Magisterarbeit, 2005
149 Seiten, Note: 1
EINLEITUNG UND FRAGESTELLUNG
1 DIE PERSÖNLICHKEIT THEODOR W. ADORNOS
2 „DIALEKTIK DER AUFKLÄRUNG“ UND DIE KULTURINDUSTRIE
2.1 Die Industrie und die Produktion der Kulturwaren
2.2 Der Freizeitler und der Stil der Kulturindustrie
2.3 Liberalismus, Amusement, Alltag, Disziplin
2.4 Das Glücksspiel und das Versprechen von Zugehörigkeit
2.5 Die Autoritative Versorgung und Abschaffung der Tragik
2.6 Die Vereinnahmung des Individuums
2.7 Kunst, Geschmack und der Warencharakter der Kunst
2.8 Die Kultur als Reklame
3 DER WARENCHARAKTER VON KUNST UND KULTUR
3.1 Das Marx’sche Erbe
3.2 Adorno und der Warencharakter der Kunst und Kultur
3.2.1 Die Produktion der Kunst und Kultur und die Charakteristika der Kulturware
3.2.2 Das Verhältnis der Konsumenten zu den Kulturwaren, das Kunstwerk in der Kulturindustrie
3.2.3 Die Musik als Ware
3.2.3.1 Der Tauschwert und Fetischcharakter der Musik
3.2.3.2 Die Musik und ihre Zerstörung durch die Kulturindustrie
3.2.3.3 Die Standarisierung der Musik
3.2.3.4 Die Regression des Hörens
3.2.3.5 Der Jazz
4 DAS INDIVIDUUM IN DER KULTURINDUSTRIE
4.1 Das Bedürfnis
4.1.1 Der Ursprung der Bedürfnisse
4.1.2 Die Kulturindustrie und die verwalteten Bedürfnisse
4.1.3 Die Oberflächen- und Tiefenbedürfnisse
4.1.4 Die Bedürfnisse in der monopollosen Gesellschaft
4.2 Die Freizeit
4.3 Die Halbbildung
4.3.1 Die Halbbildung im Allgemein
4.3.2 Unbildung vs. Halbbildung
4.3.3 Die Entstehungsorte der Halbbildung, die Halbbildung und das Kleinbürgertum
4.3.4 Die kulturindustrielle Halbbildung als Religion
4.3.5 Die Halbbildung und ihre Konsequenzen
4.3.6 Die (Halb-)Bildung als Ware
4.3.7 Die Wissenschaft
4.4 Der Verfall des Individuums in der Kulturindustrie
4.4.1 Das Individuum und der Kapitalismus
4.4.2 Die Kunst und Kultur als Ware und das Individuum
4.4.3 Die Verdoppelung der Realität
4.4.4 Der schlechte Geschmack
4.4.5 Die Passivität der Menschen
4.4.6 Das falsche Bewusstsein & das falsche Leben
4.4.7 Die Entindividualisierung in der Musik
4.4.7.1 Die Typologisierung der Hörer
4.4.7.2 Der Jazz und das Individuum
5 EINE CHANCE AUF RETTUNG?
6 DIE AKTUALITÄT VON ADORNOS THEORIE DER KULTURINDUSTRIE
6.1 Die Kritik der Theorie der Kulturindustrie
6.2 Die Kulturindustrie heute
6.2.1 Exkurs - das Kunstwerk und sein Ende in der Kulturindustrie
6.3 Die Menschen in der Kulturindustrie
6.4 Fallbeispiele
6.4.1 Nirvana
6.4.2 Bobby McFerrin und Eric Idle
6.4.3 Radiohead
6.4.4 Das Resümee der Fallbeispiele
6.5 Die Gesellschaftskritik Adornos
6.6 Eine Alternative zur Theorie der Kulturindustrie - die Feld-Theorie von Pierre Bourdieu
SCHLUSSWORT
LITERATURVERZEICHNIS
Im Frühling 2003 bin ich zufällig auf ein Buch in einer Buchhandlung in der Wiener Innenstadt gestoßen. Das Buch war im Angebot, es kostete nur fünf Euro. Es hatte einen sehr interessanten Titel - „Dialektik der Aufklärung“ und wurde von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer geschrieben. Ich habe es gekauft, ohne zu ahnen, dass es von großer Bedeutung für meine Diplomarbeit werden sollte.
Manche Ideen, die in diesem Buch dargelegt werden, hatte ich in einer rohen und unausgeführten Form schon lange bevor ich dieses Buch gekauft habe, und gerade deswegen fühlte ich mich diesen zwei großen Autoren und Wissenschaftlern in der Denkweise verwandt. „Dialektik der Aufklärung“ erweckte anschließend mein Interesse für Theodor W. Adorno und sein Opus, was in der Folge dazu führte, dass er im Fokus dieser Diplomarbeit steht.
Im 21. Jahrhundert ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Kultur und Kunst von riesigen Konzernen bereitgestellt wird. Kultur und Kunst sind zum einen wichtigen Teil des Alltags in den westlich-kapitalistischen Gesellschaften geworden. Die Kulturindustrie ist heute zu einem A priori geworden, das selten oder nie in Frage gestellt wird. Alle Sphären der Kulturindustrie werden geforscht, die Menschen werden zu unterschiedlichsten Themen aus dem Bereich der Kulturindustrie befragt. Aber es scheint, dass niemand die Frage stellt, wie und warum die Kulturindustrie überhaupt entstanden ist und warum wir sie brauchen? Oder, mit anderen Worten - ob wir sie überhaupt brauchen? Dann stellt sich logischerweise die Frage - wie hätten das Leben und die Gesellschaft ohne die Kulturindustrie ausgeschaut?
Zu Adornos Zeiten war die Kulturindustrie allerdings ein völlig neues Phänomen, das auch einen neuen wissenschaftlichen Diskurs nach sich zog. Adornos Hauptbeschäftigung im Rahmen der Soziologie war gerade das Phänomen der Kulturindustrie. Er „verfolgte“ die Kulturindustrie von ihrer Entstehung bis zu seinem Tod 1969. Seit damals gab es natürlich viele und große Veränderungen im Bereich der Kulturindustrie und die Behauptung, dass die schon über 35 Jahre alte Theorie der Kulturindustrie von Adorno obsolet geworden ist, ist mehr oder weniger verständlich und gerechtfertigt. Eine Tatsache steht allerdings fest. Adorno war der erste, der sich sehr umfangreich mit der Kulturindustrie und ihren Auswirkungen auf die Menschen beschäftigte. Seine Theorie ist daher die Basis vieler anderer Theorien und hat deshalb einen besonderen Stellenwert im kulturindustriellen Diskurs.
Es gibt mehrere Gründe, die mich bewegt haben, dieses Diplomarbeitsthema auszuwählen. Einerseits ist das die Frage nach der Herkunft und dem Zweck der Kulturindustrie. Durch die alltägliche Präsenz der Kulturindustrie in der globalisierten Welt bietet sich diese Frage an. Dabei geht es nicht nur um die Kulturindustrie selbst, sondern vielmehr um das Verhältnis der Menschen zur Kulturindustrie und um deren Auswirkungen auf die Menschen. Andererseits geht es mir um Theodor W. Adorno selbst, der nicht nur Soziologe war, sondern auch Philosoph und Komponist, was ihm einen umfassenden Blick auf das Phänomen der Kulturindustrie ermöglichte. Er war ein der letzten Intellektuellen aus einer anderen Epoche, der sich den neuen gesellschaftlichen Bedingungen nicht anpassen wollte.
Ziel dieser Arbeit ist es, das Fundament des kulturindustriellen Diskurses darzustellen und damit das Denken Adornos aus den verstaubten Bibliotheksregalen an das Tageslicht zu bringen und ihm vielleicht neues Leben einzuhauchen. Das Thema meiner Diplomarbeit lautet demzufolge: „Die Theorie der Kulturindustrie von Theodor W. Adorno und ihre Aktualität im 21. Jahrhundert“
Drei große Themenbereiche charakterisieren diese Diplomarbeit: zunächst sind das die Kulturindustrie selbst sowie die Stellung der Kultur und Kunst in der Kulturindustrie. Im zweiten Bereich steht der Mensch bzw. das Individuum im Mittelpunkt des Interesses. Dabei werden mehrere Aspekte des menschlichen Lebens betrachtet, die für die Konstituierung des Individuums sind. Und schließlich geht der dritte Themenbereich auf die Aktualität der Theorie der Kulturindustrie näher ein.
Die Diplomarbeit besteht aus sechs Hauptkapiteln. Im ersten Kapitel geht es um die Persönlichkeit Theodor W. Adornos. Dabei ist das Ziel dieses Kapitels nicht eine ausführliche Biographie zu erstellen, sondern nur durch einige markante Hinweise das Leben Adornos zu veranschaulichen. Die knappe Darstellung seiner Biographie dient dem besseren Verständnis der Theorie der Kulturindustrie. Seine familiäre Herkunft, seine Bildung, sein Aufenthalt in Wien und das Exil in den USA sind das Thema dieses Kapitels. Adornos Denken und Verhalten werden durch wenige Eckdaten aus seinem Leben verstehbarer.
Das zweite Kapitel behandelt das Hauptwerk der Theorie der Kulturindustrie - „Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente“, vor allem aber das Kapitel - „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“. Dieses Kapitel enthält die wesentlichen Punkte der Theorie der Kulturindustrie und dient damit als Ausgangspunkt für die weitere Ausarbeitung des Themas. Das dritte Kapitel behandelt das Phänomen des Warencharakters der Kunst und Kultur und ihre Fetischisierung in der Kulturindustrie. Mit anderen Worten werden die Marx’sche Unterscheidung des Gebrauchswertes und des Tauschwertes und die Fetischisierung der Ware genauer betrachtet. Das Phänomen des Warencharakters der Kunst und Kultur wirkt sich auf zweifache Weise aus - erstens auf die Produktion der Kunst und Kultur, die in einer kulturindustriellen Produktion resultiert und zweitens auf das Verhältnis der Menschen bzw. Konsumenten zur Kunst und Kultur. Das Phänomen der Kultur und Kunst als Ware wird dann in der Sphäre der Musik näher dargestellt. Dabei geht es um die Standarisierung und Fetischisierung der Musik, ihre Zerstörung durch die Kulturindustrie und die daraus folgende Regression des Hörens. Der abschließende Teil des Kapitels behandelt das Phänomen des Jazz - seinen Warencharakter, seine Kommerzialisierung und den Faschismus im Jazz.
Im vierten Kapitel geht es um das Individuum in der Kulturindustrie. Zuerst werden die Bereiche des menschlichen Daseins behandelt, die eine Schlüsselrolle für die Konstituierung eines Individuums einnehmen. Die Bedürfnisse stehen im Fokus des ersten Unterkapitels - genauer ihre Ursprünge und ihre Verwaltung in der kulturindustriellen Epoche. Das zweite Unterkapitel behandelt die Freizeit, als ein Nebenprodukt der Arbeit selbst. Freizeit und Kulturindustrie sind seit ihrer Entstehung untrennbar und ihre Existenz ist mehr oder weniger gegenseitig bedingt. Eine wichtige Rolle spielt auch die Bildung, die sich in der Kulturindustrie entscheidend verändert. Adorno nennt diese Art der Bildung Halbbildung. Es geht vor allem um die Entstehung der Halbbildung, ihre Erhebung zur Religion, ihre Konsequenzen, ihren Warencharakter und ihre Auswirkung auf die Wissenschaft. Das Thema des abschließenden Unterkapitels ist der Verfall des Individuums in der Kulturindustrie. Dabei werden mehrere Erscheinungen hervorgehoben - die ökonomische Unabhängigkeit bzw. Abhängigkeit im Kapitalismus, das Verhältnis des Individuums zur Kultur als Ware, die Verdoppelung der Realität durch die kulturindustriellen Produkte, der schlechte Geschmack als Konsequenz des Lebens in der Kulturindustrie, die erzwungene Passivität der Menschen und die Erzeugung des falschen Bewußtseins. Das abschließende Teil dieses Unterkapitels versucht durch ein Beispiel im Bereich der Musik das Phänomen der Entindividualisierung darzustellen.
Eine Chance auf mögliche Rettung in der Kulturindustrie ist das Thema des fünften Kapitels. Dieses kleine Kapitel behandelt Adornos Thesen, die einen Funken im Dunkeln des Pessimismus darstellen. Adornos Theorie der Kulturindustrie und seine Gesellschaftstheorie wurde immer als äußerst negativ und pessimistisch wahrgenommen. Allerdings gibt selbst Adorno, obwohl selten, zu, dass noch immer nicht alles verloren sei und dass es noch immer Hoffnung gibt.
Endlich stellt das letzte Kapitel einen Versuch dar, die Aktualität von Adornos Theorie der Kulturindustrie zu prüfen. Aufgrund der unzähligen Bücher die über Adornos Theorie der Kulturindustrie geschrieben wurden, war es unmöglich alles einzubeziehen. In diesem Kapitel befinden sich verschieden Überlegungen zur Kulturindustrie, welche auf der einen Seite Adornos Theorie der Kulturindustrie bestätigen, auf der andern widerlegen. Mit drei kleinen Fallbeispielen wird gezeigt, wie sich Autonomie in der Totalität der Kulturindustrie herausbilden lässt und wie Widerstand gegen die Kulturindustrie entsteht. Anschließend wird eine alternative Theorie zur Theorie der Kulturindustrie dargestellt - die Feld-Theorie von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu.
Durch diese Diplomarbeit werden dem geduldigen Leser das Denken Adornos und seine Theorie der Kulturindustrie näher gebracht. Mein Wunsch und meine Hoffnung ist, dass dadurch das Interesse für die Persönlichkeit und das Werk dieses großen Denkers geweckt wird.
In diesem einleitenden Kapitel geht es um die Persönlichkeit Theodor Wiesegrund Adornos. Manchmal ist es schwer zu verstehen, warum der- oder diejenige auf diese oder jene Weise gehandelt oder nachgedacht hat. Bei Adorno liegt die Antwort vor allem in seiner Bildung, seiner familiären Herkunft und im Zeitgeist seiner Epoche. Das Ziel dieses Kapitels ist es durch einige Daten aus seinem Leben sein Verständnis der Kultur und der Kulturindustrie zu erklären und nicht über sein Leben und Werk detailliert zu berichten.
Theodor W. Adorno wurde 1903 geboren, also vor dem Ersten Weltkrieg, in der Epoche, in der das Bürgertum in seiner Entwicklung einen Höhepunkt erreicht hat. Das war noch immer die Zeit, in der die Kunst und Kultur noch weitgehend kommerzfrei war, in der das Leben nicht vom Konsum beherrscht wurde. Theodor W. Adorno wuchs in einer bürgerlichen Familie auf. Sein Vater war ein reicher Weinhändler, seine Mutter und seine Tante waren Sängerinnen und Künstlerinnen. In einem Brief an Thomas Mann schrieb Adorno: „Geboren bin ich 1903 in Frankfurt. Mein Vater war deutscher Jude, meine Mutter, selbst Sängerin, ist die Tochter eines französischen Offiziers korsischer - ursprünglich genuesischer - Abstammung und einer deutschen Sängerin. Ich bin in einer ganz und gar von theoretischen (auch politischen) und künstlerischen, vor allem musikalischen Interessen beherrschten Atmosphäre aufgewachsen.“[1] Die künstlerische Tradition in seiner Familie reicht bis zu seiner Großmutter, Elisabeth Henning, die auch musikalisch gebildet war, zurück. Einer ihrer musikalischen Gönner war der bekannte Sekretär und Biograph Beethovens - Anton Schindler.[2] Adornos Großvater, Jean Francois Calvelli, war französischer Offizier und Fechtlehrer und hat im Laufe seiner Karriere fast alle größeren Städte Europas bereist. Sein Großvater väterlicherseits Theodor Wiesegrund Besitzer einer geerbten Weinhandelsfirma, die 1822 in Dettelbach (Unterfranken) gegründet wurde.[3] Adornos Vater, Oscar Wiesegrund übernahm das Familiengeschäft 1896 und kurz danach, 1898, heiratete er Adornos Mutter - Maria Calvelli-Adorno.
In einer solchen Familie hatte Theodor W. Adorno ideale Voraussetzungen für die geistige Entwicklung. Die Verantwortung für seine Bildung übernahmen seine Mutter und Tante. Da seine Tante, keine eigenen Kinder hatte, war ihre Verbindung mit dem jungen Adorno so stark, dass sie zu seiner „zweiten Mutter“ wurde. Die Musik war der Bestandteil des Lebens der „beiden Mütter“ Adornos. Und das wurde anschließend auf Adorno übertragen.[4] Der Einfluss der Mutter und der Tante auf den jungen Theodor war sehr groß, was aus der Tatsache sichtbar ist, dass er den Familiennamen der Mutter annahm, während der Familienname des Vaters nur mit einem Buchstaben vertreten blieb. Die finanzielle Sicherheit und die künstlerisch geladene Atmosphäre zu Hause trugen zur Formung von Adornos Geist bei. Theodor W. Adorno genoss bis zu seiner Emigration in die USA die moralische und finanzielle Unterstützung seines Vaters, was sehr viel für sein professionelles Leben bedeutete.[5]
Von Anfang an war Musik für Adorno von großer Wichtigkeit. „Dieses fast tägliche Musizieren hatte nichts mir dem zu tun, was man damals Erbauung nannte. Mit der Musik war er bereits dem Jugendlichen bitter ernst. Ja, als Zukunftsperspektive schwebte ihm der Beruf der Musikers bzw. des Komponisten vor. So war es kein Wunder, daß er noch im Jahr seiner Reifeprüfung Schüler des Hoch’-schen Konservatoriums wurde.“[6] Im Brennpunkt seines Interesses befand sich allerdings nicht nur die Musik. Während seiner Studienzeit galt sein Interesse mehreren Fächern. Er studierte Philosophie, später auch Psychologie und Soziologie. Sein Interesse reichte viel weiter über die Grenzen dieser Fächer. Er versuchte auch in anderen Bereichen, wie z.B. in der Kunstgeschichte, Fuß zu fassen.[7]
Anschließend studierte Adorno auch Komposition, unter anderem auch sechs Monate in Wien, wo er Unterricht vom bekannten Komponisten Alban Berg erhielt. Daher auch seine Begeisterung für die Zwölftontechnik, die er in Wien kennenlernte, und ihren Erfinder - Arnold Schönberg. Das Studium der Komposition in Wien beschaffte Adorno die Eintrittskarte in die Wiener Kunstkreise, die zu dieser Zeit einen Höhepunkt erreichten. Die Erfahrung in Wien bedeutete sehr viel für den jungen Adorno. Die Musik, die er in Wien kennenlernte, stellte den Ausdruck der Freiheit in der unfreien Gesellschaft dar. Diese Musik stellte für Adorno einen Weg in die Welt dar, in der das kritische Denken noch immer möglich war. Nach Adorno wäre die Musik als Kunst das Mittel für die Befreiung der Menschen von der Kulturindustrie. Statt dessen befand sich die Kultur und die Kunst in einem Abhängigkeitsverhältnis zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System.
Wien war also eine besondere Erfahrung für Adorno. „Es gab hier eine intellektuell lebendige, halb bürgerliche, halb antibürgerliche Szene, die sich im Lebensstil wie im Denken von den etablierten wirtschaftsbürgerlichen Kreisen sowie dem sozial geschwächten Adel abhob. Als Beispiele für diese Szene sei verwiesen auf die Künstlervereinigung der Sezessionisten, auf Egon Schiele, Gustav Klimt, Peter Altenberg, Oskar Kokoschka, insbesondere auf Karl Kraus und die von ihm geschriebene Zeitschrift Fackel, schließlich im weiteren auf die von Sigmund Freud initiierte Psychoanalytische Vereinigung, auf jene Literaten, die in den von Ludwig von Ficker herausgegebenen Literaturheften Brenner publizierten, ferner auf die überregional aktive Internationale Gesellschaft für neue Musik, die sich gerade auch für die Werke der Zweiten Wiener Schule einsetzte.“[8] Diese künstlerischen Kreise hatten was Besonderes an sich. In der Zeit der Kommerzialisierung ist es ihnen gelungen (zumindest vorübergehend) sich selbstständig zu machen, was ihnen eine Unabhängigkeit von der Wirtschaft und den Wirtschaftskreisen zu erlangen ermöglichte. Diese kleinen Gesellschaftszirkel, die es in Wien zwischen den Weltkriegen gab, hielten, aus Adornos Sicht, das Monopol auf „Wahrheit“. Nur in diesen Enklaven war es möglich, den Betrug des Systems und der Kulturindustrie zu durchschauen. Die Reste der freien Kunst, wie Schönbergs Musik, waren die kleinen Enklaven, in denen man die Freiheit des Geistes fühlen konnte.
Adorno war ein Intellektueller aus einer anderen Zeit. Profile wie die Adornos sind heute sehr selten anzutreffen. Er war der Augenzeuge des Niedergangs, einer von ihm idealisierten bürgerlichen Welt. Er versuchte das Bürgerliche in seinem Denken und Verhalten in einer Welt der Kulturindustrie beizubehalten, was oft befremdend wirkte. Er sah sich selbst als einen Intellektuellen, was ihm seine ungewöhnliche Haltung gegenüber der Gesellschaft ermöglichte. Aus dieser Haltung heraus entsteht das, was wir oft als Snobismus bezeichnen und negativ bewerten.[9] Der Snobismus wurde Adorno immer wieder vorgeworfen. Von den anderen wurde er als ein Intellektueller wahrgenommen, der nie den „normalen“ Menschen eine Chance gab. Auch viele seiner Schriften und Bücher werden wegen des Snobismus abgelehnt. Er erscheint uns manchmal wie ein Spaßverderber.[10] Allerdings muss die Frage gestellt werden, ob wir wirklich eine derartige Theorie einfach ablehnen dürfen und ob Adornos Verhalten im klassischen Sinne snobistisch war. Seine Haltung war die einzige Strategie, um die alte bürgerliche Welt oder Reste davon, die nach dem ersten Weltkrieg langsam verloren gingen, zu schützen. Der Snobismus war für Adorno die einzige Möglichkeit sich von der Welt der Kulturindustrie, von der zunehmenden Vergesellschaftung und Integration zu schützen. Diese Haltung ermöglichte ihm einen scharfen und gnadenlos kritischen Blick auf die Gesellschaft und die Kulturindustrie. Der Snobismus war eine Art des Widerstands, eine Art des Schutzes vor der drohenden Flut des Kapitalismus und der Kulturindustrie. Dies ist keine Rechtfertigung seiner Haltung, sondern nur eine Erklärung der Haltung eines Intellektuellen, der vielleicht zur falschen Zeit geboren wurde.[11]
Das Paradoxe bei Adorno ist eigentlich seine Haltung im privaten und im öffentlichen Leben. Politisch stand er links und hat seine Theorie der Kulturindustrie auf der Marx’schen Theorie aufgebaut. Andererseits hatte er während seines ganzen Lebens in der Praxis die elitäre, bürgerliche Position vertreten. Der Grund liegt wahrscheinlich in der Tatsache, dass er wie viele andere marxistisch orientierte Denker, die Rolle der Befreiung der Gesellschaft den Intellektuellen zuschrieb und nicht dem Proletariat. Die Intellektuellen hatten die Rolle die breiten Bevölkerungsmassen aufzuklären und sie in die endgültige Befreiung zu führen. Es mag hart klingen, aber Adorno erwartete nie etwas Großartiges oder Revolutionäres vom Proletariat.[12]
Ende der 30er Jahre war Adorno gezwungen, wie viele andere jüdische Intellektuelle aus Deutschland zu flüchten. Er ging nach England und dann anschließend in die USA. Die Erfahrung aus den USA während der Emigration war auch von großer Bedeutung für den Entwurf der Theorie der Kulturindustrie. Amerika war für Adorno das genaue Abbild des Kapitalismus, der sich in Europa noch nicht in dem Maße ausgebreitet hatte. Die Erfahrungen aus dem nationalsozialistischen Deutschland wurden im Land des fortgeschrittenen Kapitalismus noch einmal wiederholt. Er sah den anwachsenden kulturindustriellen Betrieb, als einen Verbreiter der Ideologie, vor der er flüchtete.
In New York war er Mitglied des neugegründeten Institutes für Sozialforschung, wo er an der Erforschung von Radiosendungen (Radio Research Project) beteiligt war. Dabei war Adorno Leiter der musikalischen Abteilung[13]. In den 40er Jahren entstand das Hauptwerk zur Theorie der Kulturindustrie in der Zusammenarbeit mit Max Horkheimer, „Dialektik der Aufklärung“, die 1944 veröffentlicht wurde. Nach dem Krieg kehrte Adorno zurück nach Deutschland, wo das Institut für Sozialforschung gerade neu gegründet wurde.
Adorno erlebte den Niedergang eines goldenen Zeitalters der bürgerlichen Kultur. Ein Denker seiner Art konnte nicht ruhig die Zerstörung der Chance auf Befreiung beobachten und sich damit zufrieden geben. Daher war er kompromisslos, weil der Kompromiss mit der Kulturindustrie, wo es keine echte Erfahrung oder Individualität geben kann, der Eingliederung in das System gleichgekommen wäre.
Sloterdijk schätzt Adorno und sein Denken auf folgende Weise ein: „Adorno gehörte zu den Pionieren einer erneuerten Erkenntniskritik, die mit einem emotionalen Apriori rechnet. In seiner Theorie wirken Motive krypto-buddhistischen Geistes. Wer leidet, ohne zu verhärten, wir verstehen; wer Musik hören kann, sieht in hellen Sekunden hinüber in die andere Seite der Welt. Die Gewißheit, daß das Wirkliche in einer Handschrift von Leid, Kälte und Härte geschrieben ist, prägte den Weltzugang dieser Philosophie. Zwar glaubte sie kaum an Änderung zum Besseren, gab aber der Versuchung, sich abzustumpfen und ans Gegebene zu gewöhnen, nicht nach. Empfindsam bleiben war eine gleichsam utopische Haltung - die Sinne für ein Glück geschärft zu halten, das nicht kommen wird, jedoch uns im Bereitsein für es vor den ärgsten Verrohrungen schützt.“[14]
Die letzten zwei Jahrzehnte verbrachte Adorno lehrend auf dem Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Er blieb in seiner Kritik der Kulturindustrie, die er in der Öffentlichkeit präsentierte, konsequent. Er starb im Sommer 1969 nach einem Herzanfall.
„Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente“ ist eines der bedeutsamsten Werke der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie. Dieses Buch ist in enger Zusammenarbeit Adornos mit dem Leiter des bekannten Instituts für Sozialforschung, Max Horkheimer, entstanden. Das Buch besteht aus mehreren Kapiteln, von denen eines von großer Bedeutung für diese Diplomarbeit ist. Das ist das Kapitel unter dem Namen „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“. Dieser Begriff, zu jener Zeit ein Neologismus, bezeichnete am besten die Ideen beider Autoren. Sie sahen in den modernen kapitalistischen Gesellschaften eine starke Neigung zur Ideologie. Im Unterschied zum Kommunismus in der Sowjetunion, wird die Ideologie in den westlichen Gesellschaften unbemerkbar verbreitet.
Adorno und Horkheimer wählten den Begriff Kulturindustrie mit der Absicht, diese Tendenzen und Verhältnisse in der Gesellschaft aufzuzeigen. Der Begriff „Kulturindustrie“ bezeichnet etwas Planbares und im Voraus bestimmtes. Es geht also nicht um Massen- oder Volkskultur, die aus dem Volk stammt. Kulturindustrie ist genau das Gegenteil davon. Sie kommt von oben und wird den Massen aufgezwungen. „Das Wort Kulturindustrie dürfte zum ersten Mal in dem Buch Dialektik der Aufklärung verwendet worden sein, das Horkheimer und ich 1947 in Amsterdam veröffentlichten. In unseren Entwürfen war von Massenkultur die Rede. Wir ersetzten den Ausdruck durch ,Kulturindustrie’, um von vornherein die Deutung auszuschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst. Von einer solchen unterscheidet Kulturindustrie sich auf äußerste.“[15]
Dieses äußerst pessimistische Buch stellt eine Diagnose der Zeit dar und behauptet, dass die Aufklärung, die sich in den abendländischen Ländern mit dem Ziel der Befreiung der Menschen und des menschlichen Verstandes vollzogen hat, keine echte ist. Das Leben der Menschen wird in einen Käfig von vorgesehenen Möglichkeiten eingesperrt. Das Leben entwickelt sich in der Folge zu einem Betrug. Das menschliche Äußere bleibt erhalten, wobei die Seele ausgesaugt wird. Die zentrale These der Dialektik der Aufklärung liegt in der Tatsache „daß, wenn der Geschichtsprozeß in die universale Herrschaft totalitärer Irrationalität einmündet, die Ursache hierfür nicht im Gegensatz der Klassen aufzusuchen ist, sondern in einer Erkrankung der Vernunft von den frühesten Anfängen der Menschheitsgeschichte an.“[16]
In dieser Welt bleibt niemand verschont. Das Proletariat wird so wie so von der Kulturindustrie beherrscht, aber auch die Intellektuelle, denen das gesellschaftliche System im kapitalistischen Zeitalter keine Möglichkeit, als die der Konformität, bietet. Die Intellektuellen mögen in den Anfängen der Kulturindustrie einen gewissen Grad an Freiheit gehabt haben, der allerdings bald nicht mehr möglich war. In einem geschichtlichen Prozess hat sich die Idee der Aufklärung herausgebildet. Ihr Ziel war die Befreiung der Menschen von Mythen, mit denen die Menschen seit eh und je gelebt haben. Mit anderen Worten war ihr Ziel die Entzauberung der Welt. Der Glaube an den menschlichen Verstand spielte eine zentrale Rolle im Prozess der Aufklärung. Die Aufklärung war Adorno und Horkheimer zufolge die Hauptvoraussetzung für eine freie Gesellschaft. Allerdings erlebt sie in der Zeit der Kulturindustrie eine grundlegende Veränderung. Sie wird mit der Informiertheit gleichgestellt. Aufgeklärt zu sein heißt aber nicht nur über die Informationen zu verfügen und sie weiter zu verbreiten, sondern die Möglichkeit in der Welt Erfahrungen zu machen, die Welt wahrzunehmen und vor allem zu denken. Die Erfahrungen mit dem Kulturmaterial sind in der kapitalistischen, vorstrukturierten Arbeit nicht mehr möglich, das einzige was übrig bleibt sind die Gebrauchanweisungen.[17] Die Welt der Gebrauchsanweisungen hat die Menschen diszipliniert, ohne dass sie sich dessen bewusst waren.
Die Menschheit erlebt eine absolute Entfremdung. Die Informiertheit übernimmt die Rolle des Wissens. Das Wissen, das einmal die Grundlage des Denkens war, wird durch die Beschränkung auf bloße Tatsachen ersetzt, wodurch das Denken der Menschen gelähmt wird. Dadurch erstarrt die Gesellschaft.[18] Die menschliche Gesellschaft verliert die Dimension des Menschlichen. Die Dinge beginnen die Kontrolle über die Menschen zu übernehmen. Die einzige erlaubte Änderung in dieser Gesellschaft ist die in der Quantität, während die Qualität unverändert bleibt. Herbert Marcuse nennt dies das „Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens, worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universums herabgesetzt werden. Sie werden neubestimmt von der Rationalität des gegebenen Systems und seiner quantitativen Ausweitung.“[19]
Jede Veränderung, die in der Gesellschaft vorkommt, ist nach Adorno keine echte, sondern nur eine gelungene Tarnung des Systems, in dem die Immergleichheit das herrschende Prinzip ist. In die Gesellschaft wird eine Ideologie eingeschmuggelt, die die Menschen um die Wirklichkeit betrügt. Sie lässt eine begrenzte Zahl an Möglichkeiten zu und alles, was nicht in das Angebot passt und der herrschenden Ideologie nicht entspricht, muss entweder vernichtet oder dem System angepasst werden. Kultur und Kunst wurden zum ausgezeichneten Instrument des gesellschaftlichen Systems. Sie nehmen den vorherrschenden Platz in der Verbreitung der Ideologie ein. Die Möglichkeit der Änderung in der Kulturindustrie wird verschleiert. Die kapitalistische Herrschaft stellt sich selbst als ewig dar, genauso wie jede andere Herrschaftsform. In diesem Sinne stellt die gegenwärtige Gesellschaft keinen Fortschritt im geschichtlichen Prozess.
Zahlreiche Angebote der Kulturindustrie sind so gestaltet, dass ein Wahlzwang entsteht. Kultur und Kunst werden, wie jede andere Ware, angeboten. Das macht den Niedergang der Kunst und Kultur aus, da sie auf einem Fließband produziert werden und ihre Echtheit verlieren.
Die Kulturindustrie darf, so Adorno, nur als ein Ganzes angesehen werden. Deswegen soll sich die Erforschung der Kulturindustrie auf die Gesamtheit aller kulturindustriellen Erscheinungen ausrichten. Die Kritik, die an der Kulturindustrie auszuüben ist, darf nicht auf bestimmte Bereiche beschränken werden, da in einem solchen Fall der „universelle Verblendungszusammenhang“ aus den Augen verloren ginge.[20]
Das kapitalistische System funktioniert dank der Herrschaft der Ideologie, die sich unsichtbar unter den Bevölkerungsmassen verbreitet. Das perfekte Instrument für ihre Verbreitung ist die Maschinerie der Kulturindustrie. „Und diese Herrschaft muß sich nicht verstecken, im Gegenteil, sie verstärkt sich noch, indem sie sich selbstbewußt als solche präsentiert.“[21] Die Transparenz dieser Herrschaft ist also gewollt. Die Umsatzzahlen werden mit Stolz veröffentlicht, man versucht den industriellen Charakter der Kulturindustrie überhaupt nicht zu verdecken.
Das vorher schon erwähnte Kapitel „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ kann in mehrere Abschnitte unterteilt werden. Es sind insgesamt acht Bereiche[22]:
1. Die Industrie und die Produktion der Kulturwaren
2. Der Freizeitler und der Stil der Kulturindustrie
3. Liberalismus, Amusement, Alltag und Disziplin
4. Das Glücksspiel und das Versprechen von Zugehörigkeit
5. Die Autoritative Versorgung und Abschaffung der Tragik
6. Die Vereinnahmung des Individuums
7. Kunst, Geschmack und Warencharakter der Kunst
8. Die Kultur als Reklame.
Im Folgenden werden diese Abschnitte näher dargestellt.
Der technologischen Entwicklung am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts folgte eine grundlegende Veränderung in der Gesellschaft. Die Verbreitung der Technologie war Adorno zufolge eine der Voraussetzungen für die Entstehung der Kulturindustrie. Die Technologie wurde zwar zuerst in der materiellen Produktion eingesetzt. Das hat die Massenproduktion der Ware ermöglicht. Allerdings war sie nicht möglich ohne die Abnehmer, die selbst in der (Massen-)Produktion arbeiteten.
Der entscheidende Umbruch in der industriellen Produktion der Waren wurde von Henry Ford initiiert. Er war mit dem Problem konfrontiert, wie die Nachfrage nach seinen Autos zu erhöhen war. Die Lösung war äußerst einfach, allerdings sehr revolutionär für die damalige Zeit. Er erhöhte die Löhne in seiner Fabrik, was bald in der Steigerung der Umsatzzahlen resultierte. Ein Teil der Löhne, die seinen Arbeitern ausgezahlt wurden, floss also zurück, da die Arbeiter sich jetzt ein Auto leisten konnten. Sein Muster wurde bald von den restlichen Industriellen angewandt, was, im Anschluss, die Massenproduktion der Güter ermöglichte. Die von Henry Ford angewandte Methode wurde als Fordismus bezeichnet. Der Fordismus stellte den Beginn der Entwicklung der Konsumgesellschaft dar.
Zusätzlich wurde die Arbeitszeit kürzer, was den Menschen mehr Zeit für den Konsum ließ. Bei den Arbeitern sind also zwei neue Erscheinungen zu beobachten - Freizeit und mehr Geld. Sie bekommen das Geld, das sie während der Freizeit für die Konsumgüter ausgeben können, an deren Erzeugung sie ursprünglich beteiligt waren.
Eine neue Gesellschaft war im Entstehen - die Konsumgesellschaft. Die zunehmende Produktion und der anschließende Konsum haben sich später auf den Bereich der Kultur und Kunst ausgebreitet, allerdings nicht ohne Konsequenzen für ihre Qualität. Die Echtheit der Kulturprodukte in der Kulturindustrie geht aus mehreren Gründen verloren. Zuerst werden sie industriell erzeugt, also auf einem Fließband und in einem Produktionsprozess, dessen Charakteristikum die Arbeitsteilung ist. Zudem werden die Kulturprodukte ausschließlich mit Gewinnabsicht produziert. Sie sind jetzt also Güter, die massenhaft produziert werden und damit ihre genuine Eigenschaft des Kunstwerkes verlieren. „Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit. Film, Radio, Magazine machen ein System aus. Jede Sparte ist einstimmig in sich und alle zusammen.“[23]
Wie schon erwähnt, war die Massenproduktion der Kulturgüter technologisch bedingt. Ein reiches Angebot an kulturellen Gütern war erst durch den Einsatz der technologischen Mittel möglich. Dabei handelt die Technik nicht selbstständig und ohne Kontrolle, sondern nur als ein Instrument der Wirtschaft und des gesamten gesellschaftlichen Systems.[24] Der technologische Fortschritt verursachte eine massive Steigerung der Produktion. Das Fließband wurde zum Symbol dieser Produktion. Nach demselben Muster wurden dann auch die Kulturgüter produziert. Die serienweise Produktion der Kulturgüter resultiert im Großen und Ganzen in der Standarisierung dieser Güter.
Die Steigerung des Lebensstandards hat Millionen von Menschen die Kulturgüter zugänglich gemacht, was wiederum die Massenproduktion dieser Güter notwendig machte. Auf einer Seite befanden sich zahllose Individuen, auf der anderen wenige Produktionszentren. Können die Bedürfnisse einer so großen Anzahl von Menschen mit den standardisierten Produkten befriedigt werden? Adorno und Horkheimer bestreiten nicht die Echtheit der Bedürfnisse der Menschen in den Anfängen der Kulturindustrie: „Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert. In der Tat ist es der Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis, in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt.“[25] Die unglückliche Folge dieses Teufelskreises ist, dass das Publikum mit seinen Bedürfnissen zu einem Teil des ganzen Systems der Kulturindustrie wird. Die Bedürfnisse der Konsumenten werden also im Produktionsplan miteinberechnet. Die Behauptung, dass die Kulturindustrie nur den Bedürfnissen der Menschen folgt ist keine berechtigte Entschuldigung, weil diese Bedürfnisse von dem System erzeugt werden.[26] Es geht um einen Gordischen Knoten - die Bedürfnisse werden von der Kulturindustrie produziert, den Menschen aufgezwungen und befriedigt. Wenn die bestehenden Bedürfnisse befriedigt und veraltet sind, dann werden neue Bedürfnisse geschaffen. In seiner Abhängigkeit wird der Konsument zum „ewigen Konsumenten“, der nur noch als „Objekt der Kulturindustrie“ leben kann.[27]
Eine weitere Folge der Kulturindustrie nach Adorno und Horkheimer ist, dass alle Produkte, die nicht gekauft werden, aus dem Angebot verschwinden. Nur das, was sich als rentabel und gewinnbringend erweist, kann im Angebot bleiben. Alle anderen Kulturgüter, unabhängig von ihrer Qualität werden aus dem Angebot zurückgezogen und durch neue ersetzt. Es geht also nicht um die Qualität eines Kulturproduktes, sondern nur um dessen Potential, verkauft zu werden.[28] Tatsächlich ist der Zugang zu den Kulturgütern, die sich als verlustbringend erweisen, erschwert. Ein Beispiel wären die wenig bekannten Filme aus den Ländern, die keine wirtschaftlichen Mächte sind. Diese Filme sind viel schwieriger, wenn überhaupt, zu finden. Alle anderen kulturellen Produkte werden in gleicher Weise behandelt.
Die Unterschiede im Angebot sind vorhanden, aber sie sind, so Adorno und Horkheimer, nicht echt, sondern nur oberflächlich. Diese Differenzierung dient nur als Tarnung, denn hinter dem Schleier des Angebots verbirgt sich immer das Gleiche. „Empathische Differenzierungen wie die von A- und B-Filmen oder von Geschichten in Magazinen verschiedener Preislagen gehen nicht sowohl aus der Sache hervor, als daß sie der Klassifikation, Organisation und Erfassung der Konsumenten dienen. Für alle ist etwas vorgesehen, damit keiner ausweichen kann, die Unterschiede werden eingeschliffen und propagiert.“[29] Das Angebot wird dermaßen gestaltet, dass die Konsumenten den Eindruck einer Vielfalt an kulturellen Gütern haben. Das, was die (unechte) Vielfalt der Güter erzeugt, ist ein Gefühl der freien Wahl. Aber es muss immer folgende Frage gestellt werden: ob der übermäßige Angebot an kulturellen Gütern wirklich eine freie Wahl gewährleistet? Eigentlich werden die kulturellen Angebote nach der Kaufkraft der Kundschaft gestaltet und die Konsumenten „in Einkommensgruppen, in rote, grüne, und blaue Felder, aufgeteilt.“[30] Die Unfähigkeit des Volkes, die Vielfalt des Angebots als unecht zu durchschauen, beziehungsweise die Akzeptanz des Angebots tragen dazu bei, „den Schein von Konkurrenz und Auswahlmöglichkeiten zu verewigen.“[31]
Es geht nicht nur um die Kulturindustrie, sondern auch um das Produktionssystem und seine Auswirkungen in der Gesellschaft. Adornos Kritik der Kulturindustrie ist im weiteren Sinne auch die Kritik der Produktionsweise im Kapitalismus. Das ist die Kritik der fordistischen Art der Produktion und daher die Kritik des vom Fordismus erzeugten gesellschaftlichen Systems.[32]
Durch welchen Stil zeichnet sich die Kulturindustrie aus? Wie gelingt es ihr, die Massen zu manipulieren, sie zu verblenden und sie ihres Protestpotentials zu berauben, wie Adorno behauptet? Was ist das, was die Leute in die Falle der Kulturindustrie lockt?
Das Hauptcharakteristikum der kulturindustriellen Produkte sind nach Adorno und Horkheimer die Einzelheiten, die kleinen Details, die Effekte genannt werden. Obwohl der Sinn und Inhalt der Kulturprodukte immer gleich bleiben, erlebt die kulturindustrielle Landschaft immer wieder eine (falsche) Änderung. Das Mittel zur Erreichung solcher PseudoÄnderungen sind die Effekte, welche die Grundlage jeder Änderung in der Kulturindustrie darstellen. „Die Kulturindustrie hat sich entwickelt mit der Vorherrschaft des Effekts, der handgreiflichen Leistung, der technischen Details übers Werk, das einmal die Idee trug und mit dieser liquidiert wurde.“[33] Die Effekte sind das Hauptelement jedes kulturindustriellen Produktes. Ein solches Produkt als Ganzes ist nur die Summe dieser Effekte. Mit anderen Worten, das Kunstwerk selbst verwandelt sich in einen Effekt. Die (echten) Kunstwerke beinhalten zuweilen auch verschiedene effektgleiche Elemente, mit dem Unterschied allerdings, dass diese Kunstwerke letztlich mehr als die Summe der Effekte sind.
Die Filmeffekte z.B. sind im 21. Jahrhundert bis zur Perfektion entwickelt. Sie sind eines der Gründe, die die Menschen ins Kino locken (z.B. ein Science Fiction Film). Der technisch erzeugte Effekt im kulturindustriellen Produkt spielt also die Hauptrolle, während der Inhalt an Bedeutung verliert. Die Kulturprodukte, die sich nur aus den Effekten zusammensetzen, versuchen keine Botschaft an die Menschen zu überbringen. Wichtig ist so viel wie möglich Tricks einzusetzen und damit das Publikum zu faszinieren.
Mein Beispiel in diesem Zusammenhang wäre die Reihe der Filme über den Geheimagenten 007, James Bond. In diesen Filmen passiert eigentlich immer das Gleiche - es gibt immer gute und böse Kerle, wobei die bösen nach dem verzweifelten Kampf mit Sicherheit besiegt werden. In diesen Filmen wird eine Fülle von Tricks und Effekten verwendet, wobei die Geschichte unverändert bleibt. Für viele Zuschauer war allerdings die Lieblingsfigur nicht der Held, James Bond, sondern der Wissenschaftler unter dem Codenamen Q, der für den britischen Geheimdienst arbeitet. Er ist für die technische Ausstattung des Helden zuständig. Mit diesen technischen Hilfsmitteln gelingt es James Bond seine Feinde zu besiegen. Q ist also für die Spannung im Film zuständig, da alle Tricks und Effekte mit seinen Erfindungen gemacht werden. Ein 007 Film ohne Q wäre ausdruckslos und langweilig, weil seine Hauptelemente, also Effekte, ausgeblieben wären. Die Sympathie der Menschen gegenüber Q symbolisiert ihre Liebe für die Effekte, auf die mit großer Spannung, nach der kurzen Szene mit Q, gewartet wird. Der Sinn der kulturindustriellen Produkte geht verloren, er wird den sinnlosen Einzelheiten, die in den Effekten dargestellt sind, gleichgesetzt. Das Kulturprodukt als Ganzes entbehrt genauso wie seine Details jegliche Bedeutung.
Die Effekte und Tricks in den kulturindustriellen Produkten sind nach Adorno und Horkheimer ein Mittel, das die Menschen vor dem Fernsehapparat stundenlang fesselt. Das ist die Art und Weise, wie die Kulturindustrie die Konsumenten manipuliert, verwaltet und vom Denken ablenkt. Ihnen wird keine Zeit gelassen, um das Gesehene oder das Gehörte zu analysieren oder zu beurteilen, sie stehen unter dem ständigen „Beschuss“ der Effekte, die eine dauernde Wachsamkeit erfordern. Die Wirkung der Details besteht darin, dass die Rezipienten zu passiven Figuren werden. Das Prinzip der Wirkung ist immer gleich, nur die Effekte werden von einem Kulturprodukt zum anderen verändert. Das Ergebnis der Wirkung der Effekte auf die Menschen ist die „Verkümmerung der Vorstellungskraft und Spontaneität der Kulturkonsumenten.“[34]
Der Stil der Kulturindustrie sagt viel über den Zustand der Gesellschaft, in der er vorherrscht. Die Kulturindustrie ist zwar ständig in Bewegung, sie entwirft immer wieder neue Produktformen. Doch es bleibt immer beim Alten. Inhaltlich ändert sich nichts. Neben den Effekten ist die Schnelligkeit der Änderungen ein wichtiges Charakteristikum der Kulturindustrie. „Denn nur der universale Sieg des Rhythmus von mechanischer Produktion und Reproduktion verheißt, daß nichts sich ändert, nichts herauskommt, was nicht paßte.“[35]
Der „Freizeitler“, wie Adorno und Horkheimer den modernen Konsumenten nennen, ist das perfekte Opfer der Kulturindustrie. Mit dem Konzept der Freizeit wurden die Bedingungen geschaffen, in denen die Produkte der Kulturindustrie am besten absetzbar sind. Erst die Freizeit ermöglicht den Massenkonsum, d.h. die Massenproduktion der kulturindustriellen Waren. Nur die Menschen, die genug Geld und Zeit haben, können sich leisten, Kulturprodukte zu konsumieren. Daher ist das Phänomen des „Freizeitlers“ immer im Kontext des Fordismus zu sehen, weil dadurch die Bedingungen geschaffen werden, dass auch breitere Bevölkerungsgruppen den Zugang zum Kulturkonsum haben.[36] Die Freizeit wäre, unter idealen Bedingungen, die Zeit, in der man an sich selbst arbeiten könnte, um dadurch zu einer Selbstverwirklichung zu gelangen. In der Freizeit, die mit der Kulturindustrie verbracht wird, ist das nicht der Fall. „Unter den herrschenden Bedingungen wäre es abwegig und töricht, von den Menschen zu erwarten oder zu verlangen, daß sie in ihrer Freizeit etwas Produktives vollbrächten; denn eben Produktivität, die Fähigkeit zum nicht schon Dagewesenen, wird ihnen ausgetrieben. Was sie dann in der Freizeit allenfalls produzieren, ist kaum besser als das omniöse hobby, die Nachahmung von Gedichten und Bildern, die, unter der schwer widerruflichen Arbeitsteilung, andere besser herstellen können als die Freizeitler.“[37] Die Menschen können nicht mehr produktiv sein, das einzige was ihnen bleibt sind die Befolgung der Gebrauchsanweisungen und der festgelegten Muster der Nutzung. Statt Musik zu machen und dabei vielleicht selbst schöpferisch tätig zu sein, werden die Menschen gezwungen vor dem Fernsehen zu sitzen oder das Radio zu hören und sich mit den, in der Regel, dummen und unintelligenten Sendungen zu vergiften. Der Freizeitler wird in seiner Freizeit der Freiheit beraubt.
Die Kulturindustrie wurde Adorno und Horkheimer zufolge von der Ideologie des Liberalismus geschaffen. Der Liberalismus verlieh ihr eine hervorragende Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Oder mit anderen Worten, alle widerstehenden Formen, die gegen die Kulturindustrie rebellieren, werden unter ihrem Einfluss modifiziert, korrigiert und an die herrschende Ordnung angepasst. Die Kulturindustrie saugt alles ein, verwandelt es, und bietet es an, aber diesmal als ein kulturindustrielles Produkt. „Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert. Einmal in seiner Differenz von der Kulturindustrie registriert, gehört es schon dazu [...]. Realitätsgerechte Empörung wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat.“[38]
Deswegen kann die Kulturindustrie überleben und die Menschen manipulieren ohne von ihnen durchschaut zu werden. Es besteht zwar ein gewisser Grad an Freiheit im kulturindustriellen System, jeder kann tun was er/sie will, aber nur im vom System vorgegebenen Rahmen, jedoch ist das Entkommen von der Kulturindustrie unmöglich. Der Protest mancher gesellschaftlichen Gruppen mag in der seiner Entstehung echt sein, aber mit der Zeit wird er eingesaugt, verarbeitet und den Konsumenten weiterverkauft. Diese Fähigkeit der Kulturindustrie weist auf die „Gesetze“ des Liberalismus hin, in dem die Freiheit nach liberalen Prinzipien verabreicht wird. Die „Tüchtigen“, die diese Gesetze akzeptieren, sind Adorno zufolge „frei“, alle anderen sind gnadenlos zum Scheitern verurteilt.[39]
Die ökonomische Unabhängigkeit ist wichtig für die soziale und geistige Existenz der Menschen. Inzwischen ist das ökonomische Monopol in Form von Riesenkonzernen so mächtig geworden, dass jede Unabhängigkeit unmöglich wird. Adorno und Horkheimer gehen davon aus, dass im Liberalismus alle Menschen einer Macht der Wirtschaftsordnung, also des Monopols, gehorchen müssen, ansonsten werden sie von ihr zerstört. „Was nicht konfirmiert, wird mit einer ökonomischen Ohnmacht geschlagen, die sich in der geistigen des Eigenbrötlers fortsetzt. Vom Betrieb ausgeschaltet, wird er leicht der Unzulänglichkeit überführt.“[40] Jeder Protest eines ökonomisch schwachen Außenseiters, wird von der Kulturindustrie entschärft und damit entmachtet.
Die Kulturindustrie ist in den „liberalen Industrieländern“ entstanden und hat sich in der Folge auf die restliche Welt ausgedehnt. Die liberalen Länder (vor allem die USA) waren zu Adornos Zeiten, aber auch im 21. Jahrhundert Vorreiter in der Schöpfung neuer kulturindustrieller Formen. Der Liberalismus als politisches System war also der beste Boden für die Entwicklung der Kulturindustrie.
Die Massen sind nicht fähig zu sehen, was die Kulturindustrie ihnen antut. Sie sehen nicht, dass die Kulturindustrie nur ein Instrument der Machtausübung ist. Das Gegenteil ist der Fall, die Massen lieben alles, was von der Kulturindustrie kommt, sie akzeptieren widerstandslos und mit Liebe das, was ihnen von der Kulturindustrie angeboten und aufgezwungen wird. „Wie freilich die Beherrschten die Moral, die ihnen von den Herrschenden kam, stets ernster nahmen als diese selbst, verfallen heute die betrogenen Massen mehr noch als die Erfolgreichen dem Mythos des Erfolgs. Sie haben ihre Wünsche. Unbeirrbar bestehen sie auf der Ideologie, durch die man sie versklavt.“[41]
Ein weiteres Charakteristikum der Kulturindustrie ist das Amüsement, mit dem die kulturellen Produkte eingehüllt werden. Das Vergnügen und der Spaß an kulturindustriellen Produkten schaffen ein Gefühl der Zufriedenheit bei den Konsumenten. Dadurch erklärt sich die Konformität der Konsumenten. Die Macht, welche die Kulturindustrie über die Menschen hat, wird nicht durch ein „Diktat“ von oben ausgeübt, ist also kein offensichtlicher und als solcher wahrgenommener Zwang, sondern viel raffinierterer, durch das Amüsement, das als Verlockung dient.[42]
Allerdings ist das Amüsement, das in der Kulturindustrie angeboten wird, kein echtes, sondern wieder ein scheinbares, da es eigentlich, nach Adorno und Horkheimer, überhaupt kein Amüsement in der Kulturindustrie geben kann, denn es schlägt in seinen Gegensatz um. Er formuliert das streng und gnadenlos: „Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus.“[43] Das, was die Kulturindustrie herstellt sind nur „Nachbilder des Arbeitsvorgangs“. Amüsement ist so konzipiert, dass der Konsument keines Denkens bedarf, jeder Gedanke des Rezipienten wird im Keim erstickt. Die Gedanken werden von der Kulturindustrie vorbereitet und den Menschen aufgezwungen, sodass der Mensch sich dem „Vergnügen“ überlassen kann. Deswegen ist dieses Vergnügen nichts mehr als Langeweile, „weil es um Vergnügen zu bleiben, nicht wieder Anstrengung kosten soll und daher streng in den ausgefahrenen Assoziationsgeleisen sich bewegt.“[44]
Aufbauend auf die These, dass das kulturindustrielle Amüsement kein Amüsement ist, behaupten Adorno und Horkheimer, dass die Kulturprodukte auch keine Ablenkung vom Alltag darstellen. Um Ablenkung darzustellen, müsste die Kulturindustrie den Menschen Vergnügen und Amüsement bieten, was nicht der Fall ist. „Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht. Der Wechsel auf die Lust, den Handlung und Aufmachung ausstellen, wird endlos prolongiert: hämisch bedeutet das Versprechen, in dem die Schau eigentlich nur besteht, daß es zur Sache nicht kommt, daß der Gast an der Lektüre der Menükarte sein Genügen finden soll.“[45]
Es geht um den Alltag der Menschen, der in den kulturindustriellen Produkten noch einmal wiederholt wird. In den zahlreichen Fernsehensserien wird immer wieder der Alltag einer „normalen“ Familie dargestellt und dadurch wird der sich immer wiederholende Alltag noch einmal bestätigt. Die Kulturindustrie gibt also ihren Konsumenten keine Chance zu denken, dass es auch anders ginge. „Kulturindustrie bietet als Paradies denselben Alltag wieder an. Escape wie elopement [Flucht] sind von vornherein dazu bestimmt, zum Ausgangspunkt zurückzuführen. Das Vergnügen befördert die Resignation, die sich in ihm vergessen will.“[46] Der Konsum der kulturindustriellen Produkte ist tatsächlich ein „escape“, jedoch ein „escape“ in die vom System vorausbestimmte Richtung. Eine echte Ablenkung und Flucht vom Alltag wäre also erwünscht. Adorno und Horkheimer finden sie nicht schlecht, aber die „wahre“ Flucht würde bedeuten, dass es weiterhin geistige Oasen gibt, in denen die Freiheit des Denkens noch immer vorhanden ist. In der Kulturindustrie ist die Flucht vor der Realität unmöglich, weil sie in den kulturindustriellen Produkten wiederholt wird.[47] Nicht die Ablenkung wird kritisiert, sondern die Wiederholung des Alltags in den kulturindustriellen Produkten. Der Alltag wird zu einer Gefängniszelle, aus der es kein Entkommen gibt. Die herrschenden Lebensmuster werden mit der kulturindustriellen Wiederholung verehrt und damit im Endeffekt verewigt. Die Flucht, die hier zustande kommt ist die Flucht „vor dem letzten Gedanken an Widerstand...“[48]
Die Eintönigkeit der kulturindustriellen Produkte ist das gefährliche an ihnen. „Wer angesichts der Macht der Monotonie noch zweifelt, ist ein Narr. Kulturindustrie schlägt den Einwand gegen sich so gut nieder wie den gegen die Welt, die sie tendenzlos verdoppelt.“[49] Mitspielen in einer solchen Situation heißt nichts anderes als widerstandlose Akzeptanz des erstarrten gesellschaftlichen Zustands. Die Realität und der Alltag werden als unabänderbare Konstanten verstanden und in der Kulturindustrie auf solche Weise präsentiert. Die, die einverstanden sind, haben, nach Adorno und Horkheimer, schon ihre Kapitulation anerkannt und unterschrieben.[50]
Die Kulturindustrie verhält sich letztendlich als ein Instrument zur Disziplinierung der Menschen. Da sie immer mehr in den Alltag eindringt und immer mehr Zeit in Anspruch nimmt, nimmt auch ihr Einfluss auf die Menschen zu. Diese werden von ihr durch das Leben begleitet, ihnen werden die Optionen angeboten, eine der fertig formulierten Bedürfnisse auszuwählen, da die Kulturindustrie diese ohnehin erzeugt und kontrolliert. Diese Situation ist mit der im Supermarkt im 21. Jahrhundert vergleichbar. Es geht um ein zahlenmäßig sehr reiches Angebot an Produkten, die sich nur in der Gestaltung der Verpackung untereinander unterscheiden. Der Inhalt bleibt gleich. Durch den Konsum des Immergleichen werden die Menschen diszipliniert, die Möglichkeit, dass es auch anders ginge, bleibt ihnen verborgen.
Adorno und Horkheimer meinen, dass in der Kulturindustrie das Lottoprinzip des Glücks herrscht. Es wird signalisiert, dass buchstäblich jede/r Erfolg haben kann, er oder sie muss nur auf das große Moment warten, in dem man auserwählt wird. Mit diesem Warten vergeht den meisten Menschen das ganze Leben. Dieses Warten stellt in der Tat eine unheilbare Apathie der Menschen dar, die nichts versuchen, um ihr eigenes Glück zu schaffen, sondern warten, dass das Glück sie findet. Doch ist die Wahrscheinlichkeit, rein statistisch gesehen, dass ausgerechnet ein bestimmtes Individuum von der Kulturindustrie ausgewählt wird, sehr niedrig, wenn nicht gleich Null. „Nicht zu jedem soll das Glück einmal kommen, sondern zu dem, der das Los zieht, vielmehr zu dem, der von einer höheren Macht - meist der Vergnügungsindustrie selber, die unablässig auf der Suche vorgestellt wird - dazu designiert ist.“[51]
Der Zufall wird in der Kulturindustrie auf keinen Fall dem Zufall überlassen. Er „selber wird geplant; nicht daß er diesen oder jenen bestimmten Einzelnen betrifft, sondern gerade, daß man an sein Walten glaubt.“[52] In der Kulturindustrie werden die Menschen ausgewählt, die dann zu Stars gemacht werden. Allerdings ist es unwichtig wer ausgewählt wird, er oder sie muss nur in das gültige Idealbild der Kulturindustrie hereinpassen. Viel wichtiger ist, dass die Massen weiter glauben, dass einer von ihnen auch ausgewählt werden könnte. Dieses Prinzip zwingt die Menschen in die Passivität, durch die jede individuelle (geistige) Initiative verhindert wird. Statt die Initiative zu übernehmen verbleiben die Menschen in einer Art Traum, der besagt, dass auch sie wie die Prominenten leben könnten. Durch die Glorifizierung des Alltags wird das Faktische zur Ideologie. Höhere Zwecke oder Sinn gehen verloren, es bleibt nur die Immergleichheit des grauen Alltags, der selbst zum Zweck und Sinn erhoben wird. „Weil die Produktionsverhältnisse sich so entwickelt haben, daß die Position in ihnen nicht mehr gerechtfertigt werden kann, vielmehr das Ergebnis von Zufall ist, haben sich die Sinnfragen erledigt und mit ihnen die Möglichkeit für ein Denken, das über das Empirische hinausreicht. ,Positivismus’, das Denken in den Begrenzungen einer fraglos hingenommenen Wirklichkeit, wie man sie vorfindet, entspricht einer sozialen Realität von Herrschaft, die sich nicht rechtfertigen läßt und damit die Notwendigkeit dazu umgeht.“[53]
Die Tatsache, dass jeder bekannt und reich werden kann bzw. in der gesellschaftlichen Hierarchie aufsteigen kann, vermittelt das Gefühl von Zugehörigkeit. Dem kulturindustriellen System zu zugehören heißt nichts anderes als dulden und auf das große Moment des Glücks warten. Die Gesellschaft wird dadurch zu einer Ansammlung passiver Individuen, die nichts versuchen, um ihre triste Lage zu ändern.[54]
Adornos Behauptung, dass die Kulturindustrie neue „Arbeitskräfte“ aus den breiten Bevölkerungsschichten rekrutiert, gilt auch im 21. Jahrhundert. Die Berühmten gehören zu denen, die gewartet haben und dann doch „entdeckt“ wurden. Jeder kann also das große Glück erreichen und berühmt und reich werden. Es scheint, dass die Bewerbungsvoraussetzungen für eine „Arbeitsstelle“ in der Kulturindustrie niedrig angesetzt sind, das einzige Problem ist, dass es viel zu viel Bewerber gibt. Auf die Bühne kommen immer neue Stars, die neuen ersetzen die alten, die verbraucht sind. „Die Kulturindustrie hat den Menschen als Gattungswesen hämisch verwirklicht. Jeder ist nur noch, wodurch er jeden anderen ersetzen kann: fungibel, ein Exemplar. Er selbst, als Individuum, ist das absolut Ersetzbare, das reine Nichts, und eben das bekommt er zu spüren, wenn er mit der Zeit der Ähnlichkeit verlustig geht.“[55] Die Menschen sind nur Arbeitsmaterial, ein bloßes Input in der Maschinerie, die für die Produktion des Vergnügens zuständig ist. Das veraltete Material ist nicht mehr interessant und wird, sowohl von der Kulturindustrie als auch vom Publikum, weggeworfen. Alles funktioniert nach dem Prinzip - Kaufen, Wegwerfen, Neukaufen.
Dass die Kulturindustrie unseren Alltag plant, wurde schon gesagt. Der geplante Alltag wird von ihr zusätzlich wiederholt als eine Prophezeiung. Es ist nicht schwierig das zu prophezeien, was schon geplant ist, deswegen glauben die Menschen der Kulturindustrie. „Sie wird zur nachdrücklichen und planvollen Verkündigung dessen, was ist. Kulturindustrie hat die Tendenz, sich zum Inbegriff von Protokollsätzen zu machen und eben dadurch zum unwiderlegbaren Propheten des Bestehenden.“[56] Die Macht der Kulturindustrie ist nach Adorno und Horkheimer daran schuld, dass die Unabhängigkeit und die geistige Souveränität der Individuen immer seltener zu finden ist. Die Unabhängigkeit wird begrenzt, die Individuen können sich nur in diesen, innerhalb der vorausbestimmten Grenzen souverän verhalten.
Jedes Individuum in der Welt der Kulturindustrie muss eine der zahlreichen Möglichkeiten wählen, was nicht zulässig ist, ist keine Wahl. Es wird ein Netz geschaffen, aus dem es kein Entkommen gibt, sogar die Fürsorge wird zu einem Instrument der Kulturindustrie und der gesellschaftlichen Kontrolle. „Die Kulturindustrie aber reflektiert die positive und negative Fürsorge für die Verwalteten als die unmittelbare Solidarität der Menschen in der Welt der Tüchtigen.“[57] Zahlreiche Vereinigungen, Clubs usw., die eigentlich eine Privatsphäre und Autonomie der Menschen sichern sollen, füllen einen anderen Zweck aus. „Dafür steht jeder sich von früh an in einem System von Kirchen, Klubs, Berufsvereinen und sonstigen Beziehungen eingeschlossen, die das empfindsamste Instrument sozialer Kontrolle darstellen.“[58]
Die Tragik und das Leiden sind Adorno und Horkheimer zufolge Bestandteile jeder Gesellschaft, jeder Epoche menschlicher Evolution, sind ja unzertrennbar mit dem Dasein der Menschen verbunden. Sogar in der, von der Kulturindustrie beherrschten Gesellschaft ist die Tragik vorhanden, aber mit einem bedeutenden Unterschied. Durch den Einsatz der Tragik in der Kulturindustrie wird die tragische Erfahrung der Welt nicht gemildert, sondern nur entsprechend klassifiziert. „Wie die totale Gesellschaft das Leiden ihrer Angehörigen nicht abschafft, aber registriert und plant, so verfährt die Massenkultur mit der Tragik.“[59] Nicht nur, dass die T ragik geplant wird, sondern sie nimmt neue Züge an. Die Wiederholung des Alltags und damit verbundene Bestätigung des Bewusstseins wird durch den Einsatz der Tragik zusätzlich unterstützt. Sie wird zu Drohung, „den zu vernichten, der nicht mitmacht, während ihr paradoxer Sinn einmal im hoffnungslosen Widerstand gegen die mythische Drohung bestand.“[60] Das letzte Mittel der Verteidigung der Menschen wird dadurch gegen sie gerichtet. „Tragisches Lichtspiel wird wirklich zur moralischen Besserungsanstalt.“[61] Die entgiftete Tragik und Pseudoindividualität sind zwei Teile desselben Phänomens.
Auf dem Feld der Wirtschaft geht es mit der Freiheit nicht anders. Die zunehmende Konzentrierung der wirtschaftlichen Macht in wenigen Zentren wirkt sich nach Adorno und Horkheimer negativ auf die Eigenschaften des Individuums aus. „Die Möglichkeit, zum ökonomischen Subjekt, Unternehmer, Eigentümer zu werden, ist vollends liquidiert.“[62] In den Anfängen des Kapitalismus war das private Unternehmen ein Rahmenwerk für die Freiheit und Autonomie ihrer Teilnehmer. Der Markt bestand aus vielen kleineren Anbietern und Nachfragern, was eine gewisse Konkurrenz und damit die Freiheit der Marktteilnehmer sichern konnte. Die Entscheidungen konnten mehr oder weniger unabhängig getroffen werden. Freilich, dass das die damalige Situation im Markt keine vollkommene Konkurrenz war, weil sie nur theoretisch möglich ist, aber sie war auf keinen Fall monopolartig. Im monopolistischen Kapitalismus, in dem die Haupttendenz der Verlust der Autonomie des individuellen Subjekts ist, wird die Unabhängigkeit der Entscheidungen nur als Schein weiter erhalten. In der Konsumgesellschaft herrschen die großen Konzerne über den Markt, es bilden sich mächtige Monopole in fast jeder Branche aus. Jede Freiheit im wirtschaftlichen Sinne geht verloren. Zwar bestehen noch immer die kleinen Unternehmen aber sie sind jetzt von den mächtigen Korporationen abhängig. Ihnen wird nur eine Scheinfreiheit gewährt, nur das zu tun was ihnen angeordnet wird.
Bei Adorno und Horkheimer geht es nicht nur um das Finanzielle und Ökonomische. Es geht um etwas viel wichtigeres - um die geistige Unabhängigkeit des Individuums, die nur durch die ökonomische Souveränität erreicht werden kann. Die Kulturindustrie spielt im System des Monopols mit. Mit allen Produkten der Konsumgesellschaft wird versucht den Eindruck des Wettbewerbs im Markt herzustellen. „Der Triumph des Riesenkonzerns über die Unternehmerinitiative wird von der Kulturindustrie als Ewigkeit der Unternehmerinitiative besungen. Bekämpft wird der Feind, der bereits geschlagen ist, das denkende Subjekt.“[63]
Die Menschen bleiben ihrer Freiheit beraubt auf beiden Seiten. Beruflich sind sie von den großen Wirtschaftssubjekten kontrolliert. Sie sind nur ein Teil des ganzen Systems. Andererseits wird auch ihre Freizeit von der Kulturindustrie kontrolliert, so dass die Individuen nur zur leeren Schale werden. „Alle werden zu Angestellten, und in der Angestelltenzivilisation hört die ohnehin zweifelhafte Würde des Vaters auf. Das Verhalten der Einzelnen zum Racket, sei es Geschäft, Beruf oder Partei, sei es vor oder nach der Zulassung, die Gestik des Führers vor der Masse des Liebhabers vor der Umworbenen nimmt eigentümlich masochistische Züge an.“[64]
Paradoxerweise kann man sagen, dass die Menschen in der Kulturindustrie zur Freiheit der Wahl in einer unfreien Umwelt verurteilt sind. In den Epochen vor dem Kapitalismus gab es viele Verbote und Begrenzungen der Freiheit. In der Kulturindustrie werden alle Normen, Gesetze, Tabus gebrochen und die Freiheit zur Auswahl einer der zahlreichen Lebensstile wird gestattet. „Freie“ Gestaltung der Identität wird nach Adorno und Horkheimer erlaubt, aber nur auf diejenige Art und Weise, dass sie sich aus den Angeboten der Kulturindustrie zusammensetzt. Die Angebote sind zwar zahlreich und „unterschiedlich“ (aber noch immer die Ausprägungen einer gleichen Ideologie), so dass es eine autonome und unbeeinflusste Gestaltung der Identität nicht möglich ist. Unzählige Vereinigungen, Verbände, Klubs, die von der Kulturindustrie organisiert werden, stellen ein Netz dar, in das sich fast jedes Individuum, früher oder später, gefangen findet. Die Freiheit in der Kulturindustrie zu wählen kann mit der Wahl zwischen verschiedenen Wegen verglichen werden, die aber alle zum gleichen Ziel führen. „Alle sind frei, zu tanzen und sich zu vergnügen, wie sie, seit der geschichtlichen Neutralisierung der Religion, frei sind, in eine der zahllosen Sekten einzutreten. Aber die Freiheit in der Wahl der Ideologie, die stets den wirtschaftlichen Zwang zurückstrahlt, erweist sich in allen Sparten als die Freiheit zum Immergleichen.“[65]
Die Vereinnahmung des Individuums geht noch einen Schritt weiter. Es reicht nicht aus sich zum System zu bekennen, man muss immer wieder seine Treue bestätigen. Das Abwenden ist nicht erlaubt. Adorno und Horkheimer vergleichen dies mit einem ununterbrochenen Initiationsritus. Jeder muss sich zu einem der angebotenen Lebensstile bekennen. Natürlich ist das Wechseln von einem zu anderem Lebensstil erlaubt, aber ein Ablehnen des Angebotenen wird vom System mit dem Ausschluss aus der Gesellschaft sanktioniert.
Ersetzbarkeit der Menschen im Arbeitsprozess ist das Synonym für die gesellschaftliche Integration. „Die Fähigkeit zum Durch- und Unterschlupfen selber, zum Überstehen des eigenen Untergangs, von der die Tragik überholt wird, ist die der neuen Generation; sie sind zu jeder Arbeit tüchtig, weil der Arbeitsprozeß sie keiner verhaften läßt.“[66] Für Adorno und Horkheimer bedeutet diese Integration nichts anderes als Faschismus.[67] Aber die Schuld für diesen Zustand tragen nicht nur die Herrschenden (Monopole, Riesenkonzerns, Kulturindustrie usw.), die Menschen selbst tragen dazu viel bei. Der Widerstand gegen die Vereinnahmung bei den Menschen ist immer seltener zu finden, es scheint, als ob die Menschen den Traum, der von der Kulturindustrie vorbereitet und produziert wird, lieben. Adorno und Horkheimer formulieren dies tragisch: „Die böse Liebe des Volks zu dem, was man ihm antut, eilt der Klugheit der Instanzen noch voraus... Die Industrie fügt sich dem von ihr heraufbeschworenen Votum.“[68]
Die Ersetzbarkeit der Menschen in der kulturindustriellen Maschine ist auch ein Zeichen für die Zersetzung der Individualität. Dort wo jeder durch jeden ersetzt werden kann, gibt es keine Individualität. Jede Person stellt nur eine Identifikationsnummer dar. „Die einzelne Person ist damit völlig entbehrlich, nur im statistischen Durchschnitt muß die Versorgung mit Arbeits- und Konsumkraft stimmen.“[69] Da das Individuum „entbehrlich“ ist, kann auf es immer verzichtet werden.
Dies verbindet Adorno und Horkheimer mit dem Verhältnis des Allgemeinen und Besonderen. Dieses Verhältnis ist in der Welt der Kulturindustrie kein Verhältnis, weil das Besondere einfach nicht existiert. Das Besondere kann nur dann existieren, wenn seine Autonomie gewährleistet ist, was in der Kulturindustrie nicht der Fall ist. Das, was als das Besondere dargestellt wird, ist nur eine bestimmte Ausprägung des Allgemeinen. Deshalb ist die Individualität in einer solchen Gesellschaft undenkbar. „Das Individuelle reduziert sich auf die Fähigkeit des Allgemeinen, das Zufällige so ohne Rest zu stempeln, daß es als dasselbe festgehalten werden kann.“[70] Die Unfähigkeit der Menschen die Individualität zu bewahren ermöglicht das Voranschreiten der Kulturindustrie, die die Reste der Individualität vernichtet.
Es wird viel zu oft behauptet, dass sich die Individualität aufgrund des technologischen Fortschritts auch in den breiten Bevölkerungsmassen ausgebreitet hatte. Allerdings ist die Technologie nach Adorno und Horkheimer nur zum Instrument der wirtschaftlichen Macht geworden, die die Individualität abgeschafft hat. Adorno sah die Entwicklung der Technik als einen Niedergang des Individuums. Alle sichtbaren individuellen Züge der Menschen sind nach Adorno und Horkheimer nur eine Täuschung, die vom Allgemeinen erzeugt werden: „personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen.“[71] Tatsächlich ist das Individuelle in der kulturindustriellen Epoche meistens durch die äußeren Merkmale gegeben. Die Leute, die sich auf eine besondere Weise kleiden, werden als individualistisch und besonders betrachtet. Aber das Äußere dürfte nie als individualistisch charakterisiert werden. Das wahre Individuum wird durch unabhängiges Denken und geistige Autonomie charakterisiert und diese Eigenschaften werden zunehmend von der Kulturindustrie abgeschafft. Deswegen behaupten Adorno und Horkheimer, dass das Individuum in der Kulturindustrie eine Illusion ist.
Adorno und Horkheimer stellen fest, dass die kapitalistische Gesellschaft die Menschen in die sich immer mehr ausbreitende Isolierung zwingt. „Die absolute Einsamkeit, die gewaltsame Rückverweisung auf das eigene Selbst, dessen ganzes Sein in der Bewältigung von Material besteht, im monotonen Rhythmus der Arbeit, umreißen als Schreckgespenst die Existenz des Menschen in der modernen Welt. Radikale Isolierung und radikale Reduktion auf stets dasselbe hoffnungslose Nichts sind identisch.“[72] Diese Isolierung reicht bis in die geistige und physische Sphäre der Menschen.
Ein Beispiel für die physische Absonderung finden Adorno und Horkheimer in der Änderung des Verkehrswesens, die durch die Erfindung des Autos, das die Eisenbahn zunehmend ersetzte, stattfand. Die sinkende Bedeutung der Eisenbahn und die Erfindung des Autos tragen zu der physischen Isolierung bei. Der Unterschied zwischen der Zug- und Autofahrt ist gewaltig. Es ist wahr, dass das Auto die Mobilität der Menschen ermöglichte und dass ihre physische Unabhängigkeit größer wurde. Aber dadurch wurde das Auto das perfekte Instrument zur Isolierung der Menschen, die vielleicht während einer Zugfahrt auf dem Weg nach Hause ein Paar Sätze gewechselt hätten. „Durch den eigenen Wagen werden Reisebekanntschaften auf halb-bedrohliche hitchhikers reduziert. Die Menschen reisen streng voneinander isoliert auf Gummireifen.“[73] Adorno und Horkheimer konnten nicht einmal ahnen, zu welchen Ausmaßen sich die Autoindustrie ausdehnen, und wie sie sich mit der Kulturindustrie verbinden würde. Heute gibt es nicht nur das Radio, sondern sogar die Multimediageräte in den Autos, was zu Adornos Zeiten undenkbar war. Der Mensch bleibt alleine im Auto mit der Kulturindustrie.
Adorno und Horkheimer vergleichen diese Isolierung mit der Gefängniszelle, in die sich die Menschen freiwillig einsperren. Die Wirklichkeit ist nichts anderes als ein Gefängnis, das keine Wände hat. Obwohl es keine Wände gibt, versucht niemand zu entkommen. Dieses Gefängnis kennt nur einen einziger Wächter - die Kulturindustrie. Der immer eingeschaltete Radio- oder Fernsehapparat lässt nicht zu, dass die Menschen miteinander kommunizieren, sie bleiben nur treue Zuhörer oder Zuseher. Obwohl sie die Zeit miteinander verbringen, bleiben sie alleine mit dem Radio- oder Fernsehprogramm. „Die Isolierung, die man den Gefangenen einmal von außen antat, hat sich in Fleisch und Blut der Individuen inzwischen allgemein durchgesetzt. Ihre wohltrainierte Seele und ihr Glück ist öde wie die Gefängniszelle, deren die Machthaber schon entraten können, weil die gesamte Arbeitskraft der Nationen ihnen als Beute zugefallen ist. Die Freiheitsstrafe verblaßt vor der gesellschaftlichen Wirklichkeit.“[74]
Die Zielgruppe der Kulturindustrie ist Adorno und Horkheimer zufolge vor allem die der durchschnittlichen Menschen. Deswegen wird das Durchschnittliche in ihren Produkten betont und erhoben. Die Frage, ob das gerechtfertigt ist, haben Adorno und Horkheimer folgenderweise beantwortet: „Die Heroisierung der Durchschnittlichen gehört zum Kultus des Billigen. Die höchstbezahlten Stars gleichen Werbebildern für ungenannte Markenartikel.“[75] Das Einzige, was in der Kulturindustrie zählt, ist der Tauschwert der „Kunstartikel“, im engeren Sinne - die Verkäuflichkeit derselben. Adorno und Horkheimer verbinden die Durchschnittlichkeit der kulturindustriellen Produkte mit ihrer Billigkeit. Die Produkte der Kunst waren vor der Zeit der Kulturindustrie den breiten (durchschnittlichen) Bevölkerungsmassen unzugänglich. Die Gründe dafür liegen im grundsätzlichen Desinteresse der Menschen, ihrer physischen Unzugänglichkeit und im Preis. Alle drei Gründe werden in der Kulturindustrie beseitigt: das Interesse der breiten Schichten für die Kunst und Kultur wird erweckt, die Kunst wird allen zugänglich gemacht und der Preis für den Konsum der Kunst wird stark gesenkt.
Das Verstehen der Kunstwerke ist nicht mehr das Hauptkriterium, dem die Menschen bei ihrem Konsum folgen. Zugang zur Kunst hat derjenige, der zahlen kann, was für ihn gleichzeitig eine Demonstration des Statuts, Prestiges und der Macht bedeutet, was Adorno als eine Beleidigung für die Kunst ansah. Wichtig ist z.B., dass man in der Oper gesehen wird und dass man mit dem Erwerb des Tickets in die Gesellschaft der „Auserwählten“ aufgenommen wird. Das Verstehen des Kunstwerkes wurde verdrängt, es ist in der Kulturindustrie sogar unerwünscht.
Die Kunst, so Adorno, sollte nur für diejenigen reserviert sein, die sie auch verstehen können. Die demokratische Tendenz, allen Menschen den Zugang zur Kunst in den Museen, Theatern, Konzerthäusern usw. zu gewähren, ist der Feind der Kunst, da sie dadurch in die Strukturen der Kulturindustrie inkorporiert wird. Die beabsichtigte Aufklärung blieb also aus. Sie wurde ersetzt durch bloßen Zugang zur Kunst und Kultur, der aber keineswegs ein tatsächliches Verstehen miteinschließt. „Die Konstatierung des provinziellen Besuchers des alten Berliner Metropoltheaters, es sei doch erstaunlich, was die Leute für das Geld alles leisten, ist längst von der Kulturindustrie aufgegriffen und zur Substanz der Produktion selber erhoben worden.“[76]
Die echte Kunst konnte nicht für den durchschnittlichen Geschmack produziert werden, weil das ein Verrat an der Echtheit wäre. Die Herstellung des Durchschnittlichen kann also nicht echt im künstlerischen Sinne genannt werden, da es nur um den Verkauf geht, was demzufolge dem Verlust des echten Kunstcharakters gleichzustellen ist.
[...]
[1] Adorno (2003c), S. 27
[2] Vgl. Ebenda, S. 30
[3] Vgl. Ebenda, S. 42
[4] Vgl. Müller-Doohm (2003), S. 39
[5] Vgl. Ebenda, S. 38
[6] Ebenda, S. 62
[7] Vgl. Ebenda, S. 105
[8] Müller-Doohm (2003), S. 131 f.
[9] Vgl. Ebenda, S. 68
[10] Vgl. Steinert (1998), S. 14
[11] Vgl. Ebenda, S. 28
[12] Siehe dazu: Steinert (2003a), S. 17
[13] Vgl. Scheible (1999), S. 98 f.
[14] Sloterdijk (2003), S. 21 f.
[15] Adorno (1996a), S. 337
[16] Scheible (1999), S. 55
[17] Vgl. Steinert (1998), S. 31
[18] Siehe dazu: Paetzel (2001), S. 26
[19] Marcuse (2004), S. 32
[20] Siehe dazu: Kausch (1988), S. 86 und Adorno (1996a), S. 24 f.
[21] Steinert (1998), S. 85
[22] Vgl. Steinert (1998) S. 41
[23] Adorno/Horkheimer (2003), S. 128
[24] Vgl. Ebenda, S. 131
[25] Adorno/Horkheimer (2003), S. 129
[26] Vgl. Ebenda, S. 130
[27] Vgl. Ebenda, S. 150
[28] Vgl. Steinert (1998), S. 87
[29] Adorno/Horkheimer (2003), S. 131
[30] Ebenda, S. 131
[31] Ebenda, S. 131
[32] Siehe dazu: Steinert (1998), S. 85
[33] Adorno/Horkheimer (2003), S. 133
[34] Adorno/Horkheimer (2003), S. 134 f.
[35] Ebenda, S. 142
[36] Siehe dazu: Steinert (1998), S. 86
[37] Adorno (1996b), S. 651
[38] Adorno/Horkheimer (2003), S. 140 [...] hinzugefügt
[39] Vgl. Adorno/Horkheimer (2003), S. 140
[40] Ebenda, S. 141
[41] Ebenda, S. 142
[42] Vgl. Adorno/Horkheimer (2003), S. 144
[43] Ebenda, S. 145
[44] Ebenda, S. 145
[45] Ebenda, S. 148
[46] Adorno/Horkheimer (2003), S. 150 [...] hinzugefügt
[47] Siehe dazu: Steinert (1998), S. 113
[48] Adorno/Horkheimer (2003), S. 153
[49] Ebenda, S. 156
[50] Vgl. Ebenda, S. 153
[51] Adorno/Horkheimer (2003), S. 153
[52] Ebenda, S. 155
[53] Steinert (1998), S. 142
[54] Vgl. Kausch (1988), S. 91
[55] Adorno/Horkheimer (2003), S. 154
[56] Ebenda, S. 156
[57] Adorno/Horkheimer (2003), S. 159
[58] Ebenda, S. 158
[59] Ebenda, S. 160
[60] Ebenda, S. 160
[61] Adorno/Horkheimer (2003), S. 161
[62] Ebenda, S. 162
[63] Adorno/Horkheimer (2003), S. 157
[64] Ebenda, S. 162
[65] Ebenda, S. 176
[66] Adorno/Horkheimer (2003), S. 163
[67] Vgl. Ebenda, S. 163
[68] Ebenda, S. 142
[69] Steinert (1998), S. 141 f.
[70] Adorno/Horkheimer (2003), S. 163
[71] Ebenda, S. 176
[72] Ebenda, S. 239
[73] Adorno/Horkheimer (2003), S. 233
[74] Ebenda, S. 242
[75] Adorno/Horkheimer (2003), S. 165
[76] Ebenda, S. 165
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