie arbeiten, indem sie genau diese Fehler nutzen.“ Vgl. Hausmann/ Welch (2010): S. 123ff
75 Vgl. Walzl (2017)
76 Vgl. Thaler / Sunstein (2008)
77 Deshalb signiert Thaler seine Bücher immer mit der Forderung „nudge for good“. Auch Lades und Delaney (2020) orientieren sich an dem FORGOOD-Akronym und fordern für Nudges: Fairness, Openness, Respect, Goals, Opinions, Options and Delegation. Dabei ist zu bedenken, dass das Wohl des einzelnen vom Wohl der Gesellschaft abweichen kann.
78 Nudges müssen die Präferenzen der Bürger antizipieren. Dabei stellt sich die Frage, welche Präferenzen (kurzfristige oder langfristige, egoistische oder soziale) und wie diese objektiviert werden sollen (Befragung, Beobachtung, Messung, Plebiszite, Algorithmen).
79 Vgl. Bruttel / Stolley (2014): S. 767
80 Vgl. Sunstein (2015)
81 Vgl. Thaler / Sunstein (2010): S. 15
82 Die meisten Nudges bauen auf System 1 auf. Nur wenige Nudges, insbesondere pädagogische wie die Information über die Folgen eigener Entscheidungen, zielen auf das aktive System 2 ab. Vgl. Sunstein (2014)
83 Vgl. Sunstein (2014)
84 Die Neuroökonomie beschäftigt sich mit 3 Themen: 1. Entscheidung unter dem Aspekt Zeit (jetzt vs. Zukunft), 2. Entscheidung unter Risiko (Whslk. bekannt) und Unsicherheit (Whslk. unbekannt), 3. Spieltheorie. Vgl. Fehr (2006); Peyrolon (2020)
85 Vgl. Hofmann (2019): S. 30
86 Vgl. Hofmann (2019): S. 168
87 Vgl. Hertwig / Grüne-Yanoff (2017): S. 2
88 Persuasion ist “any interactive computing system designed to change people´s attitudes or behaviors or both without using coercion or deception” Fogg (2003), S. 15
89 Vgl. Oinas-Kukkonen (2008)
90 Vgl. Oinas-Kukkonen (2013); Meske / Potthoff (2017)
91 Vgl. Meske / Potthoff (2017); Meske et al (2019)
92 Die Autoren definieren Mindless Computing als “technology designed to subtly influence the behavior of the user without requiring their conscious awareness.” Adams et al (2015): S. 719
93 Vgl. Hansen und Jespersen (2013), S. 3ff; O’Callahan (2009)
94 Vgl. Mazar et al (2015)
95 Caraban et al (2019): S. 9 + 11
96 Vgl. Fogg (2009)
97 Vgl. Caraban et al (2019): S. 11
98 Vgl. Caraban et al (2019): S. 9
99 Vgl. Kainz-Traxler (2017); In Österreich wären etwa das in der Industriellenvereinigung angesiedelte „Vienna Behavioral Economic Networks“ (VBEN) als Plattform für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, und die „Austro-Nudge-Unit“ zu nennen.
100 Vgl. Thaler (2019): S. 432f; Hansen / Jespersen (2013): S. 4
101 Vgl. Dolan et al (2010); Dolan et al (2012)
102 Das „Gesellenstück“ der Organisation besteht darin, britische Steuerschuldner dazu zu bringen, ihre Steuern umgehend zu bezahlen. Ein Brief, der darauf hinweist, dass die meisten Menschen ihre Steuern bezahlt haben und die konkrete Person eine der wenigen ist, die dies bislang nicht getan haben, erhöht die Zahlungsbereitschaft um über 5% und spült so neun Millionen Pfund in die Staatskasse. Vgl. Thaler (2019): S. 420ff
103 Thaler (2019): S. 435
104 Vgl. http://science.orf.at/stories/2871017/ (27.10.2017)
105 Vgl. Schneider et al (2018)
106 “Digital nudging is the use of user-interface design elements to guide people’s behavior in digital choice environments.” Weinmann et al (2016)
107 “Digital nudging is a subtle form of using design, information and interaction elements to guide user behavior in digital environments, without restricting the individual’s freedom of choice.” Meske / Potthoff (2017): S. 2589
108 Vgl. Mirsch et al (2018)
109 Vgl. Dolan et al (2012), Tversky / Kahneman (1981)
110 Vgl. Johnson et al (2012)
111 Nutzer sind beispielsweise online eher bereit, Informationen offenzulegen, sind jedoch vorsichtiger bei der Annahme von Standardoptionen. Vgl. Benartzi / Lehrer (2015)
112 Vgl. Mirsch et al (2018)
113 Vgl. Mirsch et al (2017)
114 Vgl. Mirsch et al (2017); Reisch (2020)
115 Vgl. Lanzing (2019)
116 Vgl. Reisch (2020)
117 Vgl. Walzl (2017)
118 Vgl. Reisch (2020)
119 Vgl. Reisch (2020)
120 Wikipedia
121 Unter „systematisch“ ist zu verstehen, dass die Abweichung nicht nur in einzelnen Fällen oder nur bei bestimmten Personen erfolgt, sondern bei allen Menschen unabhängig von der Situation. Es ist so, wie wenn eine Waage immer 2 kg zu viel anzeigen würde. Vgl. Kahneman et al (2021): S. 10ff; Taleb beschreibt Bias „…als den Unterschied, zwischen dem, was wir sehen, und dem, was da ist.“ Taleb (2018): S.172 Taleb (2018): S.172
122 Vgl. Dowling et al (2020)
123 Vgl. Dougherty et al (1999); Benson klassifiziert die Biases auf Basis folgender Kriterien: Zu viel Information, Unzureichende Bedeutung, Bedürfnis nach schnellem Handeln, Limitiertes Gedächtnis. Vgl. Benson (2016)
124 Das altgriechische „heurisko“ bedeutet „ich finde“.
125 Vgl. Tversky / Kahneman (1974)
126 Von Unsicherheit spricht man, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeiten unbekannt sind (z.B. der Ausgang eines Fußballspiels). Sind die Eintrittswahrscheinlichkeiten hingegen bekannt (z.B. Münzwurf), so spricht man von Risiko.
127 Vgl. Evans (2006); Gigerenzer (2007)
128 Vgl. Beck (2014): S. 26
129 Vgl. Tversky / Kahneman (1974)
130 https://imgur.com/gallery/hL47XLr; https://www.nytimes.com/2019/08/15/health/cigarette-warnings.html
131 Emotionen sind Bestandteil aller Wahrnehmungen, d.h. wir sehen beispielsweise nie einfach nur ein Haus, sondern wir sehen ein schönes Haus, ein altes Haus, etc. Vgl. Zajonc (1980). Daraus folgt, dass Menschen Häuser nicht wegen ihrer Größe oder Lage kaufen, sondern wegen des Gefühls, das sie beim Gang durch das Haus haben. Vgl. Dijksterhuis et al (2006)
132 Um den Gebrauch von Seife in Ghana zu erhöhen, wurde bewusst auf Ekel gesetzt. Die Forscher stellten fest, dass Ghanaer Seife verwenden, wenn sie das Gefühl hatten, dass ihre Hände schmutzig waren. Infolgedessen konzentrierte sich die Kampagne darauf, Ekel zu erzeugen, anstatt die Vorteile von Seife zu kommunizieren. Vgl. Curtis et al (2007)
133 Vgl. Read / Van Leeuwen (1998)
134 Vgl. Loewenstein et al (2001)
135 Vgl. Kahneman (2003), Slovic et al (2002), Dijksterhuis (2004)
136 In einem Experiment wurden Darlehensangebote variiert. Das Bild einer attraktiven Frau erhöhte die Nachfrage nach einem Darlehen um den gleichen Betrag wie eine 25% geringerer Zinssatz. Vgl. Bertrand et al (2010)
137 Vgl. Benartzi / Lehrer (2015): S. 40
138 Vgl. Tversky / Kahneman (1974)
139 Vgl. Mirsch et al (2017), Chapman / Johnson (2002)
140 Vgl. Nunes / Boatwright (2004)
141 Vgl. Epley / Gilovich (2006)
142 Probanden mussten ein Glücksrad mit den Zahlen 0 bis 100 drehen. Das Rad war so manipuliert, dass nur die Zahlen 10 oder 65 erschienen. Danach wurden den Probanden zwei Fragen gestellt: 1. Ist der Prozentsatz afrikanischer Staaten unter den Mitgliedstaaten der UNO größer oder kleiner als die gedrehte Zahl? 2. Wie hoch ist der Prozentsatz afrikanischer Staaten in der UNO? Wurde eine 10 gedreht, lag die durchschnittliche Schätzung bei 25%, wurde eine 65 gedreht lag die durchschnittliche Schätzung bei 45%. Vgl. Kahneman (2012): S. 152
143 In einer Studie mussten Studenten die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufschreiben und danach Gebote für Wein, Bücker, etc. abgeben. Studenten mit höheren SV-Nummern zahlen um bis zu 346% mehr als Studenten mit niedrigen SV-Nummern. Vgl. Ariely et al (2003), Ariely et al (2005)
144 Eine Untersuchung zeigt, dass die Urteilsentscheidungen erfahrener Juristen von offensichtlich irrelevanten Faktoren beeinflusst werden. Deutsche Richter mit durchschnittlich 15 Jahren Berufserfahrung mussten einen Rechtsfall (Frau wurde bei Ladendiebstahl erwischt) beurteilen. Zuvor mussten die Richter zwei Würfel werfen. Die Würfel waren gezinkt, sodass ihre gemeinsame Augenanzahl entweder 3 oder 9 betrug. Die Richter mussten zunächst beantworten, ob die Diebin zu einer Freiheitsstrafe über oder unter 3 bzw. 9 Monaten verurteilt werden sollte. Danach wurden die Richter gefragt, zu wie viel Monaten soll die Diebin verurteilt werden sollte. Lag die Augenzahl bei 3, so gaben die Richter im Schnitt 5 Monate, lag sie bei 9, so gaben die Richter im Schnitt 8 Monate. Vgl. Englich et al (2006)
145 So wurde in einer Studie gefragt, ob der höchste Küstenmammutbaum größer als 55 Meter bzw. größer 366 Meter ist. Bei der anschließenden Frage, wie groß der höchste Küstenmammutbaum ist, wurde die Antwort durch den vorherigen Frage-Anker beeinflusst. Lag der Frage-Anker bei 55 Meter, so wurde der höchste Küstenmammutbaum auf 88 Meter geschätzt. Lag der Frage-Anker bei 366 Meter, so wurde der höchste Küstenmammutbaum auf 257 Meter geschätzt. Vgl. Jacowitz / Kahneman (1995)
146 Vgl. Wansink et al (1998); Neben dem Ankereffekt wirkt in dem Beispiel auch der Verknappungseffekt.
147 Eine Metaanalyse belegt, dass die Höhe des Eröffnungsangebots bzw. der Eröffnungsforderung einen erheblichen Einfluss auf die späteren Verhandlungsergebnisse hat. Vgl. Guthrie / Orr (2006)
148 Es wird ein Preis als Anker genannt und dieser danach entweder reduziert („Rabattaktion“) oder das Leistungsangebot ausgeweitet („zusätzlich erhalten Sie gratis dazu“), wodurch der Eindruck eines Schnäppchens entsteht.
149 Vgl. Thaler / Sunstein (2010): S. 39ff
150 Richter werden bei dem Zusprechen von Schadenersatzhöhendurch sowohl durch die Grundforderung als auch durch gesetzliche Höchstgrenzen beeinflusst. Vgl. Beck (2014): S. 147
151 Vgl. Milgram (1965)
152 Vgl. Schneeberger (2019): S. 22
153 Vgl. Milgram (1974)
154 Vgl. Durantini et al (2006)
155 Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen eher Kredite von Menschen annehmen, die ihnen ähnlicher sind. Vgl. Karlan / Appel (2011)
156 Im Rahmen des Programms „Health Buddy“ erhielten zunächst ältere Schüler Unterricht zu gesunder Lebensführung und fungierten danach als Peer-Lehrer für jüngere Schüler. Vgl. Stock et al (2007)
157 Vgl. Kahneman (2012): S. 356ff
158 Für die Verhinderung der Zerstörung eines Naturschutzgebietes sind Menschen weniger zu zahlen bereit, als sie für ihre Zustimmung zur Zerstörung dieses Naturschutzgebietes verlangen würden. Dies könnte neben dem Besitztumseffekt jedoch auch dadurch erklärt werden, dass sich Menschen eine bessere Verhandlungsposition schaffen wollen. Deshalb wird zunächst bei der Willingness to pay (WTP) niedrig, bei Willingness to accept (WTA) bewusst hoch angesetzt, um Verhandlungsspielraum zu schaffen. Vgl. Beck (2014): S. 170ff
159 Vgl. McRaney (2012): S. 113ff
160 Ein klassisches Beispiel dafür, dass Menschen eher nach bestätigenden als nach widerlegenden Fakten suchen, ist die Wason Kartenaufgabe. Probanden werden vier Karten präsentiert, auf denen jeweils ein Zeichen abgedruckt ist (A, B, 4, 7). Die Regel lautet: Wenn die Karte auf einer Seite einen Vokal hat, dann hat sie auf der anderen Seite eine gerade Zahl. Frage: Welche Karten muss man umdrehen, um die These zu testen? Die meisten Versuchspersonen wählen A und 4, weil sie die These verifizieren und nicht falsifizieren wollen. Die richtige Antwort ist hingegen A und 7. Vgl. Wason (1968)
161 Vgl. Doherty et al (1979)
162 Vgl. Nickerson (1998), McRaney (2012): S. 45
163 Vgl. Asch (1946)
164 Vgl. Lord et al (1979); In einer anderen Studie lasen Probanden einen Text über die fiktive Person Jane. Nach einigen Tagen wurden die Probanden gefragt, ob sich Jane für bestimmte Berufe eignen würde. Die Gruppe, der als Beruf Bibliothekarin vorgeschlagen wurde, beschrieben Jane als introvertiert. Die Gruppe, der als Beruf Immobilienmaklerin vorgeschlagen wurde, beschrieben Jane als extrovertiert. Bei der Frage, ob sich Jane auch für den anderen Beruf eigenen würde, blieben die Probanden bei ihrer ursprünglichen Einschätzung. Vgl. Snyder / Cantor (1998)
165 Geistig gesunde Menschen ließen sich unter Vortäuschung Stimmen zu hören in psychiatrische Anstalten einweisen. Von den behandelnden Ärzten wurde daraufhin Schizophrenie bzw. manisch-depressive Psychose diagnostiziert. Ab der Aufnahme verhielten sich die Scheinpatienten wieder normal und versuchten, die Ärzte von ihrer Gesundheit zu überzeugen. Dennoch wurde keiner der Patienten als gesund entlassen, sondern lediglich als symptomfrei und das erst nach durchschnittlich 19 Tagen. Was immer die Probanden taten, wurde unter dem Licht der vermeintlichen Krankheit gesehen. Weil die Patienten beispielsweise für die Studie Notizen machten, wurde bei ihnen ein pathologischer Schreibzwang diagnostiziert. Vgl. Rosenhan, 1973; Solange sich das spätere Verhalten durch die zuvor gestellte Diagnose erklären ließ, wurde nicht nach alternativen Erklärungen gesucht. Vgl. Hofmann (2019): S. 101; Nach Bekanntwerden der Ergebnisse behauptete ein Institut, bei ihnen würde so etwas nicht passieren. Rosenhan kündigte deshalb an, er würde innerhalb von drei Monaten Pseudopatienten schicken. Obwohl Rosenhan niemanden tatsächlich einschleuste, identifizierte das Institut 41 angebliche Scheinpatienten. Vgl. Rosenhan, 1973
166 Vgl. Rosenthal (1974); Rosenthal / Jacobson (1992)
167 Vgl. Ricci et al (2011); Knobloch-Westerwick / Kleinman (2012); Chakraborty et al (2016); Garimella et al (2018); Thornhill et al (2019)
168 Vgl. Ross et al (1975)
169 Vgl. Lind et al (2017)
170 Vgl. Holle (2019): S. 138
171 Vgl. Regan / Kilduff (1988)
172 Vgl. Cialdini (2017): S. 94
173 Gleichzeitig ist es hinderlich für die Übernahme von Verantwortung oder das Lernen aus falschen Entscheidungen. Vgl. Mather et al 2000
174 Eine solche physische Handlung ist im stationären Handel etwa das Betreten der Bezahlzone, was einen symbolischen Abschluss der Kaufhandlung darstellt. Eine Möglichkeit von Choice-Closure im Onlinehandel ist es beispielsweise, nicht gewählte Optionen mit einem “Abgelehnt-Stempel“ zu versehen oder der Einzug einer Trennlinie zwischen gewählten und nicht gewählten Optionen. Vgl. Gu et al (2018)
175 In einem Experiment der London Business School wurden die Teilnehmer gebeten, aus einer Menükarte mit 24 Tees einen auszuwählen. Manche Teilnehmer trafen nur die Auswahl, andere wurden zusätzlich gebeten die Menükarte zu schließen. Es zeigte sich, dass letztere zufriedener mit ihrer Auswahl waren. Entscheidend für die Wirksamkeit von Choice Closure ist, dass die Handlung vom Entscheider selbst durchgeführt wird. Vgl. Gu et al (2013)
176 Auf diesem basiert die vorherige Vereidigung bei Gericht, bei der mannochmals an Ehrlichkeit erinnert wird. Deshalb wäre es vermutlich besser, wenn man z.B. Steuererklärung erst unterschreibt und dann ausfüllt und nicht umgekehrt.
177 Cialdini (2017): S. 160
178 Vgl. Staw (1981)
179 Selbstdarstellungen können weitreichende Auswirkungen auf die Identität eines Akteurs haben. Probanden, die sich einem Interviewer als kontaktfreudig präsentieren, verhalten sich in einer anderen Situation kontaktfreudiger (d.h. sprechen früher, häufiger und länger) und werden von anderen als geselliger angesehen. Selbstdarstellungen erzeugen somit eine Übertragung, die die Identität des Akteurs in einer neuen Situation mit einem neuen Publikum beeinflusst. Vgl. Schienker et al (1994)
180 Studien legen nahe, dass Menschen dazu neigen, relevante Informationen zu prüfen, um den Zweifel zu minimieren, der mit einer Inkonsistenz zwischen expliziten und impliziten Selbstverständnissen einhergeht. Vgl. Brinol et al (2006) Zur Konsistenz in Bezug auf Beziehungen vgl. Rusbult et al (2000)
181 Vgl. Cialdini (2017): S. 159f
182 Vgl. Bem (1967)
183 Vgl. Dolan et al (2012), Ashraf et al (2006)
184 Vgl. Sunstein (2014)
185 Vgl. Sprott (2003)
186 Vgl. Trope / Fishbach (2000)
187 In zwei Feldversuchen wurden Probanden Zeugen eines gestellten Diebstahls eines Radios am Strand bzw. eines Koffers in einer Cafeteria. Durch vorheriges Commitment konnte der Wert der einschreitenden Probanden von 20% auf 95% erhöht werden. Vgl. Moriarty (1975)
188 In zwei Studien wurden Menschen gebeten, vorherzusagen, ob sie in den nächsten Tagen wählen würden. Durch Einsichtnahme in die offiziellen Wählerverzeichnisse konnte belegt werden, dass eine Zusage die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Stimmabgabe erhöhte. Vgl. Greenwald et al (1987); Besonders wirksam ist in diesem Zusammenhang die Betonung der Identität, z.B. die Frage: Sind Sie ein Wähler? Vgl. Sunstein, 2014; Neben dem Commitment-Bias wirken hier auch Priming-Effekte. Die Frage nach der Wahlabsicht verändert die Leichtigkeit des Erinnerns und primed das Verhalten. Vgl. Levav / Fitzsimons (2006)
189 Vgl. Greenwald et al (1987)
190 Vgl. Williams et al (2005)
191 Vgl. Hansen / Jespersen (2013)
192 Vgl. Ashraf et al (2006)
193 Vgl. Ariely / Wertenbroch (2002)
194 Vgl. Bammert et al (2020)
195 Vgl. Becker / Mulligan (1997)
196 Vgl. Bicchieri (2006)
197 Vgl. Gine et al (2008)
198 Vgl. Cialdini (2017): S. 112
199 So führt beispielsweise die Erfüllung eines kleinen Gefallens (etwa das Ausfüllen eines Fragebogens) dazu, dass Menschen im Anschluss daran eher bereit sind, noch größere Wünsche zu erfüllen, z.B. der Kauf eines Produkts oder sogar das Spenden von Organen. Vgl. Burger (1999); Carducci et al (1989)
Bachelorarbeit, 65 Seiten
Diplomarbeit, 89 Seiten
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