Doktorarbeit / Dissertation, 2007
88 Seiten, Note: 1
1 Einleitung
1.1 Sehen
1.2 Verhaltensexperimente
1.3 Der Goldfisch als Versuchstier
1.4 Das visuelle System von Goldfischen
1.5 Ein Modell zur neuronalen Verarbeitung von Bewegung
1.6 Bewegungssehen beim Goldfisch
1.7 Fragestellung der Arbeit
2 Material und Methode
2.1 Versuchstiere und Haltung
2.2 Versuchsaufbau
2.3 Bestimmung der spektralen Leuchtdichteverteilung des Flachbildschirms
2.4 Versuchsdurchführung
3 Ergebnisse
3.1 Erste Dressur: schwarzer bewegter Punkt gegen schwarzen unbewegten Punkt
3.2 Zweite Dressur: schwarzer bewegter Punkt gegen weißen Hintergrund
3.3 Transferversuche
3.4 Generalisierung
3.5 Dritte Dressur
3.6 Transferversuche mit Fisch Nr. 3
3.7 Modifizierung der Dritten Dressur
3.8 Kontrast-Test
3.9 Umdressur auf Rot-Grünes-Muster
3.10 Transferversuche: Rot-Grün
3.11 Kontrolltest: Rot-Grün
3.12 Umdressur auf Blau-Grün-Muster
3.13 Transferversuch: Blau-Grün
4 Diskussion
4.1 Ermittlung der geeigneten Dressurmethode
Erste Dressur und zweite Dressur
Dritte Dressur
Transferversuche mit Fisch Nr. 3
Dressur auf das schwarz-weiße Zufallspunktmuster
Zusammenfassung der Vorversuche
4.2 Hauptversuche
Kontrasttest
Umdressur auf farbige Muster
Transferversuche: Rot-Grün
Berechnung der Zapfenerregung nach Palacios
Kontrolltest: Rot-Grün
Transferversuche: Blau-Grün
4.3 Zusammenfassung der Hauptversuche
4.4 Vorteil der „Farbenblindheit“ des Bewegungssehens
4.5 Gibt es mehrere Systeme zur Bewegungswahrnehmung?
4.6 Vergleich mit dem Menschen
4.7 Maschinelles Sehen
4.8 Vergleich: „Maschine – Natur“
5 Zusammenfassung
6 Literaturverzeichnis
Das Gehirn der Vertebraten ist das höchst entwickelte und komplexeste Organ, das die Natur hervorgebracht hat. Diese Komplexität beruht dabei auf der unge- heuren Verschaltungsvielfalt der einzelnen Bausteine, der Nervenzellen. Obwohl einerseits kaum ein anderer Zelltyp funktionell so bekannt ist wie die Nervenzel- le, ist andererseits das Gehirn als Ganzes noch immer das am wenigsten verstan- dene Organ des Körpers.
Nicht nur Neurobiologen, Mediziner und Psychologen beschäftigen sich in- tensiv damit, die Arbeitsweise des Gehirns aufzuklären, auch andere For- schungsdisziplinen, wie die Künstliche Intelligenz, die Informatik, die Robotik, die Kybernetik, die Kognitionswissenschaften und auch die Linguistik versuchen durch verstärkte Forschungsarbeit ein tieferes Verständnis über die Hirnfunktio- nen zu erhalten. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass in den letzten Jahren die Grenzen zwischen diesen unterschiedlichen Bereichen immer mehr verwi- schen und sich auch vermehrt interdisziplinäre Arbeitsgruppen bilden, um ge- meinschaftlich an diese Aufgabe heranzugehen.
Durch Grundlagenforschung sind bereits eine Vielfalt von Methoden, Ver- fahren und Systemen entstanden, die die Übertragung perzeptiver, kognitiver und aktorischer Leistungen, wie sie bei einfachen Lebewesen beobachtet werden können, auf mechanische oder elektronische Systeme zum Ziel haben. Künstli- che Neuronale Netze sind dabei ein probates Werkzeug aus der Neuroinforma- tik. Im Gegensatz zu den klassischen Algorithmen (Berechnungsvorschriften) der Informatik gibt es in ihnen keine expliziten Repräsentationen, vielmehr ist das Wissen über die Zuordnungen in der Verbindungsstruktur und den Gewich- tungen der Verschaltung in indirekter Weise kodiert. Somit bilden die künstli- chen neuronalen Netze die Nervenzellverschaltung im Gehirn - die natürlichen neuronalen Netze - nach und haben genau wie diese den Vorteil der Lernfähig- keit (Russel & Norvig, 2003).
Die Aufklärung der Funktions- und Arbeitsweise des visuellen Systems bei Wirbeltieren ist von höchstem Interesse, da man basierend auf diesem Wissen „Computersehen“ mit allen Aspekten der natürlichen Bildverarbeitung emulie- ren könnte (z.B. zur Gesichtserkennung für Sicherheitssysteme oder auch für autonome Systeme, die sich in einer unbekannten Umgebung orientieren und adäquat reagieren müssen, wie beispielsweise der Mars Pathfinder der NASA). Die Ergebnisse können auch für optimale Arbeitsplatzgestaltung verwendet werden (Flugzeugcockpit, Armaturenbrett im Auto, Bedienpulte in sicherheitsre- levanten Anlagen, wie zum Beispiel Kraftwerke).
Dieses verstärkte Interesse an der Informationsverarbeitung im Gehirn zeigt sich auch darin, dass 2000 vom damaligen Ministerpräsident Wolfgang Clement (NRW) die „Dekade der Neurowissenschaften“ ausgerufen wurde, um das viel- seitige und auch gesellschaftlich relevante Thema wirksam an die Öffentlichkeit zu vermitteln.
Der optische Sinn spielt für die Orientierung der Tiere in ihrer Umwelt, für die Nahrungssuche, die Partnerwahl und das Erkennen von Feinden eine bedeutende Rolle. Die Leistungen des visuellen Systems von Wirbeltieren gehen über das einfache Erkennen von Lichtintensitäten hinaus und lassen sich in mehrere As- pekte unterteilen: Farbensehen, Formensehen, Bewegungssehen und Wahrneh- mung räumlicher Tiefe.
Eine grundsätzliche und herausragende Eigenschaft von visuellen Systemen ist die Fähigkeit der Bewegungswahrnehmung. Zwar gibt es Tiere, die kein Far- bensehen oder kein ausgeprägtes binokulares Sehen besitzen, aber es wurden bisher noch keine Tiere mit optischem Sinn gefunden, denen ein Mechanismus zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Bewegung fehlt (Nakayama, 1985).
Viele lebensnotwendige Verhaltensweisen von Tieren werden durch die Wahrnehmung von Bewegung gesteuert. Es können sowohl bewegte Objekte erkannt und verfolgt, als auch Eigenbewegungen wahrgenommen werden. Durch relative Verschiebung von zusammengehörigen Strukturen gegen den Hinter- grund können Konturen und Formen erkannt und von ihrer Umgebung abge- grenzt werden. Bei Eigenbewegungen kann die Entfernung von Objekten abge- schätzt werden (Bewegungsparallaxe), da sich die Bilder naher Objekte schnel- ler über die Retina bewegen als die entfernter Objekte (von Campenhausen, 1993). Die Bewegungswahrnehmung kann somit auch die dritte Dimension bei Tieren erschließen, die kein oder nur ein geringes stereoskopisches Sehen besit- zen.
Für die Reaktion auf eine Bewegungswahrnehmung ist es wichtig, ob ein einzelnes Objekt seine Position vor einem stabilen Hintergrund verändert (Klein- feld-Reiz) oder ob sich die gesamte sichtbare Umgebung bewegt (Großfeld- Reiz) (Reichardt, 1986). So wurde bei Fliegen (Musca domestica) gezeigt, dass durch Reizung mit einem Großfeld-Stimulus eine Kompensation der Bildver- schiebung durch eine Körperbewegung ausgelöst wird (optomotorische Folgere- aktion), während ein Kleinfeld-Stimulus die Erkennung, Fixierung und Verfol- gung kleiner bewegter Objekte vermittelt (Egelhaaf et al., 1988). Beim Men- schen signalisiert die Bewegung des kompletten Gesichtsfeldes die eigene Fort- bewegung oder die Bewegung des Kopfes. Dagegen vermitteln lokale Bewe- gungen die Bewegung von Objekten, wie andere Personen, Tieren oder auch ei- gene Körpergliedmaßen (Goldstein, 2002).
Der Stimulus muss nicht immer eine „echte” Bewegung sein (räumliche Verschiebung in Abhängigkeit von der Zeit). Auch nacheinander aufleuchtende Lichtpunkte, die einen bestimmten räumlichen Abstand voneinander haben, kön- nen den Eindruck einer Bewegung hervorrufen (z.B. Computer-Monitor).
Diese Scheinbewegungen werden auch als “Phi-Phänomen” bezeichnet. Die Tatsache, dass sich echte Bewegung und entgegengesetzt verlaufende Schein- bewegung gegenseitig aufheben (Gregory & Harris, 1984) spricht dafür, dass beide dem gleichen neuronalen Mechanismus unterliegen.
Zur Untersuchung neuronaler Mechanismen gibt es verschiedene Möglichkeiten, die sowohl gewisse Vorteile als auch Nachteile haben. So erreicht man zwar bei der Durchführung elektrophysiologischer Experimente eine gute zeitliche Auflö- sung, es wird jedoch nur die Aktivität eines oder einiger weniger Neurone be- stimmt. Dagegen haben bildgebende Verfahren wie PET (Positronen-Emissions- Tomografie) oder MRT (Magnet-Resonanz-Tomografie) durch Messung des Energiebedarfs von Hirnregionen eine gute räumliche Auflösung, bis in den Mil- limeterbereich, zeitlich gesehen hinken sie aber den Vorgängen um Sekunden hinterher. Die klassische Elektroenzephalografie (EEG) dagegen misst die elekt- rische Aktivität von Nervenzellverbänden fast in Echtzeit, gibt aber nicht genau Aufschluss über den Ort des Geschehens. Mit diesen genannten Möglichkeiten ist es äußerst schwierig, die Ergebnisse auf ein ganzes System der Wahrneh- mung zu übertragen.
Demgegenüber bieten Verhaltensversuche den Vorteil, dass das Versuchstier immer als Ganzes gesehen wird und man Kenntnis über die Leistung des Ge- samtsystems erhält. Dadurch sind Verhaltensexperimente sehr spezifisch und sensitiv (Brockerhoff et al., 1995).
„... wenn man einen lebenden Organismus auseinander nimmt, in- dem man seine verschiedenen Teile isoliert, tut man das nur zu Er- leichterung der experimentellen Analyse und keineswegs, um sie ge- trennt zu verstehen. In der Tat, will man einer physiologischen Ei- genschaft ihren Wert und ihre wirkliche Bedeutung zumessen, muss man sie immer auf das Ganze beziehen und darf endgültige Schluss- folgerungen nur im Zusammenhang mit ihren Wirkungen auf das Ganze ziehen.“ - Claude Bernard1 (Introduction à l'étude de la médi- cine experimentale, Paris 1865)2
Um das visuelle System in Verhaltensexperimenten zu untersuchen, gibt es ver- schiedene Ansätze. Zum einen können Verhaltensreaktionen ausgenutzt werden, die spontan ohne Dressur bei den Versuchstieren ausgelöst werden (Schreckre- aktion, Phototaxis, Fluchtreaktion, optokinetische Reaktion, optomotorische Folgereaktion). Zum anderen können Dressurexperimente durchgeführt werden, bei denen das Versuchstier vor dem eigentlichen Versuch trainiert werden muss (operante Konditionierung). Welche Methode zum Einsatz kommt, hängt von der Fragestellung der Untersuchung und dem Versuchstier ab.
Seit mehr als einhundert Jahren wird das Sehsystem des Goldfisches und anderer Karpfenfische untersucht. Nachdem Cayal3 (Rodieck, 1973) zuerst die Retina von Vögeln studierte (1888) und anschließend diese Ergebnisse mit denen der Retina von Amphibien, Reptilien und Säugetieren (1891) verglich, untersuchte er 1892 den Aufbau der Retina von Knochenfischen. Karl von Frisch analysierte 1912 als erster mittels Dressurexperimenten die Leistungen des visuellen Sys- tems von Fischen.
Beim Goldfisch (Carassius auratus) handelt es sich um einen Vertreter aus der Familie der Karpfenfische (Cypriniformes) und stellt eine Zuchtform der ostchinesischen Silberkarausche dar, deren Zucht etwa ab dem Jahr 1000 in Chi- na stattfand. Die Wildform Chi-yü ist grau gefärbt und wird in China und Japan als Speisefisch genutzt (Hervey & Hems, 1981).
Goldfische zeigen viele angeborene Verhaltensweisen, die zu Untersuchun- gen von Sehleistungen herangezogen werden können, wie z.B. den Licht- Rückenreflex oder phototaktisches Verhalten, Augenfolgebewegungen (Nystagmen) und optomotorische Reaktionen. Für Untersuchungen des Bewe- gungssehens sind Goldfische besonders gut geeignet. Im Gegensatz zu am Bo- den lebenden Fischen, die direkten Kontakt mit dem Boden haben, schwimmen Goldfische frei im Wasser und orientieren sich überwiegend optisch in ihrer Umgebung. Daher kann ihr Verhalten mit optischen Reizen beeinflusst werden.
Die Retina der Goldfische ist der des Menschen in vielerlei Hinsicht ähnlich. Es können zudem an der Netzhaut von Goldfischen Vorgänge beobachtet wer- den, die bei höheren Wirbeltieren erst in höheren Hirnarealen ablaufen und da- durch für Untersuchungen schwerer zugänglich sind, wie zum Beispiel Doppel- gegenfarbzellen, die bei Fischen bereits auf der Ebene der retinalen Bipolarzel- len zu finden sind, bei den Primaten aber erst in der Großhirnrinde (Douglas & Djamgoz, 1990). Die Retina der Goldfische ist anatomisch, elektrophysiologisch und histochemisch eingehend untersucht worden, weswegen man Ergebnisse aus Verhaltensexperimenten unmittelbar mit diesem Wissen vergleichen kann. Au- ßerdem sind Goldfische einfach in der Haltung, da sie recht anspruchslose und ruhige Tiere sind, die zudem leicht und kostengünstig zu beschaffen sind und sich sehr einfach dressieren lassen. Diese Dinge sprechen dafür, den Goldfisch auch weiterhin als Versuchstier für Verhaltensexperimente zum visuellen Sys- tem bei Vertebraten zu verwenden.
Alle bekannten farbentüchtigen Organismen besitzen mindestens zwei verschie- dene Photorezeptoren mit unterschiedlicher spektraler Empfindlichkeit, deren Absorptionsspektren sich teilweise überlappen müssen. Das Absorptionsspekt- rum eines Photorezeptors beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Licht- quant einer bestimmten Wellenlänge absorbiert wird. Durch die Absorption ei- nes Lichtquants wird der Photorezeptor erregt, wobei die Erregung nur abhängig von der Anzahl der absorbierten Lichtquanten ist und nicht von der Energie des Lichtquants. Die Information über die Wellenlänge geht damit verloren („Univa- rianzprinzip“). Somit stellt ein Photorezeptor nichts anderes als einen Lichtquan- tenzähler dar (Rushton, 1972). Durch den Vergleich der Erregungsverhältnisse der Photorezeptortypen kann nun das Gehirn die Codierung von Farbinformation vornehmen.
Es kommen zwei Arten von Photorezeptoren bei Wirbeltieren vor, deren Funktionen sich nach der Duplizitätstheorie unterscheiden (von Campenhausen, 1993): Die „farbentüchtigen“ Zapfen (photopisches Sehen) mit dem höheren räumlichen Auflösungsvermögen und die lichtempfindlicheren, aber „farben- blinden“ Stäbchen (skotopisches Sehen).
Goldfische besitzen ein tetrachromatisches Farbensehen (Neumeyer, 1992). Die Maxima der Absorptionsspektren der vier Zapfentypen liegen bei 356 nm, 447 nm, 537 nm und 623 nm (Bowmaker et al., 1991; Palacios et al., 1998).
Der Goldfisch besitzt ein typisches Wirbeltierauge mit invers aufgebauter Retina. Die Linse ist kugelförmig. In Ruhe ist das Auge auf die Nähe fokussiert. Eine Akkomodation auf die Ferne erfolgt durch Verschieben der Linse in Rich- tung der Retina. Die Retina wird nach außen hin durch das Pigmentepithel be- grenzt. Die Pigmentepithelzellen absorbieren Licht und vermindern dadurch e- ventuell auftretendes Streulicht. Zudem spielen sie bei der Adaptation eine Rolle (Retinomotorik) Daran schließen sich zum Inneren des Auges hin die Photore- zeptoren an. Deren Somata liegen in der äußeren nukleären Schicht. Anschlie- ßend folgt die äußere plexiforme Schicht. In ihr treten die Photorezeptoren über Synapsen mit den Bipolar- und Horizontalzellen in Kontakt. Es folgt die innere nukleäre Schicht, welche die Zellkörper der Bipolar-, Horizontal- und Amakrin- zellen enthält. In der inneren plexiformen Schicht treten die Synapsen der Bipo- larzellen mit den Ganglienzellen in Kontakt. Abschließend erscheint die Gang- lienzellschicht mit den Somata der Ganglienzellen.
Die Erregung der Photorezeptoren wird über die Bipolarzellen zu den Gang- lienzellen weitergeleitet. Zusätzlich gibt es Quervernetzungen zwischen den Photorezeptoren und den Bipolarzellen über die Horizontalzellen. Außerdem bestehen Kontakte zwischen den Ganglienzellen über die Amakrinzellen. Die Axone der Ganglienzellen bilden schließlich den optischen Nerv (Nervus opti- cus). Bei den Knochenfischen kreuzen sich die Sehbahnen der beiden Augen im Chiasma opticum vollständig.
Der Goldfisch besitzt ein fünfteiliges Wirbeltiergehirn. Dieses besteht aus dem Telencephalon (Vorderhirn) mit dem Tractus olfactorius und dem Bulbus olfactorius, dem Diencephalon (Zwischenhirn), dem Mesencephalon (Mittel- hirn), dem Metencephalon (Hinterhirn) mit dem Cerebellum (Kleinhirn) und dem Myencephalon (Nachhirn). Das Tectum opticum befindet sich im Mesen- cephalon und dient der Verarbeitung visueller Reize. Dort endet auch der Nervus opticus. Das Tectum opticum ist retinotop organisiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1:
Detektor-Modell für die visuelle Bewegungsregistrierung nach Reichardt. Die Differenz aus beiden Kanälen bildet die Ausgangs- größe R des Bewegungsdetektors. Das Bewegungssignal R hängt von der Geschwindigkeit ab und ändert bei Umkehrung der Bewe- gungsrichtung das Vorzeichen. Die Kästen (B) sorgen für eine Ver- zögerung der Erregung um einen festen Betrag und in den Kästen M findet eine multiplikative Verrechnung der beiden Eingänge statt (nach von Campenhausen: „Die Sinne des Menschen“).
Ein einfaches Modell für die Verarbeitung von Bewegungsreizen ist 1956 von Hassenstein und Reichardt aufgestellt worden (Reichardt, 1957, 1986, 1987). Hassenstein verwendete zur Analyse der optischen Bewegungswahrnehmung beim Rüsselkäfer Chlorophanus viridis bewegte Streifenmuster und entwickelte zusammen mit Reichardt das auf Autokorrelation basierende Detektor-Modell. Nach diesem Modell werden die Eingänge zweier benachbarter Kanäle mitein- ander so verglichen, dass das verzögerte Signal des einen Kanals mit dem unver- zögerten Signal des anderen Kanals multipliziert wird (Abbildung 1). Die Diffe- renz aus den beiden Eingängen ist die Ausgangsgröße des Bewegungsdetektors. Mit diesem Detektor kann nun nicht nur die Richtung der Bewegung, sondern auch deren Geschwindigkeit bestimmt werden. Die Ausgangsgröße hängt vom Kontrast und der Beleuchtungsstärke des bewegten Musters ab, je größer der Kontrast, desto deutlicher wird die Bewegung wahrgenommen (von Campen- hausen, 1993). Die Standard-Modelle zur Detektion von Bewegung basieren auf Autokorrelation, Fourier-Analyse und Detektion von Gradienten (Taub et al., 1997).
Beim Goldfisch wurde bereits das skotopische und photopische Aktionsspekt- rum der optomotorischen Folgereaktion sowie die Abhängigkeit der Bewe- gungsdetektion von der farblichen Zusammensetzung des Reizmusters unter- sucht, um herauszufinden, welche der vier Zapfentypen an der Bewegungsdetek- tion beteiligt sind (Schaerer & Neumeyer, 1996). Es zeigte sich, dass das Akti- onsspektrum nur ein einziges Maximum im langwelligen Bereich (zwischen 620nm und 660nm) besaß. Ein Vergleich mit den spektralen Empfindlichkeits- funktionen der vier Zapfentypen ließ vermuten, dass die Information für die Be- wegungswahrnehmung von den L-Zapfen vermittelt wird. Dies bestätigten die Ergebnisse der Messungen mit rot-grünem Streifenmuster, bei dem bei einer be- stimmten Einstellung der beiden monochromatischen Lichter die Folgereaktion ausblieb. Der Goldfisch konnte offenbar die Bewegung des Streifenmusters nicht mehr wahrnehmen. Bei Berechnung der Erregungswerte der M- und L- Zapfen zeigte sich, dass bei dieser Einstellung die L-Zapfen von dem abgestrahl- ten Licht der roten und grünen Pappstreifen gleich stark erregt werden. Die L- Zapfen waren somit nicht moduliert. Der Goldfisch kann diese Art von Bewe- gung nur aufgrund von Helligkeitsunterschieden bestimmen und nicht aufgrund unterschiedlicher chromatischer Komponenten. Daher kann man sagen, dass das Bewegungssehen einer Ganzfeldbewegung beim Goldfisch „farbenblind“ ist, weil hierfür nur ein Zapfentyp und zwar die L-Zapfen verantwortlich sind.
Auch Untersuchungen bei Bienen, dem Krallenfrosch und dem Zebra- bärbling zum Bewegungssehen ergaben, dass der langwelligste Photorezeptortyp bei der Bewegungsdetektion dominiert (Cronly-Dillon & Muntz, 1965; Kaiser & Liske, 1974; Krauss & Neumeyer, 2003).
Bisher basieren Erkenntnisse des Bewegungssehens beim Goldfisch auf Unter- suchungen, die mit Hilfe der optomotorischen Folgereaktion durchgeführt wur- den. Dabei wird die ganze sichtbare Umgebung des Goldfischs in Bewegung versetzt und die Reaktion des Tieres untersucht. Dies stellt aber nur einen Teil der Möglichkeiten des Goldfischs dar, Bewegung zu perzipieren. Goldfische sind auch in der Lage, die Bewegung eines einzelnen Objektes vor einem ruhen- den oder auch bewegten Hintergrund wahrzunehmen, denn sie müssen in der Lage sein, Feinde zu erkennen und gezielt auszuweichen und Futter zu entde- cken. Jedoch stellt sich für die Untersuchung des Objektbewegungssehens das Problem, wie man die Reaktionen des Goldfischs eindeutig quantifizieren kann. Dressurexperimente, wie sie bereits für die spektrale Empfindlichkeit, die Wel- lenlängenunterscheidungsfähigkeit des Goldfischs (Neumeyer, 1984; Neumeyer, 1986) oder auch Versuche zu optischen Täuschungen beim Goldfisch (Wyzisk, 2005) gemacht wurden, scheinen daher angebracht.
Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit war es nun, zuerst eine geeignete Me- thode zu entwickeln, mit der man das Sehen der Bewegung von Objekten beim Goldfisch mit Hilfe von Dressurexperimenten untersuchen kann. Hierbei sollte so vorgegangen werden, dass die Tiere zuerst auf ein bewegtes Objekt gegen ein unbewegtes dressiert werden. Dabei sollte das Objekt schwarz sein und der Hin- tergrund weiß. Erst danach sollten die Tiere auf ein farbiges Objekt vor einem farbigen Hintergrund umdressiert werden. Hierbei standen die Farbkombinatio- nen rot-grün und blau-grün im Mittelpunkt. Dann sollte durch Variationen der Intensitäten von rot und grün bzw. blau und grün untersucht werden, ob die Goldfisch noch in der Lage sind, das bewegte Objekt vom unbewegten zu unter- scheiden. Denn, wenn diese Art von Bewegungssehen genauso farbenblind ist, sollte es eine Kombination von Intensitäten geben, bei denen die Unterschei- dungsfähigkeit für ein bewegtes gegen ein unbewegtes Objekt schlechter wird oder gar ganz ausfallen sollte. Damit könnte die Frage, ob auch diese Form des Bewegungssehens beim Goldfisch farbenblind ist, beantwortet werden.
Als Versuchstiere dienten zuerst vier Goldfische (Carassius auratus), die aus einer örtlichen Zoohandlung bezogen wurden, später wurden weitere Tiere hin- zugenommen. Die Fische wurden aus einer größeren Menge erworbener Fische ausgesucht. Dabei wurde darauf geachtet, dass sie annähernd gleich groß waren (9 – 12 cm), um ein etwa gleich großes Nahrungsbedürfnis der Tiere zu gewähr- leisten und dadurch ein gleichmäßiges Arbeiten zu sichern.
Die Belohnung der Goldfische während der Dressur (positive Konditionie- rung) und der Tests erfolgte durch eine selbst hergestellte Paste, die aus SERA- SAN Flockenfutter, Wasser, TRAGANTH (Dickungsmittel der Firma MERCK) und einer Multivitamin-Paste (Multi-Mulsin N) bestand. Die Zutaten wurden mit Hilfe eines handelsüblichen Mixers zu einer homogenen Masse verarbeitet und anschließend für etwa drei Stunden in einen Exsikkator gestellt, um ein Nachlau- fen der Paste im Schlauch durch Luft im Futter zu unterbinden. Während der Dressur und der Testphasen wurde nicht zusätzlich gefüttert. In testfreien Zeiten erhielten die Goldfische GOLDYROYAL Granulatfutter der Firma SERA. Die Aquarien waren ohne Pflanzenbewuchs und Kiesbett und nur mit einem TETRA BILLI Schaumstofffilter ausgestattet. Die Wassertemperatur betrug 20-25oC. Ein Wasserwechsel wurde alle zwei Wochen vorgenommen und die Filter einmal wöchentlich gereinigt. Außerdem wurde die Wasserqualität regelmäßig mit eSHa Aqua Quick Test (ESHA PRODUCTION) kontrolliert. Als Raumbeleuch- tung dienten weiße Leuchtstoffröhren (Osram L 58 W/11-860 Lumilux Plus Edo Daylight; OSRAM GmbH München), die in einem zwölf Stunden Hell-Dunkel- Rhythmus betrieben wurden. Die Beleuchtungsstärke an der Wasseroberfläche betrug etwa 105 Lux (gemessen mit dem Luxmeter Mavolu-Digital, GOSSEN METRAWATT GmbH, Nürnberg) und wurde während der Versuche beibehal- ten.
Die Aquarien (40 cm x 25 cm x 25 cm) standen parallel zueinander auf einem Holztisch (Abbildung 2). Während der Versuche wurde innen an der Rückseite der Aquarien eine Futterplatte (Abbildung 3 und 4) angebracht. Diese bestand aus grauem PVC und hatte eine Größe von 23 cm x 24 cm. Am unteren Rand der Platte waren zwei runde Aussparungen (Ø 5 cm) im Abstand von 5 cm und in Höhe von 4 cm. Vom oberen Rand der Futterplatte bis zur jeweiligen Ausspa- rungen verlief mittig eine Nut, in der der PVC-Schlauch zur Futtergabe befestigt wurde. Damit die Tiere nicht über die linke Aussparung die rechte Präsentation sehen konnten und umgekehrt, wurde zusätzlich eine senkrechte Platte zwischen Monitor und Aquarien angebracht (Abbildung 4).
Die Bewegungsreize wurden mit Hilfe eines 17-Zoll-Flachbildschirms (BenQ FP 767) präsentiert. Der Bildschirm war an einen PC (AMD K7 Athlon XP 2000+ 1,8 GHz, 512 MB RAM, Matrox Millenium G550) angeschlossen und konnte über einen zweiten Monitor (Philips 107G) angesteuert werden. Der Flachbildschirm stand in einem Abstand von 5 cm hinter den Aquarien.
Die Bewegungsreize wurden von einem in BORLAND DELPHI 3.0 PROFESSIONAL (BORLAND INTERNATIONAL) selbst entwickelten Programm gene- riert. Im späteren Verlauf wurden die Bilder der unbewegten Kontrolltests mit ADOBE PHOTOSHOP 7.0 (ADOBE SYSTEMS INCORPORATED) erstellt und mit MICROSOFT POWERPOINT 2003 (MICROSOFT COOPERATION) präsentiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Versuchsaufbau
[...]
1 (* 12. Juli 1813 in Frankreich; † 10. Februar 1878) war ein französischer Physiologe. Er ent- deckte die Funktion von Bauchspeicheldrüse und Leber bei Verdauungsvorgängen. Als erster beschrieb er die Bedeutung des Milieu intérieur für die Aufrechterhaltung des Lebens und war damit einer der ersten Protagonisten der Homöostase.
2 Aus: Taschenatlas der Physiologie, Stefan Silbernagl und Agamemnon Despopoulos, 5. kom- plett überarbeitete Ausgabe, Thieme Verlag Stuttgart, 2001
3 Santiago Ramón y Cayal (* 1. Mai 1852 in Petilla de Aragón (Navarra, Spanien); † 18. Okto- ber 1934 in Madrid) war ein spanischer Mediziner und erhielt den Nobelpreis für Medizin 1906 gemeinsam mit dem Italiener Camillo Golgi.
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