Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Examensarbeit
73 Seiten
1. Einleitung
2. Der Liebesbegriff bei Platon
2.1. Zur Person Platons
2.2. Die Dialoge über die Liebe
2.2.1. Die Darstellung des Eros in Platons Phaidros
2.2.1.1. Die Rede des Lysias
2.2.1.2. Die Reden des Sokrates
2.2.2. Die Darstellung des Eros in Platons Symposion
2.2.2.1. Die sieben Reden über Eros
2.2.2.2. Das Wesen und der Nutzen des Eros in Platons Dialogen der Liebe
2.2.3. Phaidros und Symposion
3. Der Liebesbegriff bei Augustinus
3.1. Zur Person des Augustinus
3.2. Ausgewählte Texte und Textstellen zum Augustinischen Liebesbegriff
3.2.1. Confessiones
3.2.2. De Civitate Dei
3.2.3. Fides, spes et caritas
3.3. Der Blick ausgewählter Autoren auf Augustinus' Agape
4. Platon versus Augustinus: Griechischer und christlicher Liebesbegriff im Vergleich
5. Eros und/ oder Agape? Abschließende Überlegungen zur Eigenart der Liebe aus christlichtheologischer Perspektive
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Begriff Liebe gehört zu den am häufigsten missverstandenen, missbrauchten und trivialisierten Begriffen. Mit dem deutschen Wort Liebe werden unterschiedliche Phänomene bezeichnet, Beispiele sind Zuneigung, Sympathie, Freundschaft, Erotik, Sexualität und Leidenschaft. Diese haben allem Augenschein nach etwas mit dem Begriff Liebe gemein, zugleich gestatten sie einen Eindruck über die Bandbreite der dahinter stehenden Erscheinungen. Einigkeit herrscht darin, dass Liebe ein Begriff ist, der die engsten und stärksten Beziehungen zwischen Menschen definiert. Was genau unter Liebe zu verstehen ist, darüber wird seit Jahrhunderten wenn nicht gar seit Jahrtausenden diskutiert.
Das in der griechischen Mythologie weit verbreitete Liebeskonzept ist das des Eros, das bei Platon seinen Höhepunkt erreicht. Die Liebe in der Ausgestaltung des Eros beruht auf einem grundsätzlichen Mangel, auf nicht erfüllten Bedürfnissen. Entsprechend ereilt sie den Liebenden in Form eines Heimwehs der Seele nach ihrem himmlischen Ursprung, als ihre kühne Flucht hinauf zu der über alles Vergängliche erhabenen Welt, wo all ihr Sehnen und all ihr Begehren ihre volle Befriedigung erreicht, wo ihr Streben für ewig zur Ruhe kommt.
Für im christlichen Glauben verankerte Menschen ist Liebe keine rein immanente Größe, sondern bezieht ihre eigentliche Macht aus der Verbindung mit der göttlichen Welt. Das für Christen maßgebliche Konzept der Liebe entstammt dem Neuen Testament mit seiner Botschaft der Liebe Gottes in Jesus Christus, dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe bis hin zum Heilshandeln Gottes in Jesus Christus. Eine Kernaussage der christlichen Botschaft ist, dass der neutestamentliche Liebesbegriff Agape, bedingungslose Liebe, mit dem sich insbesondere der christliche Philosoph und Kirchenlehrer Augustinus von Hippo auseinandergesetzt hat, mit Gott gleichgesetzt wird. Die christliche Nächstenliebe wird dabei als eine Antwort der zuvorkommenden Liebe Gottes zum Menschen verstanden. Die Erkenntnis des Wesens Gottes, die aus der Person Jesus Christi gewonnen ist, lässt sich in dem Satz „Gottes Wesen ist Liebe“ verdichten. Im Hintergrund dieses Satzes steht die biblische Aussage „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8 u. 16, LU), welche für viele Christen das Wesentliche des christlichen Gottesverständnisses zum Ausdruck bringt.
Grundsätzlich kann man bereits an dieser Stelle festhalten, dass im Gegensatz zu Augustinus Platon nie hätte sagen können, dass Gott Liebe ist; bei ihm beutetet Eros letztlich Mangel, ein noch nicht erfülltes Bedürfnis. Doch ob es sich bei Eros und Agape um zwei gänzlich verschiedene Typen der Liebe handelt, die sich ggf. sogar ausschließen, das ist die Kernfrage, mit der sich die vorliegende Arbeit beschäftigt. Dabei gibt es grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen, wie man sich der Differenzierung verschiedener Liebesbegriffe nähern kann.
Im ersten Hauptteil dieser Arbeit werden die beiden Grundmotive Eros, siehe zweites Kapitel, und Agape, siehe drittes Kapitel, also die platonische Liebe und die christliche Liebe in ihren jeweiligen Eigenarten im Wesentlichen wertfrei dargestellt. Die Forschungsaufgabe der vorliegenden Arbeit „Eros und/ oder Agape“ stellt sich als ein „Problem“ dar, das sich bereits durch die ganze Geschichte des Christentums hindurch zieht. Man muss sich nicht lange mit dem Thema auseinandersetzen und bemerkt recht schnell, dass dieses Problem eins einer ganz besonderen Art ist: Eros und Agape stellen sich nämlich als zwei Motive heraus, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben und sich dennoch durchdringen. Entsprechend wird im zweiten Hauptteil dieser Arbeit, bestehend aus dem vierten Kapitel, der platonische dem augustinischen Liebesbegriff gegenübergestellt. Dabei denkt und schreibt die Verfasserin aus dem Blickwinkel einer systematischen Theologin. Das bedeutet, die vorliegende Arbeit analysiert die Liebesbegriffe Eros und Agape bzw. beschäftigt sich speziell mit der Frage, wie der Titel bereits zum Ausdruck bringt, wie der platonische und der augustinische Liebesbegriff zueinander in Beziehung stehen. Selbstredend wäre durchaus auch eine ethische, soziologische, philologische oder auch eine philosophische Ausrichtung der Gedankengänge ein lehrreiches Unterfangen. Allerdings verspricht gerade die theologische Perspektive interessante Ergebnisse. Denn bei Platon handelt es sich um einen repräsentativen Autor der vorchristlichen Antike, und Augustinus ist ein dezidiert christlicher Autor, der aber nachweislich von der Antike und ihrer Philosophie beeinflusst worden ist, gleichzeitig aber als christlicher Theologe schreibt. Das bedeutet, es war zu erwarten bzw. es wird sich im Verlauf der Arbeit schnell herausstellen, dass es neben Gemeinsamkeiten strenge charakteristische Unterschiede zwischen der platonischen und der augustinischen Konzeption von Liebe gibt. Im Wesentlichen wird der Vergleich darauf hinauslaufen, dass auf der einen Seite Liebe durchaus Eros und Agape bedeutet, auf der anderen Seite aber nicht von „Einem“ gesprochen werden kann. Im sich daran anschließendem fünften Kapitel wird die Verfasserin zur theologischen Sachgemäßheit von Augustinus' Argumentationskette Stellung nehmen. Dabei wird sich herausstellen, dass es Augustinus nicht durchgängig gelungen ist, streng christlich zu argumentieren. Offenbar führte Platons Einfluss dazu, dass es der christliche Autor Augustinus, gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst, zumindest phasenweise an theologischer Stringenz mangeln lässt, was allerdings aus Sicht der Verfasserin der vorliegenden Arbeit Augustinus' Lebensleistung um die Klarstellung des Liebesbegriffs nicht wirklich schmälert. Im diese Arbeit abschließenden sechsten Kapitel werden die wichtigsten Ergebnisse nochmals zusammengefasst und ein Fazit gezogen.
Um sich der beschriebenen Thematik inhaltlich nähern zu können, sind noch einige Anmerkungen zur Literatur und zur Zitation vorauszuschicken. Damit man Platons Eros verstehen kann, muss man Platon lesen. Dasselbe gilt für Augustinus' Agape. Da die Verfasserin der vorliegenden Arbeit weder des Griechischen noch des Lateinischen mächtig ist, hat sie diesbezügliche Übersetzungen herangezogen. Da diese in Nuancen durchaus inhaltlich voneinander differieren, wurden verschiedene Autoren parallel genutzt. Angaben bei Zitaten zu Platons Dialogen Phaidros und Symposion ebenso wie zu Augustinus' Originalquellen Confessiones, De Civitate Dei und Fides, spes et caritas sind derart kenntlich gemacht, dass die Angabe der Originalquelle zusätzlich mit dem Namen des Autors der Übersetzung und zugehöriger Seitenzahl versehen ist. Was die Sekundärliteratur anbelangt, sind nachfolgend genannte Werke besonders hervorzuheben, wobei zur Bearbeitung der Forschungsaufgabe selbstverständlich zahlreiche weitere Quellen herangezogen wurden. Im Platons Bereich trägt Alice Pechriggl mit ihrem Werk „Eros“ bei. Zur Augustinusforschung hat die Verfasserin die Quellenauswahl stark auf Kurt Flasch mit seinem Werk „Augustin: Einführung in sein Denken“ und „Augustinus Doctor Caritatis: sein Liebesbegriff im Widerspruch von Eigennutz und selbstloser Güte im Rahmen der antiken Glückseligkeits-Ethik“ von Josef Brechtken gelenkt. Mit dem Verhältnis von philosophischem Eros und christlicher Agape hat sich im 20. Jahrhundert besonders intensiv der evangelische Theologe und spätere Bischof Anders Nygren auseinandergesetzt. Daher stützt sich die vorliegende Arbeit insbesondere auch auf sein Buch „Eros und Agape: Gestaltenwandlungen der christlichen Liebe“ (2. Aufl. 1954). Speziell auch für die Bearbeitung der Frage, ob Augustinus theologisch sachgemäß argumentiert hat, war neben Nygren Konrad Stocks Buch „Gottes wahre Liebe“ (2000) eine ergiebige Quelle.
Der platonische Liebesbegriff „Eros“ wird häufig als „die leidenschaftliche, rauschhafte Liebe, die der Grieche als verklärte Erotik auch im orgiastischen Kult sucht, aber ebenso als ein(en) Wegweiser zum göttlichen Schönen und wahrhaft Seienden [...] (verstanden)“ (Brandscheidt, 2018, 12). Allein schon diese Weite des „Eros-Begriffs“ belegt die Notwendigkeit, sich zunächst umfassend mit dem Eros auseinanderzusetzen1. Entsprechend erfolgt in diesem Kapitel eine Analyse des Liebesbegriffs nach Platon. Um diesen in den (historischen) Kontext einordnen zu können, wird zunächst die Person Platons diskutiert. Aufbauend auf diesem Hintergrund werden die „Dialoge“ über die Liebe „Phaidros“, im Folgenden mit „ Phdr.“ abgekürzt, und „Symposion“, im Folgenden mit „ Symp.“ abgekürzt, dargestellt, die die grundsätzlichen Erörterungen und Bestimmungen des Eros im Sinne Platons beinhalten.
Platon (auch: Plato), Schüler des Sokrates, gehört zu den größten Persönlichkeiten der westlichen Philosophiegeschichte. Den erhaltenen antiken Quellen zufolge ist es am wahrscheinlichsten, dass Platon im ersten Jahr der 88. Olympiade, also im Jahr 428/7 geboren wurde und im 81. Lebensjahr starb. Platons Vater Ariston hat einer Familie angehört, dessen Stammvater der mythische athenische König Kodros war. Platons Mutter Periktione kommt aus einer Familie, die sich auf Dropides, der ein Verwandter und enger Freund des Gesetzgebers Solon gewesen war, zurückführen lässt. Platon hatte zwei Brüder, Glaukon und Adeimantos, und eine Schwester, Potone. Platon hat in seinen Dialogen, mit Ausnahme seines Vaters und seines Stiefvaters, alle männlichen Verwandten, teils als zentrale Gesprächspartner, teils als Gestalten am Rande, zur Geltung kommen lassen (vgl. Döring, 2009, 1).
Platons Stilmittel war der „literarische Dialog“, der den Verlauf einer Untersuchung nachvollziehbar macht. In ihm sah Platon die angemessene Form der schriftlichen Darbietung philosophischen Bemühens um Wahrheit. Seine fiktiven, literarisch ausgestalteten Dialoge zeichnen sich durch sprachliche Attraktivität und stilistische Eleganz aus. Doch dass Platons Einfluss nahezu alle Epochen umfasst, ergibt sich aus der „Brillanz und Hintergründigkeit seiner Argumente, aus der Direktheit und Voraussetzungslosigkeit seiner Gedankenführung und aus der Bereitschaft, alles Erreichte stets neu zu problematisieren“ (Horn et. al., 2009, VII). Das ist allerdings nur die eine Sichtweise. Die andere: Zugleich sind Platons Dialoge in ihrer Lehre interpretationsbedürftig, sie lassen zu einem großen Teil offen, wofür Platon steht. Das gilt insbesondere auch für seine Dialoge über die Liebe, die nachfolgend dargestellt werden.
Allgemein werden als „Platonischer Dialog“ die literarisch gestalteten Dialoge bezeichnet, in denen Platon seine Philosophie dargelegt hat. Fast alle Werke Platons sind in Dialogform abgefasst. Es sind fiktive Gespräche verschiedener Diskussionsteilnehmer. Die Dialoge sollen zwar Platons authentisches Gedankengut enthalten, aber weil er Vertreter unterschiedlicher Positionen zu Wort kommen lässt und selbst nicht als Gesprächspartner auftritt, lässt sich seine eigene Auffassung den Texten nur indirekt entnehmen. Die Frage, ob oder inwieweit er sich mit einzelnen Ansichten, die er seinen literarischen Figuren in den Mund legte, identifiziert hat, ist daher oft schwer zu entscheiden. Das gilt insbesondere auch für Sokrates' Rede in Platons Symp., was dort nochmals speziell herausgearbeitet werden wird.
Im Zentrum des platonischen Denkens steht der Begriff der Liebe - hier ausdrücklich in der Ausprägung des Eros - und ist sowohl mit Platons Seelenkonzeption als auch mit seinem Begriff von Philosophie eng verbunden. Die Verbindung von Eros und Philosophie und damit der Bezug von Eros auf Wahrheit und Erkenntnis gehört zu den Hauptcharakteristika der Liebestheorie nach Platon und grenzt sie zugleich von anderen Theorien der Liebe ab.
Im Begriff der Liebe nach Platon steht Eros sowohl mit dem Begriff von Freundschaft (philia) als auch mit dem sich von der Liebesgöttin Aphrodite herleitenden aphrodisia in engem Zusammenhang (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 301). Die grundsätzlichen Erörterungen und Bestimmungen des Eros finden sich in den Dialogen Phdr. und Symp.
Der Phdr. ist ein in Dialogform verfasstes Werk, in dem ein Gespräch zwischen Platon und seinem Freund Phaidros, nach dessen Namen der Dialog benannt ist, stattfindet. Dem ersten Anschein nach befasst sich das Werk mit dem Thema der Rhetorik, jedoch lässt sich im Phdr. ein „Kompendium der gesamten platonischen Philosophie“ feststellen (Hirschberger, 2000, 73).
Das Symp. (deutsch: Gastmahl oder Trinkgelage) ist die ausführlichste Schrift Platons zum Eros und gehört wie der Phdr. zu den Schriften aus der Zeit Platons Reife. Das Symp. bildet den Dialog zum Leben. Alles Schöne soll gesehen und geliebt werden, um „durch den srvw2 in das Reich des Urschönen und der eigenen Werte“ zu gelangen (Hirschberger, 2000, 73). Insbesondere gilt Platons Symp. als „Meisterdialog“, den man „zu Recht als den Grundtext der Philosophie der Liebe bezeichnen kann“ (Schüßler, 2018, 57).
Auch wenn sich Phdr. und Symp. in zahlreichen Punkten unterscheiden, teilen die beiden Dialoge einige Gemeinsamkeiten. Insbesondere kennzeichnen beide das Wissen über die Liebe. Sowohl im Phdr. als auch im Symp. wird das Mitzuteilende in verschachtelter Darstellungsweise und erzählerischen Unterbrechungen als ein Gehörtes und Weitererzähltes präsentiert. Beide Texte entstehen aus längeren Reden, die u.a. durch Mythen Einblick in das Wesen des Eros geben. Platon hat in beiden Dialogen das Wissen über Eros nicht nur dargelegt, sondern die Protagonisten sind selbst in realen und gegenseitigen Liebesverhältnissen verbunden. Platon wählt für die beiden Dialoge eher untypische Orte: In dem Dialog Phdr. lässt sich Platon außerhalb der Stadt an einem locus amoenus gemeinsam mit Phaidros nieder (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 301). Das Symp. spielt im Haus des Agathons, in dem nach der Dichterkrönung ein Fest veranstaltet wird.
Diese einordnenden Bemerkungen vorausgeschickt sollen nachfolgend die beiden insbesondere für die hier vorliegende wissenschaftliche Hausarbeit wichtigsten Dialoge Phdr. und Symp. in Bezug auf ihre jeweiligen Darstellungen des Eros einer umfassenden Aufarbeitung unterzogen werden.
In Platons Phdr. werden drei Reden gehalten. Die erste wird von Phaidros selbst vorgetragen, die beiden folgenden von Sokrates. Allen drei Reden ist gemein, dass sie inhaltlich nicht von den jeweiligen Rednern selbst stammen.
Sokrates trifft vor den Mauern Athens den jungen Phaidros. Im Schatten einer Palme finden Sokrates und Phaidros gemeinsam einen Ort zum Rasten. Die Stelle scheint nicht zufällig gewählt, denn Sokrates betont, „es scheint ein heiliger Ort zu sein“ (Phdr., 34).
Phaidros kommt gerade von einer Rede des Lysias, seinem Rhetoriklehrer, über die Vorzüge und Nachteile der Liebe. Phaidros trägt Sokrates diese Rede vor. Die Rede selbst ist einfach konstruiert und geht der Frage nach, ob es besser ist, einem Verliebten oder einem Nichtverliebten „willfährig zu sein“ (Pechriggl, 2009, 34). Bereits die pseudolyrische Form, in der diese Rede gehalten ist, sensibilisiert hinsichtlich der Frage, welche Absichten der Lehrer Lysias verfolgt. Jedoch bemerkt Sokrates diese „falschen“ Züge und wird sie aufklären.
In dieser ersten Rede, die, wie dargestellt, von Phaidros vorgetragen wird, aber Lysias' Text wiedergibt, wird „vor dem Umgang mit Liebhabern (erastai)“ gewarnt, denn Lysias zufolge sind sie von ihrer Leidenschaft besessen, nur auf die Befriedigung ihrer Begierden fixiert und nach körperlichem Genuss verlangend und daher zur Freundschaft (philia) nur wenig geeignet. Es wird schnell klar, dass der Verfasser der Rede die Liebe an sich und ihre Wirkung auf den Menschen als schlecht ansieht. Lysias stellt Thesen auf, die an Beispielen verschiedener Wirkungsweisen der Liebe zeigen, welche negativen Auswirkungen die Liebe auf den Menschen und seine Beziehungen zu anderen Menschen hat (vgl. Pechriggl, 2009, 34). Gemäß dieser Rede des Phaidros zieht ein Verliebter alle möglichen Übel auf sich und überträgt somit Schlechtes auf den Geliebten: „Ungehaltenheit, wenn er sich nicht gleich fügt; Abwendung sobald die Lust befriedigt ist; Ressentiment in allen möglichen Hinsichten [...]“ (Pechriggl, 2009, 34). Charakterisieren lässt sich der Verliebte nach Lysias als Aussauger und Missbraucher; diesem geht es nur um sein rasches Vergnügen. Die Rolle des Eros ist dabei die, dass er sich all dem unterwirft und „jeden Menschen a priori zu einem schlechten macht“ (Pechriggl, 2009, 34).
In Erwiderung auf Lysias' Einlassungen lässt Platon in seinem Dialog Phdr. Sokrates zwei Reden halten3, wobei die erste eher improvisiert scheint. In dieser wird dafür plädiert, sich von Liebenden fernzuhalten, da diese nicht bei Sinnen sind und sich ins Unglück stürzen. Der Grund dafür ist, dass heillos Verliebte von ihrem eigenen Begehren überwältigt werden und dadurch jedes Maßhalten verlieren. Hinzu kommt ein grundsätzlich besitzergreifender Charakter des Verliebtseins. Ein Verliebter möchte die begehrte Person kontrollieren. Letztendlich liebt der Verliebte nicht wohlwollend, sondern „er liebt den Geliebten so wie der Wolf das Lamm“ (Phdr., 238-241d (zitiert nach Pechriggl, 2009, 35)).
Mit diesem Stand beendet Sokrates seine erste Rede. Allerdings wird ihm unmittelbar im Anschluss daran bewusst, dass er damit offenbar einen Fehler begangen hat: Er bemerkt, dass er im Grunde Lysias auf den Leim gegangen ist, nämlich dadurch, dass er gewissermaßen alle Verliebten pauschal als selbstsüchtig verurteilt hat. Und damit wird ihm auch klar, dass er die wahren Beweggründe der Hochherzigen und Edlen unter den Verliebten vernachlässigt und ihnen somit Unrecht zugefügt hat. Das Tragische daran ist, dass er letztendlich damit Eros Unrecht getan hat, indem er ihn als durchweg schlecht beschrieben hat. Diesen Fehler will Sokrates korrigieren.
Insofern revidiert die zweite Rede des Sokrates die in der ersten geäußerten Ansicht: „Die Verknüpfung der Liebe mit dem von den Göttern eingegebenen Wahnsinn“ (Pechriggl, 2009, 35) ermöglicht es Sokrates hierbei, zwischen göttlichem Wahnsinn (mania)4 und krankhaftem Wahnsinn zu differenzieren, mit der Kernbotschaft, dass die Ängste eines Verliebten die Bedeutung der manischen Beseeltheit des Verliebten nicht erkennen lassen. Liebe ist schließlich etwas Göttliches. Und als Begründung für die Göttlichkeit der Liebe bemüht Platon in dieser (zweiten) Rede des Sokrates einen Mythos, der das Schicksal der unsterblichen Seele von ihrem Niederfall auf die Erde beschreibt: Er prägt ein Bild von zwei Seelen. Diese treten jeweils als ein Zweigespann mit einem Wagenlenker auf. Vor ihrem Fall auf die Erde leben sie zusammen mit den Göttern an einem überhimmlischen Ort. Wenn dann diese beiden Seelen fahrlässig ihre Federn verlieren, werden sie auf die Erde fallen, Menschen werden und ihre göttliche Herkunft vergessen. Das Entscheidende dabei ist, wenn sie dann eine schöne Person sehen, werden sie wieder an die göttliche Schönheit erinnert und sie werden entzückt sein, und „verehren und opfern dem Schönen wie einem heiligen Bilde oder einem Gott“ (Ebbersmeyer, 2009, 302). Das ist Platons Findigkeit, den Gottesbezug herzustellen: Der Liebende und der Geliebte richten sich so nach dem Göttlichen, der Liebende, indem er seinen eigenen Gott erforscht und sich dessen Sitten angleicht, der Geliebte, indem er danach strebt, den Eigenschaften, die der Liebende ihm gegeben hat, wahrhaft gerecht zu werden (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 302).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz der unterschiedlichen Perspektiven und Fokussierung auf Eros in den beiden Gesprächen einige grundlegende Festlegungen getroffen werden können:
1. Eros wird von Platon sowohl als ein Gott als auch als eine Form der menschlichen Begierde wahrgenommen.
2. Platon begründet wahre Liebe nicht physiologisch, sondern metaphysisch, wenn ihre Ursache nicht an die körperliche Natur des Menschen, sondern an die göttliche Herkunft der Seele geknüpft wird.
3. Liebe und Schönheit haben eine notwendige Beziehung zueinander, es ist der einzige Gedanke, der sinnlich wahrnehmbar ist und auf den mit Liebe reagiert wird.
4. Liebe hat ein „ekstatisches“ und „transformatorisches“ Potential, durch das sich der Liebende und der Geliebte im besten Fall dem Göttlichen annähern (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 302).
Der in die Geschichte als Symposion (wie eingangs bereits erwähnt im Folgenden mit Symp. abgekürzt) eingegangene Dialog hat Eingang in die Weltliteratur gefunden: Verschiedene Freunde, darunter Sokrates, treffen sich zu einem Trinkgelage, und damit dieses dennoch einen schöpferischen Verlauf erlangt, sollen die Freunde wie in einem geistigen Wettstreit eine Lobrede auf den Gott Eros halten. In dieser ausführlichsten Schrift Platons zum Eros führt Sokrates den Betrachter zur Bedeutung des Schönen. Diese Reden vorausgeschickt werden daran anschließend Wesen und Nutzen des Eros im Symp. analysiert.
Im Symp. befinden sich sieben Reden, in denen Eros aus verschiedenen Perspektiven thematisiert wird. Der Dialog zielt darauf ab, den Eros zu preisen, diesen „uralten und gewaltigen Gott“ (Lotz, 1979, 223). Sechs der Reden haben den Liebesgott zum Gegenstand. Die Rede des Sokrates, die vorletzte der sieben Reden, die den Kern des Themas darstellt, ist die wichtigste Passage des Textes, doch die Argumentationsstruktur wird erst durch die Gesamt-Übersicht über alle Reden sichtbar. Die letzte Rede stellt das besondere Verhältnis des Sokrates zu Eros dar. [Da die siebte Rede nicht unmittelbar den Eros-Begriff selbst zum Gegenstand hat, wird sie bei einigen Autoren nicht zu den (sieben) Reden des Symp's gezählt, exemplarisch siehe Lotz (1979, 223).]
Das Gastmahl findet zu Agathons Ehren statt. Die Freunde, die sich zu diesem Gastmahl versammelt haben, sind der junge Phaidros, ein antiker Gelehrter namens Pausanias, der Arzt Eryximachos, der Komödiendichter Aristophanes, der Tragödiendichter Agathon, Sokrates und der Stratege Alkibiades. Das inszenierte Gastmahl findet in dem Haus des Aristophanes statt, in dem sich die Freunde in einem noch verkaterten Zustand treffen (vgl. Pechriggl, 2009, 16). Und da alle Anwesenden noch geschwächt sind vom Gelage des Vortages, kommen sie überein, den sonst üblichen Trinkzwang zu lockern, aber jeder Anwesende soll eine Lobrede zu Ehren des Eros halten.
Bereits in der ersten Rede, der Rede des Phaidros, wird Eros als „Führer zum guten und richtigen Leben“ und als „Streben nach dem Schönen“ charakterisiert (Symp., 178d2 (zitiert nach Ebbersmeyer, 2009, 301)). Phaidros beschreibt Eros als den ältesten und schönsten Gott. Ebenso ist er groß und bewunderungswürdig (vgl. Pechriggl, 2009, 18). Auch eine politische Dimension der Liebe kommt zum Vorschein, was darauf zurückzuführen ist, dass Großes im Staat nur durch Liebe geschieht, denn: „Die Götter ehren am meisten das edle Verhalten, das auf Eros beruht“ (Symp., 23 (zitiert nach Pechriggl, 2009, 301)). Phaidros fasst den Inhalt seiner Rede wie folgt zusammen: „Von allen Göttern ist Eros der älteste, ehrwürdigste und wichtigste, wenn es darum geht, edel und gut zu werden und Glückseligkeit zu gewinnen im Leben wie nach dem Tode“ (Symp., 23 (zitiert nach Pechriggl, 2009, 301)).
In der zweiten Rede, der Rede des Pausanias', Vertreter der Polis und der „politischen Manneskraft“, gibt es im Grunde nicht nur einen Eros, sondern zwei. Das folgt daraus, dass zwischen einer gemeinen Liebe, sprich: einem gemeinen Eros (pandemos), und einer himmlischen Liebe (eros ouranios) unterschieden wird, eine Differenzierung, die später auch bei Sokrates Bedeutung erlangen wird. Die gemeine Liebe, das ist hier die „normale“ Liebe, die auch zwischen Männern und Frauen möglich ist, beschränkt sich primär auf das Körperliche (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 301). Diesem Eros hängen „die gewöhnlichen Menschen nach“, denen es um „bloße Triebbefriedigung“ an „möglichst geistlosen Partnern“ geht, da „es ihnen lediglich auf die Sache selbst, nicht auf das Wie ankommt“ (Symp., 26 (zitiert nach Pechriggl, 2009, 301)). Die himmlische Liebe hingegen richtet ihr Augenmerk auf Tugend und Weisheit. Gemäß Pausanias ist das ihr entsprechendes Liebesverhältnis, das zwischen einem Älteren und einem Jüngling5 (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 301). Anschließend daran kommt ein Appell, dass Knabenliebe verboten werden sollte. Pausanias' Argumente gegen die Verführung von Minderjährigen ist dabei allerdings in keiner Weise dem Schutz der Jugend geschuldet, sondern soll einzig dem Schutz der älteren Liebhaber dienen: Deren Engagement soll nicht an unreife Kinder verschwendet werden, da Knaben noch nicht über Vernunft verfügen (vgl. Pechriggl, 2009, 19). Philosophischer wird die Rede des Pausanias dort, wo er die Differenzierung zwischen Seele und Leib einführt, dessen Schönheit vergänglich ist (vgl. Pechriggl, 2009, 19). Eine „<himmlische> Liebesbeziehung ist für den Einzelnen wie für die ganze Stadt von hohem Wert, weil sie den Liebenden und den Geliebten zwingt, auf ihre sittliche Haltung große Sorgfalt zu verwenden“ (Symp., 34 (zitiert nach Pechriggl, 2009, 19)).
Pausanias' Differenzierung zwischen „vulgärem“ und „himmlischem“ Eros wird später nochmals aufgegriffen werden.
Der Arzt Eryximachos ist eine historische Figur. In seiner Rede greift er Pausianas' Unterscheidung der beiden Liebesbegriffe auf in dem Sinne, als er darin ein in der gesamten Natur wirksames Prinzip erkennt. Die in der vorangegangenen Rede angesprochene Zweiteilung des Eros, „der als gedoppeltes Prinzip in allem Lebendigen wirke“, systematisiert der Arzt in seiner Rede (Pechriggl, 2009, 20). Dabei geht es um zwei entgegengesetzte Arten des Eros: ein Eros für den Gesunden und ein Eros für den Kranken. Außerdem kommt Eryximachos zu der Behauptung, dass es sowohl für die Seelen als auch für die Leiber eine Tugend gibt. „Denn die Heilkunde ist [...] die Erkenntnis der Liebesregungen des Leibes in Bezug auf Anfüllung und Ausleerung“ (Symp., 186c-d (zitiert nach Pechriggl, 2009, 20)). Dabei geht es um die Differenzierung von Gut und Schlecht, von „Auszusondernden“ und „Einzufüllenden“ (vgl. Pechriggl, 2009, 20). Zudem kündigt der Arzt die sogenannte Mangel-Problematik an, dass Eros in sich ein Wiederspruch von Mangel und Erfüllung ist. [Zum Begriff des Mangels wird auf die Rede des Sokrates verwiesen, siehe unten.]
Der Komödiendichter Aristophanes steuert direkt auf die Natur des Menschen zu und führt den Mythos ein, dass Menschen ursprünglich kugelförmig waren, woraus er (s)eine Erklärung für Eros ableitet: In seiner Sichtweise waren Menschen ursprünglich Doppelwesen, die sich insgesamt vollkommen fühlten. Und sich offenbar entsprechend benahmen, denn den Göttern erschienen diese „Doppelmenschen“ zu stark. Ihr Übermut forderte die Götter heraus, wofür sie von Zeus aus einer Laune der Arroganz heraus getrennt wurden. Sie wurden im weitestem Sinne kastriert, in zwei geteilt. Seitdem kämpfen sie darum, ihre jeweils andere Hälfte zu finden. In diesem Sinne wird die Liebe als das Bemühen definiert, aus den zwei halben Menschen wieder einen ganzen zu machen und somit die Natur wiederherzustellen, mit dem Ziel, die Menschheit zu heilen (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 302). „Nichts anderes heißt Eros als die Sehnsucht und das Streben nach dem Ganzen“ (Symp., 50 (zitiert nach Pechriggl, 2009, 302)). Seinen „Liebling“ zu finden, der nach seinem Sinn geraten ist, also das Verlangen nach dem Ganzen, ist das Wesentliche des Eros in der Rede des Aristophanes. „Erotische Bestimmung ist für Platons Aristophanes eine Anlage, und ihre Verwirklichung ist die das Seelenheil bringende Rückkehr zu einer ebenso ursprünglichen wie mystischen Natur“ (Pechriggl, 2009, 23). Aristophanes ist der erste Redner, der sich eine andere Sicht der Dinge erlaubt: Er stellt sich nicht mehr nur eine Form des Eros dar, er zweifelt an der guten Göttlichkeit, an der göttlichen Güte des Eros. Bei dem Diskurs um den geschlechtlichen Eros in Aristophanes' Rede geht es nicht um die eine oder andere Neigung, sondern um die erotisch-sexuelle Vorliebe. Genauer um die Frage, warum jemand zum eigenen oder anderen Geschlecht neigt und nicht zu beiden ungefähr gleich (vgl. Pechriggl, 2009, 23).
Die fünfte Rede kommt vom Tragödiendichter Agathon (der Gute). Er beginnt seine Rede mit der Bemerkung, dass seine Vorredner ihrem Auftrag, Eros zu preisen, eigentlich nicht nachgekommen sind, da sie im Grunde alle nur das Glück gepriesen haben, „das die Menschen den Gütern verdanken, die der Gott ihnen wirkt“ (Symp., 194e (zitiert nach Schirnding, 2012, 54)). Er gibt vor, „nun das Wesentliche zu besingen, nämlich den Gott Eros selbst, seine glückselige Natur, seine Tugend und Schönheit“ (Pechriggl, 2009, 24). Er lobt Eros als einen Gott, der sich als gerecht, klug, tapfer und weise charakterisieren lässt (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 302). Geschmückt ist die Rede durch zahlreiche Sinnbilder, Zitate und Thesen. Agathon entfernt alles Schwierige und Gewaltsame aus der Liebe. In seiner Sichtweise meidet der schöne und zarte Gott Eros die Härte, er bevorzugt die geschmeidigen Teile. Agathon geht es dabei in erster Linie um die Freiwilligkeit in der Liebesbeziehung, was mit Gerechtigkeit und Besonnenheit einhergeht (vgl. Pechriggl, 2009, 25). Weitere Attribute in diesem Kontext, durch die sich Eros auszeichnet, sind aber auch Tapferkeit und Weisheit (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 301).
Die darauf folgende Rede, die des Sokrates', hebt sich in verschiedenen Punkten von den vorangegangenen ab. Zunächst erläutert Sokrates, dass er im Gegensatz zu den vorangegangenen Reden ganz ausdrücklich auf Wahrheit abstellen wird. Denn erst als er die Reden seiner Vorredner gehört hat, versteht er nach eigener Aussage, dass es einzig darum geht, dem Eros möglichst großartige und schöne Eigenschaften zuzuschreiben, „gleichgültig, ob es stimmt oder nicht“ (Symp., 198e (zitiert nach Schirnding, 2012, 61)). An einem Vorhaben allerdings, Eros nur zum Schein zu preisen, möchte sich Sokrates ausdrücklich nicht beteiligen: „Ich mache bei dieser Art des Preisens nicht mit; ich beherrsche sie nicht“ (Symp., 199a (zitiert nach Schirnding, 2012, 62)). Sokrates' Angebot, die Wahrheit verkünden zu wollen, wird angenommen. Schon von daher erhält seine Rede eine ganz herausgehobene Bedeutung.
Ferner ist in diesem Kontext wichtig, dass Sokrates an dieser Stelle hervorhebt, nicht von seiner eigenen Liebeslehre zu berichten, sondern von der der berühmten Seherin und Priesterin Diotima aus Mantinäa, von der Sokrates angibt, unterrichtet worden zu sein. Dabei betont Sokrates, dass Diotima in vielen Themen erhebliche Kompetenzen hat, explizit stellt er aber darauf ab, dass „sie vor allem in der Eroslehre bewandert“ ist (Symp., 201d (zitiert nach Schirnding, 2012, 67)). Somit, also mit der oben genannten Konzentration auf den Wahrheitsgehalt seiner Rede, und das speziell mit der Verbindung der explizit anerkannten Kompetenz der Urheberin Sokrates' Redebeitrag, belegt Sokrates, welche herausragende Bedeutung seine Rede für das Erosmotiv zukommt. Inhaltlich greift er vorherige Bestimmungen auf, ergänzt sie und bettet sie in sein Gesamt-Konzept der Liebe ein:
Sokrates beginnt seine Rede damit, Eros und Begehren wieder zusammenzunehmen. Er definiert Eros als denjenigen, der auf eine Art und Weise Anteil an dem Begehren hat. Dabei begehrt er das, was er selbst nicht (ganz) hat oder ist, also das, woran es ihm ermangelt. Demnach ist es essenziell, dass zu Eros der Mangel genauso wie das Begehren gehören. Außerdem ist Eros bedürftig, in diesem Sinne ist auch das eine Form des Mangels, da er die Schönheit bedarf, diese ausdrücklich begehrt: „Schönes zu begehren heißt nicht, bar aller Schönheit zu sein oder die Schönheit gar nicht zu haben. Oder anderes: Nur wer am Schönen teilhat, kann es als solches überhaupt begehren“ (Pechriggl, 2009, 25). Demnach muss Eros schön sein, „auch wenn er der je gerade begehrten Schönheit entbehrt“ (Pechriggl, 2009, 25).
Die Liebeslehre nach Diotima, die, wie oben bereits erwähnt, gemäß Sokrates' einleitender Sätze insbesondere in der Eroslehre firm ist, beginnt damit, dass sie Sokrates von eben genau dieser Vorstellung, dass Eros schön ist, abbringt. Nach ihrer Lehre ist Eros etwas zwischen schön und hässlich, womit sie die erkenntnistheoretische Aporie eröffnet, dass es etwas zwischen Weisheit und Unverstand gibt - nämlich eine rechte Meinung. Direkt darauf folgt der nächste Bruch: Eros ist gemäß Diotima/Sokrates kein Gott. Wenn Eros also kein Gott ist, dann ist er etwas zwischen Gott und Sterblich (etwas zwischen Gott und Mensch) - ein “Daimon“6.
Die Liebeslehre nach Diotima enthält somit folgende Festlegungen: Eros ist überhaupt kein Gott, sondern ein Mischling, ein Zwischenwesen, ein Daimon (Dämon), der am Geburtstag der Aphrodite vom Gott Poros (Ausweg) und Penia (Armut) gezeugt wurde. Damit ist Eros ein Mittelwesen, das zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen wirkt. Somit steht Eros immer zwischen Weisheit (sophia) und Unverstand (amthia). Er hat von beiden etwas: von Poros, der für Ausweg und Reichtum steht, und von Penia, die Armut und Mangel repräsentiert. Die Bedeutung dieses Dämonischen ist eine zwischen den Menschen und den Göttern vermittelnde: „Es transportiert zu den Göttern, was von den Menschen kommt (z.B. Gebete und Opfer, die Verfasserin der vorliegenden Arbeit), und zu den Menschen, was von den Göttern kommt (z.B. Gebote und Vergeltungen für Opfer, die Verfasserin der vorliegenden Arbeit)“ (Symp., 202e (zitiert nach Schirnding, 2012, 70)).
Liebe als Begierde beruht auf dem Verlangen nach „Zeugen und Gebären im Schönen“, dies geschieht sowohl dem Leibe als auch der Seele nach und kann somit auch als Streben nach Unsterblichkeit definiert werden (Symp., 203 f. (zitiert nach Ebbersmeyer, 2009, 302)). Denn lebenswert wird das menschliche Leben „im Anschauen des Schönen selbst“ (Symp., 211d (zitiert nach Schirnding, 2012, 87)), und beim geistigen Anblick des Schönen kommt man unmittelbar „mit der Wahrheit selbst in Berührung“ (Symp., 212a (zitiert nach Schirnding, 2012, 88)), und genau das ist der Weg, „ein Liebling der Götter und somit unsterblich zu werden“ (Symp., 212a (zitiert nach Schirnding, 2012, 88)).
Am Ende Sokrates' Rede stellt Diotima eine Stufenfolge der Liebe dar, das Bild der Himmelsleiter, die sich als höchstes und heiligstes Mysterium der Liebe charakterisieren lässt: „Von der Liebe zu einem schönen Menschen werde man zu der Liebe zu vielen schönen Menschen, von diesen zu den schönen Sitten und Handlungsweisen und dann zu den schönen Erkenntnissen geführt, bis man schließlich zur Erkenntnis des Schönen selbst gelangt. Diese Erkenntnis wiederum führt dazu, dass man sich mit Liebe und Wohlwollen den Jüngern zuwendet mit dem Ziel, in ihnen Tugend zu erzeugen“ (Symp., 211c (zitiert nach Ebbersmeyer, 2009, 302)).
Die grundlegende Annahme, dass Eros selbst das Objekt ist, das begehrt wird, ist demnach falsch. Er ist das Streben nach dem Geliebten und die diesem Streben zugrunde liegende Ermanglung des Geliebten (vgl. Pechriggl, 2009, 27). Und, gemäß Diotima/Sokrates, gehört Weisheit zum Schönsten, das es gibt, und da Eros voller Verlangen um das Schöne kreist, so folgt zwangsläufig, dass er auch nach Weisheit strebt, und zwar aus der Mitte zwischen einem Weisen und einem Unwissenden heraus. „Auch daran ist seine Herkunft schuld, stammt er doch von einem weisen, bemittelten Vater und einer unwissenden, unbemittelten Mutter“ (Symp., 204b (zitiert nach Schirnding, 2012, 72)).
Sokrates schließt weiter, wenn Eros das Begehren des Schönen ist, und wenn dann „Schönes“ durch „Gutes“ ersetzt wird, ist Eros das Streben nach Glück: „So ist es auch beim Eros. Der Oberbegriff umfasst jegliches Streben nach dem Guten und dem vollkommenen Glück“ (Symp., 205d (zitiert nach Schirnding, 2012, 74)).
Zusammenfassend umfasst damit der platonische Eros im Symp. alle Stufen des menschlichen Lebens. Der inneren Dynamik des Eros folgend geht es ihm beim Blick auf das jeweils Nächste immer zugleich auch um das Höchste, das Letzte. „Die „platonische Liebe“ strebt somit selbst durch die körperliche Liebe hindurch zur geistigen Liebe - bewusst oder auch unbewusst. Die entscheidende Charakteristik des platonischen Eros ist dabei der Mangel. Liebe, so kann man zusammenfassend sagen, ist Aufstieg zum Göttlichen“ (Schüßler, 2018, 58)7.
Die letzte Rede, die des Alkibiades (bekannt als Stratege, als Kommandierender im Krieg), fällt insofern aus dem Rahmen, als sie nicht den Eros preist, sondern Sokrates lobt (Symp., 214e (Schirnding, 2012, 93)). Im Wesentlichen beschreibt Alkibiades das Liebesverhalten des Sokrates. Gemäß Alkibiades' Rede täuscht Sokrates den Jünglingen Athens etwas vor, „indem er als scheinbarer Liebhaber um sie wirbt“ (Symp., 222b (zitiert nach Schirnding, 2012, 110), mit dem Effekt, dass er daraufhin allerdings von diesen wie ein Geliebter begehrt wird, wodurch die Jugend Athens zu wahrer Tugend verführt wird (vgl. Ebbersmeyer, 2009, 302).
Interessanter als der Inhalt der Rede des Alkibiades erscheinen allerdings dessen Ausführungen zum Wahrheitsgehalt Sokrates' Rede, was zusätzliche Bedeutung erhält durch die „Gewalt seiner Reden“, der man „widerstandslos ausgeliefert“ ist. Wie eingangs dargelegt hat sich Sokrates selbst besonders auf den Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen berufen. Was Alkibiades wiederum ausdrücklich in Frage stellt, denn man weiß, „daß er (Sokrates, die Verfasserin) jedesmal das Gegenteil dessen meint, was er sagt“ (Symp., 214d (zitiert nach Schirnding, 2012, 93)). Denn nach Alkibiades Ansicht hält Sokrates gerne „jedermann zum Narren“, und er wird „Zeugen beibringen“, wenn jemand dies leugnen würde (Symp., 215b (zitiert nach Schirnding, 2012, 95)).
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund, der grundlegenden Bedeutung des Symp 's sowie der Frage nach dem Wahrheitsgehalt Sokrates' Ausführungen sollen nachfolgend Wesen und Nutzen des Eros in Platons Dialogen der Liebe analysiert werden.
Im Folgenden wird auf Grundlage der dargestellten Reden das Wesen des Eros untersucht und analysiert „welchen Nutzen er den Menschen bringt“ (Lotz, 1979, 229).
Kapitel) ist: Gott ist unbedürftig (er hat alles), Liebe im platonischen Sinne bedeutet aber eben auch Mangel.
[...]
1 Der Begriff des Eros spielt in Platons Denken eine entscheidende Rolle. Im Grunde ist er zunächst einmal der alles umfassende Begriff für die verschiedensten Formen der Liebe, „von der Liebe zu Dingen bis hin zur Liebe zu Gott“ (Schüßler, 2018, 56). Im Gegensatz dazu bezieht sich der von Aristoteles geprägte Liebesbegriff Philia, der allerdings nicht Gegenstand der hier vorliegenden Arbeit ist, im Wesentlichen auf die wechselseitige Liebe zwischen Menschen. Die Diskussion, inwiefern die Philia als Vermittlerin zwischen der Eros- und der Agapeliebe fungieren kann, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
2 Das Wort „srvw“ beschreibt die Liebe allgemein und deutet besonders auf die sinnliche Liebe hin und bezeichnet somit eine bestimmte Vorstellung der menschlichen Liebe. Im platonischen Sinne meint er Liebeshändel und übertragen Lust und Verlangen. Als Gegenstand der Liebe und als Liebesgott, dem Sohn der Aphrodite, wird srvw im antiken Griechenland bezeichnet.
3 Es ist zu beachten, dass generell die Ansichten, die Platon seiner Dialogfigur Sokrates in den Mund legt, nicht mit denen des historischen Vorbilds übereinstimmen (müssen).
4 Insgesamt lassen sich aus der zweiten Rede des Sokrates vier Arten des göttlichen Wahnsinns herauskristallisieren: den der Weissagung, den der Mysterien, den der Dichtung und den der Liebe.
5 Pausanias differenziert zwischen „unreifen“ Knaben und solchen, die bereits anfangen, „Vernunft zu entwickeln“ (Symp., 26 (zitiert nach Pechriggl, 2009, 301)).
6 Ein Daimon ist in der griechischen Mythologie und Philosophie ein Geistwesen (Dämon in den Religionswissenschaften).
7 In diesem Kontext wird bereits hier klar, dass Platon in keiner Weise hätte argumentieren können, dass Gott die Liebe im Sinne der Agape (zum Begriff der Agape siehe das folgende
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare