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Bachelorarbeit, 2021
46 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Beratung
2.1 Alltagsberatung und professionelle Beratung
2.2 Sozialpädagogik und Beratung
2.3 Personenzentrierte Beratung
2.3.1 Grundannahmen
2.3.2 Der Stellenwert der Autonomie
3 Zwangskontexte
3.1 Beratung im strafrechtlichen Kontext
3.1.1 Strafvollzug
3.1.2 Bewährungshilfe
3.2 Jobcenter
3.3 Schwangerschaftskonfliktberatung
4 Rechtfertigung einer Beratung im Zwangskontext
5 Vorgehensweisen
5.1 Auftrags- und Rollenklärung
5.2 Förderung pro-sozialer Verhaltensweisen
5.3 Motivorientierte Beziehungsgestaltung
5.4 Widerstand und Reaktanz
5.4.1 Grundhaltungen
5.4.2 Strategien
5.5 Problembearbeitung
6 Schluss
Literaturverzeichnis
Abbildung 1 - Formalisierungsgrade von Beratung
Abbildung 2 - Auftragsdreieck im Zwangskontext (vgl. Conen 2001, S.82)
Abbildung 3 - Grundhaltungen zu Reaktanz
Abbildung 4 – Reihenfolge Problemlösungsprozess
Abbildung 5 - Task Implementation Sequence
„Freiheit ist der Zweck des Zwanges.“ (Gumpinger 2001, S. 11) So zitiert Marianne Gumpinger Johann Wolfgang von Goethe, welcher damit eine kurze Antwort auf eine große Frage professioneller Hilfeberufe bietet. Denn er legitimiert mit der Entstehung von Freiheit die Anwendung von Zwang und hat damit bereits die Auseinandersetzung mit einem Thema begonnen, welches für Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen immer wieder relevant ist.
Helfende Berufe und Beratung in Zwangskontexten haben ein Nischendasein. In der Ausbildung junger Sozialarbeiter*innen befasst man sich kaum mit Berufsfeldern, in den Beratene mit Sanktionen rechnen müssen und Beratende diese aussprechen oder anregen dürfen (vgl. Zobrist und Kähler 2017, S. 15). Die Folge ist der Anspruch an ein Klientel, dass zumindest die Eigenmotivation aufbringt Hilfe zu suchen und deswegen auch annahmebereiter für eben diese ist (vgl. Conen 2007, S. 71f.). Aus diesem Grund sehen viele Fachkräfte in der Arbeit im Zwangskontext eine Diskrepanz zwischen ihrem eigenen beruflichen Selbstverständnis und dem vorgegebenen Auftrag der übergreifenden Institution (vgl. ebd.). Denn Zwang beschneidet Gesprächsteilnehmende in ihren Freiheiten und schränkt Autonomie und Selbstständigkeit ein. Moderne Beratungsfelder bauen jedoch gerade auf diesen Annahmen auf. Entstanden aus der nicht-direktiven bzw. personenzentrierten Beratung von Rogers wird im Hilfeprozess heutzutage explizit auf die Wahrung von Autonomie, ein einfühlsames Vorgehen und eine wohlwollende Beratungsbeziehung geachtet (vgl. Nestmann und Sickendiek 2018, S. 112). Zwangskontexte wie die Bewährungshilfe existieren jedoch weiterhin. Rogers selbst behandelt diese in seinem Buch „die nicht-direktive Beratung“ und urteilt zunächst, dass Autorität und Beratung nicht miteinander vereinbar sind (vgl. Rogers 1991, S. 103).
Dennoch findet sich unterschiedliche Literatur zur Effektivität und zu Vorgehensweisen in einer erzwungenen Beratung. Die separate theoretische Fundierung für die Arbeit im Zwangskontext ist dabei so wichtig, da die besonderen Dynamiken in diesem Kontext nicht erlauben, Methoden aus der „freiwilligen“ Beratung zu übertragen. Es muss neu eruiert werden, ob Vorgehensweisen weiterhin wirkungsvoll sind oder verworfen werden müssen, um neuen, auf den Zwangskontext zugeschnittenen Methoden Platz zu machen. In nationaler und internationaler Literatur bieten Autoren wie Zobrist und Kähler (2017), Trotter (2001), Rooney (1992) und Conen (2007) erforschte Ansätze zu einer Beratung im Zwangskontext. Viele davon berücksichtigen Rogers Beziehungsverständnis und sehen somit keinen Konflikt zwischen Zwang und Hilfe. Vor diesen Hintergründen werden in dieser Untersuchung zwei Thematiken behandelt, welche in folgender Forschungsfrage zusammengefasst werden:
„Wie rechtfertigt sich eine Beratung im Zwangskontext trotz Einschränkung der Autonomie und wie kann Beratung in diesem Umfeld zielführend gestaltet werden?“
Dabei wird auf die philosophische Diskussion über die Definition von Autonomie und die Einordnung als Willkür- oder Gewissensfreiheit verzichtet (vgl. Kettner 1998, S. 11). Autonomie dient als ein Überbegriff für Merkmale wie Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, Freiheit usw. Eben solche, welche nach einem personenzentrierten Verständnis zu wahren sind und in einem gezwungenen Beratungsgespräch beschnitten werden.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird zunächst grundlegend auf den Begriff der Beratung eingegangen. Ausgangsliteratur hierfür sind die themenspezifischen Unterkapitel des „Handbuch Soziale Arbeit“ von Otto und Thiersch (2018) sowie des „Handbuch Beratung“ von Nestmann, Engel, Sickendieck (2014). Hieraus ergab sich weiterführende Literatur, welche auch zur Beschreibung sozialpädagogischer Beratung verwendet wird. Für die anschließende nähere Betrachtung der personenzentrierten Beratung werden Carl Rogers (1991, 1983) Veröffentlichungen hinzugezogen, da diese einen tieferen Einblick in das vorhandene Verständnis von Autonomie und Autorität in diesem Ansatz ermöglichen. Darauffolgend werden einige Arbeitsbereiche des Zwangskontextes und deren inhärentes Beratungsverständnis vorgestellt sowie die Legitimation einer erzwungenen Beratung diskutiert. Zuletzt werden einige Ansätze zu Vorgehensweisen veranschaulicht. Grundlage hierfür ist Rainer Göcklers (2013) Kapitel zu Beratung und Zwang im Handbuch der Beratung, welcher auf Zobrist und Kähler (2017) und die übrigen genannten Autoren zu Beratung im Zwangskontext verweist.
Der Begriff Beratung ist in der deutschen Sprache geläufig. In vielen Fällen wird unter ihm das Geben eines Ratschlags in Erziehungsfragen oder Lebensentscheidung verstanden (vgl. Belardi et al. 2011, S. 39). Durch die zunehmende Komplexität vieler Bereiche des Lebens und den daraus angestiegenen Anforderungen einer Beratung reichen einfache Ratschläge jedoch häufig nicht mehr aus. Infolgedessen entwickelte sich eine Beratungswissenschaft mit einer eigenen Profession (vgl. Engel et al. 2014, S. 34).
Eine sehr frühe und im wissenschaftlichen Kontext häufig zitierte Definition der Beratung stammt von Hans Thiersch:
„Beraten ist als ein Handeln definiert, das auf die Änderung eines – wie auch immer verursachten – Zustandes der Hilfsbedürftigkeit, auf eine Krise gerichtet ist. Dieser Zustand soll mit dem Ziel geändert werden, die Hilfsbedürftigkeit zu beseitigen oder wenigstens zu reduzieren.“ (Thiersch et al. 1977, S. 101)
Beratung ist somit eine Hilfeform, welche durch kommunikative Mittel versucht, dem Ratsuchenden bei der Problembewältigung zu helfen. Jedoch ist Beratung nicht ausschließlich relevant für die Lösung akuter Probleme, sondern kann auch in Anspruch genommen werden, um die Entstehung von Konflikten zu vermeiden und die Folgen solcher besser zu verarbeiten (vgl. Nestmann und Sickendiek 2018, S. 110). Dieser Beratungsprozess muss sich dabei nicht nur auf zwei Personen beschränken, sondern kann ebenfalls mit Gruppen, Familien oder Organisationen stattfinden (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 13).
Zur genaueren Klärung des Beratungsbegriffes beschreibt Thiersch drei Merkmale, welche jede Beratungstätigkeit kennzeichnen (vgl. Thiersch et al. 1977, S. 101ff.):
(1) Die Art der Rollenbeziehung: Eine Beratungssituation ist immer von einer besonderen Rollenverteilung geprägt. Dabei befindet sich einer der Beteiligten in einem Zustand der Hilfsbedürftigkeit, welchen er beheben möchte. Dem anderen wird in der problemauslösenden Situation die nötige Problemlösekompetenz zugesprochen, weshalb er als „Mittel der Veränderung“ akzeptiert wird.
(2) Die Interaktionsform: Beratung vollzieht sich vor allem durch das Gespräch. Die Lösungsansätze für Schwierigkeiten werden im Dialog aufgeführt. Der Problemlösungsprozess ist geprägt von einem gegenseitigen Austausch. Zu beachten ist jedoch die Asymmetrie von der das Gespräch bestimmt ist. Denn alle Interaktionsinhalte beziehen sich auf die Krisenlage des Beratenen.
(3) Die Indikation: Beratung ist nur bei Problemen sinnvoll, die „ein mittleres Maß nicht überschreiten“ (ebd., S. 102). Sie ist also lediglich tragbar, sofern der Ratsuchende noch in der Lage ist die Lösungsansätze in die Tat umzusetzen. Beratung sei somit die Vorstufe zu Behandlung oder Therapie.
In neuerer Literatur wird sich dem dritten Merkmal jedoch kritisch gegenübergestellt. Frank Nestmann weist daraufhin, dass Beratung nicht nur die bloße Behandlung weniger intensiver Probleme sei (vgl. Nestmann und Sickendiek 2018, S. 112). Vielmehr sei Beratung zwar aus der Psychotherapie entstanden, zeige sich inzwischen aber als eigenständige Disziplin mit eigenen theoretischen Grundlagen. Einen besonderen Stellenwert in der Entstehung einer Beratungsprofession hat die personenzentrierte Psychotherapie bzw. Gesprächsführung. Ihre Beziehungsvariablen bilden bis heute eine Basis für nahezu alle Beratungsausbildungen (vgl. ebd.).
„Alltagsberatung ist zentrales Moment jeder Kommunikation“ (Thiersch 2014, S. 116). Sie findet in alltäglichen Kontexten statt und geschieht durch den gemeinsamen Austausch von Erfahrungen, Schwierigkeiten und Problemen zwischen Freunden, Familienmitgliedern, Nachbarn, Arbeitskolleg*innen, aber auch wildfremden Personen (vgl. Nestmann 2014, S. 548). Der Ratgebende unterstützt dabei hauptsächlich auf Basis eigener Lebenserfahrungen und Wissenswerten (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 22). Gleichzeitig werden neue Sichtweisen und Ansätze zur Lösung des Problems vermittelt. Typisch für solch eine Beratung ist die Einbettung in normale alltägliche Gespräche, wodurch der Zugang deutlich erleichtert wird. Häufig wird der Dialog von beiden Parteien nicht einmal als Beratungsprozess wahrgenommen (vgl. ebd.)
Dennoch gibt es kritische Aspekte hinsichtlich einer informellen Beratung. In einem Alltagsgespräch hängen die Ratschläge oft von der Beziehung der Gesprächspartner*innen ab. Ein Beratungsgespräch zwischen Freunden oder Verwandten ist geprägt von eigenen Interessen und Schwierigkeiten (vgl. Belardi et al. 2011, S. 36). Zusätzlich werden unangenehme Aussagen vermieden, um die Freundschaft nicht aufs Spiel zu setzen (vgl. ebd.). In allen Kontexten der informellen Beratung wird außerdem von einem sehr komprimierten Problemverständnis ausgegangen. Ratschläge beschränken sich auf bestimmte Situationen, welche meist losgelöst von der Gesamtsituation und ohne Hintergrundwissen erteilt werden (vgl. ebd.). Das Ergebnis ist eine Beratung in der das Umfeld nicht, nicht mehr oder nur unzureichend helfen kann. Zudem sind zahlreiche Situationen vorstellbar, in welchen Unterstützung durch Freunde nicht möglich oder sinnvoll ist. So kann das soziale Netzwerk etwa selbst Teil des Problems sein. Ebenso können Probleme auftreten, deren Behandlung mit Bekannten für den Betroffenen unangenehm wäre (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 22). Es ist auch leicht denkbar, dass viele Menschen nicht über ein Netzwerk verfügen, welches bei Problemen beraten kann (vgl. ebd.). Formelle Beratungsinstanzen sind dann die letzte Möglichkeit auf der Suche nach Unterstützung.
Diese formellen Instanzen sind unterteilt in halbformalisierte und formalisierte Beratung. Halbformalisiert kennzeichnet eine Beratung, die durch eine Person vorgenommen wird, welche nicht explizit als Berater*in ausgewiesen ist, durch ihre Profession oder Ausbildung aber über besonderes Wissen verfügt (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 23). Frank Engel et al. (2013, S. 34) beschreiben diese Beratung als „Querschnittsmethode“ welche nahezu sämtliche Berufsfelder umfassen kann. Sie hat eine Teilfunktion in vielen sozialen, psychologischen, medizinischen und juristischen Arbeitsbereichen (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 23). Dies entsteht häufig im Laufe des Arbeitsalltags, geschieht jedoch nicht in einem als Beratungsgespräch deklarierten Rahmen. Es besteht mehr Ähnlichkeit zur Alltagsberatung, da „keiner der Beteiligten daran denkt, dass es sich um eine ‚Beratung‘ gehandelt haben könnte“ (vgl. Belardi et al. 2011, S. 40). Häufig mangelt es dem Professionellen in diesen Beratungsprozessen jedoch an einem Beratungs- und Interaktionswissen (vgl. Engel et al. 2014, S. 35). Viel mehr dient ausschließlich das handlungsspezifische Wissen als Grundlage für die beratende Funktion.
Die zweite Form der professionellen Beratung ist die formalisierte Beratung. „Hierbei handelt es sich um Einrichtungen, in denen professionelles Personal mit ausgewiesener sowohl inhaltlicher wie methodischer Beratungskompetenz tätig sind.“ (Sickendiek et al. 2008, S. 23) Mitentscheidend ist darüber hinaus auch der Auftrag der jeweiligen Einrichtungen. Bei Beratungsstellen ist die Beratung „formaler, institutioneller und vorrangiger Auftrag“ (Belardi et al. 2011, S. 41). Mit dieser Form der Beratung nehmen auch die Zugangsbarrieren zum jeweiligen Angebot zu. Hier ist ein Trend zu beobachten, durch welchen Ratsuchenden der Zugang erleichtert werden soll. So gibt es Modelle von aufsuchender Beratung oder offenen Sprechstunden ohne Terminpflicht (vgl. Belardi et al. 2011, S. 41). Eine stärkere Formalisierung bedeutet jedoch auch eine höhere Erwartung an die Fertigkeiten des Beratenden. Es wird erwartet, dass Fachkräfte in der professionellen Beratung über eine „handlungsspezifische Wissensbasis und eine feldunspezifische Kompetenzbasis“ (Engel et al. 2014, S. 35) verfügen. In diesem Feld sind auch zwangsgebundene Beratungsangebote anzusiedeln. Es handelt sich um stark formalisierte Beratungsangebote, welche nur einem bestimmten Klientel zugänglich sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 - Formalisierungsgrade von Beratung
Nach dieser einführenden Betrachtung professioneller Beratung gilt es im Weiteren zu konkretisieren, welche Sonderheiten eine Beratung in der Sozialen Arbeit hat. In der Literatur wird diese als sozialpädagogische Beratung oder soziale Beratung bezeichnet (vgl. Sickendiek et al. 2008; Galuske 2013; Raithel 2006). Die Begriffe werden in dieser Arbeit synonym verwendet.
Ein grundlegendes Merkmal formalisierter sozialpädagogischer Beratung ist die Fokussierung auf psychosoziale und materielle Problembereiche unterschiedlicher sozialer Felder (vgl. Raithel 2006, S. 45). Typisch ist dabei die ungenaue Abgrenzung des Kompetenzbereiches, da sie nicht wie therapeutische Beratungsformen bestimmten ausgewiesenen therapeutischen Schulen folgt. Der Kompetenzbereich definiert sich eher über örtliche Vorgaben oder problembelastete Gruppen (vgl. Thiersch et al. 1977, S. 103). Sozialpädagogische Beratung kann weder ein bestimmtes Setting fokussieren, noch eine gezielte Adressatengruppe ansprechen, sondern ist von einer Offenheit für Beratungsformen und –empfänger geprägt (vgl. ebd., S. 104). Besonders der Alltagsbezogenheit der sozialen Beratung wird ein hoher Stellenwert zugesprochen. Sickendiek, Engel und Nestmann (2008, S. 42) meinen hierzu:
„Somit ist sozialpädagogische Beratung weitaus näher an der konkreten Lebensrealität, hält sich nicht selten in eben dieser auf, wird deshalb mit dem alltagsweltlich komplexen Geflecht aus materiellen, sozialen, psychischen und alltagspraktischen Belastungen weitaus direkter konfrontiert als psychologische Beratung.“
Durch diesen Alltagsbezug sind viele Bereiche der sozialpädagogischen Beratung mit der Anforderung eines möglichst niedrigschwelligen Angebots konfrontiert, um einer freiwilligen Klientenschaft (vgl. Belardi et al. 2011, S. 42) den Zugang zu erleichtern. Fachkräfte der sozialen Arbeit erhalten hier die Befugnis zum Handeln ausschließlich vom Ratsuchenden. Die gezwungene Beratung stellt dabei eine Ausnahme dar, die diesem Verständnis widerspricht. Auf der anderen Seite ist es typisch für soziale Beratung mit unterschiedlichen, häufig konträren, Aufgabenkreisen konfrontiert zu sein. Nach Burkhard Müller (vgl. Müller 2017, S. 44ff.) stellen das Erkennen der Probleme im Alltag des Klienten, die Entwicklung von Angeboten die freiwillig akzeptiert werden und die Ausführung und Verwaltung von gesetzlich fixierten Eingriffen und Leistungen die drei Dimensionen sozialpädagogischer Fälle dar. Sozialpädagogische Beratung beinhaltet somit immer auch eine Kontrollfunktion (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 41f.). Der hohe Kontrollanteil im Zwangskontext widerspricht jedoch nicht einer sozialpädagogischen Beratung. Es ist dabei Aufgabe der Fachkraft die eigene Vorgehensweise an den Umstand einer Pflichtklientschaft anzupassen. (vgl. Belardi et al. 2011, S. 42).
Durch die aufgeführten Faktoren erscheint es schwierig eine genaue Methodik sozialpädagogischer Beratung zu beschreiben. „Weder Problem noch Zielgruppe, weder Ort noch Zeit noch Setting der Beratung können vorab definiert werden“ (Galuske 2013, S. 179). Sie ist somit davon geprägt, dass sie ihre Methodik an die Lebensumstände und Problemlagen der Ratsuchenden anpassen muss. Sie nutzt unterschiedliche Konzepte von Veränderung und Hilfe, hat hierbei die Möglichkeit am besten passende Herangehensweisen zu wählen und diese in einem Hilfeprozess zu kombinieren (vgl. Sickendiek et al. 2008, S. 135f.).
Die wertschätzende Grundhaltung der personenzentrierten Beratung bzw. Gesprächsführung zieht sich heutzutage durch nahezu alle Beratungsansätze (vgl. Conen 2007, S. 53). Auch die sozialpädagogische Beratung ist vor allem in Bezug auf die Beziehungsgestaltung stark von der personenzentrierten Beratung beeinflusst (vgl. Sickendiek et al. 2008). Das Engagement für Autonomie und Unabhängigkeit in diesem Ansatz erfordert für eine Auseinandersetzung mit einer Beratung im Zwangskontext eine genauere Betrachtung der damit verbundenen Annahmen.
Personenzentriert beschreibt eine Beratung, welche sich weniger am Problem orientiert, sondern mehr am Menschen (vgl. Rogers 1991, S. 36). Ihre Ursprünge findet sie in der humanistischen Psychologie und der damit verbundenen klientenzentrierten Psychotherapie nach Carl Rogers (vgl. Galuske 2013, S. 184). Aufgrund unterschiedlicher Weiterentwicklungen und Adaptionen trifft man dieses Konzept heute unter unterschiedlichen Namen (vgl. Galuske 2013, S. 180). Rogers gründete den Ansatz mit der Bezeichnung des „Nicht-Direktiven“. Aufgrund von Fehlinterpretationen, die den Ausdruck mit „Untätigkeit“ gleichsetzten, ersetzte er den Begriff später durch „klientenzentriert“. Der Terminus „personenzentriert“ wurde eingeführt, um die Person als Mensch in den Mittelpunkt zu stellen und nicht als Klient*in (vgl. Weinberger 2013, S. 22f.).
Grundlage für das beraterische Konzept Rogers ist dessen Persönlichkeitstheorie. Diese lässt sich anhand folgender Punkte beschreiben (siehe hierzu Rogers 1983, S. 40ff.; Büttner und Quindel 2013, S. 53ff.):
1) Subjektive Realität: Jeder Mensch lebt in einer nur für ihn gültigen, subjektiven Realität. Danach kann es keine absolute Realität geben, sondern lediglich die persönliche Wahrnehmung dieser. Zwei Personen können die identische Situation völlig unterschiedlich wahrnehmen und beurteilen.
2) Aktualisierungstendenz: Rogers geht davon aus, dass jeder Mensch von Geburt aus „eine inhärente Tendenz zur Entfaltung aller Kräfte besitzt, die der Erhaltung oder dem Wachstum des Organismus dienen“ (Rogers 1983, S. 41). Der Mensch sei somit sein Leben lang auf der Suche nach Selbstverwirklichung, Autonomie, Begegnungsfähigkeit etc. (vgl. Stimmer und Ansen 2016, S. 220). Dieses Streben entwickelt sich in Abhängigkeit von Umweltfaktoren, welche das Voranschreiten auch hemmen oder blockieren können. Somit muss in der Beratungssituation jedem Ratsuchenden das grundlegende Bedürfnis nach Entwicklung anerkannt werden.
3) Selbstkonzept: Während dieses Prozesses der Aktualisierung ist der Mensch mit Reizen aus der Umwelt konfrontiert, welche es zu verarbeiten gilt. In dieser Auseinandersetzung bildet sich das Selbstkonzept des Menschen. Es hat eine Filterfunktion und beeinflusst, ob Erfahrungen ignoriert, in das bestehende Konzept integriert oder verzerrt dargestellt werden.
4) Inkongruenz: „ist die unter Umständen vorhandene Diskrepanz zwischen dem Erleben des Organismus und dem bewussten Selbstkonzept.“ (Rogers 1983, S. 43) Diese Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept und den Eindrücken der Person führt zu psychischen Spannungen und Störungen.
Ziel einer Beratung oder Therapie1 ist es, diese Spannungszustände aufzulösen und zu einem inneren Gleichgewicht zu verhelfen. Hierbei geht Rogers gemäß dem humanistischen Weltbild von Selbstheilungskräften des Ratsuchenden aus, welche es zu unterstützen gilt (vgl. Rogers 1991, S. 36f.). Zur Erreichung dieses Ziels werden im personenzetrierten Ansatz drei Handlungsprinzipien vermittelt, die professionelle Helfende verinnerlicht haben müssen, um ein förderliches Klima in der Beratung zu schaffen. Rogers geht von einer aufsteigenden Wichtigkeit der folgenden Prinzipien aus (vgl. Rogers 1983, S. 23).
Zunächst gilt es der ratsuchenden Person mit Empathie entgegenzutreten. Empathie meint ein einfühlendes Verstehen, mit welchem man sich darum bemüht, die Erlebniswelt des Ratsuchenden nachzuvollziehen. Hierzu beschreibt der Begründer des Ansatzes:
„Ein solch einfühlendes Verstehen heißt, dass der Therapeut in der Welt des Klienten zu Hause ist. Es ist ein unmittelbares Gespür im Hier und Jetzt für die innere Welt des Klienten mit ihren ganz privaten personalen Bedeutung, als ob es die Welt des Therapeuten selbst wäre, wobei allerdings der ‚Als ob Charakter‘ nie verloren geht“ (ebd., S. 23)
Hauptauftrag ist es zu vermitteln, dass die Anliegen und Ansichten des Klientel verstanden werden. Hierzu müssen Fachkräfte zunächst in der Lage sein, verbale und nonverbale Signale wahrzunehmen und im Gespräch wiederzugeben (vgl. ebd., S. 24). Durch das möglichst genaue Wiedergeben der Gefühlswelt des Ratsuchenden entwickelt sich für diesen die Möglichkeit sein eigenes Empfinden aus einer gewissen Distanz zu erkennen und besser zu verarbeiten (vgl. Galuske 2013, S. 185). Gleichzeitig fördert dieses Verständnis das Vertrauen des Empfängers in sein Selbstbild. Dabei ist präzises einfühlendes Verstehen zwar das Ziel, „aber auch schon die bloße Absicht, den Klienten zu verstehen, kann einiges ausrichten.“ (Rogers 1983, S. 24)
Als zweites Handlungsprinzip beschreibt Rogers ein bedingungsfreies Akzeptieren. Der Beratende muss seinem*ihrem Gegenüber „tiefe und echte Zuwendung entgegenbringe[n] und sie auch äußer[n]“ (ebd., S. 27). Bedingungsfrei bedeutet dabei, dass diese Wertschätzung nicht an bestimmte Kriterien geknüpft und vollumfänglich ist, d.h. es wird allen Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühlen mit Akzeptanz begegnet, ohne diese zu beurteilen (vgl. ebd.). Durch die emotionale Wärme wird es dem Klienten ermöglicht Unsicherheiten, Sorgen und Konflikte zu verbalisieren und somit sein Selbstkonzept und seine Verletzbarkeit zu thematisieren (vgl. Galuske 2013, S. 184).
Zuletzt gilt es als grundlegend, dass professionelle Helfende innerhalb der Beratungsbeziehung sie selbst sein sollen. Diese Grundeinstellung wird als Echtheit bezeichnet. Im personenzentrierten Ansatz muss sich der Beratende offen und ehrlich zeigen, um zu erreichen, dass sich gleicherweise die beratene Person öffnet (vgl. ebd., S. 185). Diese Übereinstimmung des eigenen Selbst mit dem Auftreten im Beratungsgespräch bezeichnet Rogers als Kongruenz. Dabei sollten Gefühle, die die Beratungssituation betreffen vom Ratgebenden geäußert werden, um so auch bei dem*r Klient*in Vertrauen zu wecken und ein offenes Verhalten anzuregen (vgl. Rogers 1983, S. 32).
Aus den Grundannahmen des personenzentrierten Ansatzes wird bereits deutlich welchen Stellenwert die Selbstständigkeit der beratenen Person hat. Daher erscheint es sinnvoll, sich näher mit dem grundlegenden Verständnis von Autorität, Unabhängigkeit und Autonomie des personenzentrierten Ansatzes und dessen Bedeutung für die heutige Beratung zu befassen. Rogers geht davon aus, dass darauf Verlass ist, „dass das Verhalten einer Person in Richtung auf Selbsterhaltung, Selbststeigerung und Selbstproduktion hinzielt – hin zu Autonomie und fort von einer Kontrolle durch äußere Einflüsse.“ (Rogers 1983, S. 136) Auch wenn in weiterführender Literatur und späterern Veröffentlichungen von Rogers selbst einige seiner Ideen relativiert und weniger endgültig dargestellt werden, bleibt die Suche nach Autonomie als Grundannahme beibehalten.
Für die Beratungssituation lässt sich folgern, dass der Wunsch nach Selbstentfaltung jedem*r Klient*in zu unterstellen ist und die Gründe für eine Blockade dieser im Umfeld betrachtet werden sollten. Problematisch sind jedoch Beratungskontexte, in welchen im Selbstkonzept des Ratsuchenden die Beratung selbst als „Kontrolle durch äußere Einflüsse“ gesehen wird. Wenn der Mensch grundsätzlich nach Autonomie strebt, im Aufeinandertreffen mit Fachkräften sich dieser aber beraubt fühlt, ist es schwierig, einen personenzentrierten Ansatz zu vermitteln. Rogers meint selbst dazu, dass erst die Unabhängigkeit des Ratsuchenden und die eigenständige Fähigkeit zum Umgang mit Problemen letzten Endes den Abschluss der Beratungssituation ermöglichen (vgl. Rogers 1991, S. 200). Aufgabe der Fachkräfte ist es zwar einerseits nicht nur „untätig daneben zu sitzen“, aber andererseits die Eigenständigkeit der Klientschaft durch direktives Handeln nicht zu beschneiden.
Direktiv definiert Rogers dabei als einen Prozess in dem „der Berater die Probleme des Klienten findet, diagnostiziert und behandelt“ (ebd., S. 108). Auch wenn Rogers 1942 sein Konzept zu einer Zeit entwickelte, in der autoritäre Ansätze vermutlich noch weiter verbreitet waren, ist sein Verständnis nicht nur als Gegentrend zur damaligen Zeit zu sehen. Ebenfalls in seinen späteren Büchern behalten die Grundannahmen ihre Aussagekraft und eine direktive Methodik gilt als wenig zielführend, da sie die ratsuchende Person in ihrer Selbstentfaltung einschränkt (vgl. Rogers 1991). Oberstes Ziel sollte vielmehr die Auslösung einer „Reorientierung und Reorganisation des Selbst“ (ebd., S. 177) beim Beratenen durch den Prozess der Beratung sein. Der Sinn einer Beratung wird dabei an die Bedingung geknüpft, dass sie aus der psychischen Not einer Person entsteht. Für den Hilfesuchenden muss es einen Konflikt zwischen Vorstellung und Erfahrung geben, welcher eine Lösung verlangt.
„Beratung kann erst wirksam sein, wenn die Spannungen, die durch diese widersprüchlichen Wünsche und Forderungen verursacht werden, für das Individuum schwerer zu ertragen sind als der Schmerz und der Druck, den die Suche nach einer Lösung des Konflikts verursacht.“ (ebd., S. 58)
Eine Pflichtklientschaft gibt es nach diesem Verständnis nicht, da der Auslöser für den Kontakt immer vom Klientel ausgehen muss. Rogers geht ebenso davon aus, dass eine Person eine Beratungssituation dann aufsucht, wenn sie den Wunsch nach Hilfe benötigt. Er sieht diesen ersten Schritt als bedeutendste Leistung des Beratungsprozesses (vgl. ebd., S. 38). Hierbei wird bereits eine Diskrepanz zum allgemeinen Verständnis einer erzwungenen Beratung deutlich. Denn besonders in diesen Bereichen ist der Wunsch nach Hilfe nicht immer der Auslöser für den Kontakt zwischen professionellen Helfenden und Klientel.
Rogers führt seine Annahmen jedoch noch weiter aus. In seinem Buch „Die nicht-direktive Beratung“ plädiert er: „Ein Nebeneinander von Therapie und Autorität in ein und derselben Beziehung gibt es nicht.“ (ebd., S. 103) Es scheint nicht im Sinne eines wertschätzenden Verständnisses von Beratung zu sein, wenn der Beratende über Autorität gegenüber dem Ratsuchenden verfügt. Demnach ist es zum Beispiel für Bewährungshelfer*innen nur eine Frage der Zeit bis es einer Entscheidung bedarf, ob auf etwaige Situationen als Berater*in oder Beamte*r reagiert wird (vgl. ebd., S. 104). Dieser Umstand hindert die Möglichkeit des Hilfesuchenden frei zu sprechen, ohne sich verteidigen zu müssen (vgl. ebd., S. 123). Die Bekräftigung zur offenen Ansprache von Sorgen und Ängsten wird im personenzentrierten Ansatz jedoch als grundlegendes Charakteristikum einer bedingungslosen Beratungsbeziehung formuliert (vgl. ebd., S. 42).
Diese Annahmen des personenzentrierten Verständnisses prägen die Beratung bis heute (vgl. Nestmann und Sickendiek 2018, 112f.). Für viele Sozialarbeitende widerspricht die Anwendung von Zwang ihrem beruflichen Selbstbild (vgl. Conen 2007, S. 71). Die Entwicklung eines akzeptierenden, unterstützenden und aufbauenden Gefühls gegenüber der Klientschaft ist erforscht und wird aus diesem Grund breit vertreten (vgl. Göckler 2013, S. 1664). Der offene und klientenanwaltliche Umgang biete bereits eine grundlegende Notwendigkeit, da hierdurch ein Vertrauensvorschuss erreicht werde (vgl. ebd.). Vor diesem Hintergrund lassen sich Beratung und Zwang schwierig vereinbaren. Im deutschen und internationalen Bereich gibt es jedoch solche Beratungsfelder. Personen können zum Beispiel im Rahmen der Bewährungshilfe auf Grundlage rechtlicher Vorgaben oder durch Androhung gerichtlicher Sanktionen zur Beratung genötigt werden. Die weitverbreiteten Prinzipien des personenzentrierten Ansatzes stehen somit im Konflikt mit einigen staatlich geschaffenen Beratungseinrichtungen.
Im folgenden Kapitel werden einige berufliche Kontexte der sozialen Arbeit vorgestellt, welche als Zwangskontext zu bezeichnen sind. Conen (2007, S. 70f.) beschreibt Zwang als eine „zwingende Notwendigkeit, Pflicht oder ausgeübte Gewalt“. Auslöser für diese zwingende Notwendigkeit muss dabei nicht immer der Druck durch andere Personen sein. Auch eine Situation kann Menschen zwingen bestimmte Dinge zu tun, obwohl dies nicht aus ihrer Eigenmotivation stammt (vgl. ebd.). Zwang ist somit mit der Unfreiwilligkeit einer Person verbunden. Bezieht man dieses Verständnis auf den sozialarbeiterischen Arbeitsalltag, gilt es also zu klären, ab wann dort von einer Beratung im Zwangskontext gesprochen wird. In der Literatur wird dies an der Grundlage der Kontaktaufnahme unterschieden (vgl. Rooney 1992, Kähler und Zobrist 2013, Conen 2007). Klientengruppen werden dabei unterteilt in (vgl. Rooney 1992, S. 24ff.)
-Selbstinitiierte Kontaktaufnahme
-Kontaktaufnahme durch Einflüsse des informellen oder formellen Netzwerkes
-Kontaktaufnahme aufgrund rechtlicher Vorgaben
Es empfiehlt sich diese Stichpunkte nicht als Kategorien sondern als Kontinuum zu sehen (vgl. Conen 2007, S. 62). Es beginnt mit Klient*innen, die aktiv nach Beratung suchen, da sie davon ausgehen hier Hilfe zu finden und endet bei einer Klientschaft, die gerichtlich gezwungen wird Hilfestellungen anzunehmen. Dazwischen befinden sich Personen, die durch „wichtige Personen aus dem Umfeld unter Druck gesetzt werden, an einer Beratung oder Therapie teilzunehmen“ (ebd.).
Besonders bei einer Kontaktaufnahme durch den Druck von Netzwerkangehörigen ist es schwierig eine Grenze festzustellen, wann von einem „Zwangskontext“ gesprochen werden kann (vgl. Gumpinger 2010, S. 24f.). Dies findet den Ursprung in der Individualität entsprechender Situationen. Zum Beispiel drohen für Ratsuchende keine rechtlichen Konsequenzen bzw. überhaupt keine Sanktionen, sollten sie den Beratungsprozess abbrechen. Zudem haben sie mehr persönliche Freiheiten wie die Wahl des Beratenden oder der Einrichtung. Dennoch ist bei fremdinitiierter Kontaktaufnahme von einer Unfreiwilligkeit auszugehen, welche häufig eine Beschreibung als Zwangskontext rechtfertigt. Auch wenn für viele Menschen die androhenden rechtlichen Konsequenzen ein offensichtlicheren Zwang zeigen, kann der Druck durch das Netzwerk die Wirksamkeit einer juristischen Nötigung übersteigen (vgl. Zobrist und Kähler 2017, S. 21).
Bei den folgenden Arbeitsfeldern handelt es sich um eindeutige Zwangskontexte. Die Klienten sind rechtlich zur Kontaktaufnahme gezwungen bzw. darauf angewiesen und/oder müssen bei Kontaktabbruch oder unkooperativer Gestaltung mit Sanktionen rechnen.
[...]
1 Rogers verwendet in seinem Buch „die nicht-direktive Beratung“ die Begriffe „Therapie“ und „Beratung“ synonym (vgl. Rogers 1991, S. 17).