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Bachelorarbeit, 2020
50 Seiten, Note: 1,3
I. Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2. Begriffsbestimmungen
2.1 Extremismus und Radikalismus
2.2 Rechtsextremismus
2.3 Rechtsextremismus als politikwissenschaftlicher Begriff
3. Soziale Bewegungen und Mobilisierungsprozesse
3.1 Theorien sozialer Bewegungen
3.2 Mobiliserungsprozesse und deren Faktoren
3.2.1 Mobilisierung und Rekrutierung bei sozialen Bewegungen
3.2.2 Theorien der Ideenverbreitung
3.3 Die Entwicklungsdynamiken sozialer Bewegungen
4. Entwicklung und Ursachen des Rechtsextremismus
5. Rechtsextreme Kultur in Deutschland
5.1 Rechtsextreme Szene und Strukturen
5.2 Rechtsextreme Gewalt und Kriminalität
5.3 Veranstaltungen und Musik in der rechtsextremen Szene
5.4 Rechtsextremismus im Internet
6 Analytische Betrachtung des Rechtsextremismus als soziale Bewegung
6.1 Auswahl der Kriterien
6.2 kriterienorientierte Überprüfung des Rechtsextremismus als soziale Bewegung
7. Fazit und Ausblick
II. Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwischen der Jahrtausendwende und 2007 kommt es zu zahlreichen Anschlägen und Morden durch die rechtsextreme Terrorgruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“, kurz NSU. Dabei ermorden die maßgeblich Beteiligten, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, insgesamt zehn Menschen. Jahrelang fällt der Polizei und den Behörden der rechtsterroristische Hintergrund der Taten nicht auf. Erst nach den Selbstmorden von Mundlos und Böhnhardt veröffentlicht Zschäpe ein Video, in dem sich die Gruppierungen zu den Morden und Anschlägen bekennen. Grund für ihre Gewalttaten an den neun Migranten und einer Polizistin war die angestrebte Vertreibung aller Ausländer aus Deutschland. Das Urteil in diesem Prozess fällt erst fünf Jahre nach Prozessauftakt am 11. Juli 2018 und verurteilt Beate Zschäpe sowie ihre Komplizen zu einer lebenslangen Haftstrafe (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2019).
Im Sommer 2015 hatten sich bei Protesten gegen ein Flüchtlingsheim in der sächsischen Stadt Freital sieben Männer und eine Frau kennengelernt. Unter der Führung der beiden Rädelsführer Timo S. und Patrick F. formierten sie sich zur rechtsterroristischen „Gruppe Freital“. Die Gruppe organisierte, plante und vollführte Angriffe mit Sprengsätzen auf Flüchtlinge, Flüchtlingshelfer und einen Politiker der Linken sowie einen Anschlag auf ein Flüchtlingsheim mit einem zu einem Sprengsatz modifizierten Polenböller. Letzteren Angriff bewertet das Oberlandesgericht Dresden als Mord und verurteilte die Beteiligten bis zu zehn Jahren Haft (vgl. Das Erste 2019).
Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes kommt es am 26. August 2018 um 03:15 Uhr zu einem Streit zwischen Menschen unterschiedlicher Nationen. Dabei wird ein 35jähriger Deutscher erstochen, offenbar von Asylbewerbern. Noch am Abend des 27. August versammeln sich rund „6000 Rechte und Sympathisanten nur wenige Meter vom Tatort entfernt. Ohne Absprache mit der Polizei marschiert die Gruppe los, einige Teilnehmer skandieren „Wir sind das Volk“. Feuerwerkskörper werden gezündet, Flaschen fliegen, Reporter werden beschimpft. Mehrere Rechtsextreme zeigen den Hitlergruß und die vor Ort einsetzte Polizei leitet zehn Ermittlungsverfahren ein.“ (Spiegel 2018). Später kursieren Videos von Hetzjagden im Netz, die zeigen, wie Gegendemonstranten und Personen mit Migrationshintergrund durch die Stadt gejagt werden (vgl. Tagesschau 2019).
Am 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) vor seinem Wohnhaus mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe getötet. Der 13 Tage später festgenommene und dringend tatverdächtige hessische Rechtsextremist Stephan Ernst nennt die Äußerungen von Lübcke während der Flüchtlingskrise 2015 als sein Tatmotiv. Lücke hatte sich damals für die Aufnahme der Flüchtlinge öffentlich stark gemacht und zog somit den Hass vieler rechtsextremer Organisationen auf sich, die ihn zu einem Feindbild erklärten (vgl. Zeit Online 2019).
Am 9. Oktober, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, versuchte der Rechtsextremist Stephan B. in die Synagoge im Paulusviertel in Halle (Saale) einzudringen. Er scheiterte jedoch an den Toren der Synagoge, erschoss stattdessen zwei Passanten in der näheren Umgebung und beschoss einen Dönerimbiss. Der mutmaßliche Täter hatte den Anschlag mit einer Helmkamera aufgezeichnet und live im Internet gestreamt. Zuvor hatte er sich in einem Video eindeutig antisemitisch geäußert und versucht seine Tat zu glorifizieren. Die Polizei nimmt Stephan B. umgehend nach der Tat fest und geht davon aus, dass es sich bei diesem Anschlag um einen Einzeltäter handelt, der sich weitgehend alleine und über das Internet radikalisiert hat (vgl. Spiegel 2019).
Es kann wohl kaum noch geleugnet werden, dass rechtsextreme Gruppierungen seit der Wiedervereinigung erstarken. Aggressionen gegen Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten nehmen immer mehr zu, doch der Justiz gelingt es nur wenige der Täter zu ermitteln. Seit 1990 gab es in Deutschland mindestens 169 Morde mit rechtsextremistischem Hintergrund, allerdings werden nur knapp die Hälfte aller Fälle von den Behörden auch wirklich als politisch motivierte Taten anerkannt (vgl. Tagesspiegel 2018).
„Wir müssen begreifen, so schmerzlich es auch sein mag: Diese jungen Faschisten sind das Produkt unserer Gesellschaft, es sind unsere Kinder. Wir dürfen sie nicht, nicht einen, verloren geben. Wir haben uns vor Vorurteilen zu hüten, wie oft sind Vorurteile der erste Schritt zur Verurteilung. Selbstverständlich kann es nach allem, was die Nationalsozialisten der Welt und Deutschland angetan haben, keine Toleranz für faschistische Anschauungen und Taten geben. Barmherzigkeit, Wärme und Gesprächsbereitschaft aber sind wir auch den schlimmsten Tätern schuldig.“ (Weiß 1990: 5)
Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind in Deutschland längst kein vereinzeltes Phänomen mehr. Mit der rechtsextreme Szene werden oft Bilder von kahlrasierten, Hakenkreuz tragenden Schlägern assoziiert, doch es sind Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, die Schulter an Schulter mit sich bekennenden Rechtsextremisten durch die Straßen ziehen und rassistische Parolen skandieren. Die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus ziehen sich mittlerweile durch alle Schichten der Gesellschaft und neben Menschen, die sich offen zum Rechtsextremismus bekennen, kommen immer weniger offensichtliche Formen von Antisemitismus und Rassismus zum Vorschein, die teilweise fest in der Gesellschaft verankert zu sein scheinen.
In den folgenden Kapiteln wird sich diese Arbeit mit diesen Beobachtungen auseinandersetzen, um festzustellen, ob der aufkeimende Rechtsextremismus in Deutschland als soziale Bewegung charakterisiert werden kann. Dazu sollen zunächst im zweiten Kapitel Begriffsdefinitionen und Begriffsbestimmungen erarbeitet werden, um eine notwendige Einkreisung und Erklärung der häufig verwendeten Begriffe im Zusammenhang mit dieser Thematik vorzunehmen. Dadurch soll ein einheitliches Verständnis der für diese Arbeit relevanten Begriffe geschaffen und definitorische Missverstände im Laufe der Arbeit vermieden werden.
Im dritten Kapitel werden die sozialen Bewegungen und die damit zusammenhängenden Prozesse der Mobilisierung und Rekrutierung erörtert, um den theoretischen Rahmen der Arbeit zu schaffen. Zur besseren Bearbeitung dieses Kapitels wird das Kapitel in drei Unterpunkte gegliedert: die Theorien sozialer Bewegungen, die Mobilisierungsprozesse und deren Faktoren und die Entwicklungsdynamik einer sozialen Bewegung. Im daran anschließenden Kapitel wird sich näher mit der Entwicklung und den Ursachen von Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Das fünfte Kapitel bildet das letzte Kapitel bevor der abschließende Teil der Analyse beginnt. Darin soll Rechtsextremismus nicht mehr nur im Allgemeinen behandelt, sondern explizit auf das Beispiel Deutschland bezogen werden. Dazu wird das Kapitel in verschiedene Unterpunkte gegliedert, die einzelne Faktoren und Bereiche des Rechtsextremismus in Deutschland behandeln und abdecken. Im sechsten Kapitel soll schließlich geklärt werden, ob und inwiefern der Rechtsextremismus in Deutschland als eine soziale Bewegung angesehen werden kann. Dazu wird anhand der in Kapitel Drei erarbeiten theoretischen Grundlagen eine Überprüfung stattfinden. Das abschließende Fazit fasst schließlich die aus der Analyse hervorgehenden Aussagen zusammen, um die Fragestellung hinreichend zu beantworten und gibt einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland.
Zu Beginn scheint es wohl am sinnvollsten, sich mit den Begriffen Extremismus und Radikalismus zu beschäftigen. Diese werden nämlich häufig und fälschlicherweise als Synonyme verwendet, obwohl die beiden Begrifflichkeiten im Kern zwar einige Überschneidungen aufweisen, aber dennoch nicht dieselbe Bedeutung besitzen. Sowohl Extremismus als auch Radikalismus haben ihre Wurzeln in der lateinischen Sprache.
Extremismus wird oft als Oberbegriff für Links- oder Rechtsextremismus genutzt und stammt vom lateinischen Wort „extremus“ (dt.: der/das Äußerste) ab. Der politische Extremismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt und ihn sogar beseitigen beziehungsweise einschränken will. Diese Definitionen über den Extremismus müssen allerdings mit der nötigen Vorsicht betrachtet werden, denn Extremismus alleine ist eine Definition aus geltenden Normen heraus und wird durch das jeweilige herrschende System bestimmt. Durch diese normative Wertung des Wortes gilt es als kompromisslos oder problematisch und Extreme gelten im System als gefährlich oder bedrohlich:
„Als extremistische gelten Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben“. (Schubarth / Stöss 2000: 15)
Wenn man nun die Definition des Radikalismus der des Extremismus gegenüberstellt, fallen bereits feine-, aber dennoch grundlegende Unterschiede auf :
„Radikalismus kann man auf das lateinische "radix", das bedeutet "Wurzel", zurückführen. Mit „Radikalismus“ bezeichnet man eine politische Einstellung, die von Grund auf, von der Wurzel her die Dinge ändern und nicht nur an der Oberfläche kratzen will.“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2019)
Beim Radikalismus handelt es sich also auch um überspitzte und extreme Denk- und Handlungsweisen, die die gesellschaftlichen Probleme bereits an der Wurzel bekämpfen möchten, jedoch sollen im Unterschied zum zuvor beschriebenen Extremismus weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Prinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. Somit ist nicht direkt jeder Gesellschaft^-, Kapitalismus- oder Systemkritiker, der grundsätzliche Kritik und Zweifel bezüglich unserer Gesellschaftsordnung äußert, ein Extremist. Derartige politische Äußerungen radikaler Art sind trotzdem durchaus in der heutigen Gesellschaft geduldet. Auch der Versuch der Realisierung dieser radikalen politischen Auffassungen ist in der Bundesrepublik Deutschland erlaubt und straffrei, solange dadurch kein geltendes Gesetz gebrochen wird und vor allem die Grundprinzipien der Verfassungsordnung anerkannt werden.
Ein amtlicher- oder gesetzlich festgelegter Begriff für Rechtsextremismus existiert in Deutschland so gar nicht. Immer wieder wird diese Begrifflichkeit kontrovers diskutiert sowie unterschiedlich definiert und verwendet. Zu den mit dem Rechtsextremismus in der Regel in Verbindung gebrachten Begriffe gehören unter anderem eben Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit, aber auch Nationalismus und Antisemitismus. Selbst das Grundgesetz liefert keine definitorische Grundlage. Durch die breite Anwendbarkeit des Begriffs können beispielsweise Staatsformen, Gruppierungen, aber auch einzelne Individuen als rechtsextrem eingestuft werden.
Durch die breite Anwendung wird Rechtsextremismus häufig mit anderen Schlagwörtern verbunden oder fälschlicher Weise gleichgesetzt. Die meisten Begriffe, die in diesem Zusammenhang fallen, haben zwar eine gewisse Verwandtschaft vorzuweisen, doch besitzen wie beim Extremismus und Radikalismus unterschiedliche Bedeutungen. Fremdenfeindlichkeit bezeichnet beispielsweise die Feindseligkeit, Abwertung und Diskriminierung aller Fremden, während Rassismus auf die biologisch begründete Abwertung anderer Personen bezogen ist. Auch der Begriff des Antisemitismus wird häufig als Synonym verwendet, obwohl es sich dabei gezielt um die Diskriminierung und Diskreditierung von Menschen jüdischer Herkunft handelt. Der Begriff des Nationalismus beschreibt auf historischer Ebene die Herrschaft der NSDAP unter Adolf Hitler über das Deutsche Reich zwischen 1933 und 1945, aber spiegelt noch heute das geschlossene Gedankengut wieder, welches die Nationalsozialisten in Form ihrer nationalsozialistischen Ideologie ausübten und predigten.
Abschließend bleibt also zu sagen, dass Rechtsextremismus in Deutschland kein ideologisches- oder gar einheitliches Gefüge darstellt. So kann Antisemitismus nicht nur dem rechtsextremen Spektrum vorgeworfen werden, sondern kann auch in linksextremen Gruppierungen vorgefunden werden. Dennoch werden Rechtsextremisten durch den Glauben an die naturgegebene ethnische Ungleichwertigkeit der Menschen, und nationalsozialistische, antisemitische und rassistische Ideologieelemente geeint, was ein Werteverständnis des Menschen ergibt, welches im totalen Gegensatz zum deutschen Grundgesetz steht. Um Rechtsextremismus dennoch genauer zu definieren und charakterisieren, wird der Begriff im nächsten Kapitel aus politikwissenschaftlicher Sicht behandelt.
Das folgende Kapitel soll verschiedene Definitionen bezüglich des Rechtsextremismus als Begrifflichkeit in der Politikwissenschaft bereitstellen. Dadurch sollen verschiedene Blickwinkel auf den Rechtsextremismus im politikwissenschaftlichen Kontext eröffnet und die enorme Tragweite und Umgänglichkeit des Begriffs herausgestellt werden.
Die folgende Charakterisierung der Begrifflichkeit stützt sich hauptsächlich auf die Ausarbeitungen von Dirk Sellmeier, der sich großspurig mit der Definition des Rechtsextremismus im politikwissenschaftlichen Kontext befasst hat. Er schreibt, dass der Rechtsextremismus vier Definitionskomponenten aufweist: Nationalsozialismus, Ethnizismus, Autoritarismus und Militarismus.
Beim Nationalsozialismus, der bereits im vorherigen Kapitel kurz angeschnitten wurde, handelt es sich um die Unterordnung von humanistischen und demokratischen Prinzipien gegenüber der Nation. Es zählt also nicht mehr die einzelne Person oder das Individuum, sondern nur das Wohl und Vorankommen der Gesellschaft. Dadurch wird vom Bürger verlangt zur Zielerreichung der Gemeinschaft beizutragen, wodurch das dadurch geschaffene Leitbild, Fremdes negativ zu betrachten, zusätzlich verstärkt wird (Gorzolka 2012: 18ff.).
Um diese angestrebte Ordnung herzustellen und zu erhalten, wird die Anwendung von Gewalt legitimiert. Als Vorbild fungiert die Ordnung zur Zeit des Nationalsozialismus und im Zuge dessen wird die Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg geleugnet beziehungsweise verharmlost (vgl. Sellmeier 2006: 15ff). Von einer wirklich rechtsextremen Einstellung kann allerdings nur gesprochen werden, wenn mehrere Elemente gleichzeitig existieren. So kann nicht jede Person, die sich negativ zu Ausländern äußert, als rechtsextrem dargestellt werden. Dazu gehört immer auch ein antidemokratisches Verhalten sowie die Ablehnung des Rechtsstaates. Rechtsextremismus kann aus politikwissenschaftlicher Sicht daher als eine ideologisch-politische Position am äußersten rechten Rand des Politikspektrums bezeichnet werden.
Ein weiterer umfänglicher und gelungener Versuch der Definition von Rechtsextremismus stammt von Hans-Gerd Jaschke: „die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der MenschenrechtsDeklarationen ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen. Unter Rechtsextremismus verstehen wir insbesondere Zielsetzungen, die den Individualismus aufheben wollen zugunsten einer völkischen, kollektivistischen, ethnisch homogenen Gemeinschaft in einem starken Nationalstaat und in Verbindung damit den Multikulturalismus ablehnen und entschieden bekämpfen. Rechtsextremismus ist eine antidemokratische, auf soziale Verwerfung industriegesellschaftlicher Entwicklungen reagierende, sich europaweit in Ansätzen zur sozialen Bewegung formierende Protestform.“ (Jaschke: 2001, S.30)
Jaschke geht in seiner Definition noch auf weitere gesellschaftliche Erscheinungsformen ein, die nach seiner definitorischen Grundlage als rechtsorientiert und undemokratisch angesehen werden können.
Er zeigt in seiner Definition einen Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und übersteigerten Nationalismus sowie imperialistischen Machtstreben verbunden mit einer Feindseligkeit gegenüber anderen Nationen und Ethnien. Um das nationalistische und rechtsextreme Gedankengut durch die gesamte Gesellschaft hinweg zu verbreiten, werden vermeidliche Bedrohungen von Außen für das bestehende System instrumentalisiert und zur Rechtfertigung der eigenen Ansichten benutzt. Desweiteren geht Jaschke auch auf die Behandlung der Grundrechte ein und arbeitet heraus, dass bestimmte Grundrechte vom rechtsextremen Spektrum als negativ und schädlich für die Gesellschaft aufgefasst werden. So sollten bestimmte Grundrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Gedanken- und Religionsfreiheit aber auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das Freiheit- und Gleichheitsrecht nur für die deutsche Bevölkerung gelten und nicht für Ausländer oder Menschen mit Migrationshintergrund. Außerdem herrscht eine allgemeine Ablehnung von parlamentarisch-pluralistischen Systemen, sowie die grundlegenden Säulen der Demokratie wie die Volkssouveränität und Wahlen, die auf Mehrheitsprinzipien basieren. Parteien und Verbänden werden nur sehr limitierte Rechte auf Mitsprache eingeräumt und nur eine eingeschränkte Partizipation am Prozess der Gesetzgebung. Diese Merkmale bekräftigen die Befürwortung von faschistischen Herrschaftsformen und den Wunsch nach einer Einheitspartei, die jegliche Organisationen und Gewalten verwaltet und bevormundet.
Die Definitionen von Sellmeier und Jaschke zeigen auf wie unterschiedlich die Facetten des Rechtsextremismus sein können und, dass „der eine Rechtsextremismus“ als solcher nicht existiert. Es handelt sich dabei nicht um eine einheitliche Ideologie, sondern vielmehr um eine Vielzahl von unterschiedlichen Sichtweisen, die in ihrer Gesamtheit als rechtsextrem bezeichnet werden können. Dies spiegelt sich auch in den verschiedenen rechtsextremen Organisationen wider. Viele dieser Organisationen unterscheiden sich in ihren Zielen und Ansichten, bezeichnen sich teilweise dennoch selber als rechtsextrem.
Das folgende Kapitel soll den theoretischen Rahmen für den darauffolgenden Analyseteil liefern. Zunächst soll das Feld der sozialen Bewegungen näher erörtert werden und klargestellt werden, wobei es sich überhaupt bei sozialen Bewegungen handelt und wo die Grenzen dieser gesteckt sind. Darauf aufbauend sollen dann die Mobilisierungsprozesse, die aus den sozialen Bewegungen heraus entstehen, sowie deren Faktoren näher erörtert, besonders in Bezug auf die relevante Thematik, charakterisiert werden. Abschließend sollen die Entwicklungsdynamiken der sozialen Bewegungen genauer analysiert werden. Ziel hierbei ist es einen Überblick über das breite Feld der sozialen Bewegungen zu geben und den Begriff einzugrenzen, um die theoretische Grundlage für die kommenden Kapitel und den analytischen Teil der Arbeit zu schaffen. Es soll also noch keine Brücke zum Rechtsextremismus geschlagen werden und weder Gemeinsamkeiten noch Disparitäten zwischen herkömmlichen sozialen Bewegungen und der extremen Rechte in Deutschland herausgearbeitet werden.
Der folgende Abschnitt, der sich vorerst nur mit den Theorien zu den sozialen Bewegungen beschäftigen wird, soll und kann natürlich nicht das gesamte Feld der sozialen Bewegungen umfassen. Dies würde zum einen den Umfang der gesamten Arbeit um ein Vielfaches sprengen, zum anderen wäre eine solche Aufarbeitung nicht weiterhin zielführend, um später die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen sozialen Bewegungen und dem Rechtsextremismus herauszustellen. Vielmehr wird der Abschnitt einige Ideen zu einer allgemeinen Theorie der sozialen Bewegungen zusammenfassen, um einen möglichst schmalen-, aber dennoch gehaltvollen Blick auf diesen Bereich zu bieten.
Zunächst werden soziale Bewegungen in den Gesellschaften, in denen sie vorkommen, als störende Ereignisse charakterisiert. Sie erscheinen für die Gesellschaft in einer Art unheimlichen Form, da sie das Selbstverständliche überschreiten und sich dem „Common sense“ nur sehr schlecht erklären lassen. Hinzu kommt, dass sie keinerlei feste Gestalt besitzen und sich komplett unterschiedlich verhalten. Sie kommen ganz plötzlich aus dem Nichts auf und können genauso schnell wieder zerrinnen. Oder sie schwellen ganz unvermittelt an und explodieren auf einmal. Es ist möglich, dass sie nach ihrem Abschwellen beendet sind oder nach längerem oder kürzerem Stillliegen wiederaufkommen. Alle möglichen Variationen an Dauer und Intensität sind dabei denkbar, was die sozialen Bewegungen so schwer greifbar für die Wissenschaft, aber auch die Politik und dem Feld der Politikwissenschaft macht.
Die Soziologie als Disziplin tut sich entsprechend der Gesellschaft genauso schwer mit dem Umgang mit sozialen Bewegungen und scheitert regelmäßig an der Verwendung der Theorien. Dabei spielen die sozialen Bewegungen schon lange nicht mehr eine untergeordnete Rolle in der Soziologie. Gerade das Auftreten der zahlreichen „neuen“ sozialen Bewegungen haben die Theorien der sozialen Bewegungen immer mehr ins Blickfeld der Soziologie gerückt. Dennoch kommen die Theorien der sozialen Bewegungen in vielen prominenten Fassungen der allgemeinen Soziologie nur recht selten vor. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Wissenschaft Schwierigkeiten bei der Feststellung eines besonderen Begriffs von sozialer Bewegung hat. Ein Grund hierfür ist unter anderem die Formenvielfalt des gesellschaftlichen Lebens und die Vielfalt der Interaktionen in diesen Gesellschaften. Die Formen der sozialen Bewegungen und die damit verbundenen Interaktionen finden irgendwo zwischen kleinsten Gruppen und großer Gesellschaft statt. Somit sind sie nur sehr schwer in die Mikro- oder Makrosoziologie einzuteilen (vgl. Brand 1982: 170ff).
Doch gerade diese Aufspaltung in Mikro- und Makrosoziologie hat in den letzten Jahrzehnten in dieser Disziplin an Gewicht und Gehalt gewonnen. Die Mikrosoziologie widmet sich dabei eher den interaktionistischen Handlungsmodellen, die die face-to-face-Beziehungen zwischen einzelnen Individuen als eine Art offene Folge von wechselseitigen Definitionsprozessen begreift. Die Makrosoziologie hingegen konzentriert sich in ihren Analysen vermehrt auf die geltenden und 11 herrschenden Strukturen und Normen. Die Wahrheit liegt dabei natürlich wie so oft in der Mitte. Nur eine ausgeklügelte Synthese der Mikro- und Makrosoziologie, der face- to-face-Beziehungen der Menschen und die Berücksichtigung der Normen, Strukturen und Werte, können allgemein gültige Antworten auf die Fragen der Theorien der sozialen Bewegungen liefern (vgl. Heidenreich 1998: 229ff)
Die nächsten Abschnitte werden sich nun mit drei Sparten der sozialen Bewegungen auseinandersetzen, die für die Thematik dieser Arbeit einen besonderen Stellenwert aufweisen. Dafür werden die Organisationsmodelle der sozialen Bewegungen, die damit verbundenen Netzwerke und die Werte als Steuerungsmedien näher charakterisiert.
Organisationsmodelle sozialer Bewegungen kamen in der Soziologie Anfang der sechziger Jahre auf. Man fing an zwischen sozialen Bewegungen und den Organisationsmodellen zu unterscheiden. Ersteres beschreibt „nothing more than preference structures directed by social change“ (McCarthy/ Zald 1977: 1217). Die Organisationsmodelle hingegen seien komplexe und formale Organisationen, die ihre Ziele und Forderungen ganz klar zur Sprache bringen, um anhand sozialer Bewegungen oder Gegenbewegungen diese Forderungen nach außen hin zu festigen. Besonders die politikwissenschaftliche Forschung konzentriert sich auf die Bewegungsorganisationen, da diese weitaus greifbarer und die sozialen Bewegungen den allgemeineren Organisationsmodellen subsumierbar sind. Allerdings muss dabei betont werden, dass soziale Bewegungen zwar bestimmte Organisationen besitzen, aber dennoch selber keine sind. Soziale Bewegungen haben zwar durchaus das Potential sich zu einer Organisation hin zu entwickeln, wie es beispielsweise bei Parteien oder Gewerkschaften bereits der Fall war, dennoch hören sie in dem Moment auf, in dem soziale Bewegungen kategorisiert werden. Dass sich diese beiden Typen unterscheiden, fällt auf, wenn man die Konflikte und Spannungen betrachtet, die in sozialen Bewegungen selber gegenüber ihren eigenen Organisationsentwicklungen aufbrechen.
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