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Examensarbeit, 2015
123 Seiten, Note: 1,33
Verzeichnis der Abbildungen
Kodierschema des Messinstruments
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlage
2.1. Geschichtliche Entwicklung des Denkstilbegriffs
2.3. Denkstile nach Sternberg
2.4. Kognitive Stildimension nach Riding
2.5. Mathematische Denkstile nach Borromeo Ferri
2.5.1 Vorstellung des Modells zum mathematischen Denkstil
2.5.2 Komponenten mathematischer Denkstile
2.5.3 Prinzipien mathematischer Denkstile
2.5.4 Modell zur Rekonstruktion verschiedener mathematischer Denkstile und deren Ergebnisse
2.5.5 Zwecke und Inhalte externer Darstellungen
2.5.6 Die Rolle der mathematischen Sozialisation
2.6 Mathematische Beliefs
2.6.1 Mathematische Weltbilder
2.7 Lehramtsausbildung im Studiengang Mathematik
2.8 Übergang von schulischer- zu universitärer math. Ausbildung
2.8.1 Diskrepanz zwischen Vorstellung und Eignung
2.8.2 Die Bedeutung der ersten Semester
2.9 Homogenisierung oder Individualisierung
2.10 Math. Kompetenzen verschiedener Lehrämter im Vergleich
3. Methodologie und Aufbau der Untersuchung
3.1 Präzisierung der Forschungsfrage
4. Ergebnisse der empirischen Studie
4.1 Ergebnisse zu den mathematischer Denkstilen
4.2 Ergebnisse zu Beliefs über Mathematik
4.3 Präferenzen speziell in der fachmathematischen Lehramtsausbildung
5. Fazit
6. Ausblick
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
Abbildung 1: The two systems compared (Skemp, 1987, 79)
Abbildung 2: Extern orientierte Typen (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 48)
Abbildung 3: Modell zur theoretischen Beschreibung des Konstrukts mathematischer Denkstil (Borromeo Ferri, 2004, 52)
Abbildung 4: Häufigkeiten Lehramt
Abbildung 6: Häufigkeiten Semesteranzahl
Abbildung 5: Häufigkeiten Alter
Abbildung 7: Visuelle-symbolische Komponente
Abbildung 8: Zergliedernde-ganzheitliche Komponente
Abbildung 9: Interne-externe Komponente
Abbildung 10: Lösungshäufigkeiten der Teilaufgabe 1.a)
Abbildung 11: Lösungsart der Teilaufgabe 1.a)
Abbildung 12: Lösungshäufigkeiten der Teilaufgabe 1.b)
Abbildung 13: Lösungsart der Teilaufgabe 1.b)
Abbildung 14: Lösungshäufigkeiten der Aufgabe
Abbildung 15: Lösungsart der Aufgabe
Abbildung 16: Mathematische Weltbilder im Vergleich
Abbildung 17: Präferenzen und Wünsche für Vorlesungen und Seminare
Abbildung 18: Präferenzen und Wünsche für Vorlesungen und Seminare unterschiedlicher Lehrämter
Abbildung 19: Fragebogen Seite 1
Abbildung 20: Fragebogen Seite 2
Abbildung 21: Fragebogen Seite 3
Abbildung 22: Fragebogen Seite 4
Abbildung 23: Fragebogen Seite 5
Abbildung 24: Fragebogen Seite 6
Abbildung 25: Fragebogen Seite 7
Abbildung 26: Fragebogen Seite 8
Abbildung 27: Fragebogen Seite 9
Abbildung 28: Korrelation der visuellen-symbolischen Komponente
Abbildung 29: Streudiagramm der visuellen-symbolischen Komponente
Abbildung 30: Korrelation der zergliedernden-ganzheitlichen Komponente
Abbildung 31: Streudiagramm der zergliedernden-ganzheitlichen Komponente
Abbildung 32: Korrelation der internen-externen Komponente
Abbildung 33: Streudiagramm der internen-externen Komponente
Abbildung 34: Reliabilitätsstatistiken der symbolisch-formalen/verbalen Items
Abbildung 35: Reliabilitätsstatistiken der visuellen Items
Abbildung 36: Reliabilitätsstatistiken der zergliedernden Items
Abbildung 37: Reliabilitätsstatistiken der ganzheitlichen Items
Abbildung 38: Reliabilitätsstatistiken der internen Items
Abbildung 39: Reliabilitätsstatistiken der externen Items
Abbildung 40: Lösungshäufigkeiten L
Abbildung 41: Lösungshäufigkeiten L
Abbildung 42: Lösungshäufigkeiten L
Abbildung 43: Lösungshäufigkeiten L
Abbildung 45: Item "Ich stelle mir beim Lesen sofort Figuren und Bilder in meinem Kopfvor"
Abbildung 44: Lösungshäufigkeiten LAPS
Abbildung 46: Item "Ich suche schon beim Lesen nach einer bekannten Formel oder Vorgehensweise"
Abbildung 47: Item "Beim Bearbeiten der Aufgabe 1.a) fiel es mir leichter die Aufgabe mit einer Zeichnung zu bearbeiten"
Abbildung 48: Item "Beim Bearbeiten der Aufgabe 1.b) fiel es mir leichter die Aufgabe mit einer Zeichnung zu bearbeiten"
Abbildung 49: Item "Ich stelle mir beim Lesen sofort Figuren und Bilder in meinem Kopfvor"
Abbildung 50: Item "Ich suche schon beim Lesen nach einer bekannten Formel oder Vorgehensweise"
Abbildung 51: Item "Beim Bearbeiten der Aufgabe 2 fiel es mir leichter die Aufgabe mit einer Zeichnung zu bearbeiten"
Abbildung 52: Korrelation zum Anwendungsaspekt
Abbildung 53: Streudiagramm zum Anwendungsaspekt
Abbildung 54: Korrelation zum Prozessaspekt
Abbildung 55: Streudiagramm zum Prozessaspekt
Abbildung 56: Korrelation zum Formalismusaspekt
Abbildung 57: Streudiagramm zum Formalismusaspekt
Abbildung 58: Korrelation zum Schemaaspekt
Abbildung 59: Streudiagramm zum Schemaaspekt
Abbildung 60: Korrelation zum Interessenaspekt
Abbildung 61: Streudiagramm zum Interessenaspekt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Ein Student ist Unternehmer in eigener Sache.“ (Spoun, 2010)
So lautet die Antwort des damaligen BWL-Dozenten Sascha Spoun der Universität St. Gallen auf die Frage, wie man erfolgreich studieren kann. Die Antwort impliziert das hohe Maß an Selbstverantwortlichkeit, die Kenntnis über Stärken und Schwächen sowie die Bereitschaft am Erwerb fachspezifischen Wissens, über das die Studierenden verfügen sollen. Die Diskrepanz zwischen Vorstellung und Eignung zum jeweiligen Studienfach ist allerdings häufig beträchtlich. Besonders im Fach Mathematik, speziell für Lehramtsstudierende, spiegelt sich diese Problematik in hohen Abbruchsquoten in den ersten Semestern wieder. In der vorliegenden wissenschaftlichen Hausarbeit soll diese Thematik, insbesondere in der Unterscheidung zwischen Studierenden unterschiedlicher Lehrämter, analysiert werden.
Als Erklärungsversuch wird häufig mit fehlenden mathematischen Fähigkeiten oder unpassenden Persönlichkeitsattributen für das jeweilige Studienfach argumentiert, doch einschlägige Literatur der Mathematikdidaktik und Kognitionspsychologie erfassen mathematische Fähigkeiten nicht allein als Grund für ein erfolgreiches Studium. Vielmehr entwickelte sich insbesondere in den letzten Jahren das Konstrukt der mathematischen Denkstile als weitere Option, die ausschlaggebend für den Erfolg in Schule und Studium bei mathematischen Sachverhalten ist. Dabei versteht man unter mathematischen Denkstilen eine Präferenz dafür, wie man mathematische Fähigkeiten nutzt und welche Art und Weise man beim Verstehen und Denken von mathematischen Situationen bevorzugt. Passt der eigene mathematische Denkstil zu dem der Lehrperson und deren Lehrmethode, können Verstehensprobleme minimiert werden und dementsprechend bessere Leistungen erbracht werden, obwohl identische mathematische Fähigkeiten vorliegen.
Unterschiedliche Klassifikationen des (mathematischen) Denkens wurden seit Beginn der Denkstilentwicklung Anfang des 20. Jahrhunderts konzipiert und unter anderem von Rita Borromeo Ferri in der aktuellsten Form, insbesondere mit Schülerinnen und Schülern, weiterentwickelt. Basierend auf ihrer rekonstrutiv-empirischen Studie (2004) unterscheidet sie zwischen dem visuel- len, dem analytischen und dem integrierten Denkstil, die in Folgestudien sogar kulturübergreifend zwischen Grundschülerinnen und Grundschülern, bis hin zu Mathematikstudierenden rekonstruiert werden konnten.
Dabei wurde in der gegenwärtigen Forschung bisher keine Aussage getroffen, inwiefern sich angehende MathematiklehrerInnen für Grundschulen, Haupt- und Realschulen, Gymnasien und beruflichen Schulen in ihrem mathematischen Denkstil unterscheiden. In der vorliegenden quantitativen Studie soll dieser Sachverhalt deshalb durch die folgende Forscherfrage untersucht werden:
Gibt es Unterschiede zwischen den mathematischen Denkstilen verschiedener Lehrämter?
Um ggf. Erklärungen für Differenzen zwischen unterschiedlichen Lehrämtern begründen zu können, sollen nach einer intensiven Darstellung der Denkstilentwicklung darüber hinaus im ersten Teil des theoretischen Hintergrundes Beliefs zur Mathematik dargestellt werden.
Hochschuldidaktische Aspekte spielen bei der Betrachtung der jeweiligen Lehrämter der Mathematik, insbesondere in den ersten Fachsemestern, eine große Rolle und werden im zweiten Teil des theoretischen Hintergrundes analysiert. Die Fragen, inwiefern die Universität Einfluss auf die Entwicklung der mathematischen Denkstile hat und wie die problematischen ersten Semester in der fachmathematischen Ausbildung bewältigt werden können, sind wesentlich für die abschließende Analyse. Dabei muss ebenfalls die „unternehmerische Qualität“, wie Spoun es formuliert, also die Einstellung und Passung der Studierenden zum gewählten Studienfach, erläutert werden.
Im Praxisteil wird die zugrundeliegende Methodologie dieser Studie vorgestellt und anschließend die Ergebnisse veranschaulicht, die durch einen Fragebogen, basierend auf der MaDenK1 -Studie in Zusammenarbeit mit Studierenden der Universität Kassel und Universität Hamburg, erhoben wurde. In einem ausführlichen Fazit sollen mögliche Zusammenhänge, Tendenzen und Diskrepanzen zwischen Ergebnissen und theoretischem Hintergrund verknüpft werden und die Studierenden unterschiedlicher Lehrämter bezüglich mathematischer Denkstile vor der hochschuldidaktischen Perspektive erörtert werden. In einem Ausblick folgt abschließend eine Implikation für die fachmathematische Ausbildung anhand studentischer Wünsche und Präferenzen.
Um das Konstrukt mathematischer Denkstile zu verstehen, soll mit einem Ausblick über wichtige Stationen in der geschichtlichen Entwicklung begonnen werden, um die Vielfältigkeit dieses schwer zu greifenden Phänomens zu überblicken.
Erst Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine mathematikdidaktische Diskussion über Denk- und Fähigkeitstypen, die unter anderem durch Felix Klein (1849-1925) angeregt wurde. Bis in die 1960er Jahre und die ersten Testungen von Krutezki mit Schülerinnen und Schülern beschränkten sich diese Untersuchungen allerdings auf professionelle MathematikerInnen und basierten hauptsächlich auf Erkenntnissen der Psychologie.
Felix Klein verwendet erstmals 1892 folgende intuitive Unterscheidung verschiedener Denktypen:
1) ) Der Philosoph, der von den Begriffen aus construiert,
2) Der Analytiker, der wesentlich mit der Formel operiert,
3) Der Geometer, der von der Anschauung ausgeht.“
(Klein zitiert nach Tobies, 1987, 44)
Zu dieser Aufteilung gelangt Klein durch die Kategorisierung von Mathematikern der damaligen Zeit, die er trotz der „Mannigfaltigkeit der Individualität“ im Großen und Ganzen in diesen Typen vertreten sieht. Als Implikation seiner Thesen bekundet Klein schon damals die Wichtigkeit, an Universitäten eine vielfältige Lehre zu vermitteln. Unterschiedliche Denktypen sollten nicht durch den immer gleichen Dozenten im einseitigen Denken und Lernen spezialisiert werden, sondern durch verschiedene Vertreter von Denktypen die Mathematik in ihren vielfältigen Anwendungen kennenlernen (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 4). Für die schulmathematikdidaktische Entwicklung bevorzugt Klein als Ausgangspunkt des Lernens die Anschauung, später die logische Formellehre (vgl. Euba, 2012, 12):
„Man wird auf der Schule stets zuerst an die lebhafte konkrete Anschauung anknüpfen müssen und erst allmählich logische Elemente in den Vordergrund bringen können.“ (Klein, 1968, 277)
Kleins Bedürfnis, bereits in der Schule die Unterschiedlichkeit der Denktypen zu fördern, lässt sich aus dieser Aussage folgern und spiegelt den Prozesscharakter im mathematischen Denkprozess wieder.
Fast im selben Zeitraum wie Klein beschreibt der Mathematiker Henri Poincaré (1854-1912) zwei verschiedene „Geistesrichtungen“, die ebenfalls durch dessen Erfahrungen mit Mathematikern gestützt wurden:
„Wenn man die ersteren oft Analytiker, die anderen Geometer nennt, so bleiben die einen Analytiker, selbst bei geometrischen Arbeiten, während die anderen auch dann noch Geometer sind, wenn sie sich mit reiner Analyse beschäftigen. Es ist die Anlage des Geistes, die sie zu Logikern oder intuitiven Naturen macht, und sie können sich nicht davon befreien, wenn sie einen neuen Gegenstand vornehmen.“ (Poincaré, 1910, 8/9)
Die Angehörigkeit zur jeweiligen Geistesrichtung ist nach Ponicaré determiniert, sodass bei unpassenden Aufgaben Analytiker oder Geometer durch ihre Denkstruktur beschränkt sind. Beide Denktypen können allerdings durch ihre Ergänzung und Zusammenarbeit Großes leisten. Im Denk- und Arbeitsprozess bedienen sich die Analytiker der Logik und sind um eine schrittweise Darstellung bemüht, während die Geometer Intuition und Anschauung in einer ganzheitlichen Darstellung bevorzugen:
„Zur Arithmetik sowohl als zur Geometrie oder zu irgendeiner Wissenschaft braucht es noch etwas anderes als die reine Logik. Dies andere zu bezeichnen steht uns nur das Wort Intuition zur Verfügung. [...] In der Mathematik heißt die Logik Analysis, und die Analysis bedeutet Zerteilung, Zergliederung. [...] Also hat die Logik als auch die Anschauung jede ihre unentbehrliche Aufgabe. Beide sind notwendig.“ (Poincaré, 1910, 15-21)
Durch die strikte Trennung der Geistesrichtungen ergeben sich allerdings auch Konflikte in der zweifelsfreien Kategorisierung anderer Mathematiker, deren sich Poincaré auch bewusst ist (z.B. Hermite).
1945 trägt der Mathematiker Hadamard Erkenntnisse interner mathematischer Denkprozesse mittels Introspektion zusammen. Mathematisches Denken erfolgt seiner Ansicht nach mit Hilfe von unterschiedlichen „signs“, wie mentale Bilder, Wörter oder algebraische Zeichen, die individuell unterschiedlich präfe- riert werden. Der Denkprozess an sich kann auf drei verschiedene Weisen erfolgen, im Unbewussten, Bewussten und „am Rande des Bewusstseins“ („fringe-consciousness“). Dabei werden konkrete Repräsentationen im Zustand des „fringe-consciousness“ rekonstruiert. Hadamard selbst charakterisiert seine persönlichen konkreten Repräsentanten bei mathematisch komplexen Anforderungen als „vague images“ (dt.: vage Vorstellungsbilder), was seine Präferenz für visuelle Anschauungen deutlich macht (Hadamard vgl. nach Borromeo Ferri, 2004, 9-12).
Skemp setzt sich 1987 mit unterschiedlichen Denktypen auseinander und differenziert zwischen visuellen und verbalen Symbolen. Dabei ordnet er algebraische Symbole den verbalen Symbolen zu, die er grundsätzlich für unentbehrlich in der Mathematik hält. Allerdings könnten auch visuelle Vorstellungen einen mathematischen Sachverhalt nachvollziehbar repräsentieren. Skemp differenziert als einer der ersten zwischen mentaler/innerer Repräsentation und externer Darstellungsform. Algebraische Symbole seien dabei leichter zu ex- ternalisieren, da sie keine konkrete Vorstellung verlangen und einer allgemeingültigen Regelmäßigkeit unterliegen, somit eignen sie sich eher im Kollektiv. Interne Bilder allerdings hätten einen deutlich individuelleren Charakter, da sie sich in unserer inneren Repräsentation uneingeschränkt entfalten können, sodass deren Darstellung und Kommunikation schwierig wird:
„[...] It is so easy to transmit our verbal symbols, and so much harder to transmit our visual symbols.“ (Skemp, 1987, 69)
Beide Denktypen fasst Skemp auch auf Grundlage vorangegangener Studien in folgender Tabelle zusammen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: The two systems compared (Skemp, 1987, 79)
Einen besonderen Stellenwert in der Entwicklung des Denkstilbegriffs haben Krutezkis großangelegte qualitative und quantitative Studien, die er als erster mit Schülerinnen und Schülern verschiedener Jahrgangsstufen durchführte. Dabei handelte es sich um die Rekonstruktion von drei mathematischen Fähigkeitstypen:
„[...] the analytic type [...] with a predominance of a very well developed verbal-logical component over a weak visual-pictorial one [.] the geometric type [.] with a very well developed visualpictorial component, and we can tentatively speak of its predominance over a well developed verbal-logical component [.] the harmonic type [.] typical of them is a relative equilibrium of well developed verbal-logical and visual-pictorial components, with the former in the leading role.” (Krutezki, 1976, 315, 317, 321, 326)
Durch die weitere Entwicklung eines Vier-Stufen-Modells der mentalen Aktivität beim Problemlösen evaluierte Krutezki mit Fragebögen und Aufgabenserien den Arbeitsprozess beim Lösen mathematischer Aufgaben (vgl. Krutezki, 1976, 184). Der „harmonische Typ“ wurde dabei am häufigsten festgestellt. Da für Krutezki die Zuordnung von Haupttypen anhand ihrer mathematischen Fähigkeiten von Bedeutung war, grenzt er sich z.B. von den Denktypen nach Klein und den Geistesrichtungen nach Poincaré ab (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 15-20).
Die auch für die eigene Fallstudie zu beachtende Forschung wurde 1997 von Burton durchgeführt, welche drei Denkstile bei Mathematikerinnen und Mathematikern rekonstruierte und drauf hinweist, dass diese Präferenzen erheblichen Einfluss auf die Lehre und das Lernen von Mathematik haben:
„Style A: Visual (or thinking in pictures, often dynamic)
Style B: Analytic (or thinking symbolically, formalistically) and
Style C: Conceptual (thinking in ideas, classifying).” (Burton, 1999, 95)
Burtons „Conceptual-Typ“ entsprach dabei in vielerlei Hinsicht dem „Begrifflichen bzw. Philosophischen Denktyp“ nach Klein. Die meisten Probandinnen und Probanden nutzten allerdings eine Kombination aus zwei Denkstilen. Des weiteren war vor allem die Erkenntnis folgenschwer, dass die meisten Probanden davon ausgingen, dass jeder Mathematik so versteht bzw. denkt wie er selbst.
Zur Entwicklung von kognitiven Stilen kommt Radatz (1975) durch seine Forschung, in der er der Frage nachging, weshalb Kinder mit vergleichbaren Intelligenzprofilen sehr unterschiedliche Interessen und Verhaltensformen bei denselben Problemen oder Unterrichtsmodellen zeigen (vgl. Radatz, 1975, 85). Als Erklärungsversuch entwickelte Radatz drei wesentliche Stildimensionen:
Begriffsbildungsstile, zu denen der analytisch-deskriptive, der schließendkategoriale und der rationale Stil die Art und Weise der Begriffsklassifizierung beschreiben.
Wahrnehmungsstile, die die Kontexteinflüsse anhand des Grades der Feldabhängigkeit und Feldunabhängigkeit beschreiben.
Conceptual Tempo, das in Impulsivität und Reflektiertheit unterschieden wird.
Ebenso wie Radatz steigt auch Schwank (1996) in die Theorie der kognitiven Strukturen beim „Mathematiktreiben“ ein und unterscheidet zwischen dem prädikativen und funktionalen Denken. Das prädikative Denken zeichnet sich durch logische Urteile und eine statische Struktur aus, während das funktionale Denken auf Kausalität und dynamischen Strukturen basiert. Ein „Mischtyp“ existiert in Schwanks Theorie nicht.
Um die Entwicklung der kognitiven Strukturen des Konstrukts um mathematische Denkstile zu komplettieren, soll im Weiteren auf den Denkstilbegriff nach Sternberg eingegangen werden.
Nachdem der „Stilbegriff“ vorerst nicht wirklich greifbar und einheitlich definiert wurde, entwickelt der Kognitionspsychologe Robert Sternberg 1997 den Begriff des Denkstils, der die Grundlage für das Konstrukt des mathematischen Denkstils nach Rita Borromeo Ferri bildet, wie folgt:
“A style is a way of thinking. It is not an ability, but rather, a preferred way of using the abilities one has. The distinction between style and ability is a crucial one. An ability refers to how well someone can do something. A style refers to how someone likes to do something.” (Sternberg, 1997,8)
Der Denkstil entspricht damit einer Präferenz bezüglich der Denkweise wie ein Individuum seine Fähigkeiten nutzt und beschreibt nicht die Fähigkeit an sich. Unter der Fähigkeit wird die Qualität des Denkprozesses verstanden, während sich der Denkstil darauf bezieht auf welche Weise jemand denkt oder ein spezielles Problem löst. Demzufolge können Personen mit gleichen Fähigkeiten trotzdem über komplett unterschiedliche Denkstile verfügen. Der Denkstilbegriff ist somit mindestens genauso wichtig wie die eigentliche Fähigkeit, da er durch die situative Passung Vorteile oder Nachteile generieren kann (vgl. Sternberg, 1997, X). Durch die Individualität („a way of thinking“) und die positiven Affekte der Präferenz ist der Denkstil positiv konnotiert.
„We do not have a style, but rather a profile of styles.“ (Sternberg, 1997, 19)
Ein Denkstil ist nicht singulär, sondern es entwickelt sich eine Vielzahl von unterschiedlich starken Präferenzen in der Nutzung der eigenen Fähigkeiten, die situativ gebraucht werden.
In der Begriffsbildung bzw. -auslegung von „Stil“ bezieht sich Sternberg 2001 in Zusammenarbeit mit Grigorenko auf die Abgrenzung durch den Grad an Bewusstsein zwischen Stil und Strategie. Eine „Strategie“ wird eher aufgabengebunden akzentuiert und erfolgt als bewusste Wahl eines Individuums, während ein „Stil“ von Situation und Umwelt abhängt und ohne das Wissen des Individuums genutzt werden (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 27).
Sternberg behandelt das Konstrukt des Denkstils allgemein, d.h. unabhängig von spezifischen Fachrichtungen.
Prinzipien der Denkstile
Sternberg formuliert fünfzehn „Prinzipien der Denkstile“, um dem Leser das Konstrukt der Denkstile mit konkreten Beispielen aus seinem Leben begreiflich zu machen. Auszugsweise sollen hier die genannt werden, die auch Borromeo Ferri als zentral für ihre Entwicklung der mathematischen Denkstile einschätzt (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 29):
„Styles are variable across tasks and situations.“ (Sternberg, 1997, 84)
Der Denkstil ist nicht statisch, sondern abhängig von der jeweiligen Aufgabe und der Situation. Zum Beispiel kann jemand, der in seinem Beruf kreativ gefordert wird, bei Aufgaben im Haushalt komplett anders denken und arbeiten. Somit kann es vorkommen, dass der Denkstil stark variiert und sogar bei derselben Aufgabe von situativen Einflüssen (Zeit- oder Erfolgsdruck) abhängt.
„People differ in the strength of their preferences.“ (Sternberg, 1997, 84)
Die Ausprägung der Präferenz für bestimmte Denkstile variiert ebenfalls, sodass Personen mit starken Präferenzen sich oftmals schlechter auf sich ändernde Situationen einstellen können oder in ihrem Denk- und Arbeitsprozess massiv behindert werden.
„Styles are socialized.“ (Sternberg 1997, 86)
Durch Vorbilder, wie Eltern oder Lehrpersonen, werden deren Eigenschaften zum Teil internalisiert. Dies gilt auch für Denkstile, die dementsprechend stark ausgebildet werden.
„Styles can vary across the life span.“ (Sternberg, 1997, 88)
Denkstile können sich im Laufe des Lebens ändern. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Sternberg geht davon aus, dass sich Denkstile nicht nur aufgrund von Ausbildung und beruflicher Umstellung ändern, sondern das der Mensch an sich ständig in einem Prozess der Veränderung ist, der den Denkstil mit einschließt (vgl. Sternberg, 1997, 89).
„Styles are not, on average, good or bad - it’s a question of fit.” (Sternberg, 1997, 97)
Ein Denkstil lässt sich nicht als „gut“ oder „schlecht“ definieren, da er von der Passung in der jeweiligen Situation abhängt. Allerdings können dabei bestimmte Denkstile in manchen Situationen geeigneter sein als andere (vgl. Sternberg, 1997, 136).
„We confuse stylistic fit with levels of abilities.“ (Sternberg, 1997, 98)
Personen und Institutionen schätzen andere Personen bzw. Institutionen entsprechend der eigenen Maßstäbe ein. Diese Beurteilung führt dazu, dass man fälschlicherweise den Individuen mehr Fähigkeiten zuschreibt, die so sind wie man selbst.
Entwicklung und Internalisierung des Denkstils
Der Denkstilbegriff liegt der Theorie des sogenannten „mental selfgovernment“ zugrunde, dabei differenziert Sternberg zwischen Lern-, Denk- und kognitiven Stilen wie folgt:
„Learning styles might be used to characterize how one prefers to learn (...). Would one rather learn about it visually (...) or auditorily (...)? Or perhaps one would prefer an active form of learning (.) versus a passive form (.).”
„Thinking styles might be used to characterize how one prefers to think about material as one is learning it or after one already knows it. For example, would one rather think about global issues or local issues?”
„Cognitive styles might be used to characterize ways of cognizing the information. For example, does one tend to be a splitter (...), or as a lumper (...)? (...) The cognitive styles tend to be closer toper- sonality than are the other types of styles.” (Sternberg, 2001, vii)
Die Lernstile bezeichnen bevorzugte Lernmethoden, während die kognitiven Stile die Organisation der Informationsaufnahme charakterisieren. In der kognitionspsychologischen Forschung werden die Lernstile von Kolb et al. (2001) und Gregory (2003) dargestellt.
Nach dem „mental self-government“ Modell verfügt jedes Individuum über Präferenzen im Arbeiten und Denken, die sich in Funktion (function), Form (from), Stufe (level), Anwendung (scope) und Neigung (leaning) ausdrücken. Diese „mentale Selbstregulierung“ kann laut Sternberg symbolisch als „innere Regierung“ verstanden werden, die unterschiedliche Formen aufweisen kann und sich Hindernissen anpassen muss, um diese zu überwinden (vgl. Sternberg, 1997, 19). Die Regierungsformen sollen dabei als Spiegel unseres Geistes dienen. Dreizehn unterschiedliche Denkstile entwickelt Sternberg auf der Basis dieser Theorie.
Wie sich Denkstile entwickeln und in unserem Bewusstsein verankert werden hängt von verschiedenen Faktoren ab. Sternberg geht davon aus, dass Denkstile sozialisiert sind.
Kultur: Die Ausprägung bestimmter Denkstile ist an den jeweiligen kulturellen Hintergrund gekoppelt. Sternberg zählt z.B. die USA, Australien, England, Niederlande zu den individualistischen Staaten, während z.B. Venezuela, Peru und generell die asiatischen Staaten zu den kollektivistischen Staaten gehören. In den individualistischen Staaten neigen die Menschen deshalb eher zu einem liberalen Denkstil mit großem Freiheitsgrad, während in Asien ein konservativer, exekutiver Denkstil präferiert wird (vgl. Sternberg, 1997, 100).
Geschlecht: Geschlechtsspezifische Präferenzen im Denkstil hängen von kulturellen Aspekten in der (unterschiedlichen) Erziehung von Jungen und Mädchen ab. Generell werden Jungen eher ein visueller Denkstil zugeschrieben, während Mädchen bevorzugt analytisch verbal/formal agieren (vgl. Sternberg, 1997, 102).
Alter: Bereits in der Grundschule entwickeln sich unterschiedliche Präferenzen im Verstehen und Lernen als Attribut der eigenen Persönlichkeit (vgl. Borromeo Ferri, 2012). Sozialisationseffekte sind besonders im Kindesalter evident, da viele Eigenschaften von Rollenmodellen (Vorbildern) übernommen werden.
Denkstil der Eltern: Das Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind spielt eine wesentliche Rolle, da durch die Ermutigung und Aufforderung z.B. selbstständig oder in Gruppen-, zergliedernd oder ganzheitlich zu arbeiten unterschiedliche Präferenzen ausgebildet werden.
Schule und Beruf: Sternberg nennt beispielhaft, dass ein Unternehmer sich in seinem Denkstil von einem Fließband-Arbeiter unterscheiden wird, da er sich mit (kognitiv) anderen Aufgaben und Arbeitsprozessen auseinandersetzen muss (vgl. Sternberg, 1997, 107). Im Laufe seines Lebens werden dementsprechend andere Denkstile internalisiert.
Passung zwischen Denkstil und Umwelt
„What is seen as stupidity or intransigence may actually be nothing more than a mismatch between style of one individual and the style of another.” (Sternberg, 1997, 12)
Die Passung (match/mismatch) zwischen Denkstil und Umwelt entscheidet oft über Erfolg oder Misserfolg in Schule, Ausbildung/Studium und Beruf. Sternberg versucht mit anschaulichen Beispielen aus seinem Privatleben, seiner eigenen Studienzeit und der Zeit als Dozent deutlich zu machen, wie wichtig ein „match“ sein kann. Dadurch, dass Menschen mit unterschiedlichen Denkstilen die eigenen Fähigkeiten unterschiedlich einsetzen, eröffnen sich ggf. Vorteile in einem Studienfach, während in einem anderen Studienfach Nachteile entstehen. Somit wird der Denkstil fälschlicherweise oft als Kompetenz wahrgenommen, obwohl er im Allgemeinen unabhängig von Intelligenz ist (vgl. Sternberg, 1997, 112).
„People need to find careers that match not only their abilities, but their styles as well.“ (Sternberg, 1997, 11)
Mit diesem Aspekt verdeutlicht Sternberg die Wichtigkeit der Passung, da Fähigkeiten in manchen Berufen und Studienfächern nicht richtig ausgenutzt werden können. Als Grund vermutet Sternberg die Einschränkung dieser Denkstile, die möglicherweise unpassend sind. Somit werden in unserer Gesellschaft Menschen mit gleichen Fähigkeiten nicht gleich behandelt (vgl. Sternberg, 1997, 19).
Um den Bogen zur eigentlichen Thematik der Examensarbeit zu spannen, werden im Folgenden kurz Sternbergs Denkstile im Kontext Schule/Studium aufgegriffen:
We are failing to recognize the variety of thinking and learning styles they bring to the classroom, and teaching them in ways that don’t fit them well.“ (Sternberg, 1997, 17)
In der Schulzeit, dem Studium und dem Beruf erleben wir verschiedene Formen der kognitiven Aktivierung, die wir nur dann erfolgreich bewältigen, wenn wir uns flexibel anpassen können bzw. wenn man als Ausbilder/Lehrer/Dozent das Konstrukt der Denkstile verinnerlicht hat und die Variation unterschiedlicher Persönlichkeiten mit deren Denkstile als Bereicherung auffasst und dementsprechend seine Lehre gestaltet. Z.B. formuliert Sternberg, dass für die typische universitäre Vorlesung die beste Kompatibilität für den hierarchischen, exekutiven Denkstil herrscht, während in Projektseminaren legislative und judikative Denkstiltypen passender agieren. Auch in der Bewertungsform existieren Vor- bzw. Nachteile für einige Denkstiltypen. Manche Denktypen bevorzugen Hausarbeiten, andere multiple-choice-Klausuren (vgl. Sternberg, 1997, 120).
„The general principle of style of teaching reflecting the teacher’s thinking style is not limited to psychology or even science.” (Sternberg, 1997, 111)
Sternberg geht davon aus, dass der Unterrichtsstil einer Lehrperson ihrem eigenen Denkstil prinzipiell entspricht. Geht man von der Sozialisation des Denkstils aus, bedeutet das, dass zum einen der Unterrichtsstil eine entscheidende Rolle in der Weitergabe des eigenen Denkstils hat, zum anderen, dass es vorteilhaft wäre, wenn der Unterrichtsstil dementsprechend angepasst und variabel gestaltet wird. Für die drei verschiedenen Funktionsformen nach der „mental self-government“-Theorie, der Exekutiven, Legislativen und Judikativen, soll folgendes gelten:
„Ideally, prompts from all three columns will be used, so that students with different styles will be valued more equally.“ (Sternberg, 1997, 123)
Dieser Wunsch prägt auch die Hochschuldidaktik, da besonders in den ersten Semestern viele Studienabbrecher zu verzeichnen sind, da möglicherweise ihr eigener Denkstil nicht in der Art des Studiums repräsentiert wird. Einheitliche Voraussetzungen und Bewertungen, die mit verschiedenen Denkstilen der Studenten kompatibel sind, gilt es zu installieren. Sternberg schlussfolgert dementsprechend, dass Denkstile und Fähigkeiten zu einer Vorhersage der Schulleistung führen können (vgl. Sternberg, 1997, 132). Die Fähigkeiten eines Individuums sollten allerdings nur dann beurteilt werden, wenn die Aufgabe dem jeweiligen Denkstil entspricht, da sonst hauptsächlich die Passung zwischen Denkstil und Aufgabe beurteilt werden würde (vgl. Sternberg, 1997, 115).
„To succeed, you need to find compatibility between how you think and how you think well.“ (Sternberg, 1997, 160)
Persönliche Vorlieben und Zufriedenheit im eigenen Denkverhalten führen dazu, dass eine Person effektiver und produktiver arbeitet, als eine Person mit den gleichen Fähigkeiten, die aber nicht den passenden Denkstil bevorzugt (vgl. Sternberg, 1997, 80). Hier steckt für Sternberg der Schlüssel zum Erfolg.
Die kognitiven Stildimensionen nach Riding sind in ihren Grundzügen zentraler Bestandteil des Konstrukts der mathematischen Denkstile nach Borromeo Ferri und sollen deshalb kurz erläutert werden.
Nicht nur von Sternberg, sondern auch in anderen unabhängigen Studien wurden seit 1950 unterschiedliche kognitive Stile veröffentlicht, sodass eine immense Anzahl von Stildimensionen entstand (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 31). Riding und Cheema (1991) kategorisierten diese und fassten sie später zu zwei kognitiven Stildimensionen zusammen, welche sie als „wholist-analytic“ und „verbal-imagery“ bezeichneten. Als Grundlage formulierten sie ähnlich wie Sternberg das Konstrukt „Denkstil“ wie folgt:
„Cognitive style is seen as an individual preferred and habitual approach to both organizing and representing information.“ (Riding and Rayner 1998, 8, zitiert nach Riding 2001, 48)
Auch Riding formuliert den Denkstil als Präferenz in zweierlei Hinsicht, zum einen innerhalb der Organisation des Denkprozesses, zum anderen in der Art der Repräsentation. Wie bei Sternberg, bleibt auch Riding’s Studie fachunspezifisch, obwohl einige mathematische Items verwendet werden. Die beiden Stildimensionen werden von Riding so bezeichnet:
„the wholist-analytic style dimension of whether an individual tends to organize information in wholes or parts, and the verbalimagery style dimension of whether an individual tends to represent information during thinking verbally or in mental pictures.” (Riding, 2001, 48)
Riding nimmt an, dass die unterschiedlichen Denkstile situative Vor- oder Nachteile haben können, z.B. haben die „wholists“, oder auch „big picture people“ (Riding, 2001, 56) genannt, Probleme, Sachverhalte zu differenzieren, während die „analytics“ Sachverhalte ungleichmäßig gewichten. „Verbals“ seien eher extrovertierte Typen, „imageries“ eher introvertiert. Dabei legt Riding seinen Fokus auf die Kommunikationseigenschaften dieser beiden Komponenten.
Ein Plädoyer hält Riding, wie auch Sternberg, an die Lehrpersonen, die sich ihres eigenen kognitiven Stils und Lehrstils bewusst sein sollten, um diesen an die Bedürfnisse der Schüler anzupassen und somit eine möglichst breite Masse zu erreichen (vgl. Riding, 2001, 69).
Nachdem Sternberg und Riding den kognitiven „Stilbegriff“ grundlegend, allerdings fachunspezifisch, konzipiert hatten, entwickelte Rita Borromeo Ferri 2004 ein Modell zur theoretischen Beschreibung des Konstrukts „mathemati- scher Denkstil“, das als Basis für die eigene Fallstudie dienen soll und mit Hilfe der Fragebögen an verschiedenen Lehramtsstudenten evaluiert wurde.
Bei dem Begriff „mathematischer Denkstil“ handelt es sich um ein Konstrukt, was bedeutet, dass eine Begebenheit zwischen Merkmal und Objekt nicht unmittelbar beobachtbar ist:
„Konstrukt meint die begriffliche Zusammenfassung angenommener Eigenschaften (Merkmale) von Personen (Objekten), die sich nicht direkt beobachten lassen und die zur Erklärung oder auch nur Beschreibung spezifischer Verhaltensweisen im Rahmen theoretischer Konzeptionen (Theorien und Modelle) dient“ (Lenzen, 1984, 462)
Als theoretische Konzeption entwarf Borromeo Ferri ein Modell über mathematische Denkstile und deren Eigenschaften, das sie anhand einer qualitativen Fallstudie rekonstruieren konnte. Das Konstrukt „mathematischer Denkstil“ entstand erstmalig auf der Basis empirischer Erkenntnisse, da es zuvor keine detaillierte Fassung gab. Interdisziplinär zwischen Mathematikdidaktik und Psychologie lehnt sich Borromeo Ferri an kognitionspsychologische Ansätze in der Definition des „mathematischen Denkstil“ an:
„Ein mathematischer Denkstil ist die von einem Individuum bevorzugte Art und Weise, mathematische Sachverhalte und Zusammenhänge durch gewisse interne Vorstellungen und/oder externe Darstellungen zu repräsentieren und durch gewisse Vorgehensweisen zu verarbeiten, genauer: zu durchdenken und zu verstehen. Demnach basiert ein mathematischer Denkstil auf zwei Komponenten: 1) der internen Vorstellung und der externen Darstellung, 2) der (ganzheitlichen bzw. zergliedernden) Vorgehensweise.“ (Borromeo Ferri, 2004, 50)
Der mathematische Denkstil entspricht einer Vorliebe bzw. Präferenz im „Mathematiktreiben“, die dem Individuum oft nicht bewusst ist und ist wie bei Sternberg mit positiven Affekten verknüpft. Somit ist ein mathematischer Denkstil als eine „individuumsbezogene Persönlichkeitseigenschaft“ (Borromeo Ferri, 2014, 51) zu charakterisieren, die vor allem beim Problemlösen sichtbar wird. Eine Präferenz im Denken wird allerdings nicht bei jeder Aufgabe erkennbar, sondern erst bei der Beobachtung von gewissen Stabilitäten über viele Aufgaben hinweg (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 51).
Borromeo Ferri unterscheidet in ihrem Modell zu mathematischen Denkstilen zwischen zwei Komponenten:
„Komponente 1: Interne Vorstellungen und externe Darstellungen Komponente 2: Ganzheitliche und zergliedernde Vorgehensweise“ (Borromeo Ferri, 2004, 45)
Als eigenständige dritte Komponente könnte die bildliche und symbolische Vorgehensweise gesehen werden. Diese Komponente wurde im Modell zur ersten Komponente dazugefasst.
Interne Vorstellungen und externe Darstellungen
Es existieren deutliche Unterschiede zwischen „internen und externen Typen“. Borromeo Ferri greift bei der Definition dieser Komponente die Ausführungen von Riding (2001) und Skemp (1987) auf (siehe Unterkapitel 2.1 und 2.4). Allerdings bezog sich die „Intern- und Externorientiertheit“ bei beiden Forschern hauptsächlich auf die Kommunikationseigenschaften, also auf die Art der Übermittlung jener Repräsentanten an einen Dritten. Borromeo Ferri legt ihren Fokus auf die Art von internen Vorstellungen und externen Darstellungen und wie mit diesen Inhalten umgegangen wird (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 46).
Mit internen Vorstellungen wird jegliche Art an internen Repräsentationen während des Bearbeitungsprozesses verstanden, die eine Person individuell bevorzugt und benötigt, um mathematische Probleme und Zusammenhänge zu bearbeiten. Dabei müssen diese nicht direkt stoffbezogen sein (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 46). Intern orientierte Typen bevorzugen dementsprechend weitgehend die interne Verarbeitung mathematischer Sachverhalte. Dabei kann die mentale Vorstellung unterschiedliche Formen annehmen: bildlich, symbolisch- formal/verbal oder gemischt. Dominant scheint die Bevorzugung mittels einer bildlichen Darstellung (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 47).
Als externe Darstellungen werden alle Arten von Zeichnungen und Rechnungen verstanden, die auf Papier festgehaltenen sind. Verbale Äußerungen, Mimik und Gestik, die auch eine Form der externen Darstellungen sind, werden nicht gemeint. Borromeo Ferri unterscheidet in der externen Darstellung zwischen Symbolen, zu denen formale Zeichen wie Zahlen und Variablen zählen, und Bildern, zu denen z.B. Skizzen und Zeichnungen gehören. Als Unterkategorie der externen Darstellungen symbolischer Art wird zwischen symbolischformal (Variablen, Zeichen) und symbolisch-verbal (Wörter, Sätze) unterschieden. Ordnet man den externen Darstellungen bestimmte externe Typen zu, benötigen diese stets eine Form der externen Darstellung. Bei extern orientierten Typen können Kongruenzen und Inkongruenzen zwischen internen Vorstellungen und externen Darstellungen auftreten. Eine tabellarische Übersicht soll dies verdeutlichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Extern orientierte Typen (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 48)
Im Falle einer Kongruenz besitzen interne Vorstellungen und externe Darstellungen identische Repräsentanten, bei Inkongruenzen treten unterschiedliche Formen zwischen Vorstellung und Darstellung auf. Für die Rekonstruktion von mathematischen Denkstilen bedeutet das, dass nicht ausnahmslos von externen Darstellungen auf interne Vorstellungen geschlossen werden darf (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 48).
Ganzheitliche oder zergliedernde Vorgehensweise
Die Vorgehensweise spiegelt den Bearbeitungsprozess eines mathematischen Sachverhaltes wieder. Dabei werden interne Vorstellungen und externe Darstellungen in dieser Kategorisierung mit einbezogen. Borromeo Ferri unterscheidet zwischen drei Arten der Vorgehensweisen:
„Die Vorgehensweise bei einer Aufgabe bzw. das Verstehen mathematischer Sachverhalte wird als GANZHEITLICH bezeichnet, wenn der Lösungsweg bzw. die Situation als Ganzes erfasst werden, i.A. vom Ganzen zu den Teilen
Die Vorgehensweise bei einer Aufgabe bzw. das Verstehen mathematischer Sachverhalte wird als ZERGLIEDERND bezeichnet, wenn der Lösungsweg schrittweise erfolgt bzw. die Situation schrittweise erfasst wird, i:A. von den Teilen zum Ganzen
Die Vorgehensweise bei einer Aufgabe bzw. das Verstehen mathematischer Sachverhalte wird als KOMBINIEREND bezeichnet, wenn der Lösungsweg bzw. die Situation sowohl ganzheitliche als auch zergliedernde Elemente enthält.“
(Borromeo Ferri, 2004, 49/50)
Als weitere dritte Komponente, die nicht in diesem theoretischen Modell mit aufgenommen wurde, ist die Differenz zwischen dynamischen- und statischen Vorstellungen bzw. Darstellungen beim Vorgehen einer mathematischen Aufgabe. Diese Komponente muss allerdings nicht generell an einen bestimmten mathematischen Denkstil gebunden sein (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 50).
Wie auch Sternberg, formuliert Borromeo Ferri (sieben) Prinzipien mathematischer Denkstile, die sich zum Teil sehr ähneln. Bei den Prinzipien spielt die individuelle Vorliebe eine wesentliche Rolle, ebenso wie die Stabilität der Präferenz, die trotzdem von der mathematischen Sozialisation beeinflusst werden kann. Die Abgrenzung zwischen Strategie und Stil durch den Grad an Be- wusstsein als eigenständiges Prinzip, lässt Rückschlüsse auf Hadamard (1945) zu (siehe Unterkapitel 2.1):
„Mathematische Denkstile sind individuumsbezogene Persönlichkeitseigenschaften.
Mathematische Denkstile sind keine mathematischen Fähigkeiten, sondern Präferenzen, wie vorhandene mathematische Fähigkeiten genutzt werden.
Identifiziert man bestimmte Eigenschaften bzw. Komponenten der jeweiligen mathematischen Denkstile und zeigen sich diese in ausgeprägter Weise, so spricht man von Präferenzen. Präferenzen für mathematische Denkstile sind mit positiven Affekten verknüpft, weil sie sich darauf beziehen, wie gerne jemand mathematische Sachverhalte durchdenkt und versteht und weniger wie gut er dies tut.
Mathematische Denkstile sind keine mathematischen (Problemlö- se-) Strategien, da sie sich auf einer niedrigeren Bewusstseinsebene als Strategien befinden. Strategien sind selbstgesteuert und verbalisierbar. Mathematische Denkstile sind nicht wie Strategien „abrufbar“ und schwieriger zu kommunizieren, da sich das Individuum meist selbst nicht über den eigenen mathematischen Denkstil bewusst ist.
Individuen können sowohl nur einen mathematischen Denkstil bevorzugen, als auch mehrere, so dass es die Möglichkeit von sogenannten „Mischtypen“ gibt.
Mathematische Denkstile sind vom Konstrukt her stabile Persönlichkeitsmerkmale.
Mathematische Denkstile sind teilweise durch die mathematische Sozialisation beeinflusst.“ (Borromeo Ferri, 2004, 51)
Die mathematischen Denkstile, die durch Komponente 1 und 2 bestimmt werden, lassen sich durch die folgende Matrix darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Modell zur theoretischen Beschreibung des Konstrukts mathematischer Denkstil (Borromeo Ferri, 2004, 52)
Durch die Kombinationsmöglichkeiten in diesem Modell lassen sich Individuen zu ihren präferierten Verarbeitungsweisen beim „Mathematiktreiben“ zuordnen, sodass schließlich eine Rekonstruktion des mathematischen Denkstils erfolgen kann. Die Waagerechte bildet die erste Komponente ab, die Senkrechte die zweite Komponente.
In der durchgeführten qualitativen Fallstudie von 2004 wurden die mathematischen Denkstile von zwölf Schülerinnen und Schülern mit Hilfe dieses Modells rekonstruiert. Dabei charakterisierte Borromeo Ferri drei idealtypische mathematische Denkstile, die faktisch so aufgetreten sind:
„Visueller Denkstil (bildlich-ganzheitlicher Denkstil)
Visuelle Denker zeigen ausgeprägte Präferenzen für interne bildliche Vorstellungen und externe bildliche Darstellungen sowie Präferenzen für das ganzheitliche Erfassen mathematischer Sachver- halte u. Zusammenhange mithilfe anschaulicher Darstellungen. Interne Vorstellungen sind v.a. durch starke Assoziationen zu erlebten Situationen geprägt.
Analytischer Denkstil (symbolisch-zergliedernder Denkstil)
Analytische Denker zeigen Präferenzen für interne formale Vorstellungen und für externe formale Darstellungen. Mathematische Sachverhalten werden bevorzugt durch bestehende symbolische oder verbale Darstellungen mit einer schrittweisen Vorgehensweise nachvollzogen und erfasst.
Integrierter Denkstil (gemischt-kombinierender Denkstil)
Integrierte Denker zeigen Präferenzen für bzw. haben Elemente von zwei oder drei der mathematischen Denkstile. Sie zeigen viel Flexibilität beim Herangehen und Lösen von Aufgaben aufgrund ihres Wechselspiels zwischen internen bildlichen oder formalen Vorstellungen sowie den dazugehörigen Darstellungen und Vorgehensweisen.“ (Borromeo Ferri, 2004, 170)
Von den zwölf Probanden konnten drei analytische Denker, drei visuelle Denker und sechs integrierte Denker mit spezifischen Ausprägungen rekonstruiert werden. Parallelen zu Burton’s Testung (siehe Unterkapitel 2.1) werden deutlich, deren Großteil sich auch aus kombinierenden Denkern zusammensetzte.
Weitere mathematische Denkstile konnten in der Fallstudie zwar nicht rekonstruiert werden, Borromeo Ferri schließt deren Existenz aber nicht aus. Unsicherheit in der Interpretation oder die geringe Stichprobe könnten dafür Gründe sein (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 94).
In ihrer Zusammenfassung betont Borromeo Ferri, dass manche Schülerinnen und Schüler eher visuell nachvollziehen können, allerdings bei rein symbolisch-formaler Vermittlung Probleme bekommen oder umgekehrt.
„Das Zweifeln an den eigenen mathematischen Fähigkeiten oder di Zuschreibung mangelnder mathematischer Fähigkeiten wir dann meist als die Ursache für Verstehensprobleme angenommen. - Dass aber unterschiedliche mathematische Denkstile von Lehrenden und Lernenden ein Grund für diese Verstehensprobleme sein können, wird nicht in Betracht gezogen.“ (Borromeo Ferri, 2004, 171)
Als Implikation für Lehrende und Lernende fordert Borromeo Ferri, dass man sich über die Existenz und die Unterschiedlichkeit mathematischer Denkstile bewusst wird, sodass neue Blickwinkel eingenommen werden können und die Vermittlung vielfältiger werden kann. Besonders in der Lehreraus- und - fortbildung müsse diese Thematik miteinfließen (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 172).
Dieser Thematik widmete sich Borromeo Ferri auch in den folgenden Jahren, sodass, nachdem das Modell zur Rekonstruktion verschiedener mathematischer Denkstile anhand einer qualitativen Fallstudie erfolgreich getestet wurde, quantitative Vergleichsstudien im Hinblick auf kulturelle Unterschiede von mathematischen Denkstilen folgten. Am Projekt MaDenK nahmen im Jahre 2011 1370 Lernende und 38 Lehrende verschiedener Nationen teil. So fand man u.a. heraus, dass in Japan und der Türkei stärkere Ausprägungen zum formalen und bildlichen Denken herrschen als in Deutschland und Süd-Korea. Außerdem wurde in der Türkei zergliedernder vorgegangen als Deutschland, wo eine ganzheitliche Vorgehensweise präferiert wurde. Überträgt man diese- und viele weitere Ergebnisse des Projekts auf den Mathematikunterricht, konnte evaluiert werden, dass Lernende mit Präferenzen für formales Denken die besten Schulnoten in Deutschland und Japan erreichen. Die integrierten Denker hingegen erlangten trotz ihrer Flexibilität im Mittelwert schlechtere Noten, da sie weniger einer bestimmten Richtung (formal/visuell) zustimmten (vgl. GDM-Report 2014, Borromeo Ferri, 17-19).
Das dies keineswegs heißen muss, dass weniger Individuen mit der Präferenz zum integrierten Denkstil existieren, stellte die Studie von Zheng aus dem Jahre 2013 dar, in der insgesamt 151 Lehramtsstudierende im Fach Mathematik an der Universität Frankfurt und East China Normal University getestet wurden. Bei 48,1% der Probanden an der Universität Frankfurt und 68,6% der Probanden an der East China Normal University konnte ein integrierter Denkstil rekonstruiert werden. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch in der Art der Repräsentation (intern/extern) und der Vorgehensweise (zergliedernd/ganzheitlich) der Studierenden durch signifikant hohe Werte wieder, die auf eine kombinier- te/gemischte Präferenz deuten. Anzumerken ist allerdings, dass bei dieser Studie der Modellierungscharakter im Vordergrund stand (vgl. Zheng, 2013, 6776).
Weitere (quantitative) Studien zur Thematik der mathematischen Denkstile folgten in den vergangen Jahren, die sekundär auch kulturelle Unterschiede oder Modellierungskompetenzen untersuchten.
Zum Beispiel wurden im COM2 - Projekt[2] insgesamt 65 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 10 und drei Mathematiklehrer bezüglich des präfe- rierten Denkstils untersucht. Es wurde nachgewiesen, dass viele Probanden, im Gegensatz zu ihrer Einschätzung im Voraus, in der Realität andere mathematische Denkstile präferierten. Die unzutreffende Beurteilung der eigenen mathematischen Denkstile zeigte sich ebenso in der Untersuchung der Mathematik- lehrkräfte(vgl. Borromeo Ferri, 2012).
Dass Denkstile bereits im Kindesalter ausgebildet werden, analysierte bereits Sternberg (siehe Unterkapitel 2.3, Entwicklung und Internalisierung des Denkstils). Borromeo Ferri untersuchte 2012 anhand einer Problemlöseaufgabe speziell mathematische Denkstile bei Grundschulkindern und stellte fest, dass bereits in diesem Alter unterschiedliche Präferenzen im „Verstehen und Lernen von Mathematik“ rekonstruierbar sind (vgl. Borromeo Ferri, 2012).
Diese deutliche Spezifizierung der Forschung am Konstrukt der mathematischen Denkstile wurde insbesondere in den letzten Jahren weiterverfolgt, sodass die Fortführung im Hinblick auf verschiedene Lehrämter der Mathematik die logische Konsequenz bildet.
In Anlehnung an das Unterkapitel 2.5.2 soll im Folgenden die Bedeutung der externen Darstellungen hervorgehoben werden, da diese entscheidenden Einfluss auf die Charakterisierung von Individuen bezüglich ihrer mathematischen Denkstile haben können.
Externe Darstellungen sind individuell und können unterschiedliche Ziele haben. Dadurch verbietet sich eine voreilige Rekonstruktion bzw. Zuordnung eines Probanden zu einem bestimmten Denkstil. Es können Inkongruenzen zwischen interner Vorstellung und externer Darstellung auftreten. Der Zweck bzw. die Funktion einer externen Darstellung lässt sich nach Borromeo Ferri (2004) in vier Aspekte gliedern:
Externe Darstellungen werden im Verstehensprozess als gedankliches greifbares Hilfsmittel genutzt, um Sachverhalte konkreter vor sich zu haben, also physiologisch und nicht nur mental zu sehen.
Andere nutzen externe Darstellungen als Gedächtnisstütze und zur Überprüfung von Überlegungen intern gewonnener Lösungsansätze. Damit dient die externe Darstellung einer Art „mentalen Entlastung“, die auch intern gewonnen Lösungsansätze bestätigt.
In gegenseitigen Erklärungsversuchen nutzen Lernende untereinander externe Darstellungen als Kommunikationsmittel. Da sie einem anderen das Nachvollziehen erleichtern sollen, können diese externen Darstellungen nicht als Rekonstruktion des eigenen mathematischen Denkstils herangezogen werden.
Externe Darstellung aufgrund des Einflusses der mathematischen Sozialisation, stellt die letzte Funktion dar. Dabei kann man ebenso wenig einen individuellen mathematischen Denkstil rekonstruieren, da äußere Einflüsse das Individuum zu einer bestimmten Form der Darstellung lenken. Externe Darstellungen werden nicht mehr angefertigt, weil sie für das Verstehen des Individuums hilfreich sind (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 110-118).
Da die mathematische Sozialisation eine große Bedeutung für die Entwicklung eines mathematischen Denkstils hat, soll im Folgenden kurz auf Borromeo Ferris Ausführung diesbezüglich eingegangen werden.
Individuen sind in ihrem mathematischen Arbeiten und -Denken nicht gänzlich frei von externen Einflüssen:
„Dabei verstehe ich unter mathematischer Sozialisation in diesem Zusammenhang soziale Prozesse und Rahmenbedingungen, wie etwa das familiäre Umfeld und den Mathematikunterricht, die insbesondere auf kognitive Prozesse und Vorstellungen Einfluss nehmen.“ (Borromeo Ferri, 2004, 117)
Bereits in den Prinzipien des mathematischen Denkstils nach Borromeo Ferri spiegelt sich der Ansatz der mathematischen Sozialisation wieder (siehe Unterkapitel 2.5.3), da er ein zentraler Aspekt für die Mathematikdidaktik ist und nicht ausschließlich ein „unveränderliches Persönlichkeitsattribut“ (Borromeo Ferri, 2014) darstellt. Aus der Entwicklungspsychologie ist bekannt, dass Kinder und Jugendliche einige Eigenschaften von Rollenmodellen unbewusst internalisieren. Da in der Schulmathematik mathematische Sachverhalte durch verschiedene Lehrpersonen unterschiedlich vermittelt werden, führt dies zur Prägung der Lernenden in ihrer (Denk-) Entwicklung (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 117). Veronika Reiss beschreibt 1979 dieses Phänomen nicht als Prägung, sondern als Anpassung:
„Interaktionsbeziehungen zwischen Lehrern und Schülern steuern nicht nur den Erwerb spezifischer sozialer Inhalte, z.B. sozialer Verhaltensweisen, sondern bestimmen auch scheinbar rein kognitive Lerninhalte in ihrer Qualität mit.“ (Reiss zitiert nach Borromeo Ferri, 2014)
Einige Lernende können sich auf den jeweiligen Lehrstil einstellen, andere bekommen Probleme. Diese Problematik bezeichnete Sternberg (1997) bereits als „match“ wenn eine Passung zwischen Umwelt und Individuum existiert (hier: zwischen Lehrerperson und Lernenden) und als „mismatch“ wenn keine Passung vorhanden ist.
„Die Lernenden werden im Mathematikunterricht mit Lehrpersonen konfrontiert, die entweder ihren mathematischen Denkstil teilen oder nicht, was z.T. gravierende Auswirkungen auf die Leistung bzw. die mathematische Sozialisation haben kann.“ (Borromeo Ferri, 2004, 167)
Diese Leistungsdifferenzen werden dann den individuellen mathematischen Fähigkeiten zugeschrieben, obwohl die Ursache eine andere sein kann (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 171).
Praktizierende Mathematikerinnen und Mathematiker sind nicht so stark vom Einfluss der mathematischen Sozialisation betroffen, da sie auf mehr Erfahrungen im Bereich Mathematik zurückgreifen können und dementsprechend über stabilere Denkstile verfügen (vgl. Borromeo Ferri, 2004, 118/119).
Zusammenfassend bleibt deshalb festzuhalten, dass die mathematische Sozialisation eine wesentliche Rolle in der Entwicklung von mathematischen Denkstilen spielt:
„Die Berücksichtigung des Aspekts der mathematischen Sozialisation differenziert die Analysen dahingehend, dass mathematische Denkstile nicht unabhängig von der mathematischen Sozialisation betrachtet werden können.“ (Borromeo Ferri, 2004, 171)
In der Mathematikdidaktik geht man davon aus, dass die Vorstellungen, Auffassungen und Einstellungen der Lernenden und Lehrenden eine besonders große Wirkung auf das Lernen und Verhalten gegenüber Mathematik haben. Der Überbegriff der „beliefs“ hat sich für diese Aspekte international etabliert, obwohl keine einheitliche Begriffsbestimmung existiert:
„The term belief itself is controversial. [...] One's mathematical world view shapes the way one does mathematics. It is in the broad sense of a mathematical world view that the term belief systems will be used. [.] Belief systems are one's mathematical world view, the perspective with which one approaches mathematics and mathematical tasks.“ (Schoenfeld, 1985, 44/45)
Schoenfeld erwähnt in der Funktion der Beliefs das „mathematische Weltbild“, das sich im deutschsprachigen Raum synonym durchgesetzt hat und eben die Einstellung zur Mathematik allgemein und mathematischen Aufgaben beschreibt.
1996 definieren Pehkonen & Törner mathematische Beliefs und greifen eine kognitive und affektive Komponente auf:
„An individual's mathematical beliefs are the compound of his subjective (experience-based) implizit knowledge (and feelings) concerning mathematics and its teaching/learning.“ (Pehkonen & Törner, 1996, 102)
Den „Drei-Komponenten-Ansatz“ definiert Törner dann 2002 zur Struktur der Beliefs, dabei werden alle drei Komponenten unter dem Begriff „Einstellung“ miteinander verknüpft:
„Häufig werden Beliefs als Einstellungsstrukturen verstanden und ihnen somit kognitive, affektive und konative Komponenten zugeordnet.“ (Törner, 2002, 107)
In der Auseinandersetzung verschiedener Mathematiker formuliert Maaß 2004 den „Drei-Komponenten-Ansatz“ nach Grigutsch’s Ausführungen (1996) so:
„Die kognitive Komponente bezieht sich auf die Vorstellungen über das betreffende Objekt und kann auch als subjektives Wissen bezeichnet werden. Die affektive Komponente umfasst die emotionale Bindung zwischen Subjekt und Objekt. Die handlungsrelevante (konative) Komponente der Einstellung bezieht sich auf die Handlungsbereitschaft, die das entsprechende Objekt beim Individuum hervorruft.“ (Maaß, 2004, 44)
Dabei muss die handlungsrelevante Komponente nicht unbedingt gegeben sein, sondern man geht vielmehr von der kognitiven und affektiven Komponente aus (vgl. Törner, 2002, 108).
Ein Mensch kann viele verschiedene Beliefs über Mathematik besitzen, sodass sich eine Gliederung aufgrund der Komplexität als sinnvoll erweist. Törner grenzt folgende vier „Arten von Beliefs“ voneinander ab:
„Beliefs zum Lernen von Mathematik Beliefs zur Rolle des Mathematiklehrers Beliefs zur Rolle des Schülers Beliefs zu den Auswirkungen einer Beschäftigung mit Mathema tik“ (Törner zitiert nach Maaß, 2004, 46) .
[...]
1 Mathematische Denkstile in der Schule und kulturellem Vergleich
2 Co gnitive-psychological analysis of m odelling processes in m athematics lessons
Diplomarbeit, 89 Seiten
Diplomarbeit, 86 Seiten
Examensarbeit, 90 Seiten
Diplomarbeit, 89 Seiten
Diplomarbeit, 86 Seiten
Examensarbeit, 90 Seiten
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