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Bachelorarbeit, 2021
65 Seiten, Note: 1,0
I. Inhaltsverzeichnis
II. Abbildungsverzeichnis
III. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung
3. Historischer Rückblick
3.1. Schwangerschaftsabbruch im Nationalsozialismus
3.2. 1945 - 1974
4. Rechtliche Lage in Österreich
5. Medizinische Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch
5.1. Schwangerschaftsalter
5.2. Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch
5.3. Operativer Schwangerschaftsabbruch
5.3.1. Saugkürettage
5.3.2. Kürettage
5.3.3. Abbruch nach dem ersten Trimester
6. Mögliche Folgen eines Schwangerschaftsabbruches
6.1. Physische Folgen
6.2. Psychische Folgen
6.2.1. Depression
6.2.2. Angststörung
6.2.3. PTBS
6.2.4. Post Abort Syndrom
7. Status quo
7.1. Österreich
7.2. Tirol/Innsbruck
8. Abtreibung bei von Armut betroffenen Frauen*
8.1. Armut bei Frauen*
8.2. Gesundheit und Armut
8.3. Abtreibung und Armut
9. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession
9.1. Menschenrechte und Abtreibung
9.1.1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
9.1.2. Europäische Menschenrechtskonvention
9.1.3. EU-Charta der Grundrechte
9.1.4. CEDAW
9.1.5. ICCPR
10. Lebensweltorientierte Sozialarbeit
10.1. Struktur- und Handlungsmaximen
10.2. Struktur- und Handlungsmaximen und der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch
10.2.1. Mikroebene
10.2.2. Mesoebene
10.2.3. Makroebene
11. Fazit
12. Literaturverzeichnis
This study is especially dedicated to women affected by poverty who want to end their pregnancy prematurely at their own request. In particular, it examines whether and to what extent there are access barriers to medically appropriate abortions and to what extent these have an impact on the self-determination of women. For this literary analysis, current facts and data on the chosen topic are used on the one hand. On the other hand, the human rights level in connection with self-determined abortions will also be discussed. Building on this, the concept of lifeworld orientation in social work is dealt with, resulting in a concrete examination of the maxims of action and structure according to Hans Thiersch.
The aim of this Bachelor's thesis is to clarify, from the perspective of social work, which radius of action is given in order to establish appropriate interventions regarding selfdetermined abortions among women affected by poverty. Accordingly, the focus is on the micro, meso and macro levels in order to be able to do justice to the structural and action maxims defined by Thiersch. Comprehensive scientific literature, which was analysed, compiled and then written up, was used to address the question.
The main results of this literature-based Bachelor's thesis show, that extensive access restrictions and thus also considerable gaps in medical care currently exist. This finding subsequently shows the extent to which women's right to self-determination is impaired as a result. It is clear that there is a need for change in order to meet the needs of women, especially those who are affected by poverty. The literary analysis reveals not only options for action for social work but also the resources of the political mandate of social work.
Die vorliegende Arbeit widmet sich im besonderen armutsbetroffenen Frauen*, welche auf eigenen Wunsch ihre Schwangerschaft frühzeitig beenden wollen. Hierbei wird im speziellen untersucht, ob und in welchem Ausmaß Zugangsbarrieren zu medizinisch fachgerechten Abtreibungen gegeben sind und inwieweit sich diese auf die Selbstbestimmung von Frauen* auswirken. Für diese literarische Analyse werden zum einen aktuelle Sachverhalte und Daten zum gewählten Thema herangezogen. Zum anderen wird auch die Menschenrechtsebene im Zusammenhang mit selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen erörtert. Darauf aufbauend wird das Konzept der Lebensweltorientierung in der Sozialen Arbeit behandelt, woraus sich eine konkrete Untersuchung der Handlungs- und Strukturmaximen nach Hans Thiersch ergibt.
Ziel der vorliegenden Bachelorarbeit ist es, aus Sicht der Sozialen Arbeit zu klären, welcher Aktionsradius gegeben ist, um entsprechende Interventionen bzgl. selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche bei armutsbetroffenen Frauen* zu etablieren. Dementsprechend wendet sich der Blick auf die Mikro-, Meso- und Makroebene, um in weiterer Folge den von Thiersch definierten Struktur- und Handlungsmaximen gerecht werden zu können. Für die Aufarbeitung der Fragestellung diente umfassende wissenschaftliche Literatur, welche analysiert, zusammengetragen sowie im Anschluss verschriftlicht wurde.
Die Ergebnisse aus dieser literaturbasierten Bachelorarbeit zeigen u. a. auf, dass weitgehende Zugangsbeschränkungen und demnach auch erhebliche medizinische Versorgungslücken gegenwärtig sind. Diese Erkenntnis zeigt in weiterer Folge auf, in welchem Ausmaß das Selbstbestimmungsrecht von Frauen* dadurch beeinträchtigt wird. Ersichtlich wird daraus ein notwendiger Veränderungsbedarf, um den Bedürfnissen von Frauen*, speziell jener, die von Armut betroffen sind, gerecht werden zu können. Aus der literarischen Analyse zeigen sich neben Handlungsoptionen für die Soziale Arbeit auch die Ressourcen des politischen Mandates der Sozialen Arbeit.
An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich im Laufe meines Studiums unterstützt haben. Ein großer Dank richtet sich in erster Linie an meine Eltern Alexander und Anneliese, ohne deren Unterstützung ich dieses Studium nicht hätte absolvieren können. Außerdem möchte ich mich für mehrfache Korrekturlesungen bei meiner langjährigen Freundin Sonja Quehenberger, BA bedanken. Ebenfalls bedanke ich mich herzlich bei Frau Mag.a (FH) Josefina Egg, MA, für die Betreuung und ihre motivierende Unterstützung bei der Fertigstellung dieser Arbeit.
Für den emotionalen Rückhalt gebührt meinen Geschwistern, vor allem aber meinem Bruder Christian, besonderer Dank.
Abbildung 1: Österreichische Standorte für Schwangerschaftsabbrüche, Screenshot: Google Maps, Quelle: IRHI 2018.
AEMR Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
APA OTS Austria Presse Agentur Originaltext-Service
Art Artikel
BMASK Bundesministerium für Arbeit Soziales und Konsumentenschutz
BMGF Bundesministerium für Gesundheit und Frauen
BMSGPK Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und
Konsumentenschutz CEDAW Convention of the Elimination of All Forms of Discrimination
Against Women DOWAS Durchgangsort für wohnungssuchende und arbeitssuchende
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
EU Europäische Union
ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights
ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related
Health Problems idgF in der geltenden Fassung
IEF Institut für Ehe und Familie
IRHI Initiative for Reproductive Health Information
OECD Organisation for Economic Co-operation and Development
OHCHR Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights
ÖVP Österreichische Volkspartei
PGA Verein für prophylaktische Gesundheitsarbeit
PTBS Posttraumatische Belastungsstörung
SPÖ Sozialdemokratische Partei Österreichs
St.G Strafgesetz
StGB Strafgesetzbuch
WHO World Health Organization
2020 wurde eine neue Regierung angelobt, auf deren über 300-seitigen Regierungsvereinbarung weder Sexualverhütung noch Schwangerschaftsabbrüche thematisiert wurden (vgl. Die neue Volkspartei & Die Grünen, 2020). Das Thema der Abtreibung ist immer wieder Teil öffentlicher Debatten und es gelang auch eine mediale Präsenz 2020/21 durch eine Gesetzesreform in Polen, welche die Möglichkeiten für legale Schwangerschaftsabbrüche weitgehend einschränkte. Österreich bezog dazu Stellung, etwa durch die EU-Abgeordnete Mag.a Evelyn Regner (SPÖ), welche darauf hinwies, dass dies eine Menschenrechtsverletzung darstelle und eine deutliche Einschränkung der Selbstbestimmung von Frauen* sei (vgl. APA OTS, 2021). Trotz dieser Stellungnahme und der immer wiederkehrenden Aktualität dieser Thematik scheinen sich die unterschiedlichen österreichischen Regierungskonstellationen seit Jahren dagegen zu wehren, sich dieser Materie konkret anzunehmen (vgl. Fiala, 2015, S. 10). Obwohl es keine tragfähige Gegenargumentation gibt, warum Abtreibungen und/oder Verhütungsmittel nicht von der Sozialversicherung übernommen werden sollten, wird dies in Österreich nicht umgesetzt. Diese Ansicht teilt auch der Leiter des Gynmed Ambulatoriums Wien DDr. Christian Fiala, welcher als Experte* in den Bereichen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Österreich gilt. Selbstkosten für eine Abtreibung haben enorme Auswirkungen vor allem auf benachteiligte Gesellschaftsgruppen wie etwa armutsbetroffene Frauen* (vgl. Lex, 2014). Diese sozialpolitischen Maßnahmen, auch international betrachtet, führen in einigen Fällen dazu, dass ungewollt schwangere Frauen* u. a. neben Geldmangel oder Gesetzeslagen andere Optionen ergreifen müssen, um die Schwangerschaft vorzeitig beenden zu können. Dies führt zu Eingriffen, die den medizinischen und hygienischen Standards, welche für einen sicheren Abbruch notwendig wären, nicht entsprechen (vgl. Amnesty International, 2019).
Laut WHO fanden zwischen den Jahren 2015 bis 2019 durchschnittlich jährlich weltweit 24,4 Millionen unsichere Abtreibungen unter gefährlichen Bedingungen statt, wobei fast alle Todesfälle durch Sexualaufklärung und durch Zugänge zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen sowie kostenfreien Verhütungsmitteln verhindert werden hätten können. Einschränkende Gesetze wie etwa Selbstkostenbeiträge und Gewissensklauseln für Ärzt*innen bilden Zugangsbarrieren, wodurch sich Frauen* auf unsichere Abtreibungen einlassen, obwohl Abtreibungsverbote und Zugangsbeschränkungen Schwangerschaftsabbrüche nicht verhindern, sondern Frauen* in die Illegalität zwingen (vgl. WHO, 2020). National und lokal betrachtet wird erkennbar, dass demographische und finanzielle Versorgungslücken sowie restriktive Gesetze speziell von Armut betroffene Frauen* erheblich einschränken, warum in dieser literaturbasierten Arbeit folgender Frage nachgegangen wird:
„Wie kann die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession anhand des lebensweltorientierten Konzeptes bestmöglich agieren, um den Struktur- und Handlungsmaximen nach Hans Thiersch in Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche bei armutsbetroffenen Frauen* gerecht zu werden?“
Ziel dieser Arbeit ist zum einen, Versorgungslücken sowie Zugangsbeschränkungen zu veranschaulichen und die facettenreiche Problemstellung nicht nur in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Klientinnen* zu bearbeiten, sondern auch einen Bezug zur politischen Ebene und Menschenrechtsebene herzustellen. Zum anderen wird das Ziel verfolgt, die Bedeutung der Sozialen Arbeit in der Zusammenarbeit mit armutsbetroffenen Frauen*, welche den Wunsch einer vorzeitigen Beendigung deren Schwangerschaft haben, aufzuzeigen.
In der vorliegenden Bachelorarbeit wird zu Beginn kurz auf die im Rahmen der vorliegenden Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten Bezug genommen, um Missverständnisse auszuräumen. Im Folgekapitel wird ein knapper Überblick über die Historie des Schwangerschaftsabbruches dargelegt. Anschließend wird die aktuelle rechtliche Materie herangezogen und erklärt, worauf der Status quo bzgl. Abtreibungen in Österreich sowie spezifisch in Tirol folgt. Die verschiedenen Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch werden im nächsten Kapitel bearbeitet. Dazu wird im Anschluss auf mögliche psychische sowie somatische Folgen eingegangen. Im achten Kapitel wird spezifisch auf Abtreibung bei armutsbetroffenen Frauen* Bezug genommen, wobei dabei im Allgemeinen Themen wie Gesundheit und Armut bei Frauen* in Österreich bearbeitet werden und darauf aufbauend das Themenfeld der Abtreibung bei armutsbetroffenen Frauen* vorgestellt wird. Darauf aufbauend bewegt sich der Fokus in Richtung Menschenrechtsebene, wo zu Beginn die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession und im Anschluss die Menschenrechte im Zusammenhang mit Abtreibungen bearbeitet und vorgestellt werden. Abschließend werden Bearbeitungsvorschläge bzw. Verbesserungsvorschläge anhand der Struktur- und Handlungsmaximen nach Hans Thiersch vorgestellt, wo Bezug auf alle drei Analyseebenen, die Mikro- Meso- und Makroebene, genommen wird.
Hinsichtlich frühzeitiger Beendigung einer Schwangerschaft gibt es viele Begrifflichkeiten, welche hierfür verwendet werden können. Beispielsweise in der Medizin gelten Begriffe wie „induzierter Abort“ oder „Interruptio“ (Haag & Hanhart, 2016, S. 130) als gängige Beschreibungen. Umgangssprachlich werden meist die Bezeichnungen „Schwangerschaftsabbruch“ oder „Abtreibung“ (Haag & Hanhart, 2016, S. 130) verwendet. Der Begriff „Abtreibung“ erweckt oftmals eine negative Assoziation, da er häufig von Mitgliedern der Lebensrechtsbewegung im Kampf gegen Abtreibungen verwendet wird. Die Frauenbewegung forderte den Begriff jedoch zurück und verwendet diesen bewusst im politischen und gesellschaftlichen Diskurs im Kampf für selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche (vgl. Doctors for Choice, 2020). In der folgenden Bachelorarbeit wird von den Begriffen „Abtreibung“, „(selbstbestimmter) Schwangerschaftsabbruch“ sowie „induzierter Abort“ Gebrauch gemacht. Dabei handelt es sich immer um vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft auf Wunsch einer Frau*, andernfalls wird explizit erwähnt, sollte die Abtreibung nicht selbstbestimmt sein.
Dazu muss erwähnt werden, dass grundsätzlich alle gebärfähigen Personen schwanger werden, und den Wunsch nach einer Abtreibung verspüren können. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch konkret Bezug auf Frauen* genommen, da diese hauptsächlich Gegenstand dieser Arbeit sind und es anderwärtig den vorgegebenen Rahmen sprengen würde. Frauen*, werden im Folgenden mit einem Gender-Sternchen gekennzeichnet, was darauf hinweisen sollte, dass damit alle Personen gemeint sind, welche sich selbst als Frau* definieren.
Zu Beginn erfolgt ein kurzer Blick in die Historie des Schwangerschaftsabbruches. In welcher Zeit genau erste Abtreibungen vorgenommen wurden, ist nicht bekannt. Es bestehen jedoch Schriften über Abtreibungsrezepturen, welche 1600 Jahre vor der Zeitmessung skizziert wurden. Es wird jedoch vermutet, dass auch in anderen Kulturen, aus denen es keine Aufzeichnungen gibt, Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt wurden. Abtreibungsverbote und Gegner*innen sowie Befürworter*innen von Abtreibungen stehen sich seit jeher gegenüber. Platon und Aristoteles begrüßten gewollte Abbrüche von Schwangerschaften, um ihren Erwartungen hinsichtlich optimaler Bevölkerungsdichte gerecht zu werden (vgl. Jütte, 1993, S. 27-30). Bei den Gesetzen zur Reproduktion ist historisch die hierarchische Trennung von Betroffenen und Gesetzgebenden auffällig. Die Gesetze bzgl. Abtreibungen wurden von Männern* festgelegt und definiert. Die untergeordnete Frau* hatte den juristischen Bedürfnissen der Männer* Folge zu leisten, da die drei Staatsgewalten, so wie wir sie heute kennen, die Exekutive, Legislative und Judikative, ausschließlich von Männern* besetzt wurden (vgl. Nagl-Docekal, 1990, S. 11). Im 8. Jahrhundert wurde der Fötus unter Gottes Schutz gestellt, dadurch ergab sich ein Abtreibungsverbot aus christlicher Hand. Die katholische Kirche machte sich eine Tageszählung ab der Befruchtung zunutze, um zu definieren, ab wann eine Abtreibung als Mord gilt. Diese Ansichtsweise war für die darauffolgenden Jahrze hnte in Hinblick auf die „Fristenlösung“ (Jerouschek, 1993, S. 47) sehr bedeutsam. Im 18. Jahrhundert änderte sich der Grundgedanke des Abtreibungsverbotes, welches sich jedoch an sich nicht sehr veränderte. Der Frau* galt es, die Aufgaben der Erzeugung sowie die Bewahrung des Volkes zu erfüllen (vgl. Jerouschek, 1988, S. 231). 1852 wurde das neue Strafgesetzbuch des Kaisertums Österreich für gültig erklärt. Diese Gesetze bzgl. Schwangerschaftsabbruch blieben bis 1974 erhalten, mit Ausnahme der Zeit des Nationalsozialismus (1938 - 1945) aufrecht (vgl. Grießler, 2006, S. 15). In den Paragraphen 144 bis 148 des Strafgesetzes 1852 wurde festgehalten, dass jeglicher Schwangerschaftsabbruch als Delikt geahndet und mit „Kerker“ (St.G. § 145 1852) sanktioniert wird (vgl. St.G. §§ 144-148). Eine Ausnahme bot die Möglichkeit, sich auf den § 2 des Strafgesetzes zu berufen. Dieser ermöglichte eine Freistellung der Strafe, „[.] wenn die That durch unwiderstehlichen Zwang, oder in Ausübung gerechter Nothwehr erfolgte“ (St.G. § 2 (g), 1852). 1937 wurde ein neues Gesetz erlassen, das eine Abtreibung legalisierte. Eine solche war nun möglich, wenn die*der Ärzt*in davon ausging, dass die Frau* die Schwangerschaft nicht überleben kann. Diese Option implizierte aber ein sehr aufwendiges Verfahren, was dazu führte, dass dieses Gesetz nicht wiederaufgenommen wurde (vgl. StGB § 5, 1937).
Unter der Führung Adolf Hitlers nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 veränderten sich die Gesetze u. a. in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch (vgl. Mesner, 1994, S. 26). Hitler zielte darauf ab, den ,Volkskörper reinzuhalten sowie zu verbessern‘. Zur Erhaltung der Reinheit konnten demnach nur jene Menschen Kinder gebären, welche selbst keine Makel in Bezug auf Gesundheit und Erbgut aufwiesen. Jenen, die hinsichtlich dessen vorbelastet waren, wurde Zeugungsunfähigkeit attestiert, was in weiterer Folge auch in der Praxis vollzogen wurde (vgl. Bock, 2010, S. 20-21). Menschen, deren Erbgut sich mit den Wunschvorstellungen Hitlers deckten, wurden dazu angehalten, sich zu vermehren; dies führte dazu, dass eine Abtreibung nicht mehr im eigentlichen Sinne verboten war, sondern vielmehr staatlich instrumentalisiert wurde (vgl. Bock, 2010, S. 169). Dies bedeutete jedoch nicht, dass es hierfür ausschließlich das Einverständnis der Frau* benötigte - vielmehr lag die Entscheidungsmacht beim Staat. Vorschriftsmäßig brauchte es zwar die Einwilligung der Betroffenen, jedoch konnte die Ärzteschaft letztendlich eigenmächtig entscheiden, ob eine Abtreibung notwendig war. Dies hing u. a. eng mit Faktoren hinsichtlich Erbkrankheiten und Rassentrennung zusammen (vgl. Bock, 2010, S. 486-487).
1945 wurden viele Rechtsbestimmungen des Nationalsozialismus aufgehoben und/oder durch die davor geltenden Strafbestimmungen von 1852 ersetzt. Davon ausgenommen war, wie bereits erwähnt, der fünfte Paragraph des Strafgesetzbuches 1937, was zu einer großen Rechtsunsicherheit führte. Aus diesem Grund wurde versucht, dieser Unsicherheit mit einem Erlass aus dem Jahr 1946 entgegenzuwirken. Dieser sieht vor, eine Abtreibung nicht strafrechtlich zu verfolgen, wenn durch den Eingriff das Leben der Schwangeren* gerettet oder dauerhafte gesundheitliche Schäden verhindert würden und die Abtreibung in einer Krankenanstalt durchgeführt würde (vgl. Mesner, 1994, S. 34-35). Reformversuche waren schon in der ersten Republik immer wieder zentral; jedoch blieben diese meist ohne Erfolg. Erst 1975 ereignete sich eine große Reform in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche innerhalb Österreichs. Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA begannen Frauen* sich zusammenzuschließen und für ihre Rechte einzustehen. Das Thema der Abtreibung entwickelte sich zu einem öffentlichen Diskurs und wurde auch von der Politik gehört (vgl. Mesner, 1994, S. 175-179). Die SPÖ war ein wichtiger Drahtzieher in Hinblick auf die Einführung der Fristenlösung. Die SPÖ setzte, trotz Gegenwind der ÖVP und der katholischen Kirche, bei der Reform des Strafrechts die Fristenlösung durch (vgl. Grießler, 2006, S. 8). Diese Fristenlösung ermöglicht es Frauen*, deren Schwangerschaft innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate legal abzubrechen (vgl. StGB § 96, 2016). Im Vergleich zum Strafgesetz 1852 wurden die rechtlichen Sanktionen einer Abtreibung durch das reformierte Strafgesetzbuch minimiert. Dazu findet sich zusätzlich zur Fristenlösung auch eine Indikationsregelung, die einen legalen Schwangerschaftsabbruch „[.] bei medizinischer, eugenischer und ethischer Indikation [.]“ (Grießler, 2006, S. 15) ermöglicht. 2015 wurden die Paragraphen 96 und 97 nur erweitert. Unter anderem wurden Freiheitsstrafen durch Geldstrafen (Tagessätze) ersetzt. Grundsätzlich ist die Gültigkeit der Gesetze 2021 dieselbe wie 1975 (vgl. StGB §§ 96, 97, 2016) (vgl. StGB § 98, 1975). Der historische Rückblick in Bezug auf Abtreibungen zeigt auf, dass die Gesetze hierfür in einem stetigen Wandel standen und mit Rechtsunsicherheiten verknüpft waren. Im Folgenden wird die aktuelle österreichische Rechtslage ausführlich dargelegt.
Im Jahr 1975 wurde die Fristenlösung in Österreich eingeführt (vgl. Domoradzki & Keszleri, 2014, S. 215). Diese besagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch nach Wunsch der Frau* innerhalb einer bestimmten Zeitspanne straffrei möglich ist (vgl. Achtelik, 2015, S. 199). Diese Zeitspanne beträgt nach österreichischem Gesetz drei Monate (vgl. StGB § 97, 2016). Hierbei wird davon ausgegangen, dass eine Schwangerschaft mit der Befruchtung beginnt und nicht mit dem ersten Tag der letzten Monatsblutung (vgl. BMSGPK, 2020a). Zudem muss ein Beratungsgespräch mit einem*r Ärzt*in sattgefunden haben (vgl. StGB § 97, 2016). Es gibt allerdings Ausnahmen, welche eine Abtreibung nach dieser dreimonatigen Frist ermöglichen:
- wenn das psychische oder somatische Wohlbefinden der werdenden Mutter gefährdet ist,
- wenn das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Behinderung hat,
- wenn die Schwangere zum Zeitpunkt der Empfängnis noch nicht als mündig galt (vgl. BMSGPK, 2020a).
Relevanter Inhalt in der Rechtsmaterie zum Thema Abtreibung zeigt sich in den Paragraphen 96, 97 und 98 im Strafgesetzbuch. Im Folgenden werden einige Passagen der Gesetze angeführt und anschließend erklärt.
Schwangerschaftsabbruch
StGB § 96
„(1) Wer mit Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abbricht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe [.] zu bestrafen.
(2) Ist der unmittelbare Täter kein Arzt, so ist er mit Freiheitsstrafe [.], hat sie den Tod der Schwangeren zur Folge, mit Freiheitsstrafe [.] zu bestrafen.
(3) Eine Frau, die den Abbruch ihrer Schwangerschaft selbst vornimmt oder durch einen anderen zuläßt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe [.] zu bestrafen.“ (StGB § 96, 2016).
Dieser Paragraph im Strafgesetzbuch zeigt auf, dass ein gewollter Schwangerschaftsabbruch in Österreich grundsätzlich als eine Straftat verstanden wird. Als rechtliche Sanktionen werden Freiheits- sowie Geldstrafen angeführt. Jedoch werden in den darauffolgenden Paragraphen Ausnahmen genannt, welche unter bestimmten Umständen eine Abtreibung legalisieren und diese strafffrei ermöglichen.
Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
StGB § 97
„(1) Die Tat ist nach § 96 nicht strafbar,
1. wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird; oder
2. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird; oder
3. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Rettung der Schwangeren aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr unter Umständen vorgenommen wird, unter denen ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist.
(2) Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen [...].
(3) Niemand darf wegen der Durchführung eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder der Mitwirkung daran oder wegen der Weigerung [.] in welcher Art immer benachteiligt werden.“ (StGB § 97, 2016) .
Dieses Gesetz erläutert, wann eine Abtreibung nicht strafrechtlich verfolgt wird. Wie bereits erwähnt, muss die dreimonatige Frist eingehalten und ein Beratungsgespräch stattgefunden haben. Außerdem darf der Eingriff nur von einer Ärztin* oder einem Arzt* durchgeführt werden. Dazu kommt, dass ein induzierter Abort bis zum Einsetzen der Wehen möglich ist, wenn der Schwangeren* ernste Gefahr droht, welche nicht anders abgewehrt werden kann oder wenn der Fötus mit Wahrscheinlichkeit eine Störung (körperlich/geistig) hat (vgl. StGB § 97, 2016). Welchen Schweregrad diese Störung für eine Abreibung aufweisen muss und inwieweit eine Gefahr für die Schwangere* bestehen muss, wird grundsätzlich von den behandelnden Ärzt*innen festgestellt. In einigen Fällen werden fachspezifische Kolleg*innen für die Entscheidung herangezogen (vgl. PGA, 2011, S. 228). Ein Abbruch ist auch während der gesamten Schwangerschaft straffrei, wenn die Betroffene* zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsbeginns noch nicht mündig war. Explizit festgelegt wird auch, dass kein*e Ärzt*in verpflichtet ist, eine Schwangerschaft abzubrechen, es sei denn, ein Abbruch ist zwingend notwendig, um das Leben der Schwangeren* zu retten oder eine drohende Gefahr abzuwenden. Sollte ein Schwangerschaftsabbruch unter straffreien Gegebenheiten durchgeführt werden, dürfen all jene Beteiligten, welche daran teilnahmen, in keiner Weise benachteiligt werden. Dieses Diskriminierungsverbot gilt auch für jene Personen, welche sich weigern, einen Abbruch durchzuführen oder sich weigern, daran mitzuwirken (vgl. StGB § 97, 2016).
Der letzte relevante Paragraph im österreichischen Strafgesetzbuch bezieht sich auf ein Szenario, in dem die Schwangere* mit dem Abbruch nicht einverstanden ist. Die rechtliche Konsequenz ist eine Freiheitsstrafe, wobei das Ausmaß davon abhängt, ob bei der vorgenommenen Abtreibung die Schwangere* auch an dem Eingriff verstirbt. Von der Strafe ausgenommen ist, wenn die Notwendigkeit für den Schwangerschaftsabbruch bestand, um der Schwangeren* das Leben zu retten oder eine ernste Gefahr abzuwenden (vgl. StGB § 98, 1975).
Schwangerschaftsabbruch ohne Einwilligung der Schwangeren
§ 98 StGB
„(1) Wer ohne Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abbricht, ist mit Freiheitsstrafe [...] zu bestrafen.
(2) Der Täter ist nach Abs.1 nicht zu bestrafen, wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Rettung der Schwangeren aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr unter Umständen vorgenommen wird, unter denen die Einwilligung der Schwangeren nicht rechtzeitig zu erlangen ist.“ (StGB § 98, 1975) .
Abschließend zu diesem Kapitel wird ergänzend auf die neue Regelung hinsichtlich des Abtreibungsmedikaments „Mifegyne“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 406) Bezug genommen. Laut der Ärztekammer Wien besteht seit Sommer 2020 die Möglichkeit, dass das Medikament Mifegyne, mit welchem eine Schwangerschaft abgebrochen werden kann, auch bei niedergelassenen Gynäkolog*innen erhältlich ist. Bis dato durfte dies nur in Krankenanstalten und Ambulatorien ausgegeben werden. Durch diese Zulassung der Änderung durch das Bundesamt für Sicherheit und Gesundheitswesen besteht eine erweiterte Zugangsmöglichkeit für Frauen*, welche eine Abtreibung wollen (bspw. hinsichtlich demographischer Aspekte) (vgl. Ärztekammer für Wien, 2020). Diese Abtreibungsmethode leitet zum nächsten Kapitel über, in welchem beschrieben wird, welche medizinischen Möglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche bestehen und welche Methoden in Österreich Anwendung finden.
Hinsichtlich der Methoden, die einen vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch ermöglichen, unterscheidet die Medizin grundsätzlich zwischen zwei Varianten: Entweder kann ein Schwangerschaftsabbruch medikamentös oder operativ durchgeführt werden. In manchen Fällen werden situationsabhängig beide Methoden kombiniert. Welche Variante am zielführendsten ist, wird anhand bestimmter Merkmale, wie etwa in welcher Schwangerschaftswoche sich die Frau* befindet und welche Erfahrungen die*der Ärzt*in diesbezüglich hat, eruiert (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 405). Vorab sollte geklärt werden, dass „Nidationshemmer“, umgangssprachlich auch als „Pille danach“ (Haag & Hanhart, 2016, S. 131) bezeichnet, nicht als Abtreibungsmethode gelten, da durch das Einnehmen des rezeptfreien Medikaments das Entstehen einer Schwangerschaft verhindert wird und somit keine Schwangerschaft abgebrochen wird (vgl. BMSGPK, 2020a).
Um Missverständnisse auszuräumen, wird in diesem Kapitel das Alter der Schwangerschaft „post menstruationem“ (der erste Tag nach der letzten Monatsblutung) (Knabl et al., 2013, S. 440) bestimmt, da diese Berechnung in der Medizin gängig ist. Die andere Möglichkeit die Schwangerschaftswoche zu bestimmen, wäre „post conceptionem“ (Knabl et al., 2013, S. 440), welche von dem Moment ausgeht, in dem die Eizelle befruchtet wird. Ein Beispiel zum Verständnis: Die 12. Schwangerschaftswoche post menstruationem entspricht etwa der 10. Schwangerschaftswoche post conceptionem (vgl. Knabl et al., 2013, S. 440). Dazu kommt, dass aus rechtswissenschaftlicher Sicht eine Schwangerschaft erst mit der Einnistung des Embryos1 in die Gebärmutter beginnt (vgl. BMSGPK, 2020a).
Eine Schwangerschaft kann mit Hilfe von Medikamenten innerhalb der ersten neun Schwangerschaftswochen post menstruationem abgebrochen werden (vgl. BMSGPK, 2020a). Bei dieser Methode kommt das Medikament „Mifepriston“ (Mifegyne) in Kombination mit „Misoprostol“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 406) zur Anwendung. Diese Methode ist in Österreich seit 1999 zugelassen und verursacht mit 98%iger Wahrscheinlichkeit einen induzierten Abort. Vor der Einnahme der Präparate muss die Patientin*, welche ihre Schwangerschaft abbrechen will, untersucht werden. Im Anschluss erfolgt die Verabreichung des Mifepristons, da dies das Schwangerschaftshormon hemmt und dadurch weitere Fortschritte im Schwangerschaftsprozess verhindert werden. Ungefähr 48 Stunden später wird das Misoprostol eingenommen, was zu einer Ausstoßung des „Fruchtsackes“ (Wolf, o. J., S. 5) führt. Unabdingbar bei dieser Methode ist der Kontrolltermin, welcher ein paar Tage später stattfindet. Die medikamentöse Abtreibung hat keine absolute Erfolgsgarantie, auch wenn bei der Frau* eine Blutung vorkommt. Sollte die geringe Wahrscheinlichkeit eingetreten sein, dass der Abbruch nicht erfolgreich war, muss zudem ein operativer Eingriff durchgeführt werden, welcher im nächsten Abschnitt näher erklärt wird (vgl. Wolf, o. J., S. 2). Ein medikamentöser Abbruch ist nicht möglich, wenn das Medikament Mifepriston nicht verabreicht werden kann; unter anderem, wenn sich bei der Patientin* die befruchtete Eizelle außerhalb der Gebärmutterhöhle eingenistet hat, die Nebennierenrinde nicht ausreichend funktioniert oder wenn die Patientin* an Bronchialasthma leidet (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 406).
Operativ kann eine Schwangerschaft durch eine „Saugkürettage“ oder durch eine „Kürettage“ (Haag & Hanhart, 2016, S. 131) abgebrochen werden. Bei diesem operativen Eingriff wird entweder eine „Periduralanästhesie“ (PDA) oder eine „Vollknarkose“ (Haag & Hanhart, 2016, S. 131) angewendet.
Die Saugkürettage, auch „Absaugung“ oder „Vakuumaspiration“ (BMSGPK, 2020a) genannt, kann innerhalb der ersten 14 Schwangerschaftswochen post menstruationem durchgeführt werden. Dabei wird der Gebärmutterhalskanal gedehnt und anschließend erfolgt mit Hilfe eines medizinischen Instrumentes eine „Absaugung des Schwangerschaftsprodukts“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 406) .
Unter Kürettage wird eine „operative Ausschabung“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 406) der Gebärmutter verstanden. Ähnlich wie bei der Saugkürettage wird der Gebärmutterhalskanal gedehnt. Darauf folgt die Ausschabung des Schwangerschaftsproduktes mit einer „Abortzange“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 406). Im Gegensatz zu früher, wo diese Variante sehr häufig verwendet wurde, wird diese gegenwärtig nur in Kombination mit anderen Schwangerschaftsabbruchmethoden empfohlen. Hauptsächlich wird eine Kürettage nur dann durchgeführt, wenn noch Reste von der Schwangerschaft nach einem Abbruch (bspw. nach einer Vakuumaspiration) im Uterus verblieben sind (BMSGPK, 2020a).
Mit Hilfe von „Prostaglandine“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 406) können Wehen ausgelöst werden, wodurch eine Schwangerschaft frühzeitig abgebrochen werden kann. Diese Methode wird vor allem bei induzierten Aborten nach der 12. Schwangerschaftswoche verwendet (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 406). Gesetzlich erlaubt ist dies nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zum Beispiel wenn bei dem ungeborenen Kind eine Krankheit oder Störung festgestellt wird und sich die Frau* nicht in der Lage sieht, diesem Kind ein angemessenes Leben zu ermöglichen. Ein Spätabbruch wird auch durchgeführt, wenn das Leben der Frau* in Gefahr ist oder diese einen körperlichen oder psychischen Schaden durch die Geburt erleiden könnte und dies durch einen Abbruch verhindert werden kann. Eine weitere Möglichkeit, eine fortgeschrittene Schwangerschaft zu beenden, wäre ein „Fetozid“ (BMSGPK, 2020a). Hierbei wird der Tod des Fötus mit einer Einspritzung herbeigeführt und anschließend mit Hilfe von Medikamenten die Geburt eingeleitet (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 404-405). Diese Methode wird vor allem dann angewendet, wenn der Fötus bereits lebensfähig wäre. Dadurch wird verhindert, dass der Fötus lebendig zur Welt kommt, da die Medizin dann wiederum verpflichtet wäre, diesen zu retten und am Leben zu halten (vgl. PGA, 2011, S. 228).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass medikamentös oder operativ herbeigeführte Abbrüche das gleiche Ziel haben, nämlich die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden. Laut DDr. Christian Fiala bilden die Schwangerschaftswoche und die Erfahrungen der Ärzt*innen wichtige Einflussfaktoren bei der Entscheidung über die mögliche Methode. Jedoch ist es auch erforderlich, die Frau* in die Methodenentscheidung miteinzubeziehen, wodurch der Wunsch der Betroffenen* ebenso einen bedeutenden Einflussfaktor bildet. Potentielle Risiken sollten gemeinsam mit der Frau* besprochen werden. Mögliche Folgen, welche die Psyche oder den Körper betreffen könnten, werden im anschließenden Kapitel behandelt.
Aufbauend auf die medizinischen Möglichkeiten einer Abtreibung werden nun deren Folgen behandelt. Die möglichen Folgeerscheinungen eines Schwangerschaftsabbruches werden für einen guten Überblick unterteilt in jene, welche sich rein auf den Körper beziehen und jene, die die Psyche betreffen.
Mögliche Komplikationen stehen immer in Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsalter sowie mit der Praktik des Schwangerschaftsabbruchs. Medizinisch lässt sich festhalten, dass mit steigendem Schwangerschaftsalter die Risikowahrscheinlichkeit physischer Folgen erheblich ansteigt. Zweifellos lässt sich auch sagen, dass die Gefahrenquote bei illegalen Abtreibungen, welche viele Frauen* aufgrund der aktuellen Gesetzeslage (auch international betrachtet) durchführen lassen, enorm hoch ist (vgl. Rocca et al., 2020, S. 18). In der Medizin werden die Folgen und Komplikationen nach dem Zeitpunkt, zu dem diese auftreten, unterteilt in „Sofort-, Früh- Spätkomplikationen“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 407).
Sofortkomplikationen:
Diese betreffen jene Komplikationen, welche direkt mit dem Eingriff in Zusammenhang stehen. Beispielsweise besteht die Gefahr, dass der Gebärmutterhals einreißt, wenn dieser bei der Saugkürettage oder Kürettage gedehnt wird. Ferner kann der After oder die Bauchhöhle verletzt werden. Abgesehen von den Gefahren, welche durch instrumentelle Eingriffe entstehen können, sind auch mögliche Begleiterscheinungen der Prostaglandine sowie der Narkose zu beachten (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 407).
Frühkomplikationen:
Innerhalb der ersten Tage nach einem operativen Eingriff kann es zu stärkeren Blutungen kommen. Zudem kann unter anderem eine Entzündung der Gebärmutter sowie der Eileiter entstehen (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 407).
Spätkomplikationen:
Probleme, welche eine Zeit lang nach dem Abbruch auftreten können, sind z. B. wiederkehrende Schmerzen im Unterleib. Es können auch Komplikationen bei der Nachgeburt auftreten, wie etwa, dass sich die Plazenta nach dem Abort nicht löst. Die Medizin zählt zu Spätkomplikationen auch die seelischen Folgen, auf welche im nächsten Kapitel näher eingegangen wird (vgl. Kästner & Stauber, 2013, S. 407-408).
Die seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruches können sehr vielseitig sein. Häufig wird darauf hingewiesen, dass Frauen*, welche ihre Schwangerschaft vorzeitig beendet haben, psychische Krankheiten erleiden können. Auch in medizinisch fundierter Literatur wird auf die psychischen Folgen hingewiesen. In Lehrbüchern der Gynäkologie wird jedoch meist nur sehr summarisch darauf hingewiesen, dass psychische Leiden als Folgen einer Abtreibung gelten können. Diese psychischen Folgen können kurz- oder langfristig sein und sich auch im Schweregrad unterscheiden (vgl. Surbek, 2011, S. 191). Im Lehrbuch für „Gynäkologie und Geburtshilfe“ (Weyerstahl, Stauber 2013) werden die Folgen psychischer Natur ähnlich beschrieben. Durch eine Abtreibung würde der instinktive Wunsch nach Fortpflanzung zerstört, den jede Frau* anders erlebt. Dabei wird aber nicht explizit unterschieden, ob es eine selbstbestimmte Abtreibung ist oder ob der Abbruch aufgrund medizinischer Notwendigkeit durchgeführt wurde. Depressionen und Trauer gelten sehr oft als typische Folgen eines Schwangerschaftsabbruches, welche aber immer mit dem Zeitpunkt, wann diese abgebrochen wurde, in Zusammenhang stehen (Kästner & Stauber, 2013, S. 407-408) . Im Folgenden werden einige psychische Krankheitsbilder beschrieben, welche wiederholt in Fachliteratur als häufig auftretende psychische Folgen eines Schwangerschaftsabbruches beschrieben werden. Dazu werden Studien vorgestellt, in denen diese Thematik im Detail aufgegriffen wird.
Eine „Depression“ ist eine der verbreitetsten psychischen Krankheiten und zählt zu den „affektiven Störungen“ (Haag, 2017, S. 69). Zur Entstehung einer Depression tragen mehrere Faktoren bei, wie die Genetik, vergangene und gegenwärtige Traumata sowie Überforderung und -belastung (vgl. Haag, 2017, S. 72). Bei dieser Erkrankung spielt die „Vulnerabilität“ (Haag, 2017, S. 73), welche die Verwundbarkeit eines Menschen beschreibt, eine tragende Rolle. Eine erhöhte Vulnerabilität steigert die Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs einer Depression, bspw. durch den Verlust eines Menschen (vgl. Haag, 2017, S. 73-74). In Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche kann die gesamte Situation, in welcher sich die Frau* befindet, die Vulnerabilität steigern, da dies als eine sehr belastende Zeit verstanden werden kann. Dazu kommt, dass die Abtreibung die Folge eines Verlustes nach sich ziehen kann, was, wie bereits erwähnt, eine Depression verursachen kann (vgl. Hoffmann, 2013, S. 54-55). Der Begriff „Schuldgefühle“ (Kästner & Stauber, 2013, S. 407) in Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen kommt des Öfteren in medizinischer Literatur vor. Nach der ICD-10 Codierung2 werden bei den Symptomen einer Depression auch Schuldgefühle aufgelistet; „Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor“ (BMSGPK, 2020b, S. 215).
Bei einer „Angststörung“ (Mantel, 2017, S. 96) gilt es vorab die Angst an sich zu definieren, welche als natürliche Reaktion auf Stress gilt. Pathologisch wird diese Angst, wenn der verursachte Stress außerordentlich schwer ist oder von langer Dauer ist. Ferner gilt Angst als Störung, wenn diese auch bei Abwesenheit entsprechender Stressoren gegenwärtig ist. Ursachen einer Angststörung sind multifaktoriell, die Umgebung und die Umwelt spielen neben der Genetik eine wichtige Rolle. Dazu kommt die „Resilienz“ (Mantel, 2017, S. 96) der betroffenen Person und welche Angstbewältigungsstrategien erlernt wurden (vgl. Mantel, 2017, S. 93-99). Eine Abtreibung kann eine außerordentliche Stresssituation bewirken, wodurch die Erkrankung an einer Angststörung als möglich erscheint (vgl. Hoffmann, 2013, S. 56).
Eine PTBS steht immer mit einem Auslösungsfaktor, der in diesem Fall ein erlebtes Traumata ist, im Zusammenhang (vgl. Schneider et al., 2020, S. 484-485) . Diese Störung gilt als eine nachträgliche Konsequenz auf ein Erlebnis oder Geschehen, welches als sehr negativ wahrgenommen wurde. Häufige Symptome sind u. a. das stetige Wiedererleben des traumatischen Ereignisses, Ohnmachtsgefühle und soziale Isolierung. Nicht selten ist ein Suizid die Folge einer Krise, welche im Zusammenhang mit einer psychischen Erkrankung, darunter auch PTBS, steht (vgl. BMSGPK, 2020b, S. 220). Da ein Schwangerschaftsabbruch als traumatisches Erlebnis definiert werden kann, besteht die Möglichkeit der Erkrankung an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (vgl. Hoffmann, 2013, S. 59-60). Die Annahme, dass ein Großteil der Frauen* nach einem Schwangerschaftsabbruch an einer PTBS erkranken würden, wurde von mehreren Studien widerlegt; darunter in einer Langzeituntersuchung aus den USA, in der der Forschungsfokus darauf abzielte, herauszufinden, ob eine Posttraumatische Belastungsstörung oder die Symptomatik dieser Störung aufgrund eines induzierten Abortes auftreten . Das Ergebnis zeigte auf, dass Belastungsstörungen oder Symptome dieser Erkrankungen, an welchen einige Frauen* kurz nach den Eingriff litten, auf frühere Traumata wie bspw. Gewalterfahrungen zurückzuführen sind (vgl. Biggs et al., 2016, S. 1-2).
Unter „Post Abort Syndrom“ (Pokropp-Hippen, 2019) wird nach Dr.in med. Porkopp-Hippen eine psychische Störung, welche im Zusammenhang mit einem Schwangerschaftsabbruch steht, verstanden. Dieses Syndrom gilt demnach als eine Abweichung der Posttraumatischen Belastungsstörung. Die Symptome beider Erkrankungen sind sehr ähnlich (vgl. Pokropp-Hippen, 2019). Jedoch gibt es zum Post Abort Syndrom keine ICD-10 Codierung, wodurch es nicht als offizielle Erkrankung anerkannt wird (vgl. BMSGPK, 2020b). In einem Interview im Der Standard stellt die Psychologin Petra Schweiger fest, dass dieses Post Abort Syndrom ein Konstrukt von Personen sei, welche sich als Gegner*innen von Schwangerschaftsabbrüchen positionieren (vgl. Hausbichler, 2008).
Ferner wurde im Jahr 1993 eine gezielte Untersuchung zu den psychischen Folgen in Hamburg durchgeführt. Die Studie beruht auf 35 Befragungen von Frauen*, welche ihre Schwangerschaft abgebrochen haben. Bei allen interviewten Personen wurde vor Erreichen der elften Woche mit Hilfe der Saugkürettage Schwangerschaftsabbrüche in einer medizinischen Einrichtung durchgeführt. Das Ergebnis hat einige Annahmen der Öffentlichkeit widerlegt. Laut dieser Studie ist es als Mythos anzusehen, dass fast alle Frauen* nach einer Abtreibung an schweren Depressionen, Posttraumatischen Belastungsstörungen, enormer Trauer oder Ähnlichem leiden würden. Die Studie widerlegt diese Annahme, da nur ein Fünftel der Frauen*, welche die Schwangerschaft abgebrochen haben, an psychischen Beeinträchtigungen leiden. Großteils sind diese Folgen temporär und nicht langfristig. Die befragten Frauen* berichten vielmehr von einem Gefühl der Befreiung, nachdem die Abtreibung abgeschlossen war (vgl. Knopf et al., 2015, S. 13-15).
Eine Studie aus den USA belegt Ähnliches. In dieser wurden 956 Frauen*, welche in 30 verschiedenen Einrichtungen eine Abtreibung durchlaufen haben, fünf Jahre lang halbjährlich telefonisch interviewt. Diese Interviews wurden im Jänner 2016 abgeschlossen. Daraus geht hervor, dass eine kurze Zeit nach der Abtreibung mehr als die Hälfte der Interviewten positive Gefühle erlebten und nur 17% der Befragten rein negative Emotionen empfanden. Fünf Jahre nach dem Eingriff hat ein Großteil der Frauen* entweder eine sehr positive Haltung oder empfand keinerlei Gefühle mehr in Hinblick auf die Abtreibung. Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Studie ist, dass das Gefühl der Befreiung jenes ist, welches am häufigsten empfunden wurde. Laut dieser Studie besteht eine Gefahr für temporäre schlechte Gefühle hauptsächlich, wenn diese durch Stigmatisierungen von der Gesellschaft ausgehend beeinflusst werden. Die Annahmen, dass ein Schwangerschaftsabbruch mit immanentem Stress verbunden sei und zwingend negative Emotionen wie Reue oder Bedauern verursacht würden, wurden widerlegt. Emotionen, positiver, aber auch negativer Natur verflachten bei fast allen Frauen* in den ersten Jahren, jedoch verblieb das Gefühl der Erleichterung und dass die Entscheidung richtig war. Die Schlussfolgerung der Studie weist darauf hin, dass die Gefühle nach einer Abtreibung mit persönlichen und sozialen Begebenheiten verknüpft sind und nicht nur im Zusammenhang mit dem induzierten Abort stehen (vgl. Rocca et al., 2020, S. 1-8).
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1 Als „Embryo“ wird die befruchtete „Eizelle“ (Achtelik, 2015, S. 199) bis zur elften Schwangerschaftswoche bezeichnet.
2 Die ICD-10 Codierung stellt ein internationales Klassifikationssystem von psychischen Störungen dar (vgl. BMSGPK, 2020b).