Examensarbeit, 2009
127 Seiten, Note: 1,3
Einleitung::
Kapitel 1: Essverhaltensstörungen
1.1. Formen der Essverhaltensstörung – ein Überblick
1.2. Kennzeichen von Essstörungen
1.2.1. Kennzeichen von Anorexia und Bulimia nervosa
1.2.2. Verbreitung von Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen nach KIGGS
1.2.3. Die Binge-Eating-Störung
1.3. Der Body-Mass-Index in Verbindung mit Essstörungen
1.4. Ursachen für die Entwicklung von Essstörungen bei Heranwachsenden
1.4.1. Entwicklung von Essstörungen infolge von Körperbild und Diät
1.4.2. Entwicklung von Essstörungen durch die Pubertät
1.4.3. Entwicklung von Essstörungen durch traumatische Erlebnisse
1.5. Forschungsergebnisse
1.5.1. Resultate einer Schweizer Studie zu Essgewohnheiten und Gesundheit
1.5.2. Ergebnisse der Kieler Adipositas Präventionsstudie
1.6. Gesellschaftliche Hintergründe der Essstörungen von Kindern und Jugendlichen und ihre Prävalenz in den verschiedenen sozialen Schichten
1.7. Essstörungen und Familie
1.7.1. Die Adipositas-Familie
1.7.2.Familien mit Magersucht
1.7.3. Die Bulimie-Familie
Kapitel 2: Der Suchtcharakter von Essstörungen
2.1. Definition „Sucht“
2.2. Sucht und Pubertät
2.3. Sucht und Persönlichkeit
2.4. Essen als legales Suchtmittel
2.4.1. Ess-Sucht
2.4.2. Mager-Sucht
2.4.3. Ess-Brech-Sucht
Kapitel 3: Kinder und Jugendliche an der Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen
3.1. Phänomen Förderbedarf im Schwerpunkt Lern- und Leistungsverhalten
3.2. Modelle zur Erklärung von Lernbeeinträchtigung
3.3. Förderbedarf beim Lernen und das soziale Milieu
Kapitel 4: Möglichkeiten zur Prävention von Essstörungen im schulischen Rahmen
4.1.Gesundheitsförderung in der Schule
4.1.1. Bewegungsangebote
4.1.2. Gesunde Ernährung
4.2. Suchtprävention in der Schule
4.2.1. Verschiedene Arten der Prävention vor Suchterkrankungen
4.2.2. Gerichtete und ungerichtete Prävention
4.2.3. Intention der schulischen Suchtprävention
4.2.4. Voraussetzungen für erfolgreiche Suchtprävention
4.2.5. Mögliche Gefahren bei der schulischen Suchtprävention
4.2.6. Kritik an schulischer Suchtprävention
Kapitel 5: Befragung an saarländischen Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen
5.1. Anlass der Befragung
5.2. Befragung der Klassenlehrer und -lehrerinnen der saarländischen Lern-Förderschulen zum Thema Ess- und Gewichtsstörungen ihrer Schüler/innen
5.3. Ergebnisse
a) Allgemeine Angaben zur Zusammensetzung der Klasse
b) Einschätzung des Körpergewichts der Schüler/innen
c) Auffälligkeiten im Essverhalten
d) Maßnahmen in Schule und Unterricht, in der Elternarbeit
e) Maßnahmen zur Prävention von Ess- und Gewichtsstörungen
6. Fazit:
7. Quellenverzeichnis
7.1. Literatur
7.2. Internetquellen
7.3. Zeitschriften
Infolge der Industrialisierung, hat sich unsere Gesellschaft dahingehend verändert, dass immer mehr konsumiert wird. Dies wirkt sich unter anderem aus auf die Ernährung, damit auch auf die allgemeine gesundheitliche Verfassung der Bevölkerung und gerade auf die Gesundheit von Kinder und Jugendlichen. Denn in Zeiten des Überflusses nehmen paradoxerweise einerseits Körpergewicht und Übergewicht statistisch stetig zu und andererseits wird das durch die Medien suggerierte Schlankheitsideal immer mehr tendierend zu extrem dünnen Körperformen. Gerade auf Frauen und jungen Mädchen lastet der Druck, schön und schlank zu sein, wodurch vielfach Diätversuche unternommen werden und sich in manchen Fällen auf Dauer Tendenzen zu auffälligem oder gar gestörtem Essverhalten manifestieren können.
Auch die Familienformen haben sich im Zuge der sozialen Entwicklung der letzten Jahrzehnte verändert und vervielfältigt, sodass die traditionelle, generationenübergreifende Großfamilie immer seltener zu finden ist. Stattdessen existieren mehr Kleinfamilien mit geringer Kinderzahl, wobei auch die Anzahl von Ein-Eltern- und Patchwork-Familien und auch kinderlosen Paare steigt. Nicht zuletzt dadurch verlieren gemeinsame Mahlzeiten im Kreise der Familie zunehmend an Bedeutung (vgl. Hurrelmann 1990, in Buddeberg-Fischer 2000, S. 130), wodurch gerade junge Menschen sich, beispielsweise mit Fastfood oder kalorienreichen Snacks, vermehrt ungesund und unkontrolliert ernähren. Daneben gibt es noch zahlreiche, weitere Faktoren, die dazu beitragen, dass heutzutage immer häufiger Gewichtsprobleme bis hin zu starken Essstörungen auftreten, gerade bei jungen Frauen (vgl. Buddeberg-Fischer 2000, S.130f).
Allgemein gilt aber die Vorstellung von der Jugend als einer Zeit der Kraft, Gesundheit und Lebensfreude, obwohl einige Studien zur Untersuchung der gesundheitlichen Situation von Jugendlichen in mehreren europäischen Ländern (vgl. Abbet et al. 1993; Narring et al. 1994 usw. in Buddeberg-Fischer 2000, S.132) als Resultat hervorbrachten, dass viele junge Männer und Frauen über starke Leiden psychischer, physischer und psychosomatischer Art klagten.
Zu den psychischen Störungen mit körperlicher Symptomatik gehören neben anderen auch die verschiedenen Formen gestörten Essverhaltens. Darunter werden die Krankheiten Magersucht und Ess-Brech-Sucht (Anorexia und Bulimia nervosa), sowie auch - teilweise zumindest - die Ess- bzw. Fettsucht (Binge- Eating-Disorder bzw. Adipositas) zusammengefasst (vgl. Steinhausen 1988, S. 162ff; Ist die Adipositas eine Essstörung?: http://www.klinik-am-korso.de/donwloads/ aktuelles_klinik_report_2005_01_4.pdf). Auch Kinder und vor allem Jugendliche sind heute immer häufiger von diesen Erkrankungen betroffen, zeigen auffälliges Essverhalten und haben vermehrt Gewichtsprobleme. Dabei fällt auf, dass gerade Bevölkerungsgruppen, die in gesellschaftlicher, kultureller und ökonomischer Benachteiligung leben, öfter von psychosomatischen Syndromen betroffen sind und sich daher eine Dependenz sozialer und gesundheitlicher Ungleichheiten abzeichnet (vgl. Hurrelmann 2000, S. 30f).
Anlässlich meiner wissenschaftlichen Prüfungsarbeit im Fach Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen, erarbeite ich die Fragestellung:
Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen – auch ein Thema für die Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen?
Einerseits aus einer ehemals selbst erfahrenen Betroffenheit von Magersucht und andererseits aufgrund der schmalen Grundlage wissenschaftlich fundierter Ergebnisse zur Betroffenheit und Gefährdung von Essstörungen der Schüler und Schülerinnen an Förderschulen mit ihren erschwerten Ausgangsbedingungen vielfältiger Art, ist diese Thematik für mich, als Studierende der Lernbehindertenpädagogik, von besonderem Interesse und daher zum Inhalt dieser Arbeit gewählt worden.
Nun soll die Fragestellung und Grundlage dieser Ausführung erläutert werden.
In dieser Arbeit soll dargestellt werden, inwiefern die Problematik der Essstörungen auch für die Schülerschaft der Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen relevant ist. Dazu werden notwendigerweise auch die besonderen Lebensumstände und Merkmale dieser Schülerschaft in Augenschein genommen, um festzustellen, inwieweit eine Gefährdung dieser Kinder und Jugendlichen für verschiedene Essstörungen oder gar eine Betroffenheit von einer solchen Erkrankung vorliegt.
Zum methodischen Vorgehen und dem Aufbau der Abhandlung lässt sich sagen, dass, infolge der Recherche von Literatur und anderer Quellen, Ergebnisse zu unterschiedlichen, relevanten Aspekten zur Beantwortung dieser Frage den ersten Teil der Arbeit bilden. Dieser wiederum beinhaltet nach allgemeinen Informationen zu gesundheitsförderlicher Ernährung bei Kindern und Jugendlichen ein Kapitel zu Ursachen, Formen, Kennzeichen und Bedingungen der verschiedenen Essverhaltensstörungen, gefolgt von einem Teil, der sich mit der Suchtkomponente dieser Krankheiten befasst. Im Anschluss beinhaltet das dritte Kapitel Informationen zum Förderbedarf bei Lernbeeinträchtigungen als gemeinsames Kennzeichen aller Schüler und Schülerinnen der im Mittelpunkt stehenden Schulform. Danach folgt ein Kapitel, welches sich mit Prävention und Gesundheitsförderung befasst, um Maßnahmen aufzuzeigen, wie Essstörungen auch im pädagogischen Rahmen vorgebeugt und entgegengewirkt werden kann.
Der zweite Teil stellt Ergebnisse aus einer selbst erarbeiteten Lehrerbefragung an saarländischen Förderschulen zum Thema Ess- und Gewichtsstörungen vor, die vorab bereits gefundene Feststellungen infolge der Literatur- und Quellenrecherche unterstreichen oder relativieren können.
Abschließend werden alle Ergebnisse kurz zusammengefasst.
Zu Beginn soll ein kurzer Exkurs bezüglich gesunder Ernährung bei Kindern und Jugendlichen auf das Thema einstimmen.
Vorab: Die gesunde Ernährung bei Kindern und Jugendlichen
Das Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen ist von großer Bedeutung für ihre Entwicklung und hat besonderen Einfluss auf Gesundheit und Wohlergehen. Im Heranwachsendenalter und vor allem bis zum elften Lebensjahr prägen sich durch Lernprozesse bestimmte Ernährungsmuster und -gewohnheiten langfristig ein, die sich förderlich oder auch nachteilig auf die Gesundheit auswirken können. Auch die Neigung zu Übergewicht entwickelt sich häufig frühzeitig und stellt dann einen Risikofaktor für das physische und psychische Wohl dar. Daher bedarf die „normale“ alltägliche Nährungsaufnahme besonders im Kindes- und Jugendalter erhöhter Aufmerksamkeit, da durch gesundheitsbewusstes Essen und Trinken zukünftig drohenden Krankheiten, wie Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen, vorgebeugt werden kann. Des Weiteren ist gerade im Wachstumsalter eine ausgewogene Ernährung anzustreben, um Zustände der Unterversorgung und damit verbundene Entwicklungsrisiken zu vermeiden (vgl. Das Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik: http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Aktuelles/ a_Ernaehrung/s_899.html).
Dabei ist es recht einfach, Kinder und Jugendliche angemessen mit Nahrungsmitteln zu versorgen und ihnen einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu vermitteln, der sie schulisch leistungsfähig und körperlich fit und gesund hält, wenn man einigen Richtlinien Beachtung schenkt. Zunächst sollte durch vielfältige und abwechselungsreiche Kost in angebrachter Menge, je nach Alter, Geschlecht und daraus ableitbarem Bedarf, die Versorgung mit Energie und Nährstoffen, wie Vitamine, Ballaststoffe und Spurenelemente, gewährleistet sein. Auch für genügende Flüssigkeitszufuhr ist zu sorgen. Außerdem zu beachten sind die Auswahl gesunder, abwechselungsreicher Lebensmittel und die persönlichen, individuellen Vorlieben für bestimmte Speisen und Gewohnheiten in Anbetracht der täglichen Haupt- und Zwischenmahlzeiten (vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: http://www.dge.de/pdf/dge_info /EU_03_B9-B12.pdf).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung: http://www.dge.de/pdf/dge_info /EU_03_B9-B12.pdf)
Auf konkrete Empfehlungen in ausführlicher Form zur „Optimierten Mischkost“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, zu der die oben dargestellte Grafik einen Überblick liefern soll, kann hier nur verwiesen werden.
Angemerkt werden soll an dieser Stelle, dass die populäre Lebensmittelpyramide der Hierarchie der Lebensmittelgruppen nicht in vollem Maße auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zugeschnitten und eher für Erwachsene empfehlenswert ist. Deshalb entwickelte die Schweizer Gesellschaft für Ernährung (SGE) eine Empfehlung, speziell für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren, in Form einer Ernährungsscheibe. Darauf sind fünf Richtlinien illustriert und mit Hinweisen versehen, die wie folgt lauten: „Wasser trinken – Früchte und Gemüse essen – Regelmäßig essen – Essen und Trinken schlau auswählen - Beim Essen Bildschirm aus“. So kann den Ernährungsbedürfnissen Heranwachsender entsprochen werden (vgl. Elternratgeber Ernährung. Die Ernährungsscheibe für Kinder. Empfehlungen zum gesunden Essen und Trinken (SGE): http://www.tellmed.ch/include_php/previewdoc.php?file_id=4762).
Teil 1: Ergebnisse der Quellenrecherche
Störungen des Essverhaltens von Kindern und Jugendlichen stehen in diesem Teil der Arbeit im Mittelpunkt. Sie können Probleme der Reifung und Sozialisation der Betroffenen ausdrücken und sind Symptome eines Flucht- und Suchtverhaltens. Augenscheinlich sind besonders Frauen und Mädchen davon betroffen. ( vgl. Buddeberg-Fischer 2000, S. 3)
Essstörungen zeichnen sich unter anderem aus durch quantitativ und/oder qualitativ falsche Nahrungsaufnahme. Das bedeutet, es wird von dem Betroffenen zu viel oder zu wenig und/oder zu einseitig bzw. unausgewogen gegessen.
Als Richtlinie für eine gesunde Ernährung kann das folgende Zitat gelten: „…wir dürfen alles essen, aber alles in Maßen.“ (Zit. Holtmeier 1986, S. V zit. in Diedrichsen 1990, S. 13). Übermäßiges Naschen beispielsweise kann bei Kindern somit im Endeffekt bei fehlender erzieherischer Intervention zu einer Störung des Essverhaltens führen (vgl. Waibel 1994, S. 150) oder auch Symptom einer selbigen sein. Daraus geht die besondere Bedeutung des komplexen Erziehungs- und Sozialisationsprozesses hervor, der Einfluss hat auf den Lebensstil und damit auch auf die Ernährungsgewohnheiten jedes einzelnen, die durch „medizinische und psychosoziale Faktoren“ herausgebildet werden (vgl. Diedrichsen 1990, S. 12).
Das nun folgende erste Kapitel der Arbeit soll grundlegende Informationen über die verschiedenen Essverhaltensstörungen, ihre Entstehungsbedingungen und Folgen, sowie Hinweise zum Vorkommen der verschiedenen Störungsbilder liefern (vgl. Rauscher 1999, S. 8f).
Über- und Unterernährung, die mit gestörtem Essverhalten in Verbindung stehen, stellen ein großes, gesundheitliches Risiko für Betroffene dar und haben neben körperlichen auch seelische Folgeerscheinungen. Ernährung dient bei krankhaftem Essverhalten nicht allein dem biologischen Zweck der Energieversorgung, sondern hat auch eine psychische Komponente. Denn durch die Nahrungsaufnahme können auch emotionale Bedürfnisse und Mangelzustände kompensiert werden. Dies kann als Grundlage für die heute immer mehr verbreitete Entstehung psychosomatischer Essverhaltensstörungen angesehen werden. Besorgniserregend ist vor allem auch die hohe Prävalenz von Übergewichtsstörungen in der westlichen Gesellschaft. Übergewicht kann daher bereits als Volkskrankheit bezeichnet werden, von der auch Kinder und Jugendliche nicht verschont sind. Nicht nur Schwierigkeiten mit dem maßvollen Essen, sondern auch andere Störungen im Essverhalten sind somit auch bei der heranwachsenden Bevölkerung vermehrt anzutreffen (vgl. Diedrichsen 1990, S. 12f). Dafür ausschlaggebend sind einerseits intrapersonelle Gegebenheiten, wie beispielsweise erbliche Veranlagungen, aber andererseits auch umweltbedingte, familiäre und gesellschaftliche Faktoren. Diese formen im Laufe des Reifungs- und Lernprozesses das individuelle Ernährungsverhalten eines jeden Menschen und somit auch gestörte Essverhaltensweisen. Letztere können vor allem auf nachteilig wirkende, psychische Einflüsse in den verschiedenen Phasen der Adoleszenz zurückgeführt werden, wie beispielsweise eine gestörte Mutter- Kind-Beziehung, ein Mangel an Zuneigung, Erziehungsfehlverhalten und extreme Erwartungsansprüche der Eltern gegenüber ihrem Zögling (vgl. a.a.O., S. 16ff). Wie sich eine Störung im Essverhalten äußern kann, wird im Folgenden thematisiert.
Unter der Begrifflichkeit der Essstörungen sollen hier zunächst folgende drei Krankheitsbilder zusammengefasst werden:
- die Magersucht (Anorexie oder Anorexia nervosa)
- die Ess-Brech-Sucht (Bulimie oder Bulimia nervosa)
- die Binge-Eating-Störung (meist psychogene Störung in Verbindung mit Übergewicht oder Adipositas)
Die Adipositas wird von einigen Autoren und auch vom Bundesfachverband Essstörungen e.V. nicht direkt zu den Essstörungen gezählt und gilt dort als „chronische Gesundheitsstörung“ (vgl. http://www.bundesfachverband essstoerungen.de/de/n/adipositas.html). Sie beinhaltet normalerweise keine schwerwiegenden Verhaltensstörungen im Gegensatz zur Anorexie und Ess-Brech-Sucht. In diesen Fällen wird sie den physischen Erkrankungen zugeordnet, die allgemein weniger auf seelische oder gesellschaftliche Ursachen zurückführbar sind (vgl. Diedrichsen 1990, S. 81).
Zum besseren Verständnis soll an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass Adipositas je nach Ursache auch eine psychogene Essverhaltensstörung sein kann, dies allgemein aber nicht bei jedem stark übergewichtigen Menschen der Fall sein muss. Psychogene Adipositas liegt vor, wenn der Betroffene die charakteristischen Merkmale einer Essstörung aufweist, wie beispielsweise der permanente Fokus auf das Essen und psychosoziale Ursachen für die Essverhaltensstörung ausschlaggebend sind, die das starke Übergewicht bedingen (vgl. Pudel: Ist Adipositas eine Essstörung? http://www.klinik-am-korso.de/donwloads/aktuelles_klinik_report_2005_01_4 .pdf).
Genauere Informationen zur Diagnostik einer Essstörung folgen nun.
„Eine Essstörung besteht dann, wenn sich die Gedanken und der Alltag nur noch ums Essen oder Nichtessen drehen und wenn die Gewichtskontrolle das wichtigste im Leben ist“ (Zit. Raabe 2004, S. 5). So lautet eine Definition von Essverhaltensstörungen, die den Suchtcharakter der Krankheit in den Vordergrund rückt.
Das Verzehrverhalten und die Nahrungsaufnahme sind bei Patienten gestört, die von diesen psychosomatischen Krankheiten betroffen sind. Wie aber durch das Zitat deutlich wird, gehört neben einer Fehlsteuerung des Appetit- und Sättigungsmechanismus auch eine krankhafte Einstellung der Betroffenen zu Nahrung und Körpergewicht als charakteristisches Merkmal gestörten Essverhaltens dazu (vgl. Diedrichsen 1990, S. 79, 81).
Des Weiteren ist als kennzeichnendes Merkmal anzuführen, dass die Nahungsaufnahme oder –verweigerung eines essgestörten Menschen zur Befriedigung seelischer, statt normalerweise physischer Bedürfnisse dient und dadurch körperliche Zeichen wie Hunger nicht mehr wahrgenommen werden (vgl. Definition einer Essstörung: http://web4health.info/de/answers/ed-dia-ed-def. htm).
Essverhaltensstörungen treten in verschiedenen Formen, teilweise auch in Vor- oder Mischformen, auf und werden als psychosomatische Erkrankungen eingestuft. Meist gehen als definitorische Merkmale der drei Erscheinungsformen auch Gewichtscharakteristika einher, wie folgende Grafik veranschaulicht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Kinik Lüneburger Heide: Formen von Essstörungen: http://www.klinik-lueneburger-heide.de/essstoerungen/formen_essstoerungen/ formen_von_ essstoerungen.php)
Es werden von Buddeberg-Fischer (2000, S. 6 f) nur zwei eindeutige Syndrome beschrieben, die unter den „Verhaltensauffälligkeiten in Verbindung mit körperlichen Störungen und Faktoren“ eine wichtige Rolle einnehmen. Sie sind unter der Gruppe F5 der "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ICD-10 kurz für "I nternational Statistical C lassification of D iseases and Related Health Problems", die Ziffer 10 bezeichnet die 10. Revision der Klassifikation) zu finden (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information: http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/). Diese beiden bekanntesten Erscheinungsformen von Essstörungen sollen nun dargestellt werden.
Die Anorexia nervosa, auch (Pubertäts-)Magersucht oder Anorexie genannt, und die Bulimia nervosa, auch bekannt als Ess-Brech-Sucht oder Bulimie, können als populärste Formen der Gruppe der Essverhaltensstörungen bezeichnet werden. Diese Essstörungen können unterschiedliche Merkmale im Verhalten der Betroffenen aufweisen, wodurch man sie in Unterkategorien einteilen kann.
Nach Buddeberg-Fischer (2000, S.6) wird im DSM-IV, dem so genannten „Diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen“, für die Anorexia nervosa folgende Einteilung vorgenommen:
Der restriktive Typus, einerseits, zeichnet sich aus durch andauernd verminderte Nahrungsaufnahme, Einhalten einer strengen Diät, gegebenenfalls zusätzliche gesteigerte körperliche Aktivität zur Steigerung des Energieverbrauchs und folglich entsprechender Gewichtsabnahme.
Der so genannte „Binge-Eating/Purging Typus“, andererseits, definiert sich dagegen durch regelmäßige Anfälle übermäßigem Essens (auch Binge-Eating-Verhalten bezeichnet) und anschließender Gewichtsregulation durch Erbrechen, Abführmittel oder ähnlicher Maßnahmen (Purging-Verhalten) (vgl. Buddeberg-Fischer 2000, S.6f / Dörr, Birnbaum, Rascher 2002, S.233).
Die Anorexia nervosa kann sowohl in einer frühen, kindlichen Entwicklungsphase, in der Adoleszenz oder auch im Erwachsenenalter auftreten. Somit können auch Kinder und Jugendliche im Alter von sechs bis 18 Jahren an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen theoretisch davon betroffen oder dafür gefährdet sein.
Magersucht lässt sich durch folgende Merkmale eindeutig feststellen:
Die von Anorexie Betroffenen halten (vgl. DSM-III-R, Wittchen et al. 1989, S. 99 in Buddeberg-Fischer 2000, S. 6f; DSM-IV in Gerlinghoff, Backmund 2005, S.12) ihr Gewicht streng auf einem sehr niedrigen Niveau, dem Minimum in Anbetracht ihrer Körperlänge und dem Alter. So können sie mehr als 15 oder gar mehr als 25 Prozent, gemessen an der Alters- und Entwicklungsnorm, zu leicht sein und auch in Wachstumsphasen keine Gewichtszunahme verzeichnen (vgl. Schobert 1993, S. 55).
Steinhausen hat 1996 in der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation ICD-10 den Body-Mass-Index (der BMI entspricht dem Körpergewicht in Kilogramm dividiert durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat) von 17,5 oder weniger als Diagnosekriterium für die Magersucht festgelegt (vgl. Raabe 2004, S. 7). Eine Tabelle zum BMI für Kinder findet sich unter dem Punkt 1.3., wo auch weitere Erläuterungen folgen.
Auf seelischer Eben haben die Erkrankten aufgrund ihrer unrealistischen Selbstwahrnehmung große Angst davor, zuzunehmen und dick zu werden, weil sie ein Magerideal zwanghaft anstreben. Oft fühlen sie sich daher trotz Untergewicht, zumindest an bestimmten Körperregionen, zu füllig, was auf ein gestörtes Selbstbild, hinsichtlich des eigenen Körpers, zurückführbar ist. Bei Frauen ist dann das unnatürliche Nicht-Auftreten der Menstruation (Amenorrhoe) in drei oder mehreren Zyklen einerseits eine Folge der Unterversorgung und andererseits ein Diagnosekriterium für die Anorexia nervosa (vgl. Herpertz-Dahlmann 1993, S.54). Bei Männern, die ebenfalls heute immer häufiger an dieser Störung leiden, kann eine vergleichbare hormonelle Störung eintreten, die Libido- und Potenzverlust bewirkt (vgl. Raabe 2004, S. 7).
Typische, familiäre Strukturen scheinen das Auftreten der Anorexie zu beeinflussen: Die sich meist in der Pubertät entwickelnde Magersucht kommt gehäuft in speziell strukturierten Familien vor, die die Ich-Grenzen der Kinder und anderer Familienmitglieder missachten und sehr eng, auch generationenübergreifend, ineinander verstrickt sind, sodass es für die oder den von Magersucht Betroffene bzw. Betroffenen nur bedingt möglich ist, einen eigenen Willen und Selbstständigkeit zu entwickeln. Indem der oder die Betroffene es sich zur Aufgabe macht zu hungern, wird empfundenes Leid ausgedrückt (vgl. Bruch 1991, S. 27f). Denn oft herrscht in den Familien eine Tendenz zu starren, konfliktmeidenden Reaktionen, übersteigerten Leistungserwartungen, gepaart mit vereinnahmendem und überfürsorglichem Verhalten. Durch das Hungern versuchen die Magersüchtigen ein gewisses Maß an Kontrolle zu erlangen, indem sie durch die Unterdrückung ihrer Bedürfnisse mithilfe des Nahrungsentzuges die Aufmerksamkeit innerhalb der Familie auf sich zu lenken. Häufig stammen diese Patient(inn)en aus privilegierten Verhältnissen, in denen Nahrung im Überfluss vorhanden ist, wohingegen paradoxerweise die Adipositas eher in sozial benachteiligten Gesellschaftsschichten auftritt, in denen eher Mangelzustände materieller Art herrschen (vgl. a.a.O.).
Im weiteren Verlauf der Krankheit kann es aufgrund der körperlichen Mangelsituation zu Heißhungerattacken kommen. Außerdem können Medikamente zusätzlich zur Gewichtsreduktion eingesetzt werden, beispielsweise Appetitzügler und Abführmittel (vgl. Schobert 1993, S. 55ff).
Anorexie hat schwerwiegende physische Folgen:
Die körperlichen Auswirkungen des krankhaften Untergewichts können im Extremfall lebensbedrohlich sein. Die physische Mangelsituation äußert sich beispielsweise im Auftreten von Blutarmut, Kaliummangel, verminderter Herstellung weiblicher Geschlechtshormone bis hin zur Unfruchtbarkeit, geringerer Knochendichte, Unterzuckerung und typischen Veränderungen von Laborwerten (vgl. Deutsches Ernährungsberatungs- und Informationsnetz: http://www.ernaehrung.de/tipps/essstoerungen/essstoerungen 11.php#folgen).
Aus der Magersucht mit gelegentlichen Essanfällen aufgrund der dauerhaften Unterversorgung kann sich im weiteren Verlauf der Krankheit ein Stierhunger entwickeln, auch Bulimie, Bulimarexie oder Bulimia nervosa genannt. Diese Essstörung soll im Anschluss erläutert werden.
Bei der Bulimia nervosa können sich oft Anzeichen von oder Übergänge zu einer Persönlichkeits-, Angststörung oder einer „Impuls-Kontroll-Störung“ bemerkbar machen (vgl. Dörr, Birnbaum, Rascher 2002, S.233). Bei der erst 1979 als Essstörung klassifizierten Bulimie entwickelt sich aus dem Wechselspiel zwischen strengen Diäten und dadurch induzierten, exzessiven Essattacken ein Teufelskreis.
Diagnostizieren lässt sich die Bulimie anhand folgender Merkmale:
Entsprechend zur Magersucht liegen auch bei der Bulimia nervosa charakteristische Kennzeichen vor (vgl. DSM-III-R, 1989, S.101 in Buddeberg-Fischer 2000, S. 7; DSM-IV in Gerlinghoff, Backmund 2005, S. 12f):
Wiederholt treten in regelmäßigem Abstand Essanfälle auf, bei denen große Mengen an Nahrung innerhalb kurzer Zeit verschlungen werden, begleitet von einem Empfinden des Kontrollverlustes. Die damit verbundene Gewichtszunahme wird von dem Betroffenen verhindert durch verschiedene ausgleichende Maßnahmen wie Erbrechen, den Gebrauch von Medikamenten wie Appetitzüglern, Entwässerungs- oder Abführmitteln. Erkrankte, die eine solche Art der Gewichtsregulierung betreiben, leiden unter der Bulimia nervosa des „Purging-Typus“. Andere aber greifen regulierend ein durch striktes Fasten und/oder erhöhten Kalorienverbrauch infolge übermäßiger Bewegung und sind daher dem „Non-Purgin-Typus“ zuzuordnen (vgl. Deutsches Ernährungsberatungs- und Informationsnetz: http://www.ernaehrung.de/tipps/ essstoerungen/essstoerungen12.php).
Die Essattacken treten in wiederkehrenden Abständen über einen Zeitraum von minimal zwölf Wochen auf, wobei im Durchschnitt wöchentlich zwei oder mehr Anfälle auftreten (vgl. Herpertz-Dahlmann 1993, S.55). Betroffene haben ständig den Drang, sich eindringlich und mit Hingabe mit ihrer Figur und ihrem Gewicht zu beschäftigen. Außerdem schämen sie sich oft für ihre Krankheit, wodurch es ihnen meist gelingt, diese lange Zeit vor ihrem Umfeld geheim zu halten. Dies jedoch kann zur sozialen Isolation führen (vgl. Adipositas- Online. Informationen für Angehörige: http://www.adipositas-online.info/angehoerige /information/ info. htm).
Nach der ICD-10-Klassifikation gibt es daneben weitere Faktoren, die charakteristische Kennzeichen der Bulimie darstellen, wie beispielsweise die dauerhafte gedankliche Beschäftigung mit dem Thema Essen und eine starke Affinität zu Nahrungsmitteln. Außerdem existiert in den Betroffenen eine ständige Angst vor Gewichtzunahme, die oft aus einer vorhergehenden, zur Bulimie weiterentwickelten Anorexie stammt (vgl. Raabe 2004, S. 9 & Janssen; Senf; Meermann 1997, S.9).
Bei der Bulimia nervosa, die nach Buddeberg-Fischer (2000, S.8) erst Ende der 1970er Jahre von Gerard Russell beschrieben wurde, kommen Elemente der Esssucht (weitere Erläuterungen dazu folgen später) wie unkontrollierbares, zwanghaftes Verschlingen großer Mengen von Lebensmitteln bis zum Erbrechen hinzu, die dazu dienen, negative Gefühle wie Selbsthass, Angst, Wut und Einsamkeit zu betäuben. Der Wunsch nach einem schlanken Körper zwingt die Betroffenen dazu, sich der zugeführten Kalorien durch anschließendes, selbst herbeigeführtes Erbrechen oder Abführen zu entledigen. Die Bulimie kann sowohl bei Unter- als auch bei Übergewichtigen auftreten, jedoch genauso bei Normalgewichtigen (vgl. Grafik S. 17; Raabe 2004, S. 8).
Gegebenenfalls kann die Ess-Brech-Sucht sehr unbemerkt ablaufen, wenn die Süchtigen, von Hilde Bruch (1991, S. 255) als „dünne dicke Menschen“ bezeichnet, scheinbar ein für Alter und Größe normal wirkendes Körpergewicht haben (vgl. Schobert 1993, S. 57 f.).
Die Bulimie hat ebenfalls negative Auswirkungen auf den physischen Zustand der Erkrankten:
Infolge der körperlichen Schädigung, die der von Magersucht Betroffenen generell ähnelt, treten bei dieser Störung weitere Symptome auf, wie beispielsweise Zahnschäden oder Reizungen der Speiseröhre aufgrund der regelmäßig durch Erbrechen in die Mundhöhle aufsteigenden Magensäure (vgl. Deutsches Ernährungsberatungs- und Informationsnetz: http://www. ernaehrung.de/tipps/essstoerungen/essstoerungen12.php).
Für beide Essverhaltensstörungen gelten vorausgegangene psychische Störungen, ein vermindertes Selbstbewusstsein und auch Probleme oder Auffälligkeiten im kindlichen Essverhalten als Risikofaktoren. Ebenso wurden gerade bei Frauen Korrelationen zwischen Essstörungen und sexuellen Gewalterlebnissen und häufig auftretenden, belastenden Konflikten, besonders innerhalb der Familie, festgestellt (vgl. Dörr; Birnbaum; Rascher 2002, S. 260). Dazu folgen weitere Erläuterungen in Punkt 1.7.2. und 1.7.3.).
Zur Prävalenz der beiden Essstörungen wurde festgestellt, dass nahezu jede 100. junge Frau zwischen 13 und 20 Jahren heute Anorexie oder Bulimie hat. Dies kann zwar teilweise intrapersonell erklärt werden oder auf genetische Veranlagung zurückgeführt werden, jedoch nicht ausschließlich und ohne ein Zusammenkommen von stark belastenden Schwierigkeiten der Person oder ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen (vgl. Hurrelmann 2000, S. 16).
Werden nicht alle Merkmale der Syndrome Magersucht und Bulimie bei Betroffenen festgestellt, so liegt eine Vorform der Essstörung vor. Es können auch Mischformen zwischen den verschiedenen Ausprägungen von Essverhaltensstörungen auftreten.
Die beiden bereits erläuterten Essverhaltensstörungen treten meist während oder auch vor der Pubertät auf und zählen zu den häufigsten psychosomatischen Krankheiten. Überwiegend Frauen und Mädchen aus der mittleren oder oberen Gesellschaftsschicht sind davon betroffen, wohingegen die Bulimia nervosa bis zu dreimal häufiger auftritt als die Anorexia nervosa (vgl. Herpertz-Dahlmann 1993, S.57; Offermann 2001, S.15).
Männer sind im Allgemeinen zehnfach seltener an Essstörungen erkrankt (vgl. Buddeberg-Fischer 2000, S.8f). Ursachen dafür werden später noch genauer beleuchtet (beispielsweise unter 1.4.1.).
Im Vergleich der beiden psychischen Erkrankungen Bulimia und Anorexia nervosa lässt sich sagen, dass sie unterschiedliche Ausprägungen der Symptomatik zeigen. Betroffene der Anorexie sind überzeugt davon, dick zu sein und verspüren einen dauerhaften Drang, abzunehmen, wozu ihnen jedes Mittel recht erscheint. Sie verweigern die Nahrung durch Unterdrücken des Hungergefühls, führen aber auch teilweise je nach Typus Erbrechen herbei und greifen zu Abführmitteln. Demgegenüber haben Bulimiker eher Angst davor, zuzunehmen und dick zu werden, befinden sich in einem latenten Hungerzustand und bekommen in regelmäßigen Abständen unkontrollierbare Essanfälle, bei denen Unmenge an Nahrung in kurzer Zeit verschlungen und bis zu 20.000 Kalorien aufgenommen werden. Infolgedessen übergeben sich die von Bulimie Betroffenen bewusst und selbstinduziert, um einer Gewichtszunahme zu entgehen. Das Ausbleiben der Menstruation ist als Diagnosekriterium für Magersüchtige obligatorisch, wohingegen weniger als die Hälfte der Bulimiepatientinnen darunter leiden. Psychisch unterscheiden sie die beiden Störungen anhand der Weise der Körperwahrnehmung, die bei Magersüchtigen gestört und verzerrt ist, wobei Bulimiker ihre physische Situation entsprechend der Wirklichkeit wahrnehmen. Dementsprechend verleugnen Betroffene der Anorexie den Hunger und ihre Krankheit. Sie empfinden sogar Stolz und Zufriedenheit angesichts gelungener Gewichtsreduktion. Danbeben gehen damit eine gestörte Kontaktfähigkeit und Depressionen einher. Betroffene der Ess-Brech-Sucht haben dagegen ein Bewusstsein für ihre Erkrankung und empfinden diesbezüglich Scham, Selbsthass und Schuldgefühle. Des Weiteren leiden sie unter der Angst, nicht mehr das Essen beenden zu können, ziehen sich sozial zunehmend in die Isolation zurück und entwickeln dissoziale Verhaltensweisen (vgl. Janssen, Senf, Meermann 1997, S. 10).
Der 2003 bis 2006 durchgeführt Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) vom Berliner Robert-Koch-Institut lieferte das Ergebnis, dass rund 22 Prozent aller in Deutschland lebenden 11- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen Symptome einer Essstörung aufweisen. Dabei sind Mädchen insgesamt ungefähr doppelt so häufig betroffen wie Jungs. Die Anteile schwanken jedoch in Bezug auf das Alter, wobei 11-jährige beiderlei Geschlechts in gleichem Maße betroffen sind. Mit zunehmendem Alter jedoch steigt der Anteil der Mädchen mit Symptomen einer Essstörung, wobei die Jungen dann weniger darunter leiden (vgl. Hölling: http://www.kiggs.de/experten/erste_ergebnisse/ Basispublikation/ GesundheitsverhaltenEntwicklung.htm).
Nun aber wird der Fokus auf die dritte, bereits erwähnte Form der Essstörung gerichtet, die Binge-Eating-Störung.
Eine weitere, erst in den letzten Jahren bekannt gewordene Essstörung wird als „ Binge-Eating-Disorder “ bezeichnet. Sie stellt eine latente Esssucht dar und ist bisher wenig erforscht (vgl. Gerlinghoff, Backmund 2005, S. 14). Der Begriff dieser Störung wurde erst 1992 im deutschen Raum geprägt. Jedoch liegen hier bereits Merkmale zur Diagnose vor (vgl. Raabe 2004, S. 11f).
Die diagnostischen Kriterien der Binge-Eating-Disorder nach DSM-IV geben dazu folgende Informationen:
Die Betroffenen werden von regelmäßig wiederkehrenden Essattacken geplagt, in denen sie meist von anderen Menschen isoliert aufgrund von Scham unnatürlich große Mengen an Nahrung ohne körperliches Hungergefühl verschlingen und währenddessen Kontrollverlust empfinden. Im Anschluss daran werden sie von Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen geplagt und verfallen in eine depressive Stimmung. Die ungefähr zweimal wöchentlich auftretenden Essanfälle verursachen Stressempfinden und treten während einer Dauer von mindestens drei Monaten immer wieder auf. Allerdings leiten die Betroffenen keinerlei kompensierende Maßnahmen zur Gewichtsreduktion oder Verhinderung der Gewichtszunahme ein, was sie von Anorektikern oder Bulimikern unterscheidet (vgl. Deutsches Ernährungsberatungs- und Informationsnetz: http://www.ernaehrung.de/tipps/ essstoerungen/essstoerungen13.php).
Daher sind die Betroffenen oft übergewichtig (vgl. Adipositas- Online. Informationen für Angehörige: http://www.adipositas-online.info/ angehoerige /information/info.htm).
Die Essanfälle werden oft durch negative Gefühle ausgelöst, mit denen der Esssüchtige anders nicht umgehen kann. Oft ekeln sich diese Erkrankten aufgrund ihres Übergewichts vor sich selbst. Außerdem klagen sie öfter über Depressionen, physische Krankheiten und soziale Konflikte (vgl. Raabe 2004, S. 12f).
Aus dieser Krankheit hervorgehen kann, wie bereits erwähnt, eine Gewichtsstörung, die sich durch krankhaft hohes Übergewicht auszeichnet. Die so genannte Adipositas soll im Folgenden erläutert werden.
Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen tritt eine weitere Gewichtsstörung auf, die von einigen Autoren trotz der bereits vorgenommenen Abgrenzung ebenfalls bei einer psychosozialen Ursache den Essstörungen zugeordnet werden kann, die Adipositas (vgl. Diedrichsen 1990, S. 81).
Es handelt sich um eine sehr häufig auftretende Gesundheitsstörung, „die eine starke psychische und soziale Komponente“ haben kann (vgl. Bründel und Hurrelmann 1996; Seiffge-Krenke 1994 in Hurrelmann 2000, S. 15f.).
Mäßiges Übergewicht, welches entsteht aufgrund übermäßiger Kalorienzufuhr, gepaart mit zu geringem Verbrauch von Energie, ist dabei zu unterscheiden von der Gesundheitsstörung namens Adipositas. Diese bezeichnet eine extreme, krankhafte Form des Übergewichts mit schweren körperlichen und psychosozialen Folgen und gegebenenfalls zahlreichen Begleiterscheinungen. Sie kann teilweise vererbt und damit genetisch mitbedingt sein. Gerade bei Kindern, die erwiesenermaßen heute in sehr hoher Zahl darunter leiden, kann sich aus starkem Übergewicht in einer Vielzahl der Fälle eine Adipositas im Erwachsenenalter entwickeln (vgl. Ehlert 2003, S. 500ff).
Daher soll im Rahmen dieser Arbeit auch der Adipositas einen besonderen Stellenwert eingeräumt werden.
Die Fettsucht oder Adipositas existierte bereits zu Zeiten des Römischen Reiches, als die Menschen im Überfluss lebten, bereits das Dicksein verabscheuten und eine schlanke Figur erstrebenswert war (vgl. Bruch 1995, S. 32f).
Im DSM-III-R Manual werden Übergewichtsstörungen und so auch die Adipositas wegen einer nicht immer gegebenen psychischen oder Verhaltensstörungskomponente nicht als Essstörung bezeichnet, wohingegen sie im Hinblick auf den weitern Verlauf doch eine wichtige Vorläuferrolle für gestörtes Essverhalten einnehmen können und daher individuell bewertet werden müssen (vgl. Buddeberg-Fischer 2000, S.7).
Der Begriff des Übergewichts bedeutet zunächst, dass die Werte für Körpermasse oberhalb der Alters- und Geschlechtsnorm des Körpergewichts liegen (vgl. Ehlert 2003, S. 500). Adipositas (vgl. Stahr, Barb-Priebe, Schulz 1995, S.22) äußert sich in extremem Übergewicht von nicht selten mehr als 40 Prozent. Dabei liegt ein krankhaft erhöhter Körperfettanteil im Vergleich zur Gesamtkörpermasse vor, abhängig von der Altersnorm (vgl. Ehlert 2003, S.500). Bei Kindern und Jugendlichen, die heutzutage, wie auch die Erwachsenen, ebenfalls vermehrt darunter leiden, kann der Körper-Massen-Index (BMI) zur Abgrenzung zwischen mäßigem Übergewicht und Adipositas herangezogen werden. Beispielsweise gilt für Jugendliche ein BMI ab 25 kg/m² als Kriterium für Übergewicht (bzw. Adipositas Grad I). Ist der BMI-Wert allerdings 30 kg/m² oder höher, so wird das Übergewicht als Adipositas (bzw. Adipositas Grad II) bezeichnet. Ein über 40 kg/m² liegender BMI definiert die extreme Adipositas (Grad III) (vgl. Ehlert 2003, S. 501 & Dörr; Birnbaum; Rascher 2002, S. 127).
Die Adipositas, landläufig auch Fettsucht genannt, ist im Kindesalter gekennzeichnet durch ein Übergewicht von mindestens 25 Prozent. Sie ist häufiger bei Kindern und Jugendlichen zu finden als Untergewicht und damit verbundene psychosomatische Störungen (vgl. Schobert 1993, S. 44). Des Weiteren ist die Adipositas verhältnismäßig oft bei Frauen und auch Männern der sozialen Unterschicht und seltener in der Oberschicht zu finden (vgl. Bruch 1995, S.36).
Denn neben einer zu hohen Kalorienzufuhr sind noch weitere Faktoren wie Stoffwechselvorgänge, Bewegungsmangel, die soziale Herkunft und andere Umwelteinflüsse als Ursache für (kindliches) Übergewicht in adipösem Ausmaß zu nennen. Auch genetische Faktoren haben auf die Entwicklung einer Fettsucht maßgeblich Einfluss, vor allem, wenn sie in beiden Familien väter- und mütterlicherseits bereits aufgetreten ist. Tendenzen zur Adipositas verfestigen sich in unserer Wohlstandsgesellschaft bereits in der Kindheit und Jugend, weil dann das oft falsche Ernährungsverhalten (erhöhter Fastfood- oder Süßigkeitenverzehr) sich durch Lernprozesse verfestigt. Des Weiteren werden von Kindern Einstellungen und Werte ihrer Eltern übernommen, die gerade in Familien aus schlechteren sozioökonomischen Verhältnissen sich förderlich auf die Ausbildung einer Fettsucht auswirken können. Darunter fallen Merkmale wie ein Mangel an Willensstärke und Sicherheit, Hilflosigkeit, Abhängigkeit, Tendenzen zur Unterwerfung und Resignation (vgl. Bruch 1995, S. 39f). Daher muss im Rahmen von Familie und Schule entgegengewirkt werden, beispielsweise durch Maßnahmen wie Aufklärung, Stärkung der Persönlichkeiten oder Gesundheitsförderung, worauf später (in Kapitel 4) noch genauer eingegangen werden soll (vgl. Schobert 1993, S. 13).
Mit krankhaftem Übergewicht einhergehen können schwere psychische Belastungen infolge von Diskriminierung und Stigmatisierung durch die schlankheitsorientierte Gesellschaft, sowie folglich eine Minderung des Selbstwertgefühls bis hin zur „psychosozialen Isolation“ (vgl. Bruch 1995, S.37; Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes und Jugendlichenalter, http://www.a-g-a.de/ aga_content.html).
Adipositas kann auch in inaktiven Phasen vorliegen, in denen das Ernährungsverhalten zwar keine Auffälligkeiten (mehr) zeigt, trotzdem jedoch nicht an Gewicht verloren wird. (vgl. Schobert 1993., S. 60).
Übergewicht gilt als ein Risikofaktor für bestimmte Krankheitszustände, beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Stoffwechselkrankheiten, weil zumindest statistische Korrelationen feststellbar sind (vgl. Hurrelmann 2000, S. 78). Die Folgen können eingeteilt werden in „Kardiovaskuläre Risikofaktoren mit Fett- und Kohlenhydratstoffwechselstörungen oder Bluthochdruck, orthopädische Konsequenzen (…), psycho-soziale Probleme und erhebliche emotionale Störungen, die bei dicken Kindern weitaus am häufigsten auftreten.“ (Zit. Schobert 1993 , S. 45).
Des Weiteren ergab sich aus der Adipositasforschung, dass Übergewichtige auf Stress tendenziell durch eine vermehrte Nahrungsaufnahme reagieren, weil Essen auch einen emotionalen, symbolischen Inhalt hat, wodurch sich Gefühle wie „Sicherheit, Lust, Geltung und Zugehörigkeit“ einstellen können. Dadurch kann durch Essen in Belastungssituationen, wie beispielsweise Stress oder Frust, kurzfristig ein regulierender Einfluss auf negative Emotionen ausgeübt werden (vgl. Grunert 1993, S. 129f). Verselbstständigt sich diese Motivation des Essens, erhält die Adipositas psychogenen Charakter, der im Folgenden dargestellt werden soll.
Die Adipositas wird allgemein im Gegensatz zur Anorexie und Bulimie weniger als psychosomatische Krankheit angesehen und daher auch weder in der ICD-10-Kassifikation noch in den internationalen diagnostischen Leitlinien DSM-IV nicht eigenständig aufgeführt. Trotzdem kann sie sich bei einigen Betroffenen in Form einer Esssucht auf seelische Ursachen zurückführen lassen. Angemerkt werden muss an dieser Stelle deshalb, dass nicht alle übergewichtigen oder adipösen Personen infolge psychischer Probleme esssüchtig sind, beispielsweise, wenn körperliche Faktoren, wie hormonelle Störungen oder ähnliches, für das Übergewicht verantwortlich sind (vgl. Schobert 1993, S. 60f).
Zurückzuführen war die Adipositas früher überwiegend auf unzureichendes Wissen über gesunde Ernährung, heute beinhaltet sie daneben ursächlich, wie auch die Anorexia und Bulimia nervosa, einen Suchtcharakter im Falle einer Bine-Eating-Störung und daraus resultierender Adipositas (vgl. Schobert 1993, S. 60f) .
Ausschlaggebend für das Vorliegen einer psychisch bedingten Esssucht ist dabei der ständige Zwang, Unmengen von Nahrung zu sich zu nehmen, obwohl weder Hunger noch Sättigung verspürt werden kann. Betroffene fühlen sich dem machtlos ausgeliefert. Ursächlich können dafür Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung oder traumatische Erlebnisse sein (vgl. Punkt 1.4.3.; Raabe 2003, S. 9ff).
Das zwanghafte Essen hat in solchen Fällen instrumentellen Charakter und dient den Betroffenen dazu, psychosoziale Probleme wie Ärger und Konflikte zu unterdrücken. Dies geschieht jedoch auf einer unbewussten Ebene. Verstärkt wird dieser Prozess, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen (der Förderschule Lernen), durch die damit verbundene Ablehnung, die sie häufig im sozialen Kontext erfahren müssen (vgl. Schobert 1993, S. 60f). Die Binge-Eating-Störung mit der Folgeerscheinung der psychogenen Adipositas tritt im Vergleich zu den beiden anderen psycho-sozialen Essstörungen Anorexia und Bulimia nervosa auch gleichermaßen bei beiden Geschlechtern auf (vgl. a.a.O., S. 62). Auch dies wird später im Rahmen der Ergebnisse der Befragung an saarländischen Schulen mit Förderschwerpunkt Lernen bestätigt werden.
Folglich sind auch übergewichtige Heranwachsende möglicherweise aufgrund psychischer Ursachen von Adipositas betroffen, was sich wie folgt erklären lässt:
Das Ernährungsverhalten von Kindern ist nicht ausschließlich durch das Füttern der Mutter geprägt. Schobert (1993, S.50) misst in Anlehnung an Gilde (1981) den Reaktionen des Umfeldes der übergewichtigen Kinder in Form von verachtenden und abwertenden Äußerungen und Verhaltensweisen eine wichtige Bedeutung bei. Folglich führen entsprechende Einflüsse im Kind zum Rückzug bis hin zur völligen Isolation. Dies vergrößert wiederum das Leiden der Betroffenen erheblich und verfestigt das abnormale, instrumentalisierte Essverhalten, weil Essen als Belohnung und Kompensation negativer Empfindungen erlebt wird und mit positiven Gefühlen eine verstärkende Wirkung auf entsprechende Verhaltensmuster hat. Eingetretene Sättigung wird nicht mehr in angebrachtem Maße vernommen. So bildet sich ein schwer zu durchbrechender Teufelskreis, der lediglich mit Gewichtsreduktion als Therapieziel der Adipösen nicht auf Dauer durchbrochen werden kann. Auch an den seelischen Ursachen muss in diesen Fällen gearbeitet werden.
Genau dieser Aspekt der psychogenen Ursachen von Übergewicht wird sich auch später innerhalb der Auswertung der Befragung bei einigen Kindern und Jugendlichen im zweiten Teil der Arbeit widerspiegeln.
Durch Gegenmaßnahmen ist zu erreichen, dass entsprechende Empfindungen des eigenen Körpers wie Hunger neu gelernt werden und ein gewisser Grad der Selbstkontrolle und –regulierung dafür sorgt, dass der legalen und sozial akzeptieren Droge Nahrung in der Form widerstanden werden kann, dass nachhaltig Gewicht verloren wird (vgl. Schobert 1993, S.50ff).
Schließlich soll noch angemerkt werden, dass sich die psychogene Adipositas auch äußern kann als Folge der Weiterentwicklung der Bulimie, der Hyperorexie (Heißhunger), der Hyperphagie (Vielessen) oder auch der Polyphagie (Allesessen). Sie ist oft verbunden mit emotionalen Störungen, Angst und Depressionen, aber auch mit genetischen Dispositionen oder Stoffwechselstörungen (vgl. Adipositas-Online: http://www.adipositas-online.info/ angehoerige/ information/info.htm).
Für die Entwicklung der seelisch bedingten Adipositas bei Kindern und Jugendlichen haben also auch psychosoziale Faktoren in der Lebenswelt des Kindes große Bedeutung. Die Ursache dieser und anderer Essstörungen lediglich im Körperlichen zu vermuten, erwies sich als falsch, sodass von Steinhausen ein ganzheitlicher Erklärungsansatz der Psychosomatik herangezogen wurde, der sich gegenseitig beeinflussende Aspekte aus Biologie, Psychologie und der sozialen Umwelt miteinander vereint (vgl. Schobert 1993, S. 39ff). Demzufolge kommt eine Übergewichtsstörung „(…) in unteren Sozialschichten häufiger vor, wobei unerwünschte Schwangerschaft, Armut, niedriger Lebensstandard und beengte Wohnverhältnisse häufig Begleitumstände (…) sind.“ (vgl. a.a.O., S. 41).
Von Übergewicht und Adipositas Betroffene sind folglich oftmals sozial benachteiligt in Bezug auf Bildung, Beruf, Verdienst, Einstellung in ein Arbeitsverhältnis, finanziellen Status usw. Damit verbunden ist nicht selten ein Gefühl der Unzufriedenheit, das zur Verminderung des Selbstwertgefühls bis hin zur Ausbildung einer Bulimia oder Anorexia nervosa führen kann (vgl. Ehlert 2003, S. 504).
Besonders die auf Steinhausen basierenden, sowie die letzten Zeilen werden später bei der Untersuchung der Betroffenheit und Gefährdung der Schülerschaft der Schule mit Förderschwerpunkt Lernen eine wichtige Rolle spielen, weil vermutet werden kann, dass genau diese Lebensumstände besonders dieser Zielgruppe zuzuordnen und dadurch diese Kinder und Jugendlich in besonderem Maße von Übergewicht betroffen oder dafür gefährdet sind. Weitere Erläuterungen hierzu folgen im weiteren Verlauf der Arbeit in Kapitel 5.
Daher sollte besonderen Wert auf die Prävention von Adipositas bereits im Kindesalter gelegt werden, denn je länger der bereits adipöse Zustand im Kindes- und Jugendalter anhält, desto großer ist die Gefahr, auch im Erwachsenenalter chronisch adipös zu bleiben und unter entsprechenden Folgeerkrankungen zu leiden. (vgl. Schobert 1993, S. 45). Auch dies wird sich in der Auswertung der Ergebnisse der durchgeführten Befragung im zweiten Teil der Arbeit berücksichtigt werden.
Angemerkt werden kann an dieser Stelle kurz, dass sich besonders eine Störung der Beziehung zwischen Mutter und Kind förderlich auf die Entstehung einer jeden Essstörung auswirkt. Demzufolge muss bei Therapieansätzen auch das psychosoziale Umfeld miteinbezogen werden (vgl. Schobert 1993, S. 44).
Später soll die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas einerseits und die von den anderen, bereits dargestellten Essstörungen andererseits bei Kindern und Jugendlichen mit Förderschwerpunkt Lernen vor dem Hintergrund ihrer besonderen Lebensumstände genauer untersucht werden. Dies liefert Kapitel 5 und auch der folgende Abschnitt zu Ergebnissen zur Verbreitung von Übergewicht bei Heranwachsenden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: KIGGS-Studie: http://www.kiggs.de/experten/downloads/dokumente/ ppt_adipositas.pdf)
Rund ein Zehntel aller Schüler und Schülerinnen sind von Übergewicht und den möglichen körperlichen Folgeerscheinungen, wie Überlastung des Bewegungsapparates, betroffen (vgl. Hurrelmann 2000, S. 16).
Hierbei ist es von großer Bedeutung, ob das übermäßige Essen, das zum Übergewicht führt, psychogene Ursachen hat. In diesem Fall liegt gegebenenfalls gestörtes Essverhalten, möglicherweise in Form einer Binge-Eating-Störung, zugrunde, die sich, wie bereits erwähnt, charakterisiert durch regelmäßige Essanfälle ohne Gewichtsregulation und daher häufiger Gewichtszunahme und Übergewicht (vgl. Klinik Lüneburger Heide: http://www.klinik-lueneburger-heide.de/essstoerungen/formen_essstoerungen/binge_eating_stoerung.php).
Gerade hinsichtlich der im zweiten Teil der Arbeit ausgewerteten Befragung zu Ess- und Gewichtsstörungen an saarländischen Schulen mit Förderschwerpunkt Lernen ist es von großem Interesse, inwiefern die erfassten Schüler/innen von Adipositas und den verschiedenen Essstörungen betroffen sind bzw. ob sich ein besonderes Risiko der Erkrankung darstellt. Ebenfalls sollen Vergleiche zu Kindern aus anderen Studien gezogen werden und gegebenenfalls Abweichungen erklärt werden.
Häufig kann man anhand des äußeren Erscheinungsbildes, das auf Über- oder Untergewicht hindeutet, schon auf eine Essstörung schließen. Der Body-Mass-Index (BMI) ermöglicht es, einen Wert für den Gewichtsstatus einer erwachsenen Person oder auch eines Kindes zu ermitteln. Dabei wird ein Quotient gebildet aus dem Körpergewicht in Kilogramm und dem Quadrat der Körperlänge in Metern. Im Vergleich des errechneten Wertes mit den Angaben der Normtabelle, kann ermittelt werden, in welcher Kategorie (Unter-, Normal-, Übergewicht, (extreme) Adipositas) das Körpergewicht der Person klassifiziert ist (vgl. Ehlert 2003, S. 501).
Für Kinder, auf die in dieser Arbeit das Augenmerk gerichtet sein soll, gilt folgende Einteilung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
BMI-Tabelle nach H. Conners und Mitarbeiter, 1996; A. Ziegler, J. Hebebrand
( Quelle: Alltagsbeschwerden. Ratgeber Gesundheit: http://www.alltagsbeschwerden.de/kinder/bmi-kinder.htm)
Diese Einteilung liefert, wie bereits erwähnt, Diagnosekriterien für die verschiedenen Essstörungen, soll nur ergänzend beigefügt und hier nicht weiter erläutert werden. In den folgenden Abschnitten sollen zunächst die komplexen Entstehungsbedingungen der Ess- und Gewichtsstörungen beleuchtet werden.
Die folgende Grafik soll einen Einblick in das Ursachengeflecht liefern:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: KIGGS-Studie: http://www.kiggs.de /experten/downloads /dokumente/neu_ essstoerungen_ hoelling.pdf)
Zugrunde liegen einer Essstörung nicht nur in der Person selbst liegende Ursachen, darüber hinaus spielen auch gesellschaftliche oder familiäre Gegebenheiten eine Rolle.
Allen von Essstörungen Betroffenen gemein ist das einhergehende Unzufriedensein mit dem eigenen Körper und latente Angst vor dem Erwachsenwerden. Des Weiteren bedeutsam für die Entwicklung solcher Verhaltensstörungen sind Konflikte, Beziehungsstörungen, Probleme in der Sexualität, der Wunsch nach Kontrolle, Autonomie und Attraktivität und vieles mehr, was schließlich suchtartiges Essen oder die Sucht nach Hungern und Kontrolle des Körpergewichts auslöst und verfestigt. Mehrere Bedingungsfaktoren müssen also zusammenkommen, wenn sich eine Essstörung entwickelt. Somit können biologische Gegebenheiten, wie beispielsweise eine Veranlagung zum Übergewicht, nur teilweise zur Herausbildung gestörten Essverhaltens führen. Auch eine Veränderung von Hormonen und Botenstoffen, die zur Regelung von Hunger und Sättigung verantwortlich sind, können sowohl mitunter Entstehungsbedingung als auch Folge einer bereits länger andauernden Störung des Essverhaltens sein. Darüber hinaus sind bestimmte Charaktermerkmale wie Ehrgeiz, Streben nach Perfektion und Selbstzweifel gerade bei Erkrankten der Magersucht und Bulimie typischerweise vorhanden und an der Entwicklung einer Essstörung mit beteiligt. Häufig ist in der Vergangenheit ein traumatisches Erlebnis eingetreten, das wegen unzureichender Verarbeitung zu einer solchen psychischen Störung führt. Auch gewisse Strukturen innerhalb der Familie von Essgestörten sind immer wieder zu finden. Beispielsweise existieren in Bulimie- oder Anorexie-Familien oft hohe Erwartungen und Ansprüche gegenüber anderen Familienmitgliedern, wenig emotionale Zuwendung und der Schein einer problemfreien Familie. Auch das Streben nach Schlankheit führt gerade bei Frauen zu Diätversuchen bis hin zur Essstörung (vgl. Therapie-Centrum für Ess-Störungen München: http://www.t-c-e.de).
In den nächsten Abschnitten folgen nähere Erläuterungen zu verschiedenen Entstehungsbedingungen von Essstörungen. Zunächst einmal soll der negative Einfluss des modernen Schlankheitsideals auf die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen erörtert werden.
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