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Bachelorarbeit, 2017
59 Seiten, Note: 1,0
1. Einleitung
2. Das Verhältnis zwischen politischer Bildung und Sachunterricht
2.1 Die Verortung politischer Bildung in der Konzeption Sachunterricht
2.2 Die politische Bildung im Rahmenlehrplan Sachunterricht Berlin/Brandenburg
2.3 DiepolitischeBildung imPerspektivrahmenSachunterricht
2.4 Zwischenfazit
3. Die Entstehungsgeschichte des Beutelsbacher Konsenses
3.1 Die politische Bildung im Spannungsfeld von Parteien- und Bildungspolitik
3.2 DerDissenszurpolitischenBildunginderWissenschaft
3.2.1 Die Konzeptionen zur politischen Bildung zwischen 1945 und 1970
3.2.2 Die politikdidaktische Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit
3.2.3 Zwischenfazit
3.3 Der Befriedungsversuch Beutelsbach
3.4 DerMinimalkonsensalsErgebnisvonBeutelsbach S.24
3.4.1 DasÜberwältigungsverbotinderpolitischenBildung
3.4.2 DasKontroversitätsgebotinderpolitischenBildung S.26
3.4.3 DieSchülerorientierunginderpolitischenBildung S.27
3.5 Der Beutelsbacher Konsens als didaktisches Prinzip politischer Bildungsprozesse
4. EinekritischeReflexiondesBeutelsbacherKonsenses
4.1 Die kritische Auseinandersetzung mit dem Konsens in der Politikdidaktik
4.2 DerAbgleichdesKonsensesmit demSachunterricht
4.3 Die veränderten (gesellschafts-) politischen Lebenswelten
4.3.1 DerWandelderDemokratiezurPostdemokratie S.37
4.3.2 Die potenziellen Folgen für kindliche Lebenswelten in der Postdemokratie
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
7.1 DerOriginaltextdesBeutelsbacherKonsenses S.56
7.2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell
2016 und 2017 können als politische Krisenjahre für die Demokratien angesehen werden. Die führende Weltmacht USA hat mit Donald Trump einen Präsidenten gewählt, der in seinem Wahlkampf auf Spaltung und Konfrontation setzte und nun durch Populismus und nationalistische Politik auffällt. In Polen ist eine Regierung an der Macht, die Grundwerte wie Pressefreiheit infrage stellt und einschränkt. Durch das türkische Referendum gelingt dem Präsidenten eine Verfassungsänderung, die eine Verschiebung der parlamentarischen Demokratie zu einem autoritären präsidentiellen System legitimiert. Großbritannien verlässt nach erfolgreichem Brexit die Europäische Union. In immer mehr Ländern der EU beteiligen sich rechtsextreme Parteien an der Regierung und auch in Deutschland ist der Alternative für Deutschland der Einzug in den Bundestag gelungen. Die etablierten Volksparteien verlieren deutlich an Zustimmung, tun sich gleichzeitig aber schwer, sich als politische Alternativen anzubieten und Zukunftsvisionen für das Land zu entwickeln. Parallel entwickeln sich die Finanzmärkte im Zuge der Globalisierung rasant und die Digitalisierung führt zu nachhaltigen Veränderungen auf den Arbeitsmärkten und im Alltag der Menschen. Diese Phänomene führen zu einer großen Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger, die unterstützt wird von zunehmend prekären Arbeitsverhältnissen, Altersarmut, Bildungsungerechtigkeit und sozialen Verwerfungen. Besonders in ländlichen Gegenden ist diese Verunsicherung zu spüren. Aber auch steigende Mieten in Städten werden sorgenvoll wahrgenommen. Gleichzeitig geht das Vertrauen in politische, ökonomische und mediale Eliten verloren, denen vorgeworfen wird, den Anschluss zu den Bürgerinnen und Bürgern verloren zu haben. Der Begriff der Lügenpresse ist wieder im Sprachgebrauch einiger Deutscher angekommen. In diesen politischen Zeiten versuchen Parteien des rechten Randes durch polemische Diskursführung Stimmungen zu erzeugen und so um Wähler zu werben. Die Rechnung scheint aufzugehen, vor allem weil die etablierten Parteien beginnen sich diesem Diskursverhalten anzunähern. Alternative Fakten, Fake News und social Bots tun ihr übriges. Durch den Algorithmus der digitalen Medien sehen sich die Menschen in ihren Ansichten bestätigt und kontroverse Meinungen werden auf diesen Plattformen digital ausgeblendet. Wurde früher noch an Stammtischen über die sogenannten Eliten des Landes hergezogen, posten Personen heute unter ihrem Klarnamen menschenverachtende Meinungen und veröffentlichen Hasstiraden in Bezug auf ganze Bevölkerungsgruppen. Die Politik zeigt sich ratlos und reagiert mit inhaltsleeren Wahlkämpfen. Statt strukturelle Probleme beispielsweise im Bildungswesen anzugehen, wird auch noch 2017 auf den Föderalismus verwiesen und die bestehenden Konflikte werden ausgesessen. Der Ruf nach einer Belebung der deutschen Leitkultur wird durch den Innenminister mit Bezugnahme auf das Christentum beantwortet, anstatt die Säkularisierung voranzutreiben. Und in der Flüchtlingsdebatte wird zwar kontrovers über Obergrenzen gestritten, der wirklich wesentliche Diskurs über Integrationsmöglichkeiten findet hingegen nicht statt.
Mitten in dieser Realität werden Kinder groß. Sie machen die ersten Erfahrungen in Bezug auf Politik im sozialen Nahraum der Familie, die als primäre Sozialisationsinstanz ganz wesentlichen Einfluss auf ihre lebensweltlichen Konzepte hat. Einige Kinder erleben ihre Eltern in politischen Gesprächen, erfahren von Partizipationsmöglichkeiten, hören bei den Nachrichten zu und sind gleichzeitig in das gesellschaftliche
Konstrukt Familien eingebunden, welches konkret von der Familien- und Sozialpolitik mitgestaltet wird. Anderen Kindern eröffnen sich keine Erfahrungsräume, weil sich die Elterngeneration unpolitisch verhält. Ursachen dafür können Desinteresse, Bildungsferne aber auch fehlende soziale Teilhabe sein.
Dass die primären politischen Erfahrungsräume Kinder nachhaltig prägen, konnten David Easton und Robert D. Hess (vgl. 1962) nachweisen und kommen zu dem Schluss, dass die bis zum Ende der Grundschulzeit entwickelten politischen Einstellungen stabil wirken (S. 229 ff.). Wenn das der Fall ist, kommt dem Unterricht eine ganz wesentliche Aufgabe bei der Vermittlung politischen Wissens und demokratischer Bildung zu. Ein kontroverser Diskurs besteht in Bezug auf die Funktionen, Methoden und Ziele der politischen Bildung. So herrscht keine Einigung darüber, ob Kinder schulisch Politik im engeren oder im weiteren Sinne begegnen sollten (vgl. Templin, 2017, S. 01 ff.).
Erwiesen ist, dass Schülerinnen und Schüler bei Eintritt in die Grundschule schon über deklaratives und prozedurales Wissen im Bereich des Politischen verfügen. Jedoch ist dieses Wissen ungleich verteilt. Kinder aus bildungsfernen Schichten, ökonomisch benachteiligten Haushalten und Kinder mit Migrationshintergrund bringen deutlich weniger Kenntnisse mit. Vor allem Kinder mit Vorwissen schaffen es in den ersten Grundschuljahren, ihre Kenntnisse auszubauen. (Vgl. Vollmar 2007, S. 119 ff.)
Aufgrund der gegenwärtigen Fächerkulturen an den Berliner Grundschulen ist die Begegnung mit politischen Themen im Sachunterricht verortet, wobei im Rahmenlehrplan Teil B darauf hingewiesen wird, dass demokratische Bildung Aufgabe aller Fächer ist (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016c, S. 26). Innerhalb des Sachunterrichts, der den didaktischen Anspruch verfolgt vielperspektivische Sachbegegnungen zu ermöglichen, ist die politische Bildung der sozialwissenschaftlichen Perspektive inhärent. Neben der Sachunterrichtsdidaktik kann es gewinnbringend sein, andere bezugswissenschaftliche Didaktiken heranzuziehen, um dem fachlichen Anspruch gerecht zu werden. Verfolgt man den aktuellen politikdidaktischen Diskurs, stößt man in vielen Texten auf den Beutelsbacher Minimalkonsens, dessen Konsenspunkte inzwischen als didaktische Prinzipien gelten.
Fraglich ist, ob das vierzig Jahre alte Dokument, das innerhalb eines ganz bestimmten historischen Kontextes entstand, in der politischen Bildung gegenwärtig noch Bestand haben kann, wenn sich einerseits Demokratien wie eingangs beschrieben in einer Krise befinden und andererseits die Lernvoraussetzungen von Schülerinnen und Schülern aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen ungleich verteilt sind. Wenn der Beutelsbacher Konsens in den letzten Jahren handlungsleitend in der politischen Bildung wirkte, scheint er die Aufgabe, demokratische Einstellungen und Handlungsweisen zu begünstigen, nicht ausreichend befördert zu haben. Ausgehend von derThese, dass sich die (gesellschafts-) politischen Lebenswelten von Kindern seit der Formulierung des Konsenses grundlegend verändert haben, möchte ich in dieser Arbeit der Frage nachgehen, ob der Beutelsbacher Konsens den Ansprüchen eines gegenwarts- und zukunftsbezogenen Sachunterrichts gerecht wird. Erkenntnisleitend formuliere ich die These, dass die Konsenspunkte des Beutelsbacher Minimalkonsenses als unterrichtliche Prinzipien im politischen Sachunterricht den veränderten (gesellschafts-) politischen Lebenswelten von Kindern nicht gerecht werden.
Dazu untersuche ich in der Arbeit unterschiedliche fachwissenschaftliche Texte aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. Aufgrund der Vielzahl an Dokumenten und Ausführungen zum Konsens erfolgt eine Einschränkung derTexte unter diachronen Gesichtspunkten. Alle Texte, die sich unmittelbar auf 2
den Konsens beziehen, entstammen entweder seiner Entstehungszeit oder sind gegenwärtig publiziert worden. Ich gehe davon aus, dass bedeutsame Erkenntnisse aus der Zeit dazwischen die heutigen Texte mitprägten. Als eine der grundlegenden Primärquelle dieser Arbeit soll der Sammelband Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung von Benedikt Widmaier und Peter Zorn (vgl. 2016) genannt werden, der die Debatte um den Beutelsbacher Konsens zu seinem vierzigjährigen Jubiläum neu aufzurollen versucht.
Die Ausführungen zum Sachunterricht sind vor allem durch mein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin geprägt. Zentrale Begriffe der Sachunterrichtsdidaktik werden an den Grundlagentexten meines Studiums nachgezeichnet und für die Arbeit verfügbar gemacht.
Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert, denen sich ein Fazit anschließt. Beginnend möchte ich das Politische im Sachunterricht herausarbeiten (2). Grundlegend unterscheide ich in der Arbeit die wissenschaftliche Konzeption Sachunterricht von dem praktischen Schulfach Sachunterricht. Deshalb werde ich in einem ersten Schritt eine fachwissenschaftliche Verortung des Politischen in der Konzeption vornehmen, indem ich die zentralen Bezugspunkte Wissenschaft, Bildung und Lebenswelt auf politische Aspekte hin untersuche, aus denen sich politische Bildung legitimieren lässt. Daraufhin analysiere ich die grundlegenden Bezugsdokumente des Unterrichtsfaches Sachunterricht, den Rahmenlehrplan und den Perspektivrahmen, auf politische Inhalte. Ein Zwischenfazit soll die Erkenntnisse des ersten Teils der Arbeit für den weiteren Verlauf verfügbar machen.
Im Anschluss erfolgt eine historische Kontextualisierung des Beutelsbacher Konsenses (3). Dazu werde ich ausgehend vom Ende des Zweiten Weltkrieges die Entwicklung der deutschen Parteienpolitik beschreiben und deren Auswirkungen auf die politische Bildung kennzeichnen. Ein ähnlicher Abriss geschieht in Bezug auf die politische Bildung und die politikdidaktische Auseinandersetzung in der Nachkriegszeit. Dabei wird sichtbar, in welchem Konflikt sich sowohl die deutsche Parteienlandschaft, als auch die politische Bildung und die Politikdidaktik befanden. Erst das Verständnis dieses tief greifenden Dissens macht deutlich, warum der Wunsch nach einem Minimalkonsens existierte. Nach einer kurzen Beschreibung der Hintergründe zur BeutelsbacherTagung fasse ich die drei Konsenspunkte zusammen1 und schließe den Teil mit der Darstellung der Konsenspunkte als didaktische Prinzipien der politischen Bildung.
Im dritten Teil der Arbeit (4) setze ich mich kritisch mit den Konsenspunkten auseinander. Dazu ziehe ich verschiedene Vertreter der Politikdidaktik und der politischen Bildung heran. Anschließend erfolgt ein Abgleich der Ansprüche des Sachunterrichts mit denen des Beutelsbacher Konsenses, wobei untersucht wird, ob diese sich ergänzen oder widersprechen. Ein Rückgriff auf die Erkenntnisse aus den vorangegangenen Kapiteln soll dabei erkenntnisfördernd wirken. Die Darstellung der veränderten (gesellschafts-) politischen Lebenswelten von Kindern beginnt mit der Beschreibung ihrer politischen und gesellschaftlichen Umwelt. Auf Grundlage von Texten aus der Politikwissenschaft erarbeite ich den Begriff der Postdemokratie und exzerpiere mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Politik. Diese Auswirkungen beziehe ich dann auf die Erfahrungswelt der Kinder, um deren veränderte Lebenswelten zu beschreiben, wobei das Makro- Mikro-Makro-Modell2 aus der Sozialwissenschaft einbezogen wird.
In meinem Fazit werde ich die grundlegendsten Erkenntnisse der Arbeit zusammenfassen und aufeinander beziehen. Ziel ist es, meine Eingangsthese zu überprüfen, um die Forschungsfrage beantworten zu können und Konsequenzen für den Sachunterricht abzuleiten.
Will man das Politische im Sachunterricht aufspüren, stellt sich zuerst die Frage nach dem Verständnis des Begriffes Sachunterricht. Fokussiert man auf das Unterrichtsfach Sachunterricht und lässt die wissenschaftliche Theorie zum Sachunterricht außen vor, tappt man in eine Parallelisierungsfalle, die sich auch ergibt, wenn der Fokus einseitig auf der wissenschaftlichen Betrachtung liegt. So machen Detlef Pech, Marcus Rauterberg und Gerold Scholz (vgl. 2005) darauf aufmerksam, dass der Sachunterricht als Schulfach und die wissenschaftliche Betrachtung von Sachunterricht zu unterscheiden sind. Eben diese Unterscheidung soll bei der Untersuchung des Potenzials politischen Lernens im Sachunterricht handlungsleitend sein. Dazu soll in einem ersten Schritt die wissenschaftliche Konzeption des Sachunterrichts herangezogen werden, um herauszuarbeiten an welchen Stellen und durch welche Begriffe politische Bildung legitimiert werden kann oder gar dem Sachunterricht inhärent ist (2.1). Grundlegend dafür ist die, durch die Sachunterrichtsdidaktik entwickelte, Trias Sache, Welt und Kind, die als Wissenschaft, Bildung und Lebenswelt wesentliche Bezugsgrößen des Sachunterrichts beschreiben. Anschließend wird für den praktischen Unterrichtsbezug der Rahmenlehrplan Sachunterricht für Berlin und Brandenburg analysiert und untersucht, ob und in wieweit sich politische Lernprozesse ableiten lassen (2.2). Eine ähnliche Analyse erfolgt in Bezug auf den Perspektivrahmen Sachunterricht (2.3), der als Kompetenzmodell sachunterrichtliche Planungsprozesse im Unterricht unterstützt. In einem Zwischenfazit werden die Erkenntnisse abschließend zusammengefasst und für den weiteren Verlauf der Arbeit verfügbar gemacht (2.4).
Dagmar Richter kommt zu dem Ergebnis, dass als grundlegende Bezugsgrößen in der Sachunterrichtsdidaktik einerseits der Bildungsbezug und andererseits der Lebensweltbegriff dienen. Darüber hinaus nimmt der Sachunterricht neben der didaktischen Auseinandersetzung auch fachwissenschaftliche Verortungen wahr. So geht Pech (vgl. 2009, S. 02) von einer Trias aus, die sich aus einem bestimmten Bildungsverständnis, dem Lebensweltbegriff und den Wissenschaften konstruiert. Gerade für die Legitimation sachunterrichtlicher Lehr- und Lernprozesse entwickelt eben diese Trias unterrichtspraktisch ihr Potenzial. Ein nachhaltiger Sachunterricht darf keine der drei Bezugsgrößen aussparen. Die Vermittlung von Inhalten ohne Bezüge zu kindlichen Lebenswelten verliert ihre Anschlussfähigkeit. Gleichzeitig wäre eine Reduzierung der Sachen auf die lebensweltlichen Erfahrungsräume problematisch, da Selbstverständlichkeiten reproduziert würden (vgl. Kahlert 2009, S. 147). Wenn Joachim Kahlert (2009) darauf hinweist, dass „[sich] Lernen im Sachunterricht [...] somit im Spannungsfeld zwischen systematischen, das heißt auch immer fachlichen Anforderung und lebensweltlich rekonstruierbaren Bezügen entwickeln [muss]" (S. 147), bringt er dieses Verhältnis auf den Punkt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sachunterricht umfasst neben der Didaktik auch eine erziehungswissenschaftliche Perspektive (vgl. Rauterberg et al. 2006, S. 01). Auf dieser Grundlage konnte sich ein eigener Bildungsbegriff etablieren, der als dritte Bezugsgröße sachunterrichtliche Bildungsprozesse konstruiert. Der durch Wolfgang Klafki geprägte Allgemeinbildungsbegriff verweist auf die Notwendigkeit von Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung bei der Auseinandersetzung mit den Sachen (vgl. Klafki 2005, S. 01 ff.). Wenn im Folgenden der Versuch unternommen wird, das Politische im Sachunterricht aufzuspüren, sollen eben diese drei Bezugspunkte derSachunterrichtstrias erkenntnisleitend sein.
Aus den Wissenschaften ergeben sich die Sachen, denen Schülerinnen und Schüler im Unterricht begegnen. Da jede Sache aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann, die durch verschiedene Fachwissenschaften repräsentiert werden, ergibt sich dort ein konkreter Bezug zum Politischen. Die unter der sozialwissenschaftlichen Perspektive beschriebene Betrachtungsweise der Sachen kann weiter untergliedert werden. Beim Studium der Bezugswissenschaft Sozialwissenschaften an der Humboldt- Universität ergaben sich beispielsweise im Sommersemester 2017 die Seminarinhalte Einführung in die Sozialstruktur Deutschlands und Einführung in das Politische System der Bundesrepublik Deutschland. Versteht man die Sozialwissenschaften als ein Sammelbecken verschiedener Fachwissenschaften, die voneinander abzugrenzen sind, gleichzeitig einander befördern, kann als eine eigenständige, der Sozialwissenschaften zugehörigen Wissenschaft die Politikwissenschaft bestimmt werden. Damit umfasst die sozialwissenschaftliche auch eine politikwissenschaftliche Perspektive im Sachunterricht. Wenn jeder Sache somit politisch begegnet werden kann, sind das politische Lernen und die politische Bildung dem Sachunterricht inhärent. Da die Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts auf die Vernetzung verschiedener Perspektiven hinweist (vgl. Pech 2009, S. 03), würde ein unpolitischer Sachunterricht im Ergebnis eine wesentliche Perspektive aussparen und dem didaktischen Prinzip der Vielperspektivität nicht gerecht werden.
Der sachunterrichtliche Bildungsbegriff nach Klafki ist schon ein Politikum an sich. In seiner Neubestimmung der Allgemeinbildung mit seinem aufklärerischen Potenzial stellt er sich gegen das hegemoniale, bildungselitäre Verständnis eines definierbaren Bildungskanons, das aufgrund des selektiven Charakters Ungleichheiten reproduziert. Das wird vor allem in der zweiten Dimension seines Allgemeinbildungsbegriffes deutlich. So fordert Klafki (2005) eine Bildung für alle, die als Bildung im Medium des Allgemeinen übergreifende gesellschaftliche Fragen aufwirft und dabei die „geschichtlich gewordene Gegenwart und [die] sich abzeichnende Zukunft" (S. 02) einschließt. Darüber hinaus möchte er Bildung nicht nur als kognitiven Wissenserwerb verstanden wissen, sondern begreift sie auch handwerklich-technisch, ästhetisch, ethisch und politisch und schlussendlich sozial. Als erste Dimension definiert Klafki Allgemeinbildung als Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- undSolidaritätsfähigkeit. (Vgl. Klafki 2005, S. 02)
Im Verständnis Klafkis ist Bildung in „einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung als ein Bürgerrecht zu verstehen" (Lederer 2014, S. 218), dass allen Menschen zugänglich sein muss (vgl. Lederer 2014, S. 218). Das Politische lässt sich bei Klafki implizit entdecken, da seine grundlegenden Fähigkeiten nachhaltiges demokratisches Handeln fördern. Er beschränkt sich dabei nicht auf die Identifikation der eigenen Interessen, sondern legt einen wesentlichen Fokus auf die Ausbildung von Solidarisierung mit Menschen, deren Selbst- und Mitbestimmungsrecht eingeschränkt sind. Auch die Fokussierung auf Aufgaben und Probleme der Gegenwart und Zukunft kann politisch ausgelegt werden, vor allem bei der Betrachtung seiner epochaltypischen Schlüsselprobleme (vgl. Klafki 2005, S. 04 f.), die sich daraus ergeben. Krieg und Frieden, die ökologische Frage, die demografische Entwicklung der Weltbevölkerung, Ungleichheiten auf verschiedenen Ebenen, die technische Entwicklung oder das soziale Beziehungsgefüge in modernen Gesellschaften sind Schlüsselprobleme, die weder unpolitisch beschrieben, noch unpolitisch gelöst werden können.
Klafki selbst benennt ganz explizit das Politische, in dem er Mitbestimmungsfähigkeit als Gestaltung politischer Prozesse und Verhältnisse konkretisiert. Die Förderung von Solidarität hat unter anderem zum Ziel, politische Einschränkungen oder Unterdrückungen zu identifizieren und sich im Ergebnis solidarisch zu verhalten. Schlussendlich fordert er neben dem Wissenserwerb auch die Ausbildung „ethische[r] und politische[r] Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit[en]" (Klafki 2005, S. 02).
Neben der fachwissenschaftlichen Bezugsgröße und dem Bildungsbegriff des Sachunterrichts gilt der Lebensweltbezug als fundamentale Voraussetzung sachunterrichtlicher Bildungsprozesse. Dabei existieren vielfältige Begriffsbestimmungen in Bezugaufden Lebensweltbegriff.
Rauterberg (1999) kommt aufgrund der Analyse von Rahmenlehrplänen zu dem Schluss, dass der Lebensweltbegriff einerseits als eine äußere Kategorie verstanden wird, die den „Raum außerhalb einer Person" (S. 188) beschreibt. Bei diesem Verständnis steht die Untersuchung und Beschreibung des individuell geprägten Nahraumes im Vordergrund. Andererseits liegt ein innerer Lebensweltbegriff vor, der den konstruktiven Charakter beschreibt. Rauterberg spricht von einer „Gesamtvorstellung [...], die sich das Kind von dem Teil der Welt macht, in dem es lebt und den es für die ganze Welt hält". Somit sind auch Träume, Ängste und andere Gefühle Teile der Lebenswelt, die den subjektiven Charakter unterstreichen. (Vgl. Rauterberg 1999, S. 188 ff.)
Kahlert beschreibt die Lebenswelt als die Welt, wie sie dem Einzelnen als Phänomen erscheint und von ihm konstruiert wird. Dazu verflechten sich die individuellen Wahrnehmungen mit Sinn gebender Interpretation, sodass subjektive Entwürfe der Welt entstehen. Daraus resultiert das Alltagswissen, dass sich im Zusammenleben in der Alltagswelt entfaltet. Lebensweltliches Wissen ist immer partikulär und abhängig von Bedingungen, die nicht sozial gerecht oder gleich verteilt sind. (Vgl. Kahlert 2008, S. 32 ff.)
Um Kahlerts Verständnis von Lebenswelt herauszuarbeiten, ob sich politisches Lernen im Sachunterricht legitimieren lässt, müssten individuelle lebensweltliche Vorstellungen diagnostiziert werden. Den Anspruch kann weder diese Arbeit noch eine Unterrichtsplanung erfüllen und so fasst Kahlert die verschiedenen Lebenswelten zu Dimensionen der Lebenswelt3 zusammen. Dabei handelt es sich um die ^geteilten Praktiken' eines Kulturkreises" (Kahlert 2009, S. 219) mit dem Versuch, die „Deutungen und Erfahrungen [zu identifizieren - Anm. d. Verf.j, bei denen man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass alle Menschen eines Kulturkreises sie gemeinsam teilen oder zumindest teilen können" (S. 219).
Easton und Hess untersuchten schon 1962 die Wahrnehmung von Politik bei Kindern in Amerika vor Eintritt in die Grundschule. Dabei gehen sie davon aus, dass die politische Orientierung abhängig von der Weitergabe politischer Inhalte durch die ältere an die jüngere Generation ist, und bezeichnen dieses Phänomen als politische Sozialisation. Politische Inhalte werden beschrieben als „political knowledge, attitudes, and standards of evaluation" (Easton & Hess 1962, S. 230). Die Autoren konnten nachweisen, dass Kinder schon früh ihre politische Umwelt wahrnehmen, auch wenn Begriffe wie Politiker oder Politik teilweise noch nicht ausgebildet sind. Eine wesentliche Erkenntnis verschiedener Untersuchungen ist, dass politische Einstellungen schon zum Ende der Grundschule ausgebildet sind und mit vierzehn Jahren stabil wirken. Die wenigsten untersuchten Jugendlichen veränderten die eigenen politischen Einstellungen in der Oberschule. So stellen Easton und Hess fest, dass „[t]he truly formative years of the maturing member of a political system would seem to be the years between the ages of three and thirteen. It is this period when rapid growth and development in political orientations take place, as in many areas of non-political socialization" (Easton & Hess 1962, S. 236). Aufgrund dieser Feststellungen kommen sie zu dem Schluss, dass frühe politische Bildung für die Stabilisierung eines demokratischen Systems notwendig ist, da Kinder lebensweltlich mit politischer Umwelt konfrontiert sind. (Vgl. Easton & Hess 1962, S. 229 ff.)
Auch die Erhebung des Projektes Demokratie Leben Lernen, welches das politische Wissen von Grundschülerinnen und Grundschülern zu Beginn und zum Ende der ersten Klasse testet, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Schon am Anfang der Grundschulzeit verfügen Kinder über Strukturwissen, Funktionswissen, politisches Symbolwissen und einen Demokratiebegriff. Das perzeptive politische Wissen hingegen bildet sich erst mit der Zeit heraus. Eine signifikante Auswirkung auf die Präkonzepte haben der Medienkonsum, die Herkunft und der sozioökonomische Hintergrund. Vor allem Kinder aus türkischstämmigen Familien zeigen dabei geringe politische Kenntnisse. Das Wissensniveau stellt den größten Einflussfaktor beim Zugewinn von Kenntnissen zu politischen Themen dar. Kinder, die schon politische Vorbildung aufweisen, konnten dieses im ersten Schuljahr nachweislich ausbauen. (Vgl. Vollmar 2007, S. 119 ff·)
Die beiden beschriebenen Studien weisen nach, dass Kinder lebensweltliche Vorstellungen zur Politik besitzen, welche in Bildungsprozessen verfügbar gemacht werden können. Eine lebensweltliche Legitimation politischer Inhalte ist damit nachgewiesen. Darüber hinaus kommt der frühen schulischen politischen Sozialisation aber auch kompensatorische Bedeutung zu, da Einstellungen zum Ende der Grundschulzeit im weiteren Verlauf der Biografie sehr stabil wirken und nur noch schwer veränderbar sind. Auch große Unterschiede aufgrund der Herkunft oder sozialer Benachteiligung können früh aufgefangen und verringert werden.
Im neuen Rahmenlehrplan für das Unterrichtsfach Sachunterricht für die Bundesländer Berlin und Brandenburg können vielfältige Aspekte der wissenschaftlichen Konzeption von Sachunterricht identifiziert werden. So ist der Lebensweltbezug grundlegend für die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler, da „an eigene Einsichten, Interessen und Fähigkeiten, vor- und außerschulische Erfahrungen und Kenntnisse [angeknüpft]" (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 03) werden soll. Handlungsleitend für die Planung und Umsetzung von Inhalten und Themen sind Kinderfragen (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 04). Da der Rahmenlehrplan als Instrument Inhalte vorgibt, die nicht konkret aus den lebensweltlichen Bezügen einer konkreten Klasse abgeleitet werden, erfolgt die Legitimierung der acht vorgeschriebenen Inhalte über die Dimensionen der Lebenswelt. So heißt es, dass „Erde, Kind, Markt, Rad etc. [...] jeweils auf eine Sache oder Phänomen fokussiert [sind], mit dem die Lernenden eine Vorstellung und in der Regel auch Erfahrungen verknüpfen" (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 21).
Auch Klafkis Gegenwarts- und Zukunftsbedeutungen werden durch den Rahmenlehrplan gestützt (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016, S. 03; S. 21), wobei diese nicht durch die epochaltypischen Schlüsselprobleme konkretisiert werden. Auch der prominente und viel diskutierte eigenständige BildungsbegriffderSachunterrichtsdidaktiktaucht im Rahmenlehrplan nicht auf.
Ein grundlegender Widerspruch zur Konzeption Sachunterricht ergibt sich aus dem Verständnis des Verhältnisses zwischen Sachunterricht und den weiterführenden Fächern. Der Sachunterricht soll laut Rahmenlehrplan auf die weiterführenden Fächer vorbereiten und dann durch die Naturwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften in der fünften und sechsten Klasse weitergeführt werden4. Grundlegende Fähigkeit des Fachunterrichts ab der siebten Klasse legt schon der Sachunterricht. (Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 43)
Da nun aber der Sachunterricht einerseits ein eigenes Bildungsverständnis verfolgt, das teilweise von den Fächern der weiterführenden Schulen abweicht und andererseits aufgrund der Perspektivenvielfältigkeit kein bestimmtes Fach in den Vordergrund stellt, werden zwar vorfachliche Erfahrungen angeboten, jedoch haben diese eher einen impliziten als einen expliziten Charakter.
Anders als die Identifizierung der zentralen sachunterrichtlichen didaktischen Begriffe gestaltet sich die Untersuchung politischer Bildungsinhalte im Rahmenlehrplan als schwierig. Da eine Zuordnung der Inhalte zu bestimmten Perspektiven nicht explizit vorgenommen wird, ist die Gestaltung von Themen im Sachunterricht hochgradig lehrerabhängig. Alle aufgeführten Inhalte sind interpretationsbedürftig und werden erst in der konkreten Unterrichtsplanung thematisch gefüllt5. Einerseits können aufgrund vertiefter Kenntnisse von Klafkis Verständnis zur Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung alle Inhalte auf Grundlage der epochaltypischen Schlüsselprobleme politisch ausgelegt werden. Andererseits ist es möglich, viele der Themen unpolitisch aufzufassen und umzusetzen.
Auch die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, die im Zuge der Darstellung der fachbezogenen Kompetenzen (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 04 ff.) beschrieben sind, können als politische Kompetenzen interpretiert werden. Vor allem der Bereich Urteilen mit den Kompetenzen „abwägen, auswerten, bewerten, differenzieren, einschätzen, entscheiden, gewichten, hinterfragen, korrigieren, nachdenken, schlussfolgern, urteilen, vergleichen, zuhören" (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 05) beschreibt wesentliche prozessorientierte Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen, die eine politische Auseinandersetzung befruchten. Im Rahmenlehrplan gelten diese jedoch perspektivenübergreifend und müssen in einem konkreten Unterrichtsvorhaben im Bereich der politischen Bildung entsprechend bewertet und eingeordnet werden.
Die politische Bedeutung der verschiedenen Perspektiven ergibt sich nicht eindeutig. Die sozialwissenschaftliche Perspektive wird zwar benannt, jedoch werden die Teilbereiche dieser Disziplin nicht aufgeführt. Dies scheint verwunderlich, betrachtet man die eigene Perspektivenvielfalt dieser Wissenschaft6. Die Soziologie und Politikwissenschaft sind in dem Sammelbecken der Wissenschaften nur zwei exemplarische Beispiele, welche von den Lehrkräften als Bezugsperspektiven mitgedacht werden müssen.
Zwar wird die sozialwissenschaftliche Perspektive weiter ausgeführt und benennt als wesentlichen Inhalt die Frage nach dem Zusammenleben in der Gesellschaft, allerdings werden als einziger politischer Inhalt explizit Wahlen benannt. Als politische Inhalte im weiteren Sinn können Werte und Normen, Toleranz und die Entwicklung begründeter politischer Urteile angeführt werden. Aus der naturwissenschaftlichen Perspektive ergibt sich des Weiteren der wesentliche Themenkomplex zur Förderung der Bildung für nachhaltige Entwicklung. (Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 23 f.)
Die Gegenwartsbedeutung von Inhalten wird im Rahmenlehrplan durch potenzielle fakultative Themen befördert. So sollen im Unterricht „aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen" (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 22) betrachtet werden. Inwieweit diese politisch ausgelegt werden, liegt in den Händen der Lehrkräfte.
Betrachtet man das Kompetenzmodell der Geographiedidaktik, steht das Mensch-Umwelt-System im Zentrum, wobei den naturgeographischen (Sub-) Systemen immer die humangeographischen (Sub-) Systeme gegenüberstehen (vgl. Deutsche Gesellschaft für Geographie 2006, S. 12). Allein daraus ergeben sich unzählige gesellschaftspolitische Fragestellungen, die im Rahmenlehrplan Sachunterricht aufgegriffen werden können. Neben der Kartenarbeit sollen die Schülerinnen und Schüler Kompetenzen in den Bereichen „Vielfalt, Eigenart und Unterschiedlichkeit menschlicher Lebenssituationen im Zusammenhang mit räumlichen Bedingungen" (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 24) entwickeln und außerdem die unterschiedliche Nutzung der Umwelt durch Menschen kennenlernen (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 24).
Einen ähnlichen Anspruch verfolgt die historische Perspektive, da es neben Quellenkunde und der Arbeit mit dem Zeitfries auch um die Erkenntnis der historisch geprägten Gegenwart geht, was wiederum zur Einsicht führt, dass gegenwärtige Handlungen eine Zukunftsrelevanz aufweisen. (Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 25)
Die im Rahmenlehrplan konkret ausgeführten Inhalte können zum größten Teil politisch verstanden werden aber auch ohne politischen Bezug aufgefasst werden. Da eine perspektivenbezogene Einordnung fehlt, liegt die Verantwortung des unterrichtlichen Angebotes bei den Lehrkräften. Beispielsweise finden sich im Themenkomplex Kind Inhalte zur sexuellen Vielfalt (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 30). Ob dieses Thema unter einer politischen Perspektive Betrachtung findet, bleibt offen. Eine Ausnahme dazu findet sich im Bereich Erde, wo die politischen Ebenen Kommune, Landkreis, Stadt und Landeshauptstadt, öffentliche Einrichtungen und Wahlen, Interessen und Entscheidungsfindung ganz konkret der Politik und Verwaltung zugeordnet werden (vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2016a, S. 29).
Dass der Perspektivrahmen Sachunterricht näher an der Konzeption Sachunterricht anknüpft, ist insoweit nicht verwunderlich, da dieser von der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts herausgegeben wird. Geschrieben und weiterentwickelt wurde er von namhaften Vertretern der Sachunterrichtsdidaktik. Innerhalb des Perspektivrahmens nimmt der Bildungsbegriff einen zentralen Stellenwert ein, da dieser vorangestellt wird und innerhalbjeder Perspektive perspektivbezogen konkretisiert wird.
Wie bei Klafki verfolgt der Bildungsanspruch im Perspektivrahmen die Ausbildung der Identität, welche solidarisches und verantwortungsvolles Handeln fördern soll. Im Gegensatz zu Klafki wird im Perspektivrahmen der Kompetenzbegriff einbezogen, der eine inhaltliche Dimension eröffnet, die sich in den Perspektiven wiederfindet. Dazu wird der Lebensweltbezug angeführt, von dem aus sachunterrichtliches Lernen stattfindet und mit fachwissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft werden soll. Im Zuge dessen wird ein besonderes Augenmerk auf die sprachliche Bildung gelegt, damit alle Kinder befähigt werden, Phänomene sachgerecht zu beschreiben. (Vgl. GDSU 2013, S. 09 ff.)
Die Vielperspektivität als zentrales didaktisches Prinzip wird über das Kompetenzmodell des Perspektivrahmens beschrieben und durch die Zuordnung von Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen konkretisiert. Anders als im Rahmenlehrplan geht der Perspektivrahmen von perspektivübergreifenden und perspektivbezogenen Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen aus. Auf die Notwendigkeit Themenbereiche perspektivübergreifend zu behandeln, wird ausführlich eingegangen. Ein großer Vorteil liegt in der Konkretisierung der fünf Perspektiven, die beispielsweise die sozialwissenschaftliche Perspektive in Politik, Wirtschaft und Soziales untergliedert. Im Unterschied zum Rahmenlehrplan werden die Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen über mehrere Seiten beschrieben und so für die Unterrichtsplanung verfügbar gemacht. (Vgl. GDSU 2013, S. 12 ff)
Schon im ersten Satz zum Bildungspotenzial der sozialwissenschaftlichen Perspektive nimmt das Politische einen prominenten Stellenwert ein: „Ziel der sozialwissenschaftlichen Perspektive ist es, Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler für das Zusammenleben in der Demokratie zu fördern" (GDSU 2013, S. 27). Dabei steht vor allem die Befähigung zur aktiven Teilhabe, die Reflexion gesellschaftlicher Probleme und Aufgaben und die Entwicklung von Lösungsstrategien im bildungsrelevanten Fokus. Im Folgenden wird konkret auf die sozialwissenschaftlichen Vorerfahrungen der Kinder eingegangen, die politisch durch den Umgang in sozialen Gruppen und mit Medien geprägt sind. Aufgabe des Sachunterrichtes ist es dieses Vorwissen mit Hilfe von Fachwissen zu strukturieren und die Anschlussfähigkeit an weiterführende Bildungsprozesse zu fördern. Zentral benannte Kategorien des Politischen sind dabei Entscheidungen, Gemeinwohl und Ordnung, aber auch im Bereich der Rechtswissenschaften Grundrechte, Rechtsprechung, Sicherheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Des Weiteren sollen sich Kinder im Sachunterricht mit der „Klärung und Deutung von Normen und Werten" (GDSU 2013, S. 29) zur Förderung von Toleranz und Respekt auseinandersetzen. (Vgl. GDSU 2013, S. 27 ff.)
Als perspektivbezogene Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen steht die Förderung von Partizipation, Argumentation, Urteilen, Begründen, Planung und Umsetzung im Mittelpunkt der sozialwissenschaftlichen Perspektive. Sie werden auf mehreren Seiten konkretisiert und in Teilkompetenzen aufgegliedert. Ebenso erfolgt eine Konkretisierung der perspektivbezogenen Themenbereiche. (Vgl. GDSU 2013, S. 29 ff.)
Auch wenn das Politische vor allem in der sozialwissenschaftlichen Perspektive verortet ist, können auch in den anderen Perspektiven politische Inhalte identifiziert werden. Innerhalb der naturwissenschaftlichen Perspektive werden Erkenntnisse immer wieder in Bezug zur Bildung für nachhaltige Entwicklung gesetzt (vgl. GDSU 2013, S. 39 ff.). Ein Fokus in der geografischen Perspektive liegt auf der Natur-Mensch-Beziehung, die politisch analysiert und beeinflusst werden kann und auch Gefahren thematisieren soll. (vgl. GDSU 2013, S. 47 ff.) Ähnliche Befunde ergebene sich für die historische und technische Perspektive.
Der Anspruch, politisch im Sachunterricht zu bilden, lässt sich durchgängig aus dem Perspektivrahmen ableiten. Keine Perspektive bleibt dabei unpolitisch und ganz explizit wird die sozialwissenschaftliche Perspektive mit unzähligen Kompetenzen zum politischen Lernen ausgestattet. Da schon der übergreifende Bildungsbegriff politische Vorerfahrungen, Inhalte und Ziele mitdenkt, würde ein unpolitischer Sachunterricht die Ansprüche des Perspektivrahmens nicht einlösen.
In den vorangegangenen Kapiteln konnte gezeigt werden, dass verschiedene Legitimationswerkzeuge für den politischen Sachunterricht existieren. Dabei schließen diese sich nicht gegenseitig aus, sondern fördern ein tiefer gehendes Sachunterrichtsverständnis aufseiten der Lehrkräfte. Auch wenn Pech (vgl. 2009, S. 03) daraufhin weist, dass jede Legitimierung eine Bezugsgröße der Sachunterrichtstrias in den Fokus der Konzeption oder Planung rückt, müssen die zentralen Begriffe der Sachunterrichtstrias immer mitgedacht werden, um einen nachhaltigen Sachunterricht anzubieten, der seiner Konzeption gerecht wird.
Dass politisches Lernen sowohl durch den Wissenschaftsbegriff als auch durch den Bildungsbegriff und lebensweltlich abgedeckt ist, konnte gezeigt werden. Damit gehören politische Bildungsprozesse zum Sachunterricht, was noch deutlicher wird, wenn die Erkenntnisse zum heterogenen politischen Vorwissen von Kindern herangezogen werden. Dadurch müssen politische Inhalte nicht nur anschlussfähig wirken, sondern reduzieren kompensatorisch und präventiv Ungleichheiten.
Die Beachtung des wissenschaftlichen Entwurfes zum Sachunterricht setzt der Perspektivrahmen deutlicher um als der Rahmenlehrplan. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass zwar auch mithilfe des Rahmenlehrplans politische Bildungsprozesse legitimiert werden können, diese aber nicht so explizit gefordert werden wie im Perspektivrahmen. Vor allem bei der Planung durch fachfremde Lehrkräfte kann es leicht zur Reduktion oder gänzlichen Vernachlässigung politischer Inhalte kommen.
Um die Bedeutung des Beutelsbacher Konsenses nachvollziehen zu können, ist ein grundlegendes Wissen über seinen Entstehungskontext notwendig. Aus diesem Grund soll im Folgenden eine historische Einbettung erfolgen. Zur besseren Systematisierung wird die Darstellung der Entstehungsgeschichte aus zwei Perspektiven betrachtet.
In einem ersten Teil wird ausgehend vom Ende des Zweiten Weltkriegs die Geschichte der deutschen Parteienlandschaft skizziert und herausgearbeitet, welche Auswirkungen deren Polarisierung auf die politische Bildung hatte (3.1). Die zweite Perspektive behandelt den ebenfalls polarisierten Diskurs der Politikdidaktik über die Ausrichtung der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland (3.2), wobei ich die Konzepte zur politischen Bildung vorstelle (3.2.1), und anschließend den politikdidaktischen Dissens zusammenfasse (3.2.2). Aufgrund der Konfliktbeschreibung wird deutlich, warum das Bedürfnis nach einem Konsens bestand (3.2.3).
Anschließend wird die Beutelsbacher Tagung in die Historie eingebettet (3.3) und deren Ergebnis, der Beutelsbacher Konsens (3.4) mit seinen drei Konsensprinzipien Überwältigungsverbot (3.4.1), Kontroversitätsgebot (3.4.2) und Schülerorientierung (3.4.3) beschrieben. In einem letzten Schritt verdeutliche ich die Bedeutung des Beutelsbacher Konsenses für die gegenwärtige Politikdidaktik und die praktische politische Bildung (3.5).
Nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg setzte ausgehend von der amerikanischen Siegermacht eine Reeducation ein, die zum Ziel hatte zur Demokratie umzuerziehen und dessen Grundlage die Umgestaltung des deutschen Bildungswesens nach amerikanischem Vorbild war (vgl. Gagel 2002, S.06). Jedoch setzte sich die geforderte Mitbestimmung der Schülerinnen, Schülern und Eltern an Schulen, die flächendeckende Einführung eines Unterrichtsfaches politische Bildung und die Etablierung einer Gesamtschule nicht durch (vgl. Sander 2015). Die Briten vermieden den Begriff der Umerziehung und verstanden sich eher als Vorbild für und Förderer der innerstaatlichen demokratischen Bildungsbestrebungen. Dies geschah vor allem durch Bildungsreisen deutscher Lehrer und Hochschullehrer, denen Demokratie lebendig vermittelt werden sollte. Der Beginn des Kalten Krieges zog ein Interessenwechsel der amerikanischen Siegermacht nach sich, da die Stationierung amerikanischer Soldaten in Deutschland fundamental für den Schutz vor kommunistischen Einflüssen erschien. Statt einer Umerziehungspolitik setzten die USA auf kooperative außenpolitische Beziehungen, die eine deutsche politische Selbstständigkeit ermöglichte, welche durch die Westintegration gefördert und dahin gehend gelenkt wurde. Neben der Entstehung und Festigung demokratischer Strukturen erfolgte die Etablierung eines marktliberalen Wirtschaftssystems nach westlichem Vorbild. (Vgl. Gagel 2002, S. 06 f.)
Die drei politisch kontroversen Felder Besatzungspolitik, Wirtschaftspolitik und Bildungspolitik unterstützten innenpolitisch die Ausbildung des parteipolitischen Spektrums, welches noch heute als links und rechts von der Mitte beschrieben wird. Die CDU/CSU7 unterstützte einerseits die westliche Orientierung am marktliberalen Wirtschaftssystem, andererseits verfolgte sie aber konservativ ausgerichtet eine Restauration des Schulsystems vor 19338. Die SPD setzte hingegen programmatisch auf die Ausbildung eines planwirtschaftlichen Systems und favorisierte bildungspolitisch das amerikanische Modell einer Stufen- oder Einheitsschule mit Social Studies, die Demokratie als Lebensform vermitteln sollte. Im Spannungsfeld zum Kommunismus setzte sich aufgrund der prioritären Ausrichtung im Bereich der Wirtschaftspolitik eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den westlichen Siegermächten und der konservativen CDU/CSU durch, die den Verzicht der Reform des deutschen Bildungssystems nach sich zog, als außenpolitische Interessen dazu führten, dass die Machtstellung der Siegermächte im Bereich der Bildung aufgegeben wurde und die Bildungspolitikwieder innerstaatlich entschieden werden konnte. (Vgl. Gagel 2002, S. 07 f.)
Walter Gagel (vgl. 2002) kommt zu dem Schluss, dass sich nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland zwar ein sozialer Wandel vollzog, die Mentalität sich jedoch autoritär und traditionell ausgerichtet zementierte. Die Ursache dafür sieht er in der Restauration vornationalsozialistischer Strukturen. (S. 08)
[...]
1 Die drei Konsenspunkte sind im Originalwortlaut der Arbeit angefügt (7.1, S. 56).
2 Das Makro-Mikro-Makro-Modell ist der Arbeit angefügt (7.2, S. 57).
3 Kahlert führt den Begriff der Dimensionen der Lebenswelt aus zweierlei Gründen ein. Einerseits ist jede Konstruktion der Lebenswelt Anderer nie deren tatsächliche Lebenswelterfahrung. Unterricht kann somit nie an die ganz konkrete persönliche Lebenswelterfahrung anknüpfen. Andererseits sind die Lebenswelterfahrungen einer Klasse immer so heterogen, dass Unterricht nie gänzlich an alle Erfahrungen anschließen kann. Ausschlaggebend ist somit die Identifizierung der Dimensionen der Lebenswelt, von denen angenommen werden kann, dass diese geteilt werden oder zumindest geteilt werden könnten. (Vgl. Kahlert 2009, S. 218 f.)
Zu untersuchen wäre, inwieweit die neuen Unterrichtsfächer Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften den bisherigen Bruch zwischen Sachunterricht und Fachunterricht schließen können. Beim Studium der zugrunde liegenden Rahmenlehrpläne scheinen wesentliche Begriffe und Konzepte der Sachunterrichtsdidaktik nun auch explizit handlungsleitend für den Unterricht der fünften und sechsten Klasse zu sein. Beispielsweise fördert die neue Unterrichtskonzeption nun auch perspektivenvielfältige Auseinandersetzungen anhand exemplarischer Themen. Ist dies der Fall, könnte konzeptionell schon eher von einem vorfachlichen Sachunterricht in Bezug auf Gesellschaftswissenschaften und Naturwissenschaften gesprochen werden.
5 Kahlert unterscheidet zwischen Inhalt und Thema. So geben beispielsweise Lehrpläne Inhalte vor, die durch die Verknüpfung mit einer bestimmten Perspektive zum konkreten Thema werden. In einem vielperspektivischen Sachunterricht bearbeiten die Schülerinnen und Schüler dann zwar alle einen Inhalt, jedoch thematisch vielfältig. (Vgl. Kahlert 2009, S. 204ff.)
6 Der Umfang der Sozialwissenschaften wird auf Wikipedia zusammengefasst als Anthropologie, Demografie, Ethnologie, Kindheitsforschung, Kommunikations- und Medienwissenschaften, Kunst- und Kulturwissenschaft, Pädagogik, Politikwissenschaft, Psychologie, Religionswissenschaft, Soziale Arbeit, Sozial- und Humangeographie, Sozialgeschichte, Sozialmedizin, Sozialpsychologie, Sozialphilosophie, Sozialethik, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft.
7 Für die Gestaltung der Bundesrepublik Deutschland waren die Programme der CDU/CSU in der Nachkriegszeit prägend, da diese zwischen 1949 und 1966 als stärkste gemeinsame Fraktion aus den Bundestagswahlen hervorging, damit den Bundeskanzler stellte und die politische Richtlinienkompetenz innehatte. Erst im Zuge der ersten Großen Koalition 1966 etablierte sich die SPD als politische Alternative im deutschen Parteiensystem und übernahm 1969 die Regierungsgeschäfte als stärkste Partei. (Vgl. Niedermayer 2015, S. 05 ff.)
8 Dabei wurden die Ursachen für die Entstehung des Nationalsozialismus nicht in der autoritär ausgerichteten Gesellschaft und Schule vor 1933 gesucht. Gerade der Wegfall des Gymnasiums im Nationalsozialismus legitimierte im politischen Diskurs die Wiedereinführung eines dreigliedrigen Schulsystems, in dem das humanistisch ausgerichtete Gymnasium mit der Fokussierung auf Goethe sowie anderen deutschen Traditionen des Bildungsbürgertums und die Rückkehr zu Gott heilende Wirkung entfalten sollte. Hinzu kam die Erstarkung eines deutschen Selbstbewusstseins, welches sich gegen die Bestrebungen der Siegermächte entlud. (Vgl. Gagel 2002, S. 08)