Bachelorarbeit, 2022
54 Seiten, Note: 1,0
3. Gleichgeschlechtliche Beziehungen in der Antike
4. Alexanders Beziehungen zu Männern
4.1 Einordnung von Alexanders Beziehungen
4.1.1 Hephaistion als Alexanders Jugendfreund
4.1.2 Alexander und Hephaistion als Achilles und Patroklos
4.1.3 Hephaistion als Alter Ego von Alexander
4.2 Alexanders Beziehungen als Zeichen seines Verfalls
4.2.1 Alexanders und Hephaistions parallele Verfallsgeschichte
4.2.2 Bagoas als Symbol für die orientalische Verführung
4.3 Stones Einordnung in moderne Kategorien
5. Fazit
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildungen
Als ich den Alexander-Film des amerikanischen Regisseurs Oliver Stone das erste Mal sah, war ich überrascht, wie Alexanders Beziehung zu seinem besten Freund Hephaistion dargestellt wurde. Obwohl nie etwas Explizites zwischen den beiden gezeigt wurde, gab es innige Umarmungen, tiefe Blicke und romantische Liebesgeständnisse, die für mich deutlich machten, dass eine Beziehung zumindest angedeutet werden sollte. Dass der Film im Jahr 2004 erschienen war, bestätigte mich nur in meinen Ansichten:[1] Hier hatte jemand versucht, Alexander und seiner Liebe zu Männern treu zu bleiben und ihn so darzustellen, wie er war. Die Möglichkeit, dass Alexander, eine der bekanntesten historischen Persönlichkeiten, vielleicht im heutigen Sinne als bisexuell angesehen werden könnte, interessierte mich sehr und so begann ich, mich über das Thema zu informieren. Schließlich stellte sich mir folgende Frage, die ich im Rahmen dieser Arbeit beantworten möchte: Wie wurden Alexanders Beziehungen zu Männern in den antiken Quellen dargestellt und was davon findet sich in Oliver Stones „Alexander“ wieder?
Der Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Fragestellung ist erst einmal die Beschäftigung mit den antiken Quellen zu Alexander. Es muss geklärt werden, wer die antiken Autoren waren, wann sie lebten und wann sie ihr Werk verfassten, wie nahe sie am Geschehen waren und woher sie ihre Informationen erhielten. Ähnliche Fragen müssen auch zum Film gestellt werden. Unter welchen Umständen entstand der Film, wer war daran beteiligt, wie gut kannten sich die Macher mit den antiken Quellen aus? Auch muss vor der eigentlichen Beantwortung der Forschungsfrage geklärt werden, wie homoerotische Beziehungen zwischen Männern in der Antike aussahen.[2] Es ist außerdem wichtig, das Dover-Modell zu kennen, welches von Vielen als die einzige Form von Homoerotik in der Antike angesehen wird. Um zu zeigen, dass dies nicht der Fall ist, werde ich anschließend Achilles und Patroklos als Beispiel anführen und mich im Folgenden speziell mit makedonischer Homoerotik auseinandersetzen.
Als nächstes werde ich mich mit Alexanders homoerotischen Beziehungen an sich beschäftigen. Das ist jedoch kein leichtes Vorhaben, da immer versucht wurde, seine Beziehungen an bestimmte Muster anzupassen und sie in bereits existierende Kategorien einzuordnen. Deshalb werde ich diese Einteilungen der Reihe nach durchgehen und untersuchen, welche Hinweise es in den antiken Quellen dafür gibt und inwieweit Stone diese übernimmt. Dabei bildet die berüchtigte Jugendfreundschaft mit Hephaistion den Anfang. Hier muss untersucht werden, was die Beweise für und gegen ein gemeinsames Aufwachsen sind und welche Motivationen bestimmte Autoren hatten, um sie als Jugendfreunde darzustellen. Als nächstes werde ich mich mit der Angleichung von Alexanders und Hephaistions Beziehung an die von Achilles und Patroklos beschäftigen. Welche dieser Vergleiche waren zu Alexanders Lebzeiten tatsächlich schon fassbar und was konnte erst nach seinem Tod von späteren Autoren auf ihn und Hephaistion projiziert werden? Dann folgt die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Hephaistion als Alter Ego von Alexander, die dafür sorgte, dass Hephaistions Leben und Schicksal an das von Alexander angeglichen wurde.
Im nächsten Schritt möchte ich mich damit beschäftigen, wie die Darstellungen von Alexanders homoerotischen Beziehungen als Zeichen seines Verfalls eingesetzt wurden. Hier spielt die Weiterentwicklung des Alter-Ego-Motivs eine Rolle, die dazu genutzt wurde, Alexanders Negativentwicklung durch die parallele Verfallsgeschichte mit Hephaistion besonders zu betonen. Im weiteren Verlauf der Arbeit werde ich mich mit Alexanders Beziehung zu Bagoas beschäftigen, einem Eunuchen im Dienste von Alexander. Hier muss untersucht werden, wie auch er von den antiken Autoren und Stone als Stilmittel eingesetzt wird, um Alexanders Negativentwicklung zu erklären und zu symbolisieren. Schließlich folgt noch die Beschäftigung mit dem Film an sich und Stones Versuch, Alexanders und Hephaistions Beziehung in mehrere moderne Kategorien auf einmal einzuordnen. Das tut er, indem er sie Szenen mit romantischem Unterton teilen lässt, dann aber wieder bemüht ist, ihre Freundschaft nicht über eine „Bromance“ hinausgehen zu lassen.[3]
Für die Beantwortung der Fragestellung gibt es eine ausreichende Menge an Literatur, da Alexander ein beliebtes Thema in der Forschung ist. Dabei wurde seine Sexualität lange vernachlässigt, doch vor allem durch Stones Film wurde dieser Aspekt in den Fokus der modernen Forschung gerückt. Historiker wie Sabine Müller, Jeanne Reames, Daniel Ogden und Konstantinos Nikoloutsos beschäftigten sich ausführlich mit Alexanders homoerotischen Beziehungen, während Marilyn Skinner und David Halperin Experten für antike Homoerotik sind. Jedoch werden dabei immer nur einzelne Aspekte seiner Beziehungen untersucht, was ich mit dieser Arbeit ändern möchte.
Das Problem mit den antiken Quellen zu Alexander ist, dass alle zeitgenössischen Quellen, die zu Alexanders Lebzeiten oder in den ersten Jahrzehnten nach seinem Tod verfasst wurden, entweder komplett verloren sind oder nur bruchstückhaft durch spätere griechische und römische Autoren überliefert wurden. Diese übertragen dabei jedoch ihre eigenen kulturellen Standards und Stereotypen auf eine ihnen fremde Kultur.[4] Somit gab es zwischen ihnen und Alexander sowohl eine kulturelle als auch eine zeitliche Barriere und bei der Auswertung der antiken Texte muss das kulturelle Milieu des Autors und der literarische Charakter des Werkes berücksichtigt werden.[5]
Bei der frühesten zusammenhängenden Darstellung von Alexander, die überliefert ist, handelt es sich um das 17. Buch von Diodors Universalgeschichte.[6] Diodor war ein Grieche von Sizilien, der im 1. Jh. v. Chr. unter Caesar und Augustus lebte.[7] Seine Bibliotheke historike ist weitestgehend erhalten und behandelt in 40 Büchern die Geschichte der bekannten Welt, indem es die Informationen aus verschiedenen Geschichtswerken in einem gut lesbaren Kompendium vereint. Dabei suchte sich Diodor für jeden Abschnitt einen Autor, den er für glaubwürdig hielt, kürzte dessen Informationen und erweiterte sie teilweise durch Nebenquellen. Da er die Vorlage immer vorbehaltslos übernommen hatte, wurde er im 19. Jh. nur als stupider Kompilator angesehen. Doch heute wird er dafür geschätzt, da wir uns so ein genaues Bild von dem verlorenen Werk des Kleitarchos machen können, das Diodor für sein 17. Buch verwendet hatte.[8]
Kleitarchos verfasste bald nach Alexanders Tod ein Werk aus mindestens zwölf Büchern, die von Alexanders Thronbesteigung bis zu seinem Tod erzählten. Bis auf 37 Fragmente ist sein Werk verloren. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob Kleitarchos am Feldzug teilgenommen hatte, da er nur bezeugt, dass Alexander 324/3 v. Chr. in Babylon war. Er hatte aber in jedem Fall in Alexandria Zugang zu Augenzeugen des Zuges.[9] Sein Werk wurde viel gelesen und war in der späten Republik und im frühen Kaiserreich so beliebt, dass es die Werke von tatsächlichen Zugteilnehmern wie Ptolemaios und Aristobulos verdrängte.[10]
Dennoch wurde Kleitarchos kritisiert, da er nicht als verlässlich angesehen wurde; er legte am meisten Wert darauf, seine Leser zu erschüttern oder sie in Erstaunen zu versetzen.[11] Vor allem dann, wenn eine kleine Abänderung der historischen Ereignisse eine größere Wirkung erzielen würde, entsprachen seine Berichte nicht immer der Wahrheit.[12] Deswegen wurden die Werke, die auf ihn zurückgehen, in der modernen Forschung lange als die „Alexander-Vulgata“ bezeichnet, die angeblich über keinen großen historischen Wert verfügten.[13]
Auch das Werk von Quintus Curtius Rufus geht auf Kleitarchos zurück, doch wird angenommen, dass er auch Ptolemaios und Aristobulos verwendet hatte. Bei Ptolemaios handelte es sich um den Begründer der ptolemäischen Dynastie und Freund von Alexander und Aristobulos war ein Ingenieur im Feldzug. Curtius verfasste mit ihren Werken als Quelle die einzige bekannte antike Alexandermonographie auf Latein, die Historiae Alexandri Magni Macedonis genannt wird. Von den ursprünglich zehn Büchern sind die ersten beiden verloren; was erhalten ist, setzt 333 v. Chr. ein.[14] Die Datierung des Werkes war lange Zeit unklar und umfasste mit Vorschlägen von unter Augustus bis unter Theodosios einen Zeitraum von etwa 400 Jahren.[15] Inzwischen ist die Abfassungszeit des Werkes auf das 1. Jh. n. Chr. beschränkt, wobei die claudische Datierung favorisiert wird, obwohl auch die Entstehung unter Vespasian noch als eine Möglichkeit angesehen wird.
Curtius wollte wie Herodot Traditionen überliefern und fand, dass etwas, nur weil seine Echtheit angezweifelt wird, nicht weniger real war. Deswegen zensierte er nichts, lässt jedoch aus, was für ihn nicht relevant ist.[16] Was sein Alexanderbild anging, wurde er stark von der vorherrschenden römischen rhetorischen Tradition beeinflusst, und zeigt mit seinem Werk Alexanders Verfallsgeschichte. So entwickelte dieser sich bei Curtius von einem tugendhaften jungen makedonischen Herrscher zum Klischee des dekadenten Perserkönigs, indem er durch Kriegserfolge und Hybris korrumpiert wurde und der „östlichen Dekadenz“ zum Opfer fiel.[17] Curtius stellt Heldentaten und Grausamkeiten übertrieben dar und gibt offen zu, dass er nicht alles, was er schreibt, für wahr hält.[18] Lange Zeit wurde er von der modernen Forschung negativ beurteilt, doch mit zunehmendem Verständnis für die Eigenart der römischen Literatur wird er als historische Quelle mehr geschätzt. Auch überliefert er viele Einzelheiten, die in anderen Quellen fehlen und die nicht einfach so verworfen werden dürfen, da sie aus einer zeitgenössischen Überlieferung stammen.[19]
Das nächste Werk zu Alexander stammt von Plutarch, der als berühmter griechischer Autor das römische Bürgerrecht erhielt und schließlich Hadrians Erzieher wurde.[20] Bei seiner Biographie handelt es sich um die einzige erhaltene Alexanderbiographie aus der Antike. Sie wurde Ende des 1. bis Anfang des 2. Jh. n. Chr. verfasst und ist ein Teil von Plutarchs Parallelbiographien, bei denen meistens paarweise ein Grieche und ein Römer gegenübergestellt werden. Alexanders römischer Gegenpart ist Caesar, jedoch ist der Vergleich der beiden nicht überliefert.[21]
Anders als Diodor und Curtius war Plutarch kein Historiker, sondern Biograph und „[schrieb] nicht Geschichte, sondern zeichne[te] Lebensbilder“. Indem er seinen Lesern die Leben großer Männer zeigte, wollte er ihnen verdeutlichen, durch welche Tugenden oder Lasten sie sich auszeichneten, damit die Leser so ihren eigenen Charakter festigen konnten.[22] Plutarch wird in der Forschung als weitestgehend vertrauenswürdig angesehen. Er verwendete verschiedene Quellen wie etwa den bereits erwähnten Kleitarchos sowie Kallisthenes, der den Feldzug bis 330 v. Chr. als Kriegskorrespondent und Propagandist begleitet und regel-mäßig offizielle Berichte zurück nach Griechenland geschickt hatte.[23]
Der nächste Alexanderhistoriker ist Lucius Flavius Arrianus von Nikomedien, ein römischer Bürger und griechischer Gelehrter, der unter Trajan und Hadrian lebte. Er war ein typischer Vertreter der Zweiten Sophistik und verfasste mit Xenophon als sein literarisches Vorbild seine Anabasis Alexandrou, mit der er die kursierenden mythisierenden Verfremdungen von Alexander beenden wollte.[24] Sein Hauptwerk zu Alexander ist eine militärische Chronik aus sieben Büchern, die auf Ptolemaios und Aristobulos basiert.[25] Dazu kommt noch Arrians Indike, die auf den Berichten von Alexanders Flottenkommandanten Nearchos aufgebaut war.[26]
Arrian sah Ptolemaios und Aristobulos als vertrauenswürdigste Quellen an, da sie beide am Feldzug teilgenommen hatten, obwohl er Ptolemaios als Freund und General von Alexander trotzdem mehr Autorität beimaß. Sein Argument dafür, dass Ptolemaios die Wahrheit erzählte, weil es „für ihn als König größere Schande als für jeden anderen bedeuten mußte, zu lügen“, ist jedoch wenig überzeugend.[27] Da, wo Ptolemaios und Aristobulos das Gleiche berichteten, übernahm Arrian es für sein Werk. Wenn die beiden unterschiedliches erzählten, folgte er der Version, die er für vertrauenswürdiger hielt, doch schrieb er auch einiges nieder, was er nur bei anderen Autoren gelesen hatte, aber dennoch wichtig fand.[28]
Arrian sah sich selbst als Wiederentdecker von Alexanders „wahrer“ Geschichte und hielt sich intellektuell für ebenso bedeutend wie Alexander auf militärischem Gebiet, der für ihn der ideale General war und mit jeder militärischen Situation umgehen konnte. Er definierte sich selbst über Alexanders Ruhm, weshalb er ein durchweg positives Bild von ihm hatte und oft die apologetischen Tendenzen seiner Hauptquelle Ptolemaios übernahm.[29] Lange Zeit wurde Arrian als absolute Autorität zu Alexander angesehen, doch inzwischen wird es differenzierter betrachtet und bei widersprüchlichen Berichten wird er nicht mehr automatisch über die auf Kleitarchos basierenden Quellen gestellt.[30]
Die letzte relevante Quelle zu Alexander ist das 11. und 12. Buch von Pompeius Trogus‘ Weltgeschichte Historiae Philippicae, die unter Augustus verfasst wurde und als römisches Pendant zu Diodors Werk angesehen werden kann.[31] In 44 Büchern schrieb Trogus die Geschichte von Assyrern, Medern, Persern, Argeaden und den hellenistischen Monarchien. Da für Trogus immer einzelne Herrscher für den Aufstieg und Niedergang von Reichen verantwortlich waren, stellte er Alexander, den letzten der Argeaden, als den schlimmsten dieses Geschlechts dar.[32] Trogus kompilierte sein Werk aus verschiedenen verlorenen hellenistischen Quellen, die wir heute nicht mehr ausmachen können. Da seine Darstellung jedoch viele sachliche Übereinstimmungen mit Diodor und Curtius aufweist, wissen wir, dass er in jedem Fall auch Kleitarchos verwendet hatte. Leider ist sein Werk nur als lateinischer Auszug bei Marcus Iunianus Iustinus erhalten, der im 2. Jh. n. Chr. oder noch später lebte. Zudem ist dieser Auszug sehr kurz, da Justin alles ausgelassen hatte, was er nicht für unterhaltsam oder beispielhaft hielt, weshalb sein Werk nur wenige Informationen liefert, die nicht schon durch andere Quellen bekannt sind.[33]
Auch Strabon kann mit seiner Erdbeschreibung in 17 Büchern als wichtige Quelle für Alexander angesehen werden. Da er sich jedoch eher mit der Darstellung der Länder und der Übermittlung von zeitgenössischen Informationen als mit Alexander selbst beschäftigte, ist er für die Beantwortung der Fragestellung nicht relevant.[34] Der Alexanderroman, der gegen Ende des 3. Jh. n. Chr. in Ägypten verfasst wurde, ist zwar die am meisten rezipierte Schrift zu Alexander, stellt jedoch den Höhepunkt der Entfremdung vom historischen Alexander dar. Es ist eine Mischung aus Fakten und Legenden, die sich in den ca. 600 Jahren nach Alexanders Tod angesammelt hatten.[35] Deswegen wird auch der Alexanderroman in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
Die andere „Quelle“, die hier untersucht wird, ist Oliver Stones „Alexander“ aus dem Jahr 2004. Neben der Fassung des Filmes, die im Kino gezeigt wurde, gibt es noch drei weitere Versionen des Filmes. Im „Director’s Cut“ aus dem Jahr 2005 fehlen ein paar Szenen, während einige neue hinzugefügt wurden. Mit „Alexander Revisited: The Final Cut“ aus dem Jahr 2007 wird dann die Reihenfolge der Szenen drastisch abgeändert und es kommen etwa 45 Minuten an neuem Material hinzu. In der letzten Version, „Alexander: The Ultimate Cut“ aus dem Jahr 2013, wird die Reihenfolge der dritten Version beibehalten, jedoch fehlen wieder einzelne Szenen, da Stone das Gefühl hatte, bei „Alexander Revisited: The Final Cut“ zu viel hinzugefügt zu haben.[36] Was alle Versionen gemeinsam haben, ist der Begleitkommentar des alten Ptolemaios. Als etwa 80-jähriger Herrscher von Ägypten erzählt er Alexanders Geschichte aus seinen Erinnerungen und ergänzt Informationen, die nicht im Film an sich gezeigt werden.[37] Ich habe mich für die vierte Version des Filmes entschieden, da es die letzte Version ist und Bagoas hier eine größere Rolle zukommt als in den ersten beiden Versionen. Außerdem erhalten einige Handlungen im Film durch die neuen Szenen mehr Tiefe und offene Fragen werden geklärt.[38]
Stone schrieb das Drehbuch zusammen mit Christopher Kyle und Leta Kalogridis und zog außerdem den britischen Althistoriker Robin Lane Fox hinzu, der 1973 eine stark kritisierte Biographie zu Alexander verfasst hatte.[39] Wie der Althistoriker Eugene Borza bemängelte, geht Lane Fox kaum auf moderne Literatur zu Alexander ein, sondern beschäftigt sich nur direkt mit den antiken Quellen.[40] Für Lane Fox war das die einzige Möglichkeit, um etwas Neues und Wertvolles über Alexander zu sagen, doch bringt diese Vorgehensweise andere Probleme mit sich.[41] So hält er den Vergleich von Alexander und Hephaistion mit Achilles und Patroklos für zeitgenössisch und sieht auch andere Szenen als historisch an, die in der modernen Forschung schon länger als Erfindungen späterer Autoren eingeordnet wurden. Da der Film sich stark an Lane Fox‘ Biographie orientiert, ziehen sich diese Fehler durch den ganzen Film.[42]
Außerdem wurde Oliver Stones Umgang mit Quellen öfters kritisiert und bei seinen Filmen „Nixon“ und „JFK“ wurde ihm historische Ungenauigkeit vorgeworfen. Doch für „Alexander“ konsultierte er selbst die antiken Werke und nannte in einem Interview Plutarch, Curtius, Diodor und Arrian als seine Quellen.[43] Zudem gibt er an, archäologisches Material herangezogen und die griechischen Tragödien gelesen zu haben, die Alexander gut gekannt haben soll, um einen genaueren Einblick in seine Gedanken zu erhalten.[44] Doch nun wurde kritisiert, dass der Film zu akademisch und zu trocken war.[45]
Ein weiterer Kritikpunkt war Stones Umgang mit Alexanders Sexualität. Für die Queer Community war „Stone’s Alexander […] gay yet not gay enough“, für andere wollte er einfach einen bemerkenswerten Eintritt in das Genre der historischen Epen hinlegen, indem er mit Homosexualität ein Tabu thematisierte, das in allen früheren Monumentalfilmen vermieden worden war.[46] In Griechenland löste der Film, noch bevor er erschienen war, mehrere Kontroversen aus, da er damit warb, als erster Hollywood Mainstream Film Alexanders bisexuelle Seite zu zeigen.[47] Die meisten griechischen Historiker bestreiten ein erotisches Interesse von Seiten Alexanders und der griechische Kulturminister Evangelos Venizelos und einige griechische Nationalisten beschwerten sich bereits im November 1998, weil Stone „den Welteroberer angeblich als gnadenlosen Heerführer, Alkoholiker und Bisexuellen darstellen [wolle]“.[48] Eine Gruppe von griechischen Anwälten drohte mit einer einstweiligen Verfügung gegen den Start des Filmes, da es „a disgrace“ und „a slur on Greece“ sei, Alexander als bisexuell darzustellen. Sie wollten einen Hinweis im Vorspann, dass es sich um ein rein fiktives Bild von Alexander handelte, da es keine Beweise für seine Homosexualität gäbe.[49]
Nun da geklärt ist, unter welchen Bedingungen der Film entstand, können wir uns den gleichgeschlechtlichen Beziehungen in der Antike zuwenden. Was homoerotische Beziehungen unter Männern angeht, gab es in Griechenland ab der Archaik größtenteils dasselbe System.[50] Es wird nach dem britischen Gräzisten Sir Kenneth Dover und seinem Werk „Greek Homosexuality“ aus 1978 von einigen in der Forschung als das „Dover-Modell“ bezeichnet.[51]
Dabei wird Sex als eine Handlung angesehen, die der eine Partner am anderen ausübt und nicht als gegenseitiges Unternehmen von zwei oder mehr Personen.[52] So reflektierte es die hierarchischen Strukturen der Gesellschaft, indem eine feste Rolleneinteilung vorgenommen wurde.[53] Ein erwachsener männlicher Bürger musste immer den aktiven Part spielen und penetrierte den passiven Partner, der ihm sozial untergeordnet war. Sexuelle Partner wurden nicht eingeteilt in Männer und Frauen, sondern in dominant und aktiv sowie unterlegen und passiv, weshalb es in der Antike auch keine Einteilung in Homosexualität und Heterosexualität gab. Ein erwachsener männlicher Bürger konnte folglich Sex mit Frauen, Jungen, Prostituierten und Sklaven haben, da sie alle nicht dieselben Rechte besaßen wie er.[54] „Aktive Homosexualität“ war vollkommen natürlich für männliche Bürger in der Antike.[55]
Eine besondere Rolle nahmen dabei freie Jungen und Jugendliche ein, da die sexuellen Dienste von Frauen gekauft oder befohlen werden konnten. Der Junge hatte jedoch die freie Wahl und der Mann musste sich um ihn bemühen. Außerdem wurde ein nackter Junge mit straffen Muskeln, der gymnastische Übungen ausführt, als das Ebenbild menschlicher Schönheit angesehen. Somit war das Verlangen nach Jungen in ihrer Blütezeit zwischen 15 und 18 für Männer so natürlich wie das Verlangen nach Frauen.[56] Eine sexuelle Beziehung zwischen einem erwachsenen Mann zwischen 20 und 30 und einem Jungen oder Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren wird als paiderastia (Knabenliebe) bezeichnet.[57] Selbst wenn der Altersunterschied dabei nur einige Jahre betrug, wurde die Beziehung als generationsübergreifend angesehen.[58]
Die Beziehung begann damit, dass der erwachsene Mann, der erastes (Liebhaber), einem Jungen, dem eromenos (Geliebten), nachstellte und versuchte, ihn mit Versprechungen und Bitten für sich zu gewinnen. Der Junge musste sich widersetzen, bis der erastes sich bewiesen hatte, dann durfte er nachgeben. Wenn die Beziehung begann, übernahm der ältere Partner die Verantwortung, den eromenos geistig und körperlich zu trainieren und ihm als Beispiel männlicher Exzellenz zu dienen.[59] Dieser Prozess nahm eine große Rolle in der Erziehung ein, da die Lebenserwartung gering war, die Männer erst mit etwa 30 heirateten und viel Krieg geführt wurde. Deshalb hatten viele Jungen bereits ihren Vater verloren und ihr erastes begleitete sie nun als Mentor auf dem Weg von Jugend ins Erwachsenenalter. Hier kann von institutionalisierter Päderastie gesprochen werden.[60]
Der Junge sollte seinem Mentor gehorchen und ihm als Dank im Austausch für Instruktionen gewisse Freiheiten erlauben. Dabei soll Analsex jedoch ein Tabu gewesen sein, auch wenn es einige Abbildungen auf Vasen dazu gibt (Abb. 1). Typisch war Schenkelverkehr ohne tatsächliche Penetration, da der Junge es sonst riskierte, sein Bürgerrecht und seinen Status zu verlieren.[61] Er war dem erastes nur durch Alter und Unerfahrenheit unterlegen, würde aber einige Jahre später seinen Platz als Soldat, Hausherr und Wahlberechtigter einnehmen. Deshalb sorgte sich die Gesellschaft um die negativen Konsequenzen, die eine homoerotische Beziehung mit sich bringen würde.[62]
Der eromenos sollte zudem nur philia für seinen erastes empfinden, „for a boy does not share in the pleasure of intercourse as a woman does, but looks on sober at another intoxicated by love“.[63] Begierde oder körperliche Lust zu empfinden, würde bedeuten, dass der eromenos die passive Rolle genieße. Außerdem sollte verhindert werden, dass ein Junge länger die passive Rolle einnahm und sich durch extreme sexuelle Unterwerfung so daran gewöhnte, dass er auch als Erwachsener noch die Rolle des eromenos einnehmen wollen würde. Solche Männer wurden als kinaidos bezeichnet und wurden als unnatürliche Perverse angesehen, die die essenziellen Rollen der Maskulinität verletzten.[64] Deshalb endete die Beziehung, sobald der eromenos das Erwachsenenalter erreichte, doch gibt es unter Forschern eine ausführliche Debatte darüber, in welchem Alter das war. Man ist sich jedoch größtenteils einig, dass der Anfang des Bartwuchses beim eromenos das Ende der Beziehung darstellte. Dennoch blieb eine lebenslange Freundschaft und es kam oft vor, dass der ehemalige eromenos schließlich eine Verwandte des erastes heiratete.[65]
Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass das Dover-Modell hauptsächlich auf athenischen Quellen des 6. bis 4. Jh. v. Chr. basiert.[66] Es beschreibt die Idealversion von griechischer Homoerotik, was aber nicht bedeutet, dass es keine anderen Arten gab. Die Existenz von Begriffen wie kinaidos in Athen zeigt, dass auch andere Arten von Homoerotik vorkamen, auch wenn sie nicht akzeptiert wurden. So ist auch militärische Homoerotik weniger im Blick der Forschung, was vermutlich daran liegt, dass die Griechen es selbst weniger beachteten.[67] In anderen Regionen wie in Sparta, Theben und Makedonien verhält es sich anders und auch Achilles und Patroklos passen nicht in dieses vereinfachte Modell. Es wird in der modernen Forschung jedoch allgemein akzeptiert, da es die Unterschiede zwischen der antiken und modernen Welt deutlich macht.[68]
Die Beziehung zwischen Achilles und Patroklos in der Ilias ist wohl eine der bekanntesten der Antike und seit der klassischen Periode nahmen die meisten Griechen auch an, dass sie Geliebte waren. Es war eine dauerhafte, aufrechte und heroische Beziehung, die jedes Paar von erastai und eromenoi anstreben sollte.[69] Doch hier offenbart sich bereits das erste Problem mit Achilles und Patroklos, denn „der Edlere zwar von Geburt ist Achilleus, / Älter dafür [ist Patroklos], doch [Achilles] der Stärkere wieder“.[70] Ein päderastisches Paar musste bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie dass der erastes in der idealisierten Version deutlich älter sein müsste als der eromenos. Jedoch war Patroklos nur leicht älter als Achilles; sie waren etwa gleichaltrige Ziehbrüder und Waffenkameraden.[71] Das zweite Problem ist, dass Achilles, obwohl der jüngere und deswegen normalerweise der eromenos, als Königssohn den höheren sozialen Status innehatte und so nach dem Dover-Modell nicht die passive Rolle des eromenos einnehmen durfte.[72] Viele Griechen waren sich einig, dass Achilles und Patroklos eine päderastische Beziehung geführt hatten, doch konnten sie sich nicht einigen, wer welche Rolle einnahm. Das folgende Zitat von Plato macht diese Diskussion deutlich:
“Aischylos ist ja nicht ernst zu nehmen, wenn er sagt, Achill sei Patroklos' Liebhaber gewesen, er, der schöner war nicht nur als Patroklos, sondern als alle Helden zusammen, und war noch bartlos, zudem viel jünger, wie Homer sagt. Nein, es ist tatsächlich so: sehr hoch ehren die Götter diese Stärke im Eros, sie bewundern, würdigen und belohnen aber mehr die Ergebenheit des Geliebten gegen seinen Liebhaber als umgekehrt die des Liebhabers gegen den Geliebten. Denn etwas Göttlicheres ist der Liebende als der Geliebte, wohnt in ihm doch der Gott.”[73]
Diese Überlegungen ignorieren jedoch die Tatsache, dass institutionalisierte Päderastie erstmalig nach 630 v. Chr. nachgewiesen wurde und Homers Werke vielleicht für Jahrhunderte mündlich wiedergegeben und verbreitet wurden, bis sie schließlich im Hellenismus endgültig niedergeschrieben wurden.[74] In der Ilias selber gibt es keine expliziten Hinweise auf paiderastia und dennoch versuchten die klassischen Griechen, ihre eigenen sozialen Institutionen auf die Ilias und Achilles und Patroklos‘ Beziehung anzuwenden.[75] So wird auch unter modernen Forschern oft bestritten, dass es eine homoerotische Beziehung war, da sie als erwachsene Krieger nicht in das päderastische Modell passen.[76]
Dennoch gibt es Hinweise, die einen glauben lassen, dass Achilles und Patroklos Geliebte gewesen waren. Als Beispiele angesehen werden Achilles‘ Wunsch, dass alle außer ihm und Patroklos sterben sollten sowie die Ermutigung seiner Mutter Thetis, seine Trauer um den verstorbenen Freund zu vergessen, indem er „im Arm eines Weibes“ liege.[77] Neben Achilles‘ starker Trauer wurden außerdem die Knochen der beiden zusammen begraben, während Achilles‘ neuer „Liebling“ nach Patroklos‘ Tod, Antilochos, alleine in der Nähe von Achilles beerdigt wurde.[78] Hinzu kommt, dass Patroklos oft Dinge für Achilles erledigte, die normalerweise eine Ehefrau übernehmen würde.[79] Doch erlauben uns diese Beispiele nicht eindeutig zu sagen, ob es sich tatsächlich um eine sexuelle Beziehung handelte. Van Nortwick fasst das Problem passend zusammen:
„We need to be careful not to misunderstand this intimacy.... Friendship in general is a difficult relationship to fix, seen in our modern cultures as existing on the boundaries of other bonds, familial or sexual, which provide the categories through which friendship itself is defined. The poems we will read here offer another model for friendship, one accommodating a greater degree of intimacy than is often accorded to nonsexual friendship these days. The first and second selves are intimate because they compose, together, a single entity...-at this level of intensity, sexual love is sometimes inadequate as a model because it may not be intimate enough.”[80]
Der Fokus ihrer Beziehung liegt auf der gefühlsbedingten Verbindung, die durch geteilte Kampferlebnisse gefestigt wurde. Ob Sex auch ein Teil ihrer Beziehung war, spielt keine Rolle und lässt sich nicht eindeutig sagen.[81] Es würde aber niemand bestreiten, dass Achilles Patroklos „vor allen / Andern Gefährten geehrt [hatte]“.[82]
Was homoerotische Beziehungen in Makedonien angeht, wäre es wohl akkurater, Theben oder Sparta als Vorbild zu nehmen statt Athen. In beiden Städten hatte die Homoerotik eher militärischen Charakter; so gab es die Heilige Schar von Theben, eine Eliteeinheit aus 150 Paaren von erastai und eromenoi, die Seite an Seite kämpften.[83] Wenn diese Beziehungen tatsächlich päderastisch gewesen sein sollten, müsste es einen Altersunterschied zwischen den Partnern geben und bei dem jüngeren müsste es sich um einen Jugendlichen handeln. Da der eromenos jedoch in der Armee kämpfte, ist anzunehmen, dass er selbst schon erwachsen war und die Beziehung in Theben deutlich länger als in Athen andauern konnte.[84] Auch in Sparta schien das der Fall gewesen zu sein, da Plutarch erwähnt, dass „[d]ie Männer unter dreißig Jahren überhaupt nicht auf den Markt [kamen], sondern, was sie bedurften, durch ihre Verwandten und Liebhaber besorgen [ließen]”.[85]
Theopompos, ein athenischer Komödiendichter aus dem 5. bzw. 4. Jh. v. Chr., der folglich an die athenische paiderastia und ihre Regeln gewöhnt war, beschreibt Homoerotik unter Makedonen folgendermaßen:
„‚[Philip] not only encouraged [his men] in their vices, but made them past masters in every kind of wickedness and lewdness. Was there anything indeed disgraceful and shocking that they did not practice, and was there anything good and creditable that they did not leave undone? Some of them used to shave their bodies and make them smooth although they were men, and others actually practiced lewdness with each other though bearded. While carrying about two or three minions with them they served others in the same capacity so that we would be justified in calling them not courtiers (hetairoi) but courtesans (hetairai) and not soldiers but strumpets. For being by nature manslayers (androphonoi) they became by their practices man-whores (andropornoi). […] My opinion is that those who were called Philip’s friends and companions were worse brutes and of a more beastly disposition than the Centaurs who established themselves on Pelion, or those Laestrygones who dwelt in the plain of Leontini, or any other monsters.’”[86]
Jedoch ist Theopompos dafür bekannt, die Makedonier zu verspotten, wie es an den Wortspielen mit hetairoi und hetairai sowie androphonoi und andropornoi deutlich wird. Außerdem zeigt er durch den Vergleich mit Monstern der griechischen Mythen eindeutig seine Einstellung gegenüber den Makedonen, weshalb man sich nicht einfach auf seine Aussage verlassen sollte.[87]
Allerdings haben wir noch andere Quellen, die homoerotische Beziehungen zwischen zwei Männern beschreiben, ohne ähnlich voreingenommen zu sein. Eine der frühesten bekannten homoerotischen Beziehungen in Makedonien war zwischen dem König Archelaos und seinem Geliebten Krataios, „der den sexuellen Verkehr mit [dem König] [immer verabscheute].“ Deswegen hätte für einen Anschlag auf Archelaos „auch schon ein geringerer Grund ausgereicht […] als der, daß Archelaos gegen sein Versprechen [Krataios] keine seiner Töchter zur Frau gab“.[88] Männer der makedonischen Oberschicht schienen früher geheiratet zu haben als im Rest Griechenlands: Philip II heiratete das erste Mal in seinen frühen 20ern und Alexander wurde in diesem Alter ebenfalls geraten zu heiraten. Krataios müsste also auch ungefähr Anfang 20 gewesen sein, da er im heiratsfähigen Alter war. Somit passt diese Beziehung nicht in das Dover-Modell, obwohl die Begriffe erastes und eromenos für die Partner verwendet wurden.[89]
Auch Philip II selber war für seine Affären mit Männern und Frauen bekannt. Im Alter von 14-18 Jahren soll er als Geisel in Theben der eromenos eines älteren Mannes gewesen sein.[90] Im späteren Leben war er dann nach Justin der erastes von Alexander I von Epirus, dem Bruder seiner Frau Olympias. Auch mit zwei weiteren jungen Männern, die beide Pausanias hießen, führte Philip eine homoerotische Beziehung.[91] Auch wenn einige Beispiele nicht in das klassische Dover-Modell passen, gab es immer einen sozial höher gestellten, der zudem der ältere war, was die Einteilung in erastes und eromenos vereinfacht.
Jedoch gab es in Makedonien auch homoerotische Beziehungen unter Gleichaltrigen, etwa bei den basilikoi paides.[92] Das war eine Gruppe von Söhnen der führenden Makedonen, die mit 14 an den Hof in Pella geschickt wurden, um dem König zu dienen und zu Anführern und Generälen ausgebildet zu werden.[93] Ihre Ausbildung dauerte drei Jahre, anschließend dienten sie als Leibwächter des Königs und wenn sie sich bewiesen hatten, traten sie mit 18 der Hetairenreiterei bei.[94] Der Altersunterschied zwischen ihnen konnte somit einige wenige Jahre betragen, jedoch befanden sie sich in derselben Lebensphase und es kann nicht wie bei dem Dover-Modell davon gesprochen werden, dass der erastes als der ältere, weisere Mentor die Verantwortung für die Ausbildung des eromenos übernahm.[95] Arrian erwähnt die Pagenverschwörung, die zustande kam, nachdem der Page Hermolaos auf der Jagd einen Eber tötete, bevor Alexander die Gelegenheit dazu hatte. Als Strafe ließ Alexander ihn auspeitschen und nahm ihm sein Pferd, wofür der Page sich rächen wollte:
“Dieser Hermolaos nun, voll Schmerz über eine derartige Schande, vertraute Sostratos, Sohn des Arnyntas, einem seiner Altersgenossen und ihm noch mehr als nur einem Freund, an, er könne nicht weiterleben, ohne diese Schmach an Alexander gerächt zu haben. Es gelang ihm, diesen als seinen Liebhaber mühelos zu bewegen, mit ihm gemeinsame Sache zu machen.“[96]
Arrian erwähnt nichts davon, dass die Beziehung von Hermolaos und Sostratos ungewöhnlich war. So schienen in Makedonien homoerotische Beziehungen unter Gleichaltrigen ein normaler Aspekt des höfischen Lebens gewesen zu sein. Die päderastischen Bezeichnungen wurden von Außenstehenden jedoch trotzdem verwendet, um ihre Beziehungen zu beschreiben, obwohl die einzige Gemeinsamkeit war, dass es sich bei beiden um homoerotische Beziehungen handelte.[97]
Hephaistion wurde allgemein als Jugendfreund von Alexander angesehen, da Curtius Rufus ihn zu den syntrophoi des Königs zählt.[98] Jedoch spricht keiner der anderen Alexanderhistoriographen von einer Jugendfreundschaft. Curtius, der Hephaistion als Alexanders Doppelgänger darstellt, könnte Hephaistions Alter einfach an Alexanders angeglichen und ein gemeinsames Aufwachsen erfunden haben, um eine stilistische Übereinstimmung für seine parallele Verfalls-geschichte zu haben.[99] Neben Curtius‘ Zeugnis wäre ein weiterer Beweis für eine Jugendfreundschaft der bei Diogenes Laertios angeführte Brief von Aristoteles an Hephaistion, der zeigen soll, dass Hephaistion einer der Jungen war, die wahrscheinlich aus den basilikoi paides ausgewählt wurden, um zusammen mit Alexander von Aristoteles unterrichtet zu werden.[100]
Jedoch wissen wir auch von Briefen, die Aristoteles an andere in Alexanders Umfeld verfasst hatte, ohne dass sie mit ihm in Mieza unterrichtet wurden.[101] Zwar soll Hephaistion aus Pella, der makedonischen Hauptstadt, stammen, doch wird Pella auch als Leonnatos‘ Heimat angegeben, obwohl er aus Lynkestis stammte. Somit muss es sich bei Pella nicht unbedingt um Hephaistions ursprüngliche Heimat handeln; es wäre ebenso möglich, dass er nur in Pella gelebt hatte, bevor Alexanders Feldzug begann.[102]
Was wiederum als Beweis gesehen wird, dass Hephaistion nicht zu Alexanders Jugendfreunden gehörte, ist, dass er nicht wie Alexanders andere „Jugendfreunde“ wegen seiner Rolle in der Pixodaros-Affäre im Frühling 336 v. Chr. von Philip aus Makedonien verbannt worden war.[103] Doch machte Heckel darauf aufmerksam, dass es sich bei den fünf hetairoi, die verbannt wurden, nämlich Harpalos, Nearchos, Ptolemaios, Sohn von Lagos, und den Brüdern Erigyios und Laomedon, gar nicht um Alexanders Jugendfreunde handelte. Stattdessen waren es ältere Freunde, die von Philip verbannt wurden, weil sie Alexander einen schlechten Rat gegeben hatten, der gegen Philips eigene Interessen ging. Alexanders tatsächliche Jugendfreunde blieben währenddessen an seiner Seite.[104] Deshalb kann dieses Argument nicht als ausreichender Beweis gegen eine Jugendfreundschaft angesehen werden; der nächste Punkt ist dahingehend ausschlaggebender.
So wird angeführt, dass Plutarch, der sich am ausführlichsten mit Alexanders Kindheit beschäftigt hatte, nie eine Jugendfreundschaft zwischen Alexander und Hephaistion erwähnt, obwohl er ihre enge Bindung sonst stark betont.[105] Auch bei Arrian sucht man vergeblich nach Hephaistion als Jugendfreund; er erwähnt lediglich Alexanders und Hephaistions Besuch in Troja, sagt jedoch dazu, dass er es nur als logos weitergibt, da es nicht aus seinen Hauptquellen Ptolemaios oder Aristobulos stammt.[106] Sicher nachgewiesen ist ihre enge Freundschaft erst ab 330 v. Chr., als Hephaistion mehr militärische Verantwortung übertragen wurde.[107]
Vor allem bei Ptolemaios würde man eine Erwähnung von Hephaistion erwarten, wenn er und Alexander wirklich Jugendfreunde gewesen wären, da Plutarch und Arrian berichten, dass auch Ptolemaios zusammen mit Alexander aufwuchs.[108] Da er Hephaistion sonst immer positiv darstellt und sowohl sich selbst als auch Hephaistion in kritischen Situationen nicht erwähnt, an denen sie nachweislich beteiligt waren, wäre es unwahrscheinlich, dass er Hephaistion bewusst übergehen würde, wenn er von Alexanders Jugend erzählt.[109] Doch auch hier liefert Heckel ein überzeugendes Argument, denn es gibt eine Quelle, nach der Ptolemaios zwei Jahre nach der Thronbesteigung seines Sohnes im Winter 283/2 v. Chr. im Alter von 84 Jahren starb.[110] Somit müsste er 367/6 v. Chr. geboren sein, was ihn etwa 10 Jahre älter als Alexander machen würde. Dafür würde auch sprechen, dass er dann wie die anderen Verbannten einer von Alexanders älteren Ratgebern gewesen wäre und nicht der Einzige, der ein Jugendfreund von ihm war.[111]
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