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Diplomarbeit, 2022
68 Seiten, Note: 2
Inhaltsverzeichnis
A. Einführung
I. Der Ausgangsfall
II. Begründung der Themenwahl und Relevanz des Themas
III. Ziel der Arbeit
IV. Vorgehen
V. Struktur und Aufbau der Arbeit
B. Hauptteil
I. Einkommens- und Vermögensverwertung zur Pflegekostendeckung
1. Pflegekosten, Pflegeversicherung, Eigenanteil
2. Kosten
a) Ermittlung des Pflegegrad (Module, Punkte)
b) Pflegegrade
aa) Leistungsanspruch nach Pflegegrad
bb) Monatliche Durchschnittskosten nach Pflegegrad
3. Verwertung des Einkommens
4. Verwertung von Vermögen
a) Einzusetzendes verwertbares Vermögen i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB XII
aa) Verwertung
bb) Verwertbarkeit
(1) Rechtliche Verwertbarkeit
(2) Tatsächliche Verwertbarkeit
c) zeitliche Verwertbarkeit
d) ausgeschlossenes Vermögen i.S.v. § 90 Abs. 2 Nr. 1-9 SGB XII
aa) Altersvorsorgevermögen
bb) Bausparvermögen/Hausbeschaffungs- und Erhaltungsmittel
cc) Angemessener Hausrat
dd) Gegenstände zur Berufs- und Erwerbstätigkeit
ee) Familien- und Erbstücke
ff) Gegenstände zur Befriedigung geistiger Bedürfnisse
gg) Barbeträge bis 5.000
b) Geschützter Grundbesitz (Haus, Eigentumswohnung)
aa) Voraussetzungen
(1) Haus als verwertbarer Vermögensgegenstand
(a) Hausgrundstück
(b) Verwertbarkeit
(2) Eigentum oder Miteigentum an der Immobilie
(3) Pflegebedürftiger oder Angehörige im Haus wohnhaft
(4) Angehöriger will dort weiterhin wohnen
(5) Angemessenheit
(a) Größe
(aa) Maßstab des Zweiten Wohnungsbaugesetzes
(bb) Was gehört zur Wohnflächengröße?
(cc) Was gehört nicht zur Wohnflächengröße?
(1) Grundstück
(2) Haus
(3) Wohnung
(dd) Bewohnerzahl
(ee) Wohnbedarf
(ff) Zuschnitt und Ausstattung
(ee) Grundstückswert einschließlich des Wohngebäudes
(6) Folgen der Unangemessenheit
(7) Zumutbarkeit der Verwertung – Härtefall?
II. Zwangsvollstreckung
1. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung
a) Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen („Zulässigkeit“)
aa) Antrag des Gläubigers
bb) zuständiges Vollstreckungsorgan
cc) Verfahrensbeteiligte
b) Allgemeine Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen
aa) Vorliegen eines Vollstreckungstitels
bb) Erteilung der Vollstreckungsklausel
cc) Zustellung des Titels, § 750 ZPO
c) Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen
d) Allgemeinen Vollstreckungshindernisse
2. Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen
a) Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen (Fahrnis) §§ 808 ff. ZPO
b) Zwangsvollstreckung in Forderungen §§ 829ff, 835 ff. ZPO
c) Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen
3. Vollstreckung in Grundstücke
a) Gegenstand der Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen
b) Verwertungsarten
aa) Eintragung einer Zwangshypothek
bb) Zwangsversteigerung
(1) Anordnung der Zwangsversteigerung und Beschlagnahme
(2) Verwertung
cc) Zwangsverwaltung
(1) Anordnung der Zwangsverwaltung
(2) Beschlagnahme
(a) Zustellung des Anordnungsbeschlusses
(b) Eingang des Eintragungsersuchens
(c) Grundstückinbesitznahme
(3) Folgen der Zwangsverwaltung
(4) Beendigung der Zwangsverwaltung
4. Rechtsbehelfe gegen die Zwangsvollstreckung
C. Zusammenfassung und Ausblick
Abb. Abbildung
Abs. Absatz
AG Amtsgericht
Beschl. v. Beschluss vom
BSG Bundessozialgericht
Buchst. Buchstabe
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerwG Bundesverwaltungsgericht
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
Ebd. Ebenda
Ges. Gesetz
Ges. v. Gesetz vom
ff. fortfolgende
hL herrschende Lehre
hM herrschende Meinung
Hrsg. Herausgeber
i.H.v. in Höhe von
i.S.d. im Sinne des/der
i.S.v. im Sinne von
i.V.m. in Verbindung mit
LG Landgericht
Lit. Literatur
LSG Landessozialgericht
MD Medizinischer Dienst
Mio. Millionen
Nr. Nummer
OLG Oberlandesgericht
OVG Oberverwaltungsgericht
qm Quadratmeter
Rn. Randnummer
Rspr. Rechtsprechung
Rz. Randzeichen
S. Satz
sog. so genannte
st. Rspr. Ständige Rechtsprechung
u.a. unter anderem
Urt. Urteil
Urt. v. Urteil vom
VG Verwaltungsgericht
VO v. Verordnung vom
Zit. Zitiert
Frau P. H. aus Hamburg
Frau P. H. ist seit einem schweren Unfall pflegebedürftig und wird durch den von mir gegründeten und geführten ambulanten Pflegedienst in der Freien und Hansestadt Hamburg versorgt. Eine meiner Mitarbeiterinnen ist durch das zuständige Betreuungsgericht durch Anordnung nach § 1896 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch1 als Betreuerin von Frau H. bestellt worden. Sie hat seit geraumer Zeit die gesetzliche Vertretung von Frau H. übernommen. Sie ist seitdem für nahezu alle Angelegenheiten von Frau H zuständig, u.a. für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Heilbehandlung, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung vor Behörden, Einrichtungen und Gerichten, Wohnungsangelegenheiten und Postangelegenheiten. Die Betreuung gem. §§ 1896 ff. BGB ist erforderlich geworden, weil Frau H. infolge eines sehr schweren und folgenreichen Autounfalls an einer Querschnittslähmung und an irreversiblen Hirnschäden leidet. Sie ist seitdem in ihrem Alltagsleben durch den pathologischen Zustand maximal eingeschränkt. Ihr Gesundheitszustand wird sich absehbar nicht verbessern. Es steht hingegen zu befürchten, dass sich dieser weiter verschlechtert und zum Tode führen könnte.
Frau H. ist nicht in der Lage sich selbstständig in ihrer Wohnung fortzubewegen. Die zeitliche und räumliche Orientierung fällt ihr eher schwer. Eine Gesprächsführung zu komplexeren Themen und Sachverhalten ist nicht mehr möglich. Emotionsausbrüche bis hin zu Aggressionen sind keine Seltenheit, auch und gerade bei der Ausführung und im Rahmen erforderlicher pflegerischer Maßnahmen. Frau H. kann nicht mehr selbstständig ihre Körperpflege betreiben, sich ankleiden oder eigenständig Nahrung zu sich zu nehmen. Ein normales Alltagsleben mit sozialen Kontakten zu führen, ist für Frau H. allein nicht möglich.
Frau H. ist mithin in puncto Mobilität, kognitive sowie kommunikative Fähigkeiten, Selbstversorgung und Lebensunterhaltung sehr stark eingeschränkt. Sie ist daher auf vollumfängliche Hilfe angewiesen und muss 24 Stunden täglich betreut werden. Frau H. hat, wie dargestellt, schwerste Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten, die mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung einhergehen. Frau H. wurde daher folgerichtig vom durch die Pflegekasse beauftragten Medizinischen Dienst (MD) mit „Pflegegrad 5“ eingestuft.
Für die Betreuung entstehen monatlich Kosten in Höhe von rund 20.000 Euro. Davon werden derzeit Kosten in Höhe von 2.095 Euro (bis 31.12.2021 in Höhe von 1995 Euro) wegen des Pflegegrads 5 von der Pflegekasse übernommen. Die restlichen Kosten in Höhe von knapp 18.000 Euro werden indes vom zuständigen Sozialamt (Grundsicherungsamt) übernommen. Frau H. hat keine private Zusatzpflegever-sicherung abgeschlossen.
Frau H. droht indes die Insolvenz. Sie kann ihre finanziellen Verpflichtungen in absehbarer Zeit nicht mehr erfüllen. Sie ist jedoch Eigentümerin einer kleinen Immobilie in der Hansestadt Stade (Niedersachsen), die sie derzeit selbst mit ihrem Neffen bewohnt. Das Grundstück hat eine Größe von 455 Quadratmetern. Die Gesamtfläche des Hauses beträgt 121 Quadratmeter. Die Wohnfläche beträgt 81 Quadratmeter. Der nicht ausgebaute Keller hat eine Fläche von 40 Quadratmetern. Darüber hinaus gibt es auf dem Grundstück eine 21 Quadratmeter große Garage. Das Haus selbst ist zumindest renovierungsbedürftig und nur sehr spärlich ausgestattet.
Frau H. ist als Alleineigentümerin im Grundbuch aufgeführt. Frau H. hat keinen Eheoder Lebenspartner. Sie hat auch keine Kinder oder unterhaltspflichtige Verwandten. Sie hat lediglich ihren Neffe als Angehörigen, der laut Testament im Falle ihres Todes das Grundstück mit Haus erben soll. Frau H. hatte vor dem Unfall einen Verkauf des Hauses erwogen, es jedoch nicht zum Verkauf angeboten oder jemanden mit dem Verkauf beauftragt. Die Immobilie soll nun im Wege einer Immobiliarvollstreckung verwertet werden, um die entstehenden Kosten bei der Pflege zu decken.
In diesem Zusammenhang sind wir als betreuender ambulanter Pflegedienst mit der Frage konfrontiert, wie wir diese komplexe Angelegenheit bestmöglich abwickeln und die damit einhergehenden Herausforderungen bewältigen können. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob das Hausgrundstück von Frau H. überhaupt zur Deckung der Pflegekosten durch Zwangsvollstreckung verwertet werden kann und wie dies dann konkret prozessual vonstatten geht.
Diese Beantwortung dieser Fragen soll Gegenstand der nachfolgenden Arbeit sein.
Die in der oben vorgenommenen Falldarstellung aufgeworfenen Fragen gewinnen in Deutschland zunehmend an Relevanz. Dies liegt insbesondere auch daran, dass die Gesellschaft in Deutschland durch den demographischen Wandel zunehmend älter wird und dadurch auch die Pflegebedürftigkeit mit fortschreitendem Alter weiter zunimmt.
So waren Dezember 2019 waren in Deutschland 4,12 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes2. Im Dezember 2015 lag die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland noch bei 2,86 Millionen.3
Im Jahr 2019 lag die Zahl der vom ambulanten Pflege- und Betreuungsdienst betreuten Pflegebedürftigen in Deutschland bei 982.604.4 Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen in den kommenden Jahren weiter ansteigen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 - Pflegebedürftige nach § 14 Abs. 1 SGB XI in Deutschland
(eigene Darstellung; Datenquelle: Destatis, Pflegestatistik 2019)
Die starke Zunahme von 2015 bis 2019 um über 43 Prozent in nur vier Jahren ist zum Teil auch auf die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zurückzuführen.5 Denn nach dem zum 01. Januar 2017 geänderten § 14 Abs. 1 SGB XI6 sind all jene Personen pflegebedürftig, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen.7 Es muss sich nach diesem Gesetz um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können.8
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb 2. Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung 2011-2019 (eigene Darstellung; Datenquelle: Destatis, Pflegestatistik 2019)
Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, also voraussichtlich nach einer Prognose für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 SGB XI festgelegten Schwere (Pflegegrad) bestehen.9 Die Pflegequote, die den statistischen Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung angibt, stieg von 3,5 Prozent im Jahr 2015 auf 5,0 Prozent im Jahr 2019.1012345678
Im Jahr 2009 gab es in Deutschland 11.634 Pflegeheime, darunter 10.384 mit einer vollstationären Pflege. Darüber hinaus gab es 12.026 ambulante Pflegedienste. Zehn Jahre später, im Jahr 2019, wurden deutschlandweit 15.380 Pflegeheime, darunter 11.317 mit vollstationärer Pflege und 14.699 ambulante Pflegedienste erfasst.9 10 11 Damit hat sich die Anzahl der Pflegeheime in Deutschland in letzten zehn Jahren um 32 Prozent und die Anzahl der der ambulanten Pflege- und Betreuungsdienste um 22 Prozent erhöht.12
Anzahl der ambulanten Pflege- und Betreuungsdienste in DeutschlandAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten2009 2011 2013 2015 2017 2019Abb. 3 Anzahl der ambulanten Pflege- und Betreuungsdienste 2009-2019 (eigene Darstellung; Datenquelle: Destatis, Pflegestatistik 2019)Die Zahlen belegen eine Entwicklung, die ihren Ursprung vor allem im aktuellen demographischen Wandel hat. Es werden immer mehr Menschen deutlich älter als früher und in der Folge werden auch mehr Menschen pflegebedürftig.13
Demnach steigt auch die Zahl der Pflegeheime und Pflegedienste in Deutschland weiter an. Eine weitere Folge dieser Entwicklung ist, dass immer mehr Menschen auch einen gesetzlichen Betreuer für ihre Lebensführung in Anspruch nehmen.
In diesem Zusammengang bekommt erfahrungsgemäß die Frage, wie die für die Pflege entstehenden Kosten finanziert werden sollen, eine zunehmende Bedeutung, im Allgemeinen aber auch im konkreten Einzelfall. Viele Menschen machen sich Sorgen darüber, wie sie die Pflegekosten tragen sollen. Häufig werden diese Sorgen begleitet von der Frage, ob das eigene Vermögen oder das von nahen Angehörigen zur Kostendeckung herangezogen wird.
Der DAK-Pflegereport aus dem Jahr 201914 bestätigt diese Sorge zahlenmäßig: 46 Prozent der bei einer im Auftrag der DAK durchgeführten Allensbach-Umfrage befragten Bürgerinnen und Bürger „machen sich Sorgen“, dass sie im Pflegefall nicht ausreichend finanziell abgesichert sind. 78 Prozent befürchten, dass trotz der gesetzlichen Pflegeversicherung im Pflegefall ein erheblicher Eigenanteil von ihnen aufgewendet werden muss und sie dadurch sämtliche Ersparnisse verlieren.
Der durchschnittliche Eigenanteil lag im ersten Quartal des Jahrs 2019 bei 662 Euro pro Monat, also rund 8.000 Euro jährlich. Nach Modellrechnungen könnte sich bis 2045 der Eigenanteil auf rund 1.900 Euro verdreifachen.15
Ob das Einkommen bzw. das Vermögen des hilfesuchenden Pflegebedürftigen oder seiner Angehörigen zur Deckung der entstehenden Pflegekosten eingesetzt bzw. verwertet werden muss ist insofern eine Fragestellung, die in der Betreuung immer wieder zu Tage tritt. Dabei gibt es immer häufiger auch Fallkonstellationen, in denen die Verwertung durch Zwangsvollstreckung von Hausgrundstücken im Raum steht.
Ziel dieser Arbeit ist zunächst die Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wie der Einsatz bzw. die Verwertung privaten Einkommens oder Vermögens im Allgemeinen und in Bezug auf den konkret vorliegenden Fall zur Finanzierung von Pflegekosten möglich ist.
Dem vorgelagert soll erörtert und herausgearbeitet werden, wie sich die Pflegekosten in Deutschland zusammensetzen und welche Lastenverteilung es bei der Bewältigung der steigenden Kosten gibt.
Einleitend wurde bereits die steigende Relevanz des Themas anhand der weiterhin steigenden Zahlen an pflegebedürftigen Menschen in Deutschland dargelegt.
Weiterhin soll in der Arbeit der Frage nachgegangen werden, welche Möglichkeiten der Zwangsvollstreckung es gibt, insbesondere im Zusammenhang mit der Vollstreckung von unbeweglichem Vermögen, also Immobilien. Dahingehend sollen auch Optionen zur Abwehr der Zwangsvollstreckung dargestellt werden.
Danach sollen die Ergebnisse und zusammengefasst werden. Ziel ist darüber hinaus auch, einen Ausblick über die weitere Entwicklung zu geben.
Zur Bearbeitung des Themas soll zunächst die Entwicklung des Pflegebedürftigkeit in Deutschland anhand diverserer Statistiken analysiert und bewertet werden.
Zur Frage der Finanzierung von Pflegekosten werden vorrangig die einschlägigen Rechtsquellen, aber auch die diesbezügliche Rechtsprechung, Praxis und Literatur herangezogen und bearbeitet. Zur Klärung von Rechtbegriffen und zur vertieften Auseinandersetzung mit Rechtsvorschriften sollen diverse rechtswissenschaftliche Kommentierungen genutzt werden.
Eine gezielte Einbeziehung von Stellungnahmen und Berichten des Bundestages, des Bundesgesundheitsministieriums, von diversen Pflege- und Sozialverbänden sowie von Kranken- und Pflegekassen soll das Gesamtbild dieser Arbeit komplettieren.
Anschließend an die bereits erfolgte Einführung mit der konkreten Erläuterung der sich mir eröffnenden Fallkonstellation in meinem Pflegedienst und der Darstellung der zunehmenden Relevanz des Themas in unserer Gesellschaft soll sich der Hauptteil der Arbeit zum einen mit der Frage der Einkommens- und Vermögensverwertung zur Pflegekostendeckung im allgemeinen und im konkreten Fall auseinandersetzen. Zum anderen soll das Thema der Zwangsvollstreckung in Deutschland allgemein abgehandelt und dann konkret auf dem vorliegenden Fall Anwendung finden.
Bei der Erörterung der Möglichkeiten zur Deckung der Pflegekosten durch die Verwertung bzw. den Einsatz des Einkommens oder des Vermögens soll zunächst dargestellt werden, wie sich die Kosten für die Pflege zusammensetzen, welche Beträge die Pflegeversicherung trägt und wie sich darüber hinaus die Situation mit zu leistenden dem Eigenanteil darstellt. Dabei soll insbesondere das System der „Pflegegrade“ kurz erläutert werden und welche Leistungsansprüche sich darauf ergeben.
Sodann folgt die Darstellung der Möglichkeiten der Einkommensverwertung zur Deckung von Pflegekosten. Darauf aufbauend wird die Möglichkeit der Verwertung von Vermögen zur Pflegekostendeckung ausführlich herausgearbeitet, da diese Frage hinsichtlich des Hausgrundstücks von Frau H. besonders relevant ist. Dabei soll unter anderem dargelegt werden, was unter einzusetzendem verwertbarem Vermögen i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB XII zu verstehen ist. Es folgt eine Definition der rechtlichen, tatsächlichen und zeitlichen Verwertbarkeit.
Anschließend wird herausgearbeitet, welches Vermögen nach § 90 Abs. 2 SGB XII von der Verwertung ausgeschlossen ist. Darunter fällt neben einigen anderen enumerativ aufgeführten Tatbeständen auch der geschützte Grundbesitz, also das Haus oder die Eigentumswohnung. Hier liegt der Schwerpunkt in diesem Themenkomplex, da dieser Ausschlusstatbestand für den oben dargestellten Fall relevant.
Es soll untersucht werden, ob und inwieweit das Hausgrundstück im allgemein als verwertbarer Vermögensgegenstand angesehen werden kann, daran anknüpfend soll dann erörtert werden, unter welchen Voraussetzungen konkret das Haus als Vermögen vor der Verwertung geschützt ist.
Dabei wird insbesondere die Frage der Angemessenheit behandelt: Wie groß dürfen Grundstück, Haus oder Eigentumswohnung sein? Welche Rolle nehmen bei der Beurteilung Wohnflächengröße, Bewohnerzahl, Wohnbedarf, Zuschnitt und Ausstattung ein? Ist die Verwertung zumutbar oder liegt ein Härtefall nach § 90 Abs. 3 SGB XII vor? Abschließend werden die Rechtsfolgen dargestellt.
Es soll dann ins Recht der Zwangsvollstreckung in Deutschland eingeführt werden. Dabei wird sich auf die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen, hier Pflegekosten, konzentriert.
Es soll dann ein Überblick über die verschiedenen Arten der Zwangsvollstreckung erarbeitet werden, konkret die Zwangsvollstreckung in beweglichen Sachen, in Forderungen und in das unbewegliche Vermögen. Der Schwerpunkt wird hier auf die Vollstreckung in Grundstücke gerichtet.
In diesem Zusammenhang sollen die drei Arten der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen dargestellt werden: die Zwangshypothek, die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung. Es soll dann auf die einzelnen Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung eingegangen werden.
Danach erfolgt eine Zusammenfassung der Arbeit. Abschließend soll ein Ausblick zum Thema erfolgen.
Mit der steigenden Zahl an pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt auch das Interesse an der Frage, wie die anfallenden Kosten für die Pflege finanziert werden sollen. Das Pflegeversicherungssystem in Deutschland ist zwar im Vergleich zu anderen Ländern ein vorbildliches, jedoch kann es nicht in jedem Fall die Pflegeversicherung nicht in allen Fällen die entstehenden Pflegekosten abdecken. Daher ist es möglich, dass zur Deckung der Pflegekosten auch Einkommen und Vermögen des hilfesuchenden Pflegebedürftigen eingesetzt werden müssen. Dies soll im Folgenden genauer erläutert und erörtert werden.
Die Kosten werden teilweise durch die gesetzlichen Pflegeleistungen und sehr häufig ergänzend durch eigene Zahlungen der Pflegedürftigen und/oder ihrer Angehörigen finanziert.16 Die Verpflichtung zur Aufwendung eines Eigenanteils fußt auf dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der Subsidiarität, dem sogenannten Prinzip des „Nachrangs der Sozialhilfe“.17 Sozialhilfe ist subsidiär, weil sie das „letzte Netz sozioökonomischer Sicherung darstellt“.18
Nach der Leitsatznorm § 2 SGB XII Abs. 113 14 15 16 17 18 19 20 21 erhält keine Sozialhilfe, „wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.“20
Die im Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI)21 geregelte Pflegeversicherung wurde durch das Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG)22 vom 26.06.1995 zum 1. Januar 1995 als eigenständiger Zweig im Sozialversicherungssystem in Deutschland eingeführt.23 Sie sichert das Risiko ab, pflegebedürftig zu werden und gewährleistet zugleich die Grundversorgung.24
Im Dezember 2019 nahmen rund 4,1 Mio. Menschen als nach dem SGB XI „Pflegebedürftige“ in Deutschland Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch.25 80 Prozent davon erhielten Leistungen in ambulanter Form (3,3 Mio. Pflegebedürftige) und 20 Prozent wurden in Pflegeheimen vollstationär betreut (820.000 Pflegebedürftige).26
Die Pflegeversicherung ist zwar eine im Grundsatz alle Bürger erfassende „Volksversicherung“27, jedoch keine „Vollversicherung“, weshalb Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen einen Teil der im Pflegefall anfallenden Kosten selbst in Form von Eigenleistungen tragen müssen.28
75% der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland befürchten, dass die gesetzliche Pflegeversicherung im Pflegefall unzureichend ist.29 Dennoch gab es im Jahr 2018 nur 2,74 Mio. abgeschlossene Pflegezusatzversicherungen in Deutschland.30 Dabei sind häufig die zu leistenden Eigenanteile deutlich höher als erwartet.
Die Kosten für die ambulante Pflege richten sich grundsätzlich nach zwei Faktoren: Dem Leistungskatalog des jeweiligen Bundeslandes und den Vergütungssätzen, die für die Leistungen durch die Pflegekasse bestimmt werden.
Die Leistungsansprüche des Pflegebedürftigen in Form von Zuschüssen richten sich nach der Pflegebedürftigkeit.31 Art und Schwere der jeweiligen Beeinträchtigungen22 23 24 25 26 27 unabhängig davon, ob diese körperlich, geistig oder psychisch bedingt sind, werden durch fünf mögliche Pflegegrade festgelegt.28 29
„Zur Einschätzung der Pflegebedürftigkeit und Einstufung in einen Pflegegrad kommt ein Begutachtungsinstrument zum Einsatz, das von der individuellen Pflegesituation ausgeht. Es orientiert sich an Fragen wie: Was kann der oder die Pflegebedürftige im Alltag allein leisten? Welche Fähigkeiten sind noch vorhanden? Wie selbstständig ist der oder die Erkrankte? Wobei benötigt er oder sie Hilfe?“30
Die Pflegegrade werden gem. § 15 Abs. 1 S. 2 SGB XI anhand eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt. Dieses ist gem. § 15 Abs. 2 S. 1 in sechs Module gegliedert:
Modul 1: Mobilität
Modul 2 und 3: kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Modul: 4: Selbstversorgung
Modul 5: Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
Modul 6: die Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Die Module werden dabei gem. § 15 Abs. 2 S. 8 SGB XI unterschiedlich gewichtet. Das gewichtigste Modul ist dabei das Modul 4, das den Grad der Selbstversorgung des Pflegebedürftigen erfasst, mit 40 Prozent. Das am wenigstens gewichtige ist das Modul 1, das die Mobilität beurteilt mit 10 Prozent.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbb. 4 Prozentuale Gewichtung der Module bei der Einstufung nach Pflegegraden (eigene Darstellung)
Es gibt insgesamt fünf Pflegegrade nach § 15 SGB XI, die - je nach Pflegegrad - unterschiedliche Leistungsansprüche für den Pflegebedürftigen gegenüber der Pflegekasse begründen. Zuvor - bis 1. Januar 2017 - wurde der Bezug von Pflegeleistungen für pflegebedürftige Personen durch drei sog. „Pflegestufen“ geregelt, die insbesondere den Zeitaufwand für die tägliche Pflege in drei verschiedene Stufen eingeordnet haben. Die Selbständigkeit des Hilfsbedürftigen ist dadurch stärker in den Fokus gerückt worden.
aa) Leistungsanspruch nach Pflegegrad
Bei der Einstufung von „Pflegegrad 1“ hat der Pflegebedürftige grundsätzlich keinen Leistungsanspruch, da er weitgehend eigenständig das alltägliche Leben organisieren kann. Anspruch auf monatliche Pflegeleistungen haben Pflegebedürftige erst ab dem „Pflegegrad 2“. Mit steigendem Pflegegrad steigt auch die Summe der Leistungen. Die monatlichen Beträge für die Pflegesachleistungen wurden zum Beginn dieses Jahres am 1. Januar 2022 durch das neue Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG)34 um fünf Prozent erhöht35:
Pflegegrad 1 = monatlich 0 Euro (vorher 0 Euro)
Pflegegrad 2 = monatlich 724 Euro (vorher 689 Euro)
Pflegegrad 3 = monatlich 1.362 Euro (vorher 1.289 Euro)
Pflegegrad 4 = monatlich 1.693 Euro (vorher 1.612 Euro)
Pflegegrad 5 = monatlich 2.095 Euro (vorher 1.995 Euro)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 5 Die fünf Pflegegrade und ihre Eigenschaften(eigene Darstellung; Datenquelle: Destatis, Pflegestatistik 2019)
bb) Monatliche Durchschnittskosten nach Pflegegrad
Bei der häuslichen Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst sind die durchschnitt-lichen monatlichen Kosten je nach Pflegegrad36 wie folgt:
Pflegegrad 1 = monatlich 300 Euro
Pflegegrad 2 = monatlich 900 Euro
Pflegegrad 3 = monatlich 2400 Euro
Pflegegrad 4 = monatlich 3500 Euro
Pflegegrad 5 = monatlich 4100 Euro
Bei den Durchschnittswerden übersteigen die tatsächlich anfallenden Kosten für die ambulante Pflege den gesetzlich garantierten Schutz. Dabei gibt jedoch im Verhältnis unterschiedliche Belastungen durch die Höhe des Eigenanteils: Bei Pflegegrad 1 liegt der Eigenanteil bei 58% der Gesamtkosten (125 Euro aus Entlastungsbetrag). Bei Pflegegrad 2 liegt der Anteil bei 23%. Bei den Pflegegraden 3, 4 und 5 liegt die Höhe des Eigenteils jeweils bei der Hälfte der Gesamtkosten.37
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 6: Eigenanteil und Gesetzlicher Schutz bei der häusliche Pflege bei ambulanten Pflegediensten - (eigene Darstellung; Datenquelle: MV: Was kostet Pflege?, 2021)
[...]
1 Im Folgenden als BGB bezeichnet.
2 Im Folgenden als SGB XI bezeichnet.
3Destatis: Pflegestatistik 2019, Berlin 2020.
4 Destatis: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Stand 28.06.2021, online abrufbar unter: https://bit.ly/3JSvDqB (zuletzt am 10.01.2021).
5 Destatis: Pflegestatistik 2017, Stand: 18.12.2018, online abrufbar unter: https://bit.ly/3FcChEj (zuletzt abrufen am 15.12.2021).
6 BGBl I S. 2424 - Zweites Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz) vom 21.12.2015.
7 Meßling, in: Schlegel/Voelzke, SGB XI, § 14 Rn. 56f.
8 Heitmann/Plantholz, in: Krahmer/Plantholz (Hrsg.): LPK SGB XI, § 14 Rn. 29ff; siehe auch: AOK: Pflegebedürftigkeit, Stand 2021, online unter: https://bit.ly/3ndUI5n (zuletzt: 27.11.2021)
9 Udsching, in: Udsching/Schütze: SGB XI Kommentar, § 14 Rn. 6; BMG: Glossar „Pflegebedürfitgkeit“, Stand: 06.10.2021, online unter: https://bit.ly/3Khw51I (zuletzt07.11.21).
10 BMG: Siebter Pflegebericht, 2021, S. 15f.
11 Destatis, Anzahl von Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2019, online unter: https://bit.ly/3FFvTFU (zuletzt 04.11.2021).
12 Ebd., siehe auch BMWi: Pflegewirtschaft – Pflege ist ein Wirtschaftsfaktor, online abrufbar unter: https://bit.ly/3FB069b (zuletzt 06.11.2021).
13 Destatis: Mehr Pflegebedürftige – Risiko steigt mit dem Alter, online abrufbar unter: https://bit.ly/3GQfcJt (zuletzt am 20.01.2022).
14 DAK-Gesundheit: Pflegereport 2019, S.7.
15 Rothgang/Kalwitzki/Domhoff: Modellrechnungen Finanzreform der Pflegeversicherung, S.27f.
16 BIVA-Pflegeschutzbund e.V.: Reform der Pflegeversicherung 2021 – Fakten und Kritik, online unter: https://bit.ly/3rIYS6K (zuletzt 22.01.2022).
17 So bereits BVerwG, Urt. v. 30.05.1990 – AZ: 9B 223/89; Schulte, NJW 1989, 1241; Rothkegel in: Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil 2 Kap. III Rn. 86.
18 Decker, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII Kommentar, § 2 Rn. 2.
19 Sozialgesetzbuch XII, Sozialhilfe - G. v. 27.12.2003, BGBl. I S. 3022.
20 Hohm, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, § 2 Rn. 1.
21 Sozialgesetzbuch XI, Soziale Pflegeversicherung, G. v. 26.05.1994, BGBl. I S. 1014.
22 BGBl. I, S. 1014; siehe auch Kaminski, WzS 2015, 235, 307.
23 Schwedler, in: Hauck/Wilde, SGB XI, K § 1, Rn. 1f.; s.a. BMG: Die Pflegeversicherung, Stand: 06.10.2021, online unter: https://bit.ly/33Hob0S (zuletzt 13.12.2021).
24 BMG: Die Leistungen der Pflegeversicherung im Überblick, Stand: 06.10.2021, online unter: https://bit.ly/3Ib49ul (zuletzt 4.12.2021).
25 Destatis: Pflegestatistik 2019, S. 9.
26 Destatis: Pflegestatistik 2019, S. 10.
27 Hauck, in: Schlegel Voelzke, SGB XI, § 1 Rn. 10.
28 BT-Drs. 12/5262; siehe auch; Kochskämper: IW-Report 41/19, Pflegeheimkosten und Eigenanteile – Wird Pflegen immer teurer?, Köln 25.11.2019
29 MV: Ratgeber Pflege – Was kostet Pflege?, VÖ am 10.02.2021, online unter: https://bit.ly/3tcacL2 (zuletzt 22.10.2021).
30 BMG: Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung, online unter: https://bit.ly/3tJPaDU (zuletzt 04.01.2022); Statista, Anzahl privater Pflegezusatzversicherungen in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2018, online abrufbar: https://bit.ly/33FjULC (zuletzt 13.11.2021).