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Bachelorarbeit, 2018
46 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Geflüchtete
2.1 Minderjährige Flüchtlinge: Definitionen und Merkmale
2.1.1 Fluchtmotive
2.1.2 Flüchtlingsgruppen und ihre Stellung in Deutschland
2.2 Internationale Schutzabkommen für unbegleitete Minderjährige
2.3 Die Genfer Flüchtlingskonvention
2.4 Die Kinderrechtskonvention der United Nations (UN)
2.5 Die Europäische Menschenrechtskonvention
2.6 Das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA)
2.7 Das Statement of Good Practice
3 Zuständigkeit der Jugendhilfe: Standards und Handlungsbedarfe
3.1 SGB VIII und dessen Bedeutung für umF
3.2 Die Inobhutnahme nach § 42 a-f
3.3 Die Verteilung der umF
3.4 Das Clearingverfahren: Aufgaben und Ziele
3.5 Wie sieht das Verfahren beim zuständigen Jugendamt aus?
3.6 Verfahren und Methoden der Altersfestsetzung
3.7 Die Bedeutung der Vormundschaft
3.8 Das Hilfeplanverfahren
3.9 Die Unterbringung in der stationären Jugendhilfeeinrichtung
4 Sozialpädagogische Arbeit mit umF in der stationären Jugendhilfe
4.1 Dauerunsicherheit vs. Vertrauen
4.2 Identitätsdiffusion vs. Anerkennung
4.3 Aussichtslosigkeit vs. Zukunftsperspektive
4.4 Entstrukturierte Lebenswelt vs. Alltagsstrukturierung
4.5 Autonomie vs. Betreuung
4.6 Strategien der umF
4.7 Resilienz sowie Risiko- und Schutzfaktoren
4.8 Handlungskonzepte
4.8.1 Ziele, Verweildauer und Phasen-Verlauf der sozialpädagogischen Interventionen
4.8.2 Das Team als Teil des Konzepts
4.8.3 Die Wohngruppe und organisatorische Rahmenbedingungen
4.8.4 Die Hausordnung
4.8.5 Tagesplan und Herstellung von Normalität
4.8.6 Das Bezugsbetreuungssystem
4.8.7 Verselbstständigungsprozess mit dem Ziel der sozialen Integration in die Aufnahmegesellschaft
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
7 Abkürzungsverzeichnis
„Migration ist ein Konstituens der Conditio humana wie Geburt, Vermehrung, Krankheit und Tod. Die Geschichte der Wanderungen ist so alt wie die Menschheitsgeschichte; denn der Homo sapiens hat sich als Homo migrans über die Welt ausgebreitet“ (Hargasser, 2014 nach Bade, 2004). Aus der Migration ist in den vergangenen Jahren ein Zustrom an Flüchtlingen geworden, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Heimatländer verlassen, um größtenteils auf illegalen Wegen nach Europa zu kommen. Von einem Leben in Europa erhoffen sie sich ein besseres Leben und gute Zukunftsperspektiven (vgl. Detemple, 2016). Einige Familien schicken ihre Kinder nach Europa, sodass sie als sogenannte „Anker-Kinder“ fungieren, die nach ihrer Anerkennung den Rest der Familie auf legalem Weg nach Deutschland holen können (Gravelmann, 2017). Die Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland ankommen, sind schutzbedürftige junge Menschen. Die Kinder- und Jugendhilfe ist per Gesetz seit 2005 für sie verantwortlich und hat das Kindeswohl zu sichern. Aufgrund der Tatsache, dass viele Minderjährige unbegleitet nach Deutschland einreisen, werden sie vorläufig in Obhut genommen. Als im Jahr 2015 die Anzahl der Geflüchteten stieg, stiegen gleichzeitig die Zahlen der Inobhutnahme um das Vierfache auf ca. 42.000 (vgl. Macsenaere & Hermann, 2018). Daher befasst sich die vorliegende Arbeit mit der Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der stationären Jugendhilfe. Die stationäre Jugendhilfeeinrichtung stellt eine von mehreren Möglichkeiten der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen dar. Zunächst wird daher auf Flüchtlinge bzw. unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eingegangen. Dabei wird ebenfalls erläutert, warum der Begriff „Flüchtling“ in der vorliegenden Arbeit bewusst gewählt wurde. Es werden die Zahlen, Flüchtlingsgruppen, Fluchtmotive und internationale Schutzabkommen für Minderjährige dargestellt. Im dritten Kapitel wird auf die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe eingegangen. Dabei wird u.a. das Spannungsverhältnis zwischen SGB VIII und dem Asylrecht aufgezeigt, aber es werden auch Veränderungen zugunsten der betroffenen Kinder und Jugendlichen erläutert. Außerdem wird erklärt, wie das Verfahren nach der Ankunft eines jungen Menschen beim zunächst zuständigen Jugendamt geschieht. Das vierte Kapitel thematisiert die sozialpädagogische Arbeit mit den Schutzbedürftigen in der stationären Jugendhilfeeinrichtung. Dabei werden Themen wie die Identitätsentwicklung, das Autonomiebestreben, die Sprache, aber auch Handlungskonzepte dargestellt. Es wird beispielsweise auf die Bedeutung des Erstgesprächs in der Jugendhilfeeinrichtung, die Relevanz eines strukturierten Alltags oder die Hausordnung eingegangen. Somit ergibt sich die Frage: Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich für die sozialpädagogische Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Rahmen stationärer Jugendhilfeeinrichtungen? Diese wird im Folgenden näher betrachtet.
Zu Beginn des Jahres 2018 waren ca. 54.000 unbegleitete Minderjährige und junge Volljährige in der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Mediendienst Integration). Insgesamt wurden laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im ersten Halbjahr 2018 93.316 Asylanträge gestellt, wovon 81.765 Erstanträge waren (vgl. BAMF, 2018). Die meisten Personen, die einen Antrag auf Asyl stellten, kamen aus Syrien (21.587) und dem Irak (8.259). Weitere Länder waren Nigeria, Afghanistan, Iran, die Türkei, Eritrea, Somalia und Georgien (vgl. ebd.). Der Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) betont, dass die Einreisezahlen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (umF) von denen der Asylanträge stark abweiche, da viele Anträge nicht oder nur mit einer zeitlichen Verzögerung gestellt würden. Daher konnte der BumF für den Zeitraum von Januar bis August 2017 6.928 Asylanträge von umF feststellen (vgl. BumF, 2017). Dabei waren 86% der Betroffenen männlich und 82% zwischen 16 und 17 Jahren alt. Die Hauptherkunftsländer waren Afghanistan und Eritrea. Im Jahr 2016 konnten noch fast 36.000 Asylanträge von jungen Menschen verzeichnet werden, die ohne Begleitung einreisten (vgl. ebd.). Für den Zeitraum von Januar bis August 2017 gab der Verband an, dass 32.669 unbegleitete Minderjährigen und 24.089 junge Volljährige in der Zuständigkeit der Jugendhilfe waren. Zudem lag die Gesamtschutzquote bezüglich der Entscheidungen über die Asylanträge der umF bei 80%, was einem Rückgang um 9% gegenüber dem Vorjahr entspricht (vgl. ebd.). Dies liege daran, dass beispielsweise Afghanistan vom BAMF als ein sicheres Herkunftsland eingestuft wird. Seit Mai 2016 sind die Zahlen stetig rückläufig (vgl. Bundesregierung & BMFSFJ, 2017). Für das Jahr 2017 konnten insgesamt 11.101 Inobhutnahmen verzeichnet werden (vgl. BumF. 2018).
Unter einem „ Flüchtling“ wird nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1967 nach Art.1 Abs.2 eine Person verstanden „die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“ (Ehring, 2011 nach UNHCR, 1979). Als minderjähriger Flüchtling gilt jede Person, die unter 18 Jahren ist und „um einen Flüchtlingsstatus oder um internationalen Schutz“ nachsucht (Ehring, 2011). Ein „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ (umF) ist nicht nur minderjährig, sondern zusätzlich ohne Begleitung seiner/ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten in ein Land eingereist. Ferner gelten Kinder als unbegleitet, wenn sie nach der Einreise von ihren Eltern über einen längeren Zeitraum räumlich getrennt sind und ihre Eltern sich währenddessen nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern können (vgl. ebd.). Der Begriff „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ ist somit ein konstruierter Begriff (vgl. Hargasser, 2014). Außerdem handelt es sich bei umF laut der EU um Kinder und Jugendliche aus Ländern, die nicht der EU angehören. Ob ein Kind oder Jugendlicher juristisch gesehen ein umF im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist, entscheidet in Deutschland das BAMF (vgl. Weeber & Gögercin, 2014).
Aufgrund der Tatsache, dass - wie oben bereits erwähnt - ein Großteil der umF männlich ist, wird in der vorliegenden Arbeit in den Kapiteln zu umF auf die Weiblichkeitsform verzichtet. Darüber hinaus wird der Begriff „Flüchtling“ bewusst verwendet, weil die Kinder und Jugendlichen, die geflüchtet sind einem Dilemma ausgesetzt sind. Sie können „während ihres gesamten Aufenthaltes in Deutschland nicht aus der Rolle der Flüchtlinge entlassen werden“, sodass keine neue bzw. nur eine eingeschränkte Rollenfindung für die Betroffenen möglich sei (Ehring, 2011). Das dargestellte Dilemma ist zudem, dass der Flüchtling in seiner Rolle als schutzbedürftige Person verweilen muss, um die Anerkennung zu erhalten, durch die er Schutzbedürftigkeit zu ersuchen hofft (vgl. Hartung, 2017
Es kann zwischen Schub- und Sogfaktoren unterschieden werden, die Anlass zur Flucht geben. Unter Schubfaktoren werden Gründe verstanden, die in der Heimat vorliegen, wie etwa Krieg oder Verfolgung, weshalb Menschen fliehen. Dem gegenüber stehen die Sogfaktoren, die die Hoffnungen und Wünsche der Fliehenden repräsentieren, die sie sich in dem neuen Land erhoffen. Dabei fällt auf, dass ihre Wünsche und Vorstellungen, wie beispielsweise Wohlstand und gute Bildung, nicht der Realität entsprechen, sehr hoch und verzerrt sind (vgl. Ehring, 2011). In der Regel beeinflussen sich die Fluchtmotive gegenseitig, aber dennoch stellen die Schubfaktoren einen großen Anteil der Gründe zur 4 Flucht dar (vgl. ebd.). Kinder und Jugendliche fliehen vor (Bürger-) Krieg, Armut, Krisen und Unruhen im Heimatland, Angst vor der Rekrutierung als Kindersoldat, vor körperlicher und sexueller Ausbeutung und Gewalt sowie dem Wunsch nach Bildung, Arbeit und einer besseren Zukunftsperspektive. Außerdem können die politischen Aktivitäten der Eltern und die Religionszugehörigkeit mögliche Gründe zur Flucht darstellen. Manche Kinder und Jugendlichen werden aufgrund der politischen Aktivität oder Zugehörigkeit der Eltern als Geisel gefangen genommen und gefoltert. Zusätzliche mädchenspezifische Fluchtgründe können die Angst vor einer Zwangsheirat und eine drohende Genitalverstümmelung sein. Darüber hinaus kann die sexuelle Orientierung dazu führen, dass Menschen aus ihrer Heimat flüchten, um nicht bestraft zu werden (vgl. Rieger, 2010). Des Weiteren zählen Umweltkatastrophen ebenfalls zu den Fluchtmotiven (vgl. Weeber & Gögercin, 2014).
Ein De-jure-Flüchtling ist, wer laut der GFK eine sogenannter „Konventionsflüchtling“ ist, d.h., dass die in Unterkapitel 2.1 zitierte Definition auf die schutzsuchende Person zutrifft (ebd.). Nicht dazu zählen Wirtschafts-, Bürgerkriegs- und Umweltflüchtlinge. Alle Staaten, die die GFK unterschrieben haben, verpflichten sich zum Schutz gegenüber den Betroffenen. Ein Kritikpunkt an der Definition der GFK zum Flüchtlingsbegriff ist, dass dieser die sexuelle Orientierung und das Geschlecht nicht als Fluchtmotive anerkennt.
In der BRD hat jeder politisch verfolgte Mensch einen Rechtsanspruch auf Asyl, welcher eingeklagt werden kann. Dies ist im Artikel 16 a 1 GG zu finden und wurde aufgrund des NS- Regimes und dessen Gewaltverbrechen an Menschen in die Verfassung aufgenommen und soll die Reue Deutschlands symbolisieren. Dieser Anspruch auf Asyl ist jedoch auf Verfolgte aus politischen oder ethischen Gründen beschränkt (vgl. ebd). Asylberechtigte sind Flüchtlinge, die laut dem Artikel 16 a 1 GG einen rechtlichen Anspruch auf Asyl besitzen, was ihnen durch das BAMF bestätigt wird. De-jure-Flüchtlinge und Asylberechtigte sind daher lediglich unterschiedliche Bezeichnungen für rechtlich anerkannte Flüchtlinge. Sie erhalten eine auf maximal drei Jahre beschränkte Aufenthaltserlaubnis, die bei weiteren potentiellen Gefahren im Heimatland, mit der Niederlassungserlaubnis erweitert werden kann. Ihnen wird ebenfalls die Erlaubnis zur Arbeit und zum Erhalt von Eingliederungsmaßnahmen zugesprochen. Allerdings kann der Status als politisch Verfolgte/r widerrufen werden, sobald keine Gefahr mehr droht. Ein Asylbewerber/in sind Ausländer/innen, die in Deutschland einen Antrag auf Asyl stellen, aber über deren Antrag noch nicht entschieden wurde. Ihnen stehen keine sozialen Eingliederungsmaßnahmen zu und sie dürfen die ersten zwölf Monate keiner Arbeit nachkommen. Anschließend erhalten sie eine Arbeitserlaubnis, wobei die „Nachrangigkeit die Teilhabe am Arbeitsleben weiterhin erschwert“ (ebd.). Unter einem De-facto-Flüchtling werden allgemein Flüchtlinge und Asylbewerber verstanden. Allerdings wird diese Bezeichnung nicht im nationalen oder internationalen Flüchtlingsrecht verwendet. Ferner ist der Begriff negativ konnotiert und steht für einen „ Flüchtling ohne flüchtlingsrechtlichen Status“, weil diese Personen keinen Nachweis über eine Verfolgung im Sinne der GFK erbringen können (ebd., Hervorhebung im Original). Aus rechtlicher Sicht handelt es sich bei De-facto-Flüchtlingen nicht um einen Flüchtling, aber oftmals wird ihre rechtskräftige Abschiebung ausgesetzt, sodass sie in Deutschland geduldet werden. Des Weiteren gibt es Kontigentflüchtlinge, die im Kontext einer humanitären Hilfsorganisation aufgenommen wurden. Sie erhalten eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und müssen sich für diese keinem rechtlichen Verfahren zur Anerkennung unterziehen. Wenn ein Land von der BRD als Kriegs- oder Bürgerkriegsland eingestuft wird, erhalten alle aus diesem Land stammenden Menschen eine Duldung. Um eine Duldung zu erhalten, muss jedoch die Voraussetzung bestehen, dass vorab kein Asylantrag gestellt wurde. Wenn das Herkunftsland von der BRD wieder als sicher eingestuft wird, erlischt die Duldung. Politisch Verfolgte können in Deutschland nach § 60 Aufenthaltsgesetz eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, aber ihnen kann die Berechtigung auf Asyl verwehrt werden, sodass sie lediglich einen Flüchtlingspass erhalten (vgl. ebd.).
Nachfolgend werden die wichtigsten Schutzabkommen für unbegleitete Minderjährige auf internationaler Ebene dargestellt.
Die Kinder und Jugendlichen, die nach Deutschland fliehen, stehen unter dem deutschen und internationalen Schutz durch Gesetze. Wie zuvor erwähnt, haben die Geflüchteten in Deutschland einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Asyl (Artikel 16 a 1 GG), wenn sie aus politischen oder ethischen Gründen im Herkunftsland verfolgt werden. Als wichtigstes internationales Abkommen für den Schutz ist die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu nennen, die 1951 in Kraft getreten ist und inzwischen von 130 Staaten unterzeichnet worden ist. Die GFK gilt für Flüchtlinge jeden Alters, da keine Altersbegrenzung genannt wird (vgl. Ehring, 2011). Die wichtigsten Punkte der GFK sind „die Schutzgewährung ohne Unterschied und Diskriminierung (Verbot unterschiedlicher Behandlung, Art. 3), Gleichstellung bei der Religionsausübung (Art. 4), freier Zugang zu den Gerichten (Art. 16), Ausstellung von Personalausweisen (Art. 27) und Reiseausweisen (Art.28) [sowie] das Non-Refoulement-Prinzip (Verbot der Ausweisung und Zurückweisung bei Bedrohung des Lebens oder der Freiheit, Art. 33)“ (Hargasser, 2014). Darüber hinaus spricht die GFK den Geflüchteten in den Unterzeichnerstaaten keinen Asylanspruch zu, sondern überlässt diese Entscheidung der Kompetenz der Staaten (vgl. Ehring, 2011).
Die in Deutschland vorliegenden Rechte für minderjährige Geflüchtete basieren auf der UN-Kinderrechtskonvention (KRK), die 1989 in Kraft getreten ist. Hierbei handelt es sich um ein auf Kinder und Jugendliche abgestimmtes internationales Schutzinstrument. Laut der KRK haben Kinder, die nicht mehr bei ihren Eltern oder anderen Familienmitgliedern aufwachsen können, ein Recht auf Schutz und Beistand durch den Staat, bei dem sie Hilfe suchen (Art. 20 Abs. 1), sodass dieser nach seinen Rechtsgrundlagen für die Unterstützung der Kinder aufkommen muss (vgl. Gravelmann, 2017). Wenn es sich bei der unbegleitet eingereisten Person um ein minderjähriges Kind oder Jugendlichen handelt, ist es Aufgabe des Jugendamtes oder Familiengerichtes, sich um das Wohl des Kindes zu kümmern und dieses zu sichern. Da bei allein eingereisten Minderjährigen Sorgeberechtigte fehlen bzw. nicht vor Ort sind, wird in der Regel eine Vormundschaft nach dem § 1666 BGB gestellt. Das Kind oder der Jugendliche hat ein Mitsprachrecht bei der Auswahl des Betreuungssettings und es sollten die ethnischen, religiösen, kulturellen und sprachlichen Hintergründe des Kindes berücksichtigt werden (Art. 20 Abs. 3) (vgl. ebd.). Durch die KRK werden die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichtet, ihre innerstaatlichen Rechte unter dem Aspekt des Kindeswohls zu verändern. In Deutschland trat die Konvention am 5. April 1992 in Kraft und wurde durch den Vorbehalt, „dass die Kinderrechtskonvention nicht die Entscheidungsfreiheit der Bundesrepublik bezüglich der Frage eingeschränkt, wer unter welchen Bedingungen nach Deutschland einreisen und hier leben darf“, ergänzt (Ehring, 2011). Des Weiteren verpflichtet der Artikel 22 die Staaten zum Schutz von Kindern, die als Flüchtlinge anerkannt werden wollen, auch wenn sie ohne elterliche Begleitung eingereist sind. Darüber hinaus müssen die Unterzeichnerstaaten bei einer Familienzusammenführung behilflich sein, sofern dies möglich ist (vgl. ebd.).
Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde am 4. November 1950 verabschiedet und verbietet den Staaten, die die Konvention unterschrieben haben, die Folter, Strafe oder andere unmenschliche, erniedrigende und gewalttätige Behandlungen von Menschen. Wenn eine Abschiebung für die betreffende Person eine „unmenschliche Behandlung“ darstellt, ist diese laut Artikel 3 verboten (ebd.). Sollte in dem Land, in das der/ die Asylbewerber/in abgeschoben werden soll, die Gefahr von Folter oder anderen erniedrigenden Behandlungen bestehen, dürfe er/sie ebenfalls nicht des Landes verwiesen werden (vgl. ebd.).
Das vom 5. Oktober 1961 stammende Schutzabkommen trat erst zehn Jahre später am 17. September 1971 in Deutschland in Kraft. Das Abkommen hat zum Ziel, dass das Land, in dem die minderjährige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, für den Schutz dieser Person verantwortlich zu machen. Als gewöhnlicher Aufenthalt gilt der Ort, an dem sich die Person die vergangenen sechs Monate aufgehalten hat oder wenn bereits absehbar ist, wo der Aufenthaltsort für die nahe Zukunft sein wird (vgl. ebd.). Ob dies für neu eingereiste umF gilt, ist juristisch nicht eindeutig. Die Vertragsstaaten sind zum Schutz der Minderjährigen nach ihren eigenen innerstaatlichen Rechtsgrundlagen verpflichtet. In Deutschland fallen umF in den Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes (vgl. Hargasser, 2014).
Das Statement of Good Practice gibt es in der deutschen Übersetzung (Standards für den Umgang mit Unbegleiteten Minderjährigen) seit 2006. Es schlägt Richtlinien für den Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen vor, um ihren Schutz und die nötige Förderung für sie in Europa zu sichern. Das Statement of Good Practice verweist dabei auf zahlreiche internationale Schutzabkommen und Empfehlungen der UN und des Europarates. Daher sei es „gut als Argumentationshilfe“ für diverse potentielle Problematiken im Rahmen der Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen geeignet (Rieger, 2010).
Das dritte Kapitel thematisiert die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe sowie den Verfahrensablauf beim Jugendamt. Dabei wird ebenfalls auf das SGB VIII eingegangen, das die umF als Kinder und Jugendliche schützt.
Das 8. Sozialgesetzbuch Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) ist die gesetzliche Grundlage für die Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe. Laut § 1 Abs. 1 SGB VIII hat jeder junge Mensch einen Rechtsanspruch auf die „Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (Hargasser, 2014). Welche Auswirkungen das SBG VII auf das Leben und die sozialpädagogische Arbeit mit umF haben, wird im Folgenden erläutert.
Das 8. Sozialgesetzbuch wurde im Jahr 2005 durch das Kinder- und Jugendhilfeerweiterungsgesetz (KICK) zugunsten von umF verändert. Insbesondere die Einführung des § 8a und die Überarbeitung des § 42 sind diesbezüglich relevant. Der Schutzauftrag des Jugendamtes wird ausdrücklich im § 8a definiert und soll die Kinder und Jugendlichen bei Gefahren für ihr Wohl in Schutz nehmen. Der § 42 beinhaltet die Inobhutnahmepflicht des Jugendamtes (vgl. ebd.). Dort heißt es ausdrücklich in § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII, das wenn „ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge - noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten“ in Obhut genommen werden muss (ebd.). Dazu ist das Jugendamt gesetzlich verpflichtet. In Kombination mit dem Schutzauftrag konnte somit die Bedeutung des SGB VIII gegenüber dem Asylgesetz verstärkt werden (vgl. ebd.). Dennoch müsse laut Weeber und Gögercin (2014) betont werden, dass das Aufenthaltsund Asylrecht im Kontrast zum SGB VIII stehen. Daher würden umF in Deutschland eher auf Abwehr treffen, da es zum einen den Grenzschutz einzuhalten gilt, aber dennoch von einer „individuelle[n] Schutzbedürftigkeit des Flüchtlings“ auszugehen sei (ebd.). Die Arbeit mit umF findet daher im Spannungsverhältnis zwischen Jugendhilfe und Ausländerbehörde statt, wobei der Zusammenarbeit eine fehlende Sachlichkeit unterstellt wird. Darüber hinaus bestehe der Vorwurf, dass bei den unbegleiteten Minderjährigen „die Regelungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts in voller Stärke ausgeschöpft und in voller Härte zum Tragen kommen würden, wohingegen die Optionen des SGB VIII eine gravierende Vernachlässigung erfahren würden. Darüber hinaus würde in diesem asymmetrischen Austauschverhältnis die Ausländerbehörde aktiv agieren, wohingegen die Jugendhilfe nur reagieren würde“ (ebd.).
In den Jahren 2015 und 2016 sind viele unbegleitete Minderjährige nach Deutschland eingereist, sodass es insbesondere in den Großstätten zu räumlichen Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung der umF kam. In einigen, meist kleineren Städten und Gemeinden, kamen wenige bis keine Geflüchteten an. Aufgrund dessen wurde politisch über eine Verteilung der umF auf die Städte und Kommunen diskutiert, um die Großstädte entlasten zu können und langfristig eine bessere Versorgung der Schutzbedürftigen zu garantieren (vgl. Gravelmann, 2017). Zum 1. November 2015 trat das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ in Kraft, welches nach dem Königsteiner Schlüssel konzipiert wurde (ebd.). Es ermöglicht die Verteilung der unbegleiteten Minderjährigen auf die Kommunen und den damit einhergehenden Wechsel der Zuständigkeit der Jugendämter. Zuvor galt der § 42 für umF genauso wie für in Deutschland lebende junge Menschen. Demnach war das Jugendamt für die Inobhutnahme verantwortlich, bei dem die schutzsuchende Person erstmals um Hilfe nachfragte. Die Neufassung des SGB VIII wurde um die Paragrafen 42a-f ergänzt, die sich explizit auf umF beziehen. Des Weiteren wurde mit dem § 88a Abs. 2 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit sowie die Vormundschaft festgelegt. Die Paragrafen 42 a und b befassen sich mit der vorläufigen Inobhutnahme der umF durch das Jugendamt, bei dem sie zuerst Hilfe erbitten. Darüber hinaus regelt der § 42 b die Verteilung der Minderjährigen. Der § 42 c bestimmt die Quote zur Aufnahme der Länder und Städte und § 42 d stellt die Übergangsregelung dar. Die Verpflichtung zur jährlichen Berichterstattung der Bundesregierung findet sich in § 42 e und die Regelung zur Altersfestsetzung der schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen ist durch den § 42 f festgelegt (vgl. ebd.). Die vorläufige Inobhutnahme gilt nur für minderjährige Flüchtlinge, die ohne Eltern nach Deutschland eingereist sind. An dem Ort, an dem sich der umF zuerst meldet, ist der Ort, an dem er befristet in Obhut genommen wird. Sobald abgeklärt ist, dass einer Verteilung auf ein anderes Bundesland und somit der Übergabe an ein anderes Jugendamt keine „Kindeswohlgründe“ entgegenstehen, wird der umF an das neue Jugendamt übergeben (ebd.). Während der vorläufigen Inobhutnahme ist das zuständige Jugendamt innerhalb von sieben Tagen dazu verpflichtet, dass Alter durch zwei qualifizierte Fachkräfte festzusetzen und Gründe, die gegen eine Verteilung sprechen, abzuklären. Außerdem müssen die Fachkräfte klären, ob sich Geschwister des umFs im Inland aufhalten und eine Zusammenführung 11 möglich ist. Darüber hinaus gilt die Regel, dass Geschwister nicht voneinander getrennt werden dürfen. Ob eine Verteilung auf ein anderes Bundesland möglich ist, hängt zudem von dem gesundheitlichen Zustand des betroffenen Kindes oder Jugendlichen ab. Ein schlechter Gesundheitszustand untersagt die Verteilung. Innerhalb dieses Zeitraums ist das zuständige „vorläufige“ Jugendamt dazu berechtigt und verpflichtet, sämtliche rechtliche Angelegenheiten des umFs zu klären, wenn davon das Kindeswohl abhängt. Ein Nachteil für umF ist jedoch, dass ihnen in diesem kurzen Zeitraum kein Vormund zusteht. Gravelmann (2017) postuliert daher, dass eine „„neutrale“ Interessenvertretung nicht mehr gewährleistet ist“ (Hervorhebung im Original).
Sobald das Jugendamt überprüft hat, dass keine Interessen der Minderjährigen oder gesundheitliche Gründe gegen eine Verteilung sprechen, kann die Phase mit einer Meldung bei der Landesbehörde abgeschlossen werden. Die Behörde hat die Aufgabe das Bundesverwaltungsamt zu informieren, was binnen drei Tagen geschehen sollte. Das Amt für Bundesverwaltung hat wiederum einen Zeitraum von zwei Tagen, um über das Bundesland zu entscheiden, welches den umF aufnehmen soll. Um dem Kind bzw. Jugendlichen weitere lange Reisewege zu ersparen, sollte es sich idealerweise um ein angrenzendes Bundesland handeln. Das Landesjugendamt des Aufnahmebundeslandes hat die Entscheidungsmacht über die Verteilung auf eine Kommune. Der gesamte Prozess ist zeitlich begrenzt auf 14 Tage. Wenn der Prozess nicht innerhalb von maximal einem Monat abgeschlossen werden kann, verbleibt der umF in der Zuständigkeit des Jugendamtes, welches ihn vorläufig in Obhut genommen hat (vgl. ebd.). Innerhalb der 14 Tage muss eine Begleitung des Minderjährigen durch eine qualifizierte Fachkraft an das zugewiesene Jugendamt stattfinden.
Sobald das Jugendamt von einem umF erfährt, sollte sich dieses um ein Clearingverfahren bemühen, damit die notwendigen Hilfemaßnahmen ermittelt und eingeleitet werden können (vgl. Schwarz & Tamm, 2010). Clearing bedeutet daher letztlich nichts Anderes als „Abklärung“ (Riedelsheimer, 2010a). Es wird eine ausführliche Abklärung über den aktuellen Zustand des Minderjährigen gemacht, der sämtliche Lebenslagen umfassen sollte. Dabei liegt der Fokus auf Problembereichen, für die gemeinsam Lösungen in einem pädagogischen Setting gefunden werden, welche idealerweise an die 12 Ressourcen des jungen Menschen anknüpfen sollten. Durch den § 42 ergibt sich die Durchführung des Clearings, weil nur auf diese Weise der Hilfebedarf des Kindes/ Jugendlichen festgestellt und geplant werden könne (vgl. ebd.). Während des Klärungsprozesses sollten die Schutzbedürftigen in einem sogenannten Clearinghaus untergebracht werden. Hierbei handelt es sich um spezielle Einrichtungen der Jugendhilfe, die die Erstversorgung der umF gewährleisten. Sie erhalten eine materielle, pädagogische und medizinische Erstversorgung (vgl. Ehring, 2011). Diese speziellen Erstaufnahmeeinrichtungen stehen für „eine konkrete Stärkung des Kindeswohls“ (ebd.). Dies wird zusätzlich durch die gesetzliche Verpflichtung, bei jedem umF ein Clearing durchzuführen, verstärkt (vgl. Riedelsheimer, 2010a). Darüber hinaus stelle das Clearinghaus einen Schutzraum dar, welcher die Befriedigung physischer und emotionaler Grundbedürfnisse sichere, die gesetzliche Vertretung einleite und schnellstmöglich einen Deutschkurs und die Einschulung organisiere (vgl. Ehring, 2011). An dem Verfahren sind ebenfalls das Ausländer-, Schul- und Gesundheitsamt sowie das Vormundschaftsgericht beteiligt (vgl. Riedelsheimer, 2010a). Riedelsheimer (2010a) weist jedoch auch auf Probleme beim Clearingverfahren hin. Demnach könnte es aufgrund finanzieller Engpässe zur mangelhaften Umsetzung des Unterstützungsbedarfs kommen, was sich vor allem in therapeutischen und schulischen Bereichen zeige. Des Weiteren sei eine langfristige Planung nicht immer möglich, da die Zukunft des umF hinsichtlich der ungeklärten Aufenthaltsperspektive schwierig sei. Dies betreffe besonders den Bereich der beruflichen Planung. Ferner könne die Angst vor einer potentiellen Abschiebung bei den jungen Menschen zu „Blockaden“ führen, sodass die Entwicklung hierdurch beeinträchtigt werde (ebd.). „Ein weiteres Dilemma ist häufig das mangelnde Verständnis für das Kindeswohl und die daraus resultierende fehlende Mitwirkung der Ausländerbehörden, wenn es um aufenthaltsrechtliche Entscheidungen geht“, so Riedelsheimer (2010a). Das Clearingverfahren dauere laut Riedelsheimer (2010a) zwischen drei und sechs Monaten. Andere Quellen widersprechen dieser Aussage und betonen, dass das Clearingverfahren deutlich länger dauere als die Inobhutnahme (vgl. Ehring, 2011). Der Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge geht hingegen von einer maximalen Dauer von drei Monaten aus (vgl. Detemple, 2016). Während der Klärungsphase sollten die Minderjährigen die Möglichkeit haben, zur Ruhe zu kommen und ein Gefühl von Sicherheit entwickeln zu können (vgl. ebd.). Zudem wird kontrolliert, ob sich im Inland Verwandte des umFs aufhalten und falls ja, ob diese das Kind aufnehmen können oder aufgrund von Kindeswohlgründen davon abzusehen ist. Der Vormund sollte sich um die Einleitung der folgenden Hilfemaßnahmen kümmern, sodass das pädagogische Fachpersonal den umF auf die Folgeeinrichtung vorbereiten könne (vgl. Stauf, 2012). In die Phase des Clearings fällt ebenfalls in der Regel die Altersfestsetzung, auf die im nächsten Unterkapitel eingegangen wird. Das Vormundschaftsgericht bestellt einen Vormund, welche/r neben einem Antrag auf Hilfen zur Erziehung und die Abklärung des Jugendhilfebedarfs bei der Regelung des Asylantrags bzw. des Aufenthaltsstatus Unterstützung leistet (vgl. ebd.). Nach § 5 SGB VIII hat der Geflüchtete ein Wunsch- und Wahlrecht bei allen ihn betreffenden Entscheidungen. Aufgrund der einhergehenden Belastung bezüglich des Aufenthaltstatus sollte auf eine häufige Einbindung des umFs in administrative Vorgänge verzichtet werden, wenn diese den jungen Menschen zusätzlich belasten (vgl. Dieckhoff, 2010 und Detemple, 2016). Nach der Meldung beim Familiengericht wird der Minderjährige erkennungsdienstlich erfasst (vgl. Detemple, 2016).
Das Jugendamt, bei dem der umF nach der Verteilung angekommen ist, „leitet die Fallübernahme im Rahmen eines erneuten und erweiterten Clearingverfahrens ein“ (Gravelmann, 2017). Im Rahmen des Verfahrens steht zu Beginn die Altersfestsetzung, um die Hilfemaßnahmen durch die Jugendhilfe zu ermöglichen.
Aufgrund der Problematik, dass viele Geflüchtete ohne Ausweise oder andere sie ausweisende Dokumente nach Deutschland einreisen, ist eine „Bestimmung“ des Alters notwendig. Dies hat vor allem asylrechtliche Gründe, aber auch hinsichtlich der Unterbringung und Betreuung der Geflüchteten durch die Kinder- und Jugendhilfe hat das Alter eine wichtige Bedeutung. Stauf (2012) betont daher, dass es sich bei der Altersbestimmung um ein zentrales Moment der Aufnahme handele. Der Grund, dass viele Geflüchtete ohne Papiere nach Europa reisen, liege an den fehlenden Geburtsurkunden. In ihren Heimatländern würden oftmals keine Urkunden ausgestellt, da viel Geburten nicht amtlich registriert werden (vgl. Eisenberg, 2016 und Stauf, 2012).
Da es keine verlässlichen medizinischen Methoden zur Bestimmung des Alters gibt, sollten die Begriffe Festsetzung oder Schätzung verwendet werden (vgl. ebd.). Des Weiteren ist kritisch anzumerken, dass alle, die einen Beruf ausüben, der mit Jugendlichen zu tun hat, in der Lage seien, das Alter des Flüchtlings einzuschätzen. In der Regel werde eine „Inaugenscheinnahme“ durch zwei qualifizierte Fachkräfte des Jugendamtes durchgeführt, aber teilweise verlassen Jugendämter auch medizinische Untersuchungen (Riedelsheimer, 2010b). Grundsätzlich solle jedoch eine Einschätzung durch die Fachkräfte erfolgen (§ 42f.), wobei die Jugendlichen laut den Paragrafen 8 Abs. 1 und 42 Abs. 2 Satz 2 SBG VIII beteiligt werden müssen (vgl. Gravelmann, 2017). Daher müssen die Fachkräfte hinsichtlich einer Einschätzung geschult sein und es sollte bei Bedarf ein Dolmetscher hinzugezogen werden, um die Partizipation des jungen Menschen sicherzustellen. Im Zweifel sollte immer von einer Minderjährigkeit ausgegangen werden (vgl. ebd. nach BAG LJÄ, 2015). Bei medizinischen Gutachten werden insbesondere die Gebissuntersuchung, aber auch die Röntgenaufnahmen der Hand und des Schlüsselbeines sowie eine Ganzkörperuntersuchung mit speziell der Untersuchung der Genitalien durchgeführt (vgl. Eisenberg, 2016 und Gravelmann, 2017). Viele Mediziner sehen die Untersuchungen kritisch, da für die Ethnie der Geflüchteten kaum bis keine Normwerte zum Vergleich vorliegen, aber auch die Gesundheit durch Röntgenaufnahmen gefährdet werden kann (vgl. Eisenberg, 2016). Grundsätzlich erlaubt der Art. 25 Abs. 5 S. 1 der EU-Richtlinie 2013/32/EU jedoch die Untersuchung des Körpers für eine Alterseinschätzung des Flüchtlings (vgl. Gravelmann, 2017). Problematisch sei zudem, dass die Jugendlichen sich bei einer vom Jugendamt festgelegten Untersuchung nicht verweigern können. Sie müssten sich untersuchen lassen, wobei sie sich mitunter ausgeliefert fühlen. Darüber hinaus müsse das Jugendamt vor der Untersuchung über mögliche Konsequenzen hinsichtlich einer möglichen Volljährigkeit oder aber der Verweigerung der Untersuchung aufklären (vgl. ebd.). Eisenberg (2016) betont, dass besonders die Untersuchung der Genitalien entwürdigend sei und seelischen Schaden anrichten könne. Des Weiteren fühlen sich die Schutzsuchenden oftmals der „staatliche[n] Willkür“ ausgesetzt, wenn eine Inaugenscheinnahme stattfinde. Dies sei vor allem der Fall, wenn die Ausländerbehörde oder das BAMF involviert sind (vgl. Riedelsheimer, 2010b). Daher wird von vielen Experten die holistische Methode empfohlen, um durch ein „Gespräch, den kognitiven, sozialen und emotionalen Entwicklungsstand, die Bedürfnisse, die Glaubwürdigkeit und schließlich auch das Alter eines jungen Menschen einzuschätzen“ (Eisenberg, 2016). zuletzt ist hervorzuheben, dass bei dem gesamten Verfahren der Alterseinschätzung das Kindeswohl an erster Stelle stehen muss (vgl. Gravelmann, 2017). Daher sollte die Ausländerbehörde nicht am Verfahren beteiligt werden, um den Blickwinkel nicht auf ausländerrechtliche Aspekte, sondern auf das Kindeswohl zu lenken (vgl. Stauf, 2012).
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