Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Bachelorarbeit, 2022
46 Seiten, Note: 2,7
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Aktualitätsbezug der Bachelorthesis
1.2 Relevanzbegründung der Bachelorthesis
1.3 Fragestellung der Bachelorthesis
1.4 Aufbau der Bachelorthesis
2. Die „Reichsbürgerbewegung“ in der Bundesrepublik Deutschland
2.1 Entstehungsgeschichte
2.2 Demographische Merkmale der Anhängerschaft
2.3 Öffentlich wirksame Vertreter der Bewegung
2.3.1 Der Fall „Manfred Roeder“
2.3.2 „König von Deutschland“ - Peter Fitzek
2.3.3 „Deutsche Polizei Hilfswerk“ - Volker Schöne
2.4 Bezug zum (Rechts-)Extremismus
3. Grundpfeiler der Bewegung
3.1 „Die BRD als Gesellschaft mit beschränkter Haftung“
3.2 „Die Abhängigkeit von den Alliierten“
3.3 Leugnung der deutschen Verfassung
4. Umgang der „Reichsbürger“ mit der öffentlichen Verwaltung
4.1 Öffentliche Verwaltung
4.1.1 Organe und Institutionen
4.1.2 Leistungen
4.2 Widerstand gegen hoheitliche Maßnahmen
4.3 Beziehung zu Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung
5. Durchsetzung eigener Ziele der „Reichsbürgerbewegung“
5.1 Rekrutierung und Gewinnung neuer Anhänger
5.2 Radikalisierungswandel
5.3 Eine Gefahr für die öffentliche Verwaltung?
6. Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung gegen das Aufkommen und Erstarken der „Reichsbürgerbewegung“ in der BRD
6.1 Handlungsoptionen
6.1.1 Präventive Maßnahmen
6.1.2 Gesetzliche Maßnahmen/Sanktionierungen
6.1.3 Sonstige Maßnahmen
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbeziehungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
„Reichsbürger wurzeln vom Denken her im Rechtsradikalismus“ und „ihre Ideologien sind die Domänen der Rechten.“ So wird Michael Hüllen, zuständig beim Verfassungsschutz Brandenburg für Rechte und Reichsbürger, zitiert. Susanne Kschenka, Mediatorin und Beraterin beim Mobilen Beratungsteam des Vereins Demos in Cottbus, erzählt, dass viele Verwaltungen damit sehr zu kämpfen hätten und das Auftreten ebendieser, in einem kleinen Büro durchaus Angst verbreiten könne. Nun kommt der Gedanke auf, wie gefährlich die Reichsbürgerbewegung mit all ihren verschiedenen Ausprägungen und Strömungen wirklich ist und welche Herausforderungen sich dabei für die öffentliche Verwaltung möglicherweise ergeben. Diese Thesis soll einen historischen Einblick in die Geschichte und Entwicklung der Reichsbürgerbewegung geben. Außerdem werden unterschiedliche Maßnahmen für die öffentliche Verwaltung zur Erkennung, Abwehr und zur Eindämmung bzw. Prävention der Aktivitäten der Reichsbürgerbewegung aufgezeigt.1
Mit Beginn der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass bei den aufkommenden Protestbewegungen im August 2020 unter anderem die Reichsbürgerbewegung und andere deutsche Alternativbewegungen einen enormen Aufschwung erlebt haben. Vor allem das „Generalmisstrauen in die demokratischen Institutionen, die Offenheit für
Verschwörungstheorien und das antimoderne Ressentiment“ machen die Corona- Protestbewegung und somit auch Anhänger der Reichsbürgerbewegung anfällig für politische Radikalisierung2. Außerdem stellen Reichsbürger und Selbstverwalter sowohl für Sicherheitsbehörden als auch für Zivilgesellschaften eine große Herausforderung dar. Wenn es diesen Milieus gelingt, die „Aktivisten tief in diese parallele, von anderen nicht nachzuvollziehende Deutungswelt einzubinden, dann besteht die Gefahr, dass sich dieses Lager weiter festigt und verschließt.“3
Aus diesen Erkenntnissen resultierend, gilt es, die deutsche Bevölkerung für rassistische und nationalsozialistische Inhalte zu sensibilisieren, um so einem erneuten Aufkommen und Erstarken (rechts-)extremistischer und potentiell gewaltbereiter Bewegungen vorzubeugen.
In der Politik, der Literatur und den Medien ist die Reichsbürgerbewegung von aktueller Natur. Vor allem die öffentliche Verwaltung wird in dem Zusammengang immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt. Durch das strikte Ablehnen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Rechtsordnung seitens der Bewegung, besteht nicht nur eine Gefahr für die öffentliche Verwaltung als Solche, sondern auch für alle Mitarbeiter sowie Beschäftigten dieser Institution. Besonders vor dem politischen und staatsrechtlichen Hintergrund scheint eine Thematisierung als angemessen und notwendig, um bestehende Handlungsoptionen optimal nutzen und Neue bestmöglich erschließen zu können. Dazu scheint es unumgänglich zu sein, auf zurückliegende Ereignisse zu blicken und aktuelle Trends zu beobachten, um so mögliche Handlungsoptionen identifizieren und optimieren zu können.
Setzt man sich nun intensiver mit der Thematik der Reichsbürgerbewegung auseinander, drängt sich der Gedanke auf, wie die öffentliche Verwaltung in Deutschland mit den Herausforderungen, die durch diese Bewegung entstehen, umgeht. Folglich wird sich die Bachelorthesis mit dem folgenden Thema auseinandersetzen:
„Reichsbürger in der Bundesrepublik Deutschland - Schnittstellen und Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung.“
Bei der Arbeit erscheint es zunächst sinnvoll, auf bereits vorhandene Literatur und Studien zurückzugreifen, da eine Durchführung eigener empirischer Methoden aus formalen Gründen keine repräsentativen Ergebnisse liefern würde.
Im Rahmen der Bachelorarbeit soll darauf eingegangen werden, woher die Reichsbürgerbewegung kommt, wer die Reichsbürger überhaupt sind und ob diese eine potenzielle Gefahr für die Demokratie und damit verbunden für die Organe und Institutionen der öffentlichen Verwaltung darstellen. Es werden verschiedene öffentlich wirksame Vertreter der Reichsbürgerbewegung vorgestellt und ein Bezug zum (Rechts-)Extremismus hergestellt. Im Nachfolgenden wird sich mit den Grundpfeilern der Reichsbürgerbewegung und den damit verbunden Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung beschäftigt. Dafür wird zunächst der Umgang der Reichsbürger mit der öffentlichen Verwaltung thematisiert, wie eine Durchsetzung der eigenen Ziele gelingen soll und anschließend herausgestellt, welche Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung zur Verfügung stehen und welche Handlungsoptionen die öffentliche Verwaltung hat. Abschließend werden zentrale Erkenntnisse präsentiert und vor dem Hintergrund zukünftiger erwarteter Entwicklungen diskutiert.
In diesem Kapitel wird auf die Entstehungsgeschichte der Reichsbürgerbewegung eingegangen und die demographischen Merkmale der Anhängerschaft skizziert. Das Kapitel wird mit der Vorstellung öffentlich wirksamer Vertreter der Reichsbürgerbewegung abgeschlossen und nimmt abschließend einen möglichen Bezug zum (Rechts-)Extremismus.
Den ersten öffentlich wirksamen Auftritt hat die Reichsbürgerbewegung ab Mitte der 1980er Jahre in der sog. „Kommissarischen Reichsregierung Ebel“.4 Dabei handelt es sich um eine „Bewegung“, die von dem Westberliner Wolfgang Gerhard Günter Ebel begründet wurde. Er fühlte sich zum Reichskanzler des Deutschen Reiches berufen und empfand sich von den West-Alliierten verpflichtet „den Aufbau der Vereinigten Staaten von Europa vom Atlantik, einschließlich des Mittelmeerraumes, bis zum Ural voranzutreiben.“ Sie galt als Vorläufer für viele später entstandenen Gruppen aus „Selbstverwaltern“, Verschwörungstheoretikern und Stammtischen mit staatskritischen Ansichten.5 Weitere offenkundliche Reichsbürger aus den Anfängen in den 1980-Jahren sind der Neonationalsozialist Thomas Brehl und der Aktivist Michael Kühnen. Aber auch andere Funktionäre und Vorsitzende aus verschiedenen „NPD-Lagern“ haben bekanntlich Kontakte in die Reichsbürgerszene gehabt. Andere erwähnenswerte Gruppierungen der 1990er-Jahre sind das Deutsche Kolleg (DK) und die Völkische Reichsbewegung (VRB), welche ebenfalls das Ziel hatten, die Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches wiederherzustellen, allerdings nachweislich seit 2004 als inaktiv gelten.6
Reichsbürger sind, laut Vollmer, „Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, u.a. mit Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen.“ Wie die Bezeichnung der Bewegung es schon erahnen lässt, beziehen sich die Reichsbürger auf den letzten deutschen Nationalstaat, das „Deutsche Reich von 1871 bis 1945.“7
Laut des Verfassungsschutzberichtes von 2020 sind circa 20.000 Personen der Reichsbürger-Szene zuzuordnen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg von 1.000 Personen, was durchaus auf die Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Die Reichsbürgerbewegungen empfinden jegliche staatliche Maßnahmen als unverhältnismäßig und als Eingriff in ihre Rechte. Dazu zählen somit auch die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Corona-Pandemie getroffen wurden. Rund 2.000 Personen davon gehören zum gewaltorientierten Personenpotenzial und circa 1.000 Personen fallen zeitgleich auch in den Personenkreis der Rechtsextremisten. Der Anteil der männlichen Reichsbürger liegt bei circa 75 % (15.000 Personen). Damit ist der weibliche Anteil mit 25 % (5.000 Personen) im Vergleich zum Anteil der Frauen in der rechtsextremistischen Szene (ca. 20 %) vergleichbar hoch. Der Großteil der Anhänger ist zwischen 40 und 60 Jahre alt.8
Daraus resultierend ist der „durchschnittliche Reichsbürger“ männlichen Geschlechts, zwischen 40 und 60 Jahre alt, alleinstehend, hat einen Hang zur narzisstischen Persönlichkeit, pedantisch, neurotisch gestört, hat ein schwaches Ich, eine traditionellantimodernistische Wertehaltung und ist verbal aggressiv. Natürlich lassen sich diese Merkmale nicht auf jeden männlichen Reichsbürger zwischen 40 und 60 Jahre übertragen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Merkmale erfüllt werden, ist relativ hoch. Für den Umgang mit den Reichsbürgern ist es aber durchaus sinnvoll und relevant zu verstehen, dass man die Reichsbürger nicht einfach als „verrückt“ oder „krank“ abstempeln darf. Zu wissen, dass hinter dem Verhalten möglicherweise eine neurotische Störung oder ein narzisstisches Persönlichkeitsproblem steckt, erleichtert und sensibilisiert das Gegenüber für den persönlichen Umgang. Somit lässt sich das Verhalten des Reichsbürgers der öffentlichen Verwaltung gegenüber oftmals nur subjektiv aus der „inneren Logik“ des Reichsbürgers verstehen und nicht objektiv aus Sichtweise des Verwaltungsmitarbeiters.9
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es für den Umgang mit Reichsbürgern wichtig ist, zu verstehen, welche „Probleme“ der Mensch möglicherweise mit sich bringt, um darauf sensibel reagieren zu können.
Sicherlich auch etwas durch die „Kommissarische Reichsregierung“ (KRR) von „Reichskanzler“ Wolfgang Gerhard Günter Ebel geprägt, treten im Laufe der Jahre einzelne unterschiedliche Akteure und verschiedene Reichsbürgerbewegungen mit teilweise heterogenen Ansichten, aber teilweise auch mit gleichen Ideologien und Argumentationen in Erscheinung. Im Verfassungsschutzbericht von 2020 ist mittlerweile von rund 28 länderübergreifenden aktiven Gruppierungen zu lesen. Zumal gibt es aber noch weitere „unorganisierte Gruppierungen“ mit Reichsbürger-Ideologien gibt.10 Im Folgenden sollen nun einzelne Akteure bzw. Reichsbürgerbewegungen vorgestellt werden. Der erste Vertreter, der vorgestellt werden soll, ist, der Fall des „Manfred Roeder“, welcher wegweisend für die Argumentationsweise der Reichsbürger ist. Anschließend wird der selbsternannte „König von Deutschland“, Peter Fitzek vorgestellt, welcher selbst bestreitet, ein Teil einer Reichsbürgerbewegung zu sein. Letztlich wird das „Deutsche Polizei Hilfswerk“ rund um Volker Schöne vorgestellt, welches als Bürgerwehr gilt und medial durch die Gewaltbereitschaft aufgefallen ist.
Manfred Roeder war ein sich öffentlich bekennender Rechtsextremist, Rechtsanwalt von „Nazigröße“ Rudolf Heß und Funktionär der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Medial wirksam ist der Briefwechsel zwischen Roeder und dem engen Vertrauten Adolf Hitlers, Karl Dönitz. Letzterer wurde nach dem Suizid von Adolf Hitler und Josef Goebbels zum Reichspräsidenten des Deutschen Reiches ernannt. Dieses Amt führte er bis zu seiner Verhaftung im Mai 1945 auch aus. In seinem Brief schrieb Roeder an Dönitz, dass Dönitz immer noch der rechtmäßige Reichspräsident des Deutschen Reiches sei. Als Dönitz dies gegenüber Roeder verneinte, beschloss Roeder, sich im Mai 1975, durch den „Reichstag zu Flensburg“ zum „Sprecher der Reichsvertretung“ wählen zu lassen.11
Da Roeder der Ansicht war, dass das „Deutsche Reich“ ohne Reichskanzler bzw. Reichspräsident nicht handlungsfähig sei, stellte er sich im Mai 1978 zum „Reichsverwesers“ auf, also zum Vertreter des Reichskanzlers bzw. Reichspräsidenten für die Zeit seiner Abwesenheit. Nach der Übernahme der Vertretung des Deutschen Reiches zog es Roeder in den terroristischen Untergrund, da dieser das Fortbestehen eines vom Nationalsozialismus gefärbten und nach dem Vorbild des Hilterdeutschland aufgebauten, Deutschen Reiches wünschte.12
Nach Ansicht Roeders bestehe das Deutsche Reich in seinen Grenzen fort und es wurde an Stelle des Friedensvertrages nur ein Waffenstillstand geschlossen. Demnach ist die Reichsregierung nicht zurückgetreten ist und es gab nur eine Kapitulation der Wehrmacht. Diese Äußerung war für spätere Reichsbürger eine, welche gerne in das eigene Programm aufgenommen wurde.13
Nach mehreren Verurteilungen, u.a. wegen Volksverhetzung und Rädelsführerschaft einer terroristischen Vereinigung und langen Haftstrafen, zog sich Roeder immer mehr zurück und engagierte sich nur noch in der NPD oder anderen ähnlichen Vereinigungen. Somit lässt sich festhalten, dass Manfred Roeder ein Beispiel für den „rechtsextremen Reichsbürger“ ist, welcher davon überzeugt ist, dass das Deutsche Reich erst gar nicht untergegangen ist.14
Das „Königreich Deutschland“ oder „NeuDeutschland“ von Peter Fitzek ist ein klassisches Beispiel für eine identitäre Gesellschaftskonzeption. Dabei überhöht die „Bedeutung der Gruppe, des Kollektivs oder des Staates gegenüber dem Stellenwert des einzelnen Menschen und fordert dessen konformistische Unterordnung.“ Bedeutet, dass der einzelne Mensch nicht als „eigenständiges und souveränes Individuum“ angesehen wird, sondern vielmehr der Wert und die Würde des Einzelnen nur durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe bestimmt wird. Solche Formen unterdrücken den „Pluralismus als Bestandteil einer offenen Gesellschaft“ und sind offen für die politische Einheit von Regierenden und Regierten.15
Zur Person Peter Fitzek lässt sich sagen, dass er mit Sicherheit einer der bekanntesten Personen aus dem Milieu der Reichsbürgerbewegung ist. Er arbeitete als Koch, Karatelehrer und führte zwei Esoterikbetriebe in Wittenberg und Halle. Im Jahr 2009 begann er dann mit Ausruf des „NeuDeutschlands“ in Wittenberg mit dem Aufbau seinen kleines „Imperiums“. Er erwarb Immobilien, u.a. ein altes Klinikgelände, und schuf so die Möglichkeit, für seine Anhänger ein sektenähnliches Leben gemeinsam führen zu können. Fitzek, der die Bundesrepublik Deutschland von Grund auf ablehnte, bot, seiner eigenen Auffassung nach, mit dem „Königsreich Deutschland“ eine valide Alternative, die auf der eigenen Internetseite mit Aussagen wie, „Wiederherstellung echter Staatlichkeit in einer freiheitlichen Ordnung“ oder „Gewartet wird auf das Deutsche Volk, welches den Auftrag hat, die eigene Gesellschaft umfassend zu reformieren“, beschrieben wird. Er selbst nimmt die Rolle als selbstgekrönter König ein, so gut, dass er Geschick darin zeigt, die Anhänger von seinen Ideen zu überzeugen. Er verkaufte eigene Pässe, Kfz.-Kennzeichen und gab gegen eine Teilnahmegebühr Seminare in seinem „Lichtzentrum“. Auch eine „Aufnahmegebühr“ in Form von Einbürgerungsdokumenten ließ sich Fitzek gut bezahlen. Pro Aufnahme verlangte er eine Gebühr in Höhe von 400 Euro. Er etablierte eine eigene Währung, gründete ohne entsprechende Genehmigungen die eigene „königliche Reichsbank“ und die „neudeutsche Gesundheitskasse“. Er verkaufte seiner Anhängerschaft unrechtmäßige Versicherungen und „überzeugte“ die Anhängerschaft, ihr Vermögen ihm zu überschreiben. Das hielt viele Leute aber nicht davon ab, der Ideologien Fitzeks zu folgen. Der größere Kreis umfasst mehrere hunderte Personen. Fitzeks Ideologie war das neue Deutschland in den Grenzen von 1937 wiederherzustellen. Ein solches Vorhaben würde den „Zwei-plus-vier-Vertrag“ verletzten und somit zu Gebietsrevisionismus führen. Im November 2014 stand Fitzek dann wegen der angesprochenen Verstöße gegen das Versicherungsaufsichtsgesetz vor Gericht. Er war ohnehin schon mehrfach vorbestraft, u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung. Eineinhalb Jahre später wurde ihm erneut der Prozess gemacht, diesmal ging es um die Geschäfte mit seiner „königlichen Reichsbank“. Ein paar Monate später wurde er dann zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt.16
Dieses Beispiel zeigt, dass es Fitzek in erster Linie nur darum geht, seiner Anhängerschaft finanziell zu schaden und sich daran zu bereichern. Dabei war es nicht von großer Bedeutung, dass er gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen hat und den Bruch mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung eingegangen ist.
Die letzte Bewegung, die vorgestellt werden soll, ist die des „Deutschen Polizei Hilfswerks“ (DPHW) um Volker Schöne. Das Hilfswerk wurde im Jahr 2012 in Sachsen geründet und stellt eine Art „Bürgerwehr“ für alle Reichsbürger dar. Mitglieder dieser „Bürgerwehr“ besitzen eigene Uniformen und eigene Ausweise und dessen größter Wunsch ist es, auch exekutiv, also Gewalt ausübend, zu handeln. Diesem Wunsch kommen vereinzelt Mitglieder des „Deutschen Polizei Hilfswerks“ auch nach und werden beispielsweise Gerichtsvollziehern gegenüber übergriffig, da sie der Meinung sind, dass der Gerichtsvollzieher eine Vollstreckung nicht rechtmäßig ausführe und dies somit zu einer „Plünderei“ führe. Der eigenen Auffassung nach wehrt das DPHW die staatlichen Maßnahmen nach eigener Rechtsauffassung legitimiert ab.17
Gegründet hat das DPHW der „Nicht-Polizist“ Volker Schöne. Er selbst hat grundsätzlich wenig Berührungspunkte mit der Institution der Polizei. Er pflegt lediglich die Internetpräsenz der Deutschen Polizeigewerkschaft Sachsen e.V. Die Gewerkschaft schloss ihn von all seinen Aufgaben aus, als er auf der Internetseite veröffentlichte, dass die deutschen Gesetze keine Gültigkeit mehr hätten und somit das Besatzungsrecht gelten würde.18
Er selbst ist der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat ist, sondern lediglich eine privatwirtschaftliche GmbH.19 Auch an das Grundgesetz glaubt Volker Schöne nicht, er halte dies für ein Aufdrücken der „Alliierten und deutscher Kollaborateure.“ Ziel seiner „Bürgerwehr“ ist es gewesen, die „ordentliche Polizei“ zu kontrollieren und zu unterlaufen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen.20
Das Auftreten und das Verhalten des DPHW ist im Reichsbürgermilieu nochmal auf eine eigene Stufe zu stellen. Durch die Uniformierung, das „Ansichreißen“ des Polizeiapparats und den Hang zur Gewalt gegenüber Staatsbediensteten, zeichnet sich eine ganz neue Art von Reichsbürgergruppierungen ab. Insgesamt gibt es weit über 600 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des DPHW, von harmloseren Delikten wie Nötigung bis hin zur fahrlässigen Tötung wurde fast wegen der gesamten Bandbreite des Strafgesetzbuches gegen die Mitglieder ermittelt.
Um überhaupt einen Bezug zwischen den Reichsbürgern und den Rechtsextremisten ziehen zu können, sollte man die beiden Begriffe erst einmal definieren. Laut Verfassungsschutz sind Reichsbürger „Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten und Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar nicht in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.“21
Eine gängige Definition für den Rechtsextremismus zu finden ist dahingehend schwieriger. Laut Bundeszentrale für politische Bildung lehnen Rechtsextremisten „die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichte, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll.“ Somit ist die Ideologie eines Rechtsextremisten mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbaren.22
Wenn man die beiden Definitionen vergleicht, fällt auf, dass nicht jeder Reichsbürger auch unmittelbar ein Rechtsextremist ist. Es ist davon abhängig, inwieweit der Reichsbürger rechtsextremistischen Ideologieelementen folgt. Häufig lassen sich Berührungspunkte bei den Themenfeldern „Gebiets- und Geschichtsrevisionismus, völkischem und teilweise nationalsozialistischem Gedankengut sowie Antisemitismus“ ausmachen. Laut Verfassungsschutz sei deshalb auch nur ein geringer Teil der Reichsbürgerszene dem Rechtsextremismus zuzusprechen.23 Schätzungsweise sind 5 % der Reichsbürger als Rechtsextremisten einzustufen. Es bedarf für die Einordnung in das Gebiet des Rechtsextremismus, einer ordentlichen und differenzierten Betrachtung der Ideologie eines einzelnen Reichsbürgers, um diesen letztlich dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Denn grundsätzlich sind Rechtsextremismus und die Reichsbürgerszene bezogen auf ihre Ideologien „heterogen“. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Somit lassen sich keine allgemeinen Aussagen treffen, dass Reichsbürger zum Rechtsextremismus gehören, aber genauso wenig lässt sich verallgemeinern, dass Reichsbürger nicht zum Rechtsextremismus gehören.24
Dies sollte jedoch kein Grund sein, die Reichsbürgerszene zu verharmlosen. Die meisten Ansichten der Reichsbürger seien „ideologisch tiefer im rechtsextremistischen Denken verankert als bisher angenommen“, meinen Michael Hüllen und Heiko Homburg. Auch die Methodik rechtsextremer Propaganda, u.a. das Schüren von sog. Krisenstimmungen und die „Diffamierung und Delegitimierung des demokratischen Verfassungsstaates“ sind teilweise deutlich sichtbar. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies durchaus auch zu einem „Anwachsen des Reichsbürgers- und Selbstverwalter-Milieus“ führen kann.25
Nachdem in den vorherigen Teilen der Arbeit der „Reichsbürger“ an sich begutachtet worden und anschließend noch öffentlich wirksame Reichsbürger bzw. Reichsbürgerbewegungen vorgestellt worden sind, soll es im nächsten Kapitel um die Grundpfeiler der Ideologie gehen. Das Grundgerüst ihrer Vorstellungen, bilden verschiedene Argumentationen und Ideologien. Es sollen nun drei der präsentesten Absichten der „Reichsbürgerbewegung“ vorgestellt werden und diese dann mit Gegenargumenten entkräftet werden. Der erste Grundgedanke, der beleuchtet werden soll ist, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung sei. Anschließend wird auf das Argument, dass die Bundesrepublik Deutschland immer noch abhängig von den Alliierten sei, eingegangen. Der letzte untersuchte Grundpfeiler wird der sein, dass die Reichsbürger die deutsche Verfassung leugnen, da das Grundgesetz keine echte Verfassung sei.
„Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, sondern ein privatwirtschaftliches Unternehmen in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung.“ Dies ist mit Sicherheit eine Aussage, die in Kreisen der Reichsbürgerbewegung zu einer der Meistgenannten gehört. Dabei würde der Bundeskanzler die Funktion des Geschäftsführers übernehmen und die Personalausweise eines jeden Bürgers würden nur belegen, dass diese zum Personal der „BRD GmbH“ zählen würden. Gestützt wird diese Aussage u.a. auch darauf, dass die Verfassungsorgane und Behörden in Firmenverzeichnissen zu finden seien. Das Attraktive an dieser Hauptaussage für die einzelnen Reichsbürger ist, dass für sie nun die Möglichkeit bestehe, wie es in einer „echten“ wirtschaftlichen GmbH auch möglich ist, aus der Gesellschaft auszutreten und somit nicht mehr an ihre Gesetze, Verordnungen und Satzungen gebunden zu sein. Folglich würde die „BRD als eine GmbH“ auch über keine Hoheitsrechte mehr verfügen, was zur Folge hätte, dass auch niemand, der aus der „BRD GmbH“ austritt, noch irgendwelche Steuern, Gebühren oder Abgaben zahlen müsste. Ihnen würde dann ein Recht auf Selbstverwaltung zustehen.26
Der erste Grundpfeiler wird somit mit den Aussagen „Verfassungsorgane und Behörden von Bund, Land und Kommune finden sich in Firmenverzeichnissen wieder“, „der Personalausweis weist das Personal der GmbH aus“ und „die BRD ist kein Staat, sondern eine Firma“, untermauert.
Die erste Aussage lässt sich erstmal bestätigen. Behörden und Verfassungsorgane sind durchaus in Firmenverzeichnissen zu finden. Jedoch lässt sich die Aussage damit relativieren, dass diese „staatlichen Akteure“ im normalen Wirtschaftssystem sind und somit berechtigterweise auch in Firmenverzeichnissen zu finden sind. Das macht Behörden und Verfassungsorgane aber nicht zu Firmen.27
Die zweite Aussage hat noch weniger Wahrheitsgehalt als die erste Aussage. Besitzer von Personalausweisen würden als „Personal“ der BRD ausgewiesen werden. Es lässt sich leicht ausmachen, dass das „Personal“ in „Personalausweis“ sich nicht auf „das Personal“ im Sinne von „beschäftigten Arbeitnehmern“ bezieht, sondern vielmehr damit die im Ausweis enthaltenen „Personalien“ gemeint sind. Somit ist diese Argumentation falsch.28
Bei der letzten Aussage, dass die „BRD“ kein legitimierter Staat sei und eine privatwirtschaftliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung darstelle, ist es etwas aufwendiger, diese Aussage zu widerlegen. Dazu muss man sich zunächst den Gedanken machen, was ein Staat überhaupt ist und wie man ihn definieren kann. Am gängigsten ist demnach die besonders aus dem Staatsrecht bekannte „Drei-Elementen-Lehre“ nach Georg Jellinek. Danach wird der Staat als „Einheit von Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt“ definiert.29 Die drei Merkmale müssen zwingend erfüllt sein, damit von einem verfassungsrechtlich legitimierten Staat gesprochen werden kann.
Der Begriff des Staatsgebietes bezeichnet „das durch Staatsgrenzen festgelegte geografische Gebiet/Hoheitsgebiet, den Luftraum, die Küsten- und Eigengewässer, über die ein Staat Hoheitsrechte ausübt.“30 Dieses Tatbestandsmerkmal lässt sich leicht als erfüllt ansehen. Laut Grundgesetz umfasst das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, alle auch namentlich aufgeführt, 16 Bundesländer. In all diesen Bundesländer werden sowohl jegliche Bundesgesetze, Landesgesetze, Verordnung und Satzungen problemlos anerkannt und umgesetzt. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass seitens anderer Länder, Gebietsansprüche an die 16 Bundesländer gestellt werden. Folglich liegt ein Staatsgebiet zweifelsfrei vor und das erste Merkmal der „Drei-Elementen-Lehre“ ist erfüllt.
Das zweite Merkmal betrifft das Staatsvolk. Das Staatsvolk besteht „aus der Gesamtheit der Staatsangehörigen.“31 Stand 30.09.2021 lebten in der Bundesrepublik Deutschland 83,3 Millionen Menschen.32 Somit stellt dieses Merkmal auch keinerlei Schwierigkeiten dar, um die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat bezeichnen zu können. Folglich ist auch das zweite Merkmal zweifelsfrei zu bejahen.
Das letzte Merkmal ist die zwingend vorliegende Staatsgewalt. Staatsgewalt bezeichnet „die auf eigenem Recht beruhende Herrschaftsmacht, über die ein Staat bezogen auf das eigene Staatsgebiet (Gebietsmacht) und auf die eigenen Staatsangehörigen (Personalhoheit) verfügt.“ Unterschieden wird zwischen den Institutionen der Staatsgewalt, also die Legislative, Exekutive und Judikative, und dem Gewaltmonopol an sich, das ausschließlich den Staat dazu befugt, „zur Durchsetzung der Rechtsordnung physische Gewalt anzuwenden“.33 In der Bundesrepublik Deutschland geht gem. Art. 20 Abs. 2 GG alle Staatsgewalt vom Volke aus. Aufgeteilt, um einen Machtmissbrauch zu verhindern, in die „gesetzgebende Gewalt bzw. Legislative“ ausgeführt durch demokratisch gewählte und legitimierte Parlamente auf allen Ebenen, „ausführende Gewalt bzw. Exekutive“ vertreten durch die Regierung, Verwaltung, Polizei und dem Militär und die „rechtsprechende Gewalt bzw. Judikative“ in Form von unabhängigen Richtern und Gerichten.34
[...]
1 Biermann, K. (2016). Abgerufen von https://www.zeit.de/reichsbuerger-verfassungsschutz-radikalisierung- einzeltaeter/
2 Fücks, 2021, S.286-287
3 Hüllen & Homburg, 2017, S. 53
4 Vollmer, 2018, S. 241 ff.
5 Rathje, o. J., S. 2 ff.
6 Freitag, 2014, S. 157 ff.
7 Vollmer, 2018, S. 241 ff.
8 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Verfassungsschutzbericht 2020. S. 113 Abgerufen von https://www.bmi.bund.de/vsb-2020-gesamt.pdf
9 Keil, 2017, S. 100 ff.
10 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Verfassungsschutzbericht 2020. S. 120 Abgerufen von https://www.bmi.bund.de/vsb-2020-gesamt.pdf
11 Hermann, 2018, S. 12 ff.
12 Schönberger, 2020, S. 65 ff.
13 Hüllen, Homburg, 2017, S. 27 ff.
14 Hermann, 2018, S. 12 ff.
15 Hüllen, Homburg, 2017, S. 42 ff
16 Hermann, 2018, S. 22 ff.
17 Keil, (2017), S. 58 ff.
18 Speit, (2017), S. 124 ff.
19 Locke, S. (2016). Reichsbürger in Dresden festgenommen. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Abgerufen von https://www.faz.net/polizei-nimmt-reichsbuerger-in-dresden-fest-14079793.html
20 Lüdke, S. (2015). Verschwörungstheoretiker zu 22 Monaten Haft verurteilt. Spiegel Online. Abgerufen von https://www.spiegel.de/reichsburger-deutsche-polizei-hilfswerk-a-00000000-0003-0001-0000-000000202791
21 Bundesamt für Verfassungsschutz, (2022), Abgerufen von https://www.verfassungsschutz.de/begriff-und- erscheinungsformen
22 Bundeszentrale für politische Bildung, (2020), Abgerufen von https://www.bpb.de/wann-spricht-man-von- rechtsextremismus-rechtsradikalismus-oder-neonazismus/
23 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Verfassungsschutzbericht 2020. S. 113 Abgerufen von https://www.bmi.bund.de/vsb-2020-gesamt.pdf
24 Fiebig, 2020, S. 85, 109
25 Hüllen, Homburg, 2017, S. 52 ff
26 Freitag, (2014), S. 163 ff.
27 Rathje, (o.J.), S. 11
28 Rathje, (o.J.), S. 12
29 Bundeszentrale für politische Bildung, (2020), https://www.bpb.de/drei-elemente-lehre/
30 Bundeszentrale für politische Bildung, (2020), https://www.bpb.de/staatsgebiet/
31 Düring, Herzog, Scholz, Giegerich, (2021), GG Art. 16 Abs. 1, Rn. 42-44
32 Statistisches Bundesamt, (2021), Abgerufen von https://www.destatis.de/
33 Bundeszentrale für politische Bildung, (2020), https://www.bpb.de/staatsgewalt/
34 Vgl. Art. 20 GG, Abgerufen von https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_20.html