Magisterarbeit, 2005
82 Seiten, Note: 2,0
Didaktik für das Fach Englisch - Literaturgeschichte, Epochen
EINLEITUNG
I. BEGRIFFSKLÄRUNGEN NACH BURKART
II. KOMMUNIKATION ALS MACHTINSTRUMENT DES
TOTALITÄREN STAATES
1. Manipulation interpersoneller, verbaler Kommunikation
1.1 Manipulation des Sprachsystems
1.2 Auswirkungen auf Kommunikationssituationen
2. Manipulation durch Mediensysteme
2.1 Funktionen Traditioneller Medien
2.2 Funktionen Neuer Medien
III. KOMMUNIKATION ALS MITTEL INDIVIDUELLEN
WIDERSTANDES
1. Widerstand durch Schriftlichkeit
1.1 Das Tagebuch
1.2 Identitätsstiftende Literatur
2. Widerstand durch verbale Kommunikation
2.1 Subversiver Sprachgebrauch
2.2 Das Streitgespräch
FAZIT
LITERATURVERZEICHNIS
„Man kann nicht nicht kommunizieren.“1 Bereits dieses Theorem Watzlawicks verdeutlicht die Allgegenwärtigkeit und Komplexität kommunikativer Vorgänge. Kommunikation ist ein grundlegender Bestandteil jeder Gesellschaft und manifestiert sich auf unterschiedliche Art und Weise mit unterschiedlichen Funktionen. Dies geschieht nicht nur in realen Gesellschaften, sondern ebenso auf fiktiver Ebene in utopischen Gesellschaftsformen. Aus diesem Grunde untersucht die vorliegende Arbeit unterschiedliche Formen von Kommunikation in Aldous Huxleys Brave New World, George Orwells Nineteen Eighty-Four, Ray Bradburys Fahrenheit 451 und Margaret Atwoods The Handmaid’s Tale.
Die aktuelle Sekundärliteratur bietet häufig nur marginale Bemerkungen zu Kommunikationsformen in literarischen Utopien. Dort wo gezielt auf Kommunikation eingegangen wird, liegt der Schwerpunkt oftmals auf Orwells Newspeak und vernachlässigt Einblicke hinsichtlich dieser Thematik in übrige Werke. Daher scheint es sinnvoll, in dieser Untersuchung diese vier Dystopien des 20. Jahrhunderts einander vergleichend gegenüberzustellen und Abweichungen sowie Gemeinsamkeiten hinsichtlich auftretender Kommunikationsformen zu veranschaulichen. Es ist somit Ziel dieser Untersuchung mittels eines soziologischen Ansatzes herauszuarbeiten, auf welche Weise sich der totalitäre Staat als politisches System Kommunikation nutzbar macht und welche Konsequenzen daraus für die Masse, aber auch für den Widerstand der Rebellen resultieren.
Roland Burkarts einführendes Werk2 zur Kommunikationswissenschaft stellt den
nötigen begrifflichen Apparat zur weiterführenden Analyse der Dystopien bereit. Der inhaltliche Schwerpunkt der darauf folgenden Abhandlung liegt auf der Untersuchung jener Kommunikationsformen, derer sich die Seite der Herrscher bedient. Durch die bewusst manipulative Nutzung verschiedener Kommunikationsformen erhält das System Macht über die Bevölkerung und kann seine Ziele verwirklichen. Diesbezüglich wird anfangs auf Interventionen in dem Bereich interpersoneller Kommunikation eingegangen, die sich in den Werken vor allem auf verbaler Ebene manifestieren. Analysiert werden Eingriffe in das Sprachsystem als Medium verbaler Kommunikation und die daraus entstehenden Folgen für Gesprächssituationen.
In einem nächsten Schritt wird die Untersuchung auf Massenkommunikation und die Rolle des Mediensystems ausgeweitet, welches in totalitär organisierten Gesellschaften dem politischen System untersteht. Es erfolgt diesbezüglich eine Aufgliederung in Traditionelle Medien und Neue Medien und ihre Funktionen in den dystopischen Gesellschaften.
Kommunikationsformen können gleichermaßen den Zielen der Regierungen diametral entgegenwirken, indem sie von den Rebellen subversiv genutzt werden. Der nächste Teil der Untersuchung beschäftigt sich daher mit Kommunikation als Ausdrucksform des Widerstands gegen das bestehende Regime. Behandelt wird die Art und Weise, wie die Außenseiter Kommunikation subversiv nutzen, um dem System zu entkommen oder Veränderungen innerhalb der Gesellschaft zu bewirken. In diesem Kapitel erfolgt eine Unterscheidung von Widerstand durch Schriftlichkeit und Widerstand durch verbale Kommunikation. Das Tagebuch gilt als besonderes Medium für persönlichen Widerstand und übernimmt in Nineteen Eighty-Four und The Handmaid’s Tale eine wichtige Rolle. In Brave New World und Fahrenheit 451 hingegen dient Literatur im Allgemeinen den Außenseitern als Wegweiser in die Rebellion. Auch verbale Kommunikation fungiert als Ventil, um dem Protest gegen das Regime Ausdruck zu verleihen. In The Handmaid’s Tale manifestiert sich dies besonders durch einen explizit nach außen getragenen subversiven Sprachgebrauch, der in den besprochenen Werken einzigartig ist. Darüber hinaus wird das Streitgespräch zwischen den Rebellen und den Vertretern der Regierungen als Höhepunkt der Widerstandsbestrebungen thematisiert und vergleichend dargelegt.
In einem abschließenden Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse reflektiert und Ausblicke für weiterführende Untersuchungen geliefert.
Die Begrenztheit der Untersuchung ermöglicht nur die angemessene Analyse der genannten Aspekte. Musik als Ausprägung verbaler Kommunikation sowie Formen nonverbaler Kommunikation werden demnach nicht behandelt. Neben jenen Medien, die einer gewissen Technologie bedürfen, treten in den Werken jedoch auch massenmediale Formen von Kommunikation auf, die ohne technische Mittel wirken, wie öffentliche Zeremonien. Diese nichttechnischen Medien finden in der vorliegenden Betrachtung ebenfalls keine Berücksichtigung.
Um die kommunikativen Erscheinungsformen in den literarischen Werken angemessen zu analysieren bedarf es eines Orientierungspunktes und klarer Begriffsdefinitionen, die besonders aufgrund der Vielschichtigkeit kommunikativer Prozesse unbedingt notwendig sind.
Burkart definiert mittels eines soziologischen Ansatzes Kommunikation als soziale Interaktion, die dann erfolgreich ist, wenn die Reziprozität mindestens zweier Kontaktpersonen gegeben ist und die gesendeten Bedeutungsinhalte von beiden Seiten verstanden werden.3 Um die Beteiligten innerhalb eines kommunikativen Aktes zu unterscheiden verwendet er die gebräuchlichen Termini Kommunikator, Sender von Mitteilungen, sowie Rezipient, der dem Empfänger entspricht. Der Erfolg von Kommunikation kann erst nach dem kommunikativen
Akt beurteilt werden, da eine Verständigung, bezogen auf zwischenmenschliche Kommunikation wie auf Massenkommunikation, ebenso fehlschlagen kann.
Massenkommunikation setzt laut Burkart ein disperses Publikum4 sowie eine
räumliche Distanz zwischen Kommunikator und Rezipient voraus. Um eine Botschaft erfolgreich zu vermitteln, bedarf es eines Mediums. Burkart bezieht sich in seinen Ausführungen auf die Einteilung von Medien in primäre, sekundäre und tertiäre Medien nach Pross.5 Da sich diese Arbeit jedoch mit Kommunikationsformen und nicht mit Medienformen beschäftigt, scheint eine derartige Unterteilung verwirrend. Es erfolgt daher eine eher traditionelle Aufgliederung hinsichtlich der Kommunikation auf zwischenmenschlicher Ebene durch verbale Kommunikation als gesprochene Sprache sowie im Hinblick auf Massenkommunikationsprozesse, in denen Traditionelle und Neue Medien eine transportierende Funktion übernehmen. Diese Medien bedienen sich zur Vermittlung bestimmter Aspekte gewisser Zeichen, so genannter Symbole, die Kommunikation als „symbolisch vermittelte Interaktion“6 begreifbar macht.
Massenkommunikation definiert Burkart im Unterschied zur interpersonellen Kommunikation als einen Vorgang, bei dem sich der Kommunikator durch technische Mitteilungsinstrumente, also die Massenmedien, an eine breite Bevölkerungsgruppe richtet und bei dem häufig eine räumliche wie zeitliche Distanz gegeben ist. Daher wird diese Form der Kommunikation auch als indirekte Kommunikation bezeichnet. Ein weiteres Merkmal der Massenkommunikation ist die Einseitigkeit, da der Kommunikator keine unmittelbare Rückmeldung des Rezipienten erhält, was in der interpersonalen Kommunikation der Fall ist.
Unter Massenkommunikationsmitteln versteht Burkart alle Medien, „über die durch Techniken der Verbreitung und Vervielfältigung mittels Schrift, Bild und/oder Ton optisch bzw. akustisch Aussagen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen vermittelt werden.“7 Dabei ist von Bedeutung, dass diese technischen Übertragungsmittel Bestandteil eines sozialen Prozesses sind.8
Sprache spielt in literarischen Utopien, die sich mit einer wie auch immer gearteten Totalitarismuskritik befassen, eine gewichtige Rolle. Stephan Meyer veranschaulicht die Macht der Sprache unter Bezug auf Roland Barthes:
Die Sprache wird bei Barthes als Zwangssystem betrachtet, das bei Strafe der Unverständlichkeit verbietet, sie frei zu variieren. Ihr Zwangscharakter beruht darin, dass sie ein gesellschaftliches Produkt ist, das als Zwangsapparat durch gesellschaftlichen Konsens entsteht. Im antiutopischen Roman wird dieser (möglichst freie) gesellschaftliche Konsens aber zudem noch negiert. Die Sprache wird von den Machthabern so gestaltet, daß sogar die kleinen noch erhaltenen Freiräume ganz ausgemerzt werden.9
In der Sprache schlagen sich bestimmte Entwicklungen des gesellschaftlichen Wandels somit zwangsläufig nieder. Darüber hinaus wirkt sie als grundlegendes Instrument der Kommunikation bei der Bewusstseinsbildung erheblich mit. Wie bedeutend Sprache für die Verwirklichung der Ziele der Machthaber der dystopischen Gesellschaften ist, veranschaulicht auf soziolinguistischer Ebene die Sapir-Whorf-
Theorie10, die besagt,
dass verschiedene Sprachgemeinschaften die außersprachliche Realität auf unterschiedliche Weise erfassen. […] Für jene Lebensbereiche, die in einem Kulturkreis von zentraler Bedeu-tung sind, stellt die Sprache, die in diesem Kulturkreis entstanden ist, auch die entsprechenden Wörter und damit die Möglichkeiten einer Differenzierung der Wirklichkeit bereit, die für die jeweiligen Lebensverhältnisse notwendig sind.11
Diese Hypothese der sprachlichen Relativität, auch linguistisches Relativitätsprinzip genannt, geht in den dystopischen Gesellschaften völlig auf, da die Regierungen die für sie notwendigen Sprachstrukturen zugunsten ihrer Machtentfaltung aufrechterhalten und überflüssige bzw. die Staatsstabilität gefährdende Wörter aus ihrer Wirklichkeit verbannen. Dies besagt folglich,
daß eine Sprache nicht zufällig bestimmte Differenzierungsmöglichkeiten von Realität bereitstellt, sondern daß ein sprachliches Symbolsystem stets jene Aspekte der Wirklichkeit rekonstruiert, die den Erfordernissen der menschlichen Lebensführung in ebendieser Umwelt entsprechen. Andererseits prägt aber auch die Sprache die menschliche Erfahrung und damit das Erkennen der Umwelt. Damit ist gemeint, daß eine bestimmte Sprache stets auch eine bestimmte Sichtweise der Wirklichkeit in sich trägt.12
Die Bemächtigung der Sprache mittels des Eingriffes in das Sprachsystem verleiht den Machthabern somit die Möglichkeit der Determinierung einer Realität. Die Anwendung dieser theoretischen Erkenntnisse auf die literarischen Werke ergibt in vielerlei Hinsicht Übereinstimmungen. Jedoch lassen sich Abweichungen unter den Werken bezüglich der Intensität und des Umfangs der Sprachumformung festmachen. Bei Huxley, Atwood und Bradbury bleibt das Englische erhalten, wird also nicht grammatikalisch umgeformt, wie es etwa bei Orwells Newspeak der Fall ist. Bei Huxley existieren darüber hinaus alle übrigen Sprachen nicht mehr, da diese die
Stabilität des Systems gefährden würden.13 Diese Stasis der Entwicklung von Spra-che14 bringt ihm von einigen Kritikern den Vorwurf der Unglaubwürdigkeit ein:
Yet for all this society’s divergence from our own, its creatures speak like the properest twentieth century Englishmen. The massive social and technological changes projected by Huxley seem to have had no effect on their language. […] Yet there is no attempt to imitate such linguistic changes – or, to be more precise, to create a convincing illusion of such changes – in this brave new world.15
Trotz dieser Kritik muss berücksichtigt werden, dass die Sprache in Huxleys moderner Welt Wandlungen erfährt, auf denen der Schwerpunkt lediglich weniger offensichtlich liegt, wie etwa bei Orwells Newspeak. Diese hoch technologisierte Gesellschaft bringt Neologismen hervor, die im fortlaufenden Text unvermittelt auftauchen. So sollen Worte wie blood-surrogate, hyper-violin oder super-doves den Fortschritt
der Brave New World indirekt symbolisieren. Es erfolgt keine Erläuterung hinsichtlich ihrer Bedeutungen, da sich die Charaktere der Bedeutung dieser Worte bewusst sind.16 Vor allem in den ersten drei in die Gesellschaft einführenden Kapiteln wendet Huxley die von Firchow als counterpoint bezeichnete narrative Technik an, die dem Leser die Veränderungen in Brave New World indirekt vermitteln: „The result is
astonishing and far more effective in drawing us into the noisy and frantically joyless atmsphere of the new world state than pages of descriptive writing would have been.“17 Neben Wortneuschöpfungen finden Bedeutungsverschiebungen statt, die sich aus dem gesellschaftlichen Kontext ergeben. Da die Familie als soziale Gemeinschaft abgeschafft ist und Promiskuität Monogamie vorgezogen wird, werden Wörter wie mother, father oder love belächelt, beizeiten gar als obszön bewertet. An ihre Stelle treten für die Entwicklung des Bürgers in Brave New World notwendige Begriffe wie decanting, bottling und conditioning :
‘Human beings used to be …’ he hesitated; the blood rushed to his cheeks. ‘Well, they used to be viviparous.’ ‘Quite right.’ The Director nodded approvingly. ‘And when the babies were decanted…’ ‘‘Born,’’ came the correction. ‘Well, then they were the parents – I mean, not the babies, of course; the other ones.’ The poor boy was overwhelmed with confusion.18
Diese Passage belegt, dass sich die Sprache gleichwohl dem gesellschaftlichen Wandel angepasst hat: „Words still exist, but the concepts for which they stand have been altered.“19 Die Regierung nimmt jedoch ebenso Einfluss auf die sprachliche Entwicklung des Individuums. Durch gezielte Suggestion des ideologischen Gedankenguts soll das Ziel einer stabilen Gesellschaft verwirklicht werden, in der kein Bewohner einem Individualismus verfällt, sondern durch seine verbalen Äußerungen die Stabilität der Gesellschaft fördert. Im Conditioning Centre wird jeder Bürger zunächst im Social Predestination Room seiner Klasse gemäß determiniert: „‘We decant our babies as socialized human beings, as Alphas or Epsilons, […]’ ‘The lower the caste,’ said Mr Foster, ‘the shorter the oxygen.’ The first organ affected was the brain.“20 Je gehobener die Klasse, desto höher die Intelligenz und somit auch das Sprachvermö- gen. Gammas oder Epsilons verfügen nur über jene sprachlichen Kapazitäten, die der Ausübung ihrer Tätigkeiten entsprechen. Dies veranschaulicht das Zusammentreffen Bernards mit einem Aufzugführer aus der Reihe der Epsilons :
Before Bernard could answer, the lift came to a standstill. ‘Roof!’ called a creaking voice. The liftman was a small simian creature, dressed in the black tunic of an Epsilon-Minus-Semi-Mo -ron. ‘Roof!’ He flung open the gates. The warm glory of afternoon sunlight made him start and blink his eyes. ‘Oh, roof!’ he repeated in a voice of rapture. He was as though suddenly and joyfully awakened from a dark annihilating stupor. ‘Roof!’ He smiled up with a kind of doggily expectant adoration into the faces of his passengers. Talking and laughing together, they stepped out into the light. The liftman looked after them. ‘Roof?’ he said once more, questioningly. Then a bell rang, and from the ceiling of the lift a loudspeaker began, very softly and yet very imperiously, to issue ist commands. ‘Go down,’ it said, ‘go down. Floor Eighteen. Go down, go down. Floor Eighteen. Go down, go…’ The liftman slammed the gates, touched a button and instantly dropped back into the droning twilight of the well, the twilight of his own habitual stupor.21
Dieser Auszug beweist, dass Epsilons aufgrund der biologischen Determination in ihrem Sprachvermögen weitgehend beschnitten sind. Ihr Artikulationsvermögen beschränkt sich ausschließlich auf ein notwendiges Minimum, wie in diesem Fall auf die einzelnen Stockwerke.
Des Weiteren erfolgt der Prozess der Hypnopaedia, in dem bereits Kindern im Schlaf durch sleep teaching, eine Art Gehirnwäsche, die ideologischen Prinzipien der Gesellschaft suggeriert werden:
Rosy and relaxed with sleep, eighty little boys and girls lay softly breathing. There was a whisper under every pillow. […] At the end of the room a loud-speaker projected from the wall. The Director walked up to it and pressed a switch. ‘…all wear green,’ said a soft but very distinct voice, beginning in the middle of a sentence, ‘and Delta children wear khaki. Oh no, I don’t want to play with Delta children. And Epsilons are still worse. They’re too stupid to be able to read or write. Besides, they wear black, which is such a beastly colour. I’m so glad I’m a Beta.’ There was a pause; then the voice began again.22
Urheber dieser hypnopaedic rhymes ist der Emotional Engineer Helmholtz Watson, der diese inhaltslosen Merksätze im College of Emotional Engineering ausarbeitet um die Prinzipien der Gesellschaft in den Köpfen der Menschen zu verankern, die in dem obersten staatlichen Motto Community, Identity, Stability widergespiegelt werden. So soll die Wendung Everyone belongs to every one else die Bevölkerung vor einem zu ausgeprägten Individualismus schützen. A gramme in time saves nine propagiert den Genuss von soma und Ending is better than mending fördert das Konsumverhalten jedes Bürgers zur Ankurbelung der Wirtschaft. Charakteristisch ist dabei die Inhaltslosigkeit dieser Phrasen:
There are slogans to handle all situations; and all tend to underline the social order encapsulated in the world-state’s motto, ‘Community, Identity, Stability’, the derisive echo of the motto of the French Revolution that had inspired all ‘progressive’ striving during the past century.23
Die Slogans liefern also die vermeintliche Lösung für sämtliche gesellschaftliche Probleme. Da Huxleys fiktive Welt eine Konsumgesellschaft ist, in der die Bewohner durch übermäßigen Warenverbrauch und Materialismus die Wirtschaft unterstützen,
sind vor allem Werbeslogans ein bedeutsames Suggestionsmittel. Der Direktor des
Conditioning Centre erläutert das Ziel dieses Verfahrens:
‘Till the last child’s mind is these suggestions, and the sum of the suggestions is the child’s mind. And not the child’s mind only. The adult’s mind too – all his life long. The mind that judges and desires and decides – made up of these suggestions. But all these suggestions are our suggestions!’ The Director almost shouted in his triumph. ‘Suggestions from the State.’24
Das politische System bemächtigt sich also der Sprache, um das Bewusstsein der Menschen zu determinieren und nach seinen Grundsätzen zu formen. Dies muss laut Huxley bereits im Kindesalter passieren: „Children are better hypnopaedic subjects than adults, and the would-be dictator will take full advantage of the fact.“25 Diese Art der Indoktrination bewirkt gleichzeitig, dass die Bewohner lernen, ihren obersten Herrscher, Henry Ford, gottesgleich zu verehren. Daher gehen Ausdrücke wie For
Ford’s sake! oder Thank Ford in den allgemeinen Sprachgebrauch über: „Der Name Fords ist für den Namen Gottes gesetzt worden. Bestimmte verbale Formen wie die Ausrufung Fords und Imitationen alter Zeichen – wie das Schlagen des T – lassen auf eine Art Religion schließen.“26 Durch die genannten Prozesse wird den Kindern demgemäß auch ein Klassenbewusstsein durch Hypnopaedia bzw. „für die erniedrigte Mehrheit ein Klassen un bewußtsein anerzogen:“27
Bei Huxley findet sich in der obersten Verwaltungsund Planungsklasse, bei den sogenannten Alphas, sogar eine ausgesprochene »Luxus-Kommunikation«, mit einer auf den gehobenen Bedarf ausgerichteten Konsumsprache. […] Bei den unteren Schichten, etwa bei den Gammas, begegnet man indes einer armseligen, verkümmerten, nur aus Substantiven und Schlagworten bestehenden Sprache der intellektuell Vernachlässigten und materiell Ausgebeuteten. Aufgrund der »angeborenen« Kommunikationsbeschränkung sind sie jedoch nicht fähig, ihren Zustand zu begreifen.28
Dies hat die Konsequenz, dass sich niemand ungerecht behandelt fühlt, sondern jeder mit seiner Position innerhalb der Gesellschaft zufrieden ist. Erzählstrategisch führt Huxley diese sprachlichen Besonderheiten in den ersten drei Kapiteln indirekt und ohne erklärende Kommentare ein. Die Tatsache, dass dieser Eingriff in das Bewusstsein für die Bevölkerung unbemerkt abläuft, macht Huxleys dystopische Vision noch mehr zur Schreckensvorstellung als die Zwangsgesellschaft Orwells: „In Huxley’s dystopia, the government need worry very little about enforcing its policies through
englischen und amerikanischen Literatur, eds. Rüdiger Hillgärtner, Edgar Kamphausen, and Malte C. Krugmann, 2nd ed. (München: Fink: 1993) 61.
(Düsseldorf: Bertelsmann, 1970) 167.
coercion, because their success is assured through subtle techniques of persuasion.“29 Booker betrachtet diese Manipulation des Menschen als dauerhaft effektiver und vollkommener, als es die Gewaltandrohungen bei Orwell versprechen.
Wie besonders in seinem Aufsatz „Politics and the English Language“30 deutlich
wird, sah auch Orwell einen engen Zusammenhang zwischen einer totalitären Gesellschaft und dem Verfall von Sprache.31 Gemessen an den übrigen Werken erfährt Sprache in seiner Vision eines dystopischen Staates den höchsten Grad an Wandlung: „Orwell is aware that the limitations of language as signifier, its approximate and ambiguous character, its assimilation of political and cultural assumptions, can be used as barriers to the human capacity for perception and expression.“32 Um sich eine eigene Realität zu schaffen bedient sich das System einer komplett neuen Sprache: Newspeak. Der Leser erfährt von dieser besonderen Sprache zunächst durch die subjektive Erzählperspektive33 Winstons und seiner Arbeit im Ministry of Truth:
Um eine allzu subjektive Sicht auf die Herrschaftsformen des dystopischen Systems, wie sie die überwiegend personale Erzählweise des Romans nahe legt, zu objektivieren und zu verfremden, wechselt Orwell immer wieder in eine zweite wirkungsstrategische Erzählperspektive ein. Winston ist nicht nur Träger der Erzählperspektive, sondern auch erzählte und bewertete Gestalt [durch einen auktorialen Erzähler].34
Die komplexen Ziele, die die Regierung mit Newspeak anstrebt, werden später im Anhang als „textübergreifende narrativ-expositorische Wirkungsstrategie“35 durch
„The Principles of Newspeak“36 explizit erläutert. Diese narrative Technik bewirkt eine realistische Darstellung, da der Leser durch die personale Erzählsituation wie unbemerkt in die Gesellschaft eingeführt wird.37 Darüber hinaus werden die Ziele Newspeaks in dem expositorischen Diskurs38 „Theorie and Practice of Oligarchical Collectivism“39 sowie im Anhang objektivierend erläutert:
Über den durch Winstons Lektüre erschlossenen expositorischen Diskurs werden dem Leser die Strukturen der dystopischen Gesellschaft unmittelbar erläutert, die geistige Aktivität des Lesers wird auf die rationale Erfassung der politischen Organisation des dystopischen Gemeinwesens gerichtet sein.40
Daraus geht hervor, dass Newspeak im Sinne der Partei die Prinzipien von Ingsoc, der beherrschenden Ideologie Ozeaniens, die auf dem englischen Sozialismus basiert, widerspiegeln soll. Die manipulative Verwendung dieser neuen Sprache zielt selbst auf die Steuerung der Gedanken durch Veränderungen innerhalb des Sprachsystems ab:
It was intended that when Newspeak has been adopted once and for all and Oldspeak forgotten, a heretical thought – that is, a thought diverging from the principles of Ingsoc – should be literally unthinkable, at least so far as thought is dependent on words.41
Newspeak ist ein Mittel um doublethink erfolgreich durchzusetzen. Diese Annahme setzt eine Determinierung von Gedanken durch die Sprache voraus und ist somit kongruent mit der Hypothese von Whorf und Sapir:42 „The ‘Newspeak’ project of 1984 is an integral part of the Party’s ultraWhorfian belief that ‘reality’ itself is a social-linguistic construct.“43 Booker unterstützt die These, dass Sprache Realität konstruiert und somit objektive Realität nicht existiert. Durch die Veränderung der Sprache bewirkt die Partei demnach eine Veränderung der Realität, die sie nach ihren Vorstellungen kreiert.44 Westlake bemängelt hingegen zu Recht die fehlenden Bildungsinstitutionen zu einer Sprachumwandlung in dieser Größenordnung: „Without a proper educational system people would still go on using old forms, and dialects would soon arise, as they always have in the past.“45 Eine erklärende Darstellung der vorhandenen Maßnahmen zur Sprachumwandlung erfolgt erzähltechnisch zunächst auf Romanebene durch den Philologen Syme: „You think, I dare say, that our chief job is inventing new words. But not a bit of it! We’re destroying words – scores of them, hundreds of them, every day. We’re cutting the language down to the bone.“46 Im Dialog zwischen dem Philologen Syme und Winston werden die Ziele der Regierung bezüglich einer Sprachregelung nochmals offenbart: Der Reichtum von Sprache, die Möglichkeit durch die sprachliche Vielfalt jedes kleinste Detail zu erfassen und zu benennen ist nicht mehr gegeben. Sprache wird mechanisch, formelhaft und
verliert ihre Bedeutungsvielfalt. Die Konsequenz ist die Einschränkung des menschlichen Bewusstseins: „Every year fewer and fewer words, and the range of consciousness always a little smaller.“47 Wird Sprache auf ein Minimum reduziert, so ist es dem Sprechenden unmöglich, bestimmte in Newspeak nicht enthaltene Gedanken zu artikulieren bzw. gedanklich zu erfassen: „Newspeak was designed not to extend but to diminish the range of thought, and this purpose was indirectly assisted by cutting the choice of words down to a minimum.“48 Durch die Reduzierung der Sprache auf ein Basisvokabular, das frei von jedweden Konnotationen zur Artikulation ausschließlich regimekonformer Gedanken geschaffen wurde, sollen Widerstand und Rebellion aufgrund des Fehlens äquivalenter sprachlicher Mittel allmählich zurückgehen bzw. gar nicht erst entstehen. Demnach betrachtet das totalitäre Regime Ozea -niens die Macht der Sprache als erste Instanz des Widerstands. Die semantische Dreiteilung in A-, B- und C-Vokabular ermöglicht die präzise Erfassung aller wichtigen gesellschaftlichen Bereiche, wie im Alltag gebräuchliche Begriffe, politische Ausdrücke sowie wissenschaftliche Worte, auch auf sprachlicher Ebene. Dabei achtet die Partei jedoch besonders darauf, dass Worte aus dem Wissenschaftsbereich nur begrenzt genutzt werden. Besonders Forschung und Technik gelten als Nährboden für intelligente, kritisch hinterfragende und somit zu subversiven Handlungen neigende Persönlichkeiten:
As thinking persons, scientists might form an island of autonomy in totalitarian society, yet the state cannot dispense with their skills. It therefore tolerates them but turns them as nearly as possible into narrow functionaries who merely follow the directives and implement the decisions of their Party superiors.49
Auf grammatikalischer Ebene erfolgt eine Begrenzung des Basisvokabulars um Newspeak stark zu vereinfachen und Worte wie Formeln anzuwenden. Demnach sind Verben und Substantive willkürlich austauschbar und werden durch das Anfügen von Affixen zu Adjektiven und Adverbien umgewandelt. Die Sprache verliert ihre Unregelmäßigkeit und wird als Baukastensystem für jeden Bürger verständlich und leicht praktikabel. Besondere Bedeutung nimmt das Präfix –un ein, welches zur genauen Gegenüberstellung zweier Aspekte verwendet wird. Das Gegenteil von good wäre ungood, wodurch alle übrigen Antonyme mit leichten Bedeutungsverschiebungen
ausgelöscht würden.50 Hinzu kommt die Simplifizierung der Aussprache. Letztend -lich soll der Sprechende Newspeak beinahe unbewusst automatisch anwenden können.51 Dies machen sich vor allem Parteimitglieder zu Nutze, die durch diese mechanische Redeart besonders effektive Mundpropaganda betreiben können, um somit vor allem in der Übergangsphase von Newspeak möglichst viele Bürger einzunehmen:
[A] Party member called upon to make a political or ethical judgement should be able to spray forth the correct opinions as automatically as a machine-gun spraying forth bullets. His training fitted him to do this, the language gave him an almost fool-proof instrument, and the texture of the words, with their harsh sound and a certain wilful ugliness which was in accord with the spirit of Ingsoc, assisted the process still further.52
Diese Art zu sprechen wird auch als duckspeak bezeichnet: „Ultimately it was hoped to make articulate speech issue from the larynx without involving the higher brain centres at all.“53 Duckspeak wird ambivalent verwendet, wie Syme erläutert: „‘It is one of those interesting words that have two contradictory meanings. Applied to an opponent, it is abuse; applied to someone you agree with, it is praise.’“54 Um duckspeak zu erleichtern erfolgt zusätzlich die Verkürzung von Wörtern wie Minipax, Miniluv, Minitrue, um überflüssige Assoziationen zu beseitigen: „[S]ince what was required, above all for political purposes, were short clipped words of unmistakable meaning which could be uttered rapidly and which roused the minimum of echoes in the speaker’s mind.“55 Überdies werden Begriffe entwickelt, die eine Vielzahl von Oldspeak -Wörtern in einem Wort zusammenfassen: So enthält der Terminus crimethink alle das System gefährdenden Begriffe, die mit der Neuschöpfung dieses Wortes eliminiert wurden. Die Individualität des Sprechers geht gänzlich verloren und damit letztendlich eine der grundsätzlichsten Eigenschaften von Sprache:
„[L]anguage is the most basic of instruments mediating between individual biological and psychological demands and the internalization of external nature and society.“56 Neben der Neuschöpfung von Wörtern vollzieht sich wie in Brave New
World ebenso eine Bedeutungsverschiebung, wie etwa bei dem Wort frei.57 John
Wesley Young verweist in diesem Zusammenhang auf sprachliche Veränderungen bezüglich abstrakter Begriffe innerhalb ungefestigter Gesellschaften:
Where the norms of civility no longer hold, where war or economic upheaval has exhausted a populace and transformed its mores, […] and where political debate no longer revolves around secondary issues but around the legitimacy of the regime itself, the language consensus begins to dissolve. […] Where the consensus most evidently breaks down is in disagreement over the
meanings of more complex verbal symbols, notably the names for abstractions like freedom, justice, virtue, legality, nation, democracy, and equality.58
Diese von Young kommentierte Tendenz ist in allen hier behandelten Dystopien vorzufinden. So wird den Frauen in The Handmaid’s Tale suggeriert, sie lebten eine besondere Form der Freiheit: „There is more than one kind of freedom, said Aunt Lydia. Freedom to and freedom from. In the days of anarchy, it was freedom to. Now you are being given freedom from. Don’t underrate it.“59 Die Regierung Gileads erhofft sich, durch sprachliche Beschönigung und Manipulation die Frauen unterwürfig zu machen, so dass diese ihr eingeschränktes und unterdrücktes Leben gar nicht erst als solches empfinden. Peters verweist zusätzlich auf die euphemistischen Benennungen der Regierungsgebäude, Ministry of Truth als Propagandaministerium, Ministry of Plenty als Wirtschaftsministerium, Ministry of Peace als Kriegsministerium und Ministry of Love als Folterschauplatz und Zentrale der Polizei, die im Grunde das jeweils genaue Gegenteil beinhalten.60 Neben euphemistische Verherrlichung tritt eine sprachliche Militarisierung der Gesellschaft. Krieg gilt als Normalzustand in Ozeanien, so dass viele Wörter aus dem militärischen Wortschatz in die Alltagssprache übergehen:
Because of the war and the martial spirit of the Party, the whole language has become militarized, so that clocks are set to military time and officials of the Ministry of Plenty are said to plan battles of production, much as generals conceive and carry out a campaign of conquest. The Party’s obsession with violence has affected profoundly the speech and thought of its entire membership.61
Es existiert eine spezielle Marke für Lebensmittel, die die Unbesiegbarkeit der Regierung suggerieren soll. So konsumiert Winston im Laufe des Romans mehrere Produkte der Marke Victory, wie etwa Victory Cigarettes oder Victory Gin:
He took down form the shelf a bottle of colourless liquid with a plain white label marked VIC- TORY GIN. It gave off a sickly, oily smell, as of Chinese rice-spirit. Winston poured out nearly a teacupful, nerved himself for a shock, and gulped it down like a dose of medicine.62
Bereits die Beschreibung des Gins suggeriert Übelkeit und Unbehagen und Winston muss sich geradezu überwinden, den Schluck zu nehmen. Diese Konsumgüter, die offensichtlich schlecht für die Gesundheit sind, werden abermals durch eine beschö- nigende Sprache verschleiert,63 die dem Training von doublethink dient, das sich vor allem sprachlich als doublespeak äußert, wie in The Book aufgeführt:
Even the names of the four Ministries by which we are governed exhibit a sort of impudence in their deliberate reversal of the facts. The Ministry of Peace concerns itself with war, The Ministry of Truth with lies, the Ministry of Love with torture and the Ministry of Plenty with starvation. These contradictions are not accidental, nor do they result from ordinary hypocrisy: they are deliberate exercises in doublethink. For it is only by reconciling contradictions that power can be retained indefinitely.64
Auch die Bezeichnungen Angels, Guardians und Eyes, die in The Handmaid’s Tale die Bevölkerung bewachen, versprechen Schutz durch das allgegenwärtige Auge Gottes. Die Realität gleicht jedoch einem Überwachungsstaat, der nichts mit alldem zu tun hat. So verbirgt sich auch hinter dem Titel Big Brother, der als gottesähnlicher Erlöser und Beschützer der Menschen gepriesen wird, eine manipulative Strategie. Die häufig verwendeten religiösen Phrasen veranschaulichen den Kult, der um den Führer Ozeaniens getrieben wird:
In this reverential type of discourse, Big Brother is one’s personal ‘Savior,’ Party members serve as his ‘priests,’ the principles of Ingsoc are ‘sacred,’ and Party dissidents are treated as ‘heretics’ who must be led to ‘petinence’ and ‘converted’ to the love of Big Brother.65
Vor allem die Parteislogans spiegeln diese antithetische Pervertierung der Realität in höchstem Maße wider: War is Peace. Freedom is Slavery. Ignorance is Strength. 66 Zu Recht führt Young vor Augen, dass es sich bei diesen Leitsätzen um einen bewussten Manipulationsversuch der Bevölkerung handelt:
If anything, totalitarian language, with its ritualistic repetition of slogans and its frequent use of words as emotional stimulants rather than as carriers of information or tools of logical thinking, is intended to be an exercise in irrationality and a positive impediment to clarity of thought and expression67
Es sind diese Akkumulationen von Euphemismen und weniger die direkte Anwendung von Newspeak, die den Eindruck eines sprachlichen Wandels im Verlauf des Romans schüren.68 Dass Newspeak im Roman noch in der Entstehungsphase ist, ermöglicht es Orwell nur wenige Newspeak -Passagen zu verwenden, die einen ersten Eindruck dieser totalitären Sprache vermitteln und ihn vor möglichen Widersprüchen schützen:
Newspeak is, by design, incredibly limited in its ability to communicate ideas, and while it could not narrow the range of thought available to a speaker, it also simply could not support a work of fiction. Newspeak is incapable of describing oppression or resistance, since neither concept exists in the language.69
Atwoods Werk lässt deutlich den Einfluss Orwells erkennen. Im Gegensatz zu den übrigen Dystopien wird hier die Innensicht der Protagonistin besonders betont. Diese
Perspektive des Ich-Erzählers, die den Roman wie einen Bericht Offreds erscheinen lässt, hat zur Folge, dass ein Gesamtüberblick über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse fehlt, weil Ausschnitte aus dem alltäglichen Leben aus dem subjektiven Blickwinkel der unterdrückten Frau vermittelt werden:
Offred is deeply sensitive to the importance of names and words. Her knowledge of how Gilead’s government works or how it seized power in the first place is very limited – but her understanding of what the revolution has done to language is profound. We discover what it is like to live in Gilead primarily from Offred’s thinking about language.70
Offred wird also im Gegensatz zu Winston und den Bewohnern der Brave New World, sowie Montag, nicht als Bestandteil der Gesellschaft Gileads eingeführt, der allmählich die Außenseiterposition für sich entdeckt. Diese steht von Anfang an für sie fest. Offreds Bewusstseinszustände stehen zumeist im Vordergrund. Aus diesem Grunde erfährt der Leser von sprachlichen Besonderheiten in Gilead vornehmlich indirekt über ihre Erzählungen aus ihrem Alltag.
Booker verweist zunächst auf die Bedeutung der Namensgebung für Frauen als Ausdruck der männlichen Herrschaft.71 Diese implizite Zuweisung der Funktion von Frauen in der Gesellschaft ist der erste Schritt sie ihrer eigenen Identität im Leben zu berauben. Dieser neue Name versieht sie automatisch mit der neuen Rolle, die sie in Gilead zu tragen haben, und lässt sie nach und nach ihr altes Leben vergessen.
Das strikte Verbot von Schriftlichkeit schränkt die Frauen auch in ihrer Oralität extrem ein.72 Während in Orwells Ozeanien Newspeak als komplett neue Sprache die Umformung der Denkstrukturen der gesamten Bevölkerung zum Ziel hat, sind die sprachlichen Eingriffe in Gilead nicht allzu bedingungslos, da die Mehrzahl der restriktiven Maßnahmen vornehmlich Frauen betrifft: „Durch die Lenkung der Sprachbzw. Denkstrukturen versucht eine männliche Führungsschicht, den geschlossenen
Charakter des Staates von seinen Wurzeln her zu festigen, und die Frauen in einer einmal zugewiesenen Position zu halten.“73 Hier ist die Sprache wie bei Huxley noch immer Englisch, jedoch der Bibel entlehnt und auf ein Minimum beschnitten: „Expected mechanically to occupy predetermined roles without deviation, they are also expected to speak in mechanical and predetermined ways.“74 Bookers Darstellung verdeutlicht einen wesentlichen Unterschied zu der mechanischen Sprache der konditionierten Bewohner der Brave New World, die sich ihrer mechanischen Sprache
unbewusst bedienen. Die Frauen in Gilead hingegen werden im Rachel and Leah Center sprachlich umerzogen. Im Alltag dürfen sie sich nur eines Minimums an verbaler Kommunikation bedienen, das aus gehaltlosen Phrasen und biblischen Aussprüchen besteht. So existieren unter den Frauen bestimmte Begrüßungsund Verabschiedungsformeln: „‘Blessed be the fruit,’ she says to me, the accepted greeting among us. ‘May the Lord open,’ I answer, the accepted response. […] ‘Under His Eye,’ she says. The right farewell. ‘Under His Eye,’ I reply, and she gives a little
nod.“75 Diese religiösen Phrasen bewirken, dass sich die Frauen ihrer inferioren Position dauerhaft bewusst sind. Außerdem suggerieren sie, dass ein Verstoß gegen die Regeln Gileads einem Vergehen gegen Gott gleichkommt, der ein beobachtendes Auge auf jede Einzelne wirft und hier mit dem Staat gleichgesetzt wird. Dies hat zur
Folge, dass es in Gilead vermehrt zu Denunziationen unter der Bevölkerung kommt, was einen zusätzlichen seelischen Druck bedeutet:76
Gilead enforces its worldview by Scriptual readings and ‘training’, at least for the Handmaids, that resembles psychological concentration camps. This training at the Rachel and Leah Center involves, among other horrors, twisted group therapy sessions called Testifyings, at which Handmaids take turns revealing past “sins” and excoriating each other for them.77
Ähnlich wie bei Huxley werden bei Bradbury Veränderungen der Sprache nur indirekt im Gespräch offenbar. Auch hier hat der technische Fortschritt einen Zuwachs an Vokabular zu verzeichnen, der sich zumeist auf elektronische Geräte wie das Wall-TV oder das Seashell-Radio bezieht. Der Sprachverfall ist jedoch nicht allein das Resultat des Missbrauchs Neuer Medien, denn die Regierung greift auch in andere gesellschaftliche Bereiche ein, die Einfluss auf die Sprachentwicklung haben, wie etwa den Bildungssektor:
‘School is shortened, discipline relaxed, philosophies, histories, languages dropped, English and spelling gradually neglected, finally almost completely ignored. […] The home environment can undo a lot you try to do at school. That’s why we’ve lowered the kindergarten age year after year until now we’re almost snatching them from the cradle.78
Sprachkompetenz wird kaum noch gefördert, sondern verkümmert allmählich. Die Verbindung von fehlender Spracherziehung und dem Missbrauch des Mediensystems führt in der Konsequenz zur Isolierung des Individuums, das in immer tiefere Kommunikationslosigkeit verfällt.79 Ansonsten wird nicht unmittelbar auf das Sprachsystem Einfluss genommen, sondern es wird vielmehr der Sprachverfall als Konsequenz aus der Übermacht der Medien dargestellt.
Dass im dystopischen Staat Huxleys die Kontrolle der Sprache und die damit verbundene Macht über kommunikative Vorgänge innerhalb der Bevölkerung funktioniert, beweist vor allem die Figur Leninas. Durch die krasse Gegenüberstellung nicht-, bzw. fehlkonditionierter Bürger wie John, the Savage, oder Bernard Marx in Gesprächssituationen mit Lenina offenbart sich ein Fehlschlagen der Kommunikation. Ihre sprachlichen Äußerungen bestehen größtenteils aus eben jenen vorgefertigten Phrasen und Slogans, die ihr in ihrer Kindheit indoktriniert wurden.80
Es findet kaum eine Trennung von öffentlicher und privater Kommunikation statt, da Individualität oder Zurückgezogenheit als Gefahren für das Gemeinwohl gelten:
„That mania, to start with, for doing things in private. (Apart, of course, from going to bed: but one couldn’t do that all the time.) Yes, what was there? Precious little.“81Die Verständigung mit Bernard schlägt fehl, da sie im Gegensatz zu ihm keinen Sinn in privaten Gesprächen sieht:
[...]
1 Paul Watzlawick, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, eds. Janet H. Beavin and Don D. Jackson, 6th ed. (Bern: Hans Huber, 1982).
2 Roland Burkart, Kommunikationswissenschaft, 4th ed. (Wien: Böhlau, 2002).
3 Burkart 32-33.
4 Burkart 170.
5 Burkart 36.
6 Burkart 63.
7 Burkart 171.
8 cf. Burkart 172.
9 Stephan Meyer, Die anti-utopische Tradition. Eine ideenund problemgeschichtliche Darstellung, diss., U Hildesheim, 1998, Europäische Hochschulschriften 1, Deutsche Sprache und Literatur, vol. 1790 (Frankfurt am Main: Lang, 2001) 80.
10 cf. Burkart 95-97.
11 Burkart 97-98.
12 Burkart 100.
13 cf. David W. Sisk, “Using language in a world that debases language,” Readings on Brave New World, ed. Katie de Koster (San Diego: Greenhaven, 1999) 123.
14 cf. David W. Sisk, Transformations of Language in Modern Dystopias (Westport Connecticut: Greenwood Press, 1997) 161.
15 Gorman Beauchamp, “Future Words: Language and the Dystopian Novel,” Style, eds. James R. Bennet and Blaire Rouse, 8.1 (Winter 1974) 464.
16 cf. Sisk, “Using language in a world that debases language” 128.
17 Peter Firchow Edgerly, “Huxley’s characters are appropriate for the novel,” Readings on Brave New World, ed. Katie de Koster (San Diego: Greenhaven, 1999) 140-141.
18 Aldous Huxley, Brave New World, 1932 (London: Flamingo, 1994) 20.
19 Sisk, “Using language in a world that debases language” 127.
20 Huxley, Brave New World 10-11.
21 Huxley, Brave New World 52-53.
22 Huxley, Brave New World 23-24.
23 Krishan Kumar, Utopia and Anti-Utopia in Modern Times (Oxford: Basil Blackwell, 1987) 257.
24 Huxley, Brave New World 25.
25 Aldous Huxley, Brave New World Revisited (London: Chatto & Windus, 1958) 129.
26 Jan Eden Peters, We are the Dead. Untersuchungen zur historischen Analyse im antiutopischen Roman: Nineteen Eighty-Four, Brave New World, Wir (My), (Frankfurt am Main: Lang, 1985) 89.
27 Christoph Bode, Aldous Huxley: »Brave New World«. Text und Geschichte. Modellanalysen zur
28 Ilse Modelmog, Die andere Zukunft. Zur Publizistik und Soziologie der utopischen Kommunikation
29 M. Keith Booker, The Dystopian Impulse in Modern Literature. Fiction as Social Criticism (Westport: Greenwood Press, 1994) 57.
30 George Orwell, “Politics and the English Language,” The Collected Essays, Journalism and Letters of George Orwell, vol. IV, eds. Sonia Orwell and Ian Angus (London: Secker & Warburg, 1969) 127- 140.
31 cf. Samuel Hynes, Twentieth Century Interpretations of 1984 (New Jersey: Englewood Cliffs, 1971), Roger Fowler, The Language of George Orwell (London: Macmillan Press LTD, 1995) and
John Wesley Young, Totalitarian Language. Orwell’s Newspeak and its Nazi and Communist antecedents (Virginia: University Press, 1991).
32 Lillian Feder, “Selfhood, Language, and Reality: George Orwell’s Nineteen Eighty-Four, ” The Georgia Review 37.2 (1983): 407.
33 cf. Hiltrud Gnüg, Utopie und utopischer Roman (Stuttgart: Reclam, 1999) 201.
34 Hartmut Hirsch, Von Orwell zu Ackroyd: Die britische Utopie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts,
Schriftenreihe Poetica, vol. 25 (Hamburg: Kovač, 1998) 82.
35 Hirsch 78.
36 George Orwell, Appendix, Nineteen Eighty-Four (London: Penguin, 2000) 270-281.
37 cf. Ulrich Suerbaum et al. Science Fiction. Theorie und Geschichte , Themen und Typen, Form und Weltbild (Stuttgart: Reclam, 1981).
38 cf. Hirsch 72.
39 Orwell, Nineteen Eighty-Four 166.
40 Hirsch 78.
41 Orwell, Nineteen Eighty-Four 270.
42 cf. Young 29.
43 Booker 81.
44 cf. Paul Chilton, Orwellian Language and the Media (London: Pluto Press, 1988) 42.
45 J.H.J. Westlake, “Aldous Huxley’s ‘Brave New World’ and George Orwell’s ‘Nineteen Eighty- Four’: A Comparative Study.” Die Neueren Sprachen, eds. Rudolf Baehr, Paul Goetsch, Helmut Herfurth, Klaus Oltmann and Günter Schweig. Vol. 71 (Frankfurt a. M.: Diesterweg, 1972) 95.
46 Orwell, Nineteen Eighty-Four 48.
47 Orwell, Nineteen Eighty-Four 49.
48 Orwell, Nineteen Eighty-Four 271.
49 Young 49-50.
50 cf. Howard Fink, “Newspeak: the epitome of parody technique,” Critical Survey 5 (1971) 160.
51 cf. Peters 49.
52 Orwell, app. 278.
53 Orwell, app. 278-279.
54 Orwell, Nineteen Eighty-Four 51.
55 Orwell, app. 278.
56 Feder 408.
57 cf. Meyer 448.
58 Young 21.
59 Margaret Atwood, The Handmaid’s Tale, 1986 (London: Vintage, 1996) 34.
60 cf. Peters 80.
61 Young 47.
62 Orwell, Nineteen Eighty-Four 8.
63 cf. Young 52.
64 Orwell, Nineteen Eighty-Four 195.
65 Young 47.
66 cf. Orwell, Nineteen Eighty-Four 7.
67 Young 31.
68 cf. William Steven Dodd, “‘Newspeak’ in George Orwell’s Nineteen Eighty-Four, ” Revista Canaria de Estudios Ingleses 19-20 (Nov. 1989; Apr.1990) 54.
69 Sisk, Transformations of Language in Modern Dystopias 177-178.
70 Sisk, Transformations of Language in Modern Dystopias 110.
71 Booker 165.
72 cf. Frances Bartkowski, Feminist Utopias (Lincoln: UNP, 1989) 153.
73 Mario Klarer, “The Gender of Orality and Literacy in Margaret Atwood’s The Handmaid’s Tale, ” Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 15:2 (1990) 154.
74 Booker 168.
75 Atwood 29-54.
76 cf. Frank Veddermann, Von der ambivalenten Utopie zur utopischen Ambivalenz. Auf dem Wege zur ’kritisch-konstruktiven Dystopie,’ diss., Ruhr-Universität Bochum, 1998, 80.
77 Sisk, Transformations of Language in Modern Dystopias 178.
78 Ray Bradbury, Fahrenheit 451, 1953 (New York: Flamingo, 1993) 63.
79 Horst W. Drescher, “Der Aussenseiter im utopischen Roman der Moderne: George Orwell, Nineteen Eighty-Four, und Ray Bradbury, Fahrenheit 451, ” Anglia, vol. 96 (1978) 445.
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