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Diplomarbeit, 2022
60 Seiten, Note: 1,0
Anmerkung zur vorliegenden Arbeit
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Begründung und Zielsetzung
1.2 Herangehensweise
2 Begriffsdifferenzierung und Definition
2.1 Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus
2.2 Rechtsterrorismus
2.3 Lone Actor im Rechtsterrorismus
3 Phänomenologie Lone Actor im Rechtsterrorismus
3.1 Entwicklung und Bedeutung des führerlosen Widerstandes
3.2 Täterprofil und Modus Operandi
3.3 Aktuelle strategische Denkmuster und Agitationsfelder
3.4 Das Lone Actor Phänomen als neue Welle? Eine Trendentwicklung
3.5 Zwischenfazit Phänomenologie
4 Ätiologie der Radikalisierung
4.1 Stand der Forschung und Radikalisierungsmuster
4.2 Radikalisierungsfaktor – psychische Erkrankungen
4.3 Radikalisierungsfaktor – soziale Isolation
4.4 Radikalisierungsfaktor – World Wide Web
4.5 Anwendung auf den Fall Stephan Balliet
5 Tatsächlich ein Einzeltäter? - eine Frage der Perspektive
6 Fazit
6.1 Gesamtfazit
6.2 Ausblick
Literatur - und Quellenverzeichnis
In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche oder anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint.
Der Autor möchte damit in keinem Fall eine Aussage zur Gendergerechtigkeit oder Sprachkritik treffen.
Die in dieser Arbeit getätigten Feststellungen spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung des Verfassers wider. Zudem sollen keine gesellschaftlichen oder gar politischen Ansichten des Autors vermittelt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Wir beobachten eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus. Sicherheitsbehörden sehen sich dabei neben den alten Strukturen auch mit ganz neuen Formen wie rechten Netzwerken im Internet oder sich selbst radikalisierenden Einzeltätern konfrontiert.“1
In diesem Kapitel wird die Grundlage zur Anfertigung dieser Arbeit zum Thema des Lone Actor-Phänomens im Rechtsterrorismus begründet.
Anschließend werden die Notwendigkeit und die Zielsetzung dieser Arbeit dargelegt. Im Weiteren beschreibt der Autor sowohl den Aufbau der Arbeit als auch die Vorgehensweise in den einzelnen Kapiteln.
Terrorismus gilt als ein sich durch die Geschichte der Menschheit ziehendes und seit Anbeginn der Zeitgeschichte existierendes Phänomen.2
Dabei sieht sich die westliche Welt mit einer neuen, hausgemachten und wachsenden Form des Individualterrorismus konfrontiert, der nicht grundsätzlich dem Jihadismus zuzuordnen ist und vor staatlichen Grenzen keinen Halt zu machen scheint.3 Sozial isolierte, psychisch kranke und sich mit Hilfe des Internets radikalisierende und gedanklich austauschende, rechtsterroristische Einzeltäter, die autonom, konspirativ und losgelöst von gruppenbasierten Terrorismusstrukturen im Rahmen einer rechtsextremistischen Ideologie, unkalkulierbare Anschläge begehen, scheinen auf dem Vormarsch. Reale und virtuelle Welten verschmelzen und virtuelle Vernetzung wird Teil der Realität. So scheinen Sie ihr prägendes, ideologisches Weltbild im Austausch zu entwickeln.4
Vielfach finalisierte sich die Radikalisierung von Einzeltätern in einem akribisch vorbereiteten Akt des Terrors5 wobei sie vorzugsweise auf die gesellschaftliche Resonanz ihres terroristischen Handelns setzen. Als trauriger Höhepunkt kristallisierte sich das Jahr 2019 heraus, in welchem unter anderem der Rechtsterrorist Brenton H. Tarrant am 15. März 2019 ein Massaker an 51 Muslimen in zwei Moscheen anrichtete.6 Diesen Anschlag glorifizierend und nachahmend reihten sich John Earnest, der am 27. April 2019 einen Anschlag auf eine Synagoge in Poway, USA beging und Stephan Balliet, mit seinem am 9. Oktober 2019 in Halle begangenen Anschlag, in eine Serie weiterer, so genannter rechtsterroristischer Einzeltäter-Fälle, ein.7
Lange Zeit lag der Fokus der Wissenschaft auf gruppenbasierten Terrorismus und Radikalisierung im Gruppenkontext, insbesondere mit einer Fokussierung auf den islamistischen Fundamentalismus, was vermutlich zu einer Vernachlässigung der Gefahr von Lone Actor Rechtsterroristen und zu unreflektierten und vorschnellen Vorverurteilungen hinsichtlich der ideologischen Ausrichtung der Täter führte. So meinte man in Anders Behring Breiviks Anschlag vom 22. Juli 2011 anfangs einen Akt von al-Qaida zu erkennen.8 Einen Paradigmenwechsel erlebte insbesondere die angloamerikanische Terrorismusforschung Ende der 2000-er Jahre und erfasste Einzeltäter als einen eigenen, gruppenunabhängigen Bereich.9
In politischen Diskussionen kommt es immer wieder dazu, dass rechtsterroristische Lone Actor Anschläge als Einzelfälle fehleingeschätzt und verharmlost werden.10
Der Einzeltäter-Terrorismus stellt augenscheinlich eine der gefährlichsten Spielarten des Terrorismus dar, denn er wird in seiner Begehung immer erfolgreicher11, weshalb er auch als eine neue, die fünfte Welle des Terrorismus diskutiert wird.12
Von Einzeltätern genutzte, strategisch-ideologische Denkmuster diversifizieren sich zunehmend. Sie sind von alten wie neuen Narrativen geprägt und sowohl von gesellschaftlichen als auch politischen Geschehnissen beeinflusst.13
Alte Konzepte zur Handlungs- und Orientierungsanleitung, die der Begehung effektiver Anschläge dienen, scheinen ein Wiederaufflammen und eine transnationale Verbreitung durch die Omnipräsenz des Internets zu erleben. Dabei bedarf es jedoch einer kritischen Auseinandersetzung mit vorstehender Annahme.
Gerade weil der Radikalisierungsprozess von Lone Actor-Rechtsterroristen lediglich eine vereinzelte, empirische Betrachtung genoss, erscheint es in diesem Zusammenhang notwendig, über phänomenologische Erkenntnisse zu diesem Phänomen hinaus ein Verständnis dafür zu schaffen, warum der Einzelne eine derartige Radikalisierung hin zu einem Terroranschlag durchlebt.14
Aufgrund ihres bevorzugt autonomen Handelns gelten Lone Actor als schwer detektierbare Individuen, die die Sicherheitsbehörden vor mühseligen Herausforderungen stellen.15 Sie stellen somit eine erhebliche Gefahr für den Frieden westlicher Demokratien dar und werfen eine große Menge an Fragen auf. Fraglich scheint jedoch, ob das bisherige Verständnis des Begriffs des Einzeltäters in seiner Form und Ausprägung noch Anwendung finden sollte oder insbesondere eine soziologische Betrachtungsweise zu einem veränderten Verständnis führen könnte.16
Daher beleuchtet die Diplomarbeit zunächst wissenschaftlich das Phänomen des Lone Actor im Rechtsterrorismus anhand phänomenologischer und ätiologischer Faktoren, respektive des typischen Radikalisierungsprozesses. Überdies wagt der Autor den Versuch einer annähernden Erklärung, ob es sich hierbei tatsächlich um Einzeltäter handelt.
Das Ziel dieser Arbeit liegt in der Schaffung eines praxisnahen Verständnisses des Lone Actor-Phänomens im Rechtsterrorismus und der Beantwortung der Frage, ob das bisherige Verständnis des Begriffs des Einzeltäters in seiner Form und Ausprägung durch eine soziologische Betrachtungsweise zu einem erweiterten Verständnis führen kann. Der Schwerpunkt liegt hierbei in der Darstellung und Problematisierung des Radikalisierungsprozesses von Lone Actor Terroristen insbesondere im Hinblick auf das Potential des Radikalisierungsfaktors des World Wide Webs. Aufgrund der aktuellen und andauernden Gefährdungslage17 erfolgt die Bearbeitung mit Fokus auf den Rechtsterrorismus. Der Bereich des islamistischen Lone Actor-Terrorismus ist nicht Bestandteil dieser Arbeit, wird jedoch an einigen Stellen als vergleichende Bezugsgröße mit angeführt. Die Betrachtung des Phänomens beschränkt sich auf den räumlichen Bereich westlicher Demokratien, da dort auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Studienlage, annähernd gleiche Bedingungen vorzufinden sind.18
In dem nachfolgenden Kapitel 2 dieses einleitenden Kapitels werden zunächst die für ein grundlegendes Verständnis dieser Arbeit unerlässlichen Begriffe des Rechtsradikalismus Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und Lone Actor im Rechtsterrorismus näher dargestellt, an einer Stelle abgegrenzt und erläutert.
Als Grundlage hierfür bedient sich der Autor vorzugsweise der Definitionen deutscher Behörden, wie den Verfassungsschutzämtern. An diversen Stellen werden diese Definitionen durch eingehendere Fachexpertisen verschiedener Politik-, Sicherheits-, Soziologie-, Extremismus- und Terrorismuswissenschaftler begleitet. Zu nennen sind hierbei insbesondere: Grumke, Salzborn, Goertz, Pfahl-Traughber, Gräfe, Koehler und Ohlrogge & Selck.
Für ein besseres Verständnis und zur Auflockerung des Leseflusses werden an einigen Stellen dieser Arbeit Aussagen von Personen zitiert und Abbildungen kontextgebunden dargestellt. Letztere sollen dem Leser eine anschauliche und überblicksartige Darstellung der zuvor herausgestellten Ergebnisse ermöglichen. Aufgrund des sparsamen Einsatzes der Abbildungen verzichtet der Autor auf das Anlegen eines Abbildungsverzeichnisses.
Den Hauptteil dieser Arbeit stellen die Kapitel 3, 4, und 5 dar. Hierbei werden phänomenologische Aspekte des Einzeltäters im Rechtsterrorismus herausgestellt und hinsichtlich ihrer teils strategischen und organisatorischen Bedeutung und Entwicklungstendenzen kritisch thematisiert und mit einem ersten Zwischenfazit abgeschlossen. Anschließend widmet sich der Autor den ätiologischen und begünstigenden Faktoren der Radikalisierung von Einzeltätern und überprüft die gewonnenen Erkenntnisse anhand eines Fallbeispiels, bevor er mit einer erweiterten perspektivischen Betrachtung des Einzeltäter-Verständnisses seine Arbeit in einem Fazit und zukünftigen Ausblick abschließt.
Kapitel 3 thematisiert die Erscheinungsformen im Lone Actor- Rechtsterrorismus. Dabei wird das Konzept des führerlosen Widerstandes hinsichtlich seiner Entwicklung und Bedeutung für den Einzeltäter kritisch begutachtet. Anhand einer ausgewählten Studie widmet sich der Autor dem Versuch der Darstellung eines Täterprofils und eines Modus Operandi. Überdies werden aktuelle und akzentuierte, ideologisch-strategische Denkmuster und Agitationsfelder herausgearbeitet und in ihrer bisherigen Anwendung durch Einzeltäter dargestellt. Abschließend wird anhand der aktuellen Entwicklung die Frage nach einer neuen Welle von rechtsterroristischen Lone Actor-Anschlägen kurz diskutiert, bevor der Autor ein erstes Zwischenfazit zur Phänomenologie zieht. Dabei stützt sich der Autor neben den eingangs erwähnten Experten auf Feststellungen von u.a. Hartleb, Malthaner & Hoebel und Ellis et al.
Kapitel 4 befasst sich mit den ursächlichen und zugleich befördernden Faktoren der Radikalisierung von Einzeltätern im Rechtsterrorismus. Dabei wird neben der Darstellung einer Definition von Radikalisierung sowohl der aktuelle Stand der Forschung betrachtet als auch auf in Frage kommende Radikalisierungspattern eingegangen. Anschließend wird neben der Häufigkeit psychischer Erkrankungen auch die Komponente der sozialen Isolation beleuchtet. Der Hauptschwerpunkt der Betrachtung liegt hierbei im Einfluss des World Wide Webs und seiner Ausprägungen. Abschließend wird durch den Autor der Versuch unternommen, die gewonnenen Erkenntnisse auf einen rechtsterroristischen Einzeltäter aus jüngster Vergangenheit mit überprüfendem Charakter zu übertragen. Als Fallbeispiel wir der rechtsterroristische Akteur Stephan Balliet angeführt. Hierbei wird insbesondere auf die Fachexpertise von McCauley & Moskalenko, Ohlrogge & Selck, Malthaner & Lindekilde, Pfahl-Traughber und dem OLG Naumburg, zurückgegriffen.
Kapitel 5 geht dem Versuch der Beantwortung der Frage nach, ob es sich tatsächlich um Einzeltäter handelt. Dabei liegt der Schwerpunkt in einer kritischen Betrachtung des bisherigen Einzeltäterbegriffs und der Möglichkeit der perspektivischen Erweiterung des Einzeltäter-Verständnisses aus soziologischer Sicht. Dabei bedient sich der Autor den Feststellungen und Einschätzungen von Experten, wie u.a. Hoebel, Schattka, Malthaner, Hartleb und Pfahl-Traughber.
Abschließend wird in Kapitel 6 ein Fazit zu dieser Arbeit gezogen und ein Ausblick in die Zukunft gewagt.
Zum differenzierten Verständnis dieser Arbeit ist es notwendig, sich sowohl der Bedeutung der folgenden Begriffe bewusst zu werden als auch eine Einordnung und Abgrenzung derselben vornehmen zu können.
Aus diesem Grund erfolgt der Versuch einer prägnanten Arbeitsdefinition der Begriffe Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und Lone Actor im Rechtsterrorismus. Ebenso erfolgt eine pragmatische Begriffsdifferenzierung der Termini Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus. Dabei wird selektiv auf den aktuellen Stand der Forschung eingegangen.
In politischen Diskussionen und Auseinandersetzungen werden die Begriffe des Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus häufig gleichbedeutend verwendet.
Verfassungsfeindliche Bestrebungen von rechts wurden bis in die 1970er Jahre von Amts wegen als rechtsradikal betitelt.
Im Rahmen einer sich vollziehenden Begriffsumdeutung von amtlicher Seite, werden rechtsgerichtete Feinde der Demokratie seither als Rechtsextremisten bezeichnet19.
Obwohl zwischen den Begriffen Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus ein fließender Übergang und gewissen Gemeinsamkeiten bestehen, sind beide Phänomene voneinander abzugrenzen20.
Nach Grumke handelt es sich bei Rechtsradikalen um sogenannte „system ingroups“.21 Rechtsradikale „system ingroups“ streben nach dem Versuch einer Radikalisierung des Systems von innen heraus, ohne einen Umsturz der Grundprinzipien einer demokratischen Verfassung herbeizuführen.22 Somit haben rechtsradikale politische Anschauungen in einer pluralistischen Gesellschaft grundsätzlich ihren Platz, solange die Prinzipien der Verfassungsordnung anerkannt werden.23
Minkenberg konkretisiert den Begriff des Rechtsradikalismus als eine politische Ideologie, welche als zentrales Kernelement einen populistischen Nationalismus in einer gleichartigen Nation anstrebt. Dabei sieht der Rechtsradikalismus nicht unbedingt die Abschaffung der Demokratie vor, richtet sich jedoch tendenziell gegen die liberale und pluralistische Demokratie und fordert eine Ethnokratie.24
Der Rechtsextremismus stellt ein politisches Phänomen dar, bei welchem man eine einheitliche Begriffsbestimmung bzw. Definition, in der Literatur vergeblich sucht.25 Er verfügt über „kein homogenes ideologisches Konzept“26, ist äußerst komplex und besitzt eine besondere Bedeutung für Sicherheitsbehörden.27
Rechtsextremismus-Forscher, wie u.a. Dienstbühl, Goertz, Pfahl – Traughber, Salzborn und Virchow beschäftigen sich mit dieser Thematik aus sozialwissenschaftlicher und theoretischer Sicht bereits seit vielen Jahren.28
Da die Erörterung dieser Begriffsproblematik jedoch nicht Bestandteil dieser Arbeit sein soll und durch den Autor ein praxisnahes Verständnis des Phänomens angestrebt wird, werden die Umschreibungen nach Grumke, Borstel & Luzar sowie die Kernelemente der Definitionen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) zu Grunde gelegt.
Nach Grumke sind Rechtsextremisten sog. „system outgroups“29 und erachten die Freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) sowie das pluralistisch-demokratische System als inakzeptabel. Sie lehnen diese Grundsätze gänzlich ab und streben nach einer Abschaffung dergleichen.30
Sie sind gegen die grundgesetzlich konkretisierte Gleichheit der Menschen und lehnen die Geltung der Menschenrechte ab. Geschichtsrevisionismus sowie ein autoritäres Staatsverständnis mit der Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebautem Staat sind ebenso Bestandteile ihrer Vorstellungen. Ihre Ideologie ist geprägt von Antisemitismus und einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, wobei die Zugehörigkeit zu einer Rasse, den Wert eines Menschen bestimmt. Daraus resultiert u.a. auch Fremden- und Muslimfeindlichkeit. Antimodernismus mit einer Ablehnung der Globalisierung und Antipluralismus, in welchem individuelle Rechte zugunsten volksgemeinschaftlicher Elemente zurücktreten, sind ebenso Bestandteil rechtsextremistischer Weltanschauungen.31
Laut der Arbeitsdefinition des BfV wenden sich Rechtsextremisten gegen die durch Artikel 19 Abs. 3 GG32 geschützten Prinzipien der FDGO. Bestandteile der in u.a. §4 BVerschG33 konkretisierten Prinzipien der FDGO sind u.a. die Volkssouveränität, Ausschluss von Gewalt- und Willkürherrschaft, Mehrparteienprinzip und die Gewaltenteilung.
Die nachstehende Darstellung zeigt das Extremismus-Modell nach Stöss und soll das bisher Verfasste, grafisch verständlich, veranschaulichen.
Abbildung 1: Das Extremismus-Modell
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Stöss: Rechtsextremismus im Wandel. In: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Berlin, 2010, S. 14.
Rechtsextremismus beinhaltet zudem eine grundlegende Gewaltakzeptanz zur Durchsetzung seiner Ziele.34 Er gliedert sich organisatorisch u.a. in Parteien, Subkulturen, wie der Skinhead-Bewegung und so genannten Einzelaktivisten.35 Eine Auswahl aktueller ideologisch-strategischer Denkmuster im Rechtsterrorismus werden mit Blick auf das Einzeltäter-Phänomen in Kapitel 3.4 ausführlich behandelt.
Um sich dem Begriff des Rechtsterrorismus zu nähern ist es sinnvoll eine allgemeine Begriffsbestimmung von Terrorismus vorzunehmen, da der Terrorismusbegriff vielfach umstritten ist36 und als „komplexes“37 und „heterogenes“38 Phänomen gilt.
So wird Terrorismus klassischerweise in autonomistisch, linksextremistisch, fundamentalistisch, rechtsextremistisch und single-issue (z. B. Anti-Abtreibung) unterschieden.39
Da die strafrechtliche Definition von Terrorismus gem. § 129 a Strafgesetzbuch (StGB) eine engere Auslegung insbesondere in Bezug auf terroristische Vereinigungen legt, wird vorliegend die praxisorientierte Definition der Verfassungsschutzbehörden zu Grunde gelegt, da diese auch Lone Actor-Terroristen (Einzeltäter) mit einbezieht.
Demnach ist Terrorismus „der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129 a Absatz 1 Strafgesetzbuch genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.“40
Zu dieser Definition hinzutreten müssen nach Auffassung des BfV drei, auf einen Akteur/ eine Akteurin, zutreffende, Anhaltspunkte:
(1) Ein politisches Motiv mit konkreten politischen Zielen.
(2) Nachhaltigkeit im Sinne eines geplanten und nicht nur einmaligen Handelns.
(3) Die Durchführung massiver Gewaltstraftaten.41
Terrorismus kann hierbei als eine Strategie zur Erreichung ideologischer Ziele und zur Verbreitung von Angst und Schrecken verstanden werden.42
Um Rechtsterrorismus in seiner Gesamtheit zu erfassen, müssen weitere Indikatoren bzw. Analysemerkmale zur Definition von Terrorismus hinzukommen.
Dieser Auffassung folgt auch Köhler, der Rechtsterrorismus als kommunikativen, bewaffneten Gewaltakt versteht, der sich gegen politische oder ethnische Minoritäten oder staatliche Akteure mit dem Ziel der Angstverbreitung und der Provokation eines politischen Ausnahmezustandes, richtet.43
Die spezifische Kommunikationsstrategie des Rechtsterrorismus umfasst eine Botschaft der Einschüchterung an Gruppen, Religionen und Ethnien, die nächsten Ziele bzw. Opfer von rechtsterroristischer Gewalt zu werden.44 Dabei geht es bei der Durchführung von Gewalthandlungen nicht um die Herbeiführung eines direkten Systemwechsels. Vielmehr zielen Akteure auf eine psychologische Wirkung in der Gesellschaft, gegen Opfer, den Staat oder eigenen Sympathisanten mit dem Ziel des Beginns einer Revolution oder der Vertreibung von Menschen.45 Damit handelt es sich zumindest um einen „indirekten Angriff auf die staatliche Ordnung.“46
Die Opferauswahl erfolgt anhand von Gruppenmerkmalen, wie der Hautfarbe, der Religion, des gesellschaftlichen Status, der Nationalität, aber auch anhand der Rassen- und Volkszugehörigkeiten.47 Dabei spielt die Opferauswahl jedoch ehr eine zweitrangige Rolle, da die Botschaft der Einschüchterung Vorrang hat und die Tat in ihrer Begehungsweise keiner weiteren Erklärung bedarf (Die Tat spricht für sich).48 Rechtsterroristische Gewalt gegen staatliche Einrichtungen oder symbolische Orte gelten im Rechtsterrorismus ehr als Seltenheit.49
Der nachhaltig-strategische Kampf für rechtsextremistische Ziele kann durch Organisationen, Gruppen, Zellen oder Einzeltätern in Form von Anschlägen oder besonders schweren Gewalttaten im Sinne des §129a StGB, erfolgen.50
Demnach kann Rechtsterrorismus als die extreme Ausgestaltung des Rechtsextremismus verstanden werden, wobei Rechtsterroristische Akteure als Rechtsextreme gelten, Rechtsextreme aber nicht notwendigerweise Rechtsterroristen sind.51
Der Übergang von gewaltorientiertem Rechtsextremismus zum Rechtsterrorismus kann fließend sein, soll hier jedoch aufgrund seiner Komplexität nicht weiter thematisiert werden.
Es existieren verschiedene Termini des Einzeltäters im Rechtsterrorismus. Neben dem Begriff des Lone Actors, lassen sich weitere Ausführungen, wie: „Lone Wolf Terrorism“, „Solo Actor Terrorism“, „Freelance Terrorism“, „Loner“, „Lone Offender“,52 ausmachen.
Sowohl der Ausdruck des Lone Actors als auch der Begriff des Lone Wolfs haben sich als Fachterminus in der internationalen Forschung etabliert.53
Dabei skizzieren verschiedene Monografien aus dem englischsprachigen Raum,54 dass es sich um kein geschichtlich neues und ausschließlich rechtes Phänomen handelt. Vielmehr fand und findet auch weiterhin der Lone Actor-Terrorismus bei anarchistischen, themenbezogenen (z. B. Anti-Abtreibung) und islamistischen Bestrebungen, seine Anwendung.55
Insbesondere der Begriff Lone Wolf welcher durch Tom Metzger, einem US-Amerikanischen Rechtsextremisten und Gründer der White Aryan Resistance, weiter etabliert wurde,56 sorgt in der Forschung aufgrund seiner propagandistischen Verwendungsweise für Kritik. Lone Wolf-Terrorismus impliziere eine Verherrlichung der Täter und ihrer Taten und stellt somit keine sachliche Umschreibung des Phänomens dar.57 Tom Metzger versuchte mit dieser Begriffsetablierung einen Mythos zu festigen indem er die Gesellschaft in dem Glauben lies, dass Lone Wolfs überall als Untergrundkämpfer agieren, um somit das Gefühl eines ständigen Bedrohungsszenarios aufrechtzuerhalten.58 Die Gedankenverbindung zur Tierwelt ist hierbei bewusst gewählt. Wölfe gelten grds. als anpassungsfähige Rudeltiere, können jedoch auch als sozial isolierte Einzelgänger gefährlich und effektiv sein.59
Aufgrund seiner neutraleren Wirkweise wird fortan der Begriff Lone Actor60 und Einzeltäter, als Synonym und damit gleichbedeutend für den Begriff des Lone Wolf verwendet, bevor der Autor in Kapitel 5 dieser Arbeit zu einer abschließenden Bewertung des Einzeltäters und seiner Begrifflichkeit gelangt.
Einer der viel-zitiertesten Publizisten, Raffaelo Pantucci differenziert zwischen „Loner“, „Lone Wolf“, „Lone Attacker“ und „Lone Wolf Packs“, welche er anhand islamistischer Einzeltäter konstruiert hat. Diese Typologie lässt sich ohne Weiteres auch auf rechtsterroristische Lone Actor übertragen.61 Lone Wolf Packs werden für die vorliegende Arbeit vernachlässigt, da hiermit insbesondere kleine, isolierte, sich selbst radikalisierende Gruppen, mitbetrachtet werden würden.
Definitorisch und charakteristisch lässt sich feststellen, dass es sich bei Lone Actor Rechtsterroristen um Personen handeln kann, die (1) einsam und isoliert sind, keinen Kontakt zu anderen Extremisten bzw. Terroristen haben und ohne externe Befehle von Personen oder Gruppen handeln, jedoch eine ideologische Rechtfertigung ihrer Tat anstreben.
Darüber hinaus werden auch solche Personen inkludiert, die (2) lose Kontakte über das Internet zu entsprechenden Terrororganisationen und/oder rechtsextremen Personen pflegen, wodurch ein Handeln auf Befehl nicht bedingungslos ausgeschlossen werden kann.62
Letztlich können auch solche Akteure mit einbezogen werden, die (3) alleine operieren, jedoch feste Kontakte zu rechtsextremen und/oder rechtsterroristischen Personen und/oder Gruppen haben, die über eine lose Internetbekanntschaft hinausgehen, wodurch etablierte und gefestigte Kontroll- und Befehlsstrukturen vorliegen können.63
Daraus lässt sich ableiten, dass der Lone Actor-Rechtsterrorist durchaus Angehöriger einer rechtsextremistischen/rechtsterroristischen Gruppierung sein kann, er jedoch als ein einzelner Täter in Bezug auf seine konkrete Tathandlung agiert. Wären weitere Personen an der Tathandlung beteiligt, würde man von einer Gruppentat sprechen.
Lone Actor-Rechtsterrorismus umfasst demnach Akte im Sinne rechtsextremistischer Bestrebungen in Verbindung mit der unter Kapitel 2.2 gefassten Definition von Rechtsterrorismus, durchgeführt von Personen, die der vorstehenden Charakterisierung von Lone Actor-Rechtsterroristen entsprechen.
Eine Abgrenzung von Lone Actor-Terrorismus zu Hasskriminalität und Amokläufen stellt ebenso ein wesentliches Problem in der Forschung dar, ist jedoch nicht Bestandteil dieser Arbeit und wird darüber hinaus aufgrund seiner Komplexität vorliegend nicht weiter behandelt64.
Dieses Kapitel gibt einen Einblick in die Phänomenologie, also die Erscheinungsformen des Lone Actors im Rechtsterrorismus.
Vorliegend wird durch den Autor der Versuch der Darstellung der Bedeutung und Entwicklung des strategischen Konzeptes des führerlosen Widerstands im Rechtsterrorismus, insbesondere im Hinblick auf Einzeltäter, unternommen. Ebenso wird anhand der bestehenden Studienlage ein oberflächliches Täterprofil erstellt und sich neben der Darstellung des modus operandi auch der Herausarbeitung aktueller ideologisch-strategischer Denkmuster und Agitationsfelder gewidmet. Abschließend wird anhand der aktuellen Entwicklung die Frage nach einer neuen Welle von rechtsterroristischen Lone Actor-Anschlägen kurz diskutiert, bevor der Autor ein erstes Zwischenfazit zur Phänomenologie zieht.
Im Rechtsterrorismus existieren eine Fülle von Konzepten als strategische Handlungs- und Organisationsanleitung, die sowohl im gruppenbasierten Rechtsterrorismus als auch für Lone Actor- Rechtsterroristen eine geschichtliche und wachsende Bedeutung im internationalen Kontext haben. Zu nennen sind hier insbesondere das sogenannte Werwolf-Konzept aus der Endphase des zweiten Weltkriegs, die fiktive Erzählung aus den Turner-Tagebüchern als Handlungsanleitung, der Roman Hunter als Modell des Einzeltäter-Terrorismus, das Konzept des führerlosen Widerstandes (engl.: „Leaderless Resistance“) aus dem US-Rechtsextremismus, das Blood and Honour-Konzept und die sog. Siege-Texte65 des US-Neonazis James Mason als Anleitung zum Rassenkrieg.66 Dabei besitzt vorzugsweise das Konzept des führerlosen Widerstands (engl.: „Leaderless Resistance“) einen hohen Stellenwert im Einzeltäter-Terrorismus und wird vorliegend hinsichtlich seiner Entwicklung und Bedeutung eingehender betrachtet.
Das strategisch-organisatorische Konzept des führerlosen Widerstandes ist ein alter aus dem Kriegswesen stammender Ansatz, der asymmetrischen67 Kriegsführung. In diesem Zusammenhang war es für schwach aufgestellte und unterlegene Kriegsparteien strategisch aussichtsreicher mittels klein organisierten Zellen dem zahlenmäßig überlegeneren Feind durch massig durchgeführte, kleinere Angriffe („Nadelstiche“) größeren Schaden zu bereiten.68 Dieser Ansatz geht auf den chinesischen General und Philosophen Sun Tsu zurück, der vor ca. 2500 Jahren eine erste Abhandlung darüber verfasste und den chinesischen Revolutionsführer Mao zu nicht-konventionellen Guerillataktiken inspirierte.69
Das Konzept findet seit den 1990er Jahren große Verbreitung im US-amerikanischen Rechtsextremismus und wurde durch den US-Amerikanischen Aktivisten des Ku-Klux-Klans und Gründer der sog. Aryan Nations, Louis Beam weiterentwickelt und popularisiert. Beam knüpfte damit u.a. an Gruppen der 1970er Jahre, wie der militanten Tierbefreiungsbewegung oder linksterroristischen Zellen an, die sich nach diesem Konzept bereits organisierten.70
Definitorisch kann Führerloser Widerstand als Strategie betrachtet werden, aus welcher heraus Anschläge verübt werden,71 und ohne das Vorhandensein von zentral organisierten sog. Kommandostrukturen auskommt. Stattdessen wird auf bewegliche Kleingruppen mit ausgeprägter Flexibilität und vorzugsweise selbstbestimmter Planung gesetzt.72 Dessen Befürworter sollen ehr durch ihre Ideologie und gemeinsame Feindbilder, als durch gefestigte Organisationsstrukturen miteinander verbunden sein, wodurch ein Handeln auf Befehl von oben schlussendlich nahezu überflüssig wird.
Beam reagierte damit auf US-amerikanische Staatsrepressalien und rigorose Terrorbekämpfung durch das FBI. In dem Konzept sah er einen strategischen Ausweg unterhalb des Radars von Strafverfolgungsbehörden rechtsterroristische Anschläge verüben zu können.73 Dieser Schritt kann nach Meinung Hartlebs und Nesser als Zeichen morbider Terrororganisationen ausgelegt werden.74
Anschläge von Lone Actor Rechtsterroristen können als eine Form der Strategie des führerlosen Widerstandes betrachtet werden.75 Dabei ist das Konzept des führerlosen Widerstandes von Lone Actor-Terrorismus dahingehend abzugrenzen, dass bei ersterem neben Individuen auch kleine Zellen von bis zu drei oder vier Personen mit geringem Kontakt zu zentral organisierten Kommandostellen miteinbezogen werden.76 In der finalen Fassung des von Louis Beam 1983 erstmalig veröffentlichen Essays Leaderless Resistance heißt es hierzu: „Es versteht sich fast von selbst, dass führerloser Widerstand zu sehr kleinen oder sogar Ein-Mann Widerstandszellen führt.“77 Demnach gilt das Lone Wolf/ das Lone Actor Phänomen sowohl als Strategie, als auch als eine Organisationsform und kann nach Gräfe als „Zuspitzung“78 des führerlosen Widerstandes verstanden werden.
Hartleb sieht darin eine Vorformulierung der Lone Wolf bzw. Lone Actor-Taktik.79
Ein Wiederaufgreifen erfuhr die Strategie des führerlosen Widerstands durch die US-amerikanischen Rechtsextremisten und Mitglieder des Weißen Arischen Widerstands (engl.: White Aryan Resistance) Tom Metzger und Alex Curtis gegen 1990.80 Diese sorgten für eine Popularisierung des Begriffs des Lone Wolfs. Curtis veröffentlichte in diesem Zusammenhang das sog. Lone Wolf Point System als Handlungsanleitung auf seiner Website. Dabei diente ihm das von Louis Beam verfassten Buch: Essay of a Klansman, als Grundlage. Das Lone Wolf Point System soll u.a. den desorientierten Einzeltäter als Motivationsgrundlage und Entscheidungshilfe für erfolgreiche rechtsterroristische Anschläge dienen. Das Ziel Curtis bestand darin in einer über das Internet anonymisierten Art und Weise seiner Leserschaft ein Instrument zur Beurteilung der Wirksamkeit potenzieller Anschläge zu geben. Die bei einem Anschlag zu erreichende Punktzahl richtet sich nach der Bedeutung bzw. Wichtigkeit der Opfer.
Für einen Anschlag auf den FBI-Direktor erhält der Täter einen sechstel Punkt, für einen Weißen Juden oder Ultra-Liberalen einen fünfzigstel Punkt. Bei der Erreichung eines vollen Punktes gilt der Täter als arischer Kämpfer.81
Diese Geschehnisse sorgten für eine weltweite Bekanntmachung des führerlosen Widerstands und Glorifizierung des Lone Wolfs in der rechtsextremistischen Szene. Ebenso führte dies zu einem Überschwappen der Strategien nach Europa.82 Pfahl-Traughber sieht in der Strategie des führerlosen Widerstands gar ein Terrorismusmodell der Gegenwart und Zukunft zur Verringerung des Entdeckungsrisikos von Rechtsterroristen, insbesondere im Hinblick auf die hoch technisierte Fahndungsmöglichkeiten von Strafverfolgungsbehörden.83 Dabei sorgt vorzugsweise die sich entwickelnde Omnipräsenz des Internets für eine Begünstigung der globalen Weiterverbreitung dieser Konzepte.84
Die vorgenannten Aspekte vollzogen sich im Rahmen eines grundlegenden Umdenkens in der Terrorismusforschung. Ging man bis in die 1990-er Jahre noch von einem gruppenbasierten Terrorismus aus, so befasste man sich seit Ender der 2000-er Jahre mit der Einzeltäterforschung. Dabei wurden die sich entwickelnden, dezentralen Netzwerke als unkalkulierbare Bedrohung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung empfunden und als Anzeichen eines „Formwandels politischer Gewalt gedeutet.“85 Kritische Auffassungen, wie die von Kaplan, der das Konzept in US-amerikanischen Rechten Bewegungen untersuchte, interpretierten das Ausweichen von Gruppen zum führerlosen Widerstand als ein Zeichen morbider, organisatorisch schwächelnder und quasi niedergehenden rechtsextremen Bewegungen und nicht als ein gewolltes, taktisches Kalkül dergleichen.86 Zu einem ähnliche Ergebnis kam auch Sageman für den Dschihadismus ca. 10 Jahre nach Kaplan.87
Eine Auseinandersetzung mit dem vorgenannten strategischen Konzept(en) hinsichtlich der Einschätzung von Gefahrenpotentialen dürfte dennoch seine Wichtigkeit haben und zu einem besseren Verständnis des Phänomens des Lone Actor-Terrorismus beitragen. Jedoch genügt es nicht davon auszugehen, dass Rechtsterroristen entsprechende Konzepte lesen und unmittelbar zur Tat schreiten, denn derart einfach und „monokausal“88 erfolgt der Radikalisierungsprozess hin zu einem Terroristen nicht.89 Eine genauere Auseinandersetzung mit dem Radikalisierungsprozess erfolgt daher in Kapitel 4 dieser Arbeit. Für die Forschung und insbesondere zur Erstellung eines Täterprofils, bietet das Konzept des führerlosen Widerstandes und des Lone Actor die Möglichkeit der Identifizierung von Akteuren, die der Charakterisierung der Konzepte entsprechen. Ebenso kann dadurch eine Abgrenzung zu gruppenbasiertem Terrorismus oder kleinen Zellen erfolgen, was, wie im nachfolgenden Kapitel dargestellt wird, jedoch nicht einfach zu sein scheint.
Die Erstellung eines allgemeingültigen Täterprofils und Modus Operandi für Lone Actor-Rechtsterroristen gestaltet sich aufgrund einer divergierenden Studienlage als äußerst schwierig.
Verstärkt lassen sich Studien aus dem englischsprachigen Raum finden, die jedoch eine weiter gefasste Definition als Grundlage verwenden, wodurch auch kleine Zellen oder Kleingruppen als Akteure mit betrachtet werden.
Darüber hinaus beschränken sich einige Studien in ihrer Betrachtung auf europäische Staaten, während andere den nordamerikanischen Raum insbesondere im Hinblick auf die Zeit vor und nach 9/11, beleuchten.90
Als Grundlage für den Versuch der Erstellung eines Täterprofils und der Herausarbeitung eines Modus Operandi dient dem Autor das Auswertungspapier der Projekt- Studie zu Lone Actor-Terrorismus des Royal United Institute for Defence and Security Studies aus dem Jahr 2016.91 Die Analyse des Projekts basiert auf Daten der Welt- Terrorismusdatenbank, der Auswertung von Internet- und Nachrichtenartikel sowie der Facheinschätzung lokaler Experten der jeweiligen Länder, in welchen Fälle von Lone Actor-Terrorismus festgestellt werden konnten. Dabei konnten für einen Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2014 insgesamt 120 Fälle herausgearbeitet werden. Betrachtet wurden dabei u.a. Fälle von rechtsextremistischen, wie auch religiös inspirierten Akteuren von Lone Actor-Terroristen in dreißig EU-Staaten, einschließlich Norwegen und der Schweiz.92
Zur Identifizierung entsprechender Fälle wurde weiterhin die nachstehende Charakterisierung bzw. Definition als Grundlage verwendet:93
- Die geplante oder durchgeführte Androhung oder Anwendung von Gewalt durch Einzeltäter, Zweier- oder Dreiergruppen im Sinne terroristischer Anschläge.
- Ein Handeln, das nicht auf reinen persönlich- materiellen Gründen beruht, sondern mit dem Ziel der Beeinflussung eines breiten Publikums.
- Ohne direkte Unterstützung in der Planung, Vorbereitung und Durchführung der Tat.
- Die Entscheidung des Täters zur Tatausführung erfolgt ohne direkte Anleitung oder Befehle durch Gruppen oderanderen Individuen, kann aber durch solche inspiriert worden sein.
Nach Auswertung der in der Studie betrachteten Fälle, besitzen Lone Actor-Rechtsterroristen ein Durchschnittsalter von 32,3 Jahren zum Zeitpunkt der Tatausführung oder Ihrer Festnahme. 24% waren dabei jünger als 25 Jahre. 36% der erfassten Fälle wiesen eine Altersspanne von 25-39 Jahren auf und 47% waren älter als 40 Jahre.94
In 33% der Fälle waren Lone Actor-Rechtsterroristen sozial isoliert. 28 % der Rechtsterroristen wiesen Anzeichen einer psychischen Störung auf, die von Krankheitsbildern einer Depression bis paranoide Schizophrenie reichten. Dabei konnte eine gewisse Korrelation zwischen dem Vorhandensein von sozialer Isolation und dem Auftreten psychischer Störungen festgestellt werden.95 Eine eingehendere Betrachtung zur Prävalenz und der Rolle psychischer Erkrankungen und der sozialen Isolation findet in Kapitel 4.2 dieser Arbeit statt.
In puncto des sog. leakage96 wendeten sich Lone Actor-Rechtsterroristen in 18 % der erfassten Fälle an Freunde oder Familienangehörige und in 41 % mittels Internet-posts in einschlägigen Foren und rechtsextremen Online-Gruppen. Ein Zusammenhang zwischen dem evaluierten Alter und leakage konnte dabei ebenso wenig festgestellt werden, wie eine Kausalität zwischen leakage und psychischen Störungen.97
In 40 % der beobachteten Fälle sind Rechtsterroristen strafrechtlich bereits in Erscheinung getreten und für Taten verurteilt worden. Ob diese Taten mit Vorbereitungshandlungen zu terroristischen Anschlägen in Verbindung standen oder es sich um Straftaten im Zusammenhang mit rechtsextremistischer Gesinnung handelte, konnte nicht evaluiert werden.98
Als Motivationsgrundlage für Ihr Handeln konnte die Studie eine ausgeprägte Betonung auf die vorherrschende Migrationspolitik, für Patriotismus, den Schutz der Heimat vor Bedrohungen durch eine Islamisierung, Faschismus und Antisemitismus, identifizieren.99
In 62,5 % der erfassten Fälle waren Lone Actor-Rechtsterroristen politisch aktiv. Die Variable des politischen Engagements berücksichtigt sowohl die Beteiligung des Täters an bzw. die Mitgliedschaft in etablierten politischen Parteien als auch in informellen politischen Bewegungen. Dazu gehörten auch extremistische Gruppierungen in virtueller Umgebung sowie die Interaktion mit solchen.100 Das Internet mit seinen Plattformen wurde vorzugsweise zum Download von Anleitungen, zur Herstellung unkonventioneller Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV), zur Identifizierung potenzieller Anschlagsziele und zur Handlungsinspiration durch Propaganda- und Trainingsvideos, genutzt.101
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1 Haldenwang (w2021).
2 Vgl. Victoroff: The Mind oft he Terrorist. In: Journal of Conflict Resolution (Hrsg.), ohne Erscheinungsort, 2005, S. 3.
3 Vgl. Hartleb: Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter. In: BpB (Hrsg.), Bonn, 2020a, S. 9.
4 Vgl. Salzborn (w2019).
5 Vgl. Hartleb (2020a): S. 14
6 Vgl. Pfahl-Traughber: Antisemitische und muslimfeindliche Lone Actor im Rechtsterrorismus. In: Jahrbuch öffentliche Sicherheit 2020/2021 (Hrsg.), Frankfurt, 2021a, S. 248.
7 Vgl. Pfahl-Traughber (2021a): S. 249 - 251.
8 Vgl. Niggemeier (2011), zit. nach: Hartleb (2020a): S. 9.
9 Malthaner & Hoebel: Sie sind nicht allein. Stand und Herausforderung der Einzeltäterforschung. In: Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung 29 (Hrsg.), Hamburg, 2020, S. 4.
10 Malthaner & Hoebel (2020): S. 1.
11 Vgl. Ohlrogge & Selck: Radikalisierung rechtsextremistischer Lone Actor Terroristen. Zum Einfluss sozialer Isolation und des Internets. In: Edition Rechtsextremismus. Springer (Hrsg.), Wiesbaden, 2021, S. 2.
12 Vgl. Gräfe: Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen erlebnisorientierten Jugendlichen, Feierabendterroristen und klandestinen Untergrundzellen. In: Extremismus und Demokratie 34 (Hrsg.), Baden-Baden, 2017, S. 75.
13 Vgl. Köhler: Die Entwicklung rechtsterroristischer Strukturen. In: Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Schriften der Generalstaatsanwaltschaft Celle (Hrsg.), Baden-Baden, 2020, S. 34.
14 Vgl. Ohlrogge & Selck (2021): S. V.
15 Vgl. u.a. Graaf (2010), zit. nach: Ohlrogge & Selck (2021): S. 2.
16 Malthaner & Hoebel (2020): S. 20 - 21.
17 Vgl. BfV: Verfassungsschutzbericht 2019, Berlin, 2019, S. 46. Vgl. BfV: Verfassungsschutzbericht 2020, Berlin, 2020, S. 47 ff.
18 Anmerkung: Gleiche Bedingungen meint u.a. ähnliche Lebensbedingungen, wie gesellschaftliche, politische und soziale Strukturen und stellt keine werturteilsvolle oder ausgrenzende Aussage des Autors dar.
19 Vgl. Nandlinger (w2008).
20 Vgl. Grumke: Rechtsextremismus in den USA, Wiesbaden 2001, S. 20.
21 Vgl. Grumke (2001): S. 20
22 Vgl. Grumke (2001): S. 20
23 Vgl. Bayrisches LfV: Extremismus / Radikalismus, ohne Erscheinungsort, o.D., abrufbar unter https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/service/glossar/extremismus-radikalismus/index.html, Abruf vom 28.02.2022.
24 Vgl. Minkenberg: Demokratie und Desintegration. Der politikwissenschaftliche Forschungsstand zu Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, Berlin, 2005, S. 25.
25 Vgl. Salzborn: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. In: Nomos (Hrsg.), Baden-Baden, 2015, S. 22.
26 Nandlinger (w2008).
27 Vgl. Goertz: Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland; Eine analytische Einführung für Polizei und Sicherheitsbehörden, Hilden 2021a, S.21.
28 Vgl. Goertz (2021a): S. 23.
29 Vgl. Grumke (2001): S. 20.
30 Vgl. Grumke (2001): S. 20.
31 Vgl. Goertz (2021a): S. 24.
32 GG steht für Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
33 BVerfSchG steht für Bundesverfassungsschutzgesetz.
34 Vgl. Borstel & Luzar: Geländegewinne – Update einer Zwischenbilanz rechtsextremer Erfolge und Misserfolge. In: Strategien der extremen Rechten. Hintergründe-Analysen-Antworten. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage, Braun, Stephan (Hrsg.), Wiesbaden, 2016, S.40.
35 Vgl. Bayrisches LfV: Rechtsextremismus, ohne Erscheinungsort, o.D., abrufbar unter https://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/index.html, Abruf vom 29 Januar 2022.
36 Vgl. Ohlrogge & Selck (2021): S.15.
37 Goertz (2021a): S.21.
38 Goertz (2021a): S.21.
39 Vgl. Pfahl – Traughber: Die neuen Dimensionen des Rechtsterrorismus. Die Mordserie des ,,Nationalsozialistischen Untergrundes“ aus dem Verborgenen. In: Jahrbuch für Extremismus – und Terrorismusforschung (Hrsg.), Brühl, 2012b, S. 60 -61.
40 BfV (w2007): S. 358.
41 Vgl. Goertz (2021a): S. 26.
42 Vgl. Kron: Die Individualisierung des transnationalen Terrorismus. In: Terrorismus und organisierte Kriminalität (Hrsg.), Berlin, 2014, S. 97.
43 Vgl. Köhler: Right-wing terrorism in the 21st century. The "National Socialist Underground" and the history of terror from the Far-Right in Germany. Routledge, Taylor & Francis (Hrsg.), London, 2017, S. 64.
44 Vgl. Goertz (2021a): S. 27.
45 Vgl. Pfahl-Traughber: Rechtsextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden, 2019c, S. 240.
46 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 240.
47 Vgl. Gräfe: Ein halbes Jahrhundert Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik Deutschland 1969 bis 2018. In: SLpB (Hrsg.), Dresden, 2018a, S. 6 - 7.
48 Vgl. Manemann (w2020): S. 5.
49 Vgl. Gräfe (2018a): S. 6 - 7.
50 Vgl. Goertz (2021a): S. 27.
51 Vgl. Gräfe (2018a): S. 6.
52 Ohlrogge & Selck (2021): S. 17.
53 Vgl. Pfahl-Traughber (2021a): S. 243.
54 Vgl. Hamm et al: The Age oft he Lone Wolf Terrorism, New York, 2017. Vgl. Kaplan et al: Lone Wolf and Autonomous Cell Terrorism, Abingdon, 2015.
55 Vgl. Pfahl-Traughber (2021a): S. 243.
56 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 277.
57 Vgl. Schuurmann et al (w2019): S. 1-5.
58 Vgl. Pfahl-Traughber (2021a): S. 243.
59 Vgl. Hartleb: Einsame Wölfe. Der neue Terrorismus rechter Einzeltäter. In: BpB (Hrsg.), Bonn, 2020a, S. 74-75.
60 Lone Actor wird vielfach in Studien dem Begriff des Lone Wolfs aufgrund seiner neutralen Aussagekraft vorgezogen. Vgl. Schuurman et al (w2019)
61 Vgl. Pantucci (w2011): S. 13 ff.
62 Vgl. Ohlrogge & Selck (2021): S. 19
63 Vgl. Ohlrogge & Selck (2021): S. 19
64 Neubewertung der Tat des David A. Sonboly am OEZ München. Von der Amoktat zum rechtsextremistischen Lone-Wolf Terrorismus. Vgl. Bannenberg: Die Amoktat des David (Ali) Sonboly. Kriminologische Betrachtung der Tat in München am 22 Juli 2016. Gutachten im Auftrag des bayrischen Landeskriminalamtes (Hrsg.), Gießen, w2018, S. 1 - 81. Vgl. Hartleb: Rechtsextremistisch motivierter Einsamer Wolf-Terrorismus statt Amoklauf. Eine notwendige Neubewertung der Morde am Olympiaeinkaufszentrum München, Bonn, 2017.
65 Vgl. Ayyadi (w2020): S. 1 ff.
66 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 267.
67
68 Vgl. Münkler & Herfried (2002), zit. nach: Gräfe (2017): S.69.
69 Vgl. Gräfe (2017): S.70.
70 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 273-274.
71 Vgl. Gräfe (2017): S. 69.
72 Vgl. Hartleb (2020a): S. 68.
73 Vgl. Hartleb (2020a): S. 68 -69.
74 Vgl. u.a. Hartleb (2020a): S. 68 und Vgl. Nesser: Research Note. Single Actor Terrorism. Scope, Characteristics and Explanations, ohne Erscheinungsort 2012, S. 62-65.
75 Vgl. Ohlrogge & Selck (2021): S. 36.
76 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 277
77 Louis Beam (w1992
78 Vgl. Gräfe (2017): S. 73.
79 Vgl. Hartleb (2020a): S. 69.
80 Vgl. Spaaij: The Enigma of Lone Wolf Terrorism. An Assessment, ohne Erscheinungsort, 2010, S. 7.
81 Vgl. ADL: Alex Curtis. Lone Wolf of Hate Prowls the Internet. New York, w2013, S. 4.
82 Vgl. Gräfe: Leaderless Resistance and Lone Wolves. Rechtsextreme Theoretiker aus den USA und deren Einfluss in Europa. In: Demokratie in Deutschland und Europa, Berlin 2015, S. 307 - 321.
83 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 274.
84 Vgl. Feldmann: Comparative Lone Wolf Terrorism. Toward a heuristic definition. In: Democracy and Security, ohne Erscheinungsort, 2013, S. 270-286.
85 Vgl. Malthaner & Hoebel (2020): S. 8.
86 Vgl. Kaplan (2012), zit. nach: Malthaner & Hoebel (2020), S. 7.
87 Vgl. Hoffman (2008), zit. nach: Malthaner & Hoebel (2020), S. 7.
88 Pfahl-Traughber (2019c): S. 278 - 279.
89 Vgl. Pfahl-Traughber (2019c): S. 278 - 279.
90 Vgl. Kenyon et al (w2021) und Vgl. Khosnood et. al (w2019): S. 25 - 49 und Vgl. Ellis et al (w2016) und Vgl. Bouhana et al (w2018): S. 150 - 163.
91 Vgl. Ellis et al (2016): S.1 ff.
92 Vgl. Ellis et al (2016): S. 1-2.
93 Vgl. Ellis et al (2016): S. 2.
94 Vgl. Ellis et al (2016): S. 15.
95 Vgl. Ellis et al (2016): S. 17.
96 Leakage wird als Begriff verstanden und verwendet, um Situationen zu bezeichnen in welche der Täter Hinweise über seine extremen Ansichten oder Absichten gegenüber Dritten handeln zu wollen, kundgetan hat. Diese Kundgabe kann absichtlich oder unwissentlich erfolgt sein.
97 Vgl. Ellis et al (2016): S. 19-20.
98 Vgl. Ellis et al (2016): S. 21.
99 Vgl. Ellis et al (2016): S. 12.
100 Vgl. Ellis et al (2016): S. 12.
101 Vgl. Ellis et al (2016): S. 13.