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Bachelorarbeit, 2022
49 Seiten, Note: 1,3
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Masern - Die Erkrankung
2.1 Symptome
2.2 Epidemiologie
2.3 DielmpfunggegenMasern
3 Implementierung der Impfpflicht in Deutschland
3.1 Überwachung von Impfstoffen
3.2 Impfstrategieundlmpfquote
4 Stärken und Schwächen der Masernschutzimpfung
4.1 Vertrauen
4.2 Risikowahmehmung
4.3 Hürden
4.4 Informationssuche
4.5 Gesellschaftliches Verantwortungsgefühl
4.6 Zusammenfassung
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
In der vorliegenden Bachelorarbeit wird der Frage nachgegangen, warum das Masemvi- rus so gefährlich ist und wie einer Erkrankung vorgebeugt werden kann. Inwiefern bietet die Impfpflicht der Masern Stärken und Schwächen für die Bevölkerung? Um diese Fragen zu beantworten wird Literaturarbeit geleistet und aufbereitet. Darüber hinaus wird über Aspekte diskutiert, die die Impfentscheidung beeinflussen.
Vorab werden Einblicke in die Masemerkrankung, die Impfstoffe sowie in die im März 2020 eingeführte Masemimpfpflicht gegeben. Anschließend wird das 5C-Modell, welches von der WHO und Forschungsgruppen entwickelt wurde, erläutert. Dabei befasst sich das Modell mit den fünf psychologischen Gründen der Impfentscheidung. Anhand dessen werden die unterschiedlichen Sichtweisen von Impfbefürworterinnen, Impfskeptikerinnen und Impfgegnerinnen beleuchtet. Folglich können Stärken und Schwächen der Masemimpfpflicht identifiziert sowie diskutiert werden. Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Impfpflicht, da sie als effizienteste und kostengünstigste Präventionsmaßnahme im Umgang mit den ansteckenden Masemviren in Deutschland gilt.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Masemimpfpflicht in Deutschland ein wichtiges Instrument darstellt, um die Verbreitung des Virus zu stoppen und zu eliminieren. Darüber hinaus zeigen sichjedoch viele Impflücken, die es nicht durch Zwang, sondern durch Aufklärungsarbeit und geeigneten Interventionen zu schließen gilt. Noch kann sich das Virus überall dort ausbreiten, wo Menschen die Impfung verweigern. Somit bedarf es Vertrauen aufzubauen, die Risikowahrnehmung bezüglich der Impfung zu senken, Hürden abzubauen und die Informationssuche sowie den Solidaritätsgedanken zu stärken, sodass das Ziel eines masernfreien Landes erreicht werden kann. Durch eine ausreichende Herdenimmunität und eine Durchimpfungsrate von über 95% können Ausbrüche verhindert und die Menschen geschützt werden, welchen aus gesundheitlichen Gründen von einer Impfung abgeraten wird.
Abbildung 1: Diagnostik derMasernerkrankung
Abbildung 2: Anzahl der übermittelten Masernfälle nach Altersgruppe sowie Anzahl der davon hospitalisierten Fälle für das Jahr
Abbildung 3: Das 5C-Modell: Fünf psychologische Gründe der Impfentscheidung
Tabelle 1: Fallzahl und Inzidenz pro 1. Mio Einwohner pro Jahr von 2013 bis 2020 in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Masern sind das Ergebnis einer Infektion mit dem Masemvirus und hochgradig ansteckend. Das Virus wird über die Atemwege übertragen und ist auch nach der Einführung von Impfstoffen für hunderttausende Todesfälle weltweit pro Jahr verantwortlich. Die Krankheit beginnt mit Erkältungssymptomen, gefolgt von dem typischen und charakteristischen Ausschlag. Bei dieser Erkrankung kann es durchaus zu langfristigen Verläufen und selten zu Komplikationen kommen, welche am meisten die Organsysteme betreffen und verantwortlich für Krankheits- und Todesfälle sind. Als präventive Maßnahme sind Impfungen gegen das Virus von besonderer Bedeutung. Die Masemimpfung kann eine Erkrankung verhindern und somit zu einer regionalen Eliminierung wie auch zu einer globalen Ausrottung der Infektionskrankheit führen (BZgA 2022b).
Seit 1970 gibt es eine Impfung, die vor Infektionskrankheiten wie Mumps, Masern und Röteln schützt. Es ist ein Kombinationsimpfstoff, welcher laut der World Health Organization (WHO) ab dem Alter von elf Monaten in zwei Dosen im Ab stand von mindestens vier Wochen verimpft wird und zu einem Impfschutz von 99% führt. Dabei hält diese Immunität ein Leben lang (RKI 2020). Eine Impfquote von 95% heißt, dass es lediglich zu kleinen Ausbrüchen kommen und das Virus sich nicht weiter verbreiten kann. Die Erkrankung mit dem Masernvirus ist vor allem gefährlich für die Personen, die nicht geimpft werden können. Dazu zählen Säuglinge, Schwangere oder Personen mit bestimmten Beeinträchtigungen des Immunsystems. Seit 2020 gibt es eine Impfpflicht gegen Masern in Deutschland. Das heißt, dass Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in den Kindergarten oder ähnliches sowie nach 1970 geborene Personen, die in Gemeinschafts- oder medizinischen Einrichtungen arbeiten, einen Impfstatus oder eine Immunität vorweisen müssen.
Masern treten heute zwar viel seltener auf als noch vor Einführung der Impfung, wer jedoch keine Immunität aufweisen kann und mit den ansteckenden Viren in Berührung kommt, bei dem steigt die Wahrscheinlichkeit einer Infektion (BZgA 2022d). Impfungen zählen zu den effektivsten und kostengünstigsten Präventionsmaßnahmen einer Gesellschaft. Die Zahl der mit Masern infizierten Personen reduzierte sich in den Jahren zwischen 2000 und 2012 weltweit um 70%. Europa war im Jahr 2015 im interkontinentalen Vergleich mit elfProzent der Kontinent mit den wenigsten gemeldeten Masernfällen. Im gleichen Jahr lagen die gemeldeten Sterbefälle in Afrika bei etwa 40%. Zudem belief sich der Anteil in den Regionen des Westpazifiks auf 27% und in Südostasien auf zwölf Pro- zent(Moss 2017: 2491).
Die an das Robert-Koch-Institut (RKI) übermittelten Zahlen von Maseminfektionen nahmen zwar seit dem Jahr 2015 ab (RKI 2021a),jedoch kommt es durch die verhältnismäßig zu niedrige Impfquote von unter 95% der Menschen in Deutschland immer wieder zu Masernausbrüchen. Laut Expertinnen kann es nur zu einer Elimination der Masern kommen, wenn mehr als 95% der Menschen eine Immunität vorweisen können. Aus diesem Grund stellt die Masernerkrankung weiterhin eine relevante Krankheitslast in Deutschland dar (Bundesministerium für Gesundheit 2021). Masernimpfungen erfolgen oft zu spät oder Intervalle zwischen der ersten und der zweiten Impfung werden nicht eingehalten. Die von der STIKO empfohlene zweite Masernimpfung bei Kindern im Alter von 24 Monaten liegt bei nur 69,9%, für die erfolgreiche Eliminierung der Masern somit eine zu niedrige Quote. Die eingeführte Masernimpfpflicht zum 01. März 2020 zielt darauf ab Impflücken zu füllen und den Impfschutz dort zu erhöhen, wo die Ansteckung und Übertragung der Masern am höchsten ist.
Das Ziel dieser Bachelorarbeit ist es anhand einer thematischen Auseinandersetzung mit der Literatur die Stärken und Schwächen einer Impfpflicht in Deutschland auszuarbeiten. Im Folgenden wird daher zunächst überprüft, welche medizinische und gesellschaftliche Bedeutung das Impfen hat und welche Ansätze vom Staat für die Masernelimination ausgewählt wurden. Darüber hinaus werden verschiedene gesellschaftliche Positionen zur Impfbereitschaft und Impfpflicht aufgezeigt. Somit ergibt sich die zu beantwortende Forschungsfrage „Inwiefern bietet die Impfpflicht der Masern Stärken und Schwächen für die Bevölkerung?“. Hierbei steht ausdrücklich die deutsche Bevölkerung im Fokus.
Im Verlauf dieser Arbeit wird zunächst ein Überblick über die Erkrankung Masern gegeben sowie Symptome und die Epidemiologie vorgestellt. Dies bildet den theoretischen Rahmen und soll die Bedeutung des Nutzens einer Masemimpfung verdeutlichen. Im Anschluss daran werden die Masemimpfung sowie die Bedeutung des Impfens untersucht und die Implementierung der Impfung betrachtet. Die Beleuchtung der Impfstoffe, der Impfstrategie und Impfquote sowie der Stärken und Schwächen der Impfpflicht sollen abschließend dazu dienen, Missstände aufzuzeigen und Empfehlungen auszuarbeiten.
Spricht man von Masern, so ist damit eine virale Infektionskrankheit gemeint. Diese wird durch das Masernvirus, lateinisch Genus Morbillivirus, hervorgerufen. Es verursacht ausschließlich Krankheiten beim Menschen und ist somit eine rein humane Erkrankung. Das Masernvirus ist ein RNA-Virus und hat einen Durchmesser von 100-300 nm (1 nm = 1-10-9 m). Es besteht aus dem Makromolekül Ribonukleinsäure, welche bei der Umsetzung der Erbinformation in Proteine von Bedeutung ist (DZIF 2022). Zudem besitzt es die Fähigkeit eine systematische Infektion zu verursachen, welche sich über Aerosole oder Tröpfchen auf andere Wirte übertragen kann und die Immunantwort des Wirts für Monate oder Jahre nach der Infektion zu unterdrücken vermag (Laksono et al. 2016: 1). Die Epidemiologie der Masern wird durch die hohe Ansteckungskraft (Kontagiosität), den respiratorischen Übertragungsweg (Tröpfcheninfektion) und die lebenslange Immunität des Individuums nach einer Impfung oder Infektion geprägt. Zudem sind Kontaktmuster zwischen empfänglichen und infektiösen Personen, Heterogenitäten (Ungleichmäßigkeiten) im Impfschutz und die Abhängigkeit der Masernfälle von den Geburtenraten von besonderer Bedeutung.
Übertragen wird das Virus über Atemtröpfchen beim Sprechen oder Niesen, durch Aerosolpartikel, welche bis zu zwei Stunden in der Luft schweben können sowie durch Kontakt mit infektiösen Sekreten aus Rachen oder Nase (RKI 2022a).
Entwicklungsgeschichtlich ist das Masernvirus genetisch eng mit dem mittlerweile ausgerotteten Rinderpestvirus (1t. Pestidos Virononus Rinderasos) verwandt. Der Erreger entwickelte sich vermutlich als zoonotische Infektion in Gemeinschaften, in denen Rinder mit Menschen zusammenlebten (Moss 2017: 2490). Das Robert-Koch-Institut datierte den Übergang des Virus vom Tier auf den Menschen auf ca. 1.400 Jahre vor dem Mittelalter. Bei einer durch Ariane Düx (RKI) geleiteten internationalen Studie kam demnach heraus, dass sich die Genome des Rinderpestvirus und des Masernvirus schon 600 Jahre vor Christus trennten. Die Forscherinnen untersuchten menschliches Lungengewebe und zogen für ihre Studie eine Lunge aus dem Jahr 1912 heran, welche das Medizinhistorische Museum in Berlin bewahrte. Vergleicht man die Genome der Masernviren in unterschiedlich datiertem Lungengewebe, lassen sich Entwicklungen und Unterschiede des dort existenten Virus erkennen. Somit konnten Forscherinnen untersuchen, wann Menschen zum ersten Mal mit dem Masernvirus in Berührung kamen. Damit sich das Virus optimal verbreiten kann, benötigt es eine Bevölkerung von mehr als 100.000 Einwohnern, die eng Zusammenleben. Ab dem sechsten Jahrhundert nach Christus erreichten viele Städte diese Zahl und legten so die Basis für die Ausbreitung des Virus fest (Düx et al. 2020: 1).
Oftmals wird die eindeutige Diagnostik einer Masernerkrankung dadurch erschwert, dass ca. 95% der akuten Infektionen mit nur wenigen unspezifischen Symptomen verlaufen und somit beispielsweise als grippaler Infekt fehlgedeutet werden können (DFV 2020). Klassischerweise verläuft die systematische Maseminfektion in zwei Stadien ab: dem katarrhalischen Stadium und dem Exanthemstadium. Im katarrhalischen Stadium treten Fieber, Schnupfen, Husten und Entzündungen der Augenbindehaut und im Nasen-Rachen- Raum auf (BZgA 2018). Ausschläge an der Mundschleimhaut, sogenannte Koplik-Flecken, welche sich durch weiße Flecken bemerkbar machen, sind ebenso ein Indikator für die Masernerkrankung. Beim Übergang in das Exanthemstadium kann der Fieberverlauf kurzzeitig sinken, bevor er dann wieder ansteigt. Im Exanthemstadium bildet sich am zweiten bis vierten Tag nach dem Auftreten der Koplik-Flecken das charakteristische Masernexanthem auf der Haut. Diese bräunlich-rosafarbenen Flecken beginnen im Gesicht und ziehen sich dann über den gesamten Körper. Nach vier bis sieben Tagen verschwindet der Ausschlag meist mit einer kleieartigen Schuppung. Der Höhepunkt des Fiebers (bis 41°C) ist zwei bis drei Tage nach dem Auftreten des Exanthems erreicht und fällt dann rasch ab (RKI 2022a).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Diagnostik der Masemerkrankung, Quelle (LADR der Laborverbund Dr. Kramer Kollegen GbR 2022)
Die infektiöse Periode beginnt mehrere Tage vor und hält mehrere Tage nach dem Auftreten des Ausschlags an. In dieser Zeit und gerade vor dem Auftreten des Exanthems ist das Ansteckungsrisiko am höchsten. Da die Infektionsrate dem RKI zufolge bei über 90% liegt, führt das Masemvirus bereits bei kurzer Exposition mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Infektion bei fast allen ungeschützten Personen (RKI 2022a). Die Inkubationszeit für die Masernerkrankung liegt bei ca. zehn bis 14 Tagen vom Zeitpunkt der Infektion bis hin zum Ausbruch des Exanthems, also des unverkennbaren Ausschlags. Ungefähr drei bis vier Tage nach dem ersten Auftreten von Symptomen bildet der Körper Antikörper gegen das Virus, welche bei einer erneuten Ansteckung mit dem Masemvirus die Erkrankung abwehren (LADR der Laborverbund Dr. Kramer Kollegen GbR 2022). Bei Säuglingen, Kindern sowie Erwachsenen ab 20 Jahren ist das Risiko einer Komplikation erhöht. Die Masemerkrankung hinterlässt zwar eine lebenslange Immunität, diese kannje- doch zu einer transitorischen Immunschwäche führen, welche Monate bis Jahre andauern kann. In dieser Zeit ist der/die Genesene einer höheren Empfänglichkeit für andere Infektionskrankheiten ausgesetzt, wie beispielsweise Bronchitis, Pneumonie oder Diarrhöen, welche als bakterielle Superinfektionen bezeichnet werden. Als besonders schwerwiegende Komplikation wird die postinfektiöse Enzephalitis genannt, die etwa eine von tausend Personen betrifft. Ungefähr vier bis sieben Tage nach Beginn des Exanthems treten Bewusstseinsstörungen, Kopfschmerzen sowie Fieber auf. Bei etwa zehn bis 20 Prozent der Betroffenen kann sie zum Tod und bei 20% bis 30% zu Residualschäden des zentralen Nervensystems führen (RKI 2022a). Masernverläufe in einer abgeschwächten Form werden als Mitigierte Masern bezeichnet. An dieser Form der Masern erkranken zum Beispiel Personen, welche Immunglobuline erhalten oder Neugeborene, welche durch die mütterlichen Antikörper eine vorrübergehende passive Immunität besitzen. Ist das Exanthem nur gering oder kaum ausgebildet, kann die Diagnose erschwert werden. Dabei sind auch diese Personen ohne Exanthem infektiös. Bei Personen mit Impfversagen kommt es jedoch nur selten zu einer Ansteckung (RKI 2022a). Eine seltene Spätkomplikation ist die Subakute Sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die ca. sechs bis acht Jahre nach der Infektion auftreten kann. Sie stellt eine fortschreitende Entzündung des Nervensystems sowie des Gehirns dar, die bis zum Verlust aller zerebralen Funktionen führen kann. „Nach Literaturangaben kommt es durchschnittlich zu 4-11 SSPE- Fällen pro 100.000 Masernerkrankungen. Kinder haben ein deutlich höheres Risiko. So wurde das Risiko, eine SSPE zu entwickeln, für Kinder, die im Alter von <5 Jahren an Masern erkrankten, auf 30-60 von 100.000 Masemfällen, für Kinder, die im ersten Lebensjahr erkranken, sogar auf rund 170 von 100.000 Masemfällen geschätzt“ (RKI 2022a). Besonders gefährlich ist eine Masernerkrankung bei Personen mit einer primären oder sekundären Immun- defizienz. Als schwere Komplikation gilt die progressive Einschlusskörperchen-Enzephalitis oder auch measles inclusion body encephalitis (MIBE) genannt (RKI 2022a), bei der das Virus alle Barrieren im Körper überwindet und bis in das Gehirn vordringt. Dieses Ereignis kann tödlich enden und ereignet sich bei ca. zehn bis 30 Infizierten im Abstand von sechs bis 15 Jahren nach einer Masernerkrankung (GNP 2019). Auch Lungenentzündungen (Pneumonien) oder fortschreitende Lungenentzündungen, wie Riesenzellpneumonien, welche das Erkennen der Krankheit durch das fehlende Exanthem erschweren, können auftreten.
Masern zählen seit 2001 zu den meldepflichtigen Krankheiten und müssen durch die behandelnden Ärztinnen dem Gesundheitsamt innerhalb von 24 Stunden gemeldet werden (RKI 2022a). So lässt sich vermehrtes Auftreten der Infektionskrankheiten in bestimmten Regionen ausfindig machen, wodurch Schutzmaßnahmen eingeleitet werden können. Personen, die an Masern erkrankt sind, müssen bis zum Abklingen ihrer Symptome isoliert werden, um das Virus nicht weiter zu verbreiten. Frühestens fünfTage nach Auftreten des Ausschlages darf die Isolierung aufgehoben werden (BZgA 2018). Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt die Letalität der Masernerkrankung in entwickelten Ländern zwischen 0,01% und 0,1%. In Ländern, die von Mangelernährung und hohen Inzidenzen in Bezug auf Infektionskrankheiten geprägt sind, kann die Letalität sehr viel höher sein (RKI 2022a). Da es kein Medikament gegen Masern gibt, können nur die Symptome bekämpft werden. Durch Bettruhe und Verdunklung der Wohnumgebung können Körper und Augen geschont werden. Das Fieber kann durch Medikamente wie Paracetamol oder Ibuprofen gesenkt werden. Besonders wichtig ist es, ausreichend Wasser zu trinken und auf diese Weise für eine ausreichende Hydrierung des Körpers zu sorgen. Entzündete Atemwege können durch Inhalation gelindert werden (DFV 2020). Zudem ist es bei Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren, die unter einem Vitamin A Mangel leiden, sinnvoll dieses zusätzlich zu supplementieren. Ein erhöhter Mangel dieses Vitamins besteht insbesondere in Ländern mit einem niedrigen bis mittleren durchschnittlichen Einkommen (RKI 2022a).
Das Masemvirus ist weltweit verbreitet, wobei bis Ende Juli 2019 in Summe ca. 364.800 Masernfälle registriert wurden. Allerdings wird nach Schätzung der WHO nur jeder zehnte Fall gemeldet, die Dunkelziffer kann demnach als deutlich höher gewertet werden. In Bezug auf die geografische Verteilung variiert die Krankheitshäufigkeit stark über verschiedene Kontinente und zwischen einzelnen Ländern. So war der afrikanische Kontinent beispielsweise sehr stark betroffen und erreichte 2019 einen Anstieg von 900 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (ÄrzteZeitung 2019). Insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo, eine der bevölkerungsreichsten und zeitgleich ärmsten bzw. strukturschwächsten Region der Welt, kam es 2019 zu Massenepidemien mit einer hohen Zahl an Krankheits- und Todesfällen (Mediencenter WELT 2019). Unter den bis September 2019 gemeldeten Sterbefällen (3.667) waren vor allem Kinder. Laut der WHO waren alle 26 Provinzen dieses zentralafrikanischen Staates betroffen, da zu viele Kinder keine Routineimpfung erhielten. Im Jahr 2018 lag demnach die Quote für die erste Impfung bei nur 57% - im Vergleich dazu lag die der deutschen Bevölkerung zur gleichen Zeit bei 96%. Neben Masern hatte die Republik auch mit der Krankheit Ebola zu kämpfen (Mediencenter WELT 2019).
Die Zahl der Masernfälle und die geschätzte Zahl der Todesfälle wirdjährlich durch die WHO veröffentlicht. Zwischen 2000 und 2015 reduzierte sich die Zahl der gemeldeten Masernfälle weltweit um ca. 70 Prozent. Diese Ergebnisse resultieren demnach aus einer besseren Masernüberwachung sowie einer verbesserten Berichterstattung. Die am häufigsten gemeldeten Masemfälle stammen aus Afrika (40%), aus den Regionen rund um den Westpazifik (27%) und aus Südostasien (zwölf Prozent), wobei beim Letzteren ca. 88% auf Infektionsfälle in Indien zurückzuführen sind. Im globalen Vergleich hat Europa mit seinen elfProzent einen relativ geringen Anteil an den weltweit gemeldeten Masernfällen (Moss 2017: 2491). Zwischen 2000 und 2015 reduzierte sich die Anzahl der geschätzten Todesfälle weltweit von 651.600 auf 134.200, also um 79%. Obwohl die Masernsterblichkeit in Afrika in diesem Zeitraum um 85% zurückging, trägt der Kontinent nach wie vor zu 64% der Sterbefälle bei. Im weiteren Ranking folgt Südostasien mit 25% der gemeldeten Todesfälle, wobei erneut ein Großteil dessen in Indien gemeldet wurde. National betrachtet konnten seit der Einführung der Masemimpfung bis heute mehrere Millionen Todesfälle verhindert werden, was zu einer erheblichen Reduktion der
Mortalität dieser Erkrankung beigetragen hat (Moss 2017: 2491). Das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlicht Daten zu Masernfällen in Deutschland auf der eigenen Website sowie in jährlich erscheinenden epidemiologischen Berichten (Siehe Tab. 1).
Tabelle 1: Fallzahl und Inzidenzpro l.Mio Einwohnerpro Jahr von 2013 bis 2020 in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle:EigeneDarstellungnachErhebungsdaten (RKI 2021a)
Beim Vergleich der Fallzahlen und den Inzidenzen pro eine Million Einwohner seit 2013, sind die schwankenden Zahlen auffällig. Die meisten Fälle treten in Form von lang anhaltenden Infektionsketten und regionalen Ausbrüchen auf. Während die Inzidenz im Jahr 2014 auf 5,7 sank, stieg sie im folgenden Jahr rasant an. Ein Grund dafür waren Ausbrüche in Asylbewerbereinrichtungen in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie ein großer Ausbruch in Berlin (Robert-Koch-Institut 2015: 70). Auch in den folgenden Jahren konnte ein Trend der erhöhten Meldefälle in den westlichen Bundesländern bestätigt werden. Während die Inzidenz im Jahr 2016 bei vier Fällen pro eine Million Einwohner lag, stiegen die Fallzahlen 2017 wieder an. Die weitaus höchste Fallzahl mit 520 an Masern erkrankten Personen kam aus Nordrhein-Westfalen, wobei der größte Ausbruch mit 465 Masemfällen in Duisburg gemeldet worden ist. Demnach waren viele Menschen mit Migrationshintergrund betroffen, welche insbesondere aus Osteuropa nach Deutschland gekommen sind (Robert-Koch-Institut 2018b: 326). In den folgenden Jahren sank die Zahl der gemeldeten Masernfälle kontinuierlich bis auf 76 Fälle im Jahr 2020 ab. In Abb. 2 werden die übermittelten Masernfälle des Jahres 2020 nach der Altersgruppe sowie nach der Anzahl der davon hospitalisierten Fälle veranschaulicht. Im Folgenden wird näher auf die in dieser Abbildung bereitgestellten Informationen eingegangen. Beim Vergleich der Altersgruppen der Fälle im Jahr 2020 lässt sich erkennen, dass insbesondere Kinder zwischen einem und neun Jahren (19 Personen) und Erwachsene zwischen 30 und 49 Jahren (22 Personen) von der Erkrankung betroffen waren. Von den 76 gemeldeten Masernfällen im Jahr 2020 konnten bei 72 Personen Informationen zum ambulanten bzw. Hospitalisierungsstatus ermittelt werden. Die Erkrankung läuft nicht immer problemlos ab. Masern können zu Komplikationen führen und somit nicht ambulant behandelt werden. 27 Betroffene, was einem Anteil von 38% entspricht, wurden in ein Krankenhaus eingewiesen. Der restliche Anteil, insbesondere Kinder zwischen einem und vier Jahren (fünf von neun Kindern) und Personen ab 20 Jahren (49%) konnten ambulant behandelt werden (RKI 2021a).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anzahl der übermittelten Masemfälle nach Altersgruppe sowie Anzahl der davon hospitalisiertenFällefürdasJahr2020, Quelle (RKI 2021a)
Bevor der erste Masemimpfstoff 1963 eingeführt und verimpft wurde, ließ sich die Zahl jährlicher Todesfälle durch Masern weltweit auf ca. drei Millionen schätzen (PZ 2020). Zwischen den Jahren 2000 und 2010 sank die Masemsterblichkeit weltweit um 74%, wobei das Ziel einer Reduktion um 90% verfehlt wurde. Überwiegend dafür verantwortlich sind Masernausbrüche in Entwicklungsländern aus Afrika und Verzögerungen der Impfungen in Indien (Deutsches Ärzteblatt 2012). Die Gründe für die Senkung der Masernsterblichkeit in den Industrieländern ab 2000 wird mit einer Verbesserung des Ernährungszustands, der wirtschaftlichen Entwicklung, der Pflege und medizinischer Maßnahmen, aber auch maßgeblich mit dem Einsatz von Masernimpfstoffen in Verbindung gebracht. Impfstoffe enthalten antigene Stoffe und werden zur Bildung einer aktiven und spezifischen Immunität gegen das Virus verabreicht. Zur Herstellung werden Rickettsien, Bakterien, Viren oder Toxine genutzt, die aus pathogenen (inaktiviert oder abgetötet) oder aus lebendigen Organismen bestehen. Diese sind „zur Abschwächung ihrer Virulenz ohne Zerstörung ihrer antigenen Wirksamkeit behandelt worden“ (Hennessen 1985: 17), d.h. sie verbleiben im Körper und ahmen eine Infektion in abgeschwächter Form nach. Demnach wird eine Infektion, aber keine Erkrankung, ausgelöst. Zudem können sie auch aus antigenen Fraktionen der Stoffe bestehen, die aus demselben pathogenen Organismus gebildet wurden und unschädlich gemacht worden sind, wobei antigene Eigenschaften erhalten bleiben. Viruslebendstoffe sind nach der Anzahl der Präparate und Anwendungen die häufigsten allgemeinen Impfstoffe (Hennessen 1985: 17). In Bezug auf die Masernimpfung waren im Jahr 1966 bisher nur Totimpfstoffe zugelassen, die auch nach einer dreifachen Impfung mit diesem Wirkstoff keinen ausreichenden Schutz gegen das Virus versprachen. Sie wurden bis Mitte der siebziger Jahre eingesetzt und anschließend durch Lebendimpfstoffe ersetzt, welche 1967 zugelassen wurden (Klein et al. 2012: 1515). Zur Herstellung des Masernimpfstoffes stehen seit mehr als 50 Jahren wirksame und gut verträgliche Lebendimpfstoffe zur Verfügung, welche das abgeschwächte, vermehrungsfähige Virus enthalten. Somit können die natürlichen Infektionen und die Erkrankungen mit ihren Komplikationen weitestgehend vermieden werden (Enders 1985: 57). Masernimpfstoffe werden aus abgeschwächten Masernviren, welche in embryonalen Hühnerzellen gezüchtet werden, hergestellt und sind somit Lebendimpfstoffe (RKI 2022a). In Deutschland stehen für die Impfung von Masern aktuell zwei Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung, die gleichzeitig gegen mehrere Infektionskrankheiten wirken und Schutz bieten sollen: ein Kombinationsimpfstoff gegen Mumps-Masem-Röteln (MMR) bzw. eine Mumps-Masern-Röteln-Varizellen Impfung, die zusätzlich gegen Windpocken schützt (MMRV). Somit wird die Anzahl der Injektionen bei den Kindern so gering wie möglich gehalten (BZgA 2022b). Zudem sind die Wirkstoffe gut verträglich und es kommt nur in seltenen Fällen zu Komplikationen. Die Impfung soll in zwei Schritten, d.h. im Alter von elf bis vierzehn Monaten und die zweite Dosis im Alter von fünfzehn bis spätestens 23 Monaten erfolgen (RKI 2022a). Die Immunität durch die Masemimpfung ist nach etwa zwei bis drei Wochen nachweisbar. Zahlreiche Studien belegen weltweit, dass Kinder und Jugendliche bis 15 Jahren eine Immunität von ca. 92% nach der ersten Impfung vorweisen. Allerdings ist die vollständige Wirksamkeit und die lebenslange Immunität gegen das Masernvirus erst nach der zweiten Impfung gegeben (RKI 2022a).
Impfungen bieten sowohl jedem einzelnen Individuum als auch der Gesellschaft Schutz vor Infektionserkrankungen (Herdenimmunität). In Deutschland betreffen Impfempfehlungen vor allem Personengruppen, die als besonders gefährdet gelten (Meyer et al. 2002: 365). In Gemeinschaftseinrichtungen wie Kindergärten oder Schulen wird die Verbreitung von Infektionen durch die engen Räumlichkeiten gefördert. Bereits im Juni 2005 forderte der Berufsverband der Kinder- und Jugendärztinnen die Bundesländer auf, die Aufnahme von Kindern in Gemeinschaftseinrichtungen von den Impfempfehlungen der STIKO abhängig zu machen. Es wurden mehrere Initiativen durch Bund und Länder gestartet. Am RKI wurde die Nationale Verifizierungskommission Nasern und Röteln etabliert, welche in regelmäßigen Abständen über den Stand der Masemelimination berichten sollte.
Impfungen tragen zu einer Unterbrechung der Infektionskette bei und schützen somit auch die Personen, die nicht geimpft sind (Huppertz 2020: 446). Besucht zum Beispiel ein ungeimpftes Kind eine Gemeinschaftseinrichtung, so besteht die Gefahr, dass es sich mit einer Infektionskrankheit ansteckt sowie andere ungeschützte Kinder infiziert. Das Risiko besteht insbesondere bei den Kindern, die das Impfalter noch nicht erreicht haben oder bei denen die Grundimmunisierung noch nicht abgeschlossen ist. Speziell in Einrichtungen, in denen sich vermehrt junge Kinder aufhalten, sind große Impflücken zu entdecken, da bei diesen das empfohlene Impfalter schlichtweg noch nicht erreicht ist. Zudem haben besonders diese Krabbel- und Kleinkinder ihre Finger und Hände im Mund oder am Boden und sind somit unter Umständen auch deutlich exponierter als beispielsweise Kinder im Grundschulalter. Übertragen auf den verstärkten Ausbau von z.B. Kindertageseinrichtungen und Krippen in den letzten Jahren, lässt sich eine Erhöhung der Kontakte ungeimpfter Kinder ableiten, welche auch mit einem erhöhten Risiko auf einen schwerwiegenden Krankheitsverlauf oder auf bleibende Schäden einhergeht. Eltern, betreuende Ärztinnen, öffentliche Einrichtungen und der Staat tragen die Verantwortung für einen vollständigen Impfschutz (Huppertz 2020: 447). Mit der Implementierung der Masernimpfpflicht im Jahr 2020 wurde eine Grundlage für die Senkung der Inzidenz in Deutschland geschaffen. Doch der Erfolg von Impfprogrammen und Impfempfehlungen hängt stark von der Teilnahmebereitschaft und der gesellschaftlichen Akzeptanz ab. Der individuelle Wissensstand über das Masernvirus, den Impfstoff und die Erkrankungsbilder spielen eine zentrale Rolle für das Verständnis, dass die Impfung gegen Masern eine sichere Präventionsmaßnahme darstellt (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung forsa - Gesellschaft für Sozialforschung und Statistische Analysen 2011: 7). Zudem ist die Akzeptanz einer Impfung im Allgemeinen abhängig von der Schwere der zu verhindernden Erkrankung und der Häufigkeit der Komplikationen, die nach oder während einer Infektion auftreten können. Umso mehr Nebenwirkungen und Komplikationen bekannt sind, desto weniger Menschen zeigen die Motivation sich impfen zu lassen - die Impfakzeptanz sinkt (Meyer et al. 2002: 365). Zudem sind unerwünschte und nicht vorhersehbare Nebenwirkungen der Impfung selbst von Bedeutung. Die Sicherheit eines Impfstoffes wird vor der Zulassung durch verschiedene Instanzen (siehe 3.1) genauestens geprüft. Seltene Impfkomplikationen sind trotz der Durchführung vieler klinischer Studien nicht gänzlich auszuschließen. Impfkomplikationen und Nebenwirkungen sollen insbesondere durch Ärztinnen und überwachende Behörden (Paul-Ehrlich-Institut, PEI) an epidemiologische Überwachungssysteme zur Erfassung und Bewertung weitergegeben und im Schadensfall sogar erstattet werden, z.B. durch Geld- oder Rehabilitationsleistungen oder auch durch die Übernahme der Kosten bei weiteren Behandlungen (Meyer et al. 2002: 365). Aktive und passive Surveillance-Systeme (Überwachungssysteme) sind hierbei von klinischen und epidemiologischen Studien sowie von verknüpften Datenbanken, wie Data Bases oder Data Linked, zu unterscheiden. Bekannte Probleme wie Unvollständigkeit, beschränkte Datenvalidität und Verzerrungen, ausgelöst durch unterschiedliche Wahrnehmungen {recall bias), sind Kennzeichen des passiven Surveillance-Systems. Dieses istjedoch in Bezug auf die Überwachung wie auch Hypothesengenerierung von Impfkomplikationen von signifikanter Bedeutung. Da die Impfung nicht nur dem Individuum, sondern der ganzen Gesellschaft mit dem Ziel einer Herdenimmunität dient, haben viele Länder in ihren Gesetzen Entschädigungsansprüche bei Impfkomplikationen verankert. Seit 1961 ist im deutschen Bundes-Seuchengesetz (abgelöst durch das Infektionsschutzgesetz in 2001) ein solcher Anspruch zu finden. Die Entschädigungsprogramme sind aufgrund von unterschiedlichen Merkmalen, wie zum Beispiel dem Entschädigungsgrund, der Finanzierung oder dem Begutachtungsprozess, sehr verschieden. Mithilfe von Entschädigungsleistungen übernimmt der Staat eine Schutzfunktion für das einzelne Individuum (Meyer et al. 2002: 365f.).
Im Vorfeld der Betrachtung der Einführung der Masemimpfpflicht in Deutschland wird zunächst die Impfung gegen Pocken bzw. die Pockenimpfpflicht als historisches Beispiel betrachtet, da sie kurz nach der Reichsgründung die erste sozialpolitische und universale Maßnahme war. 1872 zählte man im Reichsgebiet Preußen ca. 150.000 Menschen, die an den Pocken starben. Durch das Reichsimpfgesetz (RIG) führte der Staat im 19. Jahrhundert eine Impfpflicht ein und griff somit erstmalig in das Lebens des Individuums ein (Thießen 2017: 21). Konzepte der Gesundheit für den Staat wie auch für die Gesellschaft wurden entwickelt. Zuvor hatten die Preußen noch Bedenken gegenüber einer Impfpflicht geäußert, da diese in die Freiheit der Bürger: innen eingreifen würde. Doch in den 1870er Jahren verschwanden diese Bedenken und der „interventionistische Staat“ sowie die Aufgabe der „Daseinsvorsorge“ wurden an die Impfpflicht gekoppelt. Nun konnten an diesem Projekt Hierarchien, Spielräume und Strukturen erprobt und die Handlungsfähigkeit des modernen Staates aufgezeigt werden (Thießen 2017: 21). Während Anfang des 19. Jahrhunderts noch unterschiedliche Akteurinnen impften, war dies ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dank des Impfgesetzes, nur noch Ärztinnen vorbehalten. Durch staatliche Maßnahmen schrieb man sie als Expertinnen für die gesamte Gesellschaft aus. Für die Ärztinnen, die nun eine Monopolstellung genossen, waren Impfungen für die Professionalisierung und die Befriedigung finanzieller und standesrechtlicher Bedürfnisse von Bedeutung (Thießen 2017: 25). Demnach waren sie fortan nicht mehr ausschließlich für Therapien verantwortlich, sondern konnten durch Impfungen die Zukunft der Menschen gestalten. Die Kindersterblichkeit sank und die Folgen der Pocken wurden verhindert. Die Pockenschutzimpfung und der medizinische Fortschritt waren ein großer Erfolg (Thießen 2017: 28). Neben diesem nachweislichen Erfolgs spielte aber auch der Umgang mit Impfgegner:innen eine zentrale Rolle, welcher in Kapitel 4 „Stärken und Schwächen der Maserschutzimpfung“ näher erläutert wird.
In Bezug auf die Masemimpfung sprach die DDR bereits im Jahr 1970 eine Pflichtimpfung aus und Massenimpfungen aller Vorschul- und Schulkinder begannen. Danach sollte die Impfung nach dem Impfkalender erfolgen. 1981 sprach die BRD eine Impfempfehlung mit dem im Jahr 1980 zugelassenen MMR-Impfstoff (Mumps-Masern-Röteln) aus. Daraufhin führte die DDR 1983 eine Pflichtimpfung bzw. Zweitimpfung für alle zwei- bis 16-Jährigen Kinder mit diesem Impfstoff ein, die vor der Vollendung des ersten Lebensjahres das erste Mal geimpft worden sind. Letztendlich wurde 1986 eine Pflicht für eine zweite Impfung für alle Kinder angeordnet, unabhängig vom Alter. In der BRD wurde ab 1974 empfohlen Kinder mit dem Masemimpfstoff impfen zu lassen. Im Jahr 1991 wurde eine allgemeine Empfehlung für eine Zweitimpfung aller Kinder ab dem sechsten Lebensjahr in ganz Deutschland verabschiedet und 2001 auf das zweite Lebensjahr herabgesetzt. 2010 wurde dann eine einmalige MMR-Impfung für Erwachsene mit unklarem oder unvollständigem Impfstatus, die nach 1970 geboren waren, angeraten (Klein et al. 2012: 1518). Wie sich erkennen lässt, wurde im Verlauf der deutschen Geschichte die Impfung als Schutz vor Infektionskrankheiten unterschiedlich geregelt. Der Impfzwang wurde durch freiwillige Impfempfehlungen abgelöst. Der Leistungsanspruch verschob sich vom Staat auf die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und die Zuständigkeit für Impfungen wurde vom öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) auf die niedergelassenen Ärztinnen übertragen.
Am 01.03.2020 trat das Masemschutzgesetz in Kraft. Laut dem Gesetz, welches sich an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) orientiert, müssen fortan alle Kinder ab der Vollendung des ersten Lebensjahres beim Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule eine Masemimpfung vorweisen. Gleiches gilt für die Betreuerinnen in Kindertagespflegestätten oder Personal in medizinischen- und Gemeinschaftseinrichtungen. Auch Personen mit einem unklaren Impfstatus oder mit nur einer Impfung in der Kindheit müssen eine Masernimmunität vorweisen. Kinder, die mindestens zwei Jahre alt sind, müssen zwei Masern-Schutzimpfungen erhalten haben oder eine ausreichende Immunität besitzen. Diese Regelung gilt für Personen, die nach 1970 geboren worden sind. Der Nachweis wird entsprechend über einen Eintrag in den Impfausweis, das gelbe Kinderuntersuchungsheft oder durch ein ärztliches Attest bescheinigt (Bundesministerium für Gesundheit 2021). Im Rahmen der Impfung steht ein Kombinationsimpfstoff gegen Mumps-Masern-Röteln (MMR) oder zusätzlich gegen Varizellen, d.h. Windpocken (MMRV), zur Verfügung (PEI 2020). Das Ziel der Masernimpfung ist vorrangig der individuelle Schutz vor der Erkrankung und den möglichen Komplikationen. Das Fernziel ist es, die Masern gänzlich auszurotten (BZgA 2022c).
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