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Bachelorarbeit, 2021
58 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Relevante Grundrechte
2.1 Grundrecht auf Berufsfreiheit gem. Art. 12 I GG
2.2 Grundrecht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern gem. Art 33 II GG
2.3 Grundrecht auf geschlechtliche Gleichbehandlung gem. Art. 3 II S. 1 und III S. 1 GG
2.4 Grundrecht auf freie Entfaltung der Person gem. Art. 2 I GG
3. Körperliche und gesundheitliche Eignungsmerkmale
3.1 Grundzüge der PDV 300
3.2 Körperliche Mindestgröße
3.2.1 Aktuelle Einstellungspraxen bei den Polizeien der Bundesländer und der B u n d e s po l i ze i
3.2.2 Unterschiedliche Mindestkörpergrößen nach Geschlecht
3.2.3 Unterschiedslose Mindestkörpergrößen
3.2.4 Kritik am Urteil des OVG NRW zur Mindestkörpergröße
3.2.5 Rechtsprechung aus anderen Bundesländern
3.3 Tätowierungen
3.3.1 Rechtsgrundlage in Nordrhein-Westfalen
3.3.2 Großflächige Tätowierung im S ichtbereich
3.3.3 Rechtmäßigkeit eines Verbotes von Tätowierungen bei einem existierenden formalen Parlamentsgesetz
3.3.4 Kritik am gesetzlichen Verbot von Tätowierungen
3.4 Body-Mass-Index 3
3.5 Brustimplantate
3.6 Humane-Immundefizienz-Virus (HIV)
4. Fazit
Literaturverzeichnis
Der letzten Schülerbarometer-Umfrage zufolge rangiert die Polizei unabhängig vom Geschlecht ganz weit oben auf der Wunschliste künftiger Schulabgänger1.Gut 17 Prozent würden nach dem Abschluss gerne bei der Polizei arbeiten.2 Damit ist der Beruf des Polizeivollzugsbeamten wie im Vorjahr auf Platz eins der Liste. Dazu passt, dass die Polizei Nordrhein-Westfalen auch im Jahr 2020 erneut einen Bewerberrekord vermelden konnte.3 Doch der Weg vom Bewerbungseingang bis zur Einstellung ist lang. In einem mehrstufigen Auswahlverfahren wird überprüft, ob Bewerber die persönlichen, fachlichen und körperlichen Eignungsvoraussetzungen für den Polizeivollzugsdienst erfüllt. Als Bewerber ist es deshalb ratsam, sich vor Abgabe der Bewerbung mit den jeweiligen Einstellungskriterien auseinanderzusetzen. Diese Arbeit stellt das Kriterium der körperlichen bzw. gesundheitlichen Eignung in den Fokus. Von Körpergewichtsobergrenzen, über Implantate im und Tätowierungen auf dem Körper bis hin zur Körpergröße: der potentielle Dienstherr gibt genaue Vorgaben, wie er sich „seinen“ zukünftigen Polizeivollzugsbeamten vorstellt. Doch nicht erst seit Beginn der Corona-Krise wird deutlich, wie unterschiedlich einzelne Bundesländer agieren. Ein und derselbe Bewerber kann in dem einen Bundesland als geeignet für den Polizeivollzugsdienst gelten, in einem anderen wiederum vom Polizeiarzt als ungeeignet eingestuft werden. Ein Beispiel hierfür ist die körperliche Mindestgröße: Während einige Bundesländer die erforderliche Mindestkörpergröße gänzlich abgeschafft haben, fordern andere eine einheitliche Mindestkörpergröße unabhängig vom Geschlecht. Dass es in der Vergangenheit bei der unterschiedlichen Mindestkörpergröße für Frauen und Männer rechtliche Probleme gab, zeigt sich vor allem an den zahlreichen, kürzlich ergangenen Veränderungen in Nordrhein-Westfalen. Hier setzten sich Verwaltungsgerichte immer wieder mit der Zulässigkeit der Körpergröße als Zugangsbeschränkung auseinander, auch in Hinblick auf eine unterschiedliche Behandlung nach dem Geschlecht.
Einen Wandel bei der Beurteilung hinsichtlich der Eignung für den Polizeivollzugsdienst gab es zuletzt auch bei Tätowierungen. Während diese Form des Körperschmucks früher überwiegend die Körper in den Gefängnisanstalten und der kriminellen Unterwelt verzierten, finden sie sich heute auch auf der Haut junger Menschen in jeder gesellschaftlichen Schicht wieder. Laut einer offiziellen Studie der Universität Leipzig ist mittlerweile jeder fünfte Bundesbürger tätowiert. In der Altersgruppe der 16 bis 29-Jährigen haben sich in Westdeutschland 24 Prozent und in Ostdeutschland sogar 41 Prozent Farbe unter die Haut stechen lassen.4 Allerdings werden tätowierte Polizeibewerber beim möglichen Arbeitgeber Polizei mitunter äußerst kritisch gesehen. Dem individuellen Erscheinungsbild des Beamtenbewerbers gegenüber stehen die staatliche Neutralitätspflicht und der Anspruch des Staates, dass die polizeilichen Uniformträger ein möglichst einheitliches und professionelles Bild abgeben sollen.
Diese Arbeit soll daher zunächst untersuchen, welche Grundrechte bei den Bewerbern für den Polizeivollzugsdienst berührt werden und welche Vorgaben die Polizei als potentieller Dienstherr hinsichtlich der körperlichen bzw. gesundheitlichen Eignung trifft. Ebenso soll behandelt werden, inwieweit sich die einzelnen Eignungskriterien in der Vergangenheit, auch durch Verwaltungsgerichtsentscheidungen, verändert haben und ob die Erfüllung eines gesundheitlichen bzw. körperlichen in der Polizeidienstverordnung (PDV) 300 genannten Defizits immer zu einem Ausschluss vom weiteren Bewerbungsverfahren führt. Ferner soll beleuchtet werden, ob und wenn ja an welcher Stelle die grundrechtliche geschützte freie Persönlichkeitsentfaltung des künftigen Polizeivollzugsbeamten zurücktreten muss. Schlussendlich soll eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob es einfacher oder vielleicht sogar schwerer geworden ist, die körperlichen bzw. gesundheitlichen Einstellungskriterien des Polizeivollzugsdienstes zu erfüllen.
Im Bewerbungsverfahren sind seitens der Einstellungsbehörde verschiedene Grundrechte der Polizeibewerber zu beachten. Diese werden im folgenden Abschnitt nacheinander erläutert.
Das Grundrecht auf Berufsfreiheit umfasst vier wesentliche Aspekte. Zum einen die Berufswahlfreiheit, die Freiheit der Wahl der Ausübungsstätte, die Freiheit der Wahl des Arbeitsplatzes sowie die Berufsausübungsfreiheit.5 Da die Polizei kein privater sondern ein öffentlicher Arbeitgeber ist, reduziert sich die Berufsfreiheit des Bewerbers auf das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Art. 33 II GG. Dieser Artikel überlagert folglich das Grundrecht auf Berufsfreiheit und stellt somit die speziellere Norm da.6
Obwohl Art. 33 GG nicht im Kapitel der originären Grundrechte (Art. 1 - 19 GG) geführt wird, ist es als grundrechtsgleiches Recht anzusehen.7 Es handelt sich dabei um ein Gleichheitsgrundrecht, welches die Interessen der Bewerber um ein öffentliches Amt hinsichtlich der Chancengleichheit schützt.8 Der gleiche Zugang zum öffentlichen Amt stellt eine besondere Ausprägung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 I GG dar.9 Zugleich soll durch die sogenannte Bestenauslese die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes gewährleistet werden.10 Der Begriff des „öffentlichen Amtes“ umfasst alle Funktionen öffentlichrechtlicher Art beim Bund, in den Bundesländern und bei den Kommunen.11 Polizeivollzugsbeamte sind mit Ausnahme der Kollegen bei der Bundespolizei Beamte des jeweiligen Bundeslandes. Art. 33 II GG wird weit ausgelegt und gilt auch für den Zugang zu einer Ausbildungsstätte, deren Ausbildungsgänge allein auf eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst ausgerichtet ist.12 Hierzu zählen folglich alle Studiengänge an der Hochschule für Polizei und Verwaltung Nordrhein- Westfalen.13
Die Begriffe „Eignung“, „Befähigung“ und „fachliche Leistung“ kategorisieren den speziellen Gleichheitsgrundsatz für den Ämterzugang und sollen als Kriterien für objektive und sachliche Personalentscheidungen dienen. Eine trennscharfe Abgrenzung zueinander ist nicht immer möglich, da sie sich mitunter überschneiden.14 Sie sind grundsätzlich als gleichrangig anzusehen.15 Es ist rechtlich zulässig, wenn der Gesetzgeber die Einstellungskriterien für das jeweilige Amt konkretisiert.16 Die sogenannte Kriterientrias ist hierbei auf die Anforderungen des jeweiligen Amtes zu gewichten. Der Gesetzgeber verfügt dabei grundsätzlich über eine weite Gestaltungs- freiheit.17 Grenzen dieser Gestaltungsfreiheit ergeben sich aus den verfassungsimmanenten Schranken des Grundgesetzes.18
Das Kriterium der „Eignung“ umfasst vor allem die körperliche Eignung.19 Sie gilt als das am schwierigsten zu prüfende Merkmal.20 Die körperliche Eignung unterteilt sich in die psychische, die charakterliche sowie die geistige Eignung.21 Die charakterliche Eignung als Kriterium stößt in der Literatur allerdings wegen seiner Unbestimmtheit und wegen der Gefahr des Missbrauchs zum Ausschluss unliebsamer Bewerber mitunter auf Kritik.22 Unstrittig ist gleichwohl, dass die Verfassungstreue als Eignungsmerkmal aus Art. 33 II GG hergeleitet werden kann, da sie zu den hergebrachten Grundsätzen des jo
Berufsbeamtentums zählt.23
Zur „Eignung“ im eigentlichen Sinne zählt darüber hinaus die gesundheitliche Eignung für ein Amt.24 Es fehlt an der gesundheitlichen Eignung, wenn der Eintritt einer dauerhaften Dienstunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.25 Hierbei hat sich durch ein im Jahr 2013 ergangenes Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes die Rechtsprechung geändert. So musste die vorzeitige Zurruhesetzung zuvor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.26 Um dies vor der Einstellung eines potentiellen Beamten beurteilen zu können, darf der Dienstherr vorab ärztliche Gutachten in Auftrag geben.27 Sofern ein Verwaltungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt zum Beispiel nach einem Ablehnungsbescheid über die gesundheitliche Eignung bzw. Nichteignung eines Bewerbers entscheidet, überwiegt die Einschätzung des Gerichtes. Seit dem Jahr 2013 steht dem potentiellen Dienstherrn im Klageverfahren kein eigener Beurteilungsspielraum mehr zu.28
Zusätzlich zur gesundheitlichen bzw. körperlichen Eignung ist die Berücksichtigung der inneren Einstellung und des äußeren Erscheinungsbildes als Eignungskriterium rechtmäßig, wenn sie für das jeweilige Amt von Bedeutung sind.29 Das bedeutet, dass der Eignungsbegriff mittelbar auch die Wahrung des Erscheinungsbildes des öffentlichen Dienstes umfasst, insbesondere wenn der Tätigkeitsbereich vorrangig in der Öffentlichkeit ist.30 Ein ordentliches äußeres Erscheinungsbild des Beamten wird eng mit der Aufrechterhaltung des Vertrauens der Bürger in die Integrität des Amtsinhabers verknüpft.31 Daraus ergibt sich, dass das äußere Erscheinungsbild eines angehenden Polizeivollzugsbeamten im Außendienst durch den zukünftigen Dienstherrn stärker gewichtet wird, als das eines angehenden Verwaltungsbeamten, der überwiegend im Innendienst tätig sein wird. Zudem kommt dem äußeren Erscheinungsbild eine enorme Bedeutung zu, wenn zum Beispiel die Symbolik einer Tätowierung zusätzlich Aufschluss über die charakterliche Eignung eines Bewerbers gibt.32
Der Begriff „Befähigung“ umfasst die für das öffentliche Amt erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten.33 Hierzu können auch das persönliche Allgemeinwissen, eine spezielle Begabung oder auch die Lebenserfahrung zählen.34 Ebenso können darunter die für das Amt erforderlichen Sprach- und Ortskenntnisse fallen.35 Von der „Befähigung“ unterschieden wird schlussendlich die „fachliche Leistung“, welche primär das individuelle Fachwissen und Fachkönnen beschreibt.36
Das Grundrecht auf gleichen Zugang zum öffentlichen Amt erstreckt sich auch auf die Gestaltung des Auswahlverfahrens.37 Ein öffentlicher Arbeitgeber hat vor der Besetzung einer Stelle ein Anforderungsprofil festzulegen. Die Bestimmung eines solchen Anforderungsprofils konkretisiert die bereits skizzierten Leistungskriterien für die Auswahl der Bewerber und trägt somit dem Prinzip der sogenannten Bestenauslese Rechnung.38 Zwar erwächst aus Art. 33 II GG kein Anspruch auf Einstellung in den öffentlichen Dienst, gleichwohl aber besitzt der Bewerber einen daraus abgeleiteten Anspruch auf eine
ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung.39 Eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung des Grundrechts liegt beispielsweise vor, wenn sachlich nicht gerechtfertigte Auswahlkriterien herangezogen werden.40
Art. 3 GG schützt vor nicht gerechtfertigter Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts. Gleichzeitig lässt es eine Ungleichbehandlung aus objektiven Gesichtspunkten oder Kriterien zu, wenn diese gerechtfertigt ist.41 Es ist rechtmäßig „wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln“42. Ob und warum eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, hat die Einstellungsbehörde im Zweifelsfall vor einem Verwaltungsgericht zu erklären. Die Bindung an den Gleichheitsgrundsatz besteht allerdings nur für den Kompetenzbereich der jeweils grundrechtsverpflichteten Hoheitsträger. Das bedeutet, dass die Einstellungskriterien innerhalb eines Bundeslandes gleich sein müssen und es keinen Unterschied machen darf, ob sich der Bewerber beispielsweise in Köln oder in
Dortmund bewirbt. Eine Ungleichbehandlung durch unterschiedliche Hoheitsträger stellt wiederum keine Verletzung des Art. 3 GG dar.43 Dies bedeutet, dass es beispielsweise rechtlich zulässig ist, wenn die Bundesländer Bayern oder Rheinland-Pfalz für ihre Polizeibewerber andere Einstellungskriterien festlegen als das Bundesland NordrheinWestfalen.
Nach Art. 2 I GG besitzt jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit, sofern er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Das sogenannte allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den engeren persönlichen Lebensbereich und gewährleistet, dass jeder im Bereich seiner Lebensgestaltung seine Individualität entwickeln und wahren kann.44 Art. 2 I GG umfasst grundsätzlich auch das Recht auf eigenverantwortliche Gestaltung seines äußeren Erscheinungsbildes.45 Das Grundrecht steht unter einem einfachen Gesetzesvorbehalt.46
Staatliche Maßnahmen dürfen allerdings nicht unverhältnismäßig in das Persönlichkeitsrecht eingreifen.47 Eine Tätowierung gehört zweifelsfrei zu einer der stärksten Ausdrucksformen des eigenen Äußeren. Zahlreiche Erlasse in den Bundesländern verbieten gerade bei Einstellung von Polizeivollzugsbeamten (großflächige) Tätowierung im sichtbaren Bereich des Körpers. Ob ein solcher Erlass den Anforderungen eines einfachen Gesetzesvorbehaltes genügt und ob eine solche Tätowierung einen absoluten Einstellungsmangel darstellt, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch erörtert.
Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich mit den Vorgaben, die die Polizei als öffentlicher Arbeitgeber in seiner Eigenschaft als Dienstherr für seine Polizeibewerber festlegt. Grundlage hierfür ist die PDV 300. Dabei handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift über die ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit. Diese Vorschrift in Form eines Runderlasses soll die gleichmäßige Anwendung der gesundheitlichen Eignungsvoraussetzungen in den Bundesländern und beim Bund gewährleisten. Sie listet vorrangig Gründe auf, die zur Polizeidienstuntauglichkeit und damit zur Nichteinstellung führen können. Sie ist - zumindest nach heutiger Rechtsauffassung - als Richtlinie zu verstehen. Die abschließende Beurteilung, ob ein Bewerber für den Polizeivollzugs-dienst gesundheitlich geeignet bzw. nicht geeignet ist, trifft der Polizeiarzt der jeweiligen Einstellungsbehörde im Rahmen einer Einzelfallentscheidung. In Nordrhein-Westfalen liegt diese medizinische Beurteilung gebündelt im Kompetenzbereich einer eigenen Landesoberbehörde, dem Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP NRW) mit Sitz in Münster.48
Die PDV 300 listet eine Reihe von unheilbaren Krankheiten bzw. schubweise auftretenden Gesundheitsstörungen auf, welche in der Regel zur Polizeidienstuntauglichkeit führen, da sie der Ausübung des Amtes oder der Führung einer Dienstwaffe entgegenstehen.49
Die Ausschlussgründe werden in vier Rubriken unterteilt:
1. „unzureichende gesundheitliche körperliche Leistungs- /Belastungsfähigkeit
2. erhöhte gesundheitliche Verletzbarkeit
3. Risiko für Bewusstseinsstörungen, erhebliche Stimmungs- oder Konzentrationsschwankungen
4. unzureichend stabiler seelischer Gesundheitszustand bzw. unzureichende psychische Leistungsfähigkeit“50
Alle Erkrankungen aufzuführen würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, exemplarisch werden daher nachfolgend einige ausgewählte Krankheiten bzw. Gesundheitsstörungen aufgeführt:
Zu Rubrik Ziffer 1: Stoffwechsel-, Autoimmun-, Bluterkrankungen wie zum Beispiel Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, Hormonstörungen, Blutarmut, HIV; Erkrankungen der Atemwege wie zum Beispiel Asthma; Herabsetzung des Funktionalität des Bewegungsapparates wie zum Beispiel durch einen Bandscheibenvorfall, durch ein defektes oder fehlendes Kreuzband, Übergewicht; chronische Erkrankungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse, der Nieren, der inneren Organe zum Beispiel Hepatitis B oder C; unzureichende Leistungsfähigkeit der Herz- /Kreislauforgane wie zum Beispiel Herzklappenfehler, Herzrhythmus- störungen, Bluthochdruck51
Zu Rubrik Ziffer 2: relevante Funktionsstörungen der Augen zum Beispiel Minderung des räumlichen Sehens, Farbsinnschwächen, Gesichtsfeldausfälle; relevante Funktionsstörungen der Ohren zum Beispiel Minderung des Hörvermögens, Trommelfelldefekt; Implantate; Neigung zur Thrombosebildung; Vorliegen von nur einer Niere; psychische Verletzbarkeit durch eine bereits erlittene posttraumatische Belastbarkeit52
Zu Rubrik Ziffer 3: neurologische Leiden wie zum Beispiel Epilepsie, Krampfbereitschaft; jegliche Folgen von Medikamenten- und Sucht- mitteleinnahmen53
Zu Rubrik Ziffer 4: psychische Instabilität durch zum Beispiel Ess- oder Angststörungen, ADHS, endogene Depression, Borderline-Syndrom, Psychosen54
Die Vorgaben zu den Ausschlussgründen in der PDV 300 werden durch den Gesetzgeber regelmäßig an den aktuellen medizinischen und wissenschaftlichen Erkenntnisstand angepasst. So ist es seit Kurzem möglich, auch trans- und intergeschlechtliche Menschen als geeignet für den Polizeivollzugsdienst einzustufen.55
Bevor sich diese Arbeit in den Kapiteln 3.5, 3.6 und 3.7 im Schwerpunkt mit der gesundheitlichen Eignung von Polizeibewerbern befasst, wird zunächst einmal die körperliche Eignung behandelt.
Es existieren hinsichtlich der Mindestkörpergröße bei Polizeibewerbern unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Bundesländern und beim Bund. Dies ist wie bereits beschrieben mit Art. 3 GG vereinbar und gemäß Art. 30 GG auch rechtlich zulässig, da Polizeiaufgaben im Schwerpunkt bis auf wenige Ausnahmen nach Art. 73 Nr. 5 und Nr. 10 GG im Hoheitsgebiet der jeweiligen Bundesländer liegen.
Bei den Polizeien der Bundesländer und der Bundespolizei gelten aktuell folgende Mindestvoraussetzungen hinsichtlich der Körpergröße.
Tabelle 1: Mindestkörpergrößen für den Polizeivollzugsdienst nach Bundesländern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auch wenn gegenwärtig kein Bundesland mehr an einer unter schiedlichen Mindestgröße nach Geschlecht festhält, so war es in Nordrhein-Westfalen noch bis zum Jahr 2017 gängige Einstellungspraxis, dass weibliche Bewerber eine andere Mindestkörpergröße aufweisen mussten, als männliche Bewerber. Zu einer Vereinheitlichung kam es erst nach einem Verwaltungsgerichtsverfahren. Dieses wird nachfolgend zusammenfassend dargestellt.5657585960616263646566676869707172
Der männliche Bewerber (nachfolgend B genannt) bewarb sich im Jahr 2013 um eine Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen für das darauffolgende Einstellungsjahr.73 Bei der medizinischen Untersuchung durch einen Polizeiarzt des LAFP in Münster wurde eine Körpergröße von 166,5 cm festgestellt.74 Gemäß Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2013 (Aktenzeichen 403-26.00.07) mussten männliche Bewerber zu diesem Zeitpunkt eine Mindestgröße von 168 cm aufweisen. Folglich wurde B vom weiteren Bewerbungsverfahren ausgeschlossen. Die Mindestkörpergröße für weibliche Bewerber betrug zum damaligen Zeitpunkt 163 cm.75
B argumentierte vor dem zuständigen VG Gelsenkirchen, es sei nicht ersichtlich, weshalb es unterschiedliche Mindestkörpergrößen für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen gäbe, seien die polizeilichen Aufgaben unabhängig vom Geschlecht später doch dieselben. Des Weiteren argumentierte B, es sei nicht zu erkennen, dass ein männlicher Bewerber mit einer Körpergröße von 166,5 cm seine polizeilichen Aufgaben nicht oder schlechter erledigen könne als eine weibliche Polizeivollzugsbeamtin mit einer Körpergröße von 163 cm. Eine solche Regelung verstoße seiner Ansicht nach gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).76 Zudem sehe er sich in seinem Recht auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG verletzt.77
Das Land Nordrhein-Westfalen erwiderte, dass die Entscheidung über die Einstellung in den öffentlichen Dienst im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn läge und dieser eigene Einstellungskriterien aufstellen könne.78 Durch die Festsetzung einer Mindestkörpergröße werde auch nicht gegen das AGG verstoßen, da gemäß § 8 AGG eine unterschiedliche Behandlung zulässig sei, wenn der Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstelle. B wurde nicht wegen seines Geschlecht nicht eingestellt sondern wegen seiner Größe. Eine Benachteiligung wegen des Geschlecht gemäß § 3 II AGG liege demnach nicht vor. Zusätzlich zu seinen bisherigen Ausführungen führte das Land Nordrhein-Westfalen mit Verweis auf ein Urteil des VG Düsseldorf79 aus dem Jahr 2007 an, dass eine Angleichung der Mindestkörpergröße auf das Niveau der Frauen zu einem überproportional hohen Anteil an zugelassenen männlichen Bewerbern führen würde, was dem Sinngehalt des Art. 3 GG widerspreche.80
Das VG Gelsenkirchen kam nach Anhörung von Kläger und Beklagtem zu dem Entschluss, dass es grundsätzlich zulässig ist, unterschiedliche körperliche Mindestgrößen festzulegen, um dem natürlichen Unterschied zwischen Frauen und Männern gerecht zu werden und um dem verfassungsrechtlich verankerten Auftrag aus Art. 3 II GG nach einer echten Gleichberechtigung der Geschlechter Rechnung zu tragen.
[...]
1 Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Bachelorthesis das generische Maskulin verwendet. Dies impliziert keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts. Sofern ausschließlich Frauen gemeint sind, wird die weibliche Form verwendet.
2 Wolter, Jugendliche zieht es zu Polizei und Bundeswehr.
3 Presseportal, Innenministerium NRW vermeldet Bewerberrekord.
4 Eugen, Tattoos werden bei den Deutschen immer beliebter.
5 Vgl. Sodan, GG, Art. 12, Rn. 1.
6 Vgl. ebd., Rn. 27.
7 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 13.
8 Vgl. Jarass/Pieroth, GG Kommentar, Art. 33, Rn. 7.
9 Vgl. von Münch/Kunig, GGK II, Art. 33, Rn. 14.
10 Vgl. Jachmann-Michel, in: von Mangoldt/Klein, GG II, Rn.12.
11 Vgl. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG-Kommentar II, Rn. 85.
12 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 33.
13 Vgl. Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 33, Rn. 15.
14 Vgl. von Münch/Kunig, GGK II, Art. 33, Rn. 26.
15 Vgl. ebd., Rn. 27.
16 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 35.
17 Vgl. BeckOK/Hense, GG, Art. 33, Rn. 14.
18 Vgl. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG-Kommentar II, Rn. 95.
19 Vgl. Jarass/Pieroth, GG Kommentar, Art. 33, Rn. 14.
20 Vgl. BeckOK/Hense, GG, Art. 33, Rn. 15.
21 Vgl. BVerfG, Urteil vom 05.10.1955 - 1 BvR 103/52, Rn. 44.
22 Vgl. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG-Kommentar II, Rn. 91.
23 Vgl. ebd., Rn. 107.
24 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 40.
25 Vgl. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, GG-Kommentar II, Rn. 109.
26 Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2013 - 2 C 12/11, Rn. 16.
27 Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.1997 - 2 C 7.97, Rn. 15.
28 Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2013 - 2 C 12/11, Rn. 24.
29 Vgl. BeckOK/Hense, GG, Art. 33, Rn. 15.
30 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 41.
31 Vgl. Schmidt, Das äußere Erscheinungsbild von Beamtenbewerbern, Seite 47 f.
32 Vgl. ebd., S. 51.
33 Vgl. Leisner, in: Sodan, GG, Art. 33, Rn. 10.
34 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 42.
35 Vgl. BeckOK/Hense, GG, Art. 33, Rn. 15.
36 Vgl. Jarass/Pieroth, GG Kommentar , Art. 33, Rn. 14.
37 Vgl. Pieper, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 33, Rn. 44.
38 Vgl. ebd., Rn. 45.
39 Vgl. ebd., Rn. 47.
40 Vgl. Jarass/Pieroth, GG Kommentar, Art. 33, Rn. 12.
41 Vgl. Leisner, in: Sodan, GG, Art. 33, Rn. 3.
42 BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005 - 2 BvR 167/02, Rn. 30.
43 Vgl. Leisner, in: Sodan, 2015, Art. 3 GG, Rn. 3.
44 Vgl. Jarass/Pieroth, GG Kommentar , Art. 2, Rn. 39.
45 Vgl. von Münch/Kunig, GGK I, Art. 2, Rn. 29.
46 Vgl. Schmidt-Bleibtreu/Hofmann, GG, Art. 2, Rn. 17.
47 Vgl. Sodan, GG, Art. 2, Rn. 15.
48 Vgl. Polizei NRW, Allgemeines zum Bewerbungsverfahren.
49 Vgl. BKA, Hinweise und Selbsteinschätzung zur Polizeidiensttauglichkeit.
50 BKA, Hinweise und Selbsteinschätzung zur Polizeidiensttauglichkeit.
51 Vgl. ebd.
52 Vgl. BKA, Hinweise und Selbsteinschätzung zur Polizeidiensttauglichkeit.
53 Vgl. ebd.
54 Vgl. ebd.
55 Vgl. Bundesregierung, Änderung der PDV 300, Seite 2.
56 Vgl. Berliner Senatsverwaltung: Berlin schafft Mindestgröße ab.
57 Vgl. Polizei Bremen, Mindestgröße.
58 Vgl. Polizeihochschule Brandenburg, Einstellungsvoraussetzungen.
59 Vgl. FHöV M-V, Fachbereich Polizei.
60 Vgl. Bundespolizei, Einstellungsvoraussetzungen.
61 Vgl. Polizei Ba-Wü, Voraussetzungen.
62 Vgl. Polizei Hamburg, Anforderungen.
63 Vgl. Polizei Hessen, Anforderungen Körpergröße.
64 Vgl. Polizei Sachsen, Einstellungsvoraussetzungen.
65 Vgl. Polizei S-A, ärztliche Mindestanforderungen.
66 Vgl. Landespolizei S-H, FAQ zum Einstellungsverfahren.
67 Vgl. FHöV Thüringen, Voraussetzungen.
68 Vgl. Polizei RLP, Karriere.
69 Vgl. Polizei Bayern, Voraussetzungen für die Einstellung.
70 Vgl. Polizei Niedersachen, Mindestkörperlänge.
71 Vgl. LAFP NRW, Voraussetzungen.
72 Vgl. Polizei Bayern, Voraussetzungen für die Einstellung.
73 Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.03.2016 - 1 K 3788/14, Rn. 2.
74 Vgl. ebd., Rn. 3.
75 Vgl. ebd., Rn. 7.
76 Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.03.2016 - 1 K 3788/14, Rn. 10.
77 Vgl. ebd., Rn. 11.
78 Vgl. ebd., Rn. 21.
79 Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 2.10.2007 - 2 K 2070/07, Rn. 17.
80 Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.03.2016 - 1 K 3788/14, Rn. 25.