Masterarbeit, 2022
78 Seiten, Note: 2,0
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
SYMBOLVERZEICHNIS
1 Problemstellung, Gang der Untersuchung und Zielsetzung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Grundlagen ErbStG
2.2 Werttheorien der Unternehmensbewertung
2.3 Kategorisierung der Bewertungsmethoden
2.4 Methodenpluralismus i. S. d. § 11 BewG
3 Analyse ausgewählter erbschaft- und schenkungsteuerlicher Bewertungs- methoden
3.1 Das klassische Ertragswertverfahren
3.2 Die DCF-Verfahren
3.3 Das vereinfachte Ertragswertverfahren
3.4 Das Multiplikatorverfahren
4 Kriteriengeleitete kritische Würdigung der Bewertungsverfahren
4.1 Herleitung der Kriterien
4.2 Zeithorizont
4.2 Komplexität
4.3 Genauigkeit
5 Fazit und Ausblick
LITERATURVERZEICHNIS
VERZEICHNIS DER GESETZE
VERZEICHNIS DER DOKUMENTE DES BUNDESTAGS UND BUNDES- RATS
ENTSCHEIDUNGSREGISTER
VERZEICHNIS DER VERWALTUNGSANWEISUNGEN
VERZEICHNIS DER SONSTIGEN VERLAUTBARUNGEN
Abbildung 1: Überblick über die Bewertungsmethoden
Abbildung 2: Methodisches Vorgehen des Ertragswertverfahrens
Abbildung 3: Die Phasenmethode
Abbildung 4: Ausprägungen der DCF-Verfahren
Abbildung 5: Methodisches Vorgehen des vereinfachten Ertragswertver- fahrens
Tabelle 1: Berechnung des Free-Cashflows
Tabelle 2: Stärken und Schwächen ausgewählter Multiplikatoren
Abs. = Absatz
AER = The American Economic Review (Zeitschrift)
AG = Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift)
AktG = Aktiengesetz
APV = Adjusted Present Value
Art. = Artikel
Aufl. = Auflage
BB = Der Betriebs-Berater (Zeitschrift)
BBB = Berater-Brief Betriebswirtschaft (Zeitschrift)
BewG = Bewertungsgesetz
BFuP = Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeit-
schrift)
BGBl. = Bundessteuerblatt (Zeitschrift)
BMF = Bundesministerium der Finanzen
bspw. = beispielsweise
BVerfG = Bundesverfassungsgericht
bzgl. = bezüglich
bzw. = beziehungsweise
ca. = circa
CAPM = Capital Asset Pricing Model
COVID-19 = coronavirus disease 2019
DAX = Deutscher Aktienindex
DB = Der Betrieb (Zeitschrift)
DBW = Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift)
DCF = Discounted Cashflow
DIW = Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
DNotZ = Deutsche Notar-Zeitschrift (Zeitschrift)
Dr. = Doktor
DStR = Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)
DWS = Deutsches wissenschaftliches Institut der Steuerbe-
rater GmbH
EBIT = earnings before interest and taxes
EBITDA = earnings before interest, taxes, depreciation and
amortization
EL = Ergänzungslieferung
ErbStB = Der Erbschaft-Steuerberater (Zeitschrift)
ErbStG = Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz
ErbStR = Erbschaftsteuerrichtlinien
ErbStRG = Erbschaftsteuerreformgesetz
EStG = Einkommensteuergesetz
et al. = et alii
e. V. = eingetragener Verein
FR = Finanz-Rundschau (Zeitschrift)
gem. = gemäß
GG = Grundgesetz
ggf. = gegebenenfalls
GuV = Gewinn- und Verlustrechnung
h.c. = honoris causa
hrsg. v. = herausgegeben von
i. d. F. = in der Fassung
i. d. R. = in der Regel
IDW = Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V.
ifo = Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Uni-
versität München e. V.
IMF = International Monetary Fund
i. S. d. = im Sinne des
i. V. m. = in Verbindung mit
JBE = Journal of Business Economics (Zeitschrift)
JStG = Jahressteuergesetz
KMU = Kleine und mittlere Unternehmen
Nr. = Nummer
MDR = Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift)
MRD = Milliarden
MSCI = Morgan Stanley Capital International
NZG = Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Zeitschrift)
OLG = Oberlandesgericht
Prof. = Professor
R B = Richtlinien Bewertungsgesetz
RErbStG = Reichserbschaftsteuergesetz
RGBl. = Reichsgesetzblatt (Zeitschrift)
Rn. = Randnummer
S. = Seite
sog. = sogenannt
Stbg = Die Steuerberatung (Zeitschrift)
StuB = Unternehmenssteuern und Bilanzen (Zeitschrift)
URL = Uniform Resource Locatot
Vgl. = Vergleiche
WACC = Weighted Average Cost of Capital
z. B. = zum Beispiel
ZErb = Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis (Zeit-
schrift)
ZEV = Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge
(Zeitschrift)
ZfbF = Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (Zeit-
schrift)
zzgl. = zuzüglich
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Obwohl die Erbschaft- und Schenkungsteuer nur einen geringen Anteil des Gesamtsteueraufkommens in Deutschland ausmacht, ist sie häufig Gegenstand heftiger Debatten. Vermögen in Gesamthöhe von ca. 84,4 MRD Euro wurden 2020 in Deutschland vererbt bzw. verschenkt.1 Diese Vermögen sind steuerpflichtig und unterliegen der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Die steuerliche Bemessungsgrundlage stellt dabei der Wert des übertragenen Vermögens dar.2 Gem. § 11 BewG erfolgt die Bewertung bei Unternehmen anhand von Börsenpreisen oder kürzlich durchgeführten Transaktionen. Sofern keine Transaktionswerte vorliegen, ist auf Bewertungsmethoden zurückzugreifen, die den jeweiligen Wert des Wirtschaftsguts mit Hilfe bestimmter Parameter schätzen.3
Diese Schätzungen stellen nach verbreiteter Ansicht innerhalb der Literatur das „Kernproblem“4 bzw. die „Achillesverse“5 der Erbschaft- und Schenkungsteuer dar. Ursächlich hierfür ist, dass es zu Belastungsunterschieden in Folge der Anwendung verschiedener Bewertungsverfahren für die einzelnen Wirtschaftsgüter kommt.6 Dieser Umstand führte in der Vergangenheit mehrmals dazu, dass das deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde und infolgedessen umfassend durch den Gesetzgeber reformiert werden musste.7 Vor dieser Problematik steht nicht nur der deutsche Gesetzgeber, wie sich unter anderem in Österreich zeigt. Hier kapitulierte der Gesetzgeber, unterließ eine neue verfassungskonforme Ausgestaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer und schaffte diese gänzlich ab.8
Liegen keine Transaktionswerte vor, gewährt der deutsche Gesetzgeber nach dem aktuellem Stand des ErbStG dem Steuerpflichtigen grundsätzlich ein Methodenwahlrecht zwischen dem vereinfachten Ertragswertverfahren und einer Unternehmensbewertungsmethode gem. des IDW Standards 1 i. d. F. 2008.9 Nach dem Standard erfolgt die Wertermittlung des Unternehmens durch das Ertragswert- oder das DCF-Verfahren.10 Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, marktübliche Methoden zur Schätzung des Unternehmenswerts zu nutzen. Zu diesen zählt insbesondere das Multiplikatorverfahren. Des Weiteren ist die absolute Wertuntergrenze durch den Substanzwert definiert, welcher dem Rekonstruktionswert aller Wirtschaftsgüter des zu bewertenden Unternehmens entspricht.11
Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Forschungsfrage, inwiefern die derzeitigen erbschaft- und schenkungsteuerlichen Bewertungsmethoden mit dem Ziel die Bemessungsgrundlage zu bestimmen vereinbar sind und ob es einer weiteren Modifikation der Erbschaft- und Schenkungsteuer bedarf.
Die Masterarbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Im Anschluss an die in Kapitel eins gegebene Einführung in die Problemstellung sowie die Darstellung des Gangs der Untersuchung und der Zielsetzung werden in Kapitel zwei grundlegende Begriffe definiert, um so ein theoretisches Fundament für die Analyse und die kritische Würdigung im Hauptteil zu bauen. Dabei werden zunächst die grundlegenden Mechanismen der Erbschaft- und Schenkungsteuer erläutert. Hier steht die Einordnung in das deutsche Steuersystem sowie die Entwicklung und Historie dieser Steuer im Fokus. Anschließend erfolgt ein Überblick über die Entwicklung verschiedener Werttheorien sowie über die Methoden der Unternehmensbewertung. Des Weiteren wird Bezug auf die Bewertungshierarchie i. S. d. § 11 BewG genommen.
Kapitel drei befasst sich mit der Analyse ausgewählter Methoden zur erbschaft- und schenkungsteuerlichen Unternehmensbewertung. In die Analyse mit einbezogen werden das klassische Ertragswertverfahren, verschiedene DCF-Methoden, das vereinfachte Ertragswertverfahren sowie das Multiplikatorverfahren. Die Ausgestaltung und Funktionsweisen der Methoden werden ausführlich dargestellt. Im Zuge dessen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Methoden herausgearbeitet. Im vierten Kapitel werden die Bewertungsmethoden anhand der folgenden drei Kriterien kritisch gewürdigt: Zeithorizont, Komplexität i. V. m. potentiellen steuerlichen Erhebungskosten für den Steuerpflichtigen und Genauigkeit. Im Zuge dessen werden die Stärken und Schwächen der einzelnen Verfahren aufgezeigt und geschlussfolgert, ob die Verfahren zur erbschaft- und schenkungsteuerlichen Unternehmensbewertung geeignet sind. Die Masterarbeit schließt mit Kapitel fünf, welches eine Aggregation der erlangten Untersuchungsergebnisse sowie einen Ausblick enthält.
Die Zielsetzung der Arbeit besteht darin, einen differenzierten Überblick über die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Verfahren zur Unternehmensbewertung zu geben sowie im Anschluss eine kritische Würdigung anhand ausgewählter Kriterien der Bewertungsverfahren anzustellen. So werden die Schwachpunkte der Verfahren dargestellt, um einzuordnen, ob diese zur Ermittlung der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Bemessungsgrundlage geeignet sind. Abschließend wird geschlussfolgert, ob es einer Modifikation des ErbStG bedarf.
Seit fast einhundert Jahren beschäftigen sich die Steuerrechtswissenschaft, die Finanzwirtschaft sowie die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre systematisch und kritisch mit dem steuerlichen Einfluss auf Gesellschafter und Unternehmen.12 Durch ökonomische Analysen der Besteuerung erfolgt eine positive und normative Erforschung der Wirkungen.13 Im Rahmen dieser Analysen werden auf der einen Seite die tatsächlichen Wirkungen unterschiedlicher steuerlicher Sachverhalte analysiert und auf der anderen Seite potentielle Alternativen mittels Diskussionsvorschlägen aufgezeigt.14 Grundsätzlich lässt sich die Betriebswirtschaftliche Steuerlehre in die drei Teilbereiche der Steuerplanungslehre, der Steuerwirkungslehre und der normativen Steuerlehre untergliedern.15
Der Teilbereich der Steuerplanungslehre beschäftigt sich mit Verhaltensregeln, die bestimmen, wie die Besteuerung in die Optimierung von betriebswirtschaftlichen Entscheidungen mit einbezogen werden kann.16 Im Teilbereich der Steuerwirkungslehre werden Wirkungen der Besteuerung oder von Veränderungen der Besteuerung auf das Verhalten von Steuerpflichtigen analysiert. Zu diesem Zweck werden unter anderem Steuerbelastungsmessungen durchgeführt.17 Die normative betriebswirtschaftliche Steuerlehre ist von der Steuerwirkungs- und Steuerplanungslehre abzugrenzen, weil diese auf eine Veränderung der steuerlichen Gesetzgebung abzielt. Sowohl die Fiktion eines idealen Steuersystems als auch die Kritik aktueller Entwicklungen der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung werden innerhalb der normativen Steuerlehre diskutiert.18 Aus ökonomischer Sicht werden Verbesserungsvorschläge zur Weiterentwicklung für die (steuerrechtliche) Gesetzgebung erarbeitet (de lege ferenda), welche auf den Auswirkungen des geltenden Rechts basieren (de lege lata).19 Innerhalb dieser Masterarbeit werden die gem. der derzeitigen gesetzlichen Normen des ErbStG zulässigen Bewertungsmethoden für Unternehmen dargestellt, analysiert und anhand von Kriterien bewertet. Aufgrund dessen ist die vorliegende Arbeit in den Teilbereich der normativen betriebswirtschaftlichen Steuerlehre einzuordnen.
Das in dieser Masterarbeit gewählte generische Maskulinum bezieht sich als geschlechtsneutrale Verwendung immer zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen.
Die Erbschaft- und Schenkungsteuer zählt zu den Steuern mit der längsten Historie. Bereits im alten Ägypten sowie im Römischen Reich existierten Besitzwechselabgaben.20 In Deutschland wurde im Jahr 1906 erstmalig ein einheitliches ErbStG verabschiedet.21 In den darauffolgenden Jahrzehnten bedurfte es immer wieder Reformen und Modifikationen der Erbschaft- und Schenkungsteuer aufgrund erheblicher verfassungsrechtlicher Probleme.22
Eine wesentliche Anpassung des ErbStG wurde durch die „große Steuerreform“23 1974 umgesetzt, die durch eine Anhebung der Steuersätze sowie der Freibeträge eine Entlastung kleiner Vermögen und eine höhere Belastung von größeren Vermögen anstrebte.24 Eine erneute bedeutende Änderung wurde im Zuge des JStG 199725 vorgenommen. Unter anderem wurde das Ertragswertverfahren zur Bewertung von Grundbesitz eingeführt. Damit wurde die Bewertung zu Einheitswerten abgelöst.26 Diese Reform beruhte auf einem Beschluss des BVerfG vom 22.06.1995. Darin erklärte das BVerfG die Erbschaft- und Schenkungsteuer aufgrund der nicht einheitlichen Bewertung unterschiedlicher Vermögensklassen als verfassungswidrig.27
Im Jahr 2006 erklärte das BVerfG das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht erneut für verfassungswidrig. Begründet wurde der Beschluss mit erheblichen Wertabweichungen zwischen einzelnen Vermögensklassen.28 Daraufhin verabschiedete der Gesetzgeber 2009 eine erneute Gesetzesreform,29 welche korrigierte Bewertungs- und Begünstigungsregelungen beinhaltet.30 Die vorherrschende Bewertungsmaxime des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts stellt seitdem gem. § 9 BewG die Bewertung des Vermögens zum gemeinen Wert dar.31 Eine weitere Reform des ErbStG verabschiedete der Gesetzgeber 201632 nach einem weiteren Urteil des BVerfG.33 Fokus lag hier auf der verfassungskonformen Ausgestaltung von Produktivvermögen.34
Die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer erfasst eine substanzielle Vermögensbewegung, die mit einer Änderung der persönlichen Eigentumsverhältnisse einhergeht. Als Steuertatbestand begreift das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht dabei den Vermögensübergang aufgrund des Todes einer natürlichen Person, die Schenkung unter Lebenden und Zweckzuwendungen. Zudem wird als Erbersatzsteuer die Besteuerung von Familienvereinen oder Familienstiftungen durchgeführt.35 Als erbschaft- und schenkungsteuerliche Bemessungsgrundlage dient somit nicht der Nachlass des Verstorbenen, sondern die Bereicherung des Empfängers. Daher ist die Erbschaft- und Schenkungsteuer in Deutschland als Bereicherungs- und Erbanfallsteuer zu bezeichnen. Des Weiteren stellt die Erbschaft- und Schenkungsteuer eine Verkehrssteuer auf unentgeltliche Vermögenübergänge dar. Ebenso kann sie als Personensteuer definiert werden, weil sie auf einer erhöhten Leistungsfähigkeit des Erben bzw. des Beschenkten basiert und daher subjektbezogen und nicht objektbezogen aufgebaut ist.36 Der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterliegen nicht generierte Erträge, sondern vielmehr Vermögensbestände, daher ist die Steuer als Substanzsteuer abzugrenzen. Außerdem ist die Erbschaft- und Schenkungsteuer eine direkte Steuer, weil sie vom Zuwendungsempfänger geschuldet wird.37
Neben der Erbschaftsteuer ist die Schenkungsteuer Bestandteil des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts. Diese ist als erforderliche Ergänzung der Erbschaftsteuer zu betrachten, die die Zielsetzung verfolgt, eine Umgehung der Erbschaftsteuer durch Übertragungen von Vermögenswerten unter Lebenden zu verhindern.38 Für diese gelten alle Vorschriften, welche für die Erbschaftsteuer ebenfalls gelten, sofern nicht explizit etwas anderes im Gesetz definiert ist. Aufgrund dessen kann für die Schenkungsteuer von der identischen steuerrechtlichen Einordnung, wie für die Erbschaftsteuer, ausgegangen werden.39
Das Steueraufkommen der Erbschaft- und Schenkungsteuer steht gem. Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 GG den Bundesländern zu. Jedoch unterliegt die Steuer zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit Deutschlands der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Somit sind die Bundesländer nicht eigenständig in der Lage über die Ausgestaltung der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu entscheiden.40 Im Jahr 2021 nahmen die Bundesländer 9,82 MRD Euro im Zuge der Erbschaft- und Schenkungsteuer ein.41 Dies entspricht beim Gesamtsteueraufkommen 2021 in Deutschland von ca. 833,19 MRD Euro42 einem Anteil von ca. 1,2 %.
Der Gesetzgeber definiert in § 9 i. V. m. § 11 Abs. 2 BewG den gemeinen Wert als Bewertungsgrundlage für die erbschaft- und schenkungsteuerliche Bewertung von Unternehmen. Der gemeine Wert wird gem. § 9 Abs. 1 BewG durch den Preis bestimmt, welcher im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle den Preis beeinflussenden Umstände zu berücksichtigen. Ungewöhnliche sowie persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen. Somit stellt der gemeine Wert einen Betrag dar, der im Fall eines Verkaufs üblicherweise als Erlös erzielbar ist. Daher stimmt der gemeine Wert mit dem Verkehrswert überein.43
Da der gemeine Wert eines Unternehmens stets subjektiven Einflüssen unterliegt, kann dieser niemals objektiv berechnet, sondern lediglich geschätzt werden. Aufgrund dessen bedeutet Bewertung im rechtlichen Sinne stets Schätzung.44 Daher stellen die in dieser Masterarbeit thematisierten Bewertungsmethoden Schätzverfahren dar.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte veränderte sich das Verständnis des Unternehmenswerts bzw. die Konzeption der Ermittlung dieses Wertes stark. Es wurden verschiedene Werttheorien entwickelt.45 Die einzelnen Konzeptionen unterscheiden sich dabei, inwieweit das Bewertungssubjekt den Bewertungsprozess beeinflusst. Dabei haben diese Unterscheidungen bzgl. der Konzeptionen keinen Einfluss auf die anwendbaren Bewertungsmethoden. Für jede Konzeption können die in dieser Masterarbeit thematisierten Bewertungsverfahren herangezogen werden. Somit geht es darum, welche Daten zur Unternehmensbewertung beschafft und verarbeitet werden und nicht, auf welche Weise die Daten genutzt werden.46 Bis in die 1960er Jahre herrschte vor allem die Werttheorie der objektiven Unternehmensbewertung in der Literatur vor. Die grundlegende Idee dieser Wertkonzeption ist, dass der Unternehmenswert losgelöst von den Interessen der (potentiellen) Anteilseigner sowie der konkreten Gegebenheiten ist. Somit kann dieser Wert unabhängig von den beteiligten Individuen und infolgedessen von „Jedermann“47 realisiert werden.48
Zielsetzung dieser Werttheorie ist es, einen unparteiischen Wert zu ermitteln, um auf diese Weise gegensätzliche Interessen zwischen den beteiligten Parteien zu überwinden. Zur Ermittlung eines objektiven Unternehmenswerts werden nur Werte aus der Gegenwart und der Vergangenheit herangezogen, da diese zum Bewertungszeitpunkt als sicher angesehen werden können.49 Aufgrund der Prognoseunsicherheit wird jegliche Zukunftsbezogenheit ausgeschlossen.50 In der Praxis resultierte dieser Umstand in einer starken Ausrichtung der Wertermittlung auf den Substanzwert.51
Die Kritik am objektiven Unternehmenswert bezog sich vor allem auf die Fokussierung auf die Vergangenheit, da so die Chancen und Risiken ausgeblendet werden, sowie auf die „Jedermannfiktion“.52 Letztere erfordert, dass ein bestimmter „Jedermann“ definiert werden muss, was zu einem erheblichen subjektiven Ermessen bei der Festlegung von diesem führt. Dies widerspricht dem Charakter des angestrebten objektiven Bewertungsvorgehens. Zudem kann ein Unternehmenswert, welcher für alle Parteien in gleichem Maße gültig ist, nicht existieren, weil bei jeder Unternehmensbewertung die individuellen Interessen der beteiligten Personen eine bedeutsame Rolle spielen.53
Im Laufe der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde die objektive durch die subjektive Wertkonzeption abgelöst.54 Diese wurde vor allem von Münstermann55, Busse von Colbe56 sowie Käfer57 entwickelt. Basis der subjektiven Werttheorie ist die Annahme, dass jegliche Wertermittlung auf den Interessen des Bewertungssubjekts beruht. Somit steht nicht der allgemeine Nutzen des Bewertungsobjekts im Vordergrund, sondern vielmehr seine Nutzenstiftung für das Bewertungssubjekt.58 Einen für sich stehenden objektiven Wert hat ein Unternehmen demzufolge nicht,59 sondern es erlangt diesen Wert durch den Bezug zu einem spezifischen Subjekt.60 Daher gibt es gem. der subjektiven Unternehmensbewertung ebenso viele Unternehmenswerte wie Bewertungssubjekte.61 Alle Bewertungssubjekte ermitteln folglich für sich einen individuellen Entscheidungswert, auch Grenzwert genannt, der die Preisobergrenze für den Erwerber sowie die Preisuntergrenze für den Veräußerer darstellt.62 Aus diesen unterschiedlichen Grenzpreisen ergibt sich im Zuge von Verhandlungen ein Unternehmenswert in Form eines Kaufpreises.63
Die vermehrte Anwendung der subjektiven Werttheorie resultierte darin, dass sich das Prinzip der Zukunftsorientierung durchsetzte.64 Nach diesem bestimmt sich der Wert eines Unternehmens anhand der geplanten zukünftigen Einzahlungsüberschüsse zzgl. eines potentiellen Liquidationserlöses. Diese Überschüsse sind mit Hilfe eines angemessenen Kalkulationszinsfußes zu diskontieren. Außerdem kehrt sich die subjektive Unternehmensbewertung von der Einzelbewertung (Substanzwert) ab und wendet sich der Gesamtbewertung zu. Daher werden nicht die einzelnen Wirtschaftsgüter isoliert bewertet, sondern vielmehr der Nutzen, welcher sich aus der Synergie der einzelnen Wirtschaftsgüter ergibt.65
Wesentliche Schwächen der subjektiven Werttheorie stellen die einseitige Betrachtungsweise sowie die fehlende Überprüfbarkeit der Wertermittlung dar.66 Durch die Fokussierung auf das Bewertungssubjekt und dessen individuelle Interessen, ist es für Außenstehende häufig nicht möglich, dessen Handlungsweise bei der Wertermittlung nachzuvollziehen. Insbesondere in Konfliktsituationen, wie bspw. im Zuge der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Bewertung, ist dies als problematisch zu betrachten.67
In den 70er Jahren wurde der Konflikt zwischen der subjektiven und der objektiven Werttheorie durch die Konzeption der funktionalen Unternehmensbewertung überwunden.68 Diese geht auf die sog. „Kölner Schule“, bestehend aus Busse von Colbe69, Jaensch70, Matschke71, Münstermann72 und Sieben73, zurück und wird bis heute im Zuge der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Wertermittlung herangezogen.74 Die funktionale Unternehmensbewertung greift die Schwächen der subjektiven Werttheorie auf, indem der Zweck der Bewertung in den Fokus gerückt wird. Damit kann für ein Bewertungssubjekt dasselbe Unternehmen in Abhängigkeit vom Zweck der Bewertung verschiedene Werte aufweisen.75 Dies Prinzip wird unter anderem von Moxter als Zweckadäquanz bezeichnet.76 Zudem werden Gesichtspunkte der objektiven und der subjektiven Werttheorie zusammengefügt, indem bei einer zu großen Teilen objektiven Wertermittlung die Beziehung zwischen Bewertungssubjekt und -objekt aus Sicht eines typisiertem Individuums berücksichtigt wird.77
Im Rahmen der Kölner Funktionslehre wird zwischen Haupt- und Nebenfunktionen differenziert. Zu den drei Hauptfunktionen, in welchen ein Wertermittler fungieren kann, werden folgende gezählt:
1. Argumentationsfunktion,
2. Vermittlungsfunktion und
3. Beratungs- bzw. Entscheidungsfunktion.
Diese verbindet, dass sie auf eine Änderung der Eigentumsverhältnisse abzielen. Daher werden diese Funktionen vor allem in interpersonalen Konfliktsituationen ausgeführt.78
Die Argumentationsfunktion zielt darauf ab, im Rahmen von Vertragsverhandlungen bzw. Konfliktsituationen die Argumentation einer Konfliktpartei zu stärken. Häufig wird sie unter Außerachtlassung elementarer Tatsachen ausgeführt, um so ein zweckgebundenes Ergebnis zu generieren.79 Die Vermittlungsfunktion wird im Rahmen von Schiedsgutachten ausgeübt und hat das Ziel, konfligierende Parteien zu einem Kompromiss zu verhelfen. Ein solcher Schiedswert berücksichtigt die Interessen aller Vertragsparteien, führt so einen Interessensausgleich herbei und ist daher im Gegensatz zum Argumentationswert nicht einseitig.80
Beratungswerte werden im Zuge einer Beratung durch den jeweiligen Berater ermittelt. Diese haben zum Ziel, den Beratenen beim Treffen einer Entscheidung zu unterstützen. Daher werden sämtliche Tatbestände berücksichtigt, um zu gewährleisten, dass der Beratene die für ihn optimale Entscheidung treffen kann.81 Da auch die ersten beiden Funktionen einen Beratungszweck fokussieren, wird in der Literatur auch der Begriff Entscheidungsfunktion verwendet.82
Das IDW ergänzt bei den Hauptfunktionen zudem die sog. Gutachterfunktion. Hier soll ein unparteiischer Gutachter einen neutralen, von individuellen Interessen unabhängigen Gutachterwert ermitteln. Dieser Wert wird vom IDW als objektivierter Wert eines Unternehmens bezeichnet und als Referenzwert im Zuge jeder Unternehmensbewertung herangezogen.83
Folgende Nebenfunktionen werden negativ von den Hauptfunktionen abgegrenzt:
1. Steuerbemessungsfunktion,
2. Informationsfunktion und
3. Vertragsgestaltungsfunktion.84
Diese verfolgen im Gegensatz zu den Hauptfunktionen der Unternehmensbewertung nicht erstrangig das Ziel, den Unternehmenswert als Basis der Entscheidungsfindung zu bestimmen. Im Vordergrund stehen daher keine streitenden Parteien oder interpersonalen Konflikte,85 sondern vielmehr Bewertungsanlässe bzw. -aktionen.86 Diese können unter anderem deklaratorische Zwecke erfüllen.87 Die Unternehmensbewertung für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke lässt sich den Nebenfunktionen und dort der Steuerbemessungsfunktion zuordnen.88
Unter Berücksichtigung des Bewertungszwecks sowie im Zusammenhang mit den beschriebenen, unterschiedlichen Werttheorien hat sich eine große Zahl an Bewertungsmethoden für Unternehmen entwickelt.89 Eine allgemeingültige Kategorisierung der einzelnen Verfahren ist nur schwer möglich, lässt sich aber anhand der grundlegenden Konzeptionen der Bewertungsverfahren grob umsetzen.90 In der Literatur wird die Einteilung i. d. R. in Einzelbewertungsverfahren, Gesamtbewertungsverfahren und Mischverfahren vorgenommen.91 Die Einteilung der Bewertungsmethoden wird in Abbildung eins dargestellt.
Abbildung 1 : Überblick über die Bewertungsmethoden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Heesen (2017), S. 79.
Zu den Einzelbewertungsverfahren zählen insbesondere das Substanzwert- und das Liquidationswertverfahren. Im Zuge des Substanzwertverfahrens wird der Wert eines Unternehmens anhand von Reproduktionswerten der einzelnen Wirtschaftsgüter und Schulden ermittelt. Dabei wird eine Fortführung des Unternehmens unterstellt.92 Somit wird ein Reproduktionswert bestimmt, welcher nötig wäre, um das Unternehmen vollständig nachzubilden.93 Konzeptionell impliziert das Vorgehen, dass auch immaterielle Wirtschaftsgüter, wie bspw. Patent- oder Markenrechte, in die Bewertung miteinbezogen werden müssen (Vollreproduktionswert). Aufgrund der Schwierigkeiten, die im Zuge der Bewertung immaterieller Wirtschaftsgüter auftreten,94 wird in der Praxis regelmäßig lediglich ein Teilreproduktionswert ermittelt.95
Der Liquidationswert unterstellt im Gegensatz zum Substanzwertverfahren die Zerschlagung des Unternehmens.96 Daher werden die einzelnen Wirtschaftsgüter und Schulden auf Grundlage der zu erwartenden Verwertungserlöse bewertet. Je nach Prognose über die Dauer der Zerschlagung kann der Liquidationswert zwischen dem Zerschlagungswert und dem zu erwartenden Verkaufspreis des gesamten Unternehmens liegen.97 Daher ist grundsätzlich eine Bandbreite verschiedener Liquidationswerte denkbar.98 I. d. R. wird in der Literatur unter dem Liquidationswert jedoch der Zerschlagungswert verstanden.99
Die Gesamtbewertungsverfahren betrachten im Gegensatz zu den Einzelbewertungsverfahren ein Unternehmen als Bewertungseinheit.100 Der Unternehmenswert ergibt sich folglich aus der Kombination der Wirtschaftsgüter und Schulden eines Unternehmens. Zu den Gesamtbewertungsverfahren zählen Zukunftserfolgswerte und Vergleichswerte. Ersteren lassen sich das Ertragswertverfahren und die DCF-Methoden zuordnen.101 Zukunftserfolgswerte bauen auf betriebswirtschaftlichen Investitionsrechnungen auf und ergeben sich aus der Diskontierung der zukünftigen finanziellen Zuflüsse an die Eigentümer des Unternehmens. Die Vergleichsverfahren nutzen Analogieschlüsse, um den Unternehmenswert abzuleiten. Durch Zugriff auf Marktdaten werden branchen- oder unternehmensspezifische Multiplikatoren bestimmt, welche anschließend mit ausgewählten Bezugsgrößen multipliziert werden. Das so berechnete Produkt bildet den Unternehmenswert.102 Da in Kapitel drei das Ertragswert-, die DCF- und das Multiplikatorverfahren detailliert dargestellt werden, wird auf die Konzeption dieser Bewertungsmethoden an dieser Stelle nicht näher eingegangen.
Die dritte Kategorie bilden die Mischverfahren. Diese verbinden sowohl Bestandteile der Einzelbewertungs- als auch Bestandteile der Gesamtbewertungsverfahren.103 Zu den Mischverfahren zählen insbesondere das Übergewinn- und das Mittelwertverfahren.104
Der Gesetzgeber benennt in § 11 Abs. 2 BewG einen Methodenpluralismus für die Wertermittlung von Unternehmen.105 Die Norm gilt unabhängig von der Rechtsform sowohl gem. § 97 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 109 Abs. 2 Satz 1 BewG für Kapitalgesellschaften als auch gem. § 95 i. V. m. § 109 Abs. 1 Satz 1 BewG für die Bewertung von Betriebsvermögen Gewerbetreibender und gem. § 96 BewG für freiberufliche Tätigkeiten.106 Folglich umschließt § 11 Abs. 2 BewG das vollständige Bewertungskonzept zur Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen nicht börsennotierter Kapitalgesellschaften sowie für die Bewertung des Betriebsvermögens von Personengesellschaften und von Einzelunternehmen.107
Ein Pluralismus verschiedener Methoden resultiert regelmäßig in unterschiedlichen Unternehmenswerten. Daher ist es bedeutsam, in welcher Hierarchie die einzelnen Bewertungsverfahren zueinander stehen.108 Folgende Hierarchie hinsichtlich der Bewertungsmethoden definiert der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 BewG:
1. Börsenkurs,
2. Kaufpreis unter fremden Dritten,
3. Substanzwert, sofern höher als die beiden folgenden,
4. andere anerkannte Methode, sofern alleine marktüblich,
5. individuelles oder vereinfachtes Ertragswertverfahren.109
Nach der vom Gesetzgeber definierten Hierarchie ist der Unternehmenswert, wenn möglich, aus Börsenpreisen abzuleiten. Dabei sind die Unternehmensanteile mit dem niedrigsten am Stichtag notierten Börsenkurs anzusetzen. Liegt am Stichtag keine Notierung vor, ist der innerhalb von 30 Tagen vor dem Stichtag letzte notierte Kurs für die Bewertung maßgeblich.110 Alle übrigen Bewertungsmethoden sind gegenüber einem vorhandenen Börsenkurs nachrangig.111 Für nicht börsennotierte Anteile an Kapitalgesellschaften und Anteile an Einzelunternehmen oder Personengesellschaften ist der gemeine Wert aus Verkäufen unter fremden Dritten abzuleiten. Die Verkäufe dürfen nicht länger als ein Jahr zurückliegen. Sofern zeitnahe Veräußerungspreise vorliegen, besteht nicht die Möglichkeit, auf Methoden der Stufen drei bis fünf zurückzugreifen.112
Darüber hinaus definiert § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG den Substanzwert als Mindestwert eines Unternehmens. Demzufolge ist bei einer Wertermittlung, die nicht auf Börsen- oder Transaktionspreisen basiert, stets der Substanzwert zu ermitteln. Dieser ist anschließend mit den Ergebnissen der Bewertungsmethoden der Stufen vier und fünf zu vergleichen. Sofern der Substanzwert oberhalb dieser Ergebnisse liegt, ist der Substanzwert anzusetzen.113
Ist eine Zuweisung in die vorherigen Hierarchiestufen nicht möglich, ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten des zu bewertenden Unternehmens oder anhand einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln.114 Im Zuge dessen ist das Bewertungsverfahren heranzuziehen, welches ein Käufer der Bestimmung des Kaufpreises zu Grunde legen würde. Daher ist zu überprüfen, welches Verfahren ein potentieller Käufer zur Bestimmung des Kaufpreises verwenden würde.115 Hier sind zunächst Bewertungsverfahren anzuwenden, die marktüblich sind. Zu diesen zählen insbesondere das Multiplikatorverfahren sowie das Mittelwert- und Übergewinnverfahren.116
Zu den Bewertungsmethoden der fünften Hierarchiestufe lassen sich das klassische Ertragswertverfahren sowie verschiedene DCF-Methoden zuordnen.117 Außerdem kann das vereinfachte Ertragswertverfahren gem. § 11 Abs. 2 Satz 4 i. V. m. §§ 199 bis 203 BewG herangezogen werden, sofern dies nicht zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Die Anwendung dieses Verfahrens stellt damit ein Wahlrecht dar und soll eine kostengünstige und einfache Alternative zu den übrigen Verfahren verkörpern.118
Nachdem in diesem Kapitel die theoretischen Grundlagen für die folgenden Untersuchungen dargestellt wurden, werden im folgenden Kapitel das klassische Ertragswertverfahren, die verschiedenen DCF-Methoden sowie das vereinfachte Ertragswert- und das Multiplikatorverfahren erläutert und untereinander verglichen.
Der IDW Standard 1 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ i. d. F. 2008 erkennt sowohl das klassische Ertragswertverfahren als auch verschiedene Formen des DCF-Verfahrens als geeignete Ermittlungsverfahren für den Unternehmenswert an.119 Der Standard ist eine Verlautbarung des IDW und wird durch den Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft erarbeitet sowie regelmäßig modifiziert und kommentiert. Da das IDW ein privatrechtlich organisierter Verein ist, haben die IDW Standards keinen Rechtsnormcharakter.120 Verpflichtend zu beachten sind die Standards lediglich für Wirtschaftsprüfer. Neben den Wirtschaftsprüfern nehmen jedoch auch häufig Vertreter anderer Professionen auf die Standards des IDW Bezug. Daher kommt den Standards in der Praxis eine wichtige Bedeutung zu.121
Das Ertragswertverfahren zählt zu den Gesamtbewertungsmethoden und wurde im deutschsprachigem Raum entwickelt.122 Grundlage der Wertermittlung stellen die zukünftigen Ertragsaussichten des jeweiligen Unternehmens dar. Daher bilden die Nettozahlungen, die den Eigentümern des Unternehmens in Zukunft zufließen, den Ausgangspunkt der Berechnungen.123 Diese Gewinnausschüttungen werden mit Hilfe des Kapitalisierungszinssatzes abgezinst.124 Der so ermittelte Barwert wird anschließend mit dem Wert des nicht betriebsnotwenigen Vermögens addiert.125 Das methodische Vorgehen bei der Ermittlung des Unternehmenswerts im Zuge des klassischen Ertragswertverfahrens wird in Abbildung zwei dargestellt.
Abbildung 2 : Methodisches Vorgehen des Ertragswertverfahren s
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Heesen (2017), S. 82.
Die in Zukunft erwarteten Nettozahlungen an die Anteilseigner des Bewertungsobjekts können aus den Planungsrechnungen der folgenden Jahre entnommen werden. Diese bauen i. d. R. auf den Werten der handelsrechtlichen Jahresabschlüsse der letzten drei bis fünf Jahre auf.126 Diese Vergangenheitswerte müssen anschließend um einmalige Effekte korrigiert werden, da diese in Zukunft die Jahresüberschüsse nicht beeinflussen werden. Kataloge über potentielle Bereinigungen finden sich in der Literatur,127 jedoch ist für jedes Unternehmen und dessen Geschäftsmodell individuell zu prüfen, welche Effekte zu bereinigen sind.128
Aufbauend auf diesen bereinigten Vergangenheitswerten wird eine möglichst exakte Planung der in Zukunft anfallenden Erträge und Aufwendungen erstellt. Häufig verwendet wird hierfür die sog. Phasenmethode,129 welche in Abbildung drei dargestellt wird. Bei dieser wird die Planung in zwei Phasen untergliedert. Die erste Phase beinhaltet einen Zeitraum von ca. drei bis fünf Jahren. I. d. R. stehen für diesen Zeitraum ausreichend detaillierte Analysen und Planwerte zur Verfügung, welche eine genau Prognose zukünftiger Entwicklungen ermöglichen.130 Die im Zuge der ersten Phase gewonnenen Erkenntnisse werden innerhalb der zweiten Phase fortgeschrieben. Bevor dies geschieht, ist zu überprüfen, ob sich die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Bewertungsobjekts nach der ersten Phase in einem Gleichgewichtszustand befindet.131 Wenn dieser Zustand besteht, wird davon ausgegangen, dass sich das Ausschüttungsverhalten des zu bewertenden Unternehmens in Zukunft nicht verändert und somit fortgeschrieben werden kann. Wenn der Gleichgewichtszustand nicht erreicht wurde, ist dies entsprechend mit einem konstanten Faktor zu berücksichtigen.132 Innerhalb der zweiten Phase wird bei unterstellter unendlicher Lebensdauer ein gleich bleibender finanzieller Erfolg angesetzt,133 welcher die nachhaltig erzielbare, ewige Rente charakterisiert.134
Abbildung 3 : Die Phasenmethode
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Peemöller/Kunowski in: Peemöller (2019), S.369.
Da die ermittelten zukünftigen Überschüsse zu Konsumzwecken den Eigenkapitalgebern zur Verfügung stehen müssen, sind diese abschließend, um künftig anfallende Ertragsteuern zu mindern.135
Des Weiteren ist im Zuge der Ermittlung des Unternehmenswerts mit Hilfe des klassischen Ertragswertverfahrens der Kapitalisierungszinssatz zu bestimmen. Dieser wird herangezogen, um die künftigen Erträge auf den Bewertungsstichtag zu diskontieren. So wird eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Anlagemöglichkeiten geschaffen.136 Der Kapitalisierungszinssatz bildet daher eine alternative Eigenkapitalrendite, mit Hilfe derer die erwarteten Erträge durch Diskontierung verglichen werden. Somit bietet dieser die Möglichkeit einer präzisen Beurteilung der verfügbaren Handlungsalternativen.137
[...]
1 Vgl. Statistisches Bundesamt (2022), https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/08/PD21_403_736.html#:~:text=August%202021,,9%20%25%20gegen%C3%BCber%20dem%20Vorjahr.
2 Vgl. Loose (2021), Rn. D 1.
3 Vgl. Eisele, in: Rössler/Troll, 34. EL Januar 2022, § 200 BewG, Rn. 34.
4 Schulte, FR 2007, S. 325.
5 Houben/Maiterth, DIW - Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 2011, S. 185; Bach/Broekelschen/Maiterth, DStR 2006, S. 1968.
6 Vgl. Kappenberg (2012), S. 1.
7 Vgl. Röck (2018), S. 13-14.
8 Vgl. Gahleitner/Fugger, ZEV 2008, S. 405.
9 Vgl. Stalleiken/Theissen, DStR 2010, S. 22.
10 Vgl. IDW, IDW Standard 1 i. d. F. 2008, Rn. 101.
11 Vgl. Eisele, in: Rössler/Troll, 34. EL Januar 2022, § 200 BewG, Rn. 9.
12 Vgl. Marx et al. (2018), S. 3.
13 Vgl. Fischer/Kleineidam/Warneke (2005), S. 6.
14 Vgl. Schneeloch (2012), S. 1.
15 Vgl. Schneeloch, BFuP 2011, S. 243-244.
16 Vgl. Marx et al. (2018), S. 4.
17 Vgl. König/Wosnitza (2004), S. 1.
18 Vgl. Schneider/Bareis/Siegel, DStR 2013, S. 1145.
19 Vgl. Breithecker/Klapdor/Haberstock (2016), S. 2.
20 Vgl. Gottschalk, in: Troll et al., 63. EL Januar 2022, Einführung ErbStG, Rn. 334.
21 Vgl. RErbStG 1906, RGBl. 1906, S. 654.
22 Vgl. Gottschalk, in: Troll et al., 63. EL Januar 2022, Einführung ErbStG, Rn. 334-496.
23 Gottschalk, in: Troll et al., 63. EL Januar 2022, Einführung ErbStG, Rn. 371.
24 Vgl. ErbStRG 1974, BGBl. I 1974, S. 933; Kappenberg (2012), S. 9.
25 Vgl. JStG 1997, BGBl. I 1996, S. 2049.
26 Vgl. Gottschalk, in: Troll et al., 63. EL Januar 2022, Einführung ErbStG, Rn. 411.
27 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1995, 2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, S. 671.
28 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006, 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, S. 192.
29 Vgl. ErbStRG 2009, BGBl. I 2008, S. 3018.
30 Vgl. Röck (2018), S. 14-15.
31 Vgl. Halaczinsky, in: Rössler/Troll, 34. EL Januar 2022, § 9 BewG, Rn. 2.
32 Vgl. ErbStRG 2016, BGBl. I 2016, S. 2464.
33 Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, S. 50.
34 Vgl. Gottschalk, in: Troll et al., 63. EL Januar 2022, Einführung ErbStG, Rn. 475.
35 Vgl. Jülicher, in: Troll et al., 63. EL Februar 2022, § 1 ErbStG, Rn. 4-6 und 22.
36 Vgl. Marx et al. (2018), S. 88.
37 Vgl. Hannes/Holtz, in: Meincke/Hannes/Holtz (2021), Einführung ErbStG, Rn. 1.
38 Vgl. Milatz, in: Burandt/Rojahn (2019), § 1 ErbStG, Rn. 9.
39 Vgl. Marx et al. (2018), S. 88; Jülicher, in: Troll et al., 63. EL Februar 2022, § 1 ErbStG, Rn. 61 und 64.
40 Vgl. Kraft/Kraft (2018), S. 9.
41 Vgl. Statistisches Bundesamt (2022), https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235806/umfrage/einnahmen-aus-der-erbschaftsteuer/.
42 Vgl. Statistisches Bundesamt (2022), https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/Tabellen/lrfin02.html.
43 Vgl. Halaczinsky, in: Rössler/Troll, 34. EL Januar 2022, § 9 BewG, Rn. 8.
44 Vgl. Jonas, in: Fleischer/Hüttemann 2019, § 3, Rn. 26.
45 Vgl. Röck (2018), S. 32.
46 Vgl. Wollny (2012), Rn. 102.
47 Künnemann (1985), S. 11-12.
48 Vgl. Kappenberg (2012), S. 23; Koelen (2009), S. 46.
49 Vgl. Batege (1970), S. 169.
50 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 14.
51 Vgl. Peemöller, in: Peemöller (2019), S. 5.
52 Vgl. Schröder (2014), S. 54.
53 Vgl. Heesen (2017), S. 71; Matschke (1979), S. 23.
54 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 18.
55 Vgl. Münstermann (1966).
56 Vgl. Busse von Colbe, Die Unternehmung 1966 und Busse von Colbe (1957).
57 Vgl. Käfer (1996).
58 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 18.
59 Vgl. Moxter (1983), S. 6.
60 Vgl. Coenenberg/Schultze, in: Wirtz (2006), S. 473.
61 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 21.
62 Vgl. Röck (2018), S. 33.
63 Vgl. Peemöller, in: Peemöller (2019), S. 7.
64 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 19.
65 Vgl. Peemöller, in: Peemöller (2019), S. 7.
66 Vgl. Kappenberg (2012), S. 25.
67 Vgl. Gröger (2009), S. 15.
68 Vgl. Mandl/Rabel (1997), S. 8.
69 Vgl. Busse von Colbe (1957).
70 Vgl. Jaensch (1996).
71 Vgl. Matschke (1975).
72 Vgl. Münstermann (1966).
73 Vgl. Sieben (1963).
74 Vgl. Peemöller, in : Peemöller (2019), S. 7-8; Kappenberg (2012), S. 25.
75 Vgl. Kappenberg (2012), S. 25; Wameling (2004), S. 16.
76 Vgl. Moxter (1983), S. 5.
77 Vgl. Wollny (2012), Rn. 109.
78 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 24.
79 Vgl. Matschke (1975), S. 519-520.
80 Vgl. Ballwieser/Hachmeister (2021), S. 1.
81 Vgl. Schröder (2014), S. 88.
82 Vgl. Hering (2014), S. 5.
83 Vgl. IDW, IDW Standard 1 i. d. F. 2008, Rn. 12.
84 Vgl. Röck (2018), S. 37.
85 Vgl. Matschke/Brösel (2013), S. 61.
86 Vgl. Brösel, BFuP 2006, S. 129.
87 Vgl. Schröder (2014), S. 66.
88 Vgl. Kappenberg (2012), S. 26.
89 Vgl. Lorenz (2015), S. 146.
90 Vgl. Wameling (2004), S. 45-47.
91 Vgl. Lorenz (2015), S. 147.
92 Vgl. Ernst/Schneider/Thielen (2018), S. 1 und 3.
93 Vgl. Tewinkel (2004), S. 10.
94 Vgl. Mandl/Rabel, in: Peemöller (2019), S. 86.
95 Vgl. Behringer (2009), S. 102.
96 Vgl. Beckmann, in: Pelka/Petersen (2021), Kapitel V, Rn. 16.
97 Vgl. Kappenberg (2012), S. 30.
98 Vgl. Wameling (2004), S. 101.
99 Vgl. Beckmann, in: Pelka/Petersen (2021), Kapitel V, Rn. 16.
100 Vgl. Ballwieser/Hachmeister (2021), S. 10.
101 Vgl. Wollny (2012), Rn 161.
102 Vgl. Kappenberg (2012), S. 30.
103 Vgl. Lorenz (2015), S. 158.
104 Vgl. Ballwieser/Hachmeister (2021), S. 9.
105 Vgl. Olbrich/Hares/Pauly, DStR 2010, S. 1255; Wassermann, DStR 2010, S. 183-184.
106 Vgl. Röck (2018), S. 51.
107 Vgl. Eisele, in: Rössler/Troll, 34. EL Januar 2022, § 11 BewG, Rn. 31.
108 Vgl. Piltz, DStR 2009, S. 1830.
109 Vgl. Eisele, in: Rössler/Troll (2022), § 11 BewG, Rn. 34.
110 Vgl. Krumm, in: Leingärtner, 41. EL Oktober 2021, Kapitel 94, Rn. 14.
111 Vgl. Schröder (2014), S. 128.
112 Vgl. Viskorf, ZEV 2009, S. 592.
113 Vgl. Stamm/Blum, StuB 2009, S. 765.
114 Vgl. Riedel, ZErb 2015, S. 204.
115 Vgl. König/Möller, BB 2014, S. 992.
116 Vgl. Bayerisches Staatsministerium der Finanzen (2013), file:///C:/Users/User/Downloads/branchentypische-bewertung.pdf, S. 11, 14 und 24.
117 Vgl. Rohde, DStR 2016, S. 1566-1567.
118 Vgl. Kamps, ErbStB 2014, S. 162.
119 Vgl. IDW, IDW Standard 1 i. d. F. 2008, Rn. 101.
120 Vgl. Schülke (2014), S. 334.
121 Vgl. Steinbach (2015), S. 49-50.
122 Vgl. Heesen (2017), S. 81.
123 Vgl. Serf, in: Schacht/Fackler (2009), S. 171-172.
124 Vgl. Röck (2018), S. 65.
125 Vgl. Rohde, DStR 2016, S. 1566.
126 Vgl. Wollny (2012), Rn. 176.
127 Vgl. Busse von Colbe (2000).
128 Vgl. Wollny (2012), Rn. 178.
129 Vgl. Grzimek, in: Angerer/Geibel/Süßmann (2017), § 327b AktG, Rn. 16.
130 Vgl. van Rossum, in: Goette/Habersack/Kalss (2020), § 304 AktG, Rn. 83.
131 Vgl. Hachmeister/Ruthardt/Mager, DB 2014, S. 1210.
132 Vgl. IDW, IDW Standard 1 i. d. F. 2008, Rn. 78.
133 Vgl. Knoll, DB 2016, S. 544.
134 Vgl. Follert/Wüstner, DStR 2019, S. 1107.
135 Vgl. Wollny (2012), Rn. 167.
136 Vgl. Röck 2018), S. 73.
137 Vgl. Wollny (2012), Rn. 269.
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