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Diplomarbeit, 2006
61 Seiten, Note: 5
1 Risikometrie
1.1 Risiko
1.2 Marktrisiken
2 Theoretischer Teil
2.1 Definition des Value-at-Risk
2.2 Statistische Schätzung des Risikomasses
2.3 Bewertung von Finanzinstrumenten mittels Risikofaktoren . .
2.4 Parametrisches Verfahren zur Schätzung des Portfolioverlustes
3 Empirischer Teil
3.1 Trigonometrie der Korrelationen
3.2 Triangulierung des Value-at-Risk
3.3 TriRisk-Watch des Aktienportfolios
4 Eigenschaften des Risikomasses
4.1 Analytische Eigenschaften
4.2 Geometrische Eigenschaften
2.1 Dichtefunktion und Value-at-Risk
2.2 Verteilungsfunktion und Value-at-Risk
2.3 Lineare Finanzinstrumente
3.1 Satz des Pythagoras
3.2 Kosinussatz
3.3 Übertragung des Kosinussatzes auf die Risikometrie
3.4 Drehwinkel für die ersten beiden Aktienpositionen
3.5 VaR-Triangulierung mit N = 2
3.6 Rotationswinkel 7 für n = 3,..., N Positionen
3.7 VaR-Triangulierung mit N = 3
3.8 TriRisk-Watch des Gesamtportfolios
3.1 Bestimmungsfaktoren der stand-alone VaR (vArn)
3.2 Korrelationen und Winkeläquivalente
3.3 Bestimmungsfaktoren der Rotationswinkel [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]
3.4 Rotationskoordinaten
3.5 VaR, KI und DG
Bei Befragungen, was unter Risiko zu verstehen ist, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Die Antworten erfassen gewisse Aspekte des Risikobegriffes, die jedoch nicht vollständig sind.
Da das Risiko einer Handlungsalternative keine objektiv feststellbare Eigenschaft ist, sondern ein subjektives Gebilde widerspiegelt, ist es Sache der persönlichen Auffassung des Einzelnen (vgl. Brachinger [1], S. 1015). Der handelnde Akteur konkretisiert, was ein Verlust ist, wie bedeutend er ist und wie gross die Chance seines Auftretens ist.
Ein professionell agierender Akteur, wie etwa eine Universalbank, hat aber das Bedürfnis, das Risiko losgelöst von den individuell variierenden Risikowahrnehmungen zu messen.
Die Vielfalt der Risikoauffassungen in der betriebswirtschaftlichen Praxis ist bei Brachinger [1], S. 1017, zu einem einzelnen Risikobegriff vereint und dient in dieser Arbeit als Ausgangspunkt zum Verständnis des Risikobegriffes. Demnach ist Risiko ein mit einer Handlungsalternative verbundenes mögliches Ereignis, das
- als negativ empfunden wird und
- dessen Eintreten unsicher ist.
Eine Handlungsalternative ist aber nur dann riskant, wenn sich unter der Menge ihrer möglicher Konsequenzen
- mindestens eine befindet, die einen Verlust darstellt und
- dessen Eintreten unsicher ist.
Das Ergebnis als möglicher Verlust erfordert ein Referenzergebnis, welches festlegt, auf welchem Niveau ein Ergebnis negativ ist. Dieses Referenzergebnis ist ein Richtwert, aus dem der potentielle Verlustbetrag in Geldeinheiten gemessen werden kann.
Der oben aufgeführte Risikobegriff ist ein erster Schritt, um aus den verschiedensten Risikowahrnehmungen zu einer statistisch begründeten und ganzheitlich erfassten Definition zu kommen. Die statistische Messung von Risiken, die sogenannte Risikometrie, ein nach dem im gleichnamigen Unterricht von Brachinger [3] geprägter Begriff , und die Risikoabbildung auf der Ebene ist das Ziel in dieser Arbeit. Zunächst wird im nächsten Kapitel das Risiko eingeteilt, wobei das Marktrisiko eine besondere Rolle einnimmt.
Im vorigen Kapitel wurde erklärt, durch welche grundlegenden Merkmale der Risikobegriff erfasst wird. Die Risiken, die in dieser Arbeit behandelt werden, sind finanzieller Natur und werden von den Marktteilnehmern auf den Finanzmärkten bewusst eingegangen. Marktteilnehmer sind die Banken und das Publikum.
Jorion [8], S. 15 teilt die finanziellen Risiken in Markt-, Kredit- und Liquiditätsrisiken sowie in operative und rechtliche Risiken ein. Es sind überwiegend Markt- und Kreditrisiken, die an organisierten Börsen, den sogenannten Finanzmärkten, gehandelt werden. Diese Arbeit konzentriert sich auf Marktrisiken, die gemäss Deutsch [6] S. 363 definiert werden als Gefahr einer negativen Abweichung einer Position bzw. mehrerer Positionen von einem Referenzwert, die durch Änderungen von Risikofaktoren (Zinsen, Aktienkurse, Währungskurse, Rohstoffpreise, etc.) bedingt ist. Marktrisiken entstehen dadurch, dass sich die Marktpreise von originären Risikofaktoren oder deren Derivate ändern.
Das Bedürfnis der Marktteilnehmer, die Marktrisiken möglichst präzise einzuschätzen, hat sich seit den 70er Jahren allmählich entwickelt. Die Aufhebung behördlicher Schranken auf nahezu sämtlichen Märkten, im Speziellen auf dem Finanzmarkt, erfolgte mit den Deregulierungsmassnahmen durch den Staat. Die Aufgabe des Bretton Woods Systems fixer Wechselkurse im Jahre 1971 hat diesen Prozess eingeleitet und hält bis heute an, wobei ein Faktor immer derselbe blieb: die Volatilität finanzieller Grössen. In der Terminologie der Statistik wird dieses Verhalten als Abweichung einer Zufallsvariablen von ihrem Erwartungswert bezeichnet. In einer Volkswirtschaft kann ein Abweichen der massgebenden finanziellen Grössen - je nach Ausmass - einen mehr oder weniger grösseren Schaden anrichten. So beeinflusste 1973 der Angebotschock durch die Ölpreissteigerung die Geld- und Kapitalmärkte so stark, dass ganze Wirtschaftssysteme davon betroffen wurden. 15 Jahre später, im Oktober 1987, erschütterte ein weiteres Ereignis die Finanzwelt.' amerikanische Aktien verloren über 23 Prozent ihres Wertes, was sich auf andere wichtige Aktienmärkte durch deren Verflechtung mit dem US-Markt ebenfalls negativ auswirkte.
Das Verständnis von finanziellen Risiken ist verbunden mit der Einsicht, dass zwischen den Teilmärkten Interdependenzen existieren und sich die finanziellen Grössen wie Zinssätze, Wechselkurse, Rohstoffpreise und Aktienkurse gegenseitig beeinflussen. So bewirkte der oben erwähnte Ölpreisschock von 1973 einen Wertverlust von 25 Prozent des Marktwertes auf dem Aktienmarkt. Ebenso können Informationen, wie die Ankündigung sukzessiver Zinserhöhungen durch die Zentralbank einer grossen, offenen Volkswirtschaft, die Marktteilnehmer dazu bewegen, Geld vom Kapitalmarkt abzuziehen und in den Geldmarkt anzulegen. Mit dem heutigen Stand der Informationstechnologie üben Finanzinformationen ständigen Druck auf die Finanzmärkte und erzeugen einen volatileren Verlauf ihrer finanziellen Grössen.
Die Begründung, warum die Marktteilnehmer ihr Interesse auf Markt- und Kreditrisiken fokussieren, findet sich in einigen extremen Verlusten, die sich in den letzten 15 Jahren auf den Derivatenmärkten ereignet haben und die Finanzwelt durch ihre Schlagartigkeit und Höhe erschreckt haben (vgl. Jo- rion [8], S. 33). Der wahrscheinlich berühmteste Fall ist der Bankrott der englischen Barings-Bank. Der erlittene Verlust dieser traditionsreichen Handelsbank wurde einem einzelnen Börsenhändler, dem 28-jährigen Nicholas Lesson, zugeschrieben (vgl. Jorion [8], S. 43 ff.). Sein Verhalten führte zu einem Verlust von 1.3 Milliarden US-Dollar vom Handel mit Derivaten, was folglich das gesamte Eigenkapital der Barings-Bank verschlang. Leeson ging grosse Positionen auf dem japanischen Aktien- und Obligationenmarkt ein.
Er kaufte Futures auf dem Nikkei-Index und verkaufte Futures auf japanische Staatsobligationen. Die negative Korrelation zwischen den beiden Märkten und der durch das Erdbeben von Kobe eintretende Verlust des Nikkei-Indices um 6.4 Prozent liessen ihn aber an den Verlusten der Kauf- und Verkaufspositionen partizipieren (vgl. Jorion [8], S. 165 f.). Die gedachte Absicherung durch geshortete japanische Obligationen erwiesen sich somit als risikoerhöhend. Ausserdem verschlimmerten einige Optionenverkäufe, welche einen stabilen Markt vorausgesetzt hätten, die Verluste zusätzlich. Leeson begründete die potentiell hohen Renditemöglichkeiten mit einem relativ niedrigen Risiko. Seine Vorgesetzten zweifelten nicht an dieser statistisch seltenen Rendite- /Risikokonstellation und liessen ihn seine Handelsaktivitäten in einer Periode erhöhter Marktrisiken fortsetzen. Die für einen Einzelhändler aussergewöhn- lich grosse Positionen, die Leeson eingehen konnte, waren durch dem ihm gewährten Handlungsspielraum möglich gewesen. Er vereinte zwei üblicherweise getrennte Funktionen, den Handel und das BackOffice.
Dieses Beispiel der Spekulationsverluste eines Finanzmarkthändlers war u.a. ein Auslöser für die Marktakteure, sich intensiver mit der Risikometrie zu beschäftigen. Eine Initiative in dieser Richtung, die während den 90er Jahren von der Privatindustrie ausging, war der RiskMetrics-Ansatz (vgl. J.P.Mor- gan/Reuters [13]). Ausserdem weckten die hohen Verluste an den Finanzmärkten die Aufmerksamkeit von behördlichen Regulatoren, worauf verbindliche Richtlinien zur Messung von Marktrisiken aufgestellt wurden.
Da die Risikometrie keine exakte Wissenschaft ist und durch Verknüpfung von ökonomischen mit statistischen Variablen die Risiken möglichst korrekt messen will, ist darauf zu achten, dass es sich bei der Quantifizierung der Variablen und der Interpretation der Ergebnisse lediglich um Schätzwerte von wahren, aber unbekannten Grössen handelt. Die Risikometrie stellt also ein statistisches Instrumentarium zur Verfügung, um die viel komplexere Realität, wie etwa risikobehaftete Vorgänge auf dem Finanzmarkt, abbilden zu können. Welche Qualität die Risikoabbildungen aufweist, hängt von mehreren Faktoren ab, u.a. vom Modellverfahren (parametrische versus nichtparametrische Verfahren), von der Auswahl der Modellgrössen (diskrete versus stetige Rendite), usw. Das Bestreben der Marktakteure, Risiken möglichst präzise abzubilden, um ihre Ressourcen effizient einsetzen zu können, sowie die Zunahme der Volatilität auf dem Finanzmarkt erzeugten gegen Mitte der 90er Jahre ein Risikomass, das bis heute zum Standardverfahren jeder Bank gehört: das Value-at-Risk.
Im folgenden Kapitel wird dieses Mass aus statistischer Perspektive definiert.
Allgemein wird der Value-at-Risk (kurz: VaR) eines Finanzinstrumentes oder eines Portfolios bestehend aus Finanzinstrumenten als derjenige Wertverlust definiert, der innerhalb des betrachteten Zeithorizontes i nur mit der geringen Wahrscheinlichkeit 1—c überschritten bzw. mit der Wahrscheinlichkeit c nicht überschritten wird (vgl. Brachinger [1], S. 1021).
Sei c das Konfidenzniveau mit 0 < c < 1 und x eine Zufallsvariable, dann ist der Value-at-Risk zum gegebenen Konfindenzniveau c implizit definiert als (vgl. Brachinger [2], S. 11)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Grafisch wird der formale Ausdruck durch die Dichtefunktion fx(x) der Zufallsvariablen x in Abbildung 2.1 auf S. 9 wieder gegeben.
Die Dichtefunktion gibt den Value-at-Risk zum Konfidenzniveau von 95 Prozent für eine Zufallsvariable x an. Der VaR ist der Punkt, der die oberen fünf Prozent von den unteren 95 Prozent der Beobachtungen trennt (Schnittpunkt der zur Ordinaten parallelen Gerade mit der Abszisse) und beträgt VaR(c = 95%) « 1.645. Oberhalb der kritischen Schranke VaRc (der kleine Bereich oberhalb der Geraden unter der Dichtefunktion) ist ein Bereich mit einer Restwahrscheinlichkeit, die nur mit (1 — c) · 100% überschritten wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.1: Dichtefunktion und Value-at-Risk
Im folgenden sei [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] die Verteilungsfunktion der Zufallsvariablen x. Dann kann der VaR einer Zufallsvariablen durch die Umkehrfunktion der Verteilungsfunktion [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] der Zufallsvariablen x explizit definiert werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diesen Zusammenhang widerspiegelt die Abbildung 2.1 auf S. 10. Die Darstellung verdeutlicht, dass [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] die Umkehrfunktion bzw. das c · 100%- Quantil der Verteilung von x ist.
Das oben dargestellte Risikomass ist ein Parameter der wahren theoretischen Verteilung der betrachteten Zufallsvariablen. Die Dichte fx(x) bzw. die Verteilung Fx(x) der Zufallsvariablen x ist in der Praxis nicht bekannt; deshalb muss sie geschätzt werden. Die entsprechenden Parameterwerte der geschätzten Verteilungen werden dann als Schätzer für die eigentlich interessierenden, aber unbekannten Parameter verwendet.
Wird das Konfidenzniveau c am oberen Ende eines Intervalls gewählt, wobei [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], so ist x eine Ver lust variable, [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]. Dann gibt der VaR der Ver lust variable l zum Konfidenzniveau c einen grossen Verlust an, der nur mit einer Restwahrscheinlichkeit von (1 — c) · 100% überschritten wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.2: Verteilungsfunktion und Value-at-Risk
Formal wird in den Gleichungen 2.1 und 2.2 die Zufallsvariable x durch die Verlustvariable t ersetzt. Es ist zu beachten, dass der Value-at-Risk lediglich als Quantil einer Verlustverteilung definiert wird, d.h. in 2.2 ohne Verteilungsannahmen auskommt.
Im Weiteren muss beachtet werden, dass das Quantil der Verteilung einer mathematischen Eigenschaft genügt. Sei[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] die Verteilungsfunktion von x und existiert eine Dichtefunktion [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], welche streng positiv über den Wertebereich von x ist, dann genügt das c-Quantil von [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten], für 0 < c < 1, der Gleichung 2.2. Die Annahme einer streng positiven Dichtefunktion heisst, dass die Verteilungsfunktion streng wachsend über ihren Wertebereich verläuft. Folglich existiert die Inverse und ihr Quantil. Falls die Verteilungsfunktion nicht streng wächst oder die Dichtefunktion nicht existiert, ist auch die Existenz des c-Quantils nicht notwendigerweise gewährleistet oder einheitlich definiert für alle Werte von c (vgl. Davidson et. al.[5], S. 180).
Da in der Risikometrie Verluste im Zentrum des Interesses stehen, ist es eine Konvention, diese als positive Werte zu betrachten. Im folgenden Schritt sollen die Verlustvariable und der Zeithorizont in die VaR-Definition integriert werden.
Der Wert eines Finanzinstrumentes n zum Ausgangszeitpunkt t — i sei [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] und [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] eine Zeiteinheit t — i + i später. Für eine fixierte Haltedauer i, wie etwa einen oder zehn Tage, ist der Verlust des Finanzinstrumentes n im Zeitintervall [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Will ein Risikoakteur die Wahrscheinlichkeit hoher Verluste messen, so ist er am oberen Rand der Ver lust Verteilung von £ interessiert. Entsprechend der Formel 2.3 nimmt £ positive Werte an.
Schliesslich werden in der Notation des Value-at-Risk eines Finanzinstrumentes n die beiden fixierten Parametern i und c sowie der Zeitpunkt der Betrachtung t berücksichtigt, auf die sich die Verlustfunktion bezieht. Sei [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] der ¿-Tages-Verlust des n-ten Finanzinstrumentes zum Zeitpunkt t und [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] die zugehörige Verteilungsfunktion. Dann ist der ¿-Tages-c· 100%- Value-at-Risk zum Anfangswert (vgl. Brachinger [2], S. 22 f.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
bzw. zum Erwartungswert
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die beiden Gleichungen 2.4 und 2.5 haben einen wichtigen gemeinsamen Parameter, das Referenzniveau, mit dem der Wert eines gegebenen Finanzinstrumentes (oder Portfolios) am Ende des Zeithorizontes verglichen wird. Ist das Referenzniveau der Erwartungswert, wird der Value-at-Risk auf der Wertachse um —E(£) korrigiert und liefert damit vorsichtigere Ergebnisse. Wird der Zeithorizont i kurz gewählt, wie etwa ein Tag, kann auch der Erwartungswert gering ausfallen, was ein Zusammenfallen der beiden VaR-Werte ergibt (vgl. Jorion [8], S. 109). In dieser Arbeit wird der Value-at-Risk relativ zum Erwartungswert betrachtet.
In diesem Kapitel wurde der Value-at-Risk-Begriff formal dadurch abgegrenzt, dass er ein Quantil einer Verteilung darstellt, durch das Konfindenzni- veau c charakterisiert wird und je nach Referenzwert unterschiedliche Werte annehmen kann.
Die Attraktivität des Value-at-Risk als Mass für das Marktrisiko rührt daher, dass es als Quantil einer Verteilung
- die Höhe des Verlustes in Geldeinheiten und
- die Wahrscheinlichkeit mit der sie eintritt angibt.
Bei der Schätzung von Risikomassen sind einige Überlegungen durchzuführen, die bei vielen Autoren nicht Bestandteil von Untersuchungen bilden, weil sie nur schwer quantifizierbar sind oder unkorrekterweise vernachlässigt werden. Ersteres ist nachvollziehbar, die zweite Begründung ist es nicht, und kann zu einem falsch vermittelten Bild der dargestellten Ergebnisse einer Untersuchung führen. Daher werden in folgenden Abschnitten einige zusätzliche Risiken aufgeführt, die im Zusammenhang mit der Modellbildung bei Risikomassen auch eine wichtige Rolle spielen können (vgl. Brachinger [1], S. 1017 f.). Der übrige Teil dieses Kapitels grenzt die Verfahren zur Schätzung des Risikomasses ab, und schliesst mit dem formalen Ausdruck für den Schätzfehler beim parametrischen Verfahren.
Zunächst ist ein stochastisches Modell einer finanziellen Variablen auszuwählen, mit der die Berechnungen durchgeführt werden sollen. Mit der Wahl eines solchen Modells ist jedoch immer das Risiko verbunden, dass das Modell die Realität bzw. den relevanten Prozess unpräzise beschreibt, was dann als Wahl eines falschen Modells oder Modellrisiko gilt. Beispielsweise besteht das Modellrisiko in einem Optionsportfolio, welches mittels Kovarianzmethode ermittelt wird, in einer falschen Modellauswahl, weil sich Optionen in bestimmten Situationen nicht-linear verhalten verhalten können.
Ist die Entscheidung getroffen, den Value-at-Risk als Risikomass zu verwenden, so ist die Wahl dieses Verteilungsparameters mit dem Risiko verbunden, bestimmte risikorelevante Eigenschaften einer Verteilung, wie etwa schmale Mitten oder fette Ränder, zu vernachlässigen. Dieses Risiko wird durch das Parameterrisiko abgebildet. Der Parameter eines statistischen Verteilungsmodells ist ein Parameter der theoretischen, unbekannten Verteilung. Da dieser Parameter nie statistisch erfasst werden kann, wird er anhand von Realisierungen einer Beobachtungsreihe des intessierenden Prozesses statistisch geschätzt. Da der Schätzer für den Risikoparameter mit der Stichprobengrösse variiert, unterliegt er dem sogenannten Schätzrisiko. Wie das Schätzrisiko quantifiziert wird, ist am Ende dieses Kapitels unter Gleichung 2.9 aufgeführt. Das Risikomass ist also ein Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung einer interessierenden finanziellen Variablen. Dieser Parameter ist aber unbekannt und muss deshalb mit einem geeigneten Verfahren geschätzt werden.
Ausgangspunkt zur Schätzung von Verteilungen bildet der Schätzer für das Risikomass bzw. im Falle des Value-at-Risk die inverse Verteilungsfunktion der interessierenden finanziellen Grösse. Es gibt zwei Ansätze zur Schätzung von Verteilungen. Einer davon ist nicht-parametrisch und geht von einer empirischen Verteilungsfunktion aus, welche frei von Annahmen basierend auf Stichprobendaten geschätzt wird. Beruht die Stichprobe T auf historische Beobachtungen t = 1, ...,T von finanziellen Grössen, so ist das Verfahren eine historische Simulation. Wird die Stichprobe durch multivariate Zufallszahlen erzeugt, so ist es eine sogenannte Monte-Carlo-Simulation. Die Schätzung des Risikomasses erfolgt dann durch den Risikowert der empirischen Verteilung, d.h.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
bzw. wenn der Value-at-Risk das betrachtete Risikomass darstellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
mit [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] als Value-at-Risk-Schätzer für allgemeine Verteilungen.
Der zweite Ansatz zur Schätzung von Risikomassen ist parametrisch, wobei eine parametrische Familie von Verteilungen vorgegeben wird, wie z.B. die Normalverteilung, die t-Verteilung, usw., und die Parameter dieser Verteilungsfamilie auf Basis von Realisierungen einer Zufallsvariablen geschätzt werden müssen. Der Schätzer für das Risikomass bildet die geschätzte Verteilung für das Risikomass.
Die vorliegende Arbeit benutzt zur Schätzung des Value-at-Risk den parametrischen Ansatz, wobei unterstellt wird, dass die interessierende finanzielle Grosse normalverteilt[1] [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten].
Die beiden Parameter μ und σ2 werden aus den Realisationen [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] geschätzt, wobei die geschätzte Verteilung der Zufallsvariablen t ebenfalls normalverteilt ist, d.h. [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten][2] ).
Die Value-at-Risk-Schätzung unter der Annahme von Normalverteilung der interessierenden Zufallsvariablen ist (vgl. Brachinger [2], S.23)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(2.6)
wobei [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] 100%-Quantil der Standardnormalverteilung iV(0,1) bildet, und μ sowie σ die Schätzer für den Erwartungswert μ und die Standardabweichung σ repräsentieren.
Problematisch ist erstens die Annahme über die Normalverteiltheit, denn die empirischen Verteilungsfunktionen weisen weniger Wahrscheinlichkeitsmasse um den Erwartungswert und mehr Masse an den Verteilungsenden als bei der unterstellten Normalverteilung. Zweitens kann die Beschaffung der Daten problematisch sein, denn für einige Finanzinstrumente existiert kein liquider Markt2 und somit keine genügende Datenbasis.
In der Praxis wird oft angenommen μ — 0, was für den vereinfachten VaR- Schätzer heisst;
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Statt der Zufallsvariablern [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] wird die um ihren Erwartungswert verschobene Variable in — [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] betrachtet. Handelt es sich um eine Normalverteilung, so wird in der Gleichung 2.6 auf S. 14 μ wieder abgezogen und es resultiert Gleichung 2.7. Die Gleichung 2.7 entspricht der Gleichung 2.4 auf S. 11 mit dem Erwartungswert als Referenzwert. Die Gleichung 2.6 entspricht der Gleichung 2.5 auf S. 11 mit dem Anfangswert als Referenzwert. Beiden Gleichungen gemeinsam ist die zugrundeliiegende Normalverteilung, sie unterscheiden sich nur durch ihren Referenzwert (vgl. Jorion [8], S. 109 und S. 112 f. sowie Brachinger [2], S. 11 und S. 22 f.).
Aufgrund seiner einfachen mathematischen Struktur ist der vereinfachte Value-at-Risk-Schätzer in der Praxis sehr beliebt und wird oft angewandt. Leider wird dabei vergessen, dass dieser Schätzer gewissen statistischen Fehlern unterliegt. Wie hoch die Unsicherheit der Schätzung bzw. der statistische Schätzfehler ausfällt, wird durch das (1 — et) · 100%-Konfidenzintervall ausgedrückt (vgl. Ridder[10], S. 174 sowie Brachinger[2], S. 23):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(2.8)
Erst durch das Konfidenzintervall gewinnt das Risikomass (VaR) an Qualität, denn es gibt den Bereich an, in welchem der geschätzte Parameter mit einer hohen Zuverlässigkeit (1 — a) zu liegen kommt.
Neben den Marktrisiken existieren also noch andere Risiken, die sich in Zusammenhang mit der Modellierung von Zufallsvariablen und der Verwendung statistischer Verfahren ergeben. Sie werden in Untersuchungen jedoch häufig nicht thematisiert oder bewusst vernachlässigt. Empfehlenswert ist daher, zum berechneten Risikomass zumindest den Schätzfehler bzw. das Konfidenzintervall anzugeben.
Im folgenden Kapitel werden die Modellgrössen resp. die Risikofaktoren eingeführt, mit denen die Bewertung der Finanzinstrumente erfolgen kann.
Der Marktpreis eines Finanzinstrumentes vt zum Zeitpunkt t hängt voir einem /с-dimensionalen Risikovektors [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten kofaktoren ab. Die Darstellung der Wertfunktion mittels Risikofaktoren wird Abbildung von Risiken genannt, weil oft keine direkte Formulierung des Risikos mittels Wertfunktion erfolgen kann.
Daraus folgt für die Wertfunktion (vgl. Brachinger [2], S. 19):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Wahl der Risikofaktoren und damit auch der Bewertungsfunktion sind abhängig von der Art der Finanzinstrumente und vom gewünschten Präzisionsniveau. So kann beispielsweise der Wert eines linearen Finanzinstrumentes von nur einem Risikofaktor abhängen, wie etwa dem Wert einer inländischen Aktie von ihrem aktuellen Aktienpreis. Wird dasselbe Instrument auf einem fremden Markt erworben, kommt zum Aktienpreis der Wechselkurs als weiterer Risikofaktor hinzu.
Nicht nur Risikofaktorwerte zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern auch deren Änderungen im Zeitablauf spielen bei der Bewertung eines Finanzinstrumentes eine Rolle. Es sind nämlich Veränderungsraten und nicht Zustandsgrössen, die die Verluste bzw. Gewinne und deren Verteilungsannahmen in dieser Arbeit charakterisieren. Verluste und Gewinne werden aber durch Veränderungen von Risikofaktoren im Zeitablauf generiert. Wie die Risikofaktorveränderung und damit zusammenhängend die Wertänderung eines Finanzinstrumentes definiert werden soll, hängt u.a. von der Haltedauer und vom Verfahren zur Schätzung des Risikomasses ab.
Drei Modellgrössen stehen zur Auswahl für die Risikofaktorveränderungen (vgl. J.P.Morgan/Reuters [13], S. 45 f. und Brachinger [2], S. 22). Es wird dabei eine Haltedauer von einem Tag unterstellt, d.h. г = 1. Bei allen hier vorgestellten Darstellungsformen der Renditen wird von Dividendenzahlungen abgesehen.
Die absolute Risikofaktorveränderung ist definiert:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
die relative Risikofaktorveränderung bzw. die diskrete Rendite:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
sowie die logarithmierte Risikofaktorveränderung, die auch stetige oder die Log-Rendite heisst:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(2.9)
In der vorliegenden Arbeit werden Log-Renditen verwendet, weil sie ökonomische und statistische Vorteile gegenüber den beiden anderen Renditeformen aufweisen.
Einer dieser Vorteile besteht in ihrer Nicht-Negativitäts-Eigenschaft. Falls die stetigen Renditen normalverteilt sind, d.h. Rt ~ Ν(μ, σ2), dann kann die Verteilung niemals einen Risikofaktorwert besitzen, der negativ ist.
Annahme:
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] wobei ft-1 eine Realisation zum Zeitpunkt t darstellt.
Beweis:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
d.h. logarithmisch verteilte Risikofaktorwerte sind immer positiv.
Im Gegensatz dazu kann bei diskreten Renditen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ein Risikofaktorwert negativ werden, was ökonomisch keinen Sinn ergibt (vgl. Jorion[8] auf S. 99 f.).
Für kleine Renditewerte, wie sie etwa bei einer Haltedauer von einem Tag und unter stabilen Marktverhältnissen Vorkommen, können sich die beiden Renditeformen nähern, d.h. Rt æ rt. Mit dieser Approximation können stetige Renditen einfach in diskrete Renditen umgerechnet werden, was die Aggregation über mehrere Finanzinstrumente erleichtert. So kann die Portfoliorendite im stetigen Fall annäherungsweise als gewichtete Summe ihrer Einzelrenditen analog zur diskreten Rendite dargestellt werden (vgl. J.P.Morgan/Reuters [13], S. 49). Formal bedeutet dies
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] Die Annahme, dass ln normalverteilt ist, ist eigentlich überflüssig, denn die Normalverteilung dieser Zufallsvariablen ergibt sich automatisch aus der Annahme, dass sich logarithmierte Änderungen von finanziellen Variablen wie Random Walks verhalten (vgl. Deutsch [6], S. 29).
[2] Ein liquider Markt zeichnet sich durch das Volumen und die Häufigkeit des Handels des Finanzinstrumentes aus.