Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008
15 Seiten
Dr. Dr. Burkhardt Pauluhn
Außergerichtliche Beitreibung von Forderungen an deutsche Verbraucher: kalifornische Lösungen für ein soziales Problem in Deutschland
Begriffe wie Beitreibung, debt collection, Forderungseinzug und Inkasso, mit und ohne Hinweise auf die osteuropäische Expertise handelnder Personen, sind in Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie im Internet allgegenwärtig. Berichte über steigende private Insolvenzen, Überschuldungen von Haushalten und nicht zuletzt über Verkauf oder Verbriefung intakter oder Not leidender Kreditforderungen mit Hinweis auf deren ursprüngliche Qualität (prime, subprime) zeigen, dass den gewerbsmäßigen Einziehern von Forderungen an Private die Arbeit nicht ausgeht.
Obgleich in Deutschland Kredit- und andere Forderungen an Verbraucher schon seit Jahrzehnten massenhaft außergerichtlich geltend gemacht und auch durchgesetzt werden,[1] ist erst in den letzten Jahren die breite Öffentlichkeit auf die außergerichtliche Forderungsdurchsetzung durch hierauf spezialisierte Personen aufmerksam geworden.[2] Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die außergerichtliche Beitreibung zum Gegenstand der politischen Diskussion in Deutschland wird. Vor etwaigen gesetzgeberischen Maßnahmen empfiehlt sich ein rechtzeitiger Blick über die Grenzen.
Zahlungsrückstände von privaten Schuldnern gehen auf wirtschaftliche Einbrüche (Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit), persönliche Krisen (Scheidung, Krankheit, Süchte) und Probleme der Haushaltsführung (niedriges Einkommen, unrealistisches Marktverhalten) zurück.[3] Ein schwaches wirtschaftliches Umfeld erschwert es den Verbrauchern, solche Engpässe schnell und erfolgreich zu überwinden. Dem Zahlungsverzug folgen die Beitreibungsversuche des ursprünglichen Gläubigers oder des Erwerbers[4] der Not leidenden Forderung. Der Markt für außergerichtliche Beitreibungen wächst damit kräftig;[5] an ihm wollen immer mehr und z. T. neue Mitspieler partizipieren.
Auch Ausländer mit breitem Erfahrungsschatz und beachtlichen finanziellen Erfolgen in der Verwertung von Problemforderungen[6] gegen Private haben Deutschland als Betätigungsfeld entdeckt. Einigen vor ihnen wird besonders professionelle, weil entnervende "Überzeugungskraft"[7] zugeschrieben.
„Der schwarze Mann“[8] ist damit auch in Deutschland angekommen. In seinem Herkunftsland, den USA, wird das Beitreibungsgeschäft schon seit Jahrzehnten als bedeutendes soziales Problem[9] gewertet. Gesetze[10] sowie für deren Durchsetzung zuständige Aufsichtsbehörden[11] sollen das Problem bewältigen.
Es ist also an der Zeit, dass Deutschland überprüft, ob seine Rechtsgrundlagen bezüglich der außergerichtlichen Beitreibung noch auf der Höhe der Zeit sind, und sie ggf. anpasst. Wer allerdings bei dieser Gelegenheit auf das deutsche Rechtsberatungsgesetz[12] verweist, wird nicht nur wegen dessen Ursprungs,[13] sondern auch wegen der Regelungen im Detail[14] zum Ergebnis kommen, dass dies Gesetz zu wirksamem Verbraucherschutz im Falle der außergerichtlichen Beitreibung nur höchst indirekt etwas beitragen könnte.
Die außergerichtliche Beitreibung ist die wirtschaftlich vernünftigste Form des Einzugs von kleineren Forderungen, wie sie im Konsumentenkreditgeschäft typisch sind. Nur größere Ansprüche können die relativ hohen Kosten der gericht-lichen Beitreibung rechtfertigen.[15]
Mehr als fünftausend Beitreibungsfirmen (collection agencies) mit durch-schnittlich acht Angestellten sind in den USA tätig, um jährlich rd. 5 Mrd. $ Forderungsvolumen einzuziehen. Schätzungsweise werden jährlich deutlich über 10 Mio. Verbraucher kontaktiert, viele davon mehrfach und über längere Zeiträume.[16]
[...]
[1] vgl. statt vieler DID Deutscher Inkassodienst, Hamburg, ferner: Hermes-Schutz für Konsumentenkredite, www.hermes-kredit.com.de, 30. 5. 02
[2] vgl. Schrep, B., Drohbrief aus Moskau, DER SPIEGEL Nr. 38/2004, Seite 64 mit Zitat Bundesverband Deutscher Inkassounternehmen (500 Unternehmen trieben 2003 rd. 4 Mrd. € Forderungen ein; 200 Inkassounternehmen außerhalb des Verbandes werden "fragwürdigste Methoden" zugeschrieben). Siehe auch Google mit über 800.000 Suchergebnissen bei „debt collection“, davon fast 20.000 auf Seiten aus Deutschland, über 300.000 bei „Inkasso“, über 30.000 bei „Forderungseinzug“ und über 10.000 bei „Beitreibung“; www.google.de am 18. 4. 07.
[3] vgl. zu den Auslösern der privaten Überschuldung: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Lebenslagen in Deutschland, der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Stand 2001, I. 3.4. und A II. 2a; Goebel, A., Schulden, (www.andreas.goebel.de/schulden/verbraucherverschuldung/main.htm), 30. 9. 2002, Seite 3/4; Metz, R., Verbraucherkreditgesetz, Kommentar, Baden-Baden 1999, Seite 7. Vgl. auch Balzli, B., Sterben auf Pump, DER SPIEGEL Nr. 51/2007, Seite 104: Aufkauf der Außenstände von Beerdigungsunternehmen zum Inkasso auf eigene Rechnung.
[4] Der ursprüngliche Gläubiger kann seine Forderung selbst eintreiben. Zunehmend verfügen z. B. Banken für die Restrukturierung Not leidender Forderungen und ggf. deren Beitreibung über spezialisierte Organisationseinheiten. Der ursprüngliche Gläubiger kann sich auch Dritter bedienen. Diese können Rechtsberater i. S. d. RBerG sein oder andere Dritte. Diese können als Bevollmächtigte des Gläubigers oder als neuer Gläubiger auftreten. Die Forderungen können auf sie lediglich zum Zwecke der Durchsetzung übertragen worden sein (treuhänderische Zession, weil der bisherige Gläubiger am Beitreibungserfolg partizipiert). Der neue Gläubiger kann die Forderungen auch auf eigenes Risiko geltend machen (Forderungskauf). Rückgriffe auf den Forderungsverkäufer (recourse) können vereinbart oder ausgeschlossen sein. Der neue Gläubiger kann die beizutreibende Forderung intakt und lediglich latent risikobehaftet oder bereits als leistungsgestört erworden haben (distressed debt). Entstehungsgrund, Höhe und Erwerbsmechanismus (von der Einzelzession bis zur Securitization) der Forderungen können sehr unterschiedlich sein, ebenso ihre Sicherstellung.
[5] vgl. Handelsblatt vom 24. 9. 2004, Seite 24: Kurzfristig auf den Markt kommendes Volumen von 40 Mrd. €, in den kommenden Jahren von bis zu 300 Mrd. € (Schätzung CSFB für disstressed debt).
[6] Lone Star und andere; vgl. Schrep, a. a. O., Seite 60. Vgl. ferner die Annoncen privater Beitreiber unter „Beteiligungen und Geldverkehr“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2. 1. 2005.
[7] vgl. Schrep, a. a. O., Seiten 62 und 64 (Psychoterror, demoliertes Mobiliar, Schuldner kranken-hausreif geschlagen), vgl. ferner www.e-juristen.de/Russen-Moskau-Inkasso.htm, 18. 4. 07
[8] vgl. Schrep, a. a. O., Seite 60 "schwarz gekleidete Gestalten" und Seite 62 "schwarze Kerle"; vgl. u. a. das ausdrückliche Verbot von dead-beat lists durch Beitreiber, Marsh, G., Consumer Protection in a Nutshell, 3rd Ed., St. Paul, Minn. 1999, Seite 404; 15 U.S.C. § 1692d; California Civil Code Section 1788.12 (c), im Folgenden als Civil Code bezeichnet. Diese auch vom Gesetzgeber übernommene Terminologie lässt keinen Raum für Illusionen über die Ernsthaftigkeit von Beitreibungsbemühungen und die Großzügigkeit in der Wahl der Mittel.
[9] Practising Law Institute, Federal Consumer Credit Regulations 1981, The Basics, o. O. 1981, Seiten 484 f; als aktuellen anekdotischen Beleg für das soziale Problem Beitreibung vgl. den Einzug einer absurd hohen, bestrittenen Krankenhausforderung in Kalifornien: Siegle, J., Sack voll Rechnungen, DER SPIEGEL Nr. 53/2004, Seite 45.
[10] Fair Debt Collection Act, 15 U.S.C. Chapter 41, Subchapter V; §§ 1692-1692o; Regulations oder andere trade rules sind nicht zulässig, 15 U.S.C. § 1692 l (d); Civil Code Sections 1788.10 ff
[11] Federal Trade Commission (FTC); 15 U.S.C. § 1692 l (a), §§ 41 ff; hinsichtlich weiterer Durchsetzungsbehörden siehe 15 U.S.C. § 1692 l (b). Vgl. zur Verbraucherinformation hierüber Federal Trade Commission for the Consumer, March 1999, www.ftc.gov mit Nennung von kostenlosen Telefonnummern wie z. B. 1–877–FTC–HELP.
[12] Art. 1 § 1 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 RBerG: Zulassung, Zuverlässigkeitsprüfung (§§ 6 und 7 der Ersten AVO); persönliche Eignung sowie genügende Sachkunde (§ 8 Erste AVO), Rennen, G./Caliebe, C., Rechtsberatungsgesetz mit Ausführungsverordnungen und Erläuterungen, 2. Auflage, München 1992, Erste AVO § 6 Rn 5 und 6; die Bedürfnisprüfung ist allerdings nur zulässig bei nicht-EU-ausländischen Personen, Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG; Rennen/Caliebe, a. a. O., Art. 1 § 1 Rn 67.
[13] RBerG und Erste Verordnung zur Ausführung des RBerG jeweils vom 13. 12. 1935; Zweite AVO vom 3. 4. 1936, Dritte AVO vom 25. 6. 1936, Vierte AVO vom 3. 4. 1937, Fünfte AVO vom 29. 3. 1938. Gesetz und Verordnungen sind stärker auf die Regulierung des Zugangs zur Rechtsberatung als Einkommenserwerb ausgerichtet (u. a. Zuverlässigkeitsprüfung, Bedürfnisprüfung etc.) als auf den Verbraucherschutz oder den Schutz anderer Objekte der Bemühungen eines Inkassounternehmens.
[14] Z. B. zur Definition der Forderungseinziehung als Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten Rennen/Caliebe, a. a. O., Art. 1 § 1 Rn 32–38 und die Ausnahme für die Abtretung an Erfüllungs Statt, wodurch die Einziehung ausschließlich im Risiko des Zessionars liegt, Rennen/Caliebe, a. a. O., Art. 1 § 1 Rn 38. Allerdings gilt diese Befreiung nur, soweit Forderungsbestände anlässlich der Auflösung oder Umgestaltung eines Unternehmens übernommen werden. Sonst gilt auch für den geschäftsmäßigen Erwerb von Forderungen zur Einziehung auf eigene Rechnung Art 1 § 1 des RBerG/§ 1 Abs. 1 Satz 1 Fünfte AVO; zur Zuverlässigkeitsprüfung im Detail Art. 1 § 1 Abs. 2 RBerG (§§ 6 und 7 der Ersten AVO), zur persönlichen Eignung sowie zur genügenden Sachkunde (§ 8 der Ersten AVO).
[15] Jasper, M. C., The Law of Debt Collection, Dobbs Ferry, N. Y. 1997, Seite 19
Der Text befasst sich mit der außergerichtlichen Beitreibung von Forderungen an deutsche Verbraucher. Er stellt fest, dass dies ein wachsendes Problem ist, das durch wirtschaftliche Einbrüche, persönliche Krisen und Probleme der Haushaltsführung verursacht wird. Der Text untersucht, ob die deutschen Rechtsgrundlagen für die außergerichtliche Beitreibung noch zeitgemäß sind und ob Anpassungen erforderlich sind. Er wirft einen Blick auf das amerikanische Rechtssystem, insbesondere Kalifornien, um mögliche Lösungen zu finden.
Zu den Schlüsselbegriffen gehören: Beitreibung, debt collection, Forderungseinzug, Inkasso, private Insolvenzen, Überschuldung von Haushalten, Verkauf oder Verbriefung von Kreditforderungen (prime, subprime).
Zahlungsrückstände von privaten Schuldnern werden durch wirtschaftliche Einbrüche (Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit), persönliche Krisen (Scheidung, Krankheit, Süchte) und Probleme der Haushaltsführung (niedriges Einkommen, unrealistisches Marktverhalten) verursacht. Ein schwaches wirtschaftliches Umfeld erschwert es den Verbrauchern, solche Engpässe schnell und erfolgreich zu überwinden. Der Markt für außergerichtliche Beitreibungen wächst dadurch.
Der Text erwähnt, dass auch Ausländer mit Erfahrung in der Verwertung von Problemforderungen gegen Private Deutschland als Betätigungsfeld entdeckt haben. Diesen Unternehmen wird teilweise "Überzeugungskraft" zugeschrieben.
In den USA wird das Beitreibungsgeschäft seit Jahrzehnten als bedeutendes soziales Problem betrachtet. Es gibt Gesetze und Aufsichtsbehörden, die dieses Problem bewältigen sollen. Der Text untersucht das amerikanische Rechtssystem, um zu prüfen, ob es für Deutschland relevante Ansätze gibt.
Es werden das deutsche Rechtsberatungsgesetz (RBerG), der Fair Debt Collection Act (US-amerikanisch) und der California Civil Code erwähnt.
Der Text deutet an, dass das deutsche Rechtsberatungsgesetz nur indirekt zu wirksamem Verbraucherschutz im Falle der außergerichtlichen Beitreibung beitragen könnte.
Es wird geschätzt, dass es in den USA mehr als fünftausend Beitreibungsfirmen gibt, die jährlich rd. 5 Mrd. $ Forderungsvolumen einziehen.
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