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Bachelorarbeit, 2019
42 Seiten, Note: 1,7
II Abbildungsverzeichnis
III Tabellenverzeichnis
IV Abkürzungsverzeichnis
1 Ausgangssituation
2 Wesentliche Begriffe
2.1 Heterogenität
2.2 Behinderung
2.3 Inklusion
2.4 Berufsausbildung
2.5 Betriebliches Ausbildungspersonal und Auszubildende
3 Untersuchungsgegenstand und leitende Fragestellungen
4 Vorgehen und Methode
5 Übersicht der diskutierten Studien
Tabelle 1: Übersicht der betrachteten Studien
6 Zusammenführende Diskussion
6.1 Erfahrungen von Unternehmen mit Heterogenität von Auszubildenden
6.2 Herausforderungen und Chancen
6.3 Handlungsmöglichkeiten und deren Bewertung
6.4 Notwendige Rahmenbedingungen und Ressourcen
6.5 Benötigte Einstellungen und Kompetenzen von Ausbildenden
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
Abbildung 1 Rechtlich vorgesehen Zugangswege auf den Arbeitsmarkt
Abbildung 2 Gründe für Betriebe keine Jugendlichen mit Behinderung auszubilden
Abbildung 3 Herausforderungen inklusiver Berufsbildung aus Perspektive der Ausbildenden
Tabelle 1 Übersicht der betrachteten Studien
BBiG Berufsbildungsgesetz
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
HwO Handwerksordnung
JmB Jugendliche mit Behinderung
KmK Kultusministerkonferenz
MmB Menschen mit Behinderung
NE Nennungen
SGB Sozialgesetzbuch
UN-BRK Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen
WHO World Health Organisation
Laut aktuellem Berufsbildungsbericht (2019) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) nimmt die Menge von potenziellen Auszubildenden tendenziell ab. Als Gründe dafür werden vor allem der demografische Wandel, sowie das Streben junger Menschen in den Hochschulbereich angeführt. Außerdem ist laut dem Bericht eine zunehmende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt beobachtbar. So blieben im Berichtsjahr 2017/18 insgesamt 57.700 Stellen unbesetzt, 17,7% mehr als im Vorjahr, während gleichzeitig auch die Zahl der BewerberInnen anstieg, die ohne Ausbildungsplatz geblieben sind (BMBF 2019, S. 12–13). Angesichts dieser Entwicklungen wird schon seit einiger Zeit ein zunehmender Fachkräftemangel prognostiziert (Gans 2011, S. 109; Bußmann 2015). Die Relevanz dieser Entwicklung lässt sich unter anderem damit begründen, dass beruflich qualifizierte Fachkräfte, definiert als ArbeitnehmerInnen mit anerkanntem nicht akademischen Berufsabschluss 61,2% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausmachen (Statistisches Bundesamt 2019). Aktuelle Prognosen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes deuten darauf hin, dass trotz der momentanen Ausweitung des Arbeitskräfteangebots durch Zuwanderung und der fortschreitenden Digitalisierung mittelfristig keine zunehmende Erwerbslosigkeit entstehen wird, sondern der Arbeitsmarkt durch eine Knappheit an Erwerbspersonen geprägt ist. Besonders in einzelnen technischen Berufsfeldern, in Bau-, sowie in Gesundheits- und Pflegeberufen werden bereits deutliche Fachkräfteengpässe beobachtet (BMBF 2019, S.27-29). Auch aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist daher anzunehmen, dass angesichts dieser Fachkräfteengpässe in vielen Ausbildungsberufen für die meisten Unternehmen Ausbildungsanreize bestehen, um das Fachkräftepotential zu sichern (Metzler et al. 2017, S. 11). Es gibt Grund zur Annahme, dass zunehmend auch bislang am Ausbildungsmarkt benachteiligte Gruppen in den Blick genommen werden, um dem Fachkräftemangel zu begegnen (Enggruber und Rützel 2014, S. 13). Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass „eine in den vergangenen Jahren stets größer werdende Bandbreite an individuellen Voraussetzungen – von der schulischen Vorbildung und Leistung über den sozialen und kulturellen Hintergrund bis hin zur Altersspreizung der Auszubildenden“ (Severing und Weiß 2014, S. 5) diskutiert wird (z.B. in Seeber 2010, S. 89; Rauner 2009). Diese „Bandbreite an individuellen Voraussetzungen“ wird im Folgenden als Heterogenität bezeichnet. Eine genaue Definition der für diese Arbeit wesentlichen Begriffe erfolgt in Kapitel 2.
Als eine von vielen Heterogenitätsdimensionen kann das Merkmal Behinderung angesehen werden. Im Jahr 2009 hat Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) ratifiziert. In Artikel 24(5) dieser Konvention ist folgendes festgehalten:
„Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Zu diesem Zweck stellen die Vertragsstaaten sicher, dass für Menschen mit Behinderungen angemessene Vorkehrungen getroffen werden“ (Vereinte Nationen 2008).
In einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung, durchgeführt von Forschern der Universität St. Gallen aus dem Jahr 2003, bejahten 99% der Befragten, dass sich Unternehmen im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit der Ausbildung und Förderung von Behinderten im Unternehmen annehmen sollten (Lunau et al. 2003). Untenstehende Übersicht über die Hauptverbleibmöglichkeiten von Schulentlassenen mit Behinderung verdeutlicht, dass die Mehrheit der in Deutschland rechtlich vorgesehenen Wege für Menschen mit Behinderung (MmB) auf dem Arbeitsmarkt einmünden.
Abbildung 1: Rechtlich vorgesehen Zugangswege auf den Arbeitsmarkt Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: „Allgemeine Übersicht über die statistisch ausgewiesenen Hauptverbleibmöglichkeiten von Schulentlassenen mit Behinderung“ (Niehaus et al. 2012, S. 46)
Es existieren mit der UN-BRK, dem Grundgesetz (Artikel 3 Absatz 3 Satz 2), den Sozialgesetzbüchern (SGB III, IX, XII), sowie dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) und der Handwerksordnung (HwO), eine Vielzahl normativer Rahmenbedingungen, welche eine Inklusion benachteiligter Gruppen in das Beschäftigungssystem rechtlich verankern und zum Ziel haben die Teilnahme aller am Arbeitsleben zu fördern (Niehaus et al. 2012, S. 42). Paragraf 64 des Berufsbildungsgesetzes verlangt ausdrücklich: “ Behinderte Menschen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) sollen in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden. (BBiG § 64).
Die Wahrscheinlichkeit einer Teilhabe am Arbeitsleben steigt, auch für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf, mit dem erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung (Hofmann und Häfeli 2013, S. 12). Diese Zielgruppe ist derzeit allerdings auf dem ersten Arbeitsmarkt noch „stark unterrepräsentiert“ (Wendland 2013, S. 3). Als ersten Arbeitsmarkt bezeichnet man in der Regel zustande gekommene Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse auf Basis der freien Wirtschaft, das heißt ohne arbeitsmarktpolitische Intervention (Knapp 2005, zitiert nach Niehaus et al. 2012, S. 49). Metzler et al. (2017) haben auf Grundlage von Daten des Forschungsdatenzentrums der statistischen Ämter des Bundes und der Länder berechnet, dass 2015 nur knapp 16 % aller Menschen ohne Behinderung im erwerbsfähigen Alter keinen beruflichen oder akademischen Abschluss hatten, während dieser Anteil bei Menschen mit Behinderung bei 44,2 % lag (S. 5). Für viele Jugendliche mit Behinderung stellt ein nahtloser Wechsel in die betriebliche Ausbildung eher die Ausnahme dar (Niehaus et al. 2012, S. 12).
Während zum Thema Inklusion, vor allem im (berufs-) schulischen Kontext seit einiger Zeit ein lebendiger Diskurs, begleitet von zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen, geführt wird (z.B. Zoyke und Vollmer 2016), gibt es zur Berufsausbildung junger Menschen mit Behinderung aus betrieblicher Perspektive relativ wenige Untersuchungen. „Mit diesem schulischen Fokus einhergehend, ist auch zu beobachten, dass der Bezugspunkt im Hinblick auf das Personal in der Berufsbildung bisher deutlich in der Lehrerbildung liegt“ (Meyer 2010, S. 5). Im Rahmen der dualen Ausbildung ist jedoch neben der Schule auch der Betrieb als Lernort entscheidend. Die Qualität der betrieblichen Seite der Ausbildung wird in hohem Maße durch die Arbeit des betrieblichen Ausbildungspersonals beeinflusst, das auch zahlenmäßig die größte Gruppe des berufspädagogisch tätigen Personals darstellt (Brünner 2012, S. 237). Daher ist es wahrscheinlich, dass die Perspektive von Betrieben und Ausbildenden einen gewinnbringenden Beitrag zum besseren Verständnis der aktuellen Rahmenbedingungen und Strukturen in der Berufsausbildung leisten kann.
Ziel dieser Arbeit ist es, bestehende Studien zum Umgang mit Heterogenität in der betrieblichen Ausbildung aus der Perspektive von Unternehmen und Ausbildenden auszuwerten. Schwerpunktmäßig wird der Umgang mit der Heterogenitätsdimension Behinderung betrachtet. Zentrale Erkenntnisse werden in Bezug zueinander gesetzt und diskutieren.
Im folgenden Abschnitt wird kurz herausgestellt, welches Verständnis den im einleitenden Abschnitt kursiv hervorgehobenen Begriffen , die für den Gegenstand dieser Arbeit wesentlich sind, zugrunde liegt.
Der Begriff Heterogenität, so wie er in dieser Arbeit verwendet wird, bezeichnet Unterschiedlichkeit. Nach Sturm (2016) kann diese Differenz erkannt werden, sobald mindestens zwei Aspekte oder Eigenschaften miteinander verglichen werden. „Das Ergebnis dieses Vergleichs lautet dann gleich oder ungleich respektive homogen oder heterogen“ (S. 15). Es können folglich unterschiedliche Aspekte oder Heterogenitätsdimensionen als Ebenen, auf denen ein solcher Vergleich stattfindet, betrachtet werden. Jugendliche, die eine Berufsausbildung beginnen, können hinsichtlich ihres Alters, ihrer Bildungsbiografie und ihres Schulabschlusses, der beruflichen Vorbildung, Erfahrung und Sozialisation sowie weiterer sozialstruktureller Kriterien verglichen werden (Seeber 2010, S. 90). Weitere sozialstrukturelle Kriterien können beispielsweise „Schicht/soziales Milieu, Geschlecht, Migration [und, JB] Behinderung sein“ (Walgenbach 2017, S. 51). Des Weiteren können auch individuelle Heterogenitätsmerkmale wie zum Beispiel lernbezogene Interessen, Motivation, kognitive Fähigkeiten oder Lernstrategien unterschieden werden (S. 37). Walgenbach unterscheidet vier verschiedene Bedeutungsdimensionen von Heterogenität:
‒ Heterogenität als Belastung oder Chance (evaluative Bedeutungsdimension)
‒ Heterogenität als soziale Ungleichheit (ungleichheitskritische Bedeutungsdimension)
‒ Heterogenität als Unterschiede (deskriptive Bedeutungsdimension)
‒ Heterogenität als didaktische Herausforderung (didaktische Bedeutungsdimension). (S. 26)
Bei der evaluativen Bedeutungsdimension geht es um eine Wertung. Es werden vordergründig positive oder negative Aspekte von Heterogenität betrachtet. In der ungleichheitskritischen Bedeutungsdimension stehen ungleiche Lebenslagen im Mittelpunkt. In dieser Bedeutungsdimension wird Heterogenität als gesellschaftliches Problem aufgefasst. Die deskriptive Bedeutungsdimension fokussiert auf beschreibend wahrnehmbare Unterschiede. Die didaktische Bedeutungsdimension wiederrum betrachtet vor allem den Umgang mit Heterogenität, also „handlungspraktische Konsequenzen für die Organisation und Gestaltung von Lernprozessen “ (Förster-Kuschel, S. 278).
Behinderung kann, neben Geschlecht, Alter, etc. ebenfalls als eine Heterogenitätsdimension aufgefasst werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass keine einheitliche Definition des Behinderungsbegriffes existiert. Die oben zitierte deutsche Übersetzung der UN-BRK definiert Behinderung folgendermaßen:
„Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“ (Vereinte Nationen 2008).
Nach § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) gelten Menschen als behindert,
„wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“
Im Unterschied dazu wird in § 19 SGB III insbesondere auf Einschränkungen behinderter Menschen bei der Teilhabe am Arbeitsleben verwiesen (Niehaus et al. 2012, S. 43). Bei diesem Behinderungsverständnis ist zu beachten, dass die Gründe für die Behinderung nicht ausschließlich in der behinderten Person selbst liegen, sondern, wie auch die World Health Organisation (WHO) herausstellt, immer auch von der Umwelt (Gesellschaft, Infrastruktur etc.) maßgeblich beeinflusst werden (WHO 2011, S. 4–5). In den Schulgesetzen der Länder wird nicht von Behinderung, sondern von sonderpädagogischem Förderbedarf gesprochen. Die Kultusministerkonferenz (KmK) empfiehlt die Differenzierung so genannter Förderschwerpunkte in folgende Kategorien: Sehen, Hören, körperliche und motorische Entwicklung, Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler, geistige Entwicklung, Sprache, Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung (KmK 2011). Nach dieser Kategorisierung stellen Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt Lernen mit 60-65% die größte Behindertengruppe bei AbgängerInnen aus Förderschulen dar, auch wenn diese Gruppe meist außerhalb einer interessierten Fachöffentlichkeit nicht als behindert wahrgenommen wird (Wendland 2013, S. 3–4). Eine diagnostizierte Lernbehinderung kann meist nicht auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden, sondern es liegen oft „multifaktorielle Problemlagen (somatische, psychische, schulische oder soziale Problemlagen)“ vor (ebd.). Die im folgenden betrachteten Untersuchungen arbeiten mit unterschiedlichen Definitionen von Behinderung, auch weil oft nur nach ärztlichen Gutachten festgestellte Schwerbehinderungen statistisch erfasst sind (Niehaus et al. 2012, S. 60–61). Diese Arbeit legt allerdings gemäß den oben zitierten Definitionen ein weiter gefasstes Behinderungsverständnis als das der diagnostizierten Schwerbehinderung zu Grunde. Da die betrachteten Studien auf unterschiedliche Definitionen zurückgreifen, wird das Verständnis von Behinderung der betrachteten Studien im Einzelfall herausgearbeitet.
Auch der Begriff Inklusion ist nicht klar definiert oder eindeutig und wird kontrovers diskutiert (z.B. in Tenorth 2013; Zoyke und Vollmer 2016). Außerdem ist der Inklusionsbegriff in seiner heutigen Nutzung fast immer normativ aufgeladen (Grummt 2019, S. 8). Es kann zwischen einem menschenrechtsbasiertem oder einem systemtheoretischen Zugang, sowie zwischen einem engeren oder einem weiteren Inklusionsverständis unterschieden werden (ebd.).
In dieser Arbeit bezeichnet der Begriff Inklusion, in Anlehnung an Hinz, die gleichberechtigte Teilhabe aller Personengruppen an Bildung und Arbeit, und setzt aus pädagogischer Perspektive den Willen und die Fähigkeit voraus, mit der Vielfalt von Personen umzugehen (Hinz 2010). Dies geht über das enge Verständnis der UN-BRK hinaus, da diese Definition nicht nur die Heterogenitätsdimension Behinderung, sondern alle Formen von Differenz mit einbezieht. Normativ sollte im Sinne dieses Inklusionsverständnisses allen Menschen vorbehaltlos und auf der Basis ihrer individuellen Kompetenzen, Potenziale und Bedürfnisse eine optimale (Berufs-)Bildung ermöglicht werden (Sicking 2012).
Gemäß §1 (3) BBiG vermittelt eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten in einem geordneten Ausbildungsgang. Das BBiG schließt in die Bereiche der Berufsbildung auch die Bereiche der Berufsausbildungsvorbereitung, sowie der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung mit ein. Diese Arbeit geht nur auf den Bereich der Berufsausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen ein. In diesen wird gemäß §4 BBiG bzw. §25 HwO nach der entsprechenden Ausbildungsordnung ausgebildet. Im Jahr 2019 gibt es in Deutschland 325 anerkannte Ausbildungsberufe (Bundesinstitut für Berufsbildung 2019, S. 79). Ausbildungsstellen sind in der Regel Ausbildungsbetriebe oder Dienstleistungsstätten, sowie öffentliche Einrichtungen (Niehaus et al. 2012, S. 45).
Österreich und die Schweiz weisen ein mit Deutschland vergleichbares und in vielerlei Hinsicht ähnliches duales Ausbildungssystem auf (vgl. Bliem 2016), in dem „Fachkräfte in Wirtschaftsunternehmen Ausbildungsfunktionen in verschiedenen Ausprägungen in ihren Arbeitsalltag integrieren“ (Bahl et al. 2012, S. 4).
Unter betrieblichem Ausbildungspersonal im weiteren Sinne kann die Gruppe von Personen verstanden werden, die im betrieblichen Kontext in einem mehr oder minder großen Umfang ihrer Tätigkeit (betriebs-)pädagogische Aufgaben übernimmt. Quantitativ handelt es sich dabei um die größte Gruppe derjenigen, die in der Berufsbildung mit pädagogischen Aufgaben betreut sind (Brünner 2012, S.237). Diese Definition differenziert allerdings nicht zwischen Personen, die über einen Ausbilderschein gemäß Ausbildereignungsprüfung (AEVO) verfügen, und anderen Personen, die im Rahmen der Ausbildung pädagogische Aufgaben wahrnehmen. Zu diesen „gehören die Personen, die mit Prozessen der betrieblichen Aus- und Weiterbildung sowie mit der Kompetenzentwicklung von Beschäftigten in Unternehmen betraut sind bzw. dazu einen organisatorischen Beitrag leisten“ (Meyer 2010, S. 13). Es ist zu beachten, dass sich die Aufgaben und die Qualifikationen von betrieblichem Ausbildungspersonal sehr stark unterscheiden können. So kann im Wesentlichen zwischen vier verschiedenen Aufgabentypen des betrieblichen Bildungspersonals unterschieden werden: Makrodidaktischer Planung, Mikrodidaktischen Aufgaben für Gruppen oder für Einzelpersonen, sowie pädagogisch-organisatorischen Aufgaben (Brünner 2014, S.219). Mit diesen unterschiedlichen Aufgaben gehen auch unterschiedliche Entscheidungsbefugnisse einher. Es kann weitestgehend zwischen Ausbildungsverantwortlichen, Ausbildungsbeauftragten sowie ausbildenden Fachkräften differenziert werden (Förster-Kuschel, S. 291).
Angesichts der oben genannten Heterogenitätsdimensionen innerhalb der Gruppe des betrieblichen Ausbildungspersonals werden Ausbildende in dieser Arbeit nicht auf Grundlage von Aufgaben oder Qualifikationen definiert, sondern über ihr Klientel, die Auszubildenden. Nach Meyer (2010) sind Auszubildende „junge Menschen, die berufliche Handlungskompetenzen in einem geordneten Ausbildungsgang mit dem Ausbildungsziel einer formalen Qualifikation (IHK bzw. HwK-Prüfung) erwerben“ (S. 14). Alle Personen, die mit dieser Klientel in Betrieben pädagogisch arbeiten, werden in dieser Arbeit als Ausbildende bezeichnet.
Forschungsergebnisse der Universität Bremen belegen, dass Auszubildende unterschiedlicher Ausbildungsbetriebe ein Höchstmaß an Heterogenität hinsichtlich ihrer Kompetenzen aufweisen. Teilweise lag die Kompetenzentwicklung zwischen dem obersten bzw. dem untersten Dezil der leistungsschwächsten beziehungsweise leistungsstärksten Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr hinsichtlich der untersuchten Kompetenzentwicklung um bis zu zwei Ausbildungsjahre auseinander (Rauner 2009, S.28-31). Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich die Auszubildenden in Zukunft noch stärker in unterschiedlichen Heterogenitätsdimensionen voneinander unterscheiden werden (Ebbinghaus 2011, S. 123). Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass Unternehmen zunehmend auch Gruppen in den Blick nehmen, die bislang am Ausbildungsmarkt benachteiligt waren. Hierzu zählen auch Menschen mit Behinderungen (Enggruber und Rützel 2014, S. 13). Daher ist es ein zentraler Aspekt der Berufsbildung, den Unterschieden von Lernenden und Lerngruppen gerecht zu werden, auf unterschiedliche Lerntempi einzugehen und leistungsstärkere wie leistungsschwächere Auszubildende gleichermaßen individuell zu fördern um Qualifikationsreserven zu erschließen und hohe Abbruchquoten zu vermeiden (Severing und Weiß 2014, S. 9).
Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik legt häufig den Fokus ihrer Betrachtungen auf die Schule, und damit hinsichtlich des Personals in der Berufsbildung auf die Kompetenz von Lehrkräften. Da in der dualen Ausbildung dem Betrieb als Lernort eine entscheidende Rolle zukommt, ist allerdings, gerade im Umgang mit Heterogenität, auch die pädagogische Kompetenz von Ausbildenden von Interesse (Meyer 2010, S. 5–6). Meyer konstatiert, dass pädagogische Tätigkeiten im Rahmen einer Ausbildung „zu einem großen Teil“ (S.15) von nebenberuflichen Ausbildenden ohne eine formale Qualifikation wahrgenommen werden. Hauptamtliche Ausbildende verfügten mit der Ausbildereignungsprüfung zwar über eine formale Grundqualifikation, über diese ließen sich Wissen und Kompetenzen für pädagogische Tätigkeiten allerdings nur „bedingt vermitteln und erwerben“ (S.17). Mit dieser Beobachtung deckt sich die Aussage von Bahl et al. (2012), laut denen die betriebliche Ausbildung überwiegend ein selbstverständlicher, unreflektierter Bestandteil der Unternehmenskultur sei. „Die hochgradig informell geprägte Ausbildungstätigkeit auf der Fachkräfteebene wird kaum gesehen; pädagogische Kompetenzen finden wenig Anerkennung. Der geringe Stellenwert des Pädagogischen deckt sich mit einem nach wie vor geringen Stellenwert der Personalentwicklung in Unternehmen“ (Bahl et al. 2012, S. 3). Darüber hinaus seien Ausbildende stets mit teilweise im Konflikt stehenden Rahmenbedingungen, Interessen und Erwartungen konfrontiert (S. 20). Häufig beruht die Bildungspraxis in Betrieben in Ermangelung geeigneter wissenschaftlich abgesicherter Instrumente auf „Erfahrungswissen“, und individuellen „Alltagstheorien“ des betrieblichen Bildungspersonals (Severing und Weiß 2014, S. 14–15).
Angesichts dieser Rahmenbedingungen darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung von Auszubildenden, die im Idealfall zu einer langen Betriebszugehörigkeit von fachlich gut ausgebildetem Personal und einer hohen Identifikation der MitarbeiterInnen führt, einen großen Nutzen für Unternehmen haben kann (Kimmelmann 2009, S. 15). Darüber hinaus kann auch die Heterogenität innerhalb einer Lerngruppe bzw. eines Azubi-Jahrgangs unter Umständen förderlich für den Erwerb von Fach- und Sozialkompetenzen sein, während die Bestenauslese von SchulabsolventInnen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen hohe Risiken der späteren Abwanderung von ausgebildeten Fachkräften birgt (Severing und Weiß 2014, S. 6–7).
Es ist wahrscheinlich, dass die Perspektive von Betrieben und Ausbildenden einen gewinnbringenden Beitrag zum besseren Verständnis der aktuellen Rahmenbedingungen und Strukturen in der Berufsausbildung leisten kann. Im Zuge der Veränderungen, die sich durch den demografischen Wandel, die Knappheit junger Menschen auf dem Ausbildungsmarkt, sowie das gesamtgesellschaftliche Ziel der Inklusion benachteiligter Menschen ergeben, kann ein besseres Verständnis des Umgangs mit Heterogenität aus betrieblichen Perspektive dazu beitragen, Herausforderungen angemessen zu begegnen und sich bietende Möglichkeiten zu nutzen. Eine Übersicht des derzeitigen Forschungsstands ermöglicht die Darstellung bisher bekannter Handlungsmöglichkeiten sowie deren Bewertung sowohl von Seiten der Betriebe als auch aus Sicht der Ausbildenden.
Um den derzeitigen Kenntnisstand in diesem Bereich zusammenfassen und diskutieren zu können, orientiert sich diese Arbeit an folgenden zentralen Fragestellungen:
1. In welchem Umfang haben Unternehmen bereits Erfahrung im Umgang mit Heterogenität?
2. Mit welchen Herausforderungen sehen sich Unternehmen und Ausbildende angesichts der Heterogenität von Auszubildenden konfrontiert, und welche Chancen bieten sich aus ihrer Perspektive?
3. Welche Handlungsmöglichkeiten bieten sich Unternehmen und Ausbildenden im Umgang mit heterogenen Voraussetzungen der Auszubildenden und wie werden unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten empfunden bzw. bewertet?
4. Welche (Rahmen-)Bedingungen und Ressourcen innerhalb des Betriebes sind aus Sicht von Unternehmen und Ausbildenden notwendig, um Handlungsmöglichkeiten zu realisieren?
5. Welche Einstellungen und Kompetenzen sollten Ausbildende haben, um angemessen mit heterogenen Voraussetzungen umgehen zu können?
Im Grundsatz verfolgt diese Arbeit ein exploratives Vorgehen. Ziel ist, die oben genannten, deduktiv aus der Theorie abgeleiteten Fragestellungen anhand bestehender wissenschaftlicher Studien zu beantworten. Sowohl die Auswahl als auch die Analyse und Interpretation der für die Beantwortung dieser Fragestellungen betrachteten Studien erfolgt in Anlehnung an die von Sandelowski und Barosso (2010) erarbeiteten Vorgehensweisen für die Zusammenfassung qualitativer Erhebungen. Die maßgeblichen Parameter für die Auswahl der Studien waren die beiden Kriterien thematische Relevanz und Aktualität.
Die Studien werden mit Hilfe von einschlägigen Datenbanken und Zeitschriften, wie z.B. der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, dem Fachportal Pädagogik, Veröffentlichungen in Publikationen des Bundesinstituts für Berufsbildung, oder dem Fachjournal bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik-online ermittelt. Veröffentlichungen, die älter als 10 Jahre sind, werden nicht berücksichtigt.
Ein besonderer Schwerpunkt bei der Auswahl der betrachteten Studien wird auf die Heterogenitätsdimension Behinderung gelegt. Dies liegt zum einen daran, dass es zu diesem Bereich bereits einige Studien gibt, zum anderen wird so eine bessere inhaltliche Vergleichbarkeit der Studien untereinander ermöglicht. Da das jeweilige Behinderungsverständnis der betrachteten Studien allerdings nicht immer einheitlich ist, wird dieses vor einem Vergleich der Ergebnisse herausgearbeitet und reflektiert. Studien, die sich ausschließlich mit anderen Heterogenitätsdimensionen, wie beispielsweise Geschlecht oder Migrationshintergrund beschäftigen, werden nicht in die Auswahl einbezogen. Es werden nur Studien aus Deutschland und der Schweiz betrachtet, da in beiden Ländern ein vergleichbares duales Ausbildungssystem besteht, und sich auch die Unterstützungsangebote für Betriebe in beiden Ländern ähneln (Bliem et al. 2016; Pool Maag und Jäger 2016, S. 1). Eine Übersicht der ausgewählten Studien findet sich in Kapitel 5.
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