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Bachelorarbeit, 2022
38 Seiten, Note: 1,3
Abkürzungsverzeichnis / Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Relevanz
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Was ist der Flipped Classroom?
2.1 Das Konzept flipped Classroom
2.2 Didaktischer Ansatz und Ziele des Flipped Classroom
3 Umsetzung in der Schule
3.1 Der geflippte Fremdsprachenunterricht
3.2 Flipped Classroom im Physikunterricht
3.3 Zusammenfassung und weitere Forschungsergebnisse
4 Abgrenzung der Berufsschule von der allgemeinbildenden Schule
4.1 Lernfeldkonzept
4.2 Heterogenität
4.3 Chancen und Herausforderungen des Einsatzes von Flipped Classroom in der Berufsschule
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Schülerinnen und Schüler SuS
Auszubildende Azubis
berufliche Handlungskompetenz BHK
Kultusministerkonferenz KMK
Abbildung 1: Anzahl veröffentlichter wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema „Flipped Classroom"
Abbildung 2: Flipped Classroom
Abbildung 3: Blooom’sche Taxonomie
Abbildung 4: Umgedrehte Bloom'sche Taxonomie
Abbildung 5: Streuung der Bildungsabschlüsse in ausgewählten Ausbildungsberufen (in %)
Nicht zuletzt durch die Corona-Krise erfährt der Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht ein großes Wachstum. Doch eine besondere Anwendungsmöglichkeit wurde vielen Lehrerinnen und Lehrern1 durch die pandemiebedingten Schulschließungen quasi aufgezwungen. Den Einsatz von Digitalen Medien für die Inhaltsvermittlung, mit welchen die Schülerinnen und Schüler (SuS) sich die Fachinhalte von zuhause selbst aneignen. Die Auslagerung der Inhaltsvermittlung aus dem Unterricht in die Heimarbeit, unter Zuhilfenahme digitaler Medien, wurde jedoch schon vor der Corona-Pandemie in der schulischen und hochschulischen Lehre praktiziert und in Kombination mit einem schülerzentrierten und anwendungsorientierten Unterricht in der Präsenzphase spricht man vom sog. „Flipped Classroom“, also einem „umgedrehten Klassenzimmer“. Die Idee dafür entstand schon Anfang der 2000er2, jedoch begann der Aufstieg des Flipped Classroom als Forschungsgebiet nach der Veröffentlichung des Buches „Flip your Classroom“ zweier Amerikanischen High-School Lehrer im Jahr 2012, einer rasant steigenden Beliebtheit, wie die Anzahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten ab diesem Zeitpunkt zeigt.
Abb. 1: Anzahl veröffentlichter wissenschaftlicher Arbeiten zum Thema „Flipped Classroom“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: eigene Darstellung mit Daten aus Webofscience.com mit dem Suchbegriff „Flipped Classroom“ Stand 06.07.2022)
Aus der Tatsache heraus, dass an der Sportbegeisterten High-School viele SuS durch Sportwettkämpfe den Unterricht verpassten, stellten die beiden Chemielehrer Online-Lernvideos zur Verfügung, mit denen die SuS die versäumten Unterrichtsinhalte nachholten. Diese Videos erfreuten sich großer Beliebtheit und die Lehrer begannen damit, die Inhaltsvermittlung gänzlich aus dem Unterricht in die Heimarbeit zu verlegen, um somit mehr Unterrichtszeit für die aktive Anwendung der Inhalte investieren zu können.
Trotz der zahlreichen, auch im deutschsprachigen Raum, durchgeführten Studien und wissenschaftlichen Arbeiten zum Einsatz des Flipped Classroom an Schulen, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, wurde eine Schulform bisher kaum berücksichtigt. Obwohl die Teilzeit Berufsschule mit knapp 1,4 Millionen SuS einen signifikanten Anteil der SuS in Deutschland unterrichtet3, findet diese Schulform bisher kaum Beachtung im Hinblick auf den Einsatz des Flipped Classroom.
Die SuS die hier unterrichtet werden, sind Auszubildende (Azubis) und das Ziel der Berufsschule ist es, den SuS neben den nötigen Fachkompetenzen auch Sozial- und Selbstkompetenzen zu vermitteln. Diese Kompetenzen sind wichtig, damit sie für zukünftige Anforderung an die sich ständig weiterentwickelnde Weltwirtschaft ein breit aufgestelltes Repertoire an Kompetenzen und Fähigkeiten aufweisen, um auch in sich ändernden Berufsbildern beschäftigungsfähig zu bleiben.4
Da aus dem generellen Ansatz des Konzepts und der Forschung zum Flipped Classroom an allgemeinbildenden Schulen hervorgeht, dass neben Fachkompetenzen durch die Lernvideos auch Sozialkompetenzen durch die Gruppenarbeit und Selbstkompetenzen durch das eigenverantwortliche Lernen gefördert werden können, ist es naheliegend, die Chancen und Herausforderungen des Einsatzes des Flipped Classroom an der Berufsschule zu erforschen. Mit dieser Arbeit soll daher die Frage beantwortet werden, welche Chancen und Herausforderungen sich aus dem Übertrag der Erkenntnisse des Flipped Classroom von der allgemeinbildenden Schule auf die Berufsschule ergeben können. Der Aufbau der Arbeit wird im folgenden Kapitel weiter ausgeführt.
Um die Chancen und Herausforderungen erarbeiten zu können, die der Einsatz des Flipped Classroom an der Berufsschule mit sich bringen kann, gilt es zunächst zu klären, was der Flipped Classroom überhaupt ist. In den ersten Kapiteln dieser Arbeit wird die Begrifflichkeit des Flipped Classroom geklärt und auf den Grundgedanken und die Herkunft eingegangen, so werden die ersten Erwähnungen erfasst und auf die Idee von Bergmann und Sams eingegangen, die sie in ihrem Buch „Flip your Classroom“ 2012 vorgestellt haben. Anschließend wird eine Basisform bzw. ein kleinster gemeinsamer Nenner herausgearbeitet, auf der die vielen verschieden gestalteten Flipped Classroom Ansätze beruhen und diese Basisform lerntheoretisch verordnet. Nachdem die Grundlagen erläutert sind, werden zwei Anwendungsbeispiele aus der gymnasialen Oberstufe vorgestellt. Es wurden Beispiele aus der gymnasialen Oberstufe gewählt, da diese sich, ebenso wie die Berufsschule, dem Sekundarbereich II zuordnen lässt.5Anhand dieser Beispiele und unter Einbezug weiterer Forschungsergebnisse werden Vor- und Nachteile des Einsatzes des Flipped Classroom an der allgemeinbildenden Schule herausgearbeitet.
Nachdem die Erkenntnisse zum Einsatz des Flipped Classroom an der allgemeinbildenden Schule erarbeitet wurden, wird eine Abgrenzung der Berufsschule von der allgemeinbildenden Schule vorgenommen und die größten strukturellen und soziodemografischen Unterschiede, das Lernfeldkonzept und die Heterogenität der SuS, herausgearbeitet. Auf diese Charakteristika wird vertiefend eingegangen und im letzten Kapitel des Hauptteils werden die Besonderheiten der Berufsschule mit den Erkenntnissen des Einsatzes des Flipped Classroom an der allgemeinbildenden Schule betrachtet, um die Forschungsfrage zu beantworten. Im Fazit werden die wichtigsten Aussagen dieser Arbeit zusammengefasst, die Arbeit kritisch gewürdigt und ein Ausblick auf weitere Forschungsfelder in Bezug auf den Einsatz des Flipped Classroom an der Berufsschule gegeben.
Die Ursprünge für den Begriff des Flipped Classroom gehen zurück auf verschiedene Veröffentlichungen zur Hochschullehre aus dem Jahr 2000, in dem Baker bereits von dem „Classroom Flip“ und Lage von „inverting the classroom“ schreibt.6 Nach Lage zeichne sich der Inverted Classroom dadurch aus, dass Tätigkeiten, die zuvor in der Klasse durchgeführt wurden, nun zuhause erledigt werden und umgekehrt.7
An Popularität, in Bezug auf die Allgemeinbildende Schule, gewann das Modell jedoch erst durch Jonathan Bergmann und Aaron Sams, zwei Chemielehrer aus Colorado, USA. Auch wenn es schon vor Bergmann und Sams (Hochschul-)Lehrer gab, die Ansätze dieser Methode genutzt haben, sind es doch die beiden Amerikaner, die mit ihrem Buch „Flip your classroom“ aus dem Jahr 2012 weltweit Bekanntheit unter Lehrenden erlangt haben. Da es keine klare Abgrenzung zwischen den Bezeichnungen „Flipped Classroom“ und „Inverted Classroom“ gibt, wird es im folgenden Synonym als Flipped Classroom bezeichnet.
In den folgenden Kapiteln wird zunächst geklärt, was der Flipped Classroom eigentlich ist und der dahinterliegende didaktische Ansatz und die Ziele des Flipped Classroom werden erläutert bevor anhand zweier Praxisbeispiele aus der Sekundarstufe II die Vor- und Nachteile des Flipped Classroom herausgearbeitet werden, um diese im späteren Verlauf der Arbeit auf die besonderen Anforderungen an der Berufsschule übertragen zu können.
Selbst die führenden Wissenschaftler in Forschung und Anwendung des FC sind sich nicht einig, ob der Flipped Classroom nun eine Methode, ein Szenario, ein Konzept oder eine methodische Großform ist. Da die Einordnung und Klassifizierung des Flipped Classroom nicht das Ziel dieser Arbeit ist, werde ich es in dieser Arbeit als Konzept bezeichnen.
Der Flipped-Classroom ist ein Konzept, in welchem der „klassische“8 Unterricht umgedreht, also „geflippt“ wird. Die Input- und die Arbeitsphase werden getauscht, sodass die SuS von den Lehrenden bereits vor dem Unterricht Lernmaterial zur Verfügung gestellt bekommen und sich die Fachinhalte damit selbstorganisiert zuhause aneignen. Die somit gewonnene Zeit im Unterricht, in der keine lehrerzentrierte Wissensvermittlung mehr stattfindet, kann nun schüleraktivierend gestaltet werden. Die kognitive Aktivierung der SuS, bei der die Eigentätigkeit der Lernenden im Vordergrund steht und diese von der Lehrkraft mit individuell herausfordernden Aufgaben, anregenden Ideen und einem diskussionsfreundlichen Unterricht unterstützt werden, wird von Pädagogen als eine der wichtigsten Merkmale guten Unterrichts angesehen.9 Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass die SuS sich die Fachinhalte in der Inputphase in ihrem eigenen Tempo anschauen, sich einzelne Passagen erneut anschauen oder weitere Informationen nachschlagen sowie individuelle Pausen einlegen können. Außerdem können die SuS in der Arbeitsphase, in der die meiste individuelle Hilfe benötigt wird, durch die Lehrkraft unterstützt werden. Dies beobachtete auch Aaron Sams:
„The time when students really need me physically present is when they get stuck and need my individual help. They don’t need me there in the room with them to yak at them and give them content; they can receive content on their own“.10
Abb. 2: Flipped Classroom
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: übernommen aus: Meier, Christian (2019) o.S.)
Welche Art von Materialien zur Verfügung gestellt wird, ist dem Ermessen der Lehrenden zu überlassen, so müssen es keine digitalen Medien wie Videos oder Podcasts, sondern können auch Arbeitsblätter, Bücher oder Texte sein, jedoch ist der Einsatz von Lernvideos weit verbreitet und naheliegend, denn bereits vor der Corona Pandemie nutzten ca. 73% aller 14-29-Jährigen Lernvideos, um nicht verstandene Fachinhalte nochmals zu wiederholen.11 Doch spätestens seit den pandemiebedingten Schulschließungen haben die meisten Lehrenden und Lernenden intensive Erfahrungen mit digitalen Lehr-Lern-Arrangements gesammelt.
Durch die Vielzahl an Möglichkeiten zur Bereitstellung von Lernmaterialien bis zur Durchführung der schülerzentrierten Unterrichtsstunden gibt es auch eine Vielzahl an verschieden durchgeführten Flipped Classroom Konzepten und keine eindeutige Definition. Es gibt jedoch drei wiederkehrende Elemente, die eine Basis für die verschiedensten Ansätze des Flipped Classroom bilden, die von Abeysekera Dawson herausgestellt werden12:
a. Die Inhaltsvermittlung findet hauptsächlich außerhalb des Unterrichts statt
b. Die Präsenzphase wird aktiv für den Übungs- und Vertiefungsprozess unter Einsatz verschiedener Sozialformen genutzt
c. Die SuS bereiten sich durch Nutzung der zur Verfügung gestellten Materialien vor, um bestmöglich von der aktiven Lernzeit zu profitieren13
Nach der Definition von Blended Learning als Möglichkeit des Lernens, der Kommunikation und des Informations- und Wissenserwerbs unabhängig von Ort und Zeit, kombiniert mit persönlichem Austausch und Interaktion in Präsenzveranstaltungen14, lässt sich das Flipped Classroom Konzept als eine Form des Blended Learnings bezeichnen.
Es gibt noch weitere Abwandlung des Flipped Classroom, wie den „half flipped classroom“ oder den „in class flip“, welche Formen des Flipped Classroom darstellen, bei der bspw. die Lernvideos im Unterricht geschaut, oder andere Kernelemente in abgewandelter Form durchgeführt werden. Im Rahmen dieser Arbeit wird jedoch nur die klassische Form des Flipped Classroom mit seinen Basiselementen betrachtet, um eine größtmögliche Vergleichbarkeit zwischen den Studien und der Theorie gewährleisten zu können.
Das folgende Kapitel wird die Ziele und den didaktischen Ansatz des Flipped Classroom erläutern und diesen lerntheoretisch verordnen, bevor im darauffolgenden Kapitel die Vor- und Nachteile des Flipped Classroom durch zwei Praxisbeispiele und weitere Forschungsergebnisse herausgearbeitet werden. Anhand dieser wird im späteren Verlauf der Arbeit herausgestellt, welche Chancen und Herausforderungen sich aus dem Übertrag des Flipped Classroom von der allgemeinbildenden Schule an die Berufsschule ergeben können.
Im Jahr 1956 veröffentlichte Benjamin S. Bloom in seinem Werk „Taxonomy of Educational Objectives“ die bis heute noch geläufige, nach ihm benannte Bloom’sche Lernzieltaxonomie, nach welcher Lernziele nach verschiedenen Kriterien klassifiziert und eingeordnet werden können. Die Bloom’sche Lernzieltaxonomie besteht aus 6 aufeinander aufbauenden, komplexer werdenden Stufen:
1. Wissen - Methodenwissen, Wissen von Kriterien, Wissen von Verallgemeinerung, Wissen von Theorie und Struktur
2. Verstehen -erste Stufe des Begreifens, Individuum kann Informationen in anderen Worten wiedergeben, Interpretieren und Trends erkennen
3. Anwenden - Individuum kann abstrahieren und von Inhalten/Informationen Gebrauch machen
4. Analysieren - Zerteilen und Identifikation von den Informationen zugrunde liegenden Elementen und Analyse von Beziehungen der Elementen sowie expliziter und impliziter Struktur
5. Erschaffen - Kombination von Teilelementen zu einem Gesamten, damit Muster oder Struktur entsteht, die aus den einzelnen Teilen nicht ersichtbar war
6. Evaluieren - Qualitative und quantitative Urteilsbildung über zur Verfügung stehende Informationen sowie Bewertung nach selbst bestimmten oder fremdbestimmten Kriterien15
Häufig wird Taxonomie auch in Pyramidenform dargestellt und hilft dabei einzuordnen, welche Ziele in dem Unterricht erreicht werden sollen. Die Taxonomie wurde 2002 von einer Gruppe interdisziplinärer Wissenschaftler überarbeitet und unter anderem Stufen „Erschaffen“ und „Evaluieren“ vertauscht, da das Erschaffen von Neuem auf Grundlage der vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten die höchste Komplexität darstelle.16 Die überarbeitete, häufig als Pyramide dargestellte Taxonomie (siehe Abbildung 3) wird von Bergmann und Sams als Grundlage zur Erläuterung ihres Flipped Classroom Konzepts verwendet.
Nachdem Bergmann und Sams in sechs Jahrgängen das Flipped Classroom Konzept erprobt haben und das schülerzentrierte Lernen zu schätzen lernten, stellten sie fest, dass die von ihnen bereitgestellten Lehrvideos sich sehr gut dafür eigneten, die unteren Ebenen des „Wissens“ und „Verstehens“ aus dem Unterricht in die Vorbereitungszeit zuhause zu verlagern und sie somit deutlich mehr Zeit zur Verfügung haben, die SuS beim Erreichen höherer Taxonomiestufen zu unterstützen.17
Abb. 3: Blooom’sche Taxonomie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: übernommen aus: Ulbrich, Heidemarie (2021) S. 7)
Bergmann und Sams implizieren, dass die Größe der Stufe die entsprechende Unterrichtszeit darstellt und haben die Pyramide umgedreht, um ihre Art des Vorgehens im Unterricht darzustellen, in dem die SuS keinen Lehrervortrag mehr hörten, sondern direkt in die Anwendung, Analyse, Bewertung und das Erschaffen neuer Inhalte einstiegen.18 (siehe Abbildung 4)
Abb. 4: Umgedrehte Bloom’sche Taxonomie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: übernommen aus: Ulbrich, Heidemarie (2021) S. 8)
Auch Frankenberg sieht den, durch die Auslagerung der Wissensvermittlung in die Heimarbeit, größeren Anteil an interaktiver Unterrichtszeit als Kern des Konzepts und verordnet den erfolgreichen Flipped Classroom Lerntheoretisch auf 4 Ebenen19:
1. Schüleraktivierung: Die durch die Auslagerung der Instruktionsphase hinzugewonnene Unterrichtszeit stellt das Herzstück des Flipped Classroom dar. Obwohl sich nicht ausschließen lässt, dass SuS sich auch im schülerzentrierten Unterricht ablenken und nicht dem Unterricht folgen, ist die Gefahr jedoch niedriger als beim lehrerzentrierten Frontalunterricht.20 Dass die kognitive Aktivierung der Schüler im Unterricht einen positiven Effekt auf die Lernleistung haben kann, wurde in einigen Studien bestätigt.21 Die Voraussetzung für eine Steigerung der Lernleistung ist jedoch, dass die SuS Bereitschaft zeigen, die aktivierenden Unterrichtsmethoden anzunehmen und sich bewusst und vertiefend mit den Lerninhalten auseinandersetzen.22
2. Selbstbestimmung: Nach der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan kann die intrinsische Motivation der SuS wachsen, wenn diese in ihrem Lernprozess ihre eigene Kompetenz wahrnehmen sowie die Selbstbestimmung und die soziale Eingebundenheit gefördert wird.23 Die Selbstbestimmung wird einerseits durch die frei zur Verfügung stehenden Lernmedien gefördert, indem die SuS sich die zu vermittelnden Inhalte zeit- und ortsunabhängig anschauen können, aber auch durch die Binnendifferenzierung im Unterricht, indem die SuS ihrem Leistungsniveau entsprechende Aufgaben und vertiefende Tätigkeiten bearbeiten.24
Neben den, die Selbstbestimmung fördernden, Einzelarbeitsaktivitäten zeichnet sich der Flipped Classroom auch durch die Arbeit in Partner- und Gruppenarbeit aus, was die soziale Eingebundenheit und damit auch die intrinsische Motivation fördert.
3. Lernbegleitung: Während Kritiker sagen, dass Lehrer, in Zeiten in denen das gesamte Weltwissen im Internet zu finden ist, „zu bloßen Begleitern und Förderern degradiert“25 werden, sehen andere Wissenschaftler hier eine wesentliche Unterstützung im konstruktivistischen Lernprozess schülerzentrierten Lernens26, was durch eine Metastudie bestätigt wird, die schülerzentriertem Lehrverhalten einen signifikanten positiven Einfluss auf die kognitiven und affektiven Lernergebnisse attestiert.27 Da die Lehrenden die Lernmaterialien jedoch selbst erstellen und bereitstellen, können sind sie im Flipped Classroom sowohl an der aktiven Wissensvermittlung als auch als Lernbegleitende am Lernen der SuS beteiligt.28
4. Multimediales Lernen: Die, zur Inhaltsvermittlung genutzten, digitalen oder analogen, Medien sollten auf die von Mayer erarbeiteten Prinzipien der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens Rücksicht nehmen. Demnach kann die Transferleistung erhöht werden, wenn zu Visuellen Darstellungen noch gesprochene statt schriftliche Informationen gegeben werden, da die Informationen somit von verschiedenen Sinneskanälen verarbeitet werden können. Die Behaltens- und Transferleistung von Texten kann durch die Kombination mit Bildern und Darstellungen erhöht werden, sofern die Texte und die Darstellungen den selben Inhalt haben. Außerdem ist es wichtig, dass Bilder, Animationen oder Texte in zeitlicher und räumlicher Nähe zueinander zu sehen sind, und die Medien einander ergänzen. Auf Bilder, Texte oder Töne, die für das Verständnis des Inhalts nicht relevant sind, sollte verzichtet werden, da diese die Lernenden vom eigentlichen Lerninhalt ablenken können.29 Damit die SuS beim Ansehen der Lernvideos aufmerksam und fokussiert bleiben wird empfohlen, dass diese eine Dauer von durchschnittlich ca. 6 Minuten pro Video nicht überschreiten.30
Im Folgenden werden anhand von zwei Praxisbeispielen und weiteren Forschungsergebnissen des Flipped Classroom Konzeptes an allgemeinbildenden Schulen die Vor - und Nachteile herausgearbeitet, bevor diese auf die besonderen Anforderungen an der Berufsschule übertragen werden. Zunächst werden die Ausgangsvoraussetzungen beschrieben und anschließend auf die Umsetzung der Input-, Assessment- und Anwendungsphase eingegangen um im Anschluss die Ergebnisse der Umsetzungen zusammenzufassen und um weitere Forschungsergebnisse zu ergänzen, auf deren Grundlage im späteren Verlauf der Arbeit die Chancen und Herausforderungen für die Umsetzung des Flipped Classroom an der Berufsschule erarbeitet werden.
Der Flipped Classroom findet sowohl in der schulischen als auch der hochschulischen Lehre Anwendung. Um eine Vergleichbarkeit zur Berufsschule schaffen zu können, werden im Folgenden zwei Praxisbeispiele aus der gymnasialen Oberstufe betrachtet, die sich ebenso wie die Berufsschule der dualen Ausbildung der Sekundarstufe II zuordnen lassen.31
Da die Wahl und der Erfolg der Unterrichtsmethoden und Konzepte auch von dem Fach und den Inhalten abhängen, werden zwei Beispiele aus verschiedenen Fachrichtungen betrachtet, zunächst eine Fremdsprache und im Anschluss eine Naturwissenschaft. Da zwei Praxisbeispiele nicht ausreichend sind, um eine generelle Aussage über die Auswirkungen der Methode treffen zu können und das erste Beispiel, außer einem Pre-Post-Test, kein weiteres wissenschaftliches Forschungsdesign aufweist, werden die Beispiele anschließend um weitere Forschungsergebnisse ergänzt und zusammengefasst.
Das erste Praxisbeispiel ist der geflippte Spanischunterricht der Jahrgangsstufe 11 an einem Berliner Oberstufenzentrum, was das erste Jahr einer dreijährigen Oberstufe darstellt. Durch verschiedene Vorkenntnisse aus der Mittelstufe gab es in dem 11. Jahrgang eine große Leistungsheterogenität unter den SuS, der die Lehrenden versuchten entgegenzusteuern. Um weniger Zeit für die reine Vermittlung von Fachinhalten und mehr für die Vertiefung dieser und die individuelle Lernbegleitung der Lernenden aufwenden zu können, wurde ein Flipped Classroom Konzept erarbeitet und eine von drei Klassen der Jahrgangsstufe nach diesem unterrichtet. Um den Lernerfolg der Treatment- und Kontrollklassen vergleichen zu können, wurde nach jeder Unterrichtseinheit ein kurzer Test durchgeführt.32
Inputphase: Zur Erarbeitung neuer grammatikalischer Inhalte wurden den SuS Arbeitsblätter mit Grundlagen für ebendiese Neuerungen bereitgestellt. Diese sollten mit extra dafür produzierten Videos in Eigeninitiative bearbeitet werden. Auf den Arbeitsblättern waren bspw. Merksätze oder Mindmaps abgebildet, mit deren Hilfe die SuS die grundlegenden grammatikalischen Regeln übersichtlich darstellen konnten. Diese Grundlagen wurden zu Beginn jeder Stunde wiederholt und getestet.33
Assessment: Die ersten 5-10 Minuten jeder Unterrichtsstunde wurden für den Austausch der SuS untereinander genutzt. Die SuS waren angehalten ihre Notizen zu vergleichen und sich gegenseitig Fragen zu stellen. Somit konnten neue grammatikalische Regeln und Inhalte vertieft betrachtet und intensiviert werden. Aufkommende Fragen zu den Inhalten sollten zunächst gruppenintern bearbeitet werden, Damit sich die SuS eigenständig mit der Grammatik vertraut machen und ihr eigenes Wissen erweitern.34
Anwendung: In der Erarbeitungsphase wurden unterschiedliche Leistungsniveaus innerhalb der Klasse berücksichtigt und Material verschiedener Anforderungsniveaus zur Verfügung gestellt. Die Aufgaben beinhalteten wiederholende Grammatik-Übungen oder offene Fragen, um sich sprachlich weiterzuentwickeln. Außerdem wurde diese Phase dafür genutzt, den SuS die Möglichkeit zu geben, sich durch erneutes anschauen der von Lernvideos unklare oder komplexe grammatikalische Inhalte besser zu verstehen, um nicht verstandene Aufgaben im Nachgang besser bearbeiten zu können. Zum Ende des Schuljahres produzierten die SuS eigene Lernvideos, um diese zur Wiederholung der Inhalte nach den Ferien wiederzuverwenden.35
Signifikante Unterschiede im Lernerfolg sind durch die Vergleichstests nicht festzustellen, jedoch war eine Steigerung der Motivation zu erkennen . Die SuS stellten den hohen Sprach- bzw. Praxisanteil und die Anwendung von Videos positiv heraus, da diese sehr schülernah seien.36 Eine Herausforderung sei jedoch, dass einige SuS nicht über die entsprechende Infrastruktur, wie eine schnelle Internetverbindung oder Endgeräte, verfügten und dies auch in der Schule kein Standard sei.37 Daher war eine rein digitale Umsetzung schwierig, dies hätte aber für eine deutlich schnellere Lehrer-Schüler-Kommunikation sorgen können. Die Vorbereitung der Materialen, seitens der Lehrkraft, war zu Beginn sehr aufwendig. Da auf die aufbereiteten Materialien jedoch mittel- und langfristig zurückgegriffen werden kann, wird zukünftig deutlich mehr Zeit bei der Unterrichtsgestaltung eingespart.
Die Lehrkraft empfand den Einsatz des Flipped Classroom als positiv für sowohl leistungsstarke als auch leistungsschwache SuS, da alle individuell gefördert werden konnten. Doch trotz der erhöhten Motivation, seitens der Lernenden, traten weiterhin Probleme während des Unterrichtes auf, denn einige SuS erschienen weiterhin unvorbereitet, sodass der ursprünglich geplante Ablauf sich zeitlich verzögerte.38
Das zweite Praxisbeispiel ist der Flipped Classroom im Physikunterricht von Finkenberg. Dieser hat über zwei Schuljahre eine Studie, mit jeweils vier Physik-Oberstufenkursen zweier Schulen durchgeführt. Das Ziel war es, die Lernleistung, Motivation, Fachinteresse und das Selbstkonzept, also die Möglichkeit, seine eigenen Stärken und Schwächen sowie Charaktereigenschaften wahrzunehmen und einschätzen zu können39, der SuS zu erforschen. Dabei wurden die vier Kurse im ersten Schuljahr „klassisch“ unterrichtet, das heißt die Fachinhalte wurden während des Unterrichts unter Zuhilfenahme von Demonstrationsexperimenten im Dialog mit den SuS erarbeitet, während die Anwendung des neuen Wissens im Anschluss der Inputphase und teilweiser Verlagerung in die Zeit nach dem Unterricht als Hausaufgaben stattfand. Im darauffolgenden Schuljahr wurden die vier neuen Oberstufenkurse nach dem Flipped Classroom Konzept unterrichtet. Beide Kurse führten einen Test vor der Unterrichtsreihe, einen sogenannten Pretest, (Pretest) und einen nachfolgenden Test, den Posttest durch. Dieses Forschungsdesign ermöglicht eine Vergleichbarkeit der Kontroll- und Treatmentgruppe. Die Kurse hatten drei Stunden Physikunterricht pro Woche, die sich in eine Doppel- und eine Einzelstunde aufteilten.40
Inputphase: Zur Vorbereitung auf den Unterricht war vor jeder Stunde lediglich ein Lernvideo anzusehen, welches jeweils nach der vorherigen Stunde auf der Videoplattform freigeschaltet wurde. Die SuS konnten das Video pausieren und waren angehalten sich aufkommende Fragen zu notieren. Am Ende des Videos gab es eine Seite mit wichtigen Informationen, die die SuS zu übertragen hatten.41
Assessment: Die ersten 10 Minuten des Unterrichts wurden dafür genutzt zu prüfen, ob die SuS die Lernvideos gesehen und verstanden haben. Dazu wurde ein Quiz durchgeführt, bei dem die SuS mit vorher ausgeteilten „Clickern“ anonym Fragen beantworten sollten, ohne mit den Sitznachbarn darüber zu sprechen. Wenn über ¾ der SuS in der Klasse die Frage richtig beantwortet haben, wurde ohne Unterbrechung zur nächsten Frage übergegangen. War dies nicht der Fall, hatten die SuS 1 – 2 Minuten Zeit sich mit ihren Klassenkameraden auszutauschen, um auf die korrekte Lösung zu kommen. Insgesamt dienten der anfänglichen Prüfung vier Fragen, welche es zu beantworten galt. Nach Beantwortung aller Fragen wurde zu der nächsten Phase, der Anwendungsphase, übergeleitet.42
Anwendung: Der größte Anteil der Unterrichtszeit wurde für die Anwendungsphase genutzt. Dazu wurde für jedes Lernvideo ein Pool an Aufgaben gesammelt, welche von den SuS in Partner- oder Gruppenarbeit bearbeitet werden sollten. Neben Pflichtaufgaben, welche von allen SuS bearbeitet werden mussten, gab es eine Reihe weiterer Aufgaben verschiedener Anforderungsniveaus, bei dessen Wahl der Lehrer die SuS unterstützt. Zu allen Aufgaben lagen Musterlösungen aus, sodass die SuS ihrem Leistungsstand entsprechende Aufgaben in ihrem eigenen Tempo bearbeiten konnten. Die Lehrkraft hat in dieser Phase die Rolle als Lernbegleiter, hilft den SuS also individuell weiter um auf den richtigen Lösungsweg zu kommen, zunächst jedoch ohne konkrete inhaltliche Hilfestellung, sondern ggf. mit offenen Fragen um die SuS auf den richtigen Lösungsweg zu bringen.
Die für das Thema relevanten Pflichtaufgaben wurden zum Ende der Stunde gemeinsam besprochen und sollten damit abgeschlossen sein. Eine weitere Bearbeitung der Aufgaben zuhause oder in der folgenden Stunde war nicht vorgesehen.43
Die Auswertung dieser Studie ergab, dass die Lernleistung im Flipped Classroom, gegenüber dem klassischen Physikunterricht, signifikant höher ausfällt und dies nicht abhängig vom Leistungsniveau der SuS ist.44 Ebenfalls steigert der Einsatz der Flipped Classroom das Selbstkonzept der SuS, wobei dieser Effekt geringer ausfällt als bei der Steigerung der Lernleistung.45 Auch geschlechterspezifische Unterschiede konnten festgestellt werden, so konnte bei den Schülerinnen eine Steigerung der Motivation und bei den Schülern eine gesteigerte Hausaufgabendisziplin festgestellt werden.46 Einen positiven Einfluss auf das Interesse an dem Fach Physik konnte nicht festgestellt werden, so wurde sowohl in der Kontroll- als auch in der Treatmentgruppe ein Rückgang festgestellt.47 Trotz der individuelleren Förderung änderte sich die durch die SuS wahrgenommene Unterstützung der Lehrkraft nicht.48 Die Befragung der SuS ergab ebenfalls, dass diese das intensive Arbeiten in Kleingruppen zur Anwendung der Lerninhalte als besonders positiv empfanden. Ebenso gaben die SuS positives Feedback zu den Lernvideos als Informationsvermittlung, durch welche sie die Möglichkeit hatten, die Lerninhalte in ihrem eigenen Tempo zu erarbeiten und die Informationen in kompakter Form wieder aufzurufen. Die Lernvideos waren aber auch ein Kritikpunkt, denn gerade bei komplexeren Themen fehlte den SuS die Möglichkeit direkt bei der Lehrkraft nachzufragen, wie sie es aus dem klassischen Unterricht gewohnt sind. Dies führt zu einem höheren Aufwand der SuS bei der Vorbereitung und kann zu Verständnisproblemen und Verzögerungen in der Anwendungsphase führen, wenn die Inhalte nochmals besprochen werden müssen.49
Sowohl im geflippten Fremdsprachenunterricht als auch im Physikunterricht ließ sich eine gesteigerte Motivation feststellen, sei es die Motivation der Mitarbeit im Unterricht oder bei der häuslichen Erarbeitung der Lerninhalte. Dies kann jedoch auch auf den Neuheitseffekt zurückzuführen sein, nachdem SuS dem Einsatz neuer Medien mit größerer Motivation begegnen, diese sich aber nach einiger Zeit wieder auf das ursprüngliche Maß einpendelt.50 Außerdem sei das Flipped Classroom Konzept laut beiden Studienleitern für SuS des gesamten Leistungsspektrums hilfreich, da durch die binnendifferenzierten Aufgaben sowohl die leistungsstarken, als auch die leistungsschwachen SuS Aufgaben ihres entsprechenden Leistungsniveaus bearbeiten können. In beiden Beispielen bewerteten die SuS sowohl den hohen Aktivitätsanteil in der Unterrichtsstunde als auch die Lernvideos als Informationsmedium durchaus positiv, wobei es dennoch zu einigen Gelegenheiten an der Möglichkeit der direkten Nachfrage gefehlt hat, um die Inhalte zu verstehen.
Der bedeutende Unterschied der beiden Beispiele ist jedoch, dass es durch den Einsatz des Flipped Classroom Konzepts im Physikunterricht zu einer signifikanten Verbesserung der Lernleistung gekommen ist, während dies im Fremdsprachenunterricht nicht festzustellen war. Dies bestätigen auch weitere Studien, die dem Einsatz des Flipped Classroom in MINT-Fächern eine deutlich höhere Wirkung zusprechen als in sprachlich-gesellschaftswissenschaftlichen Fächern.51 Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass es in Naturwissenschaften viele grundlegende Regeln und Formeln gibt, auf deren Grundlage Anwendungsaufgaben bearbeitet werden. Dies sind teils universale Regeln, die einfach in Videos erklärt werden können, während für den Fremdsprachenunterricht wichtige Kompetenzen wie das Lese- oder Hörverständnis sowie die Sprachpraxis nicht so effektiv mit Lernvideos erlangt werden können.52 Neben dem Unterrichtsfach als Gelingensbedingung des Flipped Classroom zeigte sich ebenfalls, dass kürzere Einsätze des Flipped Classroom ein besseres Ergebnis der Lernleistung erzielten als längere Anwendungen und dass der Effekt von Assessments vor der Unterrichtsstunde keine Auswirkung auf die Lernleistung haben.53
Es gibt jedoch auch weitere Studien, die dem Flipped Classroom keine Steigerung der Lernleistung zusprechen. So beispielsweise die Studien von Bishop oder Bell.54
Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Studienleiter alle höchst verschiedene Ideen zur Umsetzung und Erforschung des Flipped Classroom hatten, somit ist ein einheitlicher Vergleich kaum möglich. Bei Bishops Untersuchungsdesign bekamen die Teilnehmer pro Woche teilweise 75-minütige Videos zur Verfügung gestellt55, während die Lernenden in der Studie von Bell sich der Wichtigkeit der Lernvideos nicht bewusst waren und sich diese nur selten vor dem Unterricht anschauten.56
Ebenfalls keine Steigerung der Lernleistung gegenüber der Kontrollgruppe wurde von in der Studie von Jensen et al festgestellt. Das Besondere an dieser Studie war, dass die Kontrollgruppe zwar nicht nach dem Flipped Learning Konzept, aber dennoch sehr anwendungsorientiert und schülerzentriert unterrichtet wurde.57 Ein positiver Einfluss schüleraktivierenden Lernens auf die Lernleistung ist jedoch stark abhängig von dem Vorwissen und dem Bildungsstand der SuS, so gibt es neben Studien, die einen positiven Effekt bestätigen58, auch Studien, die keinen Zusammenhang feststellen können, wie bspw. von Merk. Das Besondere an dieser Studie ist jedoch, dass nur Unterricht an Haupt- und Realschulen beobachtet wurde und der Schluss gezogen wurde, dass eine Steigerung der Lernleistung mit dem Vorwissen und dem Bildungsstand der SuS zusammenhängt, und den Erfolg des schüleraktivierenden Unterrichtes an Gymnasien mit dem höheren Bildungsstand und besseren Lernstrategien der SuS erklärt.59
Diese Ergebnisse zeigen, dass der Flipped Classroom lediglich eine von vielen Möglichkeiten zur Schüleraktivierung ist, die gut durchdacht und didaktisch aufbereitet und nur in passenden Lehr-Lernsettings angewandt werden sollte. Dem stimmen auch weitere Forschende und praktizierende zu und fassen zusammen:
„Keine Methode ist prinzipiell besser als andere Methoden – es kommt immer auf den Kontext an. Dieser wird bestimmt durch die Klassenstufe, das Fach, den Inhalt, die zu erlernenden Kompetenzen, durch die Leistungsfähigkeit und – bereitschaft der Schüler*innen sowie die Methodenpräferenz und Persönlichkeit der Lehrperson“60
Um herauszufinden, welche Chancen und Herausforderungen der Einsatz des Flipped Classroom an der Berufsschule mit sich bringt, muss zunächst herausgestellt werden, worin sich die Berufsschule von der allgemeinbildenden Schule unterscheidet. Im Folgenden werden die Ziele der verschiedenen Schulformen miteinander verglichen und anschließend die größten Strukturellen und soziodemografischen Unterschiede zwischen der allgemeinbildenden Schule und der Berufsschule dargestellt. Auf Grundlage der Besonderheiten werden Chancen und Herausforderungen für die Input- und Anwendungsphase herausgearbeitet. Da der positive Effekt eines Assessments nicht bestätigt werden konnte, wird das Assessment in der späteren Analyse nicht berücksichtigt.
Obwohl sich sowohl die gymnasiale Oberstufe als auch die Berufsschule, als Teil der dualen Ausbildung, dem Sekundarbereich II zuordnen lassen, verfolgen die Schulformen verschiedene Ziele. Das Ziel der gymnasialen Oberstufe ist, die SuS zu einem studienqualifizierenden Abschluss zu führen, der nicht nur eine Berechtigung zum Studium einer Hochschule ist, sondern auch den Weg in eine Berufsausbildung ermöglicht. Im Unterricht wird eine tiefe Allgemeinbildung vermittelt und eine Studierfähigkeit gefördert, indem er neben Vermittlung von mathematischen und sprachlichen Grundlagen auch in das wissenschaftliche Arbeiten einführt. Außerdem soll der Unterricht in der gymnasialen Oberstufe die Persönlichkeit der SuS dahingehend entwickeln, und sie befähigen, in sozialer Verantwortung zu leben und in der demokratischen Gesellschaft mitzuwirken.61
...
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern im Folgenden die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform beinhaltet keine Wertung.
2 Vgl. Baker 2000.
3 Vgl. Statistisches Bundesamt 2021, o.S.
4 Vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2021, S. 10 f.
5 Vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2016, S. 2.
6 Vgl. Lage et al. 2000; Vgl. Baker 2000.
7 Vgl. Lage et al. 2000, S. 32.
8 Mit „klassischem“ Unterricht ist der lehrerzentrierte Unterricht gemeint, in welchem die Inhaltsvermittlung und –erschließung (Inputphase) während der Präsenzphase in der Schule stattfinden und das Einüben und Vertiefen der Inhalte (Arbeitsphase) durch Hausaufgaben und Klausurvorbereitung selbstorganisiert zuhause stattfinden.
9 Vgl. Finkenberg 2018, S. 5.
10 Vgl. Bergman und Sams 2012, 4 f.
11 Vgl. Rat für Kulturelle Bildung e.V. 2019, S. 28.
12 Vgl. Finkenberg 2018, S. 14 f.
13 Vgl. Abeysekera und Dawson 2015, S. 3.
14 Vgl. Sauter et al. 2004, S. 68.
15 Vgl. Universität Innsbruck o.J., S. 2 ff; Vgl.Bloom 1956, S. 18 ff.
16 Vgl. Krathwohl 2002, S. 214.
17 Vgl. Sams 2012, S. 17.
18 Vgl. ebd.; Vgl. Bergman und Sams 2014, S. 34.
19 Vgl. Finkenberg 2018, S. 19 f.
20 Vgl. Finkenberg 2018, S. 19 f.
21 Vgl. Kunter et al. 2013, S. 815; Vgl. Lipowsky et al. 2009, S. 534 f.
22 Vgl. Merk et al. 2021, S. 470.
23 Vgl. Ryan und Deci 2000, S. 76.
24 Vgl. Finkenberg 2018, S. 19.
25 Türcke 2016, S. 6.
26 Vgl. Kunter und Voss 2011, S. 104.
27 Vgl. Cornelius-White 2007, S. 134.
28 Vgl. Finkenberg 2018, S. 20.
29 Vgl. Mayer 2014, S. 58 ff; Vgl. Finkenberg 2018, S. 20 f.
30 Vgl. Finkenberg 2018, S. 17.
31 Vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 2016,S. 2.
32 Vgl. Gloeckner 2018, S. 118 f.
33 Vgl. Gloeckner 2018, S. 118.
34 Vgl. ebd., S. 121.
35 Vgl. ebd.
36 Vgl. ebd., S. 121.
37 Vgl. ebd., S. 126 f.
38 Vgl. Gloeckner 2018.
39 Vgl.Finkenberg 2018, S. 11.
40 Vgl. ebd., S. 45 f.
41 Vgl. ebd., S. 48 f.
42 Vgl. Finkenberg 2018, S. 49.
43 Vgl. ebd., S. 50 f.
44 Vgl. ebd., S. 67, S. 88.
45 Vgl. ebd., S. 72.
46 Vgl. ebd., S. 84 f.
47 Vgl. ebd., S. 76.
48 Vgl. ebd., S. 90.
49 Vgl. Finkenberg 2018, S. 111 f.
50 Vgl. Clark 1983, S. 450.
51 Vgl. Zainuddin et al. 2019, S. 75; Vgl. Wagner et al. 2021, S. 25.
52 Vgl. Wagner et al. 2021, S. 25.
53 Vgl. ebd., S. 14, S. 26.
54 Vgl. Bishop 2013, S. 81 f; Vgl. Bell 2015, S. 39.
55 Vgl. Bishop 2013, S. 51.
56 Vgl. Bell 2015, S. 39.
57 Vgl. Jensen et al. 2015, S. 9.
58 Vgl. Kunter et al. 2013, S. 815; Vgl. Lipowsky et al. 2009, S. 534 f.
59 Vgl. Merk et al. 2021, S. 470.
60 Vgl. Werner et al. 2018, S. 14.
61 Vgl. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik 2019, S. 122.