Diplomarbeit, 2014
82 Seiten, Note: 2,0
Geowissenschaften / Geographie - Bevölkerungsgeographie, Stadt- u. Raumplanung
1. Einleitung
1.1. Der Untersuchungsraum
1.2. Grundlegende Definitionen
1.3. Charakterisierung Mülheims
2. Geschichte und Entwicklung Köln-Mülheims - Eine Einführung
2.1. Geschichte und Entwicklung Köln-Mülheims bis 1800
2.2. Entwicklung der Besiedlung und Flächennutzung in Mülheim von1800 bis 1870
2.3. Die Industrialisierung - Die rechts- und linksrheinischen Gebiete rücken zusammen
2.4. Der Industriestandort „Rechtsrheinisch“
2.5. Der Mülheimer Wirtschaftraum boomt
3. Mülheim im Wandel - Deindustrialisierungsprozesse
3.1. Industrie und Stadt im Umbruch
3.2. Auswirkungen der Deindustrialisierung auf Mülheim am Fallbeispiel KHD und der Stadt Köln
3.3. Struktureller Wandel als Impuls für städtische Planungen
3.4. Zusammenfassung
4. Der Zeitraum seit 1990
4.1. Rechtsrheinische Stadtentwicklung aus Planersicht
4.2. Beispiele der Umnutzung und Inwertsetzung disponibler Altstandorte - das Böcking-Gelände
4.2.1. Flächenrecycling - Eine Einführung
4.2.2. Brachflächen als Element der Stadtentwicklung
4.2.3. Altstandorte als Ausdruck des wirtschaftlichen Strukturwandels
4.2.4. Disponible Altstandorte als städtisches Entwicklungspotential: Strukturpolitische Chancen
4.2.5. Flächenrecycling als raumwirksame Interaktion am Beispiel des ehemaligen Böcking-Geländes
4.2.6 Die Biographie des Flächenrecyclings - eine Analyse der raumrelevanten Entscheidungsprozesse
4.3. Von der Kabelfabrik zum Medienzentrum - Die Schanzenstraße
5. Zukunft des Rechtsrheinischen
5.1 REK
5.2. Mülheim 2020
5.3. Perspektiven für Mülheim-Süd
5.4. Die Soziale Stadt
6. Asymmetrische Großstädte am Fluss - Ein Vergleich
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
Ich bedanke mich recht herzlich bei den Menschen, die mich während der Erstellung der vorliegenden Arbeit so tapfer unterstützt haben
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit der vorliegenden Arbeit von der umständlichen Schreibweise "-Innen" oder der Verwendung von Schrägstrichen nach dem Muster „der/die Einwohner/In“ abgesehen. Jeder Begriff bezieht sich grundsätzlich auf beide Geschlechter. Ich bitte die Leser freundlich, hieran keinen Anstoß zu nehmen
BbauG Bundesbaugesetz
BIMS Bürgerinitiative Mühlheimer Sanierung
BQN Berufliches Qualifizierungsnetzwerk
CFK Chemische Fabrik Kalk
EERI Entwicklungskonzept erweiterter rechtsrheinischer Innenstadtbereich
EFRE Europäische Fonds für regionale Entwicklung
F&G Felten und Guilleaume
IBA Internationale Bauausstellung
IGS Internationale Gartenschau
KHD Klöckner-Humboldt-Deutz
REK Rechtsrheinisches Entwicklungskonzept Teilraum Nord
StBauFG Städtebauförderungsgesetz
StEA Stadtentwicklungsausschuss
Abb. 1: Eigene Darstellung (Auswahl) Stadtteilprofil
Abb. 2: Programmgebiet Mülheim 2020
Abb. 3: Der Hamburger Süden
Abb. 4: Eigene Darstellung (Auswahl) Stadtteilprofil Wilhelmsburg
Neuanfang und Aufbruch
Der rechtsrheinische Kölner Kernraum mit Deutz und den umgebenden Stadtteilen, vor allem Mülheim, Kalk, Humboldt-Gremberg, stellte fast 150 Jahre lang den größten gewerblich-industriell geprägten Verflechtungsraum innerhalb des Kölner Stadtgebietes dar. Deutlich länger als zum Beispiel das Ehrenfeld/Braunsfel- der Altgewerbegebiet blieben diese gewachsenen Strukturen im Rechtsrheinischen stabil.
In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verlor dieser altindustriell geprägte Kernraum des rechtsrheinischen Köln, zwischen Rhein und Eisenbahnring gelegen, unter den zeitlich parallelen Einwirkungen der Globalisierung und Deregulierung von Absatz- und Beschäftigungsmärkten, der Verschiebung öffentlicher Finanzmittel nach der Vereinigung und zunächst ausbleibender technologischer Innovationen jedoch innerhalb nur eines Jahrzehnts mit einem durchgreifenden Strukturwandel rund 15000 Arbeitsplätze. Der Rückzug der Industrie führte zu einer Rekordarbeitslosigkeit und hinterließ über 160 Hektar Industriebrache (Kölner Amt für Stadtentwicklung und Statistik 2009).
Die vorliegende Arbeit soll den, durch die im Folgenden noch aufzuzeigenden diversen Deindustrialisierungsprozesse hervorgerufenen, Struktur- und Funktionswandel der vergangenen 20-25 Jahre im rechtsrheinischen Kölner Stadtteil Mülheim darstellen, untersuchen und nachvollziehen, sowie Profiteure und Verlierer der einsetzenden Umnutzung disponibler Altstandorte aufzeigen.
Unter Berücksichtigung der Hypothese, dass von der sich besonders am Medienzentrum Schanzenstraße ansiedelnden kreativen Klasse standortbildende Effekte ausgehen ist das Ziel der Arbeit auch, herauszufinden, ob und in welchem Umfang der Stadtteil Mülheim nachhaltigen Nutzen aus der Anwesenheit dieses Zentrums zieht. Weiter soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern die einsetzende Neuinwertsetzung alter Industrieareale als zukunftsorientiert gelten kann. Hauptfragestellung ist also, ob die begonnene Umstrukturierungen des ehemaligen Arbeiterbezirks zur wirtschaftlichen, baulichen, sozialen, symbolischen und vor allem nachhaltigen Aufwertung Köln-Mülheims beitragen Auch wird zu klären sein, ob Kontaktpunkte zwischen der Kreativwirtschaft und der lokal verankerten Ökonomie (Zulieferbeziehungen, einfache Dienstleistungen) und ethnischen Ökonomie bestehen.
Die Begriffe „zukunftsorientiert“ und „nachhaltig“ sollen ein zentraler Bezugspunkt der Arbeit sein, sich hierbei auf den wirtschaftlichen, sozialen, baulichen und symbolischen Aspekt beziehen und verschiedenste Auffassungen von Aufwertung integrieren (Soziale Stadt, Stadterneuerung, Gentrification). Die verschiedenen Dimensionen einer Aufwertung sollen aus der Perspektive diverser Akteursgruppen betrachtet werden.
Auch hinsichtlich der vom Rat der Stadt Köln beschlossenen Handlungskonzepte "Rechtsrheinisches Entwicklungskonzept für den Teilraum Nord" (REK-Nord, siehe Anhang B) und Mülheim 2020 („Wege öffnen - Übergänge schaffen - zusammenwachsen“), welches zum Ziel hat, bestehende Barrieren abzubauen, die Durchlässigkeit zu erhöhen und die lokale Ökonomie am Medienzentrum teilhaben zu lassen und das kreative Potenzial Mülheims zu nutzen, soll dargestellt werden, welche Ursachen, Chancen, Risiken und Potenziale ebensolche stadtgeographischen und wirtschaftlichen Entwicklungsprozesse beinhalten. So haben sich Rat und Verwaltung bereits 1991 mit den tiefgreifenden Veränderungen auseinandergesetzt und der Stadtentwicklungsausschuss (StEA) die Verwaltung beauftragt, die Veränderungen im erweiterten rechtsrheinischen Innenstadtbereich zusammenhängend zu beplanen. (Kölner Amt für Stadtentwicklung und Statistik 2009). Insgesamt umfasst das hier zu untersuchende Plangebiet knapp 7 km2, einschließlich Mülheimer Hafen und ca. 90 ha altindustrielle Flächen im Strukturwandel sowie mehrere Wohnbereiche.
So soll diese Arbeit überdies die "schäl-sick-spezifischen" und generellen Entwicklungsziele Kölner Stadtentwicklungspolitik aufzeigen, sowie deren Umgang und Umsetzung anhand des oben bereits definierten Teilraums. Inwiefern gelingt die stadtverträgliche Bewältigung des Strukturwandels, gelingen Rahmensetzung zur Nutzungsmischung und Nutzungsverdichtung, gelingt eine ausgewogene Gebietsentwicklung, kurzum: gelingt die große Umwalzung von der industriellen Stadt- und Gesellschaftsstruktur hin zur postindustriellen und welche Lösungsansätze für den Strukturwandel bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Entwicklung stehen bereit (strukturerhaltende Maßnahmen, strukturverändernde Ansätze)? Glückt eine zukunftsorientierte Erneuerung des Planungsraums unter Klärung der längerfristigen zukünftigen Nutzungsstrukturen einschließlich einer Inwertsetzung der disponiblen Flächen, die ihre Wiedernutzung unterstützt und beschleunigt?
Abschließen soll diese Arbeit mit einem Ausblick und einem Resümee, inwieweit bzw. wie weit die Um- und Restrukturierungsmaßnahmen der einstigen ökonomischen Basis gediehen sind bzw. welche Entwicklungsleitziele moderner Stadtentwicklungspolitik bezüglich der Herausforderung des sektoralen Wandels in den letzten Jahren umgesetzt werden konnten.
Die heterogene und dichte Bebauung des Stadtteils Mülheim verrät eine rasante Entwicklung und häufige Überprägung (siehe Abbildung 1). Jenseits der Bahn schließen ringsum die Vororte Buchforst, Buchheim, Höhenhaus und Stammheim an. Diese entstanden überwiegend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Genossenschaftssiedlungen und wurden nach dem Krieg durch Geschoss- und bescheidenen Eigenheimbau erweitert (Höhmann 2001:168).
Der Wiener Platz ist zentraler Verkehrsknoten des Viertels. Der einstige Standort des Bahnhofs am Rande von Alt-Mülheim rückte nach der Ostverlegung der Bahntrasse (1910) in die Mitte des Stadtteils und entwickelte sich zum kommerziellen Zentrum. „Hohes Verkehrsaufkommen und die Unwirtlichkeit öden Parkraums ließen den Platz allerdings in den 1980er Jahren eher zum Flucht-, denn zum Mittelpunkt des Bezirks verkommen“ (Höhmann 2001: 168). Daher bleibt abzuwarten, inwiefern die umfangreichen Sanierungsmaßnahmen.
Strukturwandel
Die Veränderung der Wirtschaftsstruktur, d.h. der relativen Gewichte einzelner Sektoren während des Entwicklungsprozesses. Im Entwicklungsprozess nimmt die Bedeutung des primären Sektors im Laufe der Zeit ab, der sekundäre Sektor und tertiäre Sektor (Dienstleistungssektor) nehmen an Bedeutung zu, wobei schließlich der tertiäre Sektor den Industriebereich überflügelt (Drei-Sektoren-Hy- pothese). Vgl. auch sektoraler Strukturwandel, regionaler Strukturwandel, Wachstumstheorie (http://wirtschaftslexikon.gabler.de).
Zukunftsorientiert/Nachhaltigkeit
"Schlage nur so viel Holz ein, wie der Wald verkraften kann! So viel Holz, wie nachwachsen kann!" So formulierte Hans-Karl von Carlowitz 1713 als erster das Prinzip der Nachhaltigkeit in seinem Buch über die Ökonomie der Waldkultur "Sil- vicultura oeconomica" (http://www.bne-portal.de).
Seit den Anfängen des 18. Jahrhunderts hat sich der Begriff der Nachhaltigkeit stark verändert. Im Grundsatz aber ist dieser gleich geblieben und bezeichnet nach wie vor eine Art des Wirtschaftens bei der derzeitige Bedürfnisse befriedigt werden, ohne zukünftigen Generationen die Lebensgrundlagen zu entziehen. Unsere heute Auffassung von Nachhaltigkeit geht auf die so genannte Brund- landt-Kommission der Vereinten Nationen aus dem Jahre 1987 zurück. Auf Grundlage des Brundtlandt-Berichts einigten sich 1992 auf dem Gipfel von Rio de Janeiro 178 Staaten auf ein gemeinsames Leitbild der Menschheit für das 21.
Jahrhundert, die Agenda 21 für nachhaltige Entwicklung. Eine nachhaltige Entwicklung schont die Natur, erhöht die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und sichert sie für die Zukunft, ist gerecht und trägt dazu bei, dass alle Menschen friedlich zusammen leben. (http://www.bne-portal.de)
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung betont zudem, dass „nachhaltige Stadtentwicklung nur gelingen kann, wenn die Dimensionen sozial, wirtschaftlich, ökologisch sowie kulturell und institutionell so zusammenwirken, dass aus dem verantwortlichen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen ein fairer Konsens zwischen den Interessen der heutigen und der künftigen Stadtmenschen erwirkt wird. Stadtentwicklung ist so das Ergebnis von unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzungsansprüchen an den Raum. Eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik versucht, die lokal wirkenden unterschiedlichen Interessen abzuwägen und sie zu einem raumverträglichen und zukunftsfähigen Ausgleich zu führen.“ (bbr.bund.de)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.:1 Eigene Darstellung (Auswahl) Stadtteilprofil Mülheim (www.stadt-koeln.de/ Handlungskonzept Mülheim 2020)
Mülheim hat eine leicht höhere Arbeitslosenquote als das gesamte Kölner Stadtgebiet. Besonders betroffen sind Ausländer und Frauen. Zudem ist eine Verinse- lung festzustellen, d.h. das es bestimmte Gebiete gibt, wie beispielsweise die Keupstraße oder Mülheim Nord in der die Arbeitslosigkeit deutlich höher ist als im Durchschnitt. Mülheim gehört zu den Stadtteilen in Köln mit der höchsten Erwerbslosigkeit bei unter 25-Jährigen. Der Anteil der Ausländer liegt deutlich über dem städtischen Durchschnitt. Die größte Ethnie ist türkischstämmig (www.stadt- koeln.de/ Handlungskonzept Mülheim 2020).
Im Unteruchungsgebiet besuchen deutlich mehr Schüler die Hauptschule als im städtischen Durchschnitt. In der fünften Klasse waren dies im Jahr 2007 13 Prozent der Kölner Schüler, im Programmgebiet Mülheim dagegen 19,9 Prozent und im Programmgebiet Buchforst 31,3 Prozent. Dies wird allgemein auf die schlechteren sprachlichen Voraussetzungen von Migranten, aber auch von deutschen Schülern aus sozial schwächeren Familien und auf eine geringere Unterstützung durch die Eltern in diesen Familien zurückgeführt(www.stadt-koeln.de/ Handlungskonzept Mülheim 2020).
Mülheim ist einer der ärmeren Stadtteile Kölns. Häufig reicht das Erwerbseinkommen nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Im Vergleich zur Gesamtstadt (12,9 Prozent) ist der Anteil der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in den Programmgebieten Mülheim (22,7 Prozent) und Buchforst (24,0 Prozent) nahezu doppelt so hoch (www.stadt-koeln.de/ Handlungskonzept Mülheim 2020).
Die Entwicklung Mülheims war während seiner gesamten Geschichte immer eng mit jener Kölns verbunden und gleichzeitig, oder gerade deswegen, ganz anders. Als Antagonist am gegenüberliegenden Rheinufer stand die Bergische Stadt stets in Konkurrenz zum weitaus mächtigeren Köln, das im Verlauf der Jahrhunderte keine Mühen scheute, Mülheims Wachstum zu begrenzen (Knupp 2004: 141).
Erst die Zeit der Früh- und Hochindustrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert bot die langersehnte Chance des wirtschaftlichen Aufschwungs - Stagnation und Machtverlust Kölns ausnutzend. So verzehnfachte sich die Einwohnerzahl Mülheims beinahe von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Jahrtausendwende. Die Folgen dieser stürmischen Entwicklung prägen die bauliche wie die soziale Struktur des Stadtteils bis heute (Knupp 2004: 141).
Mit der Eingemeindung zu Köln 1914 wurde die Stadt Mülheim gleichsam von ihrer Geschichte eingeholt. Andererseits war dieser Schritt in funktionaler wie räumlicher Sicht folgerichtig (durch die gleichzeitige Eingemeindung der Gemeinde Merheim gehörte ab diesem Zeitpunkt das gesamte Hinterland Mülheims zu Köln; Knupp 2004).
Eine erste urkundliche Erwähnung fand „Mulenheym“ im Jahre 1098. Der Siedlungsplatz ist aber wahrscheinlich wesentlich älter und wird als Wohnort der ubier vor ihrer Umsiedlung auf die linke Rheinseite 38 v. Chr. vermutet (Bendel 1913: 5; Zuccalmaglio 1846: 6). Der Name deutet auf die Mühlen hin, welche bis Anfang des 20. Jahrhunderts am Strunderbach betrieben wurden (Knupp 2004), der etwa 100 m weiter südlich in den Rhein mündet (heute nicht mehr zu sehen, aber am Namen Bachstraße zu erkennen). Auf eine fränkische Gründung im frühen Mittelalter deutet die Endung -heim, wie sie auch in Buchheim, Merheim oder Ostheim zu finden ist.
Im Jahre 1322 verleiht Graf Adolf VI. von Berg dem Ort die besonderen Rechte einer „Freiheit“. Neben Abgaben- und Dienstfreiheit erhielt Mülheim damit das Recht, Münzen zu prägen (daran erinnert heute die Münzstraße) und Gericht zu halten und somit wichtige, auch wirtschaftliche Entscheidungen selbst zu fällen. Andererseits war es darin auf mehrfacher Weise eingeschränkt: In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts war Mülheim zum Schutze seiner Bewohner befestigt worden. Dadurch mit ausgelöst kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Köln und Berg, an deren Ende ein Vergleich zugunsten Kölns stand. Darin gab Adolf V. das Versprechen ab, die Festungen zwischen Rheindorf (heute Leverkusen) und Zündorf zu schleifen und keinerlei weitere Festungen oder Schlösser zu errichten (Knupp 2004: 142). Die fehlende Befestigung machte Mülheim jedoch als Standort für den Handel äußerst unsicher (Plünderungen zum Beispiel 1399 und 1583), obgleich es durch seine Lage am Zusammentreffen der Fernhandelswegeaus dem Bergischen dazu sehr gut geeignet gewesen wäre.
Aber auch intern wurde der Ort bisweilen stiefmütterlich behandelt. So vergab der Graf die Fährgerechtsame, also das Recht, eine Fähre über den Rhein zu betreiben, im Jahr 1268 an das Kloster Altenberg. In der Folge ging Mülheim eine sehr ertragreiche Einnahmequelle verloren, da die Fähre den wichtigsten Übergang über den Rhein von Köln nach Osten darstellte (Bendel 1913).
So blieb Mülheim über die Jahrhunderte ein kleiner Ort mit ca. 300 Einwohnern (DEETERS 1993: 42), der sich im Wesentlichen auf die heutige Mülheimer Freiheit und ihre Nebengassen beschränkte und dessen ökonomische Aktivitäten überwiegend durch den Lokalhandel zwischen Köln und dem Bergischen Land, die Landwirtschaft und einige Handwerke (Fassbinder, Müller, Weber und Lohgerber) geprägt war (REIBERG 1981: 55). Wiederholte Versuche des Ausbaus und der Befestigung (1255-1286, um 1288, 1414-1417, 1588, 1612-1615, 1637-1641) schlugen allesamt fehl, wurden meist auf Betreiben Kölns rückgängig gemacht. Um 1610 siedelten, ausgelöst durch Beschränkungen und Verfolgungen, etliche protestantische Kaufleute aus Köln nach Mülheim über. Angeregt durch den sich abzeichnenden Aufschwung, wurde ein Plan für eine umfangreiche Erweiterung und Befestigung Mülheims entworfen und im In- und Ausland (Texte in deutscher, französischer und niederländischer Sprache) um neue Siedler geworben (Knupp 2004: 143).
Die Bauarbeiten an dieser frühbarocken planstadt, deren Straßennetz in einigen punkten allerdings den örtlichen Gegebenheiten angepasst werden musste, liefen zügig an. Die Erweiterung von 1588/1589 hatte Mülheim schon von ca. 3,5 ha auf rund 13-19 ha vergrößert. Die nun geplante Stadt hatte eine Fläche von etwa 120 ha und hätte damit ca. 10000 Einwohnern Platz geboten. Das war Köln, mit rund 40000 Einwohnern auf gut 400 ha immer noch deutlich größer, entschieden zu viel. Die freie Reichsstadt setzte alle diplomatischen Hebel in Bewegung, klagte beim Kollegium der Kurfürsten, bei Kaiser Matthias und beim papst gegen die Erweiterung Mülheims - schließlich sei der Ort eine Zufluchtsstätte für Ketzer (Knupp 2004: 143).
Ausgehend von dem Vergleich von 1286 erhielt Köln in drei Urteilen Recht. Als Friedensangebot ließ der Pfalzgraf am 5.3.1614 eine Bresche in die Festungsanlagen schlagen. Schließlich unterwarf er sich dem kaiserlichen Befehl und veranlasste die Schleifung der Befestigung im September 1614. Köln war damit jedoch nicht zufrieden, denn noch bestand die Konkurrenz der protestantischen Händler. Unter dem Schutz eines spanischen Truppenkontingents unternahmen rund 600 Kölner Handwerker vom 30.9.1615 bis 3.10.1615 den Abbruch sämtlicher Häuser in Neu-Mülheim - nach einer Auflistung Kölns immerhin 156 (Bendel 1913; Dee- ters 1993; Mühlberg 1976).
Hundert Jahre später, 1714, hatten sich die Machtverhältnisse geändert, nicht jedoch die politischen und wirtschaftlichen Ziele. Wieder litten protestanten in Köln unter Repressalien und wieder fanden sie Zuflucht in Mülheim. Das merkantilistisch orientierte Herzogtum Jülich-Berg gewährte ihnen umfangreiche Privilegien (Steuerfreiheit, Handelsfreiheit, Schutz vor Köln) und legte so den Grundstein für die Entwicklung Mülheims zum Industriestandort. Insbesondere das Textilgewerbe prägte den Aufstieg der Stadt, allen voran die Seidenmanufakturen Andreae und Steinkauler (Knupp 2004: 243).
Wirtschaftliches und gesellschaftliches Zentrum des Ortes war und blieb die Mülheimer Freiheit, an der jedoch zahlreiche neue Häuser im Stil des Barock entstanden , darunter auch die zwischen 1692 und 1720 unter Verwendung eines Vorgängerbaus aus dem 12. Jahrhundert erneuerte Kirche St. Clemens und die sie umgebenden Gebäude direkt südlich des Standortes (1752-73). Auch die Manufakturen befanden sich in der Freiheit, daneben in der parallel verlaufenden Wallstraße. „Schmutzige“ Gewerbe wie Gerbereien lagen charakteristischerweise in der Nähe des Rheinufers; nach Reiberg (1981) wurde das Ufer als Müllabladeplatz benutzt, am Kohlplatz (seit dem 18. Jahrhundert Anlieferung und Lagerung der Kohlen aus dem Ruhrgebiet) befand sich das Armenhaus - Mülheim hatte sich vom Fluss abgewandt.
Heute sind Mülheims natürliche Stadtgrenzen in Richtung Deutz und Kalk schwierig auszumachen. Die mittelalterlichen Orte dehnten sich im Laufe der Zeit aus, sodass eine zusammenhängende Stadt entstand. Dieses Kapitel gibt einen kurzen Einblick im Rahmen der allgemeinen Entwicklung der Siedlungsflächen zwischen 1800 und 1870 in Mülheim.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderte sich Mülheims Zugehörigkeit zu verschiedenen Verwaltungsbezirken, was aufgrund der unterschiedlichen Gesetze und Richtlinien einen starken Einfluss auf die Siedlungsentwicklung Mülheims hatte. Um 1800 gehörte die Freiheit Mülheim zum Gebiet des Herzogtums Berg. 1808 fiel der komplette rechtsrheinische Teil an Frankreich ab und es entstanden neue Verwaltungsbezirke, unter anderem auch der Verwaltungsbezirk Mülheim. In der preußischen Zeit von 1815 bis 1888 unterstand Mülheim dem Landkreis Mülheim (Aders 1996: 35).
Anfang des 19. Jahrhunderts fiel der Besitz der meisten geistlichen Fürsten, Stifte, Abteien und Klöster an den Staat, das Herzogtum Berg. In den nächsten Jahrzehnten wurden viele Ländereien und Höfe verpachtet, sodass viele Bürger zu Landbesitz, Baugrund und damit auch Spekulationsgrund kamen (ADERS 1996: 36).
Um 1800 war die Landschaft zwischen dem Rhein und dem Königsforst noch kaum besiedelt. Die Einwohnerzahl pro Hektar belief sich in Mülheim auf 1 EW/ha. Im Vergleich dazu waren es 1990 28,4 EW/ha. Die gesamte Einwohnerzahl um 1800 betrug ca. 5200 Einwohner. Aufgrund der beginnenden Industrialisierung in den Jahrzehnten darauf stieg die Zahl recht schnell an, sodass sie 1871 auf über 13000 gestiegen war.
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts unterschieden sich die einzelnen Gehöfte, was Größe und Art betrifft, in Mülheim erheblich voneinander. Es gab große Pachthöfe, meist in kirchlichem Besitz, aber auch kleinere Anwesen, sogenannte „Steckgehöfte“ (Becker 1980: 55f).
Aufgrund der Zunahme der Bevölkerung in den Jahrzehnten darauf, nahm die Zahl der Wohnhäuser zu. Doch die Neubauten konnten den Bedarf nicht decken, was zu einer Steigerung der Mietpreise führte. Schwerpunkt der Neubebauung wurde der Süden Mülheims. Richtung Osten dehnte sich Mülheim bis zu den Bahnlinien aus. Bauamtliche Bestimmungen und Gesetze gab es zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht. Die ersten Bestimmungen wurden 1807 in Düsseldorf durch eine Baukommission verabschiedet. Es dauerte aber noch einige Jahrzehnte bis man die Bestimmungen durchsetzte.
Zu den alteingesessenen Textilindustrien vor Ort kamen im Laufe des Jahrhunderts einige neue Gewerbe hinzu, u.a. eine Gerberei, eine Eisenhütte, eine Bleiweißfabrik und eine Gasmotorenfabrik. Trotz dieser Entwicklungen kann man Mülheim um 1870 noch nicht als Industriestandort bezeichnen (Bendel 1913: 419ff). Mülheim war zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Gemüse und Baumgärten umgeben, welche wiederum durch Hecken und kleine Wege von der großen Ackerflur abgegrenzt wurden. Der Grundriss der Siedlung lässt erkennen, dass diese weitgehend ungeplant war und sich langsam in den darauffolgenden Jahrzehnten entwickelt hat. T rotz der Ungeplantheit lagen viele Häuser an der „Hauptstraße“. Mülheim hatte den Vorteil, dass es am Knotenpunkt einer großen Landstraße lag, die damals die kürzeste Verbindung zwischen zwei Orten darstellten. In Mülheim hieß sie Reichsstraße oder Holländische Straße. Auch der Ausbau des Porzer Postwegs 1764 hatte große wirtschaftliche Auswirkungen auf Mülheim, da aufgrund der Straße die Umgehung des Kölner Stapels möglich wurde und viele Schiffe in Mülheim gelöscht wurden um mit Spediteuren über den Landweg nach Zündorf gebracht zu werden und dort wiederum auf Schiffe beladen zu werden.
Bis zur Erfindung des Kunstdüngers um 1850 dominierte die Dreifelderwirtschaft die Flächennutzung um Mülheim, das heißt jede Parzelle wurde in einer dreijährigen Abfolge bewirtschaftet. Große Acker und Weideflächen nach heutigem Standard erfordern den Einsatz großer Landmaschinen. Neben den Acker und Weideflächen gab es die Allmende, das in Allgemeinbesitz befindliche Land. Das waren hauptsächlich gemeinschaftlich genutzte Weideflächen, Waldungen und Wege, Teiche Brunnen etc.
Als Folge der Beschlüsse des Wiener Kongresses wurde 1815 das rechtsrheinische Gebiet dem preußischen Staat übertragen. Mit dem „Besitzergreifungspatent“ vom 5. April 1815 übernahm der preußische König Friedrich Wilhelm III. offiziell die Herrschaft in den Rheinlanden, das rechts- und linksrheinische Gebiet gehörten nun einem Staatsverband an (Pohl & Mölich 1994: 32). Somit kamen Köln und die rechtsrheinischen Gebiete als Teile der Rheinprovinz verwaltungstechnisch erstmals unter ein Dach. Die Hoffnungen der Stadt Köln, ihren Status als Freie Reichsstadt mit allen wirtschaftlichen Privilegien zurückzuerhalten, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil, durch die 1831 zwischen Preußen und Holland abgeschlossene Rheinschifffahrtsakte wurde der Kölner Stapel endgültig beseitigt. Der Vertrag garantierte eine freie Rheinschifffahrt, was vor allem auf den Mülheimer Wirtschaftsraum positive Auswirkungen hatte. Somit verlor die Stadt Köln ihre wirtschaftliche Sonderstellung (Pohl & Mölich 1994: 33).
Weitaus einschneidendere Auswirkungen als die rechtliche Gleichstellung hatte für den rechtsrheinischen Wirtschaftraum, wie bereits angedeutet, die hier seit Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende sogenannte industrielle Revolution.
„Die Industrialisierung veränderte nicht nur grundlegend das Leben und Arbeiten der Menschen und das Jahrhunderte alte Sozialgefüge, sondern auch die Strukturen und das Aussehen der rechtsrheinischen Gebiete. Kleine Dörfer entwickelten sich zu großen Industrieorten, völlig neue Siedlungen entstanden und überflügelten in Größe und Bedeutung seit dem Mittelalter existierende Dörfer, und mehrere Ortschaften mit eigener Geschichte wuchsen allmählich zu neuen Orten zusammen“ (Pohl & Mölich 1994: 33).
Erstmals wurde das spätere rechtsrheinische Stadtgebiet als ein einigermaßen zusammenhängendes Gebilde erkennbar, auch wenn seine Grenzen noch nicht exakt umrissen waren. Weiter rückten das linksrheinische Köln und der rechtsrheinische Siedlungs- und Wirtschaftsraum enger zusammen. Gründe waren wirtschaftliche Verflechtungen und die Abhängigkeit von den gleichen Verkehrswegen, vor allem dem Rhein und der Eisenbahn (Pohl & Mölich 1994: 33).
Die ersten Industriegründungen fanden allerdings zunächst in der Stadt Köln statt, welche als Standort wegen der bereits existierenden Handwerkerschaft und der Vorteile in der geistigen und technischen Entwicklung, die aus der Tradition der Großstadt entsprangen, sowie des vorhandenen Kapitals begünstigt war. Doch schnell änderte sich der Raum, und außerhalb des Kölner Stadtgebiets entstanden ausgedehnte Industrieansiedlungen, welche die innerstädtischen Industriebetriebe sehr bald überflügelten. Neben den linksrheinischen Vororten Ehrenfeld und Nippes wurde für viele Unternehmen auch das rechtsrheinische Gebiet zunehmend attraktiv. Die Gründe dafür waren verschieden.
„In der Stadt Köln herrschte seit der Bebauung der meisten freien Flächen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts akuter Raummangel. Die hier gegründeten Betriebe fanden keine Grundstücke mehr, um weiter zu expandieren, so dass sie sich vor den Toren der Stadt beziehungsweise jenseits des Rheins ansiedeln mussten. Einer Ausdehnung der Stadt stand die Mittelalterliche Stadtmauer im Weg, deren Niederlegung erst 1881 begann. Darüber hinaus hatten die Preußen Köln zur Garnisonsstadt gemacht und diese mit einem Festungsgürtel, der aus Forts und Wällen bestand, umgeben. Für ein bestimmtes Gebiet vor den Anlagen, Rayon genannt, galten Bauverbote oder -beschränkungen, die ein freies Schussfeld garantieren sollten“ (Pohl & Mölich 1994: 34). Folglich konnte sich auch in unmittelbarer Nähe zur Stadt keine Industrie niederlassen. Auch für Deutz, das 1815 ebenfalls Garnisonsstandort geworden und von Verteidigungsanlagen umgeben wurde, galten diese Bestimmungen.
„Einen entscheidenden Vorteil für die Wahl des rechtsrheinischen Raumes als Industriestandort stellten die günstigen Grundstückspreise dar“ (Pohl & Mölich 1994: 34). Diese hatten ihre Ursache im für den Ackerbau minderwertigen Heideboden, welcher primär zur Viehwirtschaft genutzt wurde. Dagegen konnten auf dem fruchtbaren Lößboden im Linksrheinischen intensive und ertragreiche landwirtschaftliche Kulturen angebaut werden. Als förderlich für die Standortwahl von Fabrikationsanlagen im Rechtsrheinischen erwies sich zudem auch die Nähe zu den Erzvorkommen im Bergischen Land (Pohl & Mölich 1994: 34).
Ein weiterer Vorteil für den rechtsrheinischen Raum ging insbesondere vom Mülheimer Gewerbe aus, das sich im Gegensatz zu Köln schon frühzeitig fortschrittlicheren Produktionsformen zugewandt hatte. Dabei profitierten Mülheim und Umgebung, wie bereits in Kapitel 2.1. erwähnt, im 18.Jahrhundert von der konservativen Wirtschaftspolitik Kölns, welche durch den Vorrang des Handels und des Handwerks, sowie der Zunftverfassung geprägt war. Infolgedessen wurde Mülheim, wo modernen Betriebsformen und Arbeitsmethoden keine Hindernisse in den Weg gelegt wurden, ein bevorzugter Standort für innovative Unternehmer. Dies führte unter anderem dazu, dass sich die bergische Stadt zu einer der führenden rheinischen Textilstädte entwickeln konnte. Die in Kapitel 2.1. schon ausführlich angesprochene religiöse Intoleranz Kölns vieler evangelischer Gewerbetreibender gegenüber, führte zu einer weiteren Stärkung der Mülheimer Wirtschaftskraft (Pohl & Mölich 1994: 35).
So waren „die ersten im Rechtsrheinischen ansässigen Industrieunternehmen vor allem in den Bereichen Textilherstellung, Tabakfabrikation, Brauereiwesen und Papierherstellung tätig“ (Pohl & Mölich 1994: 35). Ferner kamen seit Mitte des 19. Jahrhunderts und besonders während der 1870er Jahre chemische und metallverarbeitende Industriezweige dazu und verdrängten die angestammten Gewerbe. Es entstanden Farbenfabriken. Fabriken zur Herstellung von Drahtseilen und Kabeln (F&G), zur Metallverarbeitung, zur Motorenfabrikation und für den Waggonbau. Kerngebiete dieser Industrialisierung auf heutigem rechtsrheinischen Stadtgebiet waren neben Mülheim auch Kalk, Porz und in geringerem Umfang und zeitlich etwas später Dellbrück (Pohl & Mölich, 1994: 35).
Ein typisches Beispiel für die Entstehung und Entwicklung eines Mülheimer Unternehmens stellt die bereits erwähnte Firma Andreae dar. Im 17. Jahrhundert durch den Protestanten christoph Andreae in Köln gegründet, siedelte die Samt- und Seidenfabrikation zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Mülheim um. „Hier konnte das Unternehmen seine Produktion nach rationellen Gesichtspunkten ständig weiter ausbauen. 1860 begann man mit dem Aufbau einer Taftbandfabrik an der Wallstraße, die erstmalig in Deutschland die Dampfkraft für die Bandherstellung nutzte. Um 1870, während der Hochkonjunktur für das deutsche Seiden- und Samtgeschäft, kam eine moderne Fabrikationsanlage zur Samtherstellung hinzu. [...] Die Firma Christoph Andreae, die im In- und Ausland Filialunternehmen betrieb, zählte zu den wichtigsten Arbeitgebern im Rechtsrheinischen“ (Pohl & Mölich 1994: 36).
Auch aus Köln stammte ursprünglich das zweite für die Mülheimer Wirtschaft wegweisende Unternehmen: Felten & Guilleaume. Das Unternehmen geht auf einen Kölner Seilerbetrieb aus der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts zurück, der dann 1826 unter dem Namen Felten & Guilleaume firmierte. 1828 begann man hier mit der Herstellung von Drahtseilen für Bergbau, Schifffahrt und Eisenindustrie, 1868 mit der Produktion von Telegraphenkabeln. Schon bald konnten die Fabrikanlagen in Köln nicht weiter ausgedehnt werden, so dass ab 1874 das „Carlswerk“ in Mülheim errichtet wurde. Bis zum Jahr 1879 wurden alle Produktionszweige der Metallverarbeitung, auch die seit 1845 bei Wahn ansässigen anlagen zur Herstellung von Draht- und Telegraphenseilen, in Mülheim untergebracht (Pohl & Mölich 1994: 37). In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Produktionspalette um Fernsprech- und Starkstromkabel erweitert, was eine rasante Erweiterung des Carlswerks erforderlich machte. So stieg die Zahl de Beschäftigten zwischen 1874 und 1913 von 150 auf 6500 an. Zweigbetriebe gab es außerdem in Wien und Budapest (Pohl & Mölich 1994: 37).
Neben dem Carlswerk existierten in Mülheim noch weitere Betriebe der Metallverarbeitung, so die 1869 gegründete Maschinenfabrik und Eisengießerei Eulenberg, Mönting & Co, welche unter anderem Apparate für die chemische Industrie und Kühlanlagen herstellte, und die Firma „Mülheimer Drahtindustrie Schüller & Kölle“ (Pohl & Mölich 1994: 37).
Bedeutung erlangten im Mülheimer Wirtschaftsraum überdies auch die Paulinen- hütte von C. W. Kayser, die kupferhaltige Rückstände auf Kupfer und Kupferverbindungen, wie Bronze, Rotguss und Messing, verhüttete. Die seit 1851 in Mülheim ansässige Firma Lindgens & Söhne entwickelte sich ab 1871 zu einem der bedeutendsten Chemieunternehmen in der Region und zählte zu den ersten Produzenten der Welt von neuartigen Weißfarben, den sogenannten Lithoponen (Pohl & Mölich 1994: 37). 1873 nahm die „Aktiengesellschaft Chemische Fabriken Columbia“ die Produktion von Schwefelsäure auf. Auf die Erdfarbenherstellung spezialisierte sich die 1876 gegründete Firma Dr. Koll & Spitz. Der Verwertung von Steinkohlenteer, der vor allem aus der Mülheimer Gasanstalt stammte, hatte sich seit 1872 die Firma Hartmann & Lucke zugewandt. Im pharmazeutischen Bereich waren seit Ende des 19. Jahrhunderts die Troponwerke Dinklage & Co tätig. Die damalige Vielfältigkeit der Mülheimer Industrie belegt auch die Großbäckerei J. Müller, welche 1913 täglich über 10000 Brote erzeugte und deren Absatzgebiet von Leverkusen bis Siegburg reichte (Pohl & Mölich 1994: 37).
Abschließend zur Mülheimer Industrieentwicklung muss noch ein Unternehmen Erwähnung finden, das zwar in seinem Firmennamen den Ortsnamen „Deutz“ führte, aber zu einem Großteil auf Mülheimer Gebiet lag: die „Gasmotorenfabrik Deutz AG“. Sie ging auf eine Motorenfabrik zurück, die Nikolaus August otto und Eugen Langen 1864 in Köln gegründet hatten. Sie siedelte 1872 auf die rechte Rheinseite um, vier Jahre später wurden hier die ersten Viertakt-Gasmotoren gebaut. 1907 begann man dann mit der Herstellung von Diesel-Motoren. 1930 kam es dann zur Fusion mit der Kalker Maschinenbauanstalt Humboldt AG (Pohl & Mölich 1994: 37).
Der wirtschaftliche Aufschwung Mülheims führte neben Wachstum auch zur inneren Differenzierung des Stadtgebiets. Zwischen 1850 und 1914 wuchs die Bevölkerung von 6000 auf 54000. Nach heftigen politischen Diskussionen wurde 1914 schließlich die, schon in der Einführung angesprochene, Eingemeindung zu Köln beschlossen. „Wahrzeichen - und Motiv - für die Preisgabe der Selbstständigkeit wurde die Mülheimer Brücke (1929). Ihr Bau verbesserte die Verkehrssituation des Stadtteils, die östliche Brückenrampe zerschnitt jedoch AltMülheim und rückte es ins Abseits. Das frühere Geschäftszentrum verlagerte sich vom Bereich Mülheimer Freiheit/Buchheimer Straße zur Frankfurter Straße (Höhmann 2001: 168).
Nun lag der Schwerpunkt der Siedlungsentwicklung außerhalb der ehemaligen Eisenbahntrasse. Während um die Frankfurter Straße und den neu angelegten Stadtgarten vornehme großbürgerliche Wohnhäuser entstanden, blieb der Norden Mülheims durch die Großindustrie geprägt.
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