Bachelorarbeit, 2009
41 Seiten, Note: 1,3
Einleitung
1 Jugend und Zeitung
1.1 Auslaufmodell Tageszeitung? – Der Medienkonsum Jugendlicher
1.2 Warum Jugendliche zu Lesern oder Nichtleser werden
1.2.1 Alles eine Sache des Charakters? – Die Personenseite
1.2.2 Grau in grau? – Die Produktseite und das Image der Tageszeitung
1.3 ZiSch & Co. – Was tun die Zeitungen?
2 Lokalsport
2.1 Von Männern für Männer? – Bestandsaufnahme des Lokalsports
2.2 Woran liegt’s? – Widrigkeiten im Alltag eines Lokalsportjournalisten
2.3 „Mutig und innovativ“ – Forderungen an den Lokalsport
2.4 Lange Jahre überschätzt? – Wer den Lokalsport liest – oder eben nicht
3 Eine Zeitung für Jugendliche
3.1 Struktur schlägt Inhalt – Wie Zeitung für Jugendliche aussehen muss
3.2 „Ghettoseiten“ nicht erwünscht – Was erfolgreiche Jugendseiten ausmacht
3.3 Mehr Tipps, mehr Action – Was sich Jugendliche im Lokalsport wünschen
4 Die Jugendsportseite der Allgäuer Zeitung
4.1 Konzept und Rahmenbedingungen – Vorstellung der Jugendsportseite
4.2 Qualitätscheck – Bewertung von Platzierung, Layout, Stil und Inhalten
4.3 Und der Rest? – Was die Allgäuer Zeitung noch für Jugendliche bietet
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Es ist nicht erst seit dem Aufschwung des Internets ein Problem: Die Zeitungen fürchten um ihren Lesernachwuchs. Und warum sollte der auch in die Tageszeitung schauen, wo doch zugegeben das Internet dem Papiermedium gegenüber viele Vorteile bietet – in Aktualität, Crossmedialität, Breite und Tiefe des Angebots, bis hin zum Imagevorsprung, der für Jugendliche auch Relevanz hat. Die Zeitung muss ihnen also Gründe geben, um nicht endgültig als Auslaufmodell zu enden. Denn wenn die jungen Leser nicht früh lernen, zur Zeitung zu greifen, tun sie es in späteren Jahren meist auch nicht mehr. Das Thema dieser Arbeit ist demnach relevant in Hinblick auf die seit Jahren aktuelle Diskussion um die „Zukunft der Zeitung“ – hängt diese doch ganz entscheidend davon ab, ob es dem Papiermedium gelingt, Jugendliche als Leser und spätere Abonnenten zu gewinnen.
Jugendseiten können ein guter Anfang sein, begeistern die jugendlichen Rezipienten allerdings nicht zwangsläufig auch für die anderen Ressorts und den Rest der Zeitung. Eine Jugendsportseite könnte Jugendliche zumindest an die Lektüre des von vielen Lesern verschmähten Lokalsports heranführen – vorausgesetzt, sie ist gut gemacht. Denn dies kann nur gelingen, wenn sie sowohl die Wünsche der jungen Leser als auch die Anforderungen an einen modernen Lokalsport erfüllt. 1:0-Berichte reichen nicht aus, um vor allem auch Mädchen oder jugendliche Freizeitsportler an das Ressort heranzuführen.
Ob der Jugendsportseite der Allgäuer Zeitung dies glücken kann, das soll in dieser Arbeit analysiert werden. Während zweier Praktika in der Lokalredaktion Oberallgäu habe ich das Konzept dieser Seite kennen gelernt, das ich bisher von anderen Zeitungen nicht kannte. Schnell habe ich gemerkt, wie groß die Motivation und die Begeisterung innerhalb der Redaktion für die Jugendsportseite sind, und möchte nun untersuchen, ob sich das auch in der Qualität der Seite niederschlägt. Folgt die Jugendsportseite objektiven Qualitätskriterien, oder ist sie eher ein motivierter, aber ungenauer „Schuss ins Blaue“, mit dem man auf gut Glück versucht, den Nerv der jugendlichen Leser zu treffen? Diese Fragen sollen am Ende dieser Arbeit beantwortet sein. Vorher werfe ich einen Blick auf das große Ganze: Zu Beginn wird betrachtet, wie viele Jugendliche von der Tageszeitung überhaupt noch erreicht werden, warum dies so häufig nicht der Fall ist, und welche Maßnahmen die Medien heute schon ergreifen, um gegen den Trend anzugehen.
Anschließend betrachte ich den Ist-Zustand des Lokalsports, denn ohne guten Lokalsport im Allgemeinen kann es keinen guten Lokalsport für die jugendliche Zielgruppe geben. Darauf folgend wird dargestellt, was Jugendliche sich von „ihrer“ Zeitung wünschen, sei es in Hinblick auf Layout, Themenwahl oder Sprachstil, und wie eine Tageszeitung optimalerweise aussehen muss, um für junge Leser ansprechend zu sein. Auch die Wünsche Jugendlicher an einen Lokalsport, der auf ihre Zielgruppe zugeschnitten ist, werden ausgewertet. Im letzten Teil werde ich die zuvor herausarbeiteten Kriterien auf die Jugendsportseite der Allgäuer Zeitung anwenden und darauf aufbauend die Erfolgschancen dieser Seite zusammenfassen, junge Leser zu begeistern. Zuletzt werde ich die Wahrscheinlichkeit abwägen, Jugendliche durch die Jugendsportseite auch an das Gesamtprodukt Allgäuer Zeitung zu binden, und dazu den Rest der Tageszeitung kurz betrachten.
Grau ist bekanntlich alle Theorie. Deswegen soll sich diese Arbeit nah an der Praxis bewegen, vor allem in den Kapiteln 2 bis natürlich 4. Für die meisten wissenschaftlichen Einschätzungen lassen sich leicht Beispiele aus der journalistischen Praxis finden; wird in diesem Zusammenhang in den genannten Kapiteln ein etwas umgangssprachlicherer Ton angeschlagen, so ist dies durchaus gewollt.
Wenn man von „den Jugendlichen“ spricht, muss vorab geklärt werden, welche Altersgruppe damit gemeint ist. Im Zusammenhang mit diversen Studien, die die „Jugendlichen“ jeweils unterschiedlich definieren, nenne ich an der jeweiligen Textstelle die entsprechende Altersspanne. Ist dies nicht der Fall, so sind mit „den Jugendlichen“ die Zwölf- bis 19-Jährigen gemeint; diese Abgrenzung wurde von mir gewählt, weil dies auch die offizielle Zielgruppe der Jugendsportseite der Allgäuer Zeitung ist.
Bedanken möchte ich mich beim Sportredakteur der Allgäuer Zeitung/Lokalredaktion Oberallgäu, Werner Kempf, der mir nicht nur sämtliche Jugendsportseiten aus dem Betrachtungszeitraum zur Verfügung stellte, sondern auch bei allen Fragen telefonisch oder per E-Mail jederzeit Rede und Antwort stand.
Legt man allein die Zahlen zugrunde, dann ist es um die Zukunft der Tageszeitung wahrlich nicht gut bestellt: Umfragen haben übereinstimmend ergeben, dass die Zahl der Jugendlichen – hier als 14- bis 19-Jährige definiert –, die täglich zur Zeitung greifen, von 1994 bis 2004 um die Hälfte geschrumpft ist. Mitte der 90er-Jahre war es noch jeder zweite Jugendliche, zehn Jahre später lediglich noch jeder vierte, schildert Rager (Roether, 2004). Zu ähnlichen Zahlen kommt die ARD/ZDF-Langzeitstudie „Massenkommunikation“: Im Jahr 2005 lasen nur noch 27 Prozent der Jugendlichen täglich Zeitung, im Jahr 1990 waren es noch 49 Prozent (Ridder/van Eimeren, 2005, S. 495). Immerhin sei gegenüber 2000 (25 Prozent) der „Aderlass an jungen Lesern“ vorübergehend gestoppt worden (ebd.).
Im Laufe der letzten zehn Jahre beobachtete aber auch die JIM-Studie (Jugend, Information und (Multi-)Media) eine abnehmende Printnutzung. 1998 lag der Anteil der Jugendlichen, die zumindest mehrmals in der Woche zur Zeitung greifen, noch bei 59 Prozent, im Jahr 2008 war er auf 43 Prozent geschrumpft (Klingler, 2008, S. 627). Täglich lesen 29 Prozent eine Tageszeitung, zwölf Prozent besuchen mindestens mehrmals in der Woche die Internetpräsenz einer solchen (Feierabend/Kutteroff, 2008, S. 613).
Dass der „Aderlass“ an jungen Lesern gestoppt worden sei, würden die Autoren der JIM-Studie mit Sicherheit nicht bejahen. Ganz im Gegenteil: Erst seit wenigen Jahren sei tatsächlich die sinkende Attraktivität der Zeitungen feststellbar, auch wenn diese schon seit vielen Jahren beklagt werde (Klingler, 2008, S. 630). „1998 nutzten 38 Prozent der 12- bis 13-Jährigen täglich, fast täglich, oder mehrmals in der Woche eine Tageszeitung (in der Printversion). 2002 lag der Wert bei dieser Altersgruppe mit 39 Prozent noch auf demselben Niveau. Erst danach brach die Zeitungsnutzung deutlich ein: 2008 geben nur noch 22 Prozent (…) an, eine Tageszeitung zumindest mehrmals in der Woche zu nutzen“ (ebd.).
Zum Vergleich: Das Internet – vor zehn Jahren im Vergleich zu heute noch in den Kinderschuhen – kam 1998 auf eine Quote von fünf Prozent. 2008 nutzten 84 Prozent der Jugendlichen (die in der JIM-Studie wiederum alle 12- bis 19-Jährigen einschließen) das Netz täglich oder zumindest mehrmals in der Woche (ebd.). Die Reichweitenverluste beim Lesen der klassischen Tageszeitung würden aber nicht durch das Lesen der Online-Variante ausgeglichen (Klingler, 2008, S. 633). Und auch wenn das Lesen von Print-Angeboten im Netz zunimmt, kann die Nutzungsqualität dabei nicht mit der beim Lesen des gedruckten Wortes mithalten; zum Beispiel mit Blick auf die Lesedauer und die Aufmerksamkeit, die der Nutzer dem Gelesenen zukommen lässt (ebd.).
Nicht zuletzt sei also der Rückgang in der Nutzung der Printmedien auf den Vormarsch des Internets zurückzuführen, das vor allem in der jugendlichen Generation der Tageszeitung als Informationsmedium Konkurrenz macht (Ridder/van Eimeren, 2005, S. 495). Der einfache und ständige Zugriff auf aktuelle und jederzeit abrufbare Informationen in beliebiger Breite und Tiefe gehört heute längst zu den Anforderungen, die versierte und an die Vorteile des „World Wide Web“ gewöhnte Internetnutzer an ein Informationsmedium stellen – „Anforderungen, denen die Tageszeitungen in ihrer ,traditionellen’ Verbreitung nicht gerecht werden können“ (ebd.). Deswegen setzen heute viele Gazetten – auch im Lokalen – auf crossmediale Angebote im Netz, etwa auf E-Paper oder Filmbeiträge, auf die dann auch in der Print-Ausgabe verwiesen wird (siehe zum Beispiel www.westfaelische-nachrichten.de/wntv).
Andere Stimmen bestreiten jedoch einen so genannten Verdrängungswettbewerb zwischen den neuen und den traditionellen Medien. Haage vertritt die Auffassung, dass wer im Internet surft, andere Medien deswegen nicht unbedingt weniger nutzt – das Gegenteil sei sogar eher der Fall (Haage, ca. 2001, S. 22). Bei einer Befragung aus dem Jahr 2000 ergab sich ihr zufolge, dass der Anteil der Zeitungsnutzer unter den jugendlichen Internetusern höher ist als im Durchschnitt: 61 Prozent lasen nach eigenen Angaben regelmäßig Zeitung, gegenüber 53 Prozent im Schnitt aller Befragten (ebd.). Mit Blick auf das Alter der Quelle ist fast ein Jahrzehnt später meiner Ansicht nach allerdings zu vermuten, dass mit dem Fortschritt des Internets – gerade auch durch immer professionellere Online-Informationsangebote von Printmedien – das WWW vor allem bei jungen Menschen die klassischen Printmedien zum Zwecke der Informationsbeschaffung zunehmend verdrängt hat.
Auch in Hinblick auf die Medienbindung zeigt sich, dass ein Großteil der Jugendlichen das Internet gegenüber anderen Medien vorzieht: Die Hälfte entscheidet sich für das Internet als das am wenigsten verzichtbare Medium. Nur drei Prozent nennen die Zeitung (Feierabend/Kutteroff, 2008, S. 614). Vor allem die Multimedialität des Internets spiele hier in die Entscheidung der Jugendlichen mit hinein (ebd.). Gleichzeitig sprechen aber 44 Prozent der Befragten dem Medium Tageszeitung das größte Vertrauen aus, während das beliebte Internet in dieser Kategorie mit zwölf Prozent das Schlusslicht bildet (Feierabend/Kutteroff, 2008, S. 616).
Nicht nur bei den Jugendlichen, sondern auch in der Gesamtbevölkerung, hat die Tageszeitung seit den 90er-Jahren einen kontinuierlichen Reichweitenrückgang hinnehmen müssen. 2005 lasen 51 Prozent der Bundesbürger täglich eine Zeitung, zur Jahrtausendwende waren es noch 54 Prozent (Ridder/van Eimeren, 2005, S. 495). Gleichzeitig zeigte sich 2005 ein leichter Rückgang in der Lesedauer auf 28 Minuten täglich. Und das, wo die quantitative Mediennutzung der Deutschen sich insgesamt gesehen auf einem noch nie da gewesenen Level bewegt: Exakt zehn Stunden widmet jeder erwachsene Deutsche täglich dem Medienangebot (Ridder/van Eimeren, 2005, S. 502.). Das entspricht einem Zuwachs von rund anderthalb Stunden im Vergleich zum Jahr 2000 (Ridder/van Eimeren, 2005, S. 500). Die Tageszeitung schafft es aber nicht, davon zu profitieren. Ihr Anteil am Gesamt-Medienbudget liegt bei nur fünf Prozent (Ridder/van Eimeren, 2005, S. 503). Auffällig ist dabei, dass diese Entwicklung „nicht auf einen generellen Bedeutungsverlust der Kulturtechnik Lesen zurückzuführen“ ist (ebd.). Ganz im Gegenteil, stieg „Lesen“ als Tätigkeit aufgrund erhöhter Zuwendung zum Buch in den vergangenen Jahren trotz abnehmender Zeitungslektüre an (ebd.).
Studien sind übereinstimmend zu dem Schluss gekommen: Zeitungslesen beginnt meist früh – oder gar nicht mehr. Ein früher Kontakt mit dem Medium zählt zu den entscheidenden Einflussfaktoren und geht meist Hand in Hand mit der Lesesozialisation im Elternhaus (Rager, 2003, S. 186; Graf-Szczuka, 2007, S. 29). Jugendliche Zeitungsleser stammen meist aus zeitungsfreundlichen Haushalten, „in denen sie über Lesevorbilder verfügen und in denen die Zeitung Teil des Alltagslebens ist“ (Graf-Szczuka, 2007, S. 38). Da Jugendliche in den seltensten Fällen eine eigene Zeitung kaufen würden, ist deren Vorhandensein im elterlichen Haushalt fast eine unbedingt notwendige Voraussetzung dafür, dass sie mit dem Zeitungslesen beginnen (Rager/Oestmann/Werner, 2000, S. 334). Rager berichtet mit Blick auf das Projekt „Lesewoche“, dass 55 Prozent der Schüler, die aus Zeitungshaushalten kamen, mindestens zwei- bis dreimal in der Woche die Tageszeitung lasen; wenn die Eltern aber höchstens ab und zu eine Zeitung kauften, taten dies nur 15 Prozent der Schüler (Rager, 2003, S. 182).
So könnte ein Grund für den Reichweitenverlust unter Jugendlichen auch der Rückgang der Abonnementhaushalte sein, den die Verlage seit Jahren mit Sorge beobachten – in immer weniger Haushalten gibt es eine Tageszeitung. Aber „nur wenn eine Zeitung zur Verfügung steht, kommen Kinder und Jugendliche auf den Gedanken, sie in die Hand zu nehmen und darin zu blättern – sei es aus Langeweile oder aus einem konkreten Interesse heraus“ (Rager/Oestmann/Werner, 2000, S. 334).
Ebenso können Jugendliche besonders dann zum Lesen angeregt werden, wenn die Zeitung habitualisiert in einem regelmäßigen Kontext genutzt wird, zum Beispiel gemeinsam beim Frühstück (Rager, 2003, S. 182), und wenn innerhalb der Familie wiederholt Themen aus der Zeitung diskutiert werden (Rager/Oestmann/Werner, 2000, S. 335). Und: „Ob die Mutter regelmäßig Zeitung liest oder nicht, beeinflusst die Entwicklung zum Zeitungsleser offenbar deutlich stärker als die Lektüre der Geschwister oder des Vaters“ (Rager, Rinsdorf/Werner, 2006, S. 180).
Ob ein Jugendlicher zum Zeitungsleser wird, hängt augenscheinlich auch vom Sozialstatus der Familien ab. Es gilt in der Medienforschung als weitgehend gesichert, dass Angehörige unterschiedlicher Bildungsgruppen sich bezüglich ihrer Medienrezeption und –präferenzen voneinander unterscheiden (Jäckel/Wollscheid, 2006, S. 586). Jene mit niedrigerem Sozialstatus richten ihre Medienrezeption öfter auf Unterhaltung aus und ersetzen das Lesen durch „leichter zu rezipierende Medien“ (ebd.). Auch die Medienausstattung birgt Unterschiede: „Familien am unteren Ende der sozialen Stufenleiter verfügen in der Regel über mehr audiovisuelle Medien als diejenigen am oberen Ende, die in der Regel über einen höheren Buchbestand sowie eine bessere Ausstattung mit neuen Medien verfügen“ (ebd.). Nicht zuletzt ist an dieser Stelle zu beachten, dass ein Zeitungsabonnement auch eine finanzielle Frage ist. Zu vermuten ist, dass viele sozial schlechter gestellte Familien aus monetären Gründen auf eine Tageszeitung verzichten und dies einer der Gründe ist, warum Kinder aus diesen Familien seltener zu den Zeitungslesern zu zählen sind.
Mit zunehmendem Alter spielt die Peer-Group eine größere Rolle; Zeitungsleser haben häufig auch andere Zeitungsleser im Freundeskreis und unterhalten sich über Dinge, die sie in der Zeitung gelesen haben (Graf-Szczuka, 2007, S. 38). Nichtleser bewegen sich hingegen hauptsächlich in Cliquen mit anderen Nichtlesern. In diesen zeitungsfernen Gruppen sind Gespräche über tagesaktuelle Geschehnisse selten und knüpfen eher am Fernsehen an als an dem, was in der Tageszeitung stand (Rager/Rinsdorf/Werner, 2006, S. 181). Auch das Schulniveau spielt eine Rolle. Je höher die formale Bildung, desto häufiger sind Jugendliche zu den Tageszeitungslesern zu zählen (ebd.). Von Schülern mit geringer Formalbildung wird das Lesen hingegen häufig als zu anstrengend empfunden (Jäckel/Wollscheid, 2006, S. 588). Noelle-Neumann hebt außerdem hervor, dass das individuelle Interesse an Politik eine große Rolle spielt. 72 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, die sich für Politik interessieren, lesen täglich oder fast täglich eine Tageszeitung; bei den Uninteressierten sind es nur 18 Prozent (Noelle-Neumann/Schulz, 1993, S. 22-24).
Ist der Kontakt zur Zeitung erst einmal da und werden wiederholt positive Erfahrungen mit der Zeitungslektüre gemacht, kann sich ein stabiles Nutzungsverhalten etablieren (Graf-Szczuka, 2008). Dann läuft der Griff zur Tageszeitung ritualisiert ab, sprich, die Jugendlichen reflektieren nicht mehr bewusst darüber, ob sie die Zeitung lesen sollen, sondern nehmen sie automatisch zur Hand – zum Beispiel aus Gewohnheit am gedeckten Frühstückstisch (ebd.).
Gratifikationen, die helfen können, ein automatisiertes Nutzungsverhalten zu entwickeln, sind zum Beispiel ein Wissensvorsprung gegenüber Gleichaltrigen (etwa in den für Jugendliche interessanten Bereichen Prominente oder Sport) und die damit verbundene Anerkennung ihrer Peer-Group (Graf-Szczuka, 2008), oder die positive Reaktion der Eltern (Graf-Szczuka, 2007, S. 201). Eltern sollten die Zuwendung zur Tageszeitung positiv verstärken, anstatt Desinteresse zu sanktionieren (ebd.). Auch der direkte Appell, „öfter mal die Zeitung zu lesen“, fruchtet bei Jugendlichen meiner Ansicht nach meist nicht.
Festzuhalten ist: Die idealtypische Zeitungslesekarriere gibt es nicht (Rager/Rinsdorf/ Werner, 2006, S. 178). Auch wenn alle Faktoren stimmen, gibt es dennoch keine Garantie dafür, dass sich ein junger Mensch zum Zeitungsleser entwickelt. Auch unter den Jugendlichen mit einem sehr zeitungsfreundlichen Hintergrund kann es welche geben, die das Medium komplett ablehnen (Graf-Szczuka, 2008). Das lässt schnell zu dem Schluss kommen, dass auch die Persönlichkeit des Individuums bei der Hinentwicklung zum Leser oder Nichtleser eindeutig eine Rolle spielen muss.
„Was für Politiker der Nichtwähler, ist für Pressemanager der Nichtleser: ein eher unbekanntes und mittlerweile fast bedrohliches Wesen“ (Blöbaum, 1992, S. 45). Besonders schmerzhaft für die Zeitungen: das Abwenden jugendlicher Leser, denn „wer in jungen Jahren keine Zeitung liest, greift auch später nicht zu diesem Medium“ (ebd.). Verschiedene Forscher haben die Gruppe der jugendlichen Nichtleser deshalb auf unterschiedliche Art und Weise klassifiziert. Rager unterscheidet ganz grob zwei Typen von Nichtlesern: die, die sich die Zeitung erst gar nicht anschauen, und die, die sich bewusst dagegen entscheiden, nachdem sie sie kennen gelernt haben (Peitz, 2007). Zur ersten Gruppe zählt Rager etwa ein Viertel der 16- bis 17-Jährigen. Diese „Zeitungsverweigerer“ sind für die Zeitung überhaupt nicht zu erreichen – etwa, weil sie dem Lesen generell aus dem Weg gehen oder Probleme damit haben, sich in die Gesellschaft zu integrieren (Rager, 2003, S. 182; Rager/Oestmann/
Werner, 2000, S. 328; Peitz, 2007). Alle anderen Jugendlichen könne man mit den richtigen Maßnahmen unterschiedlich gut erreichen, sofern sie nicht sogar schon Zeitungsleser sind (Peitz, 2007).
Graf-Szczuka unterscheidet sogar sieben verschiedene Typen – zwei Typen von regelmäßigen Zeitungslesern, drei Typen von gelegentlichen Zeitungslesern und zwei Typen von Nichtlesern. (Graf-Szczuka, 2007, S. 280).
Beide Typen von regelmäßigen Zeitungslesern beschreibt Graf-Szczuka als sozial angepasst, leistungsorientiert, verträglich und gewissenhaft. Sie haben einen zeitungsfreundlichen familiären Hintergrund, gestehen der Tageszeitung eine ausgeprägte Informationsfunktion zu, und das Zeitungslesen ist für sie mit Spaß verbunden. Sie haben außerdem eine internal orientierte Kontrollüberzeugung (ebd.) – es ist also anzunehmen, dass sie die Zeitung aus eigener Motivation heraus und nicht auf Erwartungsdruck von außen hin lesen. Graf-Szczuka differenziert zwischen „Intensivlesern“ und „Kurzzeitlesern“. Erstere zeichnen sich durch großes Interesse an Politik aus und sind durch ausgeprägten Wissensdurst und ein breites Interessenspektrum zu kennzeichnen, während letztere vor allem ein ausgeprägtes Interesse an Sport zu haben scheinen und zwar über ein schmaleres Interessenspektrum, dafür aber einen besonders ausgeprägten Wissensdurst verfügen (ebd.).
Drei Typen von gelegentlichen Zeitungslesern konnte Graf-Szczuka in ihrer Studie identifizieren. Sie unterscheiden sich deutlich voneinander: Die „Gelegenheitsleser“ etwa können im Elternhaus nicht regelmäßig auf eine Zeitung zurückgreifen, und auch in ihrer Peer Group sind sie nicht von Zeitungslesern umgeben. Sie gestehen der Zeitung zwar einen hohen Informationswert zu, verbinden die Lektüre aber nicht mit Spaß. Ihr Interesse konzentriert sich meist auf Sport und Kunst, geht aber nicht darüber hinaus (Graf-Szczuka, 2007, S. 280f).
Die „Wenigleser“ hingegen kommen aus zeitungsfreundlichen Haushalten, haben jedoch auch keine Lesevorbilder im Freundeskreis. Sie sind zwar wie die regelmäßigen Zeitungsleser wissensdurstig und vielseitig interessiert, jedoch weniger leistungsorientiert und brauchen starke Anreize, um zur Zeitung zu greifen (Graf-Szczuka, 2007, S. 281). Die „Unentschlossenen Leser“ sind jene, die sich trotz eines ambivalenten Zeitungshintergrundes – die Zeitung ist zuhause kaum zugänglich und nicht in den Alltag integriert – nicht komplett von ihr abwenden und vor allem für die Schule hin und wieder lesen. Sie haben eine ausgeprägte sozial externale Kontrollüberzeugung und verfügen über ein breites Interessenspektrum (ebd.).
Zuletzt unterscheidet Graf-Szczuka zwei Typen von Nichtlesern. Die „Zeitungsverweigerer“ stammen aus zeitungsfreundlichen Haushalten und lehnen das Medium augenscheinlich bewusst ab. Graf-Szczuka charakterisiert sie als wenig wissensdurstig, leistungsorientiert oder gewissenhaft. Die „Nichtleser“ hingegen nutzen die Zeitung scheinbar aus Gewohnheit nicht, weil keine Gelegenheit dazu besteht (ebd.).
Die meisten Nichtleser, ob jugendlich oder erwachsen, lehnen es nicht kategorisch ab, eine Tageszeitung zu lesen. „Wenn sie in der Bahn, beim Friseur oder am Arbeitsplatz eine Zeitung vorfinden, dann greifen 84 Prozent auch zu und lesen. Die Lesemotivation reicht jedoch nicht zum regelmäßigen Kauf aus“ (Blöbaum, 1992, S. 52).
Jugendliche Vielleser verfügen über eine positive Grundeinstellung zum Zeitungslesen. Von der Lektüre versprechen sie sich Spaß und Gratifikationen (Graf-Szczuka, 2007, S. 282). Regelmäßige Zeitungsleser unterscheiden sich von Nichtlesern auch durch ausgeprägte Neugier und Leistungsorientierung und haben generell ein breiteres Interessenspektrum beziehungsweise ausgeprägtere Interessen in spezifischen Bereichen, fasst Graf-Szczuka zusammen (Graf-Szczuka, 2007, S. 283). „Wer wissbegierig und leistungsorientiert ist, findet eher einen Zugang zur Zeitung als jemand, der sich nur mäßig für seine Umwelt interessiert (Graf-Szczuka, 2007, S. 306). Fritz und Suess bestätigen: „Der Nichtleser möchte von allen Problemen dieser Welt am liebsten nichts mehr hören und sehen; er ist der glücklichste, wenn er einfach nichts tut“ (Fritz/Suess, 1986, S. 137). Doch wenn das Interesse am tagesaktuellen Geschehen fehlt, entfällt damit auch das Hauptmotiv schlechthin für die Lektüre einer Tageszeitung (Blöbaum, 1992, S. 60).
„Kann den Lesen cool sein?“, fragte Katja Riefler 1995 in der „Zeit“ und zitiert Werbetexter Rainer Baginski, in dessen Augen alle Anstrengungen der Zeitungen vergebene Liebesmüh sind: „Haben irgendwelche Aktivitäten der Tageszeitungen in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich unter jungen Leuten das unwiderstehliche Gefühl ausgebreitet hat, man müsse unbedingt Tageszeitungen lesen, weil das cool sei? Wäre dem so, säßen wir heute wohl kaum hier“ (Riefler, 1995, S. 61). Das ist freilich provokant und unwissenschaftlich formuliert, doch tatsächlich kommen auch eine Reihe von Untersuchungen zu dem Schluss: Mit Spaß und Unterhaltung bringen nur wenige Jugendliche die Tageszeitung in Verbindung – für sie ist die Zeitung eher ein glaubwürdiges und seriöses Informationsmedium (Graf-Szczuka, 2007, S. 28).
Gegen das sie nicht unbedingt etwas haben. Viele Jugendliche nämlich stört an der Tageszeitung gar nichts, sie ist ihnen einfach egal, hat Rager in seinen Forschungen herausgefunden; für viele junge Leute sei die Zeitung ein Relikt aus einer altmodischen Medienlandschaft (Roether, 2004). „Der Zeitung haftet der Muff des kleinbürgerlichen, spießigen Lebens“ der Eltern an, fasst Röttger zusammen (Röttger, 1992, S. 84), „sie steht für das gesetzte, monotone Einerlei der Welt der Erwachsenen (ebd.).
Trotzdem wird sie von vielen Jugendlichen dennoch als wichtig eingestuft, was allerdings keineswegs einen Widerspruch zu ihrem schlechten Image darstellt. „Hier handelt es sich wohl zum großen Teil um die Verinnerlichung der im allgemeinen angenommenen Wichtigkeit der Tageszeitung“ mutmaßt Röttger und zieht auch die soziale Erwünschtheit als Grund für dieses scheinbar widersprüchliche Antwortverhalten in Betracht (ebd.). Als weniger wichtig beurteilen viele Jugendliche hingegen den Lokalteil, da dieser viel Irrelevantes enthalte (Röttger, 1992, S. 88).
Vor allem mit der Konkurrenz Fernsehen muss sich die Tageszeitung schon immer messen, während das Internet erst seit rund 15 Jahren eine Rolle spielt (siehe dazu Kapitel 1.1). Im Gegensatz zum Printmedium Tageszeitung verspricht das Fernsehen eine angenehmere und bequemere Art der Informationsaufnahme (Röttger, 1992, S. 84). Zwar gilt die Zeitung wie gesagt auch und vor allem als Informationsmedium, doch wirkt dieses Profil zumindest auf einen Teil der Jugendlichen eher abschreckend (Rager, 2003, S. 185). Vor allem der seriöse Anstrich des Mediums fungiert als „Kontaktbarriere“ (Rager, 2003, S. 180). Jugendliche assoziieren damit „uninteressante Politik“ und wenden sich in Erwartung einer langweiligen, zeitraubenden Lektüre von der Zeitung ab (Röttger, 1992, S. 84). „Das Papiermedium gilt – trotz Farbfotos – als grau und unspektakulär. Die Zeitungssprache kommt trocken und kompliziert daher“ (Rager, 2003, S. 180). Kritik äußern Jugendliche auch am mangelnden Jugendbezug der Zeitungsthemen (Graf-Szcuka, 2007, S. 28). Viele Artikel behandeln Themen, die Jugendliche nicht wirklich interessieren; auch, wenn sie Politik und Wirtschaft abstrakt als „irgendwie wichtig“ anerkennen mögen, stehen diese Themen am Ende ihrer Themenwunschliste (Rager, 2003, S. 180). Dazu kommt: Jugendliche halten zwar als Thema her, „als Personen, die etwas zu sagen haben, werden sie aber nur sehr selten wahrgenommen. Die Berichterstattung erfolgt aus der Distanz, Informationen werden selten bei ihnen selbst, sondern bei den ,zuständigen’ Institutionen eingeholt“ (Röttger, 1992, S. 87).
Zeitungen müssen weg vom Image der Pflichtlektüre und sollten versuchen, ein solches der Freizeitlektüre zu gewinnen (Bisiaux, 2002, S. 213). Wie eine Tageszeitung optimalerweise aussehen sollte, um gezielt Jugendliche anzusprechen, dazu siehe im einzelnen Kapitel 3.
Die meisten Tageszeitungen sehen dem Leserschwund in der jüngeren Generation nicht unverrichteter Dinge zu und versuchen längst, dem entgegenzuwirken, wobei sie im Wesentlichen entweder spezielle Angebote für die Jugend im Blatt haben und/oder mit ihrem Produkt in die Schulen gehen.
Eine schriftliche Befragung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger unter 242 Chefredakteuren von Tageszeitungen (Rücklauf: 152 Fragebögen) ergab im Jahr 2006, dass 69 Prozent der Blattmacher mittlerweile auf eine Jugendseite setzen. Das entspricht einer absoluten Zahl von 105 Jugendseiten (BDZV, 2007). Die „Zielgruppe Jugend“ wurde dabei auf zirka 13 bis 21 Jahre eingegrenzt. Lediglich 14 Prozent leisten es sich, überhaupt keine Angebote für Jugendliche im Blatt zu haben. Neun Prozent haben Jugendbeilagen, 18 Prozent spezielle Webseiten für Jugendliche. 15 Prozent nennen „andere Angebote“ (ebd.).
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