Bachelorarbeit, 2022
80 Seiten, Note: 1,0
Abkürzungsverzeichnis
1. Einführung
2. Theoretische Rahmung
2.1. Unipolare Depression: Eine psychische Störung
2.1.1. Epidemiologie
2.1.2. Prävalenz
2.1.3. Therapie
2.2. Tiergestützte Therapie
2.2.1. Geschichtlicher Hintergrund der tiergestützten Therapie
2.2.2. Erklärungsansätze der Mensch-Tier-Beziehung
2.2.2.1. Biophilie-Hypothese
2.2.2.2. Du-Evidenz
2.2.2.3. Bindungstheorie
2.2.2.4. Bindungshormon Oxytocin
2.3. Der Therapiebegleithund
2.3.1. Der Therapiebegleithund in der Psychotherapie
2.4. Finanzielle Rahmenbedingungen hundegestützter Therapie
2.5. Zwischenfazit: Zusammenschau zentraler theoretischer Erkenntnisse
3. Zielsetzung und Fragestellung
4. Methodik
4.1. Übersichtstabelle
4.2. Ein- und Ausschlusskriterien
4.3. Datenbanken
4.4. Güte der Studien
4.5. Suchstrategie und Studienauswahl
5. Hundegestützte Therapie bei Menschen mit Depression
5.1. Vorstellung der ausgewählten Studien
5.2. Ergebnisse
5.3. Unterstützung durch einen Therapiebegleithund im Rahmen tiergestützter Psychotherapie
5.3.1. Hinsichtlich des Therapeutischen Prozesses
5.3.2. Hinsichtlich des Menschen mit Depression
5.4. Chancen und Hürden bei der Unterstützung von Menschen mit Depression durch einen Therapiebegleithund im Rahmen tiergestützter Therapie
5.4.1. Chancen
5.4.2. Hürden
5.5. Limitationen der gesichteten Studien
6. Diskussion
6.1. Bezug zu theoretischen Erkenntnissen
6.2. Beantwortung der leitenden Fragestellung
7. Fazit und Ausblick für weitere Forschung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anhang
Die unipolare Depression ist eine der häufigsten psychischen Störungen mit einem erheblichen Leidensdruck für die Betroffenen (WHO, 2008). In der Wissenschaft wird verstärkt nach Alternativen oder Ergänzungen zu Antidepressiva (Hoffmann et al., 2009) und einer herkömmlichen Psychotherapie zur Behandlung von Depressionen gesucht (Busch et al., 2016). Die hundegestützte Therapie weist als Ergänzung zu der Psychotherapie großes Potential bei der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen auf (Ganser, 2017; Wohlfarth & Mutschler, 2018; Blesch, 2020).
Anhand einer literaturbasierten Recherche wurden in dieser Bachelorarbeit sechs Studien, die die Wirksamkeit eines Therapiebegleithundes hinsichtlich des Befindens von Menschen mit Depression untersuchten, beleuchtet. Die Ergebnisse der jeweiligen Studien deuten darauf hin, dass ein Therapiebegleithund im Rahmen tiergestützter Therapie der Symptomatik einer Depression unterstützend entgegenwirken und den psychotherapeutischen Prozess erleichtern kann. Gleichwohl konnte keine ausreichende Signifikanz zwischen Kontroll- und Interventionsgruppen festgestellt werden.
Unipolar Depression is one of the most common mental disorders with a significant level of suffering for those affected (WHO, 2008). Researchers are increasingly looking for alternatives or supplements to antidepressants (Hoffmann et al., 2009) and conventional psychotherapy to treat depression (Busch et al., 2016). As a supplement to psychotherapy, dog-assisted therapy has great potential in the treatment of people with mental illnesses (Ganser, 2017; Wohlfarth & Mutschler, 2018; Blesch, 2020).
Based on literature research, six studies that examined the effects of a therapy-companion-dog about the well-being of people with depression were examined in this bachelor thesis. The results of the respective studies indicate that a therapy-companion-dog in the context of animal-assisted therapy can counteract the symptoms of depression and facilitate the psychotherapeutic process. Nevertheless, no sufficient significance could be determined between the control and intervention groups.
AU Arbeitsunfähigkeit
BAI Beck Anxiety Inventory
BBS Basler Befindlichkeitsskala
BDI Beck-Depressions-Inventar
BFS Befindlichkeitsskala
BPtK Bundes-Psychotherapeuten-Kammer
bzw. beziehungsweise
ca. circa
Destatis Statistisches Bundesamt
d. h. das heißt
DSM-V Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
ESAAT European Society for Animal Assisted Therapy
GDS-15 Geriatric Depression Scale
ggf. gegebenenfalls
ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems
dt.: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
ICD-10 V(F) Internationale Klassifikation psychischer Störungen
ISAAT International Association for Animal Assisted Therapy
o. S. ohne Seitenangabe
STAI State-Trait Anxiety Inventory
u. a. unter anderem
WHO Weltgesundheitsorganisation
z. B. zum Beispiel
„Da, wo ein Lebewesen uns in unserer individuellen Art so annimmt wie wir sind, beginnt eine emotionale Beziehung, die Nähe und Geborgenheit zulässt, die uns öffnet, sich dem anderen emotional anzuvertrauen“ (Otterstedt, 2001, 34f.).
Der Stiftung ‚Deutsche Depressionshilfe‘ (2021) zufolge gehört die Depression zu den häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Im Laufe eines Jahres erkranken in etwa 5,3 Millionen Menschen an einer unipolaren Depression, die behandlungsbedürftig ist. Dass diese Erkrankung einen erheblichen Leidensdruck mit sich bringt, zeigt sich u. a. in den 10.000 Suiziden und 150.000 Suizidversuchen jährlich, die vor dem Hintergrund einer nicht optimal behandelten Depression passieren. Die Depression wird in ihrer Schwere nach wie vor stark unterschätzt und stigmatisiert. Neben diagnostischen und therapeutischen Defiziten ist dies mit eine der Ursachen, weshalb die Erkrankung häufig noch nicht optimal behandelt wird. Die primären Behandlungsstränge einer Depression sind die Pharmakotherapie mit Antidepressiva und die Psychotherapie. Häufig handelt es sich auch um eine Kombination dieser Therapieformen. Außerdem existieren verschiedene alternative und ergänzende Therapieverfahren (Deutsche Depressionshilfe, 2021). „Psychische Erkrankungen führen nicht nur oft in die soziale Isolation, sondern reduzieren bei den Betroffenen aufgrund sozialer und interaktioneller Defizite auch die Aufnahme- und Teilnahmebereitschaft für etablierte Therapieformen.“ (Hartfiel, Bodatsch, Klosterkötter & Kuhn, 2017, 36). Dies bildet einen der Gründe ab, weshalb ergänzende Therapieverfahren bedeutsam und essenziell sein können (Will & Völkl, 2019).
Eine ergänzende Therapieform zur Behandlung von psychischen Erkrankungen und im Speziellen der Depression stellt die tiergestützte Therapie dar (Ganser, 2017). Sie fällt neben tiergestützter Pädagogik, Förderung und Aktivität unter den übergeordneten Terminus der tiergestützten Intervention (Waiblinger & Otterstedt, 2012). Zwar mangelt es an einer einheitlichen Terminologie tiergestützter Interventionsformen (Blesch, 2020), doch bildet sich in der Literatur ein übereinstimmendes Verständnis der tiergestützten Therapie ab: Im Wesentlichen liegt demnach der Schwerpunkt tiergestützter Therapie auf geplanten und zielorientierten Maßnahmen, die auf bestimmte Persönlichkeitsbereiche einwirken und emotionale Blockaden oder soziale Ängste reduzieren sollen (Vernooij & Schneider, 2018; Wohlfarth, Mutschler & Bitzer, 2013).
Es gibt eine Vielzahl an Tieren, die in den therapeutischen Prozess als integraler Bestandteil eingebunden werden können. Darunter fallen u. a. „Hunde, aber auch Katzen, Mäuse, Fische, Pferde, Lamas“ (Ganser, 2017, 7). Einer Pilotstudie der Stiftung ‚Bündnis Mensch & Tier‘ (2009) zufolge sind Hunde diejenigen Tiere, die am häufigsten in tiergestützten Interventionen – insbesondere in Therapien – eingesetzt werden. Dabei wurden 237 Mensch-Tier-Begegnungsstätten im gesamten Bundesgebiet kontaktiert, von denen 165 aus dem Bereich der tiergestützten Intervention an der Befragung teilnahmen (Waiblinger & Otterstedt, 2012).
Auch Ganser (2017) legt dar, dass Hunde in besonderem Maße den Therapieprozess fördern können. Sie ermöglichen eine angstfreie und natürliche Atmosphäre und begünstigen somit die Bereitschaft des_der Patient_in, sich dem therapeutischen Prozess zu öffnen (Ganser, 2017; Vernooij & Schneider, 2018). „Insofern ist die Integration von Hunden in die Therapie psychischer Erkrankungen von besonderem Interesse“ (Hartfiel et al, 2017, 36).
Aus diesem Grund wird sich in der vorliegenden Arbeit mit der hunde gestützten Therapie und deren möglicher Unterstützung für Menschen mit Depression beschäftigt. Dabei wird anhand einer literaturbasierten Recherche der Frage nachgegangen, inwieweit ein Therapiebegleithund im Rahmen tiergestützter Therapie Menschen mit Depression unterstützen kann.
Im folgenden Verlauf wird zunächst ein theoretischer Rahmen gespannt, der die unipolare Depression und die tiergestützte Therapie einschließlich des Therapiebegleithundes ausführlich beleuchtet (Kapitel 2). Auf dieser Grundlage kann das konkrete Ziel samt der leitenden Forschungsfrage expliziert werden (Kapitel 3). In einem weiteren Schritt wird das genaue methodische Vorgehen erläutert (Kapitel 4), bevor anschließend die Ergebnisse verschiedener Studien der Forschungsfragen dieser Arbeit entsprechend gründlich dargelegt werden (Kapitel 5). Darauffolgend werden diese Ergebnisse mit Blick auf die Theorie diskutiert, bevor die leitende Fragestellung beantwortet wird (Kapitel 6). Zum Schluss folgen ein Fazit und ein Ausblick für weitere Forschung in diesem Feld (Kapitel 7).
Bevor inhaltlich eingestiegen wird, gilt es vorab auf Folgendes hinzuweisen:
Der Mensch ist per Definition ein Tier, er gehört demnach zu den Tieren. Die korrekten Bezeichnungen für die Unterscheidung von Mensch und Tier wären demnach menschliches und nicht-menschliches Tier (Blesch, 2020). Für eine leichtere und verständlichere Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf allerdings von Tieren gesprochen, wenn nicht-menschliche Tiere gemeint sind.
Mit der Bezeichnung der verschiedenen Tierarten werden die Geschlechter mit einbezogen. So wird z. B. in der Arbeit von der Tierart ‚Hund‘ gesprochen, wobei sowohl Rüde als auch Weibchen unter diesen Begriff fallen (Miklósi, 2011).
Außerdem wird in der Arbeit auf Statistiken verwiesen, in denen ausschließlich zwei Geschlechter – männlich und weiblich – einbezogen sind. Dies ist dem dritten Geschlecht über nicht despektierlich zu verstehen, sondern einzig der begrenzten Geschlechterauswahl der Statistiken geschuldet.
Die Abbildungen in dieser Arbeit verfügen über einen Alternativtext.
Um das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis des Störungsbildes der Depression und der Therapieform der tiergestützten Therapie zu bestimmen und maßgebend aufzuarbeiten, gilt es in einem ersten Schritt diese Begriffe theoretisch zu fundieren.
Die unipolare Depression ist im Rahmen des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Klassifikationssystems „Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F)“ in der Kategorie F3 ‚Affektive Störungen‘ verordnet (Dilling, Mombour & Schmidt, 2015). Die ICD-10 V(F) beinhaltet klinisch-diagnostische Leitlinien für psychische Störungen und Verhaltensstörungen. Es wird in Deutschland neben dem „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-V) zur Klassifikation psychischer Störungen bevorzugt herangezogen (Will & Völkl, 2019).
Unter affektiven Störungen wird eine Störung des emotionalen Gleichgewichts verstanden (Gerrig, Dörfler & Roos, 2018).
Nach Dilling et al. (2015) bestehen bei affektiven Störungen die Hauptsymptome in einer Veränderung der Stimmung oder der Affektivität, meist zur Depression hin, mit oder ohne begleitende Angst, oder zur gehobenen Stimmung. […] Die meisten dieser Störungen tendieren zu wiederholtem Auftreten. Der Beginn der einzelnen Episoden ist oft mit belastenden Ereignissen oder Situationen in Zusammenhang zu bringen (159).
Die ICD-10 V(F) unterteilt die affektiven Störungen mit folgenden Kennzeichnungen u. a. in F30 ‚manische Episode‘, F31 ‚bipolare affektive Störung‘, F32 ‚depressive Episode‘ und F33 ‚rezidivierende depressive Störung‘ (Dilling et al., 2015). Diese Kategorien lassen sich in zwei verschiedene Verlaufsformen einteilen: Unipolare Depression und bipolare Störung. Bei der unipolaren Depression handelt es sich um einen durchweg depressiven Zustand, während die bipolaren Störungen zwischen depressiven und manischen Phasen wechseln. In etwa 65% aller depressiv erkrankten Menschen leiden unter einer unipolaren Depression (Payk & Brüne, 2013). Ausschließlich die unter die unipolare Depression fallenden Kategorien F32 und F33 werden in dieser Arbeit betrachtet. Da die unipolare Depression in der Literatur überwiegend als Depression bezeichnet wird (z. B. Ballenger, 1999; Busch et al. 2016; Will & Völkl, 2019; WHO, 2017), wird auch in dieser Arbeit der Einfachheit halber von einer Depression gesprochen.
Wenn es sich um eine einzelne Episode handelt, in der die Depression auftritt, handelt es sich um eine depressive Episode (F32). Die rezidivierende depressive Störung (F33) ist durch wiederholte depressive Episoden charakterisiert. Es finden sich in der Vorgeschichte der Betroffenen keine unabhängigen Episoden mit gehobener Stimmung und Überaktivität, welche die Kriterien der Manie (F30) erfüllen könnten. Wenn zwischen den depressiven Episoden kurze Phasen leicht gehobener Stimmung auftreten, gilt trotzdem die rezidivierende depressive Episode (Dilling et al., 2015).
Die Unterteilung in leichte, mittelgradige und schwere depressive Episode bzw. rezidivierende depressive Störung erfolgt anhand komplexer klinischer Beurteilungen, die zum einen die Anzahl und zum anderen die Art und Schwere der vorliegenden Symptome berücksichtigen. Bei der rezidivierenden depressiven Episode gilt außerdem, dass wenigstens zwei depressive Episoden mindestens zwei Wochen angedauert haben (Dilling et al., 2015).
Es gilt zu betonen, dass im Folgenden von einer Depression gesprochen wird und nur dann eine begriffliche Konkretisierung bzw. Unterscheidung erfolgt, wenn sich ausschließlich auf eine der beiden Kategorien (F32; F33) beschränkt wird. Darüber hinaus werden in dieser Arbeit die Begriffe Erkrankung und Störung äquivalent zueinander verwendet.
Das Auftreten von Depressionen ist sowohl bezüglich des Alters bei Beginn als auch des Schweregrads und der Dauer sehr unterschiedlich.
Typische Symptome einer Depression – unabhängig des Schweregrads (leicht, mittelgradig oder schwer) – sind gedrückte Stimmung, Interessenverlust und Freudlosigkeit, Antriebsverminderung und erhöhte Ermüdbarkeit (Dilling et al., 2015).
Zudem geht die Depression häufig mit einer verminderten Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit einher. Im Allgemeinen leiden Menschen mit Depression häufig an Schlafstörungen und Appetitlosigkeit. Nicht selten vermindert sich das Selbstwertgefühl und -vertrauen. Die Betroffenen leiden vermehrt unter starken Schuldgefühlen und fühlen sich wertlos. Auf die Zukunft sehen sie häufig negativ und pessimistisch. Suizidgedanken, die nicht selten zu Suizidhandlungen oder selbstverletzendem Verhalten führen, häufen sich (Dilling et al., 2015). Nicht nur ist das Suizidrisiko bei Menschen mit depressiver Erkrankung ca. 30-mal höher als in der Allgemeinbevölkerung (Harris & Barraclough, 1997), mit einem prozentualen Risikofaktor von 19,9 % bringt jene psychische Erkrankung weltweit das größte Risiko eines Suizids mit sich (Dattani, Ritchie & Roser, 2021).
„Die gedrückte Stimmung ändert sich von Tag zu Tag wenig, […] kann aber charakteristische Tagesschwankungen aufweisen.“ (Dilling et al., 2015, 170). Bei einer Depression kann die Symptomatik erheblich individuell variieren und insbesondere in der Jugend tritt ein untypisches Erscheinungsbild häufig auf. Es ist nicht unüblich, dass episodisch „Angst, Gequältsein und motorische Unruhe“ (Dilling et al., 2015, 170) im Vordergrund der Erkrankung stehen. Zusätzliche Symptome können u. a. Reizbarkeit, exzessiver Alkoholkonsum, histrionisches – mithin theatralisches, affektiertes – Verhalten, phobische und zwanghafte Störungen oder hypochondrische Grübeleien sein, die teilweise die Stimmungsänderung verdecken (Dilling et al., 2015).
Für die Diagnose der Depression muss die grundlegende Symptomatik seit mindestens zwei Wochen andauern. Ausnahme ist, wenn Symptome ungewöhnlich schnell oder schwer aufgetreten sind (Dilling et al., 2015).
Liegen zusätzlich zu einer diagnostizierten Depression mindestens vier der Anzeichen für körpernahe depressive Symptome vor, handelt es sich um eine Depression mit somatischem Syndrom (Abb. 1). Für eine bessere Übersichtlichkeit der Symptome einer Depression – insbesondere zur Veranschaulichung für den weiteren Verlauf der Arbeit – dient folgende Abbildung, die die Symptome stichpunktartig aufführt (Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es handelt sich bei der Depression um eine anerkannte psychische Störung, die zu den häufigsten psychischen Störungen im Erwachsenenalterzählt (Will & Völkl, 2019):
Epidemiologische Untersuchungen in Skandinavien, England, USA und Deutschland weisen darauf hin, dass etwa 12-26 % aller Erwachsenen irgendwann in ihrem Leben klinisch manifeste depressive Episoden zumeist mittleren Schweregrades durchmachen (57).
In der Studie „The global burden of disease“ (2008) der WHO wurde der Verlust an gesunden Lebensjahren geschätzt, der durch physische und psychische Erkrankungen verursacht werden kann. Dabei zeigt sich, dass depressive Störungen weltweit hinsichtlich der Last, die sie Betroffenen aufbürden können, auf dem dritten Platz – hinter Atemwegsinfekten und Durchfallerkrankungen – eingeordnet werden. Auffällig ist zudem, dass die Depression sich in Ländern mit mittlerem bis hohem Einkommen auf dem ersten Platz befindet (WHO, 2008). „Depressive Störungen sind also häufige und schwerwiegende Erkrankungen, die unabhängig von Alter, Geschlecht und Status jeden treffen können.“ (Beesdo-Baum & Wittchen, 2011, 886).
Epidemiologische Risikofaktoren für die Erkrankung an einer Depression können Alter, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischer Status, geographische Region, psychosoziale Stressoren bzw. Lebensereignisse und Komorbidität sein (Beesdo-Baum & Wittchen, 2011).
Im Alter von 18 bis 65 Jahren ist die 12-Monats-Prävalenz einer depressiven Erkrankung von 6-8% am stärksten ausgeprägt, während unter- und oberhalb der Altersklasse ein geringeres Risiko zu erkranken besteht (Wittchen & Jacobi, 2005).
Generell lässt sich feststellen, dass Frauen doppelt so häufig von einer Depression betroffen sind wie Männer (Jacobi et al., 2004). Dieser Unterschied zeigt sich jedoch erst ab der Adoleszenz. Gründe für die Geschlechtsunterschiede können u. a. hormonelle Unterschiede oder soziale Faktoren und die Umwelt sein (Beesdo-Baum & Wittchen, 2011).
Hinsichtlich des Familienstandes lässt sich feststellen, dass Depressionen häufig bei Personen auftreten, die getrennt bzw. geschieden leben oder verwitwet sind (Kessler et al., 2003).
Es ist einigermaßen konsistent belegt, dass ein positiver Zusammenhang zwischen einem geringen sozioökonomischen Status und der Erkrankung an Depression besteht (Kessler et al., 2003).
Einige Studien weisen darauf hin, dass in einer Stadt häufiger Depressionen auftreten als in ländlichen Gebieten (Alonso et al., 2004). Parallel dazu liegen jedoch auch gegenteilige Ergebnisse vor, weshalb der Faktor der geographischen Region nicht vollends als Risiko eingestuft werden kann (Beesdo-Baum & Wittchen, 2011).
Derartige psychosoziale Belastungsfaktoren, wie der Verlust oder die Trennung von geliebten Personen, besonders in Verbindung mit anderen chronischen Belastungen (z. B. finanzielle Probleme), erhöhen das Risiko einer Depression (Kendler, Hettema, Butera, Gardner & Prescott, 2003) und stellen insbesondere hinsichtlich der Auslösung einer ersten depressiven Episode ein großes Risiko dar (MacMillan et al., 2001).
Depressionen treten darüber hinaus häufig in Kombination mit anderen psychischen sowie körperlichen komorbiden Erkrankungen auf (Kessler et al. 2010).
Seit den letzten Jahrzehnten ist ein deutlicher Anstieg der Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erkennen, insbesondere hinsichtlich der Depression (Will & Völkl, 2019). So wurden im Jahr 2019 aufgrund psychischer Störungen die meisten Tage in einem Krankenhaus verbracht (Abb. 2) (Richter, Kliner & Rennert, 2020).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Jahr 2019 wurden deutschlandweit 1,16 Millionen Menschen mit psychischen Störungen vollstationär behandelt. Im Vergleich dazu waren es im Jahr 1994 noch 770.514 Menschen (Radtke, 2021).
Aufgerundet erhielten 290.000 Patient_innen die Diagnose ‚affektive Störung‘, während um die 105.800 Menschen unter einer depressiven Episode litten (Tabelle 1).
Im Vergleich zu dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der entlassenden Krankenhauspatient_innen mit der Diagnose einer affektiven Störung im Jahr 2019 mehr als verdoppelt. Auffällig ist zudem, dass sich die Zahl der gestellten Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung zwischen 2000 und 2019 mehr als vervierfacht hat (Tabelle 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Anzahl diagnostizierter affektiver Störungen bei entlassenen Patient_innen in Deutschland der Jahre 2000 und 2019 im Vergleich orientiert an Statistisches Bundesamt (Destatis) (2021a)
Die Diagnose der depressiven Episode und der rezidivierenden depressiven Störung hat in allen Altersklassen zwischen 2000 und 2019 stetig zugenommen (Tabelle 2).
Die größte Zunahme einer diagnostizierten Depression zeigt sich in der Altersklasse von 45 bis 60, dahinter reihen sich die Altersklassen von 15 bis 30 und 30 bis 45 (Tabelle 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Anzahl Patient_innen mit Diagnose ‚depressive Episode‘ und ‚rezidivierende depressive Störung‘ im Jahr 2000 und 2019 nach Altersklasse und Geschlecht orientiert an Destatis (2021b)
Die Zunahme spiegelt sich auch in der Arbeitswelt hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit (AU) wider. „Die Zahl der AU-Tage für psychische Erkrankungen nehmen bei beiden Geschlechtern mit dem Alter kontinuierlich zu“ (Marschall, Hildebrandt, Kleinlercher, Nolting & Storm, 2020, 19). Nach Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems hatten psychische Störungen im Jahr 2017 den zweitgrößten Anteil an AU-Tagen in Deutschland. Während die durchschnittliche AU-Dauer aufgrund von psychischen Störungen im Jahr 2006 noch bei 27,3 AU-Tagen je Fall lag, handelte es sich 2019 bereits um 35,4 AU-Tage je Fall (Marschall et. al, 2020). Insbesondere die Depression zählt zu jenen psychischen Störungen, die eine durchschnittlich lange AU verschulden (Richter et al., 2020).
Das durchschnittliche Renteneintrittsalter bei krankheitsbedingter Frühverrentung aufgrund einer psychischen Störung lag im Jahr 2012 bei Frauen bei 48,9 Jahren, bei Männern bei 48,5 Jahren und ist somit eine der Erkrankungen, die einen verhältnismäßig frühen Renteneintritt verursachen (Bundes-Psychotherapeuten-Kammer [BPtK], 2013). „Psychische Erkrankungen sind seit mehr als zehn Jahren die Hauptursache für Frühverrentung. […] Fast jede zweite Frühverrentung pro Jahr ist damit psychisch verursacht“ (BPtK, 2013). In der folgenden Abbildung wird deutlich, dass sowohl bei Frauen als auch bei Männern im Jahr 2013 die Kategorie ‚affektive Störung‘, worunter Depression fällt (Kapitel 2.1.), die häufigste psychische Ursache für eine Frühverrentung darstellt (Abb. 3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nicht nur deutschlandweit lässt sich eine Zunahme psychischer und im Speziellen depressiver Störungen erkennen. Zwischen 2005 und 2015 wurde von der WHO ein weltweiter Anstieg der depressiven Störung um mehr als 18% verzeichnet (WHO, 2017). In der Schweiz waren die häufigsten Diagnosen in psychiatrischen Kliniken im Jahr 2019 der Kategorie ‚affektive Störungen‘ zuzuordnen (Bundesamt für Statistik (Schweiz), 2020).
Im Jahr 2017 waren weltweit um die 792 Millionen Menschen an einer psychischen Störung erkrankt, was in etwa einem von zehn Menschen entspricht (Dattani et al., 2021). Davon litten ca. 265 Millionen Menschen an einer Depression (Global Burden of Disease Collaborative Network, 2018).
Es ist umstritten, ob der Anstieg in einem häufigeren Auftreten der Erkrankung im gegenwärtigen Zeitalter begründet liegt, oder Betroffene durch den zunehmenden Versuch der Entstigmatisierung der Depression und anderer psychischer Störungen stärker erreicht werden (Will & Völkl, 2019). Allerdings bestehen nach wie vor zahlreiche „Vorurteile und Fehlannahmen – so wird Depression von der Öffentlichkeit hinsichtlich ihrer Schwere unterschätzt und von den Betroffenen als persönliches Versagen missverstanden“ (Hegerl, Rummel-Kluge & Heinz, 2016, 406).
Dennoch: „Depression is one of the most common mental health conditions in the world, so the intricacies of the condition have important consequences for a large number of people” (Dattani et al., 2021, o. S.). Aus diesem Grund scheint es unumgänglich, dieser Erkrankung die nötige Ernsthaftigkeit entgegenzubringen, um u. a. Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Unter diversen Therapieverfahren zählen die Behandlungsstränge ‚medikamentöse Behandlung‘ und ‚psychotherapeutische Behandlung‘ zu den gängigsten. Auch eine Kombination dieser Therapien ist nicht unüblich (Beesdo-Baum & Wittchen, 2011).
Eine Therapie verfolgt in erster Linie folgende Ziele (Ballenger, 1999):
- Verminderung der depressiven Symptomatik,
- Verringerung der Mortalität – vor allem durch Suizid,
- Herstellung des seelischen Gleichgewichts,
- Reduktion der Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls,
- Herstellung beruflicher und psychosozialer Leistungsfähigkeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Die Studie „How should remission from depression be defined? The depressed patient's perspective“ (2006) von Zimmerman und Kolleg_innen befasste sich mit der Perspektive depressiver Patient_innen hinsichtlich der Remission von Depression. Dabei kristallisiert sich heraus, dass neben der Abwesenheit der Symptome auch weitere Faktoren von großer Bedeutung und aufgrund dessen als Ziele einer Behandlung nicht zu missachten sind (Tabelle 3).
[...]
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