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Bachelorarbeit, 2022
80 Seiten, Note: 1
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Scheitern des Übergangs vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt
2.1 Statistischer Überblick über die gescheiterten Schulabschlüsse
2.2 Einflussnehmende Faktoren
2.2.1 Schulabsentismus
2.2.2 Migrationshintergrund
2.2.3 Geschlecht
2.2.4 Unterschiede auf Grund des sozialen Status
2.2.5 Stigmatisierung und die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt
2.3 Unterstützungsangebote in der BRD
2.3.1 Institutionalisierte Maßnahmen auf Bundesebene
2.3.2 Modellprojekte auf Landesebene
3 Konzeptionelle Überlegungen
3.1 Konzepte in der Sozialen Arbeit
3.2 Aufgabe der Schulsozialarbeit im Kontext des Übergangs von der Schule in den ersten Arbeitsmarkt
3.3 Überlegungen zur Gestaltung von Präventionsmaßnahmen
3.3.1 Netzwerkarbeit
3.3.2 Elternarbeit
3.3.3 Praktika und Projektarbeit
3.3.4 Übergang von der Schule in den Beruf
4 Fazit
Literatur
Abb. 1: Bevölkerung in Privathaushalten nach Migrationshintergrund beziehungsweise nach Gemeindegrößenklassen und allgemeinbildenden Schulabschlüssen 2018
Tab. 1: Erwerb von allgemeinbildenden Abschlüsse an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen
ADS Antidiskriminierungsstelle des Bundes
AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
BA Bundesagentur für Arbeit
BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
BdFWS Bund der Freien Waldorfschulen
BGJ Berufsgrundbildungsjahr
BIAA Begleitung in inklusive Ausbildung und Arbeit
BIBB Bundesinstitut für Berufsausbildung
BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung
BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
BOK Berufsorientierungskonzept
bpb Bundeszentrale für politische Bildung
BvB Berufsvorbereitende Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit
BVJ Berufsvorbereitungsjahr
BWP Berufswahlpass
CSR Corporate Social Responsibility
EQ Einstiegsqualifizierung der Bundesagentur für Arbeit
GEP Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik
GG Grundgesetz
IW Institut der deutsches Wirtschaft
KAUSA Koordinierungsstelle Ausbildung und Migration
KoBo Koordinierungsstelle Berufsorientierung
KWB Koordinierungsstelle Weiterbildung und Benachteiligung
MB Niedersächsisches Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung
MK Niedersächsisches Kultusministerium
OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
PISA Programme for International Student Assessment
StBA Statistisches Bundesamt
TZI Themenzentrierte Interaktion
VBE Verband Bildung und Erziehung
„In der Biografie junger Menschen in Deutschland stellt der Übergang1 von der Schule in das berufliche Bildungssystem eine der entscheidenden Phasen dar, durch die das künftige Erwerbsleben vorherbestimmt wird.“ (Aybek 2014, S. 21)
Anhand des Zitates von Aybek lässt sich die Notwendigkeit für das Erreichen eines qualifizierten Schulabschlusses bereits erkennen. Bekräftigt wird dies durch die Betrachtung von Stellenanzeigen für verschiedenste Ausbildungsberufe auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit (BA). Zumindest das Erreichen eines Hauptschulabschlusses scheint berufsübergreifend eine Voraussetzung zu sein, um sich auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt etablieren zu können. (vgl. BA o. J.a, o. S.) Um einen solchen qualifizierten Schulabschluss erreichen zu können, sollen alle Kinder und Jugendlichen dieselben Chancen erhalten. Gefordert wird dies auch in der Öffentlichkeit, in Zeitungsartikeln oder Talkshows, in Parteiprogrammen oder politischen Debatten. (vgl. Hopf/Edelstein 2018, o. S.) Bei der Umsetzung der Chancengleichheit2, so scheinen sich auch alle Redner*innen einig zu sein, existieren jedoch Hinderungsgründe – prägnant ist dabei die ethnische Herkunft3.
Fratzscher verfasste beispielsweise eine Kolumne für die Zeit Online, in der er über die Wirkung der ethnischen Herkunft und die damit einhergehenden familiären Einflüsse auf die Bildungschancen berichtete. Mit dem familiären Einfluss sind die Bedingungen gemeint, die ein Mensch nach der Geburt vorfindet und keine oder nur geringe Möglichkeiten hat, diese zu ändern. Allgemein zählen zu diesen, nicht oder kaum änderbaren Einflüssen, die Geschlechterzugehörigkeit, die Religionszugehörigkeit, die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht4 und die ethnische Herkunft. (vgl. Hopf/Edelstein 2018, o. S.) Laut Fratzscher hängen die Bildungs- und Berufschancen nicht so stark mit den Talenten und Fähigkeiten eines*r Schüler*in zusammen, sondern werden durch den Bildungsgrad und das Einkommen der Eltern bestimmt. Als Beispiel nennt er die Verteilung von Studierenden an Universitäten: Von 100 Kindern aus akademischen Haushalten gehen fast 80 % auf eine Universität, demgegenüber sind es nur gut 20 % aus nicht-akademischen Haushalten. (vgl. Fratzscher 2018, o. S.) Allmendinger schrieb in der Süddeutschen Zeitung über fünf Bildungseinflüsse mit Bezug auf die Chancengleichheit, wie den Einfluss der Bildungsarmut5 und – erneut – den familiären Einfluss. Allmendinger ist auch der Auffassung, dass die Bildungschancen/-erfolge der Kinder zu eng mit dem Bildungsstand und der sozialen Lage der Eltern zusammenhängen. (vgl. Allmendinger 2019, o. S.) Um den Zusammenhang zwischen dem Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen und der sozioökonomischen Situation der Eltern geht es auch in einem Artikel von Himmelrath im Wochenmagazin Spiegel. Himmelrath greift zudem die Zahl der Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, auf. Die Zahl stieg im Jahr 2019 gegenüber dem Jahr 2014 um 1 % und lag bei 6,8 %. (vgl. Himmelrath 2020, o. S.) Es lässt sich erahnen, um welche Schüler*innen es sich dabei zumeist handelte – um Schüler*innen die, beispielsweise aufgrund eines Migrationshintergrundes, unter einer Benachteiligung im Bildungssystem bzw. Bildungsbenachteiligung leiden.
In politischen Debatten wird ebenfalls an Handlungsansätzen gearbeitet, die auf die Verminderung von Bildungsungleichheiten zielen. Durch die Handlungsansätze sollen unter anderem die individuelle Förderung im Bildungssystem verankert und die Bildungswege durch Flexibilisierung geöffnet werden. Flexibilisierung meint im Zusammenhang mit der Öffnung des Bildungssystems die Steigerung der Schnittstellen verschiedener Bildungsverläufe, um so mögliche Misserfolge zu verringern. (vgl. Maaz 2020, o. S.) Zu beachten sei, dass Bildungsungleichheiten nicht nur die ungleiche Verteilung von Bildungschancen im Zusammenhang mit dem sozialen Status oder der ethnischen Herkunft meinen, sondern auch Benachteiligung oder Bevorzugung durch Gegebenheiten wie das Geschlecht umfassen. Zu beobachten sind Bildungsungleichheiten allerdings in allen Bildungsbereichen in Deutschland, demnach bereits während der frühkindlichen Bildung, über die Schulbildung, bis hin zur Berufsausbildung und Hochschulbildung. (vgl. bpb o. J.b, o. S.) Die Relevanz des Themas für die Politik zeigen bereits der Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und der Artikel 3 des Grundgesetzes (GG). Artikel 26 besagt: „Jeder hat das Recht auf Bildung“ – uneingeschränkt und im gleichen Maße. Bildung ist ein Menschenrecht und muss dementsprechend von der Politik gewahrt werden. (vgl. Lohrenscheit 2013, o. S.) Artikel 3 des GG besagt, „niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner ‚Rasse‘6, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ (Artikel 3 GG in der Fassung vom 15. November 1994), dies gilt selbstredend auch beim Zugang zu Bildung. Mit Blick auf das deutsche Bildungssystem und politische Entscheidungen ist jedoch der Bildungsföderalismus zu erwähnen: „Seit der Föderalismusreform I im Jahr 2006 und der damit verbundenen Aufgabenentflechtung im Bundesstaat gilt Bildung im Allgemeinen als ‚Ländersache‘, mehr noch: als einer der wichtigsten Kompetenzbereiche der Länder.“ (Glinka et al. 2019, o. S.) Daraus ergibt sich, dass Entscheidungen in Bezug auf das deutsche Bildungssystem nicht zwangsläufig einheitlich getroffen werden. Die Fachwelt ist sich der Einflüsse auf die Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem gleichermaßen bewusst, gemäß Benner gehört der „Ausgleich herkunftsbedingter ungleicher Bildungschancen zu den Hauptaufgaben des deutschen Bildungssystems“ (Benner 2018, S. 11). Diesen Auftrag erfüllt das deutsche Bildungssystem jedoch nicht, sondern verstärkt die sozialen Ungleichheiten weiter. Durch die verschiedenen Schulformen, wie der Aufteilung in Haupt- und Realschulen und dem Gymnasium nach der Grundschule, werden Schüler*innen unterschiedlich gefördert und erhalten mit ihrem Bildungsabschluss, sofern sie diesen abschließen, auch unterschiedliche Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Somit erschwert das Bildungssystem die Situation der Schüler*innen, die unter Bildungsbenachteiligung leiden, weiter und das zusätzlich zu den für eine Übergangsphase typischen Krisen, Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, wie eine Überforderung durch die Planung der eigenen Zukunft. (vgl. Benner 2018, S. 11f.) Bildungsungleichheiten von Schüler*innen werden zudem durch Studien belegt und konkretisiert, gerade Schüler*innen mit Migrationshintergrund sind stark betroffen. Die Ergebnisse der PISA-Studie7 zeigen regelmäßig, dass die schulischen Leistungen der Schüler*innen mit Migrationshintergrund gegenüber den Leistungen ihrer Mitschüler*innen schlechter ausfallen (vgl. Hummrich/Terstegen 2020, S. 118) Die PISA-Studie 2018 ergab einen deutlichen Leistungsunterschied in den Bereichen Lesekompetenz und Naturwissenschaft. (vgl. Anders 2021, o. S.) Es wird ersichtlich, dass Chancengleichheit und Bildungsungleichheit im deutschen Bildungssystem häufig genannte Thematiken sind. Sie erfahren auf unterschiedlichsten Wegen Aufmerksamkeit und scheinen im pädagogischen Alltag schwer umsetzbar/vermeidbar zu sein. Obwohl Bildungsungleichheiten diese mediale, politische und fachliche Aufmerksamkeit erfahren, sind sie allgegenwertig, gerade Schüler*innen mit Migrationshintergrund sind oft betroffen. Für eben diese Schüler*innen haben die schlechteren Bildungschancen weitreichende Folgen und das nicht nur im Bildungssystem, sondern als Konsequenz letztlich auch auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wie bereits dargelegt, ist ein qualifizierter Bildungsabschluss signifikant, um auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können.
„Menschen mit beziehungsweise ohne Migrationshintergrund unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihrer schulischen und beruflichen Qualifikation. Dies beeinflusst ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt und damit ihre Fähigkeit, Erwerbseinkommen zu erzielen. Ebenso wirken sich die Unterschiede auf die Höhe des Erwerbseinkommens und eine mögliche Armutsgefährdung aus.“ (Petschel 2021, o. S.)
Für eben diese Schüler*innen besteht durch die Gefahr der Bildungsungleichheit somit nicht nur darin keinen Schulabschluss oder einen weniger qualifizierten zu erreichen; sie sind als Folge auch auf dem ersten Arbeitsmarkt benachteiligt und haben ein höheres Risiko sozial benachteiligt zu bleiben. Maßnahmen zur Unterstützung von leistungsschwächeren Kindern und Jugendlichen, mit dem Ziel die soeben genannten Gefahren zu vermeiden, existieren beispielsweise in Form von Übergangsmaßnahmen. Diese sind jedoch umstritten und werden auch nur von etwa der Hälfte der Betroffenen in Anspruch genommen (vgl. Ehlert et al. 2020, o. S; ausführlich in Kapitel 2.3.1). Es bleibt also zu klären, wodurch die Bildungsungleichheiten entstehen, wieso diese nur schwer zu verhindern sind und was getan werden kann, um Schüler*innen den Übergang vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern bzw. überhaupt zu ermöglichen. Diesbezüglich stellt sich die Frage, wie die Soziale Arbeit – als Profession mit den Handlungszielen soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und der Achtung der Vielfalt – ihren Teil beitragen kann. Vor allem die Schulsozialarbeit als Tätigkeitsfeld der Sozialen Arbeit hat, gemäß des Niedersächsischen Kultusministeriums (MK), die Aufgabe die „Bedingungen für den schulischen Lernerfolg“ (MK o. J.a, o. S.) der Schüler*innen zu verbessern und steht in der Verantwortung Bildungsungleichheiten abzubauen. Dabei sollte die Schulsozialarbeit den Fokus nicht nur auf schulinterne Unterstützung legen, sondern auch Handlungsansätze erarbeiten die Schüler*innen beim Übergang in den ersten Arbeitsmarkt fördern. Gerade bei Betrachtung der Zahlen von Schüler*innen, die ohne Abschluss das Bildungssystem verlassen (ausführlich in Kapitel 2.1) und der bestehenden Chancenungleichheit zeichnet sich ein Handlungsbedarf ab. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema der Bildungsungleichheiten auf öffentlicher, fachlicher und politischer Ebene, wurde vor allem die Notwendigkeit der Handlungsansätze für Menschen mit Migrationshintergrund deutlich. Vor diesem Hintergrund möchte ich mich in meiner Bachelorarbeit mit einer ersten konzeptionellen Überlegung zur Gestaltung von Handlungsansätzen im Kontext der Schulsozialarbeit mit dem Fokus auf Schüler*innen mit Migrationshintergrund und Möglichkeiten den Weg in den ersten Arbeitsmarkt auch ohne Schulabschluss zu schaffen, beschäftigen. Daher lautet meine folgende Thematik:
Ohne Schulabschluss in den ersten Arbeitsmarkt?
Erste konzeptionelle Überlegung im Kontext der Schulsozialarbeit mit Schüler*innen mit Migrationshintergrund
Zur Annäherung an das Thema, wird Kapitel 2 zunächst einen Überblick über das Scheitern des Übergangs vom Bildungssystems in den ersten Arbeitsmarkt geben. Dabei wird der erste Arbeitsmarkt näher betrachtet und die Problematiken für Schüler*innen angesprochen. Der Fokus liegt auf der Beschreibung der Problematiken auf den Gegebenheiten während des Erreichens eines Bildungsabschlusses und dem Schritt in das Arbeitsleben ohne Bildungsabschluss. Diesbezüglich wird zunächst ein statistischer Überblick über die Schüler*innen, die ohne Schulabschluss das Bildungssystem verlassen (Kapitel 2.1), dargelegt. Um besser verstehen zu können wodurch das Scheitern im Bildungssystem verstärk wird, werden anschließend einflussnehmende Faktoren (Kapitel 2.2) konkretisiert. Die einflussnehmenden Faktoren, auf die ich mich konzentrieren werde, sind Schulabsentismus (Kapitel 2.2.1), Migrationshintergrund (Kapitel 2.2.2), Geschlecht (Kapitel 2.2.3), sozialer Status (Kapitel 2.2.4) sowie Stigmatisierung und die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt (Kapitel 2.2.5). Bereits bestehende Angebote in Deutschland (Kapitel 2.3), die auf die Unterstützung von Personen ohne Schulabschluss und derer Förderung für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt zielen, bilden den Abschluss des zweiten Kapitels. Untergliedert wird dies durch institutionalisierte Maßnahmen auf Bundesebene (Kapitel 2.3.1) und Modellprojekten auf Landesebene (Kapitel 2.3.2). Nach Betrachtung der aktuellen Sachlage folgen darauf aufbauend konzeptionelle Überlegungen zur Gestaltung von schulsozialarbeiterischen Handlungsansätzen für eine Förderung während der Schulzeit und Unterstützung für den Weg in den ersten Arbeitsmarkt – auch ohne Schulabschluss – mit dem Fokus auf Schüler*innen mit Migrationshintergrund in Kapitel 3. Dafür wird zunächst ein Überblick über Konzepte in der Sozialen Arbeit geschaffen (Kapitel 3.1), der als Hilfestellung für die weitere Ausarbeitung dient. Folgend wird die Aufgabe der Schulsozialarbeit im Kontext des Übergangs von Schule zum ersten Arbeitsmarkt betrachtet (Kapitel 3.2). Daraus ergeben sich die Überlegungen zu Gestaltung von Präventionsmaßnahmen (Kapitel 3.3). Unterteilt werden diese in Netzwerkarbeit (Kapitel 3.3.1), Elternarbeit (Kapitel 3.3.2), Praktika und Projektarbeit (Kapitel 3.3.3) und Übergang von der Schule in den Beruf (Kapitel 3.3.4). Zum Abschluss der Arbeit ziehe ich ein Fazit.
Im Folgenden wird der Übergang vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt, mit besonderer Betrachtung auf das Scheitern des Wechsels von der Schule in die Arbeitswelt, genauer erläutert. Genutzt werden, gerade in Bezug auf Statistiken, vor allem Onlinequellen, da das Statistische Bundesamt (StBA) und Statista eine Vielzahl an aktuellen Daten online zur Verfügung stellen. Begonnen wird zunächst mit der Betrachtung des ersten Arbeitsmarktes. Der erste oder auch „normale Arbeitsmarkt“ ist der Bereich, auf dem Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse bestehen, ohne dass eine Arbeitstätigkeit durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu Stande gekommen ist. (vgl. bpb o. J.c, o. S.) Dies unterscheidet den ersten vom zweiten Arbeitsmarkt, auf dem durch eben diese Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie das Schaffen und Erhalten von Arbeitsplätzen mithilfe von öffentlichen Fördermitteln, Beschäftigungsverhältnisse realisiert werden. (vgl. bpb o. J.d, o. S.)
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zielen jedoch nicht ausschließlich auf die Realisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Durch die Arbeitsmarktpolitik soll Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt beeinflusst werden. Dabei wird zwischen aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik unterschieden. Während sich die passive Arbeitsmarktpolitik, durch Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld I/II, Insolvenzgeld oder Kurzarbeitergeld, auf die wirtschaftlichen Folgen für arbeitslose Personen fokussiert, soll durch die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik die Arbeitslosigkeit als solches bekämpft werden. Somit ist es für die Initiator*innen der Arbeitsmarktpolitik – vorrangig der BA – ein Anliegen das Schüler*innen den Übergang vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt schaffen und keiner Maßnahme bedürfen, die beispielsweise in Form von staatlichen Beschäftigungsprogrammen, Qualifizierungsprogrammen oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen existieren. (vgl. bpb o. J.e, o. S.) Bei einer Arbeitslosenquote von 6,9 % der 15- bis 24-Jährigen im Jahr 2021 wird jedoch deutlich, dass der Übergang vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt erschwert ist – die allgemeine Arbeitslosenquote lag wohlgemerkt im selben Jahr lediglich bei 3,6 %. (vgl. Eurostat 2022, o. S.) Dabei stellt sich die Frage, warum der Übergang in den ersten Arbeitsmarkt gerade für Schüler*innen eine solche Problematik darstellt.
Bei der Betrachtung von Einflüssen für das Scheitern von Personen beim Übergang vom Bildungssystems in den ersten Arbeitsmarkt muss die sich schnell entwickelnde gesellschaftliche Veränderung beachtet werden: Durch den voranschreitenden sozialen Wandel8 folgen Lebensverläufe nicht mehr so stark gegebenen Strukturen und Standards, wie es beispielsweise in der Elterngeneration passierte. Die Gesellschaft9 verändert sich von einer postfigurativen Kultur10 hin zu einer präfigurativen Kultur11. Demnach werden die Kinder und Jugendlichen nicht mehr vorrangig von Traditionen geleitet, sondern stehen vor der Aufgabe ihren Weg selbst gestalten zu müssen. Dies macht die Übergänge wie den Wechsel vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt zu einer individuellen Aufgabe, was den Ablauf verlängern, komplizierter und umfangreicher werden lassen kann. Als Folge gestalten sich Berufsorientierungen „immer mehr in Form eines Pendels zwischen (vorläufigem) Ankommen und wieder Zurückgeworfen-Werden“ (Held et al. 2015, S. 10). Zusätzlich stellt der Arbeitsmarkt keine Konstante dar, sondern verändert und erweitert sich ebenso, beispielsweise als Folge der Digitalisierung12. Daraus ergeben sich unterschiedliche Wahlmöglichkeiten für eine Person, was den Weg vom Bildungssystem in den ersten Arbeitsmarkt komplexer macht. (vgl. ebd.)
Ersichtlich wird, dass der Schritt vom Schulwesen hin zur Erwerbstätigkeit eine Drucksituation darstellt. Gerade Jugendliche, die unter Bildungsbenachteiligung leiden, stehen durch die Bedingungen der Übergangsphase und der Lebenswelt13 vor mehreren Herausforderungen. So ist es kaum verwunderlich, dass gerade bei Personen mit einem niedrigen Bildungsstand die Arbeitslosenquote erhöht ist. (vgl. bpb 2021, o. S.). Das Scheitern im Bildungssystem und das Nichterreichen eines Schulabschlusses wird durch einflussnehmende Faktoren – wie der Herkunft einer Person – verstärkt und führt häufig zur Arbeitslosigkeit. Welche einflussnehmenden Faktoren besonders häufig zu einem Scheitern im Bildungssystem (gemeint ist das Nichterreichen eines Schulabschlusses) führen, zeigt der Blick auf die Statistiken, die im weiteren Verlauf detailliert dargelegt werden.
„Jugendlichen, die weniger als einen Mittleren Schulabschluss vorweisen können, gelingt es oftmals nach Verlassen der Schule nicht, einen Ausbildungsplatz zu finden. Dies gilt für Jugendliche mit Hauptschulabschluss und nochmals verstärkt für jene, die die Schule gänzlich ohne Schulabschluss verlassen.“ (Menze/Holtmann 2019, S. 510)
Trotz der Bedeutsamkeit des Erreichens eines Schulabschlusses für den Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt verlassen jedes Jahr aufs Neue Schüler*innen das Bildungssystem, ohne einen solchen abgeschlossen zu haben. Gravierend gestiegen sind die Zahlen von Abgänger*innen14 ohne Abschluss während der Covid-19-Pandemie. Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, spricht15 gar von einer Verdoppelung der Betroffenen: So verließen im Jahr 2021 ca. 100.000 Schüler*innen das Bildungssystem ohne den Abschluss einer allgemeinbildenden Schule und nicht wie in den Vorjahren, unter 50.000 Schüler*innen. Verantwortlich macht Hilgers die Bildungspolitik in Deutschland, die sich während der pandemischen Lage zu wenig auf den Übergang von der Schule in den Beruf fokussiert habe. (vgl. GEP 2022, o. S.) Durch die erhebliche Erhöhung der Zahlen aufgrund der COVID-19-Pandmie werden im weiteren Verlauf Statistiken aus Zeiten vor der pandemischen Lage genutzt. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die von der Pandemie unabhängigen Einflussfaktoren auf die Zahl der Abgänger*innen ohne Abschluss nicht an Gewicht verlieren. Dies gilt auch für die Statistiken aus dem Jahr 2020, da die Zahl der Schulabgänger*innen ohne Hauptschulabschluss in diesem Abgangsjahr bei 45.072 (vgl. Rudnicka 2022a, o. S.) und einem prozentualen Anteil von 5,9 % (vgl. Rudnicka 2022b, o. S.) lag und somit im Vergleich zu den vorherigen Jahren gesunken ist.16
Im Jahr 2019 verließen 52.800 Schüler*innen die allgemeinbildende Schule, ohne einen Hauptschulabschluss erreicht zu haben. Prozentual machen diese 52.800 Abgänger*innen ohne Schulabschluss 6,6 % aller Schüler*innen aus. (vgl. Blätgen/Milbert o. J., o. S.) Beim Vergleich mit Statistiken aus vorherigen Jahren, lassen sich keine wesentlichen Veränderungen feststellen. Im Jahr 2018 verließen ca. 54.000 Schüler*innen die Schule ohne einen Hauptschulabschluss. Bei einer Gesamtanzahl von 812.200 Personen, die die allgemeinbildende Schule mit oder ohne Abschluss abschlossen, ergibt sich auch für das Jahr 2018 eine Quote von 6,6 %. (vgl. Blaeschke/Freitag 2019, S. 105) Die Zahlen aus den Jahren 2016 und 2017 unterstreichen die über Jahre ähnlich bleibende Höhe der Schüler*innen, die ohne Hauptschulabschluss die allgemeinbildende Schule verlassen (siehe Tab. 1).
Tab. 1: Erwerb von allgemeinbildenden Abschlüsse an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen (In Anlehnung an StBA 2019, S. 97)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der Tab. 1 ist zu entnehmen, dass im Jahr 2017 52.685 und im Jahr 2016 49.193 Abgänger*innen die allgemeinbildende Schule ohne Hauptschulabschluss verließen (vgl. (StBA 2019, S. 97). Bei Betrachtung der geschlechtlichen Verteilung der Abgänger*innen im Bildungssystem wird ein weiterer Unterschied ersichtlich (siehe Tab. 1). Demnach gehen weibliche Personen seltener als männliche von der Schule ab, ohne einen Hauptschulabschluss erreicht zu haben – und das schulformübergreifend. Im Jahr 2017 waren beispielsweise lediglich 37,6 % und im Jahr 2016 38,1 % der Schulabgänger*innen ohne erreichten Schulabschluss weiblich (vgl. ebd.). Dies änderte sich auch im Jahr 2019 nicht, 8,1 % der männlichen Schüler*innen erreichten im Jahr 2019 keinen Hauptschulabschluss und verließen dennoch die allgemeinbildende Schule, demgegenüber waren es 5,1 % der weiblichen Schüler*innen (vgl. Blätgen/Milbert o. J., o. S.).
Aus Tab. 1 lassen sich außerdem ähnliche Werte bei einer differenzierteren Betrachtung der Gesamtzahlen von Abgänger*innen ohne Abschluss in den Jahren 2016 und 2017 finden. Die Abgänger*innen, die das Bildungssystem ohne Hauptschulabschluss verlassen, können demnach auf drei verschiedene Schularten verteilt werden – die Förderschule17, Hauptschule und die übrigen allgemeinbildenden Schulen. Bei Betrachtung der Jahre 2016 und 2017 wird ersichtlich, dass ein großer Teil der Abgänger*innen eine Förderschule besuchte. Während es im Jahr 2016 über 50 % der gesamten Abgänger*innen waren, sank die Zahl im Jahr 2017 auf etwas mehr als 45 %. (vgl. StBA 2019, S. 97) Dies lässt sich mit dem Förderschwerpunkt dieser Schulform begründen, zeigt aber auch die Notwendigkeit Möglichkeiten für den Übergang aus der Förderschule in den ersten Arbeitsmarkt zu schaffen – und das unter besonderer Berücksichtigung des Nichterreichens eines Hauptschulabschlusses: Trotz der ebenfalls sinkenden Zahlen im Jahr 2018 verließen ca. 75 % der 32.000 Schüler*innen die Förderschule ohne einen Hauptschulabschluss. (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, S. 145) Mit Blick auf die drei zuvor erwähnten Kategorien der verschiedenen Schulformen ist außerdem zu erwähnen, dass mehr Schüler*innen das Bildungssystem ohne Hauptschulabschluss auf den „übrigen allgemeinbildenden Schulen“ verlassen als auf der Hauptschule. Es gibt wohlgemerkt auch verschiedene Schulformen der allgemeinbildenden Schule und somit auch mehr Schüler*innen in dieser Kategorie, allerdings lässt sich auch hier der Unterstützungsbedarf, um einen Schulabschluss zu erreichen, im gesamten Bildungssystem erkennen.
Einfluss auf das Erreichen eines Hauptschulabschlusses nehmen aber nicht nur das Geschlecht und die besuchte Schulform, auch die ethnische Herkunft eines Menschen führt vermehrt zu Bildungsungleichheiten und als Folge auch zum Scheitern der Menschen im Bildungssystem. Gerade bei Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit im deutschen Schulsystem ist die Zahl der scheiternden Schüler*innen vergleichsweise hoch. Gemäß des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) erreichten von allen ausländischen Schulabsolvent*innen im Jahr 2018, 18,2 % keinen Abschluss, demnach deutlich mehr als die 6,6 % der gesamten Schüler*innen (vgl. IW 2020, o. S.). Eine im Vergleich zu den Gesamtzahlen erhöhte Quote von Personen ohne Schulabschluss zeigt sich jedoch nicht nur unter Asylsuchenden18, sondern findet sich allgemein bei Menschen mit Migrationshintergrund (ausführlich in Kapitel 2.2.2). Bei Betrachtung der Bevölkerung in Privathaushalten nach Migrationshintergrund und allgemeinbildenden Schulabschlüssen zum Zeitpunkt des Jahres 2018 sind deutliche Unterschiede zu erkennen (siehe Abb. 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Bevölkerung in Privathaushalten nach Migrationshintergrund beziehungsweise nach Gemeindegrößenklassen und allgemeinbildenden Schulabschlüssen 2018 (StBA 2019, S. 89)
Unter der Bevölkerung in Privathaushalten im Jahr 2018 im Alter zwischen 25 und 34 Jahren hatten 9 % der Menschen mit Migrationshintergrund keinen allgemeinbildenden Schulabschluss, demgegenüber waren es bei Menschen derselben Altersspanne aber ohne Migrationshintergrund lediglich 2 %. Noch gravierender war der Unterschied bei Personen aus Privathaushalten zwischen dem 45ten und 54ten Lebensjahr, zum Zeitpunkt des Jahres 2018 hatten 14 % der Menschen mit Migrationshintergrund und 1 % der Menschen ohne Migrationshintergrund keinen allgemeinbildenden Schulabschluss (ausführlich in Kapitel 2.2.2).
Die Unterschiede bezüglich des Erreichens eines Abschlusses an einer allgemeinbildenden Schule entstehen, wie bereits durch die Statistiken ersichtlich wurde, durch einflussnehmende Faktoren. Diese Faktoren werden im Folgenden genauer beschrieben.
„Der Begriff der Bildungsgerechtigkeit ist eng verknüpft mit der hohen sozialpolitischen Bedeutung von Bildungszugang und Bildungsverlauf. Bildungsgerechtigkeit bezeichnet dabei das Ideal eines von individuellen Faktoren wie Gender, ethnischer oder sozialer Herkunft, ökonomischer Leistungsfähigkeit, religiöser oder politischer Anschauung etc. unabhängigen Bildungssystems.“ (Klenk/Schmid 2018, o. S.)
Eine Chancengleichheit aller Schüler*innen im Bildungssystem könnte somit durch bildungsgerechte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Welchen Bildungsstand und welchen Schulabschluss eine Person letztlich erreichen kann, wird dann ausschließlich von Leistungskriterien entschieden. (vgl. ebd.) Die folgende Auseinandersetzung mit dem Thema des Übergangs vom Bildungssystems in den ersten Arbeitsmarkt zielt auf eben diese bildungsgerechten Rahmenbedingungen. Dafür gilt es zunächst die einflussnehmenden Faktoren zu konkretisieren und dessen Wirkung auf die entsprechenden Schüler*innen und derer Schul-/Übergangserfolg zu ermitteln. Ausschlaggebende Faktoren ergaben sich bereits bei der statistischen Untersuchung, betrachtet werden daher die Unterschiede bezüglich des Migrationshintergrund (Kapitel 2.2.2), des Geschlechts (Kapitel 2.2.3) und des sozialen Status (Kapitel 2.2.4). Außerdem werden die Auswirkungen von Stigmatisierung auf den Übergang von der Schule in den Beruf betrachtet (Kapitel 2.2.5). Begonnen wird jedoch mit dem Thema Schulabsentismus (Kapitel 2.2.1), welches fälschlicherweise häufig sogar mit Schulabbruch gleichgesetzt wird, allerdings eher als ein Faktor für das Scheitern im Bildungssystem anzusehen ist (vgl. Schmalfuß 2022, S. 6f.).
Der Themenbereich rund um das Fernbleiben von der Schule weist eine Vielzahl an Begrifflichkeiten auf, „Schulschwänzen, Schulvermeidung, Unterrichtsvermeidung, Schulangst, Schulphobie, Schulverweigerung und Unterrichtsverweigerung“ (Schmalfuß 2022, S. 5) sind geläufig. Etabliert hat sich im fachwissenschaftlichen Diskurs der Begriff Schulabsentismus, der aufgrund der Verschiedenartigkeit der Formen und Uneinigkeit, ab wann das Verhalten der Schüler*innen als schulabsent bezeichnet werden sollte, einer genaueren Bestimmung bedarf. (vgl. ebd., S. 5f.) Zunächst ist zu erwähnen, dass Schulabsentismus von dysfunktionalem, demnach der Funktion und Wirkung der Schule nicht förderlichem, Unterrichtsverhalten – wie etwa das Stören des Unterrichtsflusses oder Ablenken der Mitschüler*innen – zu unterscheiden ist, jedoch ebenfalls der Schuldistanz zugeordnet wird (vgl. ebd. S. 6). Aus der englischsprachigen Forschung übernommen, führte Ricking den Begriff Schulabsentismus im Jahr 1999 ein. Dieser umfasste das „dauerhafte und wiederkehrende Versäumen des Unterrichts von Schülern ohne ausreichende Begründung“ (Ricking in Sälzer 2010, S. 14). In diesem Zusammenhang unterscheidet Ricking zwischen drei verschiedenen Gründen, dem Schulschwänzen, dem (elterlichen) Zurückhalten oder Schulentzug und der Schulverweigerung (vgl. Sälzer 2010, S. 14).
- Schulschwänzen umfasst dabei die unerlaubte, bewusste und unregelmäßige Abwesenheit vom Schulunterricht. Obwohl dies durch die Schulpflicht19 in Deutschland nicht gestattet ist, wird es doch als eher gewöhnlich und als Bestandteil der jugendlichen Entwicklung angesehen, da das Nehmen von Auszeiten nach eigenem Ermessen eine gewisse Begierde der Schüler*innen darzustellen scheint. Schulschwänzen umfasst dabei verschiedene Formen des Unterrichtsversäumnisses, von dem Fernbleiben einzelner Stunden, bis hin zum Fehlen mehrerer Tage. (vgl. Seeliger 2016, S. 26) Anstatt die Unterrichtszeit in der Schule zu verbringen, unternehmen die Schüler*innen dann für sie attraktivere Aktivitäten außerhalb der Schule und von zu Hause. Außerdem besteht häufig ein Zusammenhang zwischen dem Schulschwänzen und einem Leistungsversagen. (vgl. Schmalfuß 2022, S. 14)
- (Elterliches) Zurückhalten ist ein nicht vom Kind ausgehendes Versäumen des Unterrichts. Die Gründe dafür können beispielsweise das Verweigern der Trennung vom Kind aufgrund psychischer Probleme, die Notwendigkeit der häuslichen Hilfe, Unwissenheit über die Schulpflicht oder die Betreuung von Geschwisterkindern sein. (vgl. Seeliger 2016, S. 27) Das Fernbleiben der Schüler*innen aufgrund von Zurückhaltung ist somit durch das häusliche Umfeld bedingt und wird als Folge von den Erziehungsberechtigten nicht nur akzeptiert, sondern auch befürwortet. Dazu gezählt wird auch das Fernhalten von Schüler*innen durch die Erziehungsberechtigten, um beispielsweise Folgen von familiärer Gewalt zu verstecken. Das Fernhalten wird zum Teil auch als eigene Kategorie behandelt, in der aktuellen wissenschaftlichen Betrachtung jedoch zur Zurückhaltung gezählt. (vgl. Schmalfuß 2022, S. 14, 16)
- Schulverweigerung20 oder Schulmeidung wird, sofern diese mit körperlicher Abwesenheit einhergeht, als Unterkategorie des Schulabsentismus gesehen. Schulverweigerungen hängen oft mit Angstsymptomen, wie Schulstress21 oder Schulangst22, zusammen. (vgl. Seeliger 2016, S. 27) Der Anlass für eine Schulangst liegt zumeist im schulischen Bereich, dabei können Lehrkräfte, Mitschüler*innen oder die Leistungsanforderungen der Auslöser sein. Eine Schulphobie wird hingegen in der Regel durch Auslöser außerhalb des schulischen Umfelds bedingt, beispielsweise durch die Sorge sich verlaufen zu können. (vgl. Schmalfuß 2022, S. 14) Eine Schulmeidung wird jedoch auch durch fehlende Einbindung in die Klasse oder familiärer Unterstützung und ausbleibendem Schulerfolg hervorgerufen/verstärkt.
Eine klare Klassifizierung von schulabsentem Verhalten ist in der Praxis nicht immer möglich, das Verhalten kann durch Überschneidungen der verschiedenen Gründe beeinflusst werden. Schulabsentismus wird somit eher als Gesamtphänomen aufgefasst. (vgl. Schmalfuß 2022, S. 16)
Zu beachten sind zudem schulische Faktoren, die Einfluss auf Schulabsentismus nehmen, wie das Klassenklima, die Zugehörigkeit zur Klassengemeinschaft, die Schüler-Lehrer bzw. Lehrer-Schüler-Interaktion oder die Reaktionen der Lehrer*innen auf das Verhalten der Schüler*innen. Das Klassenklima und das Zugehörigkeitsgefühl beeinflussen inwieweit sich Schüler*innen in der Klasse wohlfühlen und akzeptiert, respektiert oder wertgeschätzt werden. Sind Schüler*innen gut in eine Klasse integriert, neigen sie weniger zu absentem Verhalten. Das Verhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrkräften nimmt dahingegen Einfluss auf Schulabsentismus, da Lehrer*innen die Möglichkeit haben Schüler*innen Vertrauen zu schenken, Zuversicht zu vermitteln und Ängste abzubauen. Dafür ist jedoch eine vertrauensvolle Beziehung nötig, die es durch einen respektvollen Umgang und gegenseitige Akzeptanz zunächst zu schaffen und zu erhalten gilt. Aus diesen Faktoren ergibt sich jedoch auch die Chance, gerade für Lehrkräfte als Teil des Bildungssystems, Schüler*innen die bereits absentes Verhalten zeigen, wieder in die Schule zu integrieren. (vgl. Steins et al. 2014, S. 25ff.)
Schulabsentismus kann dabei als eine Art Kreislauf gesehen werden, der oft erst mit Problemen auf dem ersten Arbeitsmarkt endet. Für Schüler*innen beginnt der Kreislauf zumeist mit Frust und Unlust inklusive negativer Erwartungen an die Schule, was zum Schulschwänzen führt. Die dadurch versäumten Unterrichtsinhalte verhindern dann ein positives Lernerlebnis, woraus erneut Frust und Unlust entstehen. Der Kreislauf startet demnach von Neuem und die Schüler*innen durchlaufen die einzelnen Phasen erneut. Dies passiert häufig so lange, bis die Schüler*innen die Schule ganz verweigern oder sie gegebenenfalls auch ohne Abschluss verlassen. (vgl. Seeliger 2016, S. 29f.)
Das Verlassen des Bildungssystems kann somit eine Folge des Schulabsentismus sein. Je nach Art des absenten Verhaltens entstehen unterschiedliche Folgen für die Schüler*innen. Begrenzter Schulabsentismus, wie etwa gelegentliches Schulschwänzen, führt durch die versäumte Unterrichtszeit zu schlechteren Bildungschancen und -erfolgen. Liegt ein extremer Fall von Schulabsentismus vor, kann die Einstellung des Schulbesuchs folgen, demnach zum nicht Erreichen eines allgemeinen Bildungsabschlusses führen. (vgl. Schmalfuß 2022, S. 53) „Da jedoch dieser in der modernen Bildungsgesellschaft von elementarer Bedeutung für Teilhabe und soziale Integration23 ist, sind die Folgen von Absentismus vielfältig und auf allen Ebenen spürbar.“ (ebd.) So beeinflusst Schulabsentismus den sozioökonomischen Status (ausführlich in Kapitel 2.2.4), was Ungerechtigkeiten zur Folge haben und sich negativ auf den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt auswirken kann (ebd.). Demnach sind die Folgen eng an die zuvor beschriebenen Verläufe geknüpft, da sich diese selbst bei leicht absentem Verhalten durch die daraus entstehenden Bildungsungleichheiten verstärken können. Zudem ergibt sich ein Zusammenhang mit weiteren Einflussfaktoren, die zu Bildungsungleichheiten und zum Scheitern im Bildungssystem führen können, da sich diese gegenseitig beeinflussen. Beispielsweise kann durch eine Bildungsbenachteiligung aufgrund eines Migrationshintergrunds eine Frustration entstehen, die zu Schulabsentismus und schließlich zum nicht Erreichen eines Schulabschlusses führen kann. Im Folgenden wird der Migrationshintergrund als einflussnehmender Faktor auf das Scheitern im Bildungssystem als solches genauer betrachtet, dabei lassen sich jedoch auch erneut Parallelen zu den Risikofaktoren für Schulabsentismus herleiten.
„Wir leben in einer Migrationsgesellschaft. Das heißt nicht, dass es neben einer ‚normalen‘ Gesellschaft eine weitere Gesellschaftsform (z. B. im Sinne einer sog. Parallelgesellschaft) gäbe, sondern dass die gesellschaftliche Realität durch migrationsbedingte Diversität gekennzeichnet ist.“ (Hummrich/Terstegen 2020, S. 1)
Migration bedeutet Wanderung und umfasst allgemein, ohne Betrachtung der Begründung, die Veränderung des Wohnsitzes eines Individuums oder einer Gruppe. Es finden sich jedoch Unterschiede, ab wann von Migration gesprochen wird. Migration wird gemäß der Vereinten Nationen als ein Aufenthalt in einem Land, dass nicht das Herkunftsland ist, mit einer Dauer von mehr als einem Jahr definiert. (vgl. Gögercin 2022, S. 148) Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterscheidet hingegen zwischen Migration und internationaler Migration. Gemäß der Definition des BAMF ist Migration die räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes eines Menschen24 und internationale Migration die Verlagerung des Lebensmittelpunktes über eine Staatsgrenze hinweg. (vgl. Razum/Spallek 2009, o. S.) Wenn im Folgenden von Migration die Rede ist, wird damit die Verlagerung des Lebensmittelpunktes über eine Staatsgrenze hinweg gemeint, auf die Benutzung der Bezeichnung international jedoch verzichtet.
Beim Thema Migration stößt man unweigerlich auf weltweite prekäre Lagen „wie Armut, soziale Ungleichheit, Krieg oder Menschenrechtsverletzungen“ (Gögercin 2022, S. 148). Die aktuellen Kriegsverbrechen, die in der Ukraine durch das russische Militär verübt werden, zwingen Ukrainer*innen dazu ihr Land zu verlassen: Seit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 sind so bis Mitte Mai rund 6,5 Millionen Menschen geflohen. (vgl. Statista 2022a, o. S.) Ein Zuwachs der internationalen Wanderungsbewegungen ist jedoch schon seit Jahren zu beobachten. Im Jahr 2019 umfasste die Wanderungsbewegung 272 Millionen Menschen, 122 Millionen Menschen mehr als es noch im Jahr 1990 waren (vgl. Gögercin 2022, S. 148). Bedingt wird dies durch verschiedene Faktoren, die im Folgenden aufgeführt werden:
- Politische Faktoren: Ein Faktor für Migration ist eine unsichere politische Lage in einem Land. Betroffene erhoffen sich, in einem anderen Land mehr Sicherheit und Schutz (beispielsweise vor Verfolgung) zu finden und friedlich leben zu können. (vgl. ebd., S. 150)
- Gesellschaftliche Faktoren: Migration aufgrund gesellschaftlicher Faktoren wird bedingt durch „Gegensätze zwischen den Ethnien, zwischen (religiösen u. a.) Mehrheiten und Minderheiten oder Konflikte zwischen laizistischen und fundamentalistischen Gruppen“25 (ebd., S. 150f.). Die Hoffnung besteht darin, die eigene Religion frei ausleben zu können (vgl. ebd.).
- Ökonomische Faktoren: Aus ökonomischer Sichtweise entsteht Migration durch die Volkswirtschaft. Aufgrund sozialer Ungleichheiten zwischen verschiedenen Ländern erhoffen sich Personen bessere Arbeitsbedingungen. Migration bedingt durch ökonomische Faktoren ist jedoch nur möglich, wenn die Migrant*innen die Nöte der Wirtschaft im Einwanderungsland erfüllen und das Herkunftsland und das Aufnahmeland der Einreise/dem Aufenthalt zustimmen. (vgl. ebd., S. 151)
- Demografische Faktoren: Bei diesem Faktor für Migration ist der Bevölkerungswachstum in einem Land maßgebend. Der Wachstum der Bevölkerung findet vermehrt in Entwicklungsländern26 statt, als Folge suchen Personen vermehrt in anderen Ländern nach Arbeit. Ein Land wird dann zum Ziel für Migration, wenn dort durch einen Bevölkerungsrückgang ein Arbeitskräftemangel entsteht. (vgl. ebd.)
- Ökologische Faktoren: Migration wird auch von ökologischen Faktoren, demnach von Umweltkatastrophen beeinflusst: Solche Katastrophen „sind starke Überschwemmungen, Hochwasser, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Seebeben, aber auch schwere Stürme sowie Dürre, Busch- und Steppenbrände“ (ebd.). Menschen migrieren als Folge dieser Katastrophen aus Angst um ihre Existenz (vgl. ebd.).
Die Faktoren lassen bereits auf verschiedene Formen der Migration schließen, unterschieden wird dabei zwischen Migrationsmotiven, wie der freiwilligen Aus- oder Einwanderung27, der irregulären oder illegalen Migration, Migration aufgrund einer durch benannte Notlagen erzwungenen Flucht oder die Familienzusammenführung. (vgl.ebd., S. 148f.) Freiwillige Auswanderung existiert unter anderem als Arbeits-, Bildungs- oder Wohlstandsmigration und zielt auf die Verbesserung der Lebensperspektive. Arbeitsmigration bedeutet, dass Menschen ihr Heimatland mit der Absicht der Arbeitsaufnahme verlassen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung können bessere Arbeitsbedingungen (zum Beispiel Entlohnung) und überhaupt die Chance eine Arbeitstätigkeit aufnehmen zu können sein. Ähnlich ist dies bei der Bildungsmigration, wodurch die Möglichkeit geschaffen werden soll schulische, berufliche oder akademische Abschlüsse erreichen zu können. Wohlstandsmigration wird zumeist aus klimatischen oder gesundheitlichen Gründen erwogen. Die Zwangsmigration meint hingegen eine Migration aufgrund einer erzwungenen Flucht, zum Beispiel durch Vertreibung, Deportation oder Umsiedlung. Es lassen sich jedoch nicht alle Migrationsformen deutlich einem bestimmten Motiv zuordnen. Die Migration in Form von Menschenhandel ist eine Art der irregulären/illegalen Migration kann jedoch auch als Zwangsmigration angesehen werden und die Heirats- und Liebesmigration existiert als freiwillige und erzwungene Migration. Zu nennen sei zudem die Transmigration, bei der Personen zwischen verschiedenen Lebensmittelpunkten in unterschiedlichen Ländern wechseln, – Wohnort Familie in einem Land und Wohnort Zwecks Arbeitstätigkeit in einem andern Land – diese Form hängt somit auch mit der Arbeits- oder Wohlstandsmigration zusammen. (vgl. ebd., S. 149) Beim Thema der Migration ist jedoch zu beachten, dass nicht jede Person mit einem Migrationshintergrund auch selbst migriert ist.
Im Jahr 2019 lebten 21,2 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund in Deutschland: Das entspricht 26 % aller in Deutschland lebender Menschen. Von der Zahl der Personen mit einem Migrationshintergrund hatten 52,4 % die deutsche Staatsangehörigkeit und 47,6 % waren ausländische Staatsangehörige. Diese Prozente lassen ich in die Kategorien „ohne eigene Migrationserfahrung“ und „mit eigener Migrationserfahrung“ aufteilen. Dabei lässt sich ein deutlicher Unterschied feststellen, ob eine Person die deutsche Staatsangehörigkeit hat oder nicht. Die 47,6 % der ausländischen Staatsangehörigen verteilen sich auf 40,3 % Personen mit eigener Migrationserfahrung und auf 7,4 % ohne eigene Migrationserfahrung. Anders verteilt sich dies bei den Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, 24,1 % hatten eine eigene Migrationserfahrung demgegenüber hatten 28,2 % keine eigene Migrationserfahrung. (vgl. BAMF o. J., o. S.) Eine Person mit einem Migrationshintergrund kann somit das ganze Leben in Deutschland verbracht haben und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und trotzdem unter den Folgen von Migration leiden.
Mit den Folgen ist unter anderem die bereits erläuterte Bildungsbenachteiligung gemeint. Solche Ungleichbehandlungen lassen darauf schließen, dass Personen mit und Personen ohne einen Migrationshintergrund in der Gesellschaft als unterschiedlich angesehen und auch so behandelt werden.28 Eine solche Unterscheidung von Personen führt dazu, dass Bilder von Menschen mit Migrationshintergrund entstehen – wie sprachliche und kulturelle Problematiken – die als festgeschrieben gelten: individuelle Eigenschaften existieren nicht länger. Betroffene erhalten demnach stereotype29 Zuschreibungen, die sie nur schwer widerlegen können, auch wenn diese nicht der Wahrheit entsprechen. (vgl. Hummrich/Terstegen 2020, S. 15) Gerade im schulischen Kontext und für den Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt hat dies weitreichende Folgen.
Wie bereits dargelegt wurde, verlassen Schüler*innen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Mitschüler*innen häufiger das Bildungssystem ohne erreichten allgemeinbildenden Abschluss. Die Ursachen lassen sich in bestehenden Bildungsungleichheiten finden und wiederum zwischen primäre und sekundäre Herkunftseffekte unterscheiden.
„Primäre Herkunftseffekte bezeichnen den Umstand, dass junge Menschen in Abhängigkeit von ihren Lebensumständen unterschiedliche schulische Leistungen erzielen, etwa weil sie in ihren Familien, im Bekanntenkreis und der Nachbarschaft, aber auch in der Schule ihres Einzugsgebiets unterschiedliche Anregungsmilieus und Unterstützungsmöglichkeiten vorfinden.“ (Dollmann/Kristen 2021, o. S.)
[...]
1 Gemäß des Zwei-Schwellen-Modells von Mertens umfasst die erste Schwelle den Übergang vom Bildungswesen in das Ausbildungssystem und „setzt sich aus dem Erreichen eines Schulabschlusses, der Entscheidung für eine Ausbildung und dem Ausbildungsbeginn zusammen“ (Weil/Lauterbach 2011, S. 331). Die zweite Schwelle meint hingegen den Weg vom Ausbildungssystem in die Arbeitstätigkeit. (vgl. ebd.) Nach dieser Auffassung meint der Übergang, im vorliegenden Kontext, dass Verlassen des Bildungssystems in die Berufsausbildung, jedoch mit oder ohne erreichten allgemeinbildenden Schulabschluss.
2 „Ganz allgemein gesprochen besagt das Prinzip der Chancengleichheit, dass alle Bürgerinnen und Bürger die gleiche Chance bekommen sollen, möglichst viel aus ihrem Leben zu machen. In all jenen Bereichen und Situationen des gesellschaftlichen Lebens, in denen begehrte Ressourcen, Positionen oder Lebensverhältnisse knapp sind und daher Menschen um sie konkurrieren, soll niemand wegen seiner sozialen Herkunft, seines Geschlechts, seiner Hautfarbe, seiner Religionszugehörigkeit oder wegen anderer persönlicher Merkmale im Vorteil oder im Nachteil sein.“ (Hopf/Edelstein 2018, o. S.) Durch die Signifikanz der Bildung für den weiteren Lebensweg eines Menschen, ist die Chancengleichheit im Bildungssystem zukunftsweisend.
3 Personen kann aufgrund verschiedener Bedingungen eine ethnische Herkunft zugesprochen werden, der Begriff bedarf daher einer genaueren Erläuterung. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) definiert die ethnische Herkunft wie folgt: „Mit der ethnischen Herkunft wird die Zuordnung eines Menschen zu einer Gruppe von Personen bezeichnet, die zum Beispiel sozial, kulturell oder historisch eine Einheit bilden oder durch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit verbunden sind. Dazu zählen zum Beispiel die friesischen, sorbischen oder tiroler Volksgruppen oder auch Romnija und Roma.“ (ADS 2021a, o. S.)
4 Gemäß der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sind Gesellschaften „durch soziale Ungleichheit gezeichnet und verfügen daher über eine bestimmte soziale Struktur (z. B. Unter-, Mittel-, Oberschicht) oder eine bestimmte soziale Zusammensetzung (nach Berufen, Bildung etc.). Menschen mit gleichen sozialstrukturellen Merkmalen bilden eine soziale S[chicht].“ (bpb o. J.a, o. S.) Die Erklärung der bpb lässt darauf schließen, dass Menschen aus einer sozialen Schicht auch im Bildungssystem dieselben Chancen erhalten, dies wird im weiteren Verlauf näher betrachtet.
5 „Als bildungsarm kann der Anteil der Personen bezeichnet werden, der keinen höheren Sekundarabschluss (keine abgeschlossene Berufsausbildung) aufweist oder nach dem PISA-Test zur Risikogruppe gehört. Bildungsarmut lässt sich folglich anhand von fehlenden Zertifikaten (als Sammelbegriff für Bescheinigungen formaler Bildungsabschlüsse) oder anhand von geringen Kompetenzen messen.“ (Anger et al. 2007, o. S.) „Kompetenzen ist ein vielschichtiger Begriff, der die individuelle Anwendbarkeit und Umsetzung von Kenntnissen und Befähigungen auf unterschiedlichen Ebenen betont.“ (Mund 2017, S. 517) Die Betrachtung des Scheiterns im Bildungssystem ist somit auch ein Aufzeigen der Bildungsarmut in Deutschland.
6 Der Begriff „Rasse“ wird im weiteren Verlauf nicht verwendet, da es nach heutigen Erkenntnissen keine wissenschaftlich begründete Grundlage gibt Menschen bestimmten „Rassen“ zuzuordnen. Die Einteilung der Menschen in „Rassen“ beruht somit nicht auf biologischen Tatsachen, sondern geschieht durch Denkstrukturen in der Gesellschaft. (vgl. bpb 2015, o. S.)
7 „Der Begriff ‚PISA-Studie‘ steht für ‚Programme for International Student Assessment‘. Damit wird eine Reihe von internationalen Studien zur Schulleistung bezeichnet, die die OECD (das ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) seit 2000 alle drei Jahre durchführt. Dabei werden die Fähigkeiten von 15-jährigen Schülern und Schülerinnen in den Fächern Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet und die erbrachten Leistungen miteinander verglichen.“ (Toyka-Seid/Schneider 2022a, o. S.) Die PISA-Studie ist jedoch kritisch zu betrachten, da sie nur einen ausgewählten Teil von Personen testet, Länder mit unterschiedlichen Systemen vergleicht und keine außerschulischen Faktoren berücksichtigt (vgl. Anders 2020, o. S.).
8 „Sozialer Wandel kann als die prozessuale Veränderung der Sozialstruktur einer Gesellschaf in ihren grundlegenden Institutionen, Kulturmustern, zugehörigen sozialen Handlungen und Bewusstseinsinhalten verstanden werden.“ (Zapf 2018, S. 499) Ein sozialer Wandel kann auch das Bildungssystem verändern, durch die Frauenbewegung entstand beispielsweise ein Wandel der weiblichen Personen den Zugang zu Bildung ermöglichte.
9 Gesellschaft „bezeichnet das Zusammenleben von Menschen in der Gesamtheit sozialer Verhältnisse unter bestimmten territorialen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen“ (Kraimer 2017, S. 354). Der Status eines Menschen innerhalb der Gesellschaft nimmt durch das Zusammenleben auch Einfluss auf die Bildungschancen (ausführlich in Kapitel 2.2.4).
10 Das Leben von Personen, die in einer postfigurativen Kultur leben, wird von Traditionen bestimmt: Jüngere Menschen generieren ihr Wissen und ihre Erfahrungen demnach primär von erwachsenen Personen. Die Fähigkeiten, die für die Lebensbewältigung benötigt werden, werden früh erlernt. Die eigene Identität wird geprägt von Werten derer Richtigkeit nicht in Frage gestellt wird. (vgl. Oerter 2021, S. 53)
11 In einer präfigurativen Kultur lernt die ältere Generation von der jüngeren: Durch den aktuellen Fortschritt ist dies beispielsweise in den Bereichen Medien und Technik zu beobachten. Da die Generierung von Wissen nicht über erwachsene Personen erfolgen kann, muss dies auf eigenem Weg geschehen, wodurch die Identitätsbildung erschwert wird. (vgl. Oerter 2021, S. 53)
12 Digitalisierung meint in diesem Zusammenhang die vermehrte Entstehung von digitalen Arbeitsprozessen, wodurch neue Tätigkeiten und Kompetenzen – wie die Auseinandersetzung mit digitalen Medien oder weiterentwickelter Software gehören – benötigt werden (vgl. Ahrens 2022, S. 10)
13 „Mit Lebenswelt wird in der Sozialen Arbeit heute überwiegend die alltägliche Wirklichkeitserfahrung eines verlässlichen, soziale Sicherheit und Erwartbarkeit bietenden primären Handlungszusammenhangs (Familie, Nachbarschaft, Gemeinwesen, bestimmte Gruppen, soziokulturelle Milieus usw.) bezeichnet.“ (Frank 2017, S. 549) Die Lebenswelt ist gerade für Kinder und Jugendliche wichtig, das sie erheblichen Einfluss auf die Entwicklung nimmt.
14 Abgänger*innen sind Schüler*innen die die allgemeinbildende Schule verlassen, ohne einen Hauptschulabschluss erreicht zu haben und auf keine andere allgemeinbildende Schulart wechseln (vgl. StBA o. J., o. S.). Der Begriff Abgänger*innen ist jedoch nicht mit Abbrecher*innen gleichzusetzen, die zwar auch keinen Hauptschulabschluss erreicht, zusätzlich aber die Vollzeitschulpflicht nicht erfüllt haben. (vgl. Schmalfuß 2022, S. 7)
15 Bei dem Gespräch handelte es sich um ein Interview mit der Rheinischen Post, darüber berichtet hat jedoch an dieser Stelle das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) (vgl. GEP 2022, o. S.).
16 Das die Werte im Abgangsjahr 2020 im Vergleich zu den vorherigen Jahren gesunken sind, kann durch die kurzfristige Umstellung der Lehrmethoden – wie der Umstellung auf Onlineunterricht – nicht unbestreitbar von dem Einfluss der COVID-19-Pandemie getrennt werden. Der Einfluss der Covid-19-Pandemie und die dadurch entstandenen neuen aber auch neu entdeckten Risikofaktoren für das Erreichen eines Schulabschlusses werden im Fazit aufgegriffen.
17 Förderschulen zielen speziell auf die Unterstützung von Schüler*innen mit einem sonderpädagogischen Bedarf. Die Förderbedarfe der Schüler*innen haben sehr unterschiedliche Schwerpunkte, es geht beispielsweise um die Unterstützung bei der emotionalen und sozialen Entwicklung, beim Hören, Sehen, Lernen, körperlicher und motorischer oder bei der geistigen Entwicklung. (vgl. MK o. J.b, o. S.)
18 Der Begriff Asyl umschreibt den „staatliche[n] Schutz für Ausländer, die in ihrem Heimatstaat aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt werden“ (Tiedemann 2019, S. 1). Asylsuchende sind demnach Personen, die sich auf der Suche nach einem Zufluchtsort befinden.
19 Kinder sind schulpflichtig, die mit Beginn des Schuljahres das sechste Lebensjahr vollendet haben oder dies bis zum 30. September vollenden werden. Die Schulpflicht kann jedoch auf Wunsch und schriftliche Erklärung der Erziehungsberechtigten für Kinder, die das sechste Lebensjahr in dem Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September vollenden, um ein Jahr nach hinten verschoben werden. Die Schulpflicht endet zwölf Jahre nach ihrem Beginn, abgeschlossen werden kann die Schulpflicht dabei auf einer allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schule. (vgl. Bildungsportal Niedersachsen o. J., o. S.)
20Zu erwähnen ist, dass zur Schulverweigerung auch die geistige Abwesenheit gezählt wird. Dabei wird die Teilnahme am Unterricht durch den*die Schüler*in aufgrund der inneren Einstellung verweigert oder gestört. (vgl. Seeliger 2016, S. 26f.) Diese Form wird jedoch nicht zum Schulabsentismus gezählt.
21 Schulstress entsteht beispielsweise durch sehr hohe Anforderungen der Hochschule, die bei Schüler*innen zu einer Überforderung führen (vgl. Teichert/Sturzbecher 2019, S. 266).
22 Personen, die unter Schulangst leiden, empfinden schulische Situationen – insbesondere Prüfungen – als persönliche Bedrohung (vgl. Rohlfs 211, S. 123).
23 Soziale Integration ist in diesem Zusammenhang als die Aufnahme eines Individuums in eine bestehende Gruppe zu verstehen (vgl. Niehoff 2017, S. 439).
24 Diese nicht Grenzüberschreitende Form der Migration wird auch Binnenmigration genannt (vgl. Gögercin 2022, S. 149).
25 Laizismus meint die Trennung der Religion vom Staat (vgl. Große Kracht 2021, o. S.), Fundamentalisten hingegen stellen sich gegen Neuerungen und streben – in Bezug auf religiöse Ansichten – die wörtliche Umsetzung der Bibel im privaten wie im politischen Leben an (vgl. Toyka-Seid/Schneider 2022b, o. S.). Der Konflikt bezieht sich in diesem Fall demnach auf den Einfluss der Kirche, zum Beispiel auf politische Entscheidungen.
26 Es existiert zwar keine einheitliche Definition für Entwicklungsland, gemäß des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gibt es jedoch verschiedene Merkmale: beispielsweise eine Unterversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, eine hohe Armutsrate, erhebliche Schwachstellen bei der Gesundheitsversorgung, schlechte Bildungsangebote oder vermehrte Arbeitslosigkeit (vgl. BMZ o. J., o. S.).
27 Auswanderung wird auch als Emigration und Einwanderung als Immigration bezeichnet (vgl. Gögercin 2022, S. 148).
28 Eine Begründung für die unterschiedliche Betrachtung – in gesellschaftlichen, politischen oder schulischen Kontexten – der Personen lässt sich im 18. und 19. Jahrhundert finden. Durch die Entwicklung der Nationalstaaten entstand eine „rechtliche Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen und sogenannten Ausländern“ (Hummrich/Terstegen 2020, S. 6). Als Folge wurde ein Land als Nation mit einem Volk als eine Gemeinschaft betrachtet und Personen zwischen Einheimischen und Ausländern bzw. „uns“ und „den Anderen“ unterschieden. (vgl. ebd.)
29 Stereotype werden als Vorstellungen und Assoziationen über den Charakter und die Attribute von Mitgliedern einer Gruppe verstanden. Sie prägen und steuern die Repräsentation von Personengruppen. Stereotype sind entscheidend dafür, wie man Personen wahrnimmt, beurteilt und schließlich auch wie man sich ihnen gegenüber verhält. (vgl. Sommer 2017, S. 28)