Examensarbeit, 2005
50 Seiten, Note: 1
Abkürzungsverzeichnis
1 Eingrenzung, Ziele und Entstehung der Arbeit
2 Problembezogene Darstellung des inhaltlichen und didaktischen Themas
2.1 Datenschutz und Datensicherheit (DuD)
2.2 Allgemein- und Persönlichkeitsbildung im Informatikunterricht
2.3 Der Begriff der Erkundung
2.4 Die didaktischen Funktionen der Erkundung
2.5 Das Ablaufschema einer Erkundung
2.6 Langfristige Vorbereitung
2.6.1 Kriterienkatalog zur Auswahl eines Großbetriebes
2.6.2 Der Großbetrieb BfA im Profil
2.7 Direkte Vorbereitung
3 Planung, Durchführung und Auswertung der Erkundung
3.1 Schulischer Kontext
3.2 Kurzdarstellung des didaktischen Gesamtkonzeptes
3.3 Übersicht der Unterrichtsreihe
3.4 Planungsgrundlagen
3.4.1 Curriculare Vorgaben
3.4.2 Planungszusammenhang
3.4.3 Spezielle Voraussetzungen
3.5 Angaben zur Lerngruppe
3.5.1 Statistische Angaben
3.5.2 Kompetenzstand
3.6 Vorbereitungsphase der Erkundung
3.6.1 Didaktisches Konzept und Verlauf
3.6.2 Angestrebter Kompetenzzuwachs
3.6.3 Evaluation
3.6.4 Handlungsentwurf
3.7 Durchführungsphase der Erkundung
3.7.1 Didaktische Überlegungen
3.7.2 Angestrebter Kompetenzzuwachs
3.7.3 Evaluation
3.7.4 Organisatorischer Ablauf
3.8 Auswertungsphase der Erkundung
3.8.1 Didaktisches Konzept
3.8.2 Angestrebter Kompetenzzuwachs
3.8.3 Evaluation
3.8.4 Handlungsentwurf
4 Analyse
4.1 Analyse der Vorbereitungsphase
4.1.1 Prozessanalyse
4.1.2 Produktanalyse
4.2 Analyse der Durchführungsphase
4.3 Analyse der Auswertungsphase
4.3.1 Prozessanalyse
4.3.2 Produktanalyse
5 Gesamtreflexion
6 Ausblick
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Wir brauchen eine ganzheitliche Bildung, Anwendungsorientierung und Lernen in praxisorientierten Zusammenhängen. Ich meine eine Bildung, die Kopf, Herz und Hand einbezieht. <…>. Die Schule zu verlassen, um vor Ort Erfahrungen zu sammeln, ist wichtiger als reines Schulbuchwissen. Experten in die Schule zu holen, heißt mehr Lebenswirklichkeit in die Schulräume einzubringen.“ 1
Diese Worte stammen aus dem Manuskript von INGRID SEHRBROCK (Studienrätin und Mitglied des Bundesvorstandes des DGB) anlässlich ihrer Rede auf der Pressekonferenz des DGB-Bundesvorstandes im März 2002 bezüglich des schlechten Abschneidens der deutschen Schüler und Schülerinnen bei der PISA- Studie 2000 - in allen drei Kompetenzbereichen (Lesen, Mathematik, Naturwis- senschaften) wurden Werte erzielt, die signifikant unter dem Durchschnitt der OECD lagen.2
Als Lehrer fühle ich mich besonders im Zusammenhang mit meinem Thema di- rekt angesprochen. Frau SEHRBROCK resümiert und kommt in wesentlichen Punkten zu einer ähnlichen Auffassung, wie ich sie habe. Die Konsequenzen versuche ich in meiner Arbeit als Lehrer bereits jetzt zu ziehen und den daraus erwachsenden Ansprüchen, wo es möglich ist, gerecht zu werden - obgleich sich die Ergebnisse der PISA-Studie von 2003 verbessert haben und die deutschen Schülerinnen und Schüler immerhin nun leicht überdurchschnittlich abschnei- den.3 Im Rahmen dieser Examensarbeit habe ich mich u.a. aus oben genannten Gründen der Herausforderung gestellt, den Schülerinnen und Schülern meines Basiskurses im Fach Informatik eine Erkundung in einem Großbetrieb - und zwar der BfA4 - zu ermöglichen.
Ich will zeigen, dass die Erkundung als Methode in der BfA erfolgreich eingesetzt werden kann, um den Schülern die Geschichte der Informatik, mit der eine Ent- wicklung des Datenschutzes und der Datensicherheit einherging, integrativ am Beispiel der Entwicklung der Datenverarbeitung bei der BfA zu vermitteln - von der einstigen Lochkarte bis zur heutigen Anwendung von Datenbanken und Rechnernetzen.
Bezüglich des gesellschaftlichen Themas «Datenschutz und Datensicherheit» soll den Schülern dadurch die Möglichkeit gegeben werden, ihre Haltung zu diesem Themenkomplex zu überprüfen und ggf. zu ändern. Die dazu nötigen Kompetenzen im Sinne der allgemeinbildenden Aufgaben des Informatikunterrichts werden durch die Methode der Erkundung meiner Auffassung nach gefördert. Diese Auffassung am durchgeführten Unterricht zu evaluieren, macht einen wichtigen Teil dieser Arbeit aus.
Dazu gehört eine dem Thema angemessene ausführlichere Auseinandersetzung mit den Zielen von Bildung, den Aufgaben der Schule und der Bedeutung des Faches Informatik für die Allgemeinbildung, denn ohne den Blick auf das Gesam- te zu richten, kann ich als Lehrer für Informatik in der heutigen von informati- schen Systemen durchdrungenen Gesellschaft keinen wertvollen Unterricht ge- stalten, der den allgemeinen Bildungszielen von Schule gerecht wird.
Die Idee zu einem Unterrichtsvorhaben solcher Art5 ist bei einer unvergessenen Studienfahrt beider Fachseminare der Informatik mit den Herren STEINBRUCKER und WITTEN, die mich am Anfang meiner Ausbildung unter anderem zum HNF (Heinz Nixdorf Museumsforum)6 in Paderborn geführt hat, entstanden. Ich habe aus der Teilnahme an dieser Studienfahrt bereits damals die Erkenntnis gewonnen, dass Unterricht, der sich außerschulisch vollzieht, ein immenses Po- tenzial hat, den Schülerinnen und Schülern (im Folgenden wird synonym und wertneutral Schüler verwendet) ganzheitlich-sinnliche und nachhaltige Erfahrun- gen zu vermitteln und sie überdies wesentlich gründlicher bzw. umfassender in- formieren kann, als dies im Allgemeinen regulärer Unterricht im Klassenraum zu leisten vermag. Ferner habe ich auch gut in Erinnerung, wie sich meine Einstel- lung sowohl zu dem Erlebten als auch zu anderen Seminarteilnehmern durch das Erleben in der Gruppe und die dadurch neuen Erfahrungen und Möglichkeiten der Kommunikation entscheidend zum Positiven geändert hat. Für die Erkundung in der BfA erwarte ich für die Schüler und mich durchaus ähnliche positive Erfah- rungen.
Die Struktur der Arbeit orientiert sich stark an dem, was die Erkundung als Me- thode erfordert. So sind bereits bei der theoretischen Auseinandersetzung mit dem didaktischen Schwerpunkt und dem inhaltlichen Schwerpunkt immer direkte Bezüge zu der Unterrichtsplanung vorhanden. Es gibt auch nur einen Unter- richtsentwurf, der sich in den dritten Teil der Arbeit gemäß der Struktur einer Er- kundung einfügt, jedoch bzgl. der Durchführungsphase nicht klassisch konzipiert ist.
„Datenschutz zielt auf mehr als nur den Schutz personenbezogener Daten. Mit seiner Zentrierung auf die informationelle Selbstbestimmung gewährleistet der Datenschutz die Voraussetzungen für eine lebendige Kultur, die die Würde derMenschen achtet und ihnen die Chance ermöglicht, im Schutz der Privatheit Zivilcourage zu entwickeln und als informierter‚Citoyen’angstfrei amöffentlichenund privaten Leben teilzunehmen.“ 7
DuD in Form von praktisch umgesetzten Normen ist allerdings nur eine notwendige Voraussetzung von mehreren. Bevor ich diese weiteren Voraussetzungen kläre, will ich kurz die Begriffe «Datenschutz», «Datensicherheit» und «informationelle Selbstbestimmung» erläutern.
Datenschutz hat allgemein die Aufgabe, die Persönlichkeitsrechte des Bürgers, nämlich sein Recht auf Privatheit, zu schützen. Der Bürger soll vor den nachteiligen Folgen der Datenverarbeitung bewahrt werden.8
Dazu gibt es Normen bzw. Gesetze, die Regeln bzgl. der Erhebung (Beschaf- fung von personenbezogenen Daten), Verarbeitung (speichern, verändern, übermitteln, sperren, löschen) und Nutzung (Verwendung, soweit nicht Verarbei- tung) aufstellen. Diese Normen haben vier Grundprinzipien. Die der Zweckbin- dung und Datenvermeidung (nur so viel Daten wie unbedingt nötig dürfen nur zu genau dem Zweck verwendet werden, zu dem sie erhoben und gespeichert wurden), das Verbotsprinzip (es ist solange alles verboten, bis es erlaubt wird, was sich sonst bei Gesetzen genau umgekehrt verhält) und das Datengeheim- nis (gilt als sog. Auffangprinzip für personenbezogene Daten analog zu den jeher bekannten Schweigepflichten, wie sie Ärzte, Geistliche oder Anwälte haben, wenn keine entsprechende bereichsgebundene Vorschrift existiert).9
Datensicherheit betrifft die technischen Maßnahmen, die notwendig sind, um Da- tenschutz zu verwirklichen. Dazu gilt es, die Grundwerte Vertraulichkeit (kein unberechtigter Zugriff auf Daten), Integrität (keine unbefugte Verfälschung von Daten) und Verfügbarkeit (zeitgerechter Zugriff seitens autorisierter Benutzer, redundante Datensicherung, Stromausfallüberbrückung) zu wahren und entspre- chende Bedrohungen abzuwehren. Dazu gehören Schutzmaßnahmen, um inne- re Bedrohungen (Mitarbeiter, Eindringlinge) wie äußere Bedrohungen (z.B. Katastrophen) abzuwehren oder deren Schaden zu begrenzen. Im Wesentlichen betreffen die Maßnahmen die Zugtrittssicherung (Zutritt zum Gebäude über Pförtner, Drehkreuze, Ausweis), die Zugangssicherung (z.B. Zugang zum System per Chipkarte [Besitz], Passwort [Wissen] und Biometrie [Sein]) und schließlich den Zugriffsschutz (Zugriff auf Daten und Ressourcen).10
Informationelle Selbstbestimmung bedeutet schließlich kurz gesagt, dass jeder das Recht hat, selbst zu bestimmen, wann, inwieweit und wem er seine perso- nenbezogenen Daten11 mitteilt. Informationelle Selbstbestimmung ist als Teil der allgemeinen Selbstbestimmung nach den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes ein Persönlichkeitsrecht.
Geschaffen wurde die Idee der informationellen Selbstbestimmung aufgrund ei- ner Verfassungsklage zu dem sog. Volkszählungsgesetz. 1983 erging das ent- sprechende ‚Volkszählungsurteil’, dessen Begründung im Wesentlichen lautet:
„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschafts-ordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit no-tiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweise aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bür-gerinitiative behördlich gespeichert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grund-rechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfal-tungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Hand-lungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“ 12
Die Landesdatenschutzgesetze, das Bundesdatenschutzgesetz und die EU- Datenschutzrichtlinie regeln den Datenschutz im Einzelnen - Sozialdaten, wie sie bei der öffentlichen Stelle BfA anfallen, unterliegen dem SGB X. Sicherlich wäre es ohne die gesetzlichen Grundlagen straffrei möglich, ohne Wissen der Betroffenen, heimlich und unkontrolliert oder auch offen personenbe- zogene Daten zu sammeln und zu verwerten, ohne dass sich die Betroffenen wehren könnten. Diese Möglichkeit ist aber auch gegeben, wenn Datenschutz-gesetze existieren. Verhindern können Normen und Gesetze deren Verletzung nämlich nicht! Es wird also klar: Trotz des vorhandenen Rechts auf informationel- le Selbstbestimmung ist man immer noch in einem gewissen Rahmen für dessen Wahrung eigenverantwortlich, nämlich, indem man auch in eigener Verantwor- tung darauf achten muss, wem man bei welcher Gelegenheit welche Daten über- lässt, wenn man dies kontrollieren kann. Oder wenn der Datenschutzbeauftragte bemüht werden muss, um ein möglicherweise verletztes Recht durchzusetzen. Daher kann nur ein sich seiner Rechte bewusster Bürger ggf. seine Rechte auch durchsetzen. Dieses Bewusstsein ist bei den meisten Menschen, also auch bei meinen Schülern, in der heutigen Zeit wenig ausgeprägt. Es gibt die eindeutige Tendenz, dass ein gewisses Übermaß an Vertrauen oder eher Kritiklosigkeit herrscht, wenn offensichtliche Datensammelwut (oft trickreich begründet und oberflächlich betrachtet hilfreich) mit den eindeutig damit verbundenen Gefahren von den Betroffenen mit dem pauschalen Satz gebilligt wird: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Von Datenschutzkritikern hört man immer wieder den Satz, Daten- schutz sei Täterschutz. Das ist eine falsche Auffassung von Datenschutz. Noch gibt es das Prinzip der Unschuldsvermutung, und die Beweislast liegt auf der Sei- te des Staates. Es wäre fatal, wenn im Zuge dieser um sich greifenden Meinung dieser fundamentale Eckpfeiler unseres Rechtsstaates verschwinden würde und der Bürger auf einmal in der Beweispflicht seiner Unschuld wäre, indem er Daten preisgeben muss. Welche gesellschaftlichen Folgen ein übermäßiges Vertrauen und unkritisches Verhalten haben kann, sollte eigentlich aus der Geschichte hin- länglich bekannt sein. Der alte römische Rechtsgrundsatz „Das Recht schützt nur den Wachen“ hat nach wie vor Gültigkeit. Es gilt, die Schüler für ihre Rechte zu sensibilisieren und für deren Verteidigung zu motivieren. Es kommt also darauf an, zumindest die offenbar fehlende Voraussetzung der Aufklärung zu schaffen. Dies kann nur durch eine entsprechende Bildung geschehen. Ich halte das Fach Informatik für prädestiniert, diese Aufgabe zu erfüllen, insbesondere im Hinblick auf die Vernetzung mit anderen Unterrichtsfächern. Daher beschäftige ich mich im folgenden Abschnitt mit dieser Thematik, in dem ich darstelle, welche allge- mein- und persönlichkeitsbildenden Aufgaben dem Informatikunterricht von ver- schiedenen Experten zugeschrieben werden.
Im dritten Teil der Arbeit komme ich dann dazu, welche dieser Aufgaben durch die Förderung welcher Kompetenzen mit der Erkundung und den gewählten Kleinmethoden erfüllt werden können, um die Möglichkeit zu schaffen, dass die Schüler ihre Haltung zumindest kritisch überprüfen können.
„Schulinformatik bildet keine Informatiker aus, sondern leistet einen wichtigenBeitrag zur Allgemein- und Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler, dient also ganz altmodisch auch zur‚Erziehung’. Die alte Forderung der Reformpädagogik des‚Lernens mit Kopf, Herz und Hand’kann nicht ungestraft auf denKopf reduziert werden.“ 13
Für mich hat dieses Zitat ECKART MODROWS eine zentrale Bedeutung, denn ich halte es für notwendig, sich darüber klar zu werden, dass es kein zu hoher Anspruch ist, die Informatik als allgemeinbildendes Fach zu betrachten oder mindestens nicht zu ignorieren, dass es eine erhebliche Fülle an fachübergreifenden bzw. fächerverbindenden Aspekten der Informatik gibt, die immer wieder auch gesellschaftliche, historische und politische Themen berühren.
Gerade im Zusammenhang mit dem in meiner Unterrichtsreihe behandelten Thema DuD aus dem Bereich „Informatik und Gesellschaft“14 geht es nicht ausschließlich um so genannte Fachinhalte. Es geht letztlich um Erziehung zur Demokratie, wie aus der Begründung des Volkszählungsurteils folgt. Damit betrifft zumindest die Thematik DuD nicht nur meinen Lehrauftrag, sondern auch direkt meinen Erziehungsauftrag als Lehrer.
Die Aufgaben und Pflichten des Lehrers und der Schule wurden bereits mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom Mai 1973 als allgemeine Bil- dungsziele definiert, die laut dem Papier vom Dezember 2004 über Bildungsstan- dards der KMK als immer noch aktuell festgestellt werden. Danach sollen die Schulen u.a. Folgendes leisten: „ < … >
-zu selbstständigem kritischem Urteil und eigenverantwortlichem Handeln befähigen,
-die Bereitschaft zu sozialem Handeln und zu politischer Verantwortlichkeit wecken,
-Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten (i.S. von Kompetenzen) vermitteln,
-über die Bedingungen in der Arbeitswelt orientieren,
-zu Freiheit und Demokratie erziehen < … > “15
Diese Aufgaben korrespondieren meiner Auffassung nach mit dem, was notwendig ist, um einen Bürger zu erziehen, der sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch wahrnehmen kann. Diese Aufgaben finden sich zumindest jeweils in Teilen und leicht umformuliert - gemäß dem sich selbstverständlich ändernden gesellschaftlichen Kontext - in den curricularen Vorgaben (CV), Leitzielen der Schulen oder in den Veröffentlichungen diverser Didaktiker wieder, da sie sehr zeitlos und allgemein gehalten sind.
HELMUT WITTEN schreibt in seinem Aufsatz über allgemeinbildenden Informatik- unterricht, dass es zur Weltorientierung mehr bedarf, als nur über einzelne Fach- disziplinen informiert zu sein. Er bezieht sich dabei, genau wie MODROW in sei- nem pragmatischen Konstruktivismus, auf den von HEYMANN und BUSSMANN auf- gestellten Katalog über die Aufgaben der allgemeinbildenden Schulen, den HEY- MANN im Buch «Allgemeinbildung und Mathematik» zunächst am Fach Mathe- matik orientiert hatte.16
WITTEN schafft nun eine Beziehung dieser grundsätzlichen Überlegungen zum Informatikunterricht, indem er in wesentlichen Punkten folgende Fragen beant- wortet:
„Inwiefern kann Informatikunterricht zur Lebensvorbereitung, <…> Weltorientierung, <…>, zur Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch, zur Entfaltung vonVerantwortungsbereitschaft, zur Einübung in Verständigung und Kooperation und zur Stärkung des Schüler-Ichs beitragen?“ 17
Ich will hier deutlich machen, dass ich als Fachlehrer die erzieherischen und all- gemeinbildenden Aspekte meines Unterrichts zu berücksichtigen, zu planen und zu beurteilen habe (gemessen an den Kriterien der KMK). Diesem Anspruch kann ich gerade in dieser Arbeit nur nachkommen, wenn ich eine klare Vorstel- lung habe, welche Aspekte der Informatikunterricht auch in Zukunft bezüglich der Allgemeinbildung und Erziehung berührt. Deshalb habe ich dieser Auseinander- setzung an den entsprechenden Stellen auch genügend Raum gegeben.
Auch der ursprünglich von PESTALOZZI geprägte Satz „Lernen mit Kopf, Herz undHand“ 18 hat für mich eine hohe Bedeutung, weil ich den Schülern Lerninhalte nachhaltig vermitteln will. Dazu möchte ich im Folgenden den Begriff der Erkundung und anderer, damit eng verbundener, Termini näher erläutern.
„Erkundungen stellen den schüchternen Versuch dar, die in Jahrhunderten und Jahrtausenden gewachsene institutionelle Trennung von Schule und Arbeit, Ler- nen und Leben punktuell wieder zurückzunehmen. Die meisten Lehrer halten Er-kundungen denn auch grundsätzlich für wichtig und positiv - aber sie führen sie dennoch selten durch, weil sich Erkundungen nur schlecht in den Zeitrhythmus der Schule einfügen lassen und weil sie umfangreiche Vorbereitungen erfor-dern.“ 19
Die umfangreichen Vorbereitungen fangen bereits damit an, sich mit dem Begriff Erkundung (ED) näher auseinander setzen zu müssen:
Eine ED führt die Schüler aus dem Klassenraum heraus und an die jeweilige Wirklichkeit heran, indem eine unmittelbare reale Begegnung mit der außerschulischen Wirklichkeit stattfindet. Dabei kann diese Begegnung neben z.B. Landschaft und den in dieser Landschaft Lebenden ebenso mit Betrieben und den in diesen Betrieben Arbeitenden, mit Institutionen, Behörden und mit Experten stattfinden. Es sollen dabei praxisorientierte Bezüge hergestellt und eine ganzheitlichsinnliche Anschauung geschaffen werden.20
Erkundungen sollen, zitiert nach KÖCK/OTT21, vornehmlich drei Zielen dienen:
1. Eine ganzheitlich-sinnliche Anschauung schaffen.
2. Die Gewinnung von gründlichen Informationen an Ort und Stelle ermögli- chen.
3. Die unmittelbare Erweiterung von Kompetenzen in Bezug auf Sach- wissen, Fertigkeiten und Einstellungen bzw. Haltungen bewirken und Er- fahrungen an der Wirklichkeit ermöglichen.
Der Begriff der Ganzheitlichkeit ist hier durchaus wichtig. Es gibt verschiedene Auffassungen, was «ganzheitlich» bedeutet. Zumindest im Zusammenhang von Erkundung und der ganzheitlich-sinnlichen Anschauung bedeutet es nach PETERßEN, der sich dabei wiederum auf BRUNER bezieht, Folgendes: Die Schüler sollen mit den Lerngegenständen enaktiv umgehen können, sie fas- sen, sehen, riechen, schmecken und hören (wenn diese Gegenstände es zulas- sen)22 - also werden demnach im Idealfall alle Sinne angesprochen. PETERßEN verweist in diesem Zusammenhang auf das vielkanalige Lernen nach VESTER hin und bringt die Stichworte Vielsinnesunterricht bzw. Allsinnesunterricht mit ins Spiel. Bei einer Erkundung sollen demnach Situationen geschaffen werden, in denen der übliche Schulunterricht mit seiner Kopforientierung durch eine auf viele oder alle Sinne ausgerichtete Lernart ersetzt wird.
Deutlich unterscheiden muss man aber nach PETERßEN vom Prinzip des Ganzheitlichen Lernens (GaL). Er weist darauf hin, dass die auch in dieser Arbeit vielzitierte Formel „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ nach PESTALOZZI oft fälschlich zur Veranschaulichung von GaL verwendet wird.23 Er begründet dies damit, dass der Mensch aus mehr als nur fünf Sinnen besteht.
Natürlich besteht der Mensch aus mehr als nur den fünf Sinnen. Allerdings ist es trotzdem nicht verkehrt, wenn man als Lehrer seinen Unterricht wenigstens ab und zu so einrichtet, dass nicht immer nur der Kopf gefordert ist. Hat man dieses Bestreben, bietet sich die Einsicht von PESTALOZZI an und hat Gültigkeit. Für die Methode der Erkundung mag dies zu kurz gegriffen sein, jedoch kann man kaum leugnen, dass PESTALOZZIS Satz in aller Munde ist und größtenteils richtig ver- standen wird (s.o.). Vielleicht sollte ich besser ein Zitat bemühen, welches KON- FUZIUS zugeschrieben wird:
“Sage es mir, und ich vergesse es, Zeige es mir, und ich erinnere mich, Lass es mich tun, und ich behalte es.“
Beim GaL wird prinzipiell gefordert, dass der ganze Lernende (Subjekt) und die ganze Sache bzw. Wirklichkeit (Objekte) in Lernvorgängen zusammengeführt werden. Dabei muss der Schüler eben nicht mehr als Schüler in seiner Rolle, sondern als ganzer Mensch bzw. als Persönlichkeit betrachtet werden. Ebenfalls muss die Sache dem Schüler in ihrer Ganzheit gegenübertreten - unverändert und unverstellt. PETERßEN gibt allerdings zu, dass schon viel erreicht wäre, wenn sich die Lehrerinnen und Lehrer an GaL als regulatives Prinzip halten würden und dieses Prinzip bei ihren didakischen Entscheidungen berücksichtigten - nämlich während sie einen Balanceakt vollbringen müssen, den Lehrauftrag von Schule und Unterricht, bei dem die Heranwachsenden eher in ihrer Schülerrolle begriffen würden, in Übereinstimmung mit den Anrechten der Schüler auf eine angemessene Würdigung ihrer ganzen Persönlichkeit zu bringen.
Für mich besteht kein Widerspruch zwischen der Behandlung der Schüler als In- dividuen und dem Bildungsauftrag von Schule, den ich zuvor erörtert habe. Die Arbeitsschule, deren herausragender Vertreter GEORG KERSCHENSTEINER ist, darf an dieser Stelle ebenfalls nicht unerwähnt bleiben, denn auch KERSCHENSTEINER stellt das Individuum in den Vordergrund. Aber es gibt natür- lich Grenzen, an die Lehrer in dem Bemühen stoßen, jeden einzelnen ihrer Schü- ler individuell zu berücksichtigen.
PETERßEN schreibt bezüglich der gründlichen Informationen an Ort und Stelle, die den Schülern durch eine Erkundung zuteil werden sollen:
Die einzelnen Schüler sollen als jeweils subjekthafte Ganzheit der unverstellten, unverfälschten Wirklichkeit als objekthafte Ganzheit begegnen können. Ich versuche daher, die Schüler möglichst an die Dinge heranzulassen, mit denen sie die ihre Dispositionen verändernden Erfahrungen machen können, nämlich z.B. durch den Rundgang an Ort und Stelle in der BfA.
Schließlich sollen nach Peterßen Kompetenzen in Bezug auf Sachwissen, Fertigkeiten und Einstellungen bzw. Haltungen erweitert werden.
Dabei lege ich besondern Wert auf die Möglichkeit, dass die Schüler ihre Haltung zum Datenschutz verändern, indem sie exemplarisch an der BfA verdeutlicht bekommen, dass bzw. warum Datenschutz praktiziert wird und auch soziale, wirtschaftliche oder rechtliche Konsequenzen entstehen können, wenn dem Datenschutz zuwider gehandelt wird.
Bei der gründlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff Erkundung habe ich festgestellt, dass es gewisse Unterschiede zwischen Erkundung, Lerngang und Exkursion gibt.
KLAFKI hat bezüglich der Erkundung eine differenzierte Auffassung. Für ihn be- deutet ED eine Aspekterkundung im Gegensatz zur Totalerkundung. Es besteht seiner Meinung nach ein Unterschied zu einer Besichtigung, in dem etwas ganz Bestimmtes, Vorausbedachtes gezielt erkundet bzw. erforscht werden soll.24 Für mein Vorhaben ist der Begriff der Aspekterkundung durchaus zutreffend, wenn man davon ausgeht, dass ich nur Aspekte in der BfA erkunden lasse - nämlich die technischen Maßnahmen des Datenschutzes und die Entwicklung der EDV in der BfA, jedoch auch die Arbeitsplatzumgebung der Sachbearbeiter in der Fachabteilung der Kundenbetreuung bzgl. der Vernetzung des Betriebes.
[...]
1 Sehrbrock, Ingrid: Nach PISA-Studie. DGB fordert Bildung mit Kopf, Herz und Hand. 2002. S. 2
2 Vgl. PISA (2000): Die Studie im Überblick. S. 8-9
3 Vgl. PISA (2003): Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Zusammenfassung. S.30
4 Die Gründe für die Wahl dieses Betriebes lege ich ausführlich im Rahmen der Planungsentscheidungen dar.
5 Nach H. Meyer wird unterschiedlich akzentuiert synonym verwendet: Lerngang, Exkursion, Be- triebserkundung, Klassenfahrt, Studienfahrt und Wandertag. Ich grenze dies gegeneinander ab.
6 http://www.hnf.de/museum/index.html
7 Prof. Dr. Tinnefeld, Theres: Datenschutz - eine Herausforderung für die Kultur in Europa. In: DuD 29. 2005. S. 6.
8 Vgl. Gierth, Ulrich: Datenschutz. Arbeits- und Quellenbuch. 2. erweiterte Aufl.. Bonn1991. S. 14
9 Vgl. Gierth, Ulrich: Datenschutz. Arbeits- und Quellenbuch. S. 16 ff
10 Vgl. Begleitheft der Präsentationsfolien «Datenschutz und Datensicherheit» der BfA.
11 Personenbezogene Daten sind wiederum Daten, die auf eine natürliche bestimmbare Person zurückgeführt werden können, zu der sie gehören, z.B. durch Verknüpfung einer Kennung mit dem Namen der betroffenen Person.
12 Vgl. Gierth, Ulrich: Datenschutz. Arbeits- und Quellenbuch. S. 27
13 Modrow, Eckart: Pragmatischer Konstruktivismus und fundamentale Ideen als Leitlinien der Curriculumentwicklung am Beispiel der theoretischen und technischen Informatik. 2002. S. 4
14 [Name der Schule] Fachbrief Nr. 1. Nov. 2004. S. 3
15 Vgl. Veröffentlichungen der KMK. Bildungsstandards der KMK. 2004. S. 9
16 Vgl. Witten, Helmut: Allgemeinbildender Informatikunterricht? Ein neuer Blick auf H. W. Heymanns Aufgaben allgemeinbildender Schulen. In: INFOS 2003. S. 69
17 Witten, Helmut: Allgemeinbildender Informatikunterricht? S. 59
18 Vgl. Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden. I: Theorieband. 10. Aufl.. Berlin 2003. S. 34
19 Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden. II: Praxisband. 10. Auflage. Berlin 2003. S. 328
20 Vgl. Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden. II: Praxisband. S. 327
21 Vgl. Ott, Hanns/Peter Köck: Wörterbuch für Erziehung und Unterricht. 2002. S 183
22 Vgl. Peterßen, Wilhelm H.: Kleines Methoden-Lexikon. 2. Aufl.. München 2001. S. 72
23 „Sie sahen, dass in allem was ihre Kinder vom Morgen bis an den Abend taten, ihr Kopf, ihr Herz und ihre Hand, folglich die drei Grundkräfte, von denen alles Denken, Fühlen und Handeln der Menschen ausgeht, gemeinsam und in Übereinstimmung mit sich selbst angesprochen, belebt, beschäftigt und bestärkt werden.“ Pestalozzi: Sämtliche Werke. Hrsg. Buchenau/Spranger/Stettbacher. Bd. 6. Zürich 1960. S. 64/65
24 Vgl. Peterßen, Wilhelm H.: Kleines Methoden-Lexikon. S. 73
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