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Magisterarbeit, 2008
112 Seiten, Note: gut
1 Einleitung
1.1 Anlaß
1.2 Methodik
1.3 Eingrenzung des Themas
2 Die antiken Literaturbestände bis ca. 400 n.Chr
2.1 Der Bildungshunger des antiken Bürgers
2.2 Die Privatbibliotheken. Tradition und Bedeutung
2.3 Die staatlichen Bibliotheksbestände bis ca. 400 n.Chr
2.3.1 Die Bibliotheken in Alexandria
2.3.2 Die Bibliotheken in Rom
2.4 Zusammenfassung: Die Schätze der Vergangenheit werden gepflegt
3 Die Literaturkrise ab dem 5. Jahrhundert
3.1 Zahlen und Daten. Ein Überblick
3.2 Die Literaturkrise am Beispiel der Bibliotheken
3.2.1 Der Untergang der staatlichen Bibliotheken
3.2.1.1 Die Bibliotheken von Alexandria
3.2.1.2 Die Bibliotheken in Rom
3.2.2 Die Auflösung der Privatbestände
3.3 Zusammenfassung: Das literarische "Trümmerfeld"
4 Ursachen. Der Literaturverfall im Urteil der Forschung
4.1 Vergreisung der Literatur? Die Dekadenztheorie
4.2 Der Barbarensturm
4.2.1 "Völkerwanderung". Die Fakten
4.2.2 Germanen als Kulturzerstörer? Theorie und Wirklichkeit. Eine Bewertung
4.3 Habent sua fata libelli. Die Selektions- oder Verrottungstheorie
4.4 Zusammenfassung und Ausschau nach anderen zerstörerischen Kräften
5 Die entscheidende Ursache. Voraussetzungen und treibende Kräfte
5.1 Voraussetzung: Die Toleranz schaufelt sich ihr eigenes Grab
5.2 Kaiser und Kirche
6 Bilanz: Der Untergang der freien Literatur
7 Reste und Fragmente. Warum dennoch antike Werke überliefert sind
7.1 Das Erbe der römischen Senatoren
7.2 Papyrusfunde
7.3 Palimpseste
7.4 Byzantinische und arabische Überlieferung
7.5 Christliche Überlieferungen
8 Epilog: Requiem für die antike Kultur
9 Abkürzungen
10 Bibliographie
10.1 Texteditionen und Übersetzungen
10.2 Monografien
10.3 Aufsätze
10.4 Kompendien
Die griechische und römische Literatur der Antike ist in Trümmern auf uns zugekommen. Im Vergleich mit dem ursprünglichen Bestand sind die uns überlieferten Werke nur als karge Reste vererbt worden, vergleichbar mit den Ruinen des heutigen Forum Romanum, die einst voll blühenden Lebens gewesen sind. Die Frage, was zu dieser Literatur-Ruine geführt hat, wird in der Forschungsliteratur kontrovers diskutiert. Eine Richtung vermutet eine über Jahrhunderte gehende Agonie der antiken Kultur, während eine andere Theorie das 5. Jahrhundert als eine Art "Meinungsscheide" glaubt identifizieren zu können; das Publikum habe schlicht die Lust verloren, die antiken Autoren zu lesen. Daneben werden die Germanen, die Christen1 und die antiken Kopisten, die die Texte von Papyrusrollen auf Pergament-Codices umsetzen, haftbar gemacht, ohne daß sich das schemenhafte Bild aufklärt.
Der äußere Anlass für diese Studie ist ein formaler: Es gilt im Rahmen einer Magisterarbeit nachweisen, "daß [der Kandidat] ... innerhalb einer vorgesehenen Frist über ein Problem ... ein wissenschaftlich begründetes Urteil bilden, dieses klar entwickeln und in angemessener Form darstellen kann"2. "Wissenschaftlich begründet" habe ich als logisch stringent und durch antike Quellen oder Gelehrtenmeinung belegbar interpretiert. Eine "angemessene Form" bedeutet nach meiner Meinung eine klare Gliederung und einen angenehm lesbaren Stil.
Neben dem äußeren Anlaß gibt es aber auch eine innere Beziehung des Autors zu dem gewählten Thema. Angestoßen durch die lebhafte Diskussion um die religiöse Disposition Kaiser Constantins widme ich mich seit Jahren der Frage nach der Zuverlässigkeit der antiken Textquellen und dem aus diesen Texten abgeleiteten Bild der Spätantike. Es geht um nicht weniger als um den begründeten Verdacht, daß die schriftliche Hinterlassenschaft der Spätantike das historische Geschehen des 4. und 5. Jahrhunderts unzuverlässiger als bisher angenommen illustriert, weil ein Gebirge von parteiischer christlich-kirchlicher Literatur den Blick auf die Fakten verstellt. Diese Arbeit ist also in einem gewissen Umfang auch eine grundlegende Untersuchung zur vermuteten Unzuverlässigkeit der spätantiken Text-Hauptquellen.
Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Thema in mehreren Schritten:
A. Daten und Fakten:
1. Darstellung des antiken Bücherbestandes bis etwa 350 n.Chr.
2. Darstellung der Literaturkrise ab dem 5. Jahrhundert.
B. Analysen und Bewertungen:
3. Diskussion und Widerlegung von Forschungsmeinungen
4. Diskussion der treibenden Kräfte dieser Krise.
5. Bewertung des Literaturverfalls in einem größeren Gesamtzusammenhang.
6. Darstellung der Wege, die uns dennoch Restbestände sichern.
Die Daten und Fakten zu den ersten beiden Ordnungspunkten sind in der Forschung grundsätzlich unstrittig, jedoch ist mir keine Arbeit bekannt, die die Bestands- und Verfallsdaten systematisch zusammenführt, strukturiert und gegenüberstellt. Diese Kapitel glänzen weniger durch innovative Geistesblitze, sind aber als Grundlagenkapitel für das Verständnis des folgenden Analyseteiles unverzichtbar. Die Kapitel folgen Alexander Demandts Devise "Stoff beschaffen ist mühsam, Ideen hat man selber - besser ein voller Keller als ein gesprächiger Wirt"3, jedenfalls dem ersten Teil seiner These.
Der zweite Teil "Analysen und Bewertungen" kann sich nicht mehr auf unstrittige Forschungsergebnisse abstützen. Vielmehr laufen die Meinungen und Hypothesen zur Ursachenforschung weit auseinander. Es kann daher nicht verwundern, daß dieser Teil der Arbeit umfangreicher ist als der "Datenteil". Meist wird dabei der Zusammenbruch der Literatur in einem größeren Zusammenhang, im Rahmen des umfassenden Themas "Der Untergang Roms" (Walter Rehm) und dann auch eher en passant, behandelt. Der Topos "Literaturkrise" geht dann in der Flut der Erklärungen zum "Ende der antiken Welt" (Santo Mazzarino) unter und vermag sich nicht neben den Reichuntergangs-Thesen Bodenerschöpfung, Menschenmangel, Dekadenz der spät- römischen Gesellschaft und dem alles vernichtenden "Sturm der Germanen" sichtbar zu positionieren. Dort, wo der Literaturverfall eingehender analysiert wird, wird er häufig nicht mit einer Theorie begründet, sondern mit einem Theorienbündel, ohne daß die Hauptbelastungsfaktoren analysiert und argumentativ gegeneinander aufgerechnet werden. So schreibt Alexander Demandt bei der Analyse des Untergangs Roms, die "Summe der belastenden Faktoren habe die Grenze der Tragfähigkeit [des imperium Romanum] überschritten", folglich habe das Reich unter dem Druck der Germanen versagen müssen. Die Schuld am Zusammenbruch könne nicht einem einzelnen Übel angelastet werden4. Diese Aussage ist ebenso richtig wie der Hinweis auf die "Komplexität" der Dinge beliebt, letztlich aber wenig zielführend. Wenn alle "religiösen, sozialökonomischen, naturbedingten und innenpolitischen Wandlungen" (S. 584) ohne nachhaltige Prüfung ihrer individuellen Wertigkeit in Bezug auf das Gesamtgeschehen in einen Argumentationstopf geworfen werden, dann verkümmert der Einzelaspekt zur Unerheblichkeit und selbst absurde Theorien wie "Rassenentartung" drohen ein vages und damit mehr oder weniger großes Gewicht zu bekommen. Dann brauchen wir uns im Falle der Literaturkrise nicht der Mühe zu unterziehen, um zu prüfen, ob ein allgemeiner Kulturverfall oder die Umschreibung auf Pergament-Codices oder der "Germanensturm" oder das Aufwachsen des anti-paganen Christentums ur- und hauptsächlich für der Verfall der Literatur im 5. und 6. Jahrhundert gewesen ist. Die vorliegende Arbeit versucht daher der Versuchung zu widerstehen, die Analyse komplexer Sachverhalte in einem schlichten Bekenntnis zur unauflösbaren Polykausalität auslaufen zu lassen und bemüht sich stattdessen, trotz "Komplexität", Hauptursachen zu definieren. Wir werden sehen, ob dies gelingt und ob das Ergebnis überzeugt.
Für den Erfolg dieser Studie ist ein integratives, interdisziplinäres Vorgehen auf der Grenze von alter und frühmittelalterlicher Geschichte und Literaturwissenschaft unverzichtbar. Gleichermaßen unerläßlich ist angesichts der religiös aufgeladenen Spätantike, des "Identitätsdiskurses"5 in dieser Epoche und der im 4. und 5. Jahrhundert dominierenden "Kirchengeschichten" die Einbindung der christlichen Kirchengeschichte6. Als Folge dieses umfassenden, grenzüberschreitenden Vorgehens ist ein Berg von Quellen und Literatur aus allen Fakultäten abzuarbeiten, was wiederum zu einer aufgeblähten Bibliographie und zu einem Fußnotengebirge führt. Dafür bitte ich um Nachsicht. Trotz allem habe ich mich um einen lesbaren, nicht allzu trockenen Stil und um eine Begrenzung auf etwa 100 Seiten Text bemüht.
Dies ist keine Arbeit über den Verfall des imperium Romanum. Darüber gibt es Literatur in Hülle und Fülle7. Wenn wir über "Dekadenz" oder "Germanenstürme" sprechen, dann nur im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Literatur im 4. und 5. Jahrhundert. Dies ist auch keine Studie über einzelne bibliographische Werke aus dem griechisch-römischen Umfeld. Den hierzu editierten Bücherwerken und Handbüchern kann ich nicht im entferntesten das Wasser reichen. Ebenso wenig befaßt sich diese Arbeit mit der besonderen Literaturgattung "Kirchengeschichte". Diese spätantiken Kirchengeschichten sind eine große Versuchung und eine Last zugleich, da sich der Historiker ihnen nicht wirklich entziehen kann8, obwohl er um ihre Gefährlichkeit weiß. Sie liefern ihm viele Daten, die er an anderer Stelle nicht findet, er kann aber nie sicher sein, einer Fälschung, Schönschreiberei oder Manipulation durch Selektion aufzusitzen. Denn daß die diesen Texten zugrunde liegenden Historiae von den Autoren manipuliert worden sind, steht außer Frage und wird selbst von den antiken Autoren nicht bestritten. So schreibt Eusebius in seiner Vita Constantini ausdrücklich, er wolle "nur von dem reden und schreiben, was sich auf sein gottgefälliges Dasein bezieht" (VC 1,11). Ähnlich die Einführung zu seiner Kirchengeschichte: "...irgendwo aus der Vorzeit rufen sie wie von ferner Warte uns zu und geben uns Weisung, wie wir ... den Gang der Erzählung sicher und gefahrlos zu lenken haben"9. Und Laktanz bekräftigt den ideologischen Tenor in seiner Einführung zu De mortibus persecutorum: "... will ich nun Zeugnis ablegen, damit alle ... erfahren, auf welche Art der höchste Gott seine Macht und Majestät in der Ausrottung und Vernichtung der Feinde seines Namens gezeigt hat". Der hoch angesehene protestantische Theologe Adolf v. Harnack (1851- 1930) räumt daher ohne Zögern ein, daß nahezu die gesamte christliche Literatur ausgeräumt oder manipuliert worden sei, weil "sie den beiden Grundsätzen, welche die byzantinische Kirche ausgebildet hat, das Dogma von der ewigen Homousie des Sohnes Gottes mit Gott und das Dogma von der Homousie des Sohnes Gottes mit der menschlichen Natur [zwischen 325 und 451 dogmatisiert] nicht standhalten konnte Die vor-nicänische Literatur war somit in der byzantinischen Kirche dem Untergang geweiht ... Der Ausfall, der so entstand, mußte Anlaß zu Fälschungen geben, und solche Fälschungen sind seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrh. immer zahlreicher und gröber geworden"10. Literarische Rücksichten habe die Kirche nicht nehmen können, ohne ihre Position zu erschüttern11. Harnack fällt damit ein vernichtendes Urteil über die Traditionspflege der frühen christlichen Kirche und über die Leichtfertigkeit, mit der die christlichen Texte unter Mißachtung der "Continuität" (Harnack) auf das Ziel der neuen trinitarischen Glaubenslehre hin umgeschrieben worden sind.
Es wäre also ein lohnendes und - wie ich meine - für die spätantike Forschung unverzichtbares Unterfangen, die für den Historiker besonders bedeutsamen Kirchengeschichten des 4. und 5. Jahrhunderts einer über das bisherige Maß hinausgehenden gründlichen Quellenkritik zu unterziehen12. Ob am Ende dieses Prozesses Constantin noch christlich genannt und das 4. Jahrhundert sein Etikett als Wendemarke zu einer neuen "Kultur der Liebe" behalten würde, bliebe abzuwarten. Der vorgegebene und begrenzte Raum läßt es jedoch nicht zu, sich im Rahmen dieser Arbeit intensiv mit dieser Literaturgattung zu beschäftigen.
Diese Studie begrenzt sich daher auf das Werden und Vergehen der antiken Literatur an der Wende von der Antike zum frühen Mittelalter, ohne auf Gattungen und einzelne Werke näher einzugehen.
In einer Gesellschaft, in der die literarische Tätigkeit das Tor zum Eintritt in die gehobene Gesellschaft bildet, schreibt und liest beinahe ein jeder. Die zahllosen Gesetzestafeln, Erlasse, Weihe- und Grabinschriften, Soldatenbriefe sowie die Papyri- Funde mit allerlei wichtigen und nichtigen Verwaltungsakten der antiken Müllkippe der ägyptischen Stadt Oxyrhynchos lassen auf eine hohe Anzahl von römischen Bürgern schließen, die des Lesens und Schreibens mächtig sind13. Berühmte Rhetoren ziehen von Stadt zu Stadt, üben sich "im Stelzengang der Rhetorik"14, heben das römische Nationalgefühl und beflügeln das Wohlwollen der Herrscher mit ausgeklügelten Prunkreden. Reden im Stile des Miltiades vor der Schlacht bei Marathon15 und panegyrischen Reden auf den Herrscher prägen die öffentliche Kultur des 4. Jahrhunderts und wir finden ihre Spuren selbst in den christlichen Märtyrerakten und in den Kirchengeschichten des 4. und 5. Jahrhunderts. Dies ist - in grober Zeichnung - die literarisch anspruchsvolle Welt der Spätantike.
Überraschend ist, daß Bildung in der Antike nicht nur ein Privileg einer schmalen aristokratischen Schicht ist, sondern offensichtlich von einer relativ breiten Schicht des Bürgertums rund um Lehrer, Schriftsteller, Sekretäre, Bibliothekare, Vorleser, Stenographen, Korrektoren, Buchhändler und gebildete Sklaven getragen wird16. Bildung ist "in", die Kunst der Rhetorik vor Gericht und in der Öffentlichkeit ist hochgeachtet und niemand gelangt sine eloquentia zur Macht17. Man spricht zwei Sprachen und wer etwas auf sich hält, läßt seine Kinder zumindest die ersten beiden Stufen des dreigliedrigen Schulsystems, die Elementarausbildung in Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Grammatik, studieren. Zu diesem gebildeten Publikum zählen in der Antike offenbar auch weniger begüterte Klassen. Plinius spricht in diesem Zusammenhang von den sordidos pullatosque, von einfachen Leuten in schmutziger Toga, die bei ihm während des Vortrages Befangenheit und Respekt erzeugen18.
Als Folge dieses Bildungshungers ist der antike Bürger aus mittleren und gehobenen Ständen an allen denkbaren Themen von der Rhetorik über die Medizin bis zu philosophischen Diskursen interessiert. Die beeindruckende Themenbreite führt uns der damals bewunderte Polyhistoriker Marcus Terentius Varro (116-27) vor19, der im Jahre 47/46 v.Chr. von Caesar beauftragt wird, eine Sammlung der römisch- griechischen Literatur anzulegen20. Die umfangreichen und alle Themen der damaligen Zeit abdeckenden Werke Varros sind zwar nur noch fragmentarisch oder durch Zitation in anderen Werken überliefert, aber dennoch können wir uns aus den Resten einen Überblick verschaffen, welche Themen in der damaligen Zeit en vogue gewesen sind und das ist beindruckend genug: Abgesehen von einer religionsgeschichtlichen Begründung des römischen Staatskultes werden alle damals bekannten weltlichen und wissenschaftliche Themen behandelt21. Es verwundert daher nicht, wenn Juvenal (ca. 60-130) die antike Bildung preist: Jetzt besitze der ganze Erdkreis griechische und römische Bildung, Gallien habe Rechtsanwälte ausgebildet und schon spreche man in Thule davon, einen Professor für Rhetorik anzustellen22.
In einer solchen bildungshungrigen Gesellschaft sind Bücher, öffentliche Bibliotheken und private Hausbibliotheken23 ein Statussymbol. Der in Ungnade gefallene römische Dichter Ovid (43 v.Chr. - ca. 17 n.Chr.) beklagt in der Verbannung, daß seine Schriften vom barschen Oberaufseher der Palatina-Bibliothek in Rom abgewiesen worden seien24, was einer Demütigung gleichkommt. Jede Stadt und vermutlich jedes wohlhabende Haus dürfte eine oder mehrere Bibliotheken gehabt haben, die von allen Bildungssuchenden genutzt werden. Bibliotheken, die auf Feldzügen und in Kriegen in die eigenen Hände fallen, sind begehrte Kriegsbeuten und dienen der Aufrüstung der eigenen Bibliothek oder als Gastgeschenke: Aemilius Paullus, der Sieger von Pydna, schenkt 167 v.Chr. seinen Söhnen Q. Fabius Maximus Aemilianus und P. Cornelius Scipio Africanus die königliche Bibliothek des Perseus25 und als Rom im Jahre 148 v.Chr. Karthago erobert, wird ein Teil der öffentlichen Bibliothek der punischen Hauptstadt nach Rom verschifft und der als weniger wertvoll betrachtete Anteil an afrikanische Kleinkönige verschenkt, da die meisten Römer die punische Sprache nicht beherrschen26. Eine andere literarische Kriegsbeute macht der Diktator Sulla im Jahre 86 v.Chr., der in Athen in den Besitz der Bibliothek des Apellikon von Teos gelangt27, die er in die Villa seines Sohnes Faustus in Cumae überführen läßt28. Und Lukullus beschlagnahmt im Jahre 70 v.Chr. die bei der Schlacht gegen Mithridates eroberten Bücher29 für sein Landhaus in den Albaner Bergen.
Der Bestand an Titeln und Büchern muß zwischen 200 v.Chr. und 400 n.Chr. gewaltig gewesen ist. Cicero schreibt, er habe die Zeugenaussagen in dem Prozeß des Catilina abschreiben, in ganz Italien verteilen und in alle Provinzen senden lassen, "so daß es keinen Ort im römischen Reich gab, wohin sie nicht gelangt" seien30. Horaz behauptet, daß Kopien seiner Werke bis an die Reichgrenzen verbreitet worden seien31, und Ovid und Sextus Propertius glauben, daß sie in der ganzen Welt gelesen werden32. Plinius berichtet, Varro habe die Porträts von 700 Personen in omnes terras gesandt und wundert sich, daß es in Lugdunum (Lyon) Buchhändler gibt, die seine Schriften an diesem abgelegenen Ort verkaufen33.
Kein Zweifel: Es gibt ein breit gestreutes, neugieriges Lesepublikum und einen immensen Bestand an Büchern in allen Winkeln des Reiches. Edward Parsons schätzt daher den Bestand an griechisch-sprachigen Büchern für das Jahr 350 n.Chr. auf eine Million Titel34. Hinzu kommt der latein-sprachige Bestand, so daß wir von mehreren Millionen Büchern ausgehen können, die innerhalb des imperium Romanum im Bestand oder im Umlauf sind.
Dieser einzigartige wissenschaftliche und poetische Literatur-Hochsommer wäre ohne öffentlich zugängige Bibliotheken nicht denkbar gewesen. Erst sie ermöglichen, geistes- und naturwissenschaftliche, aber auch praktisch nutzbare Bildung zu erwerben und zu vermitteln. Wären die Bibliotheken aufgelöst worden, hätte die Philosophie den Resonanzboden, die Architektur die Lehrbücher und die Mathematik ihre Formeln verloren. Ohne Bibliotheken hätte jede Forschung erneut bei Null beginnen müssen, wäre das kulturelle und zivilisatorische Niveau der folgenden Generation ins Bodenlose gesunken. Die Antike weiß dies und bemüht sich, die Bibliotheken zu mehren und Ausfälle auszugleichen.
Folglich gehört es zum guten Ton eines römischen Landedelmannes, seine Landhäuser mehr oder weniger reichlich mit Bibliotheken auszustatten, die von servi litterati betreut werden35. Reiche Römer kaufen tot milia librorum, auch wenn sie sie nicht lesen können, sondern nur ihre Bildungsbeflissenheit demonstrieren wollen36. Private Bibliotheken sind als Statussymbol so verbreitet, daß sich Seneca und Petronius (dieser in auf sich selbst zielender Ironie) über die Besitzer lustig machen, die die Bücher lediglich zur Dekoration nutzen37. In einer Bemerkung über ungebildete Büchersammler amüsiert sich Seneca, daß diese in ihrem ganzen Leben noch nicht einmal die Verzeichnisse ihrer Bibliothek (indices) durchgelesen hätten38.
Es gibt also sowohl in der Stadt wie auch auf dem Lande39 zahlreiche private Bibliotheken, die mehr als 50.000 Schriftrollen umfassen können40. Berühmte Besitzer von Privatbibliotheken sind Lucullus, Cato, Atticus, Varro und natürlich Cicero, der in seinen sieben Landhäusern in Tusculanum, Arpinas, Antium, Cumanum, Formianum, Pompeianum, Puteolanum über mehrere Bibliotheken verfügt 41.
Das Bedürfnis, Privatbibliotheken zur literarischer Selbstinszenierung (Lesungen) aufzubauen, wächst im Laufe des 3. Jahrhunderts, da die Senatoren nach dem weitgehenden Verlust der politischen Verantwortung seit der frühen Kaiserzeit in zunehmendem Maße auch von den lange ausgeübten militärischen Befugnissen ausgeschlossen werden. Von der kaiserlichen Administration in die politische Bedeutungslosigkeit und Langeweile getrieben, trifft man sich vermehrt in literarischen Kränzchen, liest, dichtet, dilettiert, schriftstellert, führt mit den Gästen angeregte Unterhaltung und demonstriert vornehme Lebensführung, von Ammianus Marcellinus "Spielereien einer langweiligen Untätigkeit" und von Ernst Howald „progressive Verblödung“ genannt42. Der cursus honorum, mit dem bisher das Engagement für die res publica öffentlich dargestellt wird, tritt damit zurück. Wo früher das politische Gespräch dominiert, werden nunmehr Tänze eitler Rhetorik aufgeführt und Vorlesungen zelebriert, die durchaus auch Tage dauern können, wie uns Plinius d. J. überliefert43 und nach Meinung des römischen Satirendichters Juvenal neben den unaufhörlichen Einstürzen der Häuser und den Bränden zu den schlimmsten Übeln Roms gehören44.
Die Privatbibliotheken wachsen also etwa ab dem 2. Jahrhundert wie die Pilze aus dem Boden und im Gleichschritt gedeiht der kommerzielle Buchvertrieb. Denn für eine derart umfassende und breite Verteilung der Bücher quer durch die Land- und Stadthäuser ist ein funktionierender, professionell aufgezogener Buchhandel mit Verlegern erforderlich, die die Vervielfältigung und den Verkauf der Bücher übernehmen45. Auch in dieser Beziehung ist die Antike, wie bereits bei der Archivierung der Bibliotheksbestände, Vorbild für den modernen Büchervertrieb.
Natürlich errichten und pflegen auch die römischen Kaiser prestigeträchtige Bibliotheken. Gründungen sind bis in die Zeit Julians (reg. 361-363) überliefert, u.a. von Augustus46, Tiberius47, Trajan48 und Hadrian49. Insbesondere die von Hadrian um 131/132 n.Chr. gestiftete Akademie von Athen mit angeschlossener Bibliothek fällt durch Größe und Pracht aus dem Rahmen.
Neben den großen Bibliotheken in Rom, Alexandria, Ephesus und Antiochia gibt es vor allem im Osten des imperium Romanum eine Fülle kleinerer Zentren der Überlieferung griechischer Werke: Pella, Pergamon, Herkleia, Pontica, Salamis, Sinope, Kos, Rhodos und weitere uns nicht überlieferte Bibliotheken der Gymnasien und Philosophenschulen, die das griechische Kulturerbe überliefern und verbreiten wollen. Hellas ist stolz auf seine Kultur und Perikles, Archon Athens, verkündet bereits im 5. vorchristlichen Jahrhundert den griechischen Anspruch, die Leitkultur der damaligen Welt zu besitzen: "Die Verfassung, nach der wir leben, vergleicht sich mit keiner fremden; viel eher sind wir ... ein Vorbild als Nachahmer anderer"50.
Mit der Eroberung des östlichen Mittelmerraumes tritt Rom in die Fußstapfen der Griechen. Während im griechischen Osten des Reiches die öffentliche Bibliothek als Forschungseinrichtung vorherrscht, die dem Herrscher und dem Land internationales Ansehen verleihen soll, sind die Gründungsbibliotheken des lateinischen Westens als Folge des römischen Kriegsbeutegedankens Privatbibliotheken, denen die öffentlichen folgen werden. Jedenfalls folgt Rom dem griechischen Vorbild und es wird etwa ab Caesar Sitte, auch die westlichen Städte mit einer oder mehreren repräsentativen staatlichen Bibliotheken, meist getrennt in eine lateinische und griechische Abteilung, auszustatten51. Reichsweit gilt nun: Jeder Herrscher, jede Stadt, die auf sich hält, verfügt über eine oder mehrere Bibliotheken. Nicht selten stehen sie hinsichtlich der Qualität, Originalität und Anzahl der Bücher im Wettstreit miteinander und versuchen, mit allen Mitteln ihre Bestände zu erweitern. Das Ansehen der Bibliotheken korrespondiert mit den Forderungen an die Biblotheksleitung: Aus Dokumenten und Grabinschriften wissen wir, daß die Leitung meist bedeutenden Gelehrten und Literaten anvertraut ist und die Verantwortung für eine Bibliothek als ein wichtiges und ehrenvolles Amt betrachtet wird.
Damit schließt sich der Kreis: Von der Grundschule über die Grammatik- und Rhetorikschule bis zum höchst ehrenvollen Amt des Bibliothekars, von der öffentlichen Lesung bis zum Verlagswesen ist die Antike ein glanzvolles Vorbild an breit angelegter, farbiger und tiefgreifender Bildung, gekrönt von einer Literatur, die "frei, vielfältig, geschult und doch nicht gepreßt, von der Sprache mühelos getragen Gedanken fügt, mit unablässig wechselnden und ungehindert fließenden Empfindungen"52.
Die Bibliothek in Alexandria53 ist das weithin leuchtende Vorbild antiker Bildungsmacht. Sie genießt schon in der Antike als die Königin der Bibliotheken "Weltruhm". Zahlreiche antike Autoren haben sich mit ihrem Werden und ihrem umstrittenen, tragischen Untergang beschäftigt, u.a. Ammianus Marcellinus, Cassius Dio, Aulus Gellius, Lucanus, Paulus Orosius, Plutarch, Seneca, Strabo, Sueton und später auch Tzetzes. Wir werden ihnen immer wieder begegnen. Das Museion, so der Name der Mischung aus Musentempel und Bibliothek, ist Forschungs- und Kultstätte zugleich, in dem die gesamten damaligen Wissenschaften und literarischen Disziplinen gepflegt werden. Man darf die Gründung der alexandrinischen Bibliothek als Ausdruck des Strebens verstehen, der ptolemäischen Herrschaft auch auf kulturellwissenschaftlichem Gebiet Gewicht zu verleihen.
Die Mitglieder des Museions werden vom König ernannt und mit großzügigen Privilegien ausgestattet. Unter königlicher Obhut sollen sie philosophieren, forschen und dichten und dadurch dem Ptolemäerreich weltweiten Ruhm bringen54. Um dafür optimale Bedingungen zu schaffen, erhält der Musentempel - vermutlich um 295 v.Chr.
- eine Bibliothek angegliedert55, die ihre Blütezeit ab Ptolemaios II. Philadelphos (Mitregent ab 285, Alleinregent 283-246 v. Chr.) erreicht56. Baulich bildet die Bibliothek also einen Teil des Museions, das wiederum im Brucheion, dem Palastbezirk von Alexandria, gelegen ist. Daher ist die Vermutung gerechtfertigt, daß dieser Bibliothekstrakt nicht ohne weiteres als öffentlich bezeichnet werden kann57.
Den hohen Ansprüchen entsprechend, mit denen die Ptolemäer das griechisch- hellenistische Kulturgut fördern, ist auch das Ziel für die Bibliothek ausserordentlich: Es soll das gesamte damalige griechische Schriftum gesammelt werden. Zusätzlich werden von wichtigen fremdsprachigen Werken Übersetzungen ins Griechische angefertigt, so entsteht vermutlich auch die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testamentes58.
Die Zahlen zum Umfang des Museion-Bücherbestandes schwanken und steigen in der Berichterstattung bis auf 700.000 Buchrollen. Diesen Zahlen kann man allerdings ebenso wenig vertrauen wie den übrigen Angaben über die Bibliotheken in Alexandria. Denn die Anzahl der Bibliotheken, der tatsächliche Bestand an Titeln und Büchern, die Verteilung der Schriftrollen über die Stadt und die Vernichtung der Bibliotheken über die Jahrhunderte hinweg werden nicht zweifelsfrei überliefert. Nach Flavius Josephus sollen durch die Reisen des ersten Buchbeschaffers, Demetrios von Phaleron, bis ca. 280 v. Chr. 200.000 Rollen zusammengetragen und als Ziel 500.000 angestrebt worden sein59. Der römische Autor Aulus Gellius beziffert den Buchbestand der alexandrinischen Bibliothek im ersten vorchristlichen Jahrhundert bereits auf 700.000 Rollen60. Der christliche Historiker Orosius (ca. 385-420) spricht in seiner Historiarum adversus paganos von 400.000 Schriften, in anderen Manuskripten ist dagegen nur von 40.000 Rollen die Rede61. Und Tzetzes (ca. 1110-1180) überliefert für die Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts auf der Grundlage älterer Quellen einen Buchbestand von 490.000 Rollen62.
Die Museion-Bibliothek gewinnt aber auch als Hort der systematischen Katalogisierung63 und der Literaturkritik an Ansehen und Bedeutung. So ist es das Ziel der Bibliothek, nicht nur die griechisch-hellenistische Literatur und die wichtigsten fremdsprachigen Werke möglichst vollständig zu besitzen, sondern gleichzeitig auch für authentische Ausgaben zu sorgen. Die gesammelten Texte der griechischen Klassiker sollen wieder in die ursprüngliche Fassung gebracht und von Fehlern befreit werden, die in den vorangegangenen Zeiten durch nachlässiges Abschreiben und Tradieren der Texte entstanden sind. Die damals gefundenen Verfahren der Quellen- und Textkritik mit dem Ziel, Text-Korrumpierungen auszuschalten und die ungeheure Anzahl von Werken mit Hilfe eines Ordnungssystems zu katalogisieren, sind heute noch grundlegende Prinzipien der Philologie64.
Neben der Palast-Bibliothek gibt es in Alexandria außerhalb der Residenz weitere Bibliotheken und Lagerhäuser für ausgelagerte Werke. Eine Bibliothek befindet sich im Tempel des Serapis, Serapeion, die von Ptolemaios III. Euergetes gegründet wird und in einem anderen Stadtteil liegt65. Sie besitzt, folgt man dem byzantinischen Gelehrten Johannes Tzetzes, Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts 42.800 Buchrollen, ist also deutlich kleiner als die Palastbibliothek66.
Zu einer ersten grundlegenden Veränderung im römischen Bibliothekssystem kommt es durch Caesar.Vermutlich ist er während seines Ägypten-Aufenthaltes von der großen Bibliothek fasziniert und erkennt, dass Rom auf dem Weg zur Weltstadt ebenfalls eine grosse öffentlich zugängliche Bibliothek benötigt. Die Ermordung des Diktators macht zunächst diese Pläne hinfällig. Ein Anhänger Caesars, Asinius Pollio (76 v.Chr. - 5 n.Chr.), ein angesehener Autor und Freund der bedeutendsten Dichter Roms, setzt die Idee Caesars in die Tat um und finanziert die erste öffentliche Bibliothek im Atrium der Libertas nördlich des Forum Romanum67 68. Die Bibliothek hat, vermutlich einer Idee Caesars folgend, eine griechische und eine lateinische Abteilung. Die Schriftrollen werden in Schränken an den Wänden gelagert, so daß man in der Mitte Platz für Tische und Stühle hat.
Nachdem Octavian den Bürgerkrieg für sich entschieden hat, beginnt er sich im Rahmen seines monumentalen Rom-Bauprogrammes "Marmor statt Ziegel"69 auch um das Bibliothekswesen zu kümmern. Nicht weit von seinem Haus am Palatin entfernt läßt er neben dem 28 v.Chr. vollendeten Apollotempel eine Bibliothek errichten, die bibliotheca (templi) Apollinis bzw. bibliotheca Palatina70 genannt wird und auch dem Senat als Tagungsraum dient71. Einige Jahre nach der Tempeleinweihung beauftragte Augustus die Errichtung einer imposanten Säulenhalle zu Ehren seiner Gattin Livia und seiner Schwester Octavia72. An diesen Porticus Octaviae auf dem Marsfeld mit einem Juno- und Jupiter-Tempel gliedert er eine weitere Bibliothek an, die zum Teil aus den Beute-Erlösen des dalmatischen Feldzuges finanziert wird73.
Auch die folgenden Kaiser geizen nicht mit Bibliotheks-Neubauten. Tiberius ergänzt die Palatinsche Bibliothek durch eine, möglicherweise auch zwei derartige Stätten74. Von der Bibliothek des Tiberius ist bekannt, dass sie damals die größte in Rom gewesen ist, da sich in ihr eine fast 50 Fuss (gut 14,5 m) hohe Apollostatue befunden hat. Erstmals dürfte es sich um ein zweigeschossiges Gebäude gehandelt haben, ein Konzept, das von späteren Neubauten übernommen wird. Vespasian stiftet im Jahre 75 n.Chr. eine dem Templum Pacis angeschlossene Bibliothek in der Nähe des Forums75. Die Bibliothek wird zwar von einer Feuerbrunst im Jahre 191 n.Chr. heimgesucht, nimmt aber offensichtlich keinen endgültigen Schaden, denn der Historiker Ammianus Marcellinus rühmt noch im 4. Jahrhundert („Einzug des Constantius in Rom“) den Templum Pacis als ein Prunkstück der Stadt76.
Den bedeutendsten Bibliotheksbau in Rom läßt Kaiser Trajan 112/113 errichten. Die bibliothecae divi Traiani77 umfasst - wie mittlerweile üblich - eine griechische und eine lateinische Abteilung. Die Säle sind durch einen 40 m langen quadratischen Portikus getrennt, in dessen Mitte die bekannte Trajanssäule steht. Jeder Saal ist 20,1 m lang, 10 m breit und 27 m hoch78. Das geräumige Bauwerk umfasst zwei Stockwerke samt Galerie unter einer Kassettendecke. Die Nischen für die Bücherschränke (armaria) messen bei den Seitenwänden 1,61 mal 0,625 m. Ihre Höhe wird mit 3,22 m geschätzt79. Die Bücherschränke selbst sind etwas kleiner gebaut, damit sie nicht das Mauerwerk berühren (Feuchtigkeit) und für Schriftrollen von max. 40 cm Tiefe konstruiert. Insgesamt gibt es in den zwei Sälen 72 Schränke, die nur deutlich weniger als 100.000 Schriftrollen fassen können. Diese Zahl erscheint im Vergleich zu den überlieferten Zahlen anderer Bibliotheken klein, was Anlaß gibt, im weiteren Verlauf die organisatorischen und logistischen Probleme bei der Führung einer antiken Bibliothek zu behandeln.
Die Trajansbibliothek wird die letzte grosse Neuschöpfung in Rom bleiben. In weiterer Folge gliedert man derartige Einrichtungen in die Thermenanlagen ein80, wo sie Teil des geistig-sportlichen Freizeitprogrammes werden. Die im Jahre 109 n.Chr. vollendete Trajansthermen enthält eine solche Bibliothek, ebenfalls in zwei Abteilungen getrennt. Da diese an den entgegengesetzten Aussenmauern angebracht sind, muss man zwischen dem lateinischen und dem griechischen Bestand gut 300 m zurücklegen. Auch die 212 n.Chr. begonnenen Caracallathermen enthalten eine gleichartige Einrichtung mit etwa 260 m Distanz. Über die Art der Bestände der Thermenbibliotheken kann man nur Mutmassungen anstellen. Es ist wohl anzunehmen, dass sich darin, schon aus Repräsentationsgründen, die bekannten Klassiker befunden haben und vielleicht einige philosophische Werke. Grundsätzlich muss man aber die Bibliotheks-Inhalte eher im Lichte der vergnüglichen Freizeitbeschäftigung sehen.
Die Kaiserzeit ist die Zeit der geistigen Besinnung und der kulturellen Reifung. Die hellenistischen Werke liegen vor, zu vielen Texten namhafter Autoren gibt es Kommentare, die Philiosophie hat die Grundfragen des Lebens aufgeworfen und unterschiedliche Lösungen erörtert, das Leben zu meistern. Ein ungeheures Erbe wartete darauf, übernommen und erweitert zu werden.
Ausgehend von den Bestandszahlen, den Titeln und der Anzahl der öffentlichen Bibliotheken und unter Berücksichtigung der zahlreichen gut bestückten Privatbibliotheken zwischen Atlantik und Euphrat dürfte um 350 n.Chr. der Gesamtbestand antiker Titel in den Bibliotheken die Millionengrenze deutlich überschritten haben81. Nimmt man an, daß jedes Werk durchschnittlich zehnmal kopiert worden ist - um 100 n. Chr. ist in Rom die Startauflage für eine private Gedenkschrift von 1.000 Exemplaren belegt82 - dann dürfte die Gesamtzahl der antiken Schriftrollen eher im zweistelligen Millionenbereich gelegen haben, die im ganzen Reich verteilt gewesen sind83. Diese Hochrechnung wird durch eine Untersuchuung von Naphtali Lewis über das Ausmass der Papyrusproduktion im Ägypten der frühen Kaiserzeit gestützt, der zu dem Ergebnis kommt, daß die Produktion "ohne Zweifel in die Millionen von Rollen pro Jahr" gegangen ist84.
Allerdings muß man sich allzu großen Zahlen mit Vorsicht nähern. Die unterschiedlichen Überlieferungen, die Schwierigkeiten ihrer Interpretation und nicht zuletzt die Tatsache, dass vermutlich viele Werke in mehreren Kopien in derselben Bibliothek vorhanden gewesen sind, machen es unmöglich, klare Aussagen über die Zahl der im Umlauf befindlichen Titel zu machen. Generell scheinen die Angaben über mehrere Hundertausend Buchrollen pro Bibliothek aus verschiedenen Gründen wenig glaubwürdig zu sein. Zum einen, weil eine wirklichkeitsfremde Anzahl von Autoren erforderlich gewesen wäre, um dieses Büchergebirge zu erzeugen. Wenn jeder Autor im Durchschnitt 50 Buchrollen generiert85, dann müßten bei einem Bestand von 500.000 Buchrollen 10.000 Autoren die Städte bevölkert haben. Zum zweiten, weil eine halbe Million Buchrollen eine Archivleistung erfordert, die heute nur mit modernster Technik erbracht werden kann. Abgesehen davon werfen die horrenden Zahlen die Frage auf, ob ein derart großer Fundus überhaupt in einer Bibliothek gelagert werden kann, weil die Bibliotheken meist nur Teil eines Kult-Areals sind, somit nicht über ein eigenes Gebäude verfügen86, sie Einschränkungen hinsichtlich Lichteinfall, Lüftung und Regulierung der Feuchtigkeit unterliegen87, und die Infrastruktur daher, auch aus statischen Gründen, nach heutigen Verhältnissen eher als klein zu bezeichnen ist.
Der von Wolfram Hoepfner als "riesig" bezeichnete Bibliothekssaal der Hadrians-Bibliothek in Athen88 hat mit einer Breite von 20 m die Dimension eines besseren modernen Einfamilienhauses und ist lediglich an den drei Seiten auf mehreren Geschossen mit Büchernischen versehen. Die ungefähre Größe der Büchernischen kennen wir aus archäologischen Funden, u.a. von der Celsus-Bibliothek von Ephesos. Dort weisen die Büchernischen eine Höhe von 2,80 m und eine Breite von 1,00 m (zuzüglich der steinernen Seitenwände) auf89. Selbst wenn die Büchernischen mit den etwa durchschnittlich 5-10 Zentimeter dicken Bücherollen voll gestopft worden sind, so sind in der Hadrian-Bibliothek bei einer Frontlänge von 3 x 20 Metern und zweistöckiger Lagerung maximal sechzig Büchernischen dieser Größe planbar gewesen. Es können also, wohlwollend gerechnet, maximal etwa 150.000 Buchrollen dort gelagert worden sein90.
Dabei wäre noch zu bedenken, daß ein derart gewaltiger Buchvorrat im Bereich des Lesesaales gar nicht wünschenswert gewesen sein kann, da die Zugriffszeit auf ein bestimmtes Werk bei 150.000 Buchrollen endlos lang gewesen sein muß. Auch wenn die Bestände nach Sprachen und Sachgebieten getrennt gewesen sind, so müssen dennoch Tausende von Etiketten gelesen werden, um das gewünschte Werk zu finden. Die Präsenz-Bestände in den Lesesälen moderner Bibliotheken liegen deshalb trotz modernster Lager- und Zugriffstechnik weit unter 150.000 Büchern.
Damit wird deutlich, daß wir im Falle Alexandrias mit einem angeblichen Bücherbestand von rd. 500.000 Werken eher von Bibliotheken, vermutlich also von einer Zentralbibliothek und weiteren Bibliotheken und Lagerräumen, sprechen sollten, wenn wir den Zahlen überhaupt trauen wollen91. Wenn in der Notitia dignitatum berichtet wird, Rom habe im 4. Jahrhundert 28 öffentliche Bibliotheken gehabt92, dann ist das sicherlich so zu verstehen, daß sich um den Kern einer Zentralbibliothek weitere Randbibliotheken ansiedeln, die Fachliteratur oder wenig gelesene Literatur vorhalten. Diese Theorie von einer Haupt- und mehreren Fach- und Nebenbibliotheken könnte auch erklären, warum es bei den antiken Autoren so viele unterschiedliche Meinungen zum Zeitpunkt und Anlaß der Zerstörung der alexandrinischen Bibliothek sowie der Zahl der vernichteten Bücher gibt.
Dennoch, gleich ob die Bücherbestände im Bereich von einigen Hunderttausend oder mehreren Millionen anzusiedeln sind, die schiere Menge der Bücher und ihre breite Dislozierung sind ein Zeichen überquellender Kulturfreude. Die Schätze der Vergangenheit bestärken den antiken Menschen im Glauben an die Macht der Tradition und veranlassen die Gebildeten, sich mit den überkommenen Gedanken und Formen auseinanderzusetzen. Mit der Besinnung auf die stolze Tradition geht allerdings zunehmend das Gestelzte einher. Die Sprache wird verschlungener, gerne wird mit antiquierten, ur-römischen Worten geglänzt und mit der manierierten Überheblichkeit geht auch eine ins Absurde übersteigerte Lobhudelei der Herrscher einher. Aber das sind Stilfragen, die das hohe geistige Niveau des Bildungsbürgertums nicht wirklich in Frage stellen.
Dem Bild überquellender Kulturfreude wird gerne eine neue Literaturform des 3. Jahrhunderts entgegengestellt, die der Kompendien, die auf eine tiefere Durchdringung des Stoffes verzichten und sich mit der Abfassung inhaltlicher Darstellungen begnügen93. Dies mag man als eine Banalisierung der Literatur bezeichnen, aber wie anders sollte der ins Ungeheure angewachsene Wissenstoff noch vermittelt werden als durch Zusammenfassungen? Während Aristoteles noch das gesamte Wissen seiner Zeit erfassen konnte, so ist dies den Sterblichen der nachchristlichen Jahrhunderte nicht mehr möglich. Exzerpte und Kompendien sind also eher die intellektuelle Antwort auf die Herausforderung wachsenden Wissens, die nicht die klassischen Werke verdrängen, wie man gelegentlich lesen kann94, sondern die Bestände ergänzen. Denn wer sollte im 3. Jahrhundert Interesse gehabt haben, die Bibliotheken zu durchforsten, um das Erbe der Väter vorsätzlich zu dezimieren? So kann also davon ausgegangen werden, daß die Originalliteratur und die Kompendienwerke ab dem 3. Jahrhundert gemeinsam das 5. Jahrhundert erreichen, um dann ebenso gemeinsam im Büchersturm unterzugehen.
Und auch das 4. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der überlieferten Bildung auf hohem Niveau. Zwar wird unter Kaiser Diokletian die christliche Bibliothek in Caesarea gestürmt (303), aber ein solcher Büchersturm ist eher die Ausnahme und hat keine sichtbaren Auswirkung auf den Gesamtbestand der Literatur. Ansonsten ist das gesamte 4. Jahrhundert durch das Bemühen geprägt, in dem ungeheuren Datenbestand mit Hilfe von Chroniken, Historiae und knappen Zusammenfassungen (Epitome) die Übersicht zu behalten und die Bücherbestände, auch durch Umschreiben auf Pergament, zu sichern. Und wie schon bei den Kompendien wird die wachsende Anzahl verkürzender Chroniken und Epitome gelegentlich als Indiz für eine angebliche Oberflächlichkeit gewertet. Aber auch in diesem Fall kann man aus den Chroniken und Epitomen auf einen ungebrochenen Bildungshunger schließen, auf das Bemühen, sich des antiken Erbes anzunehmen95, wenngleich in überschaubarer Form. Wer wollte schon hingehen und Paulys Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft oder die gewaltigen Lexika des 20. Jahrhunderts als einen Verfall der Literatur bewerten, nur weil sie Vergangenes in Form von Epitomen übersichtlich zu erfassen suchen?
Es habe sie nie gegeben, die Literaturkrise, meint Ladislaus Buzas: Die Auffassung der Historiker, zwischen der Spätantike und dem Frühmittelalter habe ein geistiges Vakuum geherrscht, sei ein "fundamentaler Irrtum"96. Dieser Eindruck sei lediglich entstanden, weil man das zerstreute Quellenmaterial nicht beachtet habe. In Wirklichkeit läge kein Vakuum der Geschichte vor, sondern eines der Geschichtsschreibung. Lediglich die zweit- und drittklassige Literatur sei untergegangen, die Gebildeten dagegen, "die als Bischöfe in der kirchlichen Hierarchie eine ähnlich Stellung einnahmen wie ihre Vorfahren in der Verwaltung des Reiches", hätten das erstrangige Kulturgut getreulich verwahrt.
Die Hypothese ist nicht nur wegen des Eingeständnisses, daß das Quellenmaterial nur noch "zerstreut" vorkommt, angreifbar, sondern auch aus logischen Gründen: Wenn die zweit- und drittrangige Literatur nicht überliefert ist, woher weiß Buzas dann, daß die überlieferten Werke erstrangig sind? Im übrigen widerspricht der Grazer Altphilologe Hans Gerstinger der Auffassung, nur Erstrangiges sei überliefert worden. Unter der Überlieferung befände sich, so Gerstinger, "nicht wenig Zweit- und Drittrangiges, ja geradzu Minderwertiges, ... während vieles Große und Wertvolle untergegangen" sei. Bei der Überlieferung, so Gerstinger, wirkten noch andere Faktoren mit, die überhaupt nicht fragten, was wertvoll oder unnütz sei, sondern sich von anderen Prinzipien leiten ließen97. Damit spricht Hans Gerstinger einen Aspekt an, der uns im Zusammenhang mit der klösterlichen Überlieferung noch beschäftigen wird.
Die überwiegende Mehrheit der Literaturwissenschaftler, Altphilologen und Althistoriker erkennt dagegen einen weitgehenden Zusammenbruch des antiken Büchermarktes. Als ein "Trümmerfeld" liege das antike Schrifttum vor uns, meint G. Wissowa und der Erlanger Philologe Paul Klopsch98 spricht sogar vom "Ende der antiken Zivilisation", von einem "Wandel des geistigen Klimas" im 6. Jahrhundert und zeigt damit auf, worüber wir im folgenden zu sprechen haben werden: Von nicht weniger als dem Ende der antiken Kultur, das mit dem Untergang der Masse der antiken Literatur eingeläutet wird.
In welchem Umfang sich der Literaturbestand ab dem 5. Jahrhundert verändert, können wir an Hand eines Vergleiches des vorchristlichen Literaturbestandes mit der Literatur des 8. Jahrhunderts erkennen. Dazu greifen wir auf den Corpus der lateinischen Handschriften, die sich aus der Zeit vor dem 9. Jahrhundert erhalten haben, die Codices Latini antiquiores (CLA), zurück, die von Elias Lowe unter maßgeblicher Beteiligung von Bernhard Bischoff in 13 Bänden veröffentlicht und ausgewertet sind99:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Schaubild zeigt die Entwicklung der lateinischen Handschriftenproduktion im Zeitraum von 350 bis ca. 825 nach thematischer Verteilung. Rot = klassisch-heidnische Literatur. Blau = weltliche Literatur. Weiß bzw. dunkelgrau = Theologie. Hellgrau = Unbekannt. Die Säulen beziehen sich auf die Jahrhunderte, die Linien auf die Buchproduktion in 25-Jahres-Schritten. Danach sind uns aus der Mitte des 5. Jahrhunderts 31 und aus dem 8. Jahrhundert 9 lateinisch-klassisch-heidnische Werke, also in der Summe 40 lateinische Werke, überliefert. Hans Gerstinger vermittelt in seiner Untersuchung Bestand und Ueberlieferung der Literaturwerke des griechisch- römischen Altertums kein grundlegend anderes Bild. Er spricht in Bezug auf die überlieferte lateinische Literatur von 772 uns heute bekannten Autorennamen, von denen lediglich 144 Werke, davon 37 vollständig und der Rest fragmentarisch, auf uns gekommen seien100. Bedenkt man, daß es sicherlich weitaus mehr Autoren gegeben hat, als uns heute bekannt sind, dann erkennen wir, daß der Anteil vollständig überlieferter lateinisch-sprachiger Werke bestenfalls wenige Prozentpunkte beträgt.
Diese Tendenz wiederholt sich bei den griechischen Werken. Hans Gerstinger legt für das griechische Schrifttums folgende Zahlen (ohne Papyri) vor: Von rund 2.000 griechischen Schriftstellern, die uns dem Namen nach bekannt sind, lägen 253 Werke vor. Darunter seien nur 136 Werke, also ca. sechs Prozent, ganz erhalten, die übrigen seien lediglich in Fragmenten überliefert101.
Das Bild verdüstert sich weiter, wenn wir die überlieferten Werke nach Themen ordnen: Der Anteil nicht-christlicher klassischer Schriften in den Codices Latini antiquiores ist eher rudimentär und die unverfänglichen Themenbereiche aus Medizin, Agrarwirtschaft und Architektur haben am ehesten die später noch zu untersuchenden Selektionsmechanismen passiert. Wie sich die thematischen Gewichte verschoben haben, sehen wir im Vergleich: Die Enzyklopädie des römischen Polyhistorikers Varro (116 - 27 v.Chr.) enthält nur einen verschwindend geringen Prozentsatz religiöser Literatur102, während der Anteil christlicher Literatur gemäß CLA ab dem 7. Jahrhundert über 90 Prozent des Gesamtbestandes der produzierten Werke ausmacht.
Die in Oxyrhynchos gefundenen Buchrollen (aus dem 1. bis 7. Jahrhundert) bestätigen den fiebrigen Kurvenverlauf des Unterganges der griechisch-lateinischen Literatur: Bis zum 3. Jahrhundert erkennen wir eine rege Buchproduktion (1144 Stück des Gesamtbestandes) und im 4. und 5. Jahrhundert einen massiven Einbruch (211). Das 7. Jahrhundert ist nur noch mit 48 Werken vertreten, die vorwiegend biblische Ereignisse oder christliche Kanonsfragen behandeln und das erdrückende Übergewicht der christlich-kirchlichen Literatur von fast 90 Prozent bestätigen.
Hans Gerstinger faßt die Untersuchungsergebnisse wie folgt zusammen: Von rund 1.800 griechischen und 700 lateinischen uns heute bekannten Autoren sei keine einzige Zeile auf uns gelangt, "alles ist verloren, darunter Werke höchster literarischer, inhaltlicher und künstlerisch-ästhetischer Bedeutung"103. Christian Gastgeber gliedert in seiner Studie Die Überlieferung der griechischen Literatur im Mittelalter den überlieferten Restbestand in einer Tabelle nach Jahrhunderten auf104 und kommt zu keinen grundsätzlich anderen Ergebnissen, als wir sie bereits aus den CLA kennen. Danach entstammt die Masse der überlieferten Werke (durchschnittlich mehr als 90 Prozent) aus Quellen des 1. bis 4. Jahrhunderts. Ab dem 6. Jahrhundert liegen uns kaum noch Kopien antiker Autoren vor. Der Kopierdienst erlöscht also weitgehend im 6. Jahrhundert, jedenfalls soweit die klassisch-pagane Literatur betroffen ist105.
Am Ende haben Tausende antiker Autoren aus achthundert Jahren Literatur die meisten ihrer Hauptwerke auf dem Weg in die Moderne verloren: "Ennius, Cato, Varro, Sallust, Livius, Petronius, Sueton, Hadrian, und vielleicht Julius Caesar und der ältere Plinius, sind unter ihnen ", schreibt Andrew F. West106. Und Hans Gerstinger ergänzt: "Verloren ist z.B. der größte Teil des vorsokratischen philosophischen Schrifttums, fast die gesamte archaische Lyrik, .., von den rund 90 Dramen des Aischylos, den 123 des Sophokles und den 92 des Euripides haben nur ... 33 den Weg zu uns gefunden " Das Prosaschrifttum der hellenistischen Zeit sei fast zur Gänze verschwunden und aus der republikanischen Zeit fehle "ungeheuer vieles"107.
Es fehlt nicht nur „ungeheuer vieles“, sondern das Verhältnis der produzierten und überlieferten christlich-kirchlichen zur säkularen oder paganen Literatur verschiebt sich ab dem 5. Jahrhundert ins Groteske und regt erste Vermutungen über Ursachen an. Eines kann aber bereits vorab festgestellt werden: Alle Untersuchungen widerlegen die Annahme, der Zahn der Zeit habe an der antiken Literatur genagt und zum Verlust beigetragen. Da die kirchlich-theologische Literatur der Spätantike/des frühen Mittelalters in kaum mehr faßbaren Massen überliefert ist, ohne vom "Zahn der Zeit" berührt zu werden, müssen wohl andere Ursachen gesucht werden, um die Absturz der antiken Literatur zu erklären.
Über den Untergang der öffentlichen Bibliotheken beim Eintritt ins frühe Mittelalter wird in der Literatur nicht gestritten. Lediglich der Zeitraum ist umstritten. Die angebliche Kompensation durch Klosterbibliotheken ist eine Mär. Diese können weder von der Anzahl der verfügbaren Bücher her noch von der Thematik auch nur annähernd mit den großen staatlichen Bibliotheken des 3. und 4. Jahrhunderts mithalten. Während in den antiken Bibliotheken alles, ohne ideologische oder religiöse Selektion, gesammelt wird, was lohnenswert ist, sind die klösterlichen Bibliotheken ideologisierte Büchersammlungen: Es wir nur noch vorgehalten, was der Kirche dienen kann. Bibliothek ist eben nicht gleich Bibliothek.
L. Buzas meint, der Verfall habe mehrere Jahrhunderte gedauert und "erstreckte sich von der Gründung der letzten uns bekannten öffentlichen Bibliothek in Rom durch Kaiser Alexander Severus (gest. 235) bis zur Klostergründung Cassiodors in Vivarium um 560 n.Chr108. Dieser Auffassung muß widersprochen werden, denn Kaiser Constantius II. gründet noch 356 n.Chr. die Bibliothek von Konstantinopel mit einem Bestand von 120.000 Büchern und stattet sie mit einem Skriptorium von Kalligraphen aus, die die gesamte erreichbare griechische Literatur kopieren sollen109. Das heißt, wir können frühestens seit dem Ende des 4. Jahrhunderts von einem Bibliothekssterben sprechen. Da der heidnische Historiker Zosimos (ca. 450-500) berichtet, Kaiser Julian habe zwischen 361 und 363 n.Chr. seine eigene Büchersammlung in die Bibliothek überführt und dadurch den Bestand der Bibliothek erweitert110, wir aus der Überlieferung wissen, daß in Antiochia in einem von Hadrian für Trajan gestifteten Tempel eine weitere Bibliothek eingerichtet111 und Kaiser Valens noch im Jahr 372 die Einstellung von sieben antiquarii, davon vier griechischen und drei lateinischen Kalligraphen veranlaßt hat112, vermutlich um die Umschreibung auf Codices113 zu beschleunigen, können wir den Beginn des antiken Bibliotheksterbens ziemlich sicher auf das Ende des 4. Jahrhunderts legen.
Die Zerstörung der "Großen Bibliothek" von Alexandria, der größten und bekanntesten Bibliothek des Altertums, im Museion gelegen, einer Forschungsstätte am königlichen Hof, wird von Gegnern der christlichen Kirche als ein Symbol für ignorantes Barbarentum betrachtet, das gewissenlos über 500.000 Bücherleichen eines Welterbes hinwegschreitet. Kein Wunder, daß der Anlaß der Vernichtung immer wieder ideologisch und politisch ausgeschlachtet wird, um irgendeiner Seite Barbarentum zu bescheinigen.
Zur Zerstörung der Zentralbibliothek von Alexandria selbst gibt es eine nicht endenwollende Auseinandersetzung, die hier nicht im Detail nachvollzogen werden kann114. Die Spannbreite der Theorien ist gewaltig und reicht von Reynolds/Wilson, die behaupten, die vorherrschende Meinung zu vertreten: "The tradition that Caesar was ... responsible for its destruction during his visit to Egypt (48-47 B.C.) has been widely accepted"115 bis zu Egert Pöhlmann, der konstatiert, die Kämpfe im Jahre 47 v.Chr. hätten "die beiden Bibliotheken im Museion und Serapeion nur am Rande in Mitleidenschaft" gezogen116.
Caesar selbst schweigt dazu und übermittelt lediglich militärische Details seiner Aktionen in Alexandria117. Auch die zeitnahesten Zeugen berichten nicht von einem kriegsbedingten Bibliotheks-Brand im Jahre 48/47 v.Chr. Weder Cicero, noch der Historiker und Geograph Strabo, der 20 Jahre später die Stadt besucht, wissen von einem Brand zur Zeit Caesars zu berichten. Strabo beschreibt zwar das Museion im Detail (Wandelbahn, Sitzhalle und Speisesaal für Gelehrte), erwähnt jedoch weder die Bibliothek noch einen Brand118. Aber gerade die Erwähnung der „Gelehrten“ spricht für die Existenz der Bibliothek, zumal Strabo die Bücherbestände der großen Bibliothek bei den Arbeiten zur Topografie der "Nilschwellen" benutzt haben dürfte. Auch Sueton weiß nichts von einer umfassenden Büchervernichtung zu berichten. Stattdessen schreibt er, Domitian habe mehr als ein Jahrhundert nach dem angeblichen Brand Bücher für „verbrannte Bibliotheken“ in Alexandria abgleichen lassen119.
Der römische Schriftsteller Lucan (39-65 n.Chr.) schreibt in einem dichterischen Werk über den Zivilkrieg erstmals über den Brand der Schiffe/Werften und daß die "Flammen von einem Dach zum anderen sausten“120. Aber über einen Brand der weltberühmten Bibliothek oder daß Bücher verloren gegangen seien, schreibt er nichts. Cassius Dio schließt sich zunächst Lucan an und ergänzt, das Feuer sei von den brennenden Schiffen auf die Hafengebäude übergesprungen und habe die Getreidelager, "außerdem die Bibliothek" vernichtet121. Dieser Bericht, der Getreidelager und Bibliothek in einem engen Zusammenhang erwähnt, erlaubt die Interpretation, daß Cassius die Lagerhallen für die Bücherimporte und -exporte unmittelbar an den Docks gemeint hat. Das Feuer wäre damit auf den Hafenbereich begrenzt gewesen, ohne das Museion samt Bibliothek erreichen zu können, das als Steingebäude und hinter der am Hafen verlaufenden Stadtmauer122 gelegen ohnehin gut geschützt gewesen ist. Diese Annahme erscheint plausibel, da Neuerwerbungen vermutlich nicht sofort in die Bibliothek überführt, sondern in Magazinen zur Sichtung und Katalogisierung zwischengelagert werden. Außerdem darf nicht vergessen werden, daß Alexandria der Haupthafen zur Verschiffung des Exportschlagers "Papyrusrolle" gewesen ist, möglicherweise also lediglich unbenutzte Papyrusrollen verbrannt sind. Ein Bericht Senecas, der - unter Bezug auf ein nicht überliefertes Buch des Livius - den Verlust von 40.000 Schriftrollen123 erwähnt, korrespondiert mit den Zahlen des Cassius über einen Brand im Hafengebiet. Und Appian (ca. 90-160), der in Alexandria geboren wurde und dort während der Zeit Kaiser Hadrians lebte, verliert in seiner um 160 n.Chr. geschriebenen „Römische Geschichte“ kein Wort über einen angeblichen Brand der Palast-Bibliothek124.
Mit Plutarch (45-125 n.Chr.) scheint dann die Geschichte vom Brand der Bibliothek zu beginnen. Plutarch vermeldet in seiner Caesar-Biographie, der Brand habe die "große Bibliothek (megale bibliotheke) zerstört"125. Erstmalig wird also von einer "großen" Bibliothek gesprochen. Ein Wort, unpräzise wie "schön", gebunden an das individuelle Empfinden des Betrachters, sorgt für Aufsehen, im Vorbeigehen gesprochen. "Groß", keine Zahlen, nichts, was darauf hindeuten könnte, daß der belesene Plutarch weiß, daß er im Begriffe ist, gerade von der Zerstörung der renommiertesten Kultureinrichtung der damaligen Welt zu berichten. Die Tatsache, daß Caesar schwimmend, "mit Schriftstücken in der Hand" das rettende Ufer erreicht habe, ist Plutarch mehr Zeilen wert als der Brand der größten und angesehensten Bibliothek und Forschungsstätte des Imperiums. Die befremdliche Nachlässigkeit, mit der Plutarch den Brand behandelt, legt die Vermutung nahe, daß "groß" alles bedeuten kann und der anekdotenverliebte Autor sich im Irrgarten der Überlieferung und der alexandrinischen Büchereien verlaufen hat.
Erst Aulus Gellius konkretisiert um 170 n.Chr. "in langen attischen Nächten" die Legende und beziffert den Verlust im bello priore Alexandrino auf unglaubwürdige 700.000 Buchrollen126, ohne jedoch eine Bibliothek direkt anzusprechen. Diese utopische Zahl taucht unvermutet auf und wird durch keine uns zugängige Quelle aus dem 1. und 2. Jahrhundert bestätigt. Die Annahme, es handele sich um eine "Sensationszahl", ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man die Absicht des Autors bedenkt, "der Zweck, den ich bei der Abfassung dieses Werkes verfolgte, war kein anderer, als dass meine Kinder in den Freistunden ... eine angemessene Lektüre vorfinden sollen" (Praefatio).
Diese von Gellius locker in die Runde geworfene Zahl wird wiederum im 4. Jahrhundert von Ammianus Marcellinus, dem großen Historiker der Symmachuszeit, auf 70.000 korrigiert127. Ammianus bezieht sich zwar auch auf den alexandrinischen Krieg, läßt aber völlig offen, von welchen Beständen er spricht: Die im Hafengebiet, die im Museion oder im Serapeion oder die in anderen Lagerhäusern/Bibliotheken. Da das vorhergehende Kapitel (Amm. 22,16,12) vom Serapeion, dem "höchst bewunderns- werten Monument", spricht, muß man die Annahme ausschließen, Ammianus spreche von der großen Bibliothek im Museion. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, daß Caesar im Palastviertel von Alexandria eingeschlossen gewesen ist, also als Gefangener unter den Dächern des Museion haust, ein Brand der Bibliothek ihm folglich ein Verbleiben im Palastviertel unmöglich gemacht hätte. Denn Caesar hätte aus dem brennenden Palast durch die Flammen der Straßenzüge einen Ausfall zum Hafen machen müssen, um dann "schwimmend" die Halbinsel Pharos zu erreichen128.
Die ganze Angelegenheit ist also einigermaßen konfus und es bleibt kaum belastendes Quell-Material übrig, um Caesar anzuklagen. Und es muß den Historiker verunsichern, wenn geachtete Experten Caesar dennoch die Vernichtung der "großen" Bibliothek anlasten, obwohl nahezu alle zeitgenössischen antiken Schriftsteller, Caesar selbst, Cicero, Strabo, Lucan, Cassius Dio, Seneca und Appian entweder überhaupt nichts von einer Vernichtung der Bibliothek schreiben oder bestenfalls 40.000 Buchrollen erwähnen, wenn man von Gellius mit 700.000 Bänden absieht. Angesichts dieser Quellenlage ist das Urteil von Reynolds/Wilson/Mostafa El-Abbadi u.a. nicht nachzuvollziehen, es sei die vorherrschende Meinung: " that Caesar was ... responsible for its destruction during his visit to Egypt (48-47 B.C.)"129.
Der Vollständigkeit halber sei noch Orosius (um 385-420) erwähnt, der von "400.000 in den nächstgelegenen Gebäuden aufbewahrten Büchern" spricht130. Dieser Text ist allerdings wenig glaubwürdig, da zum einen die Zahlen in den verschiedenen Orosius-Handschriften um den Faktor 10 variieren, auch weil "nächstgelegen" auf die im Hafenbereich gelegenen Warenhäuser hindeutet, in denen kaum 400.000 beschriftete Buchrollen, "ein einzigartiges Denkmal ... für das Studium und für die Pflege der Vorfahren", gelagert gewesen sind und es sich um einen dubiosen christlichen Auftragstext handelt, der belegen soll, daß die römische Geschichte von Katastrophen gekennzeichnet ist131.
[...]
1 Unter "Christentum" werden in dieser Studie alle Strömungen verstanden, die sich in der Antike auf Jesus als Religionsgründer berufen, gleich ob sie Jesus als gottwesensgleich oder nicht wesensgleich interpretieren. Celsus zählt bereits um 170 n.Chr 15 christliche Strömungen auf, die sich auf Jesus berufen: "von allen wirst Du das Wort hören: mir ist die Welt gekreuzigt" (Gegen die Christen 5,61- 65). Eine "Hauptrichtung" ist nicht nachzuweisen, schon gar nicht eine "katholische". Die diversen christl. Konfessionen sprechen sich wechselweise bis in das 4. Jh. die Wahrheit ab, ohne daß einer der Konfessionen der Nachweis gelingt, das ursprüngliche Christentum zu repräsentieren. Erst mit den Erlassen des Theodosius (ab 380) u. dem Konzil von Konstantinopel (381) erfährt das Christentum seine heutige trinitarische und „katholische“ Festlegung. Der Begriff Christiani (vgl. zur Namensnennung nach den jeweiligen Führern: L. Schumacher 2006, S. 28) taucht erstmalig im 1. Jh. auf (NT Apg. 11,26). Tacitus verwendet den Begriff ebenfalls (Tac.ann.15,44,2-3). Die Deutung dieser Passage ist in der Literatur hoch umstritten. E. Koestermann bezeichnet die nach seiner Ansicht falsche Bedeutungszuordnung der Chrestiani im Sinne "Christen" als den "folgenschwersten Irrtum" des Tacitus (Ein folgenschwerer Irrtum des Tacitus, Historia 16, 1967, S. 456-469; auch ders. Cornelius Tacitus Annalen, Heidelberg 1968, S. 10). Plinius steht den Christianos eher ratlos gegenüber (epist. 10,96,5-8) und erwartet Weisung des Kaisers. Nach Suet.Claud. 25,4 („Unruhe stiftend“) und Suet.Nero 16,2 („ruchloser Aberglaube“) sollen die Christen als staatsgefährdend eingestuft worden sein (H. Botermann Das Judenedikt des Kaiser Claudius. Römischer Staat und Christiani im 1. Jahrhundert, Stuttgart 1996). Diese Interpretation ist den antiken Quellen nicht zu entnehmen und scheint mir problematisch zu sein. Eher scheinen die Christen - bis in das 3. Jh. eine Minderheit deutlich unter 10 Prozent - nur eine geringe soziale Achtung zu genießen: "Latebrosa et lucifugax natio, in publicum muta, in angulis garrula - ein duckmäuseriges und lichtscheues Volk, stumm in der Öffentlichkeit, nur in den Winkeln gesprächig" (Caecilius Natalis, Sprecher des Heidentums im Dialog Octavius des Marcus Minucius Felix, Über die Christen 8,4-9,2 in: Minucii Felicis, Migne PL Bd. 3, Paris 1844, 258-261, übers. von A. Müller, München 1913, 147 f = BKV 14).
2 Ordnung für die Magisterprüfung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 11. Oktober 1999.
3 A. Demandt (1984) S. 11. Nur zögernd mag ich A. Demandts Devise, verkürzt formuliert "Stoff sammeln ist besser als Ideen haben", folgen. Was stört, ist der Komparativ. Denn letztlich gleicht eine Stoffsammlung ohne die kritische und wertende Analyse als Methode zur Erkenntnisgewinnung einer philosophischen Argumentation ohne conclusio: Sie ist unergiebig. Erst über die schöpferische "Idee" wird das Wichtige erkannt, erst über die Kritik des Stoffes wird Müll von Wichtigem getrennt, erst über die Logik werden Bezüge geknüpft. Ziel wissenschaftlichen Handelns ist nach meiner Auffassung die Erkenntnis, die unverzichtbare, aufwendige und mühsame Stoffsammlung ist lediglich Mittel dazu.
4 A. Demandt (1984) S. 584-585.
5 Walter Pohl Spuren, Texte, Identitäten. Methodische Überlegungen zur interdiszipinären Erforschung frühmittellaterlicher Identitätsbildung in: S. Brather (2008) S. 13-26.
6 Für kaum eine Epoche sind hinreichende Kenntnisse der christlichen Kirchengeschichte so dringend geboten wie für die Spätantike. Denn das 4. Jh. dürfte wohl der ehrgeizigste Versuch gewesen sein, eine weltweite einheitliche (christliche) Identität gegen eine bestehende Kultur zu entwickeln (Paulus.Kol 3,11 "alle werden Christen"). Und die tausend Jahre, die dann folgten, kann man getrost mit einer Gehirnwäsche gleichsetzen. Kritik war tödlich und gilt bis heute - außerhalb der Philosophie als Verletzung der gesellschaftlichen Spielregeln. Keine Epoche bedarf daher der nüchternen Wissenschaft so sehr wie die durch Kirchenschriftsteller aller Genre und christlich orientierte Historiker religiös vorbestimmte Epoche der Spätantike.
7 Natürlich der Klassiker von E. Gibbon Decline and Fall... Bereits im Jahre 1930 hat sich W. Rehm mit den antiken Untergangstheorien auseinandergesetzt (Rehm, W. Der Untergang Roms im abendländischen Denken, Leipzig 1930, ND Darmstadt 1969). In jüngster Zeit zahlreiche weitere (Mazzarino, Christ). Besondres gründlich und umfassend A. Demandt Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt, München 1984; vgl. dazu G. Alföldy, der sich mit den Theorien von A. Demandt auseinandersetzt (Die Krise des Römischen Reiches, Stuttgart 1989, S. 464 f) sowie die Rezension von L. Schumacher („unentbehrlich“, „Brillianz der Formulierungen“, Gymnasium 93 (1986), 365-370).
8 Bruno Bleckmann: "Deutlich wird ... , wie sehr ganz allgemein die Forschung zu Arbeitsweisen der griechisch-römischen Historiographie ihre Materialbasis erweitern und vom (bisher kaum vorgenommenen) Zugriff auf die vollständig erhaltenen Kirchenhistoriker des fünften Jahrhunderts profitieren könnte" (Rezension zu: Sozomenos. Historia Ecclesiastica. Kirchengeschichte, griech./dt., übers. von G. C. Hansen, Düsseldorf 2005). Dem wäre nur hinzuzufügen, daß der Zugriff auf die Kirchenhistoriker des 5. Jh. alleine nicht ausreicht, sondern eine besonders intensive quellenkritische Betrachung den Zugriff begleiten muß.
9 Eus.HE 1,3-4.
10 A. Harnack Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, Teil 1/Halbbd. 1, Leipzig 1893, ND 21958, S. XXXVI/XLVI. Da die Dogmatisierung des christlichen Gottes erst 451 abgeschlossen ist, muß man "das Ausräumen der Literatur" bis in das 5. Jh. verlängern. H. Brandt folgt Harnacks Kritik nicht und meint in seiner Constantin-Biographie, man müsse Verständnis für die Verdrehung der historischen Tatsachen zeigen, denn derartige Fälschungen seien „Erinnerungspolitik, die nicht der historischen Grundlagen bedürfe, entscheidend seien vielmehr die Absichten und Interessen der Erinnernden“ (2006, S. 171, inhaltlich zitiert). Die Problematik dieser Auffassung erschließt sich dem Historiker von selbst. Zum Umfang der Fälschungen vgl. auch W. Speyer (1971).
11 A. Harnack (1958), S. XXIV/XXV und S. XXVIII, Fußnote 1.
12 Umfassende Darstellung der Kirchengeschichten des 5. Jh. bei H. Leppin Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenos und Theodoret, Göttingen 1996. Die vergleichende Arbeit legt allerdings nicht das Schwergewicht auf eine erschöpfende Quellenkritik, die mit dem Urvater der Kirchengeschichte, Eusebius, resp. mit Laktanz beginnen und auch die Frage nach der Repräsentanz der zeitgeschichtlichen Darstellung u. der Zuverlässigkeit der zitierten Dokumente stellen müßte. Die Dominanz kirchengeschichtlicher Werke u. die damit verbundene Überlieferungs-Problematik wird auch an der Quellensammlung zur Religionspolitik Constantins von Volkmar Keil sichtbar, die etwa 60 Dokumente anführt. Davon entstammt die Hälfte der Texte der Feder des Eusebius und etwa je fünf den Werken von Laktanz, Athanasius u. Optatus. Der Rest verteilt sich auf Panegyriker u. auf dezidiert christl. Autoren wie Augustinus u. Gelasios von Caesarea. Neben diesen rein christlich-kirchlichen Quellen bleiben in der Quellensammlung lediglich wenige für den Sachverhalt unerhebliche Texte aus dem CTh und aus unidentifizierbaren Quellen übrig (V. Keil Quellensammlung zur Religionspolitik Constantins des Großen, Darmstadt 1989). Ich bezweifle, daß es möglich ist, aus einer derart parteiischen Textsammlung wissenschaftlich akzeptable Aussagen zur "Religionspolitik Constantins" abzuleiten.
13 Vgl. dazu L. Schumacher, der nicht nur die Grabinschriften von Senatoren und Angehörigen des Ritterstandes, sondern auch ausführlich die Grabinschriften von Soldaten und Zivilisten sowie Inschriften von Handwerkern etc. aus der Kaiserzeit nachweist (Römische Inschriften S. 233-300). Schon alleine die Masse der Inschriften (CIL) belegt also, daß Lesen und Schreiben nicht nur ein Bildungsgut der gehobenen Klasse gewesen ist.
14 L. Friedländer (1922) 2. Bd., S. 207
15 Herodot 6,109.
16 So erwähnt beispielsweise Plinius mehrere Sekretäre und Vorleser (Plin.epist. 8,1; 9,34 und 36).
17 Tac.dial. 37,3 f. Vgl. auch Diodor: "Sie fördert endlich auch die Macht der Rede; ... Denn dadurch stehen die Griechen über den andern Völkern, und die Gebildeten über den Ungebildeten; zudem ist es dadurch allein möglich, daß Einer über Viele die Herrschaft gewinnt; (Diodor’s von Sizilien, übers. von Julius Friedrich Wurm, Bibliotheca Historica, Erstes Bändchen, Stuttgart 1827, 1,2,6).
18 Plin.epist. 7,17,9.
19 Zur Bewunderung von Varro vgl Plin.nat. 7,30 (115); Cic.Att. 13,36,3; August.civ.dei 6,2.
20 Suet.Caes. 44,2.
21 Vgl. dazu die Literaturliste "Varro" von Rudolf Hanslik in: Der Kleine Pauly, München 1979, Bd. 5, Sp. 1131-1140.
22 Juv. 15,110 f. Zu „Thule“: "Ultima Thule" = Island ?, s. Vergil Georg. 1,30. Thule galt damals als das "Ende der Welt". Vgl. auch Ovid tristia 10,128 u. Plin.epist.9,11,2.
23 Bibliothek: Bezeichnet in der Antike sowohl einen großen Bücherbestand (Festus De verborum significatu p.34 M: "magnus numeros librorum"), als auch dessen Räumlichkeiten, wie auch Abteilungen ("Bibliothecas Graecas Latinasque", Suet.Caes.44,2). Bei Sen.de tranq.an. 9.6 und Paulus sent. 3.6.51 auch im Sinne von Bücherregal/ablage/schrank.
24 Ovid tristia 3,1,59 ff.
25 Dritter Maked. Krieg; Plut. Aem.Paul. 28,10.
26 Columella de re rustica 1,1,13; Plin.nat. 18,3,5 (22-23).
27 Plut.Sulla 26.
28 Wir wissen von dieser Bibliothek durch einen Brief Ciceros aus dem Jahre 55 v.Chr., der freien Zugang zu dieser Bibliothek hatte (Cic.Att. 4,11,1) und durch Plut.Cicero 27,6 .
29 H. Blanck (1992) S. 154.
30 Cic.pro Sulla 42 f.
31 Horaz Carmina 2,20,13 f; wenn seine Bücher abgenutzt seien, so Horaz, dann würden sie ein Fraß der Motten oder ihren Weg in die Provinz finden: "Wirst du in Rom Gunst finden, bis weg dir blühet die Jugend, dann voll Wust und betastet von ekelen Händen des Pöbels, wirst du entweder verstummt untätigen Motten ein Fraß sein, oder gen Utica fliehn, ja geschnürt abgehn nach Ilerda" (Horaz epist. 1,20, 10-13 "An sein Buch", zit. nach "Projekt Gutenberg", Zugriff 16.06.08). vgl. auch: Mart. Epigramme 7,88 ("Vienna") u. 11,3 ("wird im getischen Schnee zerlesen"); Horst Blanck Das Buch in der Antike, München 1992.
32 Ovid tristia 4,9,19-24 (Briefe aus der Verbannung, übers. von Wilhelm Willige, München 1990); Sextus Propertius Elegiae 2,7,18.
33 Plin.nat. 35,11.
34 Edward A. Parsons New York (1967) S. 121.
35 So Lucullus (Cic.fin. 3,7); Cicero betont gerne, wie er sich bei den Büchern erhole (Cic.Att. 2,6,1; 4,11,1). W. Hoepfner weist für die kleine Stadt Delos im 2. Jh. v.Chr. sieben Peristilhäuser mit Bibliotheken nach (2002, S. 88/89).
36 Sen.de tranq.an. 9,6.
37 Petronius Cena Trimalchionis, 48. "Non studiorum instrumenta, sed cenationum ornamenta sunt ... Bibliotheca quoque ut necessarium domus ornamentum expolitur" (Sen.de tranq.an. 9,5-7). Besonders beeindruckend das Traktat von Lucian von Samosata: Lucianus Samosatensis Gegen den ungebildeten Büchrenarren, übers. von Peter v. Möllendorf, Düsseldorf u.a. 2006. Vgl. auch Plutarch, der die weltmännische Attitüde des Bücherfreundes Lucullus beschreibt und sich lobend über den freien Zugang zur Bibliothek des Lucullus äußert (Plut.Luc. 42,1) u. Ziegler Große Griechen und Römer, 21984. Zu der spektakulären Selbst-Tötung des Petronius im Jahre 66 n.Chr. vgl. Tac.ann. 16,18,1.
38 Sen.de tranq.an. 9,4.
39 Auch in den Provinzstädten etablierten sich - vermutlich meist durch Mäzene gestiftete - Bibliotheken. Wir wissen, daß Plinius d. J. seiner Heimatstadt Comum eine Bibliothek stiftete (Plin.epist.1,8,1 in Verb. mit CIL 5,5262 (Regio Comum), wonach die Schenkung bezeugt wird). Weitere Stiftungen sind dokumentiert in: CIL 11,2704b (Regio Volsini); 10,4760 (Regio Suessa).
40 Die überlieferten Bestandszahlen für Privatbibliotheken gehen bis zu 62.000 Schriftrollen (Hist.Aug. Gordianus 18,2).
41 Die Hochschätzung der Bücher bei: Cic.Att. 1,7,3; 1,20,7; 2,6,1. Die eigentliche Forschungsbibliothek ist vermutlich die in Tusculum, darauf deutet die Tatsache hin, daß Cicero hier die wichtigsten Schriften verfaßte (De oratore, Cato, de finibus bonorum et malorum, de natura deorum u.a., vgl. O. Schmidt 1972, S. 35. Dort auch Beschreibung aller Villen Caesars).
42 Amm. 14,6,18; E. Howald Kultur der Antike in: „Handbuch der Kulturgeschichte“ hg. von Heinz Kindermann, Potsdam 1936, S. 144.
43 Plin.epist. 1,13; 3,18,4 (Autorenlesung); 8,21 ("Zwei Tage habe ich vorgetragen"). Vgl. auch Suet.Claud. 41,2; Suet. Dom. 2,2 (Vorlesungen als Teil des Alltages).
44 Juv. 3,9.
45 Über Verlagesbuchhändler wird vielfach berichtet: Sen.de benef. 7,6; Mart. 1,2 (Buchmarkt); 1,66,1 12 (Billiges Kopieren); 1,117,8-17 (Buchladen); 13,3 (Händler); 4,72,1-2 (Buchhändler Trypho); Gell. 2,3,5 (Kunst- und Bildermarkt); 5,4,1 (Buchladen) und 9,4,1 (stapelweise zum Verkauf ausgestellte Bücher).
46 Suet.Aug. 29,3; Cass.Dio 53,1,3; Plin.nat. 34,7 (43). Die dem Tempel des Apollo Palatinus angegliederte Bibliothek wird in den antiken Werken bibliotheca Palatina, bibliotheca templi Augusti oder bibliotheca Apollinis genannt (Quellen bei Lilian Balensiefen Die Macht der Literatur in: W. Hoepfner (Hg), Mainz 2002, S. 134, Anm.7).
47 Suet.Tib. 74.
48 Cass.Dio 68,16,3; Gell. 11,17,1. Einweihung vermutlich im Jahre 113 (vgl. Strocka in: Gymnasium 88, 1981, S. 310).
49 Beschreibung des von Hadrian wiederaufgebauten Athen bei: Pausanias 1,18. Detaillierte Beschreibung bei Wolfram Hoepfner Eine würdige Nachfolgerin in: ders. "Antike Bibliotheken", Mainz 2002.
50 Rede des Perikles auf die Gefallenen Athens im Winter 431/430 v.Chr. nach: Thukydides Geschichte des Peloponnesischen Krieges, übers. von Georg P. Landmann, 1976.
51 Cic.Att. 2,6,1; Paulus sent. 3,6,51. Plin.epist. 3,7,8. Vitruvius de arch. 1,2,7; 6,4,1 (in Verb. mit der Anlage der Tempel).
52 Inhaltlich zitiert nach E. Auerbach (1958) S. 257.
53 Knappe Übersicht durch Dziatzko in: RE Bd. 3,1, Stuttgart 1897, Sp. 409-414, s.v. „Alexandrinische Bibliotheken“. Der Untergang der Bibliothek wird sehr kurz behandelt.
54 M. Asper nennt diesen Bereich eine "Gelehrtenkleinstadt" (Kallimachos Werke 2004, S. 10). Vgl. E. Pöhlmann (1994) S.27, der - ohne Beleg - die Philosophen aus dem Kreis der Akademie ausschließt. Überzeugende Beurteilung der alexandrinischen Bibliothek als Teil der Kultur- und Machtpolitik der ptolemäischen Könige bei: Andrew Erskin Culture and power in ptolemaic Egypt: The Museum and Library of Alexandria, in: „Greece and Rome“ 42 (1995) S. 38-48.
55 Rudolf Blum (1977) S. 138.
56 Zur Frage ob Ptolemaios I. oder Ptolemaios II. der Gründer gewesen ist vgl. R. Blum (1977) S. 140 f. Beschreibung des Museions mit "Wandelbahn, Sitzhalle und Speisesaal" bei Strab.Geogr. 17,1,8. Sehr schöne Beschreibung auch bei: Aphthonius von Antiochia Progymnasmata, 12, Leipzig 1839.
57 Vermutlich sind die griech./röm. Bibliotheken allen ernsthaft Interessierten geöffnet gewesen. Vgl. dazu das Suda-Lexikon s.v. "Bibliothek von Antiochia" (Suda-online: http://www.stoa.org/sol, Zugriff 20.08.08) und Suet.Caes.44,2 wo Sueton ausdrücklich von "bibliothecas Graecas Latinasque ... publicare" spricht.
58 Tert.apol. 18 (72 Übersetzer).
59 Ios.ant.Iud. 12,2,1.
60 Gell. 7,17,3.
61 Oros.hist.adv.pagan. 6,15,31-32. Die unterschiedlichen Zahlen sind angesichts der vielen überlieferten Kopien verständlich: Es sind nahezu 200 Handschriften der Historiarum überliefert.
62 Nach Tzetzes enthielt die Bibliothek 400.000 vermischte (bibloi symmigeis) und 90.000 unvermischte, einfache (bibloi amigeis) Werke. (Tzetzes XIa 2,10 f).
63 Der alexandrinische Bibliothekar Kallimachos von Kyrene (305-240) ordnet die Bestände in einem Nachschlagewerk von 120 Rollen, die er in 10 Kategorien einteilt. Von dem Riesenwerk sind nur die Fragmente 429-453 (vgl. Pfeiffer, 1978, S. 159-169) und Zitate (vgl. Blum, 1977, S. 245-302) überliefert. Siehe auch Suda s.v. "Kallimachos" (Suda-online: http://www.stoa.org/sol, Zugriff 22.08.08) und M. Asper (2004) S. 12 f.
64 Vgl. Nigel Wilson Griechische Philologie im Altertum in: Heinz-G. Nesselrath (Hg) 1997, S. 89/90.
65 U. Jochum (2007) S. 31.
66 Tzetzes Prolegomena de Comoedia, Groningen 1975. Vgl. auch L. Casson 2002, S. 52/53.
67 Gute Darstellung von Volker M. Strocka Römische Bibliotheken, Gymnasium 88 (1981) S. 298-329.
68 Plin.nat. 7,115; 35,9-10. Isidor schreibt zur Entwicklung der römischen Bibliotheken: "Romae primus librorum copiam advexit Aemilius Paulus, Perse Macedonum rege devicto; deinde Lucullus e Pontica praeda. Post hos Caesar dedit Marco Varroni negotium quam maximae bibliothecae construendae. Primum autem Romae bibliothecas publicavit Pollio, Graecas simul atque Latinas, additis auctorum imaginibus in atrio, quod de manubiis magnificentissimum instruxerat" (Etym. 6,5). Skydsgaard nimmt an, daß dieser Platz, das Atrium Libertatis, bereits von Caesar als Standort für seine geplante Bibliothek ausgesucht worden sei (Varro the Scholar, Analecta Romana Instituti Danici IV, Supplementum, Kopenhagen 1968, S. 122).
69 Aug.Res gestae 19-21; Suet.Aug. 28,3-29,5.
70 Suet.Aug. 29,3. Der Begriff Palatinae Bibliothecae bei Suet.de gramm. 20,2. Die offizielle Bezeichnung war bibliotheca latina templi Apollinis bzw. bibliotheca graeca templi Apollinis (CIL 6,5188; 5189; 5191 = Grabinschriften kaiserlicher Bibliothekssklaven)
71 Suet.Aug. 29,3; Tac.Ann. 2,37,2.
72 Suet.Aug. 29,4.
73 Suet.de gramm. 21,3. CIL 6,2347; 2349; 4431; 4433; 4435. Zur Finanzierung: Cass.Dio 49,43,8.
74 Bei Plin.nat. 34,43 als bibliotheca templi Augusti bezeichnet; bei Suet.Tib. 74. bibliotheca templi novi.
75 Gell. 5,21,9; 16,8,2.
76 Amm. 16,10,14.
77 CIL 14,5352 (Suppl.). Die Bibliothek ist auch unter dem Namen bibliotheca Ulpia bekannt.
78 Die Zahlen sind in der Literatur uneinheitlich; so mißt E. Pöhlmann die Grundfläche der Büchersäle mit 27 x 17 m (1994) S. 54.
79 Die Rekonstruktion im Museo della Civiltà romana mißt eine nutzbare Höhe von ca. 4 m (nach V.M. Strocka Römische Bibliotheken in: Gymnasium 88, 1981, S. 311 (Thermen).
80 Die Thermen stehen der Bevölkerung offen. Sueton registriert beifällig, daß das niedere Volk selbst dann Zutritt zu den Thermen hat, wenn der Herrscher badet (Suet.Tit. 8,2).
81 E. Parsons schätzt den Gesamtbestand an griechisch-sprachigen Büchern für das Jahr 350 auf etwa eine Million Titel (New York 1967). Die Zahl deckt sich mit den CLA-Auswertungen und scheint nicht übertrieben zu sein. So berichtet Seneca, daß ein Schriftsteller Didymos alleine 4.000 Schriftrollen verfaßt habe (Sen.epist. 88,37 "ad Lucilium"). Eine utopische Zahl, die nur auf einem Fehler, vermutlich beim Kopieren, beruhen kann (Vgl. H. Strasburger, der eine Durchschnittsproduktion von 28,2 Büchern/Autor berechnet in: Studien zur Alten Geschichte 3, NY/Hildesheim 1990, S. 178-179).
82 Plinius berichtet um 100 n.Chr. von einer Gedenkschrift, die tausendmal kopiert und "per totam Italiam provinciasque" verteilt worden sei (Plin.epist. 4,7,2, Lobrede des M. Regulus auf seinen Sohn). Zu den Zahlen siehe auch Julian Krüger Oxyrhynchos in der Kaiserzeit Frankfurt a. M. 1990; Horst Blanck: Das Buch in der Antike München 1992.
83 Die Kopierkosten sind kein Hindernis für eine reichsweite Distribution gewesen. L. Friedländer (1922, S. 223 f) belegt die geringen Kosten für die Kopien (Schreibsklaven) u. weist auf die hohe Geschwindigkeit hin, mit der Kopien hergestellt wurden (50 Schreiber arbeiten parallel nach Diktat).
84 ... "amounting, beyond doubt, to millions of rolls per annum" (N. Lewis Papyrus in classical antiquity, Oxford 1974, S. 102). Schwierig zu interpretierende Beschreibung der Papyrus-Produktion bei Plin.nat. 13,76-77.
85 H. Strasburger listet 32 Autoren auf, von denen wir wissen, wieviel Bücher sie produziert haben. Das Ergebnis ist 28,2 Bücher/Autor (Studien zur Alten Geschichte 3, 1990, S. 178-179).
86 Vgl. C. Wendel Die bauliche Entwicklung der antiken Bibliotheken in: "Kleine Schriften zum antiken Buch- und Bibliothekswesen" (1974) S. 144-164; H. Blanck (1992) S. 185 f.
87 Vitruv (1. Jh.) berichtet über die anzustrebende Lage der Bibliotheken: Bibliotheken sollten gegen Osten gerichtet sein, da ihre Benutzung die Morgensonne erfordert. In Räumen, die nach Süden/Westen lägen, würden die Bücher vom Bücherwurm und Feuchtigkeit beschädigt, weil die von dort ankommenden feuchten Winde Bücherwürmer hervorbrächten, ihre Fortpflanzung begünstigten und durch Schimmel die Bücher verderbten." (Vitruv De architectura libri decem - Zehn Bücher über Architektur 6,4,1).
88 W. Hoepfner (2002) S. 64.
89 W. Hoepfner (2002) S. 123 ff.
90 Zum Vergleich: Für die Bibliotheca Ulpia auf dem Trajansforum nimmt der Archäologe Volker M. Strocka 36 Büchernischen an, verteilt auf zwei Stockwerken. (Volker M. Strocka Römische Bibliotheken in: Gymnasium 88, 1981, S. 310). Der Saal der Celsus-Bibliothek in Ephesos war 16,70 m breit und 10,90 m tief, davon waren drei Seiten mit Büchernischen versehen (W. Hoepfner, Mainz 2002, S. 124). Bei einer sich daraus ergebenden Frontbreite von rd. 38 m und zweigeschossiger Lagerung konnten damit bestenfalls rund 100.000 Buchrollen gelagert werden.
91 R. Blum ist einer der wenigen, der die antiken Bestandszahlen bezweifelt (1977, S. 107). Allerdings
spricht die vielfache Erwähnung großer Zahlen in antiken Werken für hohe Bestandszahlen. Der Widerspruch zu den logischen Argumenten ist nicht auflösbar, es sei denn, es könnte nachgewiesen werden, daß die Mehrheit der Autoren sich auf wenige Ur-Autoren mit überzogenen Zahlen beziehen.
92 Vgl. auch Wendel Handbuch der Bibliothekswissenschaften Bd. 3,1 (1955) S. 125.
93 Vgl. Sextus P. Festus (Lindsay). Beispiele: Die institutio oratoria des Quintilian, die Institutionen des Gaius (Gaii Institutiones). Zu dieser Literaturgattung zählen auch die Florilegien (Blütenlese), auf die nicht eingegangen wird.
94 E. Bickel meint, die bedauerswerte Folge der Epitomierung der Hauptwerke sei in dem Verlust der Originale zu sehen, "die nun überflüssig erschienen" (1937, S. 234).
95 Noch 361 n.Chr. versucht der philosophisch u. rhetorisch gebildete Kaiser Julian die Bücher des ermordeten Bischofs v. Alexandria, Georgios, vor Vandalismus u. Zerstörung zu retten u. schreibt an den Präfekten von Ägypten: "Die Bibliothek des Georgios ist reich u. gut bestückt, mit allen Arten von Philosophen u. vielen Historikern. Nicht zuletzt sind unter diesen Büchern eine große Anzahl verschiedener Bücher der Galiläer [Christen]. Suche daher nach dieser Bibliothek u. sende sie nach Antiochia" ( Julian epist. 106/107, inh., übers. vom Verf.). Beachte den Terminus „nicht zuletzt“, der deutlich macht, daß J. nicht nur an „Galiläer“-Büchern interessiert ist.
96 L. Buzas (1975) S. 2.
97 H. Gerstinger (1848) S. 14.
98 Paul Klopsch in: E. Pöhlmann (Hg.) 2003, S. 67.
99 Codices Latini Antiquiores. A paleographical guide to latin manuskripts prior to the ninth century, (CLA) ed. by E. Lowe, Bd. 1-11 und Suppl., Oxford 1934-1971, ND Osnabrück 1982. Die CLA sind graphisch ausgewertet bei: http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCcherverluste_in_der_Sp%C3% A4tantike, Zugriff 20.06.2008.
100 H. Gerstinger (1948) S. 10.
101 H. Gerstinger (1948) S. 10.
102 Der Kleine Pauly s.v. "Varro", Bd. 5, Sp. 1133 f. Im Wust säkularer Schriften sind die wenigen religiösen Werke kaum identifizierbar.
103 H. Gerstinger (1948) S. 10-11.
104 E. Pöhlmann (Hg.) 2003, S. 2, Tab. 1.
105 Hinsichtlich des Niederganges des Kopierdienstes vgl. Libanios epist.347,1; 605,2 (Libanii opera, hg. von R. Foerster, 12 Bde., Leipzig 1903-1927, ND Hildesheim 1963) u. Gregorius v. Nyssa epist.12 (BKV 1. Reihe, Bd. 56, 1927; Migne PG 44-46).
106 Andrew F. West, University of Chicago, 1905, Page 380 (Übers. durch den Verf.).
107 H. Gerstinger (1948) S. 11.
108 L. Buzas (1975) S. 1. Buzas irrt, wenn er die "Begründung der christlichen Reichskirche" in das Jahr 313 n.Chr. legt (S.1). 313 werden die christlichen Kofessionen lediglich als religio licita anerkannt u. von einer „Kirche“ ist die durch Konfessionsstreitigkeiten geschüttelte christliche Bewegung noch weit entfernt.
109 Siehe dazu die 4. Rede des Th. zum Konsulatsantritt des Constantius II. im Jahre 357 (Them.or. 4, 59 b-62a. Anlaß umstritten, vgl. H. Leppin in Themistios 1998, S. 80-81).
110 Zos. 3,11,3.
111 Suda 401 (Suda-online: http://www.stoa.org/sol, Zugriff 22.08.08); Eun.frag. 29.
112 CTh 14,9,2.
113 Codices sind nicht an Pergament als Schriftträger gebunden, sondern existieren auch in Papyrus-Form. Die Codex-Form ist bereits im 1. Jh. in Rom für triviale Literatur üblich. Martial macht um 85 n.Chr. an verschiedenen Stellen (Epigramme 14,7;14,184/186/188/192) Werbung für Codex-Editionen seines Verlegers Secundus. Er preist sie als handlicher, empfiehlt sie als praktische Reiselektüre, nennt sie aber auch umfangreicher, da sie das Gesamtwerk eines Autors enthalten können. Daher muß man L. Buzas widersprechen, der einen weltanschaulichen Gegensatz zu konstruieren sucht: Die Rolle bedeute heidnisches, der Codex christliches Gedankengut (ders. 1958, S.1).
114 Umfangreiche Bibliographie bei Parson The Alexandrian Library, S. 432 ff. In jüngster Zeit haben sich dazu geäußert: Mostafa El-Abbadi Life and Fate of the ancient Library of Alexandria, Paris 1992 (UNESCO-Förderung); Luciano Canfora Die verschwundene Bibliothek. Das Wissen der Welt und der Brand von Alexandria, Berlin 1990; Cécile Orru Ein Raub der Flammen? Die königliche Bibliothek von Alexandria in: Wolfram Hoepfner (Hg) Antike Bibliotheken, 2002; Uwe Jochum Kleine Bibliotheksgeschichte Stuttgart 32007.
115 Reynolds/Wilson (1991) S. 44; so auch E. Kornemann (1963) S. 56; H. Bengtson "...ging ein Teil der alexandrinischen Bücher in Flammen auf" (Grundriss der Römischen Geschichte I, München 1970, S.227); Wendel/Göber Das griechisch-römische Altertum (Hd. d. Bibliotheksg. III/1) S. 75 f. Zuletzt noch Mostafa El-Abbadi, Prof. für klassische Geschichte an der Universität Alexandria: "we cannot ... avoid the conclusion that the Royal Library met its fate in 48 B.C." (Life and Fate of the Ancient Library of Alexandria. Paris 21992, S. 156). Dagegen Cécile Orru (2002) S. 37.
116 E. Pöhlmann (1994) S. 39.
117 Caes.bell.civ. 3,111.
118 Strab.Geogr. 17,1,5; 17,1,8.
119 Suet.Dom. 20. J.C. Rolfe interpretiert diesen Sachverhalt sehr großzügig: Da die „große“ Bibliothek unter Caesar zerstört worden sei, habe der Abgleich mit der Bibliothek im Serapeion stattgefunden. Dazu sei die Serapeion-B. in der Lage gewesen, da Antonius die Pergamon-Bibliothek (200.000 Bde.) ins Serapeion geschafft habe (Suetonius, London ND 1950, Bd 2 S. 380/381). Diese sei ständig Opfer von Verwüstungen geworden. Keine dieser Behauptungen ist durch die Überlieferung hinreichend abgedeckt.
120 Lucan Bellum civile 10, 485-509. Der Verfasser, vielleicht Caesars General Aulus Hirtius, bestätigt indirekt, daß der Brand nicht auf die Stadt habe übergreifen können, da die Dächer mit Stein eingedeckt gewesen seien (Bellum Alexandrinum 1). Der Autor des B.A. ist allerdings in der Forschung umstritten: Lindsay G. H. Hall meint, Hirtius sei der Verfasser (Hirtius and the Bellum Alexandrinum, "The Classical Quarterly", New Series, Vol. 46, No. 2, 1996, pp. 411-415). A. Patzer spricht sich gegen Hirtius als Verfasser aus (Aulus Hirtus als Redakteur des corpus Caesarianum WJA 19, 1993, S. 111-130). In jedem Fall kann B.A. nicht als eine von Caesar unabhängige Quelle betrachtet werden
121 Cass.Dio 42,38,2.
122 Tac.hist. 4,83,1(Ptolemäische Mauer). Amm. 22,16,7 u.15.
123 Sen.de tranq.an. 9,5.
124 Appian beschreibt im Buch 2 der Römischen Geschichte die Zeit von 63-44 v. Chr.
125 Plut.Caesar 49.
126 Gell.7,17,3.
127 Amm.22,16,13 („70.000 Rollen gingen unter der Diktatur Caesars in Flammen auf“).
128 Strabo beschreibt die Gebäude, die an der Hafenküste lagen ("Cäsarstempel, der Handelsmarkt und die Waarenlager; nach diesen die Schiflager bis zum Heptastadion. Dies sind die Umgebungen des Grossen Hafens", Geogr. 17,1,9, übers. von C.G.Groskurd, 1833). Das Museion incl. der Bibliothek, stand offensichtlich weder an der Küste noch an der im Stadtinneren parallel verlaufenden Kanopischen Straße, denn Strabo erwähnt diese Einrichtungen nicht.
129 Reynolds/Wilson (1991) S. 44; Mostafa El-Abbadi (21992) S. 156.
130 Oros.Hist.ad.pag. 6,15,31.
131 Eine neue christl. Geschichtsschreibung war notwendig geworden, da sich seit der Eroberung Roms durch Alarich I. (410) die Stimmen mehrten, die die Abkehr von den alten Göttern für die schwierige Lage verantwortlich machten. Orosius ging es darum, im Auftrage Augustinus darzulegen, dass die Römer auch in früherer Zeit von Katastrophen getroffen worden waren, weshalb das Christentum nicht für die aktuellen Probleme verantwortlich zu machen sei.