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Bachelorarbeit, 2009
55 Seiten, Note: 2,0
Jura - Zivilrecht / Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Kartellrecht, Wirtschaftsrecht
A. Einleitung
B. Wandel der Existenzvernichtungshaftung in der Rechtsprechung
I. Von der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern zur Durchgriffshaftung
wegen Existenzvernichtung.
II. Von der Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung zur
Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB
III. Die Existenzvernichtungshaftung als deliktische Innenhaftung gemäß
§ 826 BGB
C. Die Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB entsprechend der „Trihotel“-Entscheidung
I. Sachverhalt „Trihotel“
II. Entscheidungsgründe des BGH
III. Rechtsgrundlage
IV. Tatbestandsmerkmale der Existenzvernichtungshaftung als Fallgruppe
des § 826 BGB
1. Sittenwidrigkeit
2. Vorsatz
3. Schaden
V. Verhältnis zu §§ 30, 31 GmbHG
VI. Rechtsfolgen
1. Anspruchsgegner.
2. Anspruchsinhaber
3. Darlegungs- und Beweislast
VII. Abgrenzung
D. Konsequenzen für die Attraktivität der Rechtsform GmbH
I. Attraktivität für Gesellschaftsgläubiger.
II. Attraktivität für Gesellschafter
III. Übertragung auf andere Rechtsformen
E. Fazit
Anhang
1. Gründung der A-GmbH (1991)
2. Vorratsgesellschaft J-GmbH (1996)
3. Vorratsgesellschaft W-GmbH (1998)
Literaturverzeichnis
Ehrenwörtliche Erklärung
In der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist der gesetz-liche Kapitalerhaltungsschutz gemäß §§ 30, 31 GmbHG auf das Verbot von Auszahlungen an den Gesellschafter beschränkt, die zu einem Absinken des handelsbilanziellen Eigenkapitals der Gesellschaft unter die Stammkapitalziffer führen oder diesen Zustand vertiefen.[1]
Die Rechtsprechung geht seit der vom Reichsgericht (RG) ent-wickelten „Durchgriffshaftung“[2] davon aus, dass der lückenhafte bilanzielle Kapitalerhaltungsschutz der §§ 30, 31 GmbHG die Gesellschaft vor der Schädigung durch ihren Gesellschafter nicht aus-reichend schützt und kein adäquater Gläubigerschutz gewährleistet werden kann.
Erst mit der Grundsatzentscheidung „Trihotel“ vom 16.07.2007[3] soll der II. Zivilsenat des BGH unter seinem Vorsitzenden Wulf Goette durch die Zuordnung der Existenzvernichtungshaftung zum Delikts-recht ein dogmatisch überzeugendes Haftungskonzept zur Existenzvernichtungshaftung in der GmbH entwickelt haben.[4] Die vorliegende Arbeit geht diesem Lösungsansatz auf den Grund. Dazu bedarf es folgendem Hintergrund:
Der Gesellschafter der GmbH wird durch die Kombination von Haftungs- und Handlungsfreiheit zu risikofreudigen Entscheidungen ermutigt. Der Gesetzgeber sieht den Schutz der Gläubiger als regelndes Moment vor. Sein Ziel ist der Interessenausgleich im Spannungsverhältnis von Gläubigerschutz und rechtlicher Selbständigkeit der GmbH als juristische Person.[5]
Die Gesellschaft ist gemäß § 13 I GmbHG eine juristische Person und somit ein eigenständiges Handlungs-, Vermögens- und Haftungssubjekt. Ihr Vermögen ist von dem Privatvermögen der Gesellschafter
getrennt und sie haftet nicht für deren Verbindlichkeiten.[6] Die Gesellschafter haben keinerlei Anteilsrechte am Gesellschaftsvermögen. Sie können lediglich Ansprüche gegenüber der Gesellschaft haben.[7]
Das System der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung setzt also voraus, dass die Gesellschafter auf das der Gesellschaft überlassene und als Haftungsfond dienende Vermögen nicht zugreifen.[8] Gemäß § 13 II GmbHG haftet gegenüber den Gesellschaftsgläubigern nur das Gesellschaftsvermögen. Die Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger richten sich gegen die Gesellschaft und nicht gegen die Gesellschafter.[9] Damit umschreibt das Trennungsprinzip die Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber Dritten, Organpersonen und Gesellschaftern. Grundsätzlich ist aber eine Haftung des Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern in Folge eines besonderen Rechtgrundes möglich, z.B. aus einer Bürgschaft gemäß §§ 765 ff. BGB oder einer Patronatserklärung.[10]
Der Verlust des Haftungsprivilegs gemäß § 13 II GmbHG ist nur vorgesehen, wenn die Gesellschaftsgläubiger nicht im gesetzlich intendierten Maße geschützt werden.[11]
An dieser Stelle muss man die Existenzvernichtungshaftung vor und nach der „Trihotel“-Entscheidung des BGH begrifflich differenzieren:
Zur Abgrenzung wird in der vorliegenden Arbeit die vom BGH ent-wickelte Existenzvernichtungshaftung seit der „Bremer Vulkan“-Entscheidung vom 17.09.2001[12] bis zur „Trihotel“-Entscheidung am 16.07.2007[13] als Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung bezeichnet. Die mit der „Trihotel“-Entscheidung statuierte Haftung wird als Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB angegeben.
Die Rechtsprechung vor der „Trihotel“-Entscheidung erlaubte in ihrem Bestreben nach effektiver Sicherung von Gläubigerinteressen in diesen seltenen Ausnahmesituationen einen Durchgriff auf das Privatvermögen der Gesellschafter, sodass die persönliche Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern möglich war.[14] Eine solche Durchbrechung des Trennungsprinzips sollte grundsätzlich möglich sein bei einem objektiven Missbrauch der Rechtsfigur der juristischen Person oder Verstoß der Berufung auf die Trennung zwischen GmbH und Gesellschafter gegen die Grundsätze von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB.[15] Seit der Entscheidung „Bremer Vulkan“ des BGH war auch die Existenzvernichtungshaftung eine Fallgruppe der Durchgriffshaftung.[16]
Die Anspruchsgrundlage der Durchgriffshaftung wegen Existenz-vernichtung ist der existenzvernichtende Eingriff gewesen, unter dem man „missbräuchliche, zur Insolvenz der Gesellschaft führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in deren der Zweck-bindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienendes Gesellschaftsvermögen“[17] versteht.
Diese Zweckbindung ist in den §§ 30, 31 GmbHG nur für das Stammkapital normiert und wurde vom BGH als notwendiges Gegenstück zu der in § 13 II GmbHG angeordneten Haftungsbeschränkung der Gesellschafter angesehen. Wenn die Gesellschafter die Zweckbindung des Gesellschaftervermögens respektierten, konnten sie sich auf die Vorteile der Haftungsbeschränkung berufen. Bei Missachtung der Zweckbindung in rechtsmissbräuchlicher Weise kam eine durchgriffs-rechtlich strukturierte, unbeschränkte Außenhaftung wegen Verlustes des Haftungsprivilegs des § 13 II GmbHG zum Zuge. Die Durch-griffshaftung wegen Existenzvernichtung war mit einer Subsidiaritätsklausel im Verhältnis zu den §§ 30, 31 GmbHG versehen.[18]
Mit der „Trihotel“-Entscheidung des BGH wird die Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB als eine Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung eingeordnet und gehört nicht länger zur Gruppe der Durchgriffshaftung an. Damit kehrt der BGH sich von der Rechtsfigur des Missbrauches der Rechtsform zur Begründung des Durchgriffs auf den Gesellschafter ab.[19]
Der existenzvernichtende Eingriff wird als selbständige, rechtsfort-bildend entwickelte Anspruchsgrundlage aufgegeben und die sitten-widrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB allein als An-spruchsgrundlage für die neue Existenzvernichtungshaftung gewählt. Der BGH bewahrt die Figur des existenzvernichtenden Eingriffs zur Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB und ändert die Rechtsfolgen.[20]
Die Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB ist als Innen-haftung gegenüber der Gesellschaft ausgestaltet, die den Kapital-erhaltungsschutz der §§ 30, 31 GmbHG im Sinne einer erweiterten Kapitalentnahmesperre ergänzt.[21] Die Subsidiaritätsklausel ist auf-gegeben worden. Soweit sich der Schadensersatzanspruch wegen Existenzvernichtung gemäß § 826 BGB und der Erstattungsanspruch gemäß §§ 30, 31 GmbHG überschneiden, besteht Anspruchsgrundlagenkonkurrenz.[22]
Die Außenhaftung der Gesellschafter ist wieder die eng zu ver-stehende Ausnahme vom Grundsatz des Trennungsprinzips gemäß § 13 II GmbHG.[23]
Im Folgenden ist zu zeigen, dass die Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB keine „Alte Haftung im neuen Gewand“[24] ist, sondern eine fundierte Neuausrichtung der Rechtsprechung repräsentiert.
Die BGH-Entscheidung „Bremer Vulkan“ vom 17.09.2001 stellt den Ausganspunkt des Wandels in der Rechtsprechung dar.[25] Die bis dahin dominierende Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern analog §§ 302, 303 AktG wurde für die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung aufgegeben.[26]
Grundlage dieser Entwicklung war die Entscheidung des BGH „T-Baubetreuungsgesellschaft“ bzw. „TBB“ vom 29.03.1993[27], die zur Anerkennung eines eigenen Interesses der GmbH an ihrem Bestand gegenüber dem Alleingesellschafter führte. Die bis dahin geltende Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern war eine ver-schuldungsunabhängige Zustands- bzw. Strukturhaftung.[28] Der qualifiziert faktische Konzern wurde als ein Zustand verstanden, der von einer Beherrschung gekennzeichnet war, wie sie nur bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrages zulässig gewesen wäre. Eine analoge Anwendung des §§ 302, 303 AktG lag aufgrund der Strukturähnlichkeit nahe.[29]
In der Entscheidung „TBB“ des BGH wurde der haftungsauslösende Tatbestand ausgetauscht. Die dauernde und umfassende Beherrschung der Gesellschaft war nicht länger notwendig. Stattdessen wurde die objektiv missbräuchliche Ausnutzung der Leitungsmacht durch den herrschenden Gesellschafter abverlangt.[30] Die Zustandshaftung wurde durch eine verschuldungsabhängige Verhaltenshaftung ersetzt. Der herrschende Gesellschafter musste gegenüber der abhängigen GmbH haften, wenn diese infolge der Beeinträchtigung ihres eigenen Interesses am Bestand durch den herrschenden Gesellschafter ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen konnte.[31] Das Bestandsinteresse der Gesellschaft verkörperte die Summe der Befriedigungsinteressen der Gesellschaftsgläubiger.[32]
In der Entscheidung „Bremer Vulkan“ hat der BGH die in der „TBB“-Entscheidung festgelegten Grundsätze aufgegriffen und die analog §§ 302, 303 AktG begründete Haftung im qualifiziert faktischen GmbH-Konzern durch die Durchgriffshaftung wegen Existenz-vernichtung ersetzt.[33] Der BGH vollzog die Kehrtwendung seiner Rechtsprechung zur Konzernhaftung der GmbH und erkannte zum ersten Mal die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung an, die sich aber noch auf Eingriffe des Alleingesellschafters beschränkte.[34]
Gemäß § 31 III GmbHG gilt für alle Gesellschafter die anteilige Ausfallhaftung, wenn die Durchsetzbarkeit des Anspruches der Gesellschaftgläubiger gegenüber einzelner Gesellschafter fehlt. Diese Haftung ist auf den Betrag des Stammkapitals beschränkt, der zur Befriedigung der Gläubiger benötigt wird und richtet sich nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile der Gesellschafter.
Durch das Urteil des BGH am 25.02.2002[35] wurde die Ausfallhaftung der Mitgesellschafter aus dem Gesichtspunkt des existenzvernichtenden Eingriffs entschieden. Voraussetzung für die Haftung war ihr Mit-wirken an der Existenzvernichtung durch ihr Einverständnis mit dem Vermögensabzug auch ohne Empfang einer Gegenleistung. Die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung wurde also auf die Mitgesellschafter ausgeweitet.[36]
Die dogmatische Basis der Durchgriffshaftung wegen Existenz-vernichtung wurde erst mit der darauffolgenden BGH-Entscheidung nachgeliefert und präzisiert. Der BGH sah in seiner Entscheidung „Kindl Backwaren Vertrieb“ bzw. „KBV“ vom 24.06.2002[37] die Respektierung der Zweckbindung des Gesellschafsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebensdauer der GmbH als unabdingbare Voraussetzung für die In-anspruchnahme des Haftungsprivilegs des § 13 II GmbHG an. Missachteten die Gesellschafter diese Zweckbindung durch offene oder verdeckte Entnahmen von Vermögenswerten und beeinträchtigen in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß die Fähigkeit der Gesellschaft zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten, missbrauchten sie die Rechtsform der GmbH und verloren das Haftungsprivileg.[38]
Als Rechtsfolge des existenzvernichtenden Eingriffs entschied der BGH zur Beseitigung der Überschuldung die unbeschränkte persön-liche Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern für die Verbindlichkeiten, sofern die der Gesellschaft durch den existenzvernichtenden Eingriff zugefügten Nachteile nicht nach den Kapitalerhaltungsgrundsätzen gemäß §§ 30, 31 GmbHG ausge-glichen werden konnten (Subsidiaritätsklausel).[39]
In den beiden Entscheidungen „Autohaus“ und „Handelsvertreter“ des BGH vom 13.12.2004 wurde die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung bezüglich des Haftungstatbestandes konkretisiert.[40]
Der mögliche Anspruchsgegner wurde auf den mittelbar be-herrschenden Gesellschafter ausgedehnt, womit in der Entscheidung „Autohaus“ ebenfalls der beherrschende Gesellschafter-Gesellschafter bei qualifizierter Anteilsmehrheit gemeint wurde.[41]
In gleicher Weise hat sich der BGH in seinem Urteil vom 21.09.1981 zu den §§ 30, 31 GmbHG geäußert.[42] Als Ergänzung legte der BGH fest, dass der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern grundsätzlich nicht verpflichtet sei, das Gesellschaftsunternehmen fortzuführen. Bei Beendigung müsse er aber das Unternehmen ordnungsgemäß abwickeln und die Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger gemäß § 73 I GmbHG sicherstellen. Damit erfüllte eine Desinvestitionsstrategie nicht die Voraussetzungen eines existenzvernichtenden Eingriffs.[43]
Die unbeschränkte persönliche Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber den Gesellschaftsgläubigern entfiel, sobald über das Vermögen der Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dann nahm der Insolvenzverwalter den Gesellschafter wegen Existenz-vernichtung in die Durchgriffshaftung.[44]
Durch die „Handelsvertreter“-Entscheidung des BGH wurden Manage-mentfehler im Rahmen des Betriebs des Unternehmens im weitesten Sinne von der Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung aus-gegrenzt. Die Gesellschafter sollten nur für gezielte („planmäßige“), betriebsfremden Zwecken dienende Vermögenseingriffe haften, wenn die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnte.[45] Das Merkmal der Planmäßigkeit grenzte den Tatbestand der Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung von Managementfehlern ab.[46] Das typische unternehmerische Risiko ist nicht beherrschbar und daher sind zur Insolvenz führende Fehlentscheidungen des Unternehmers nicht erfasst.[47]
Die Entscheidung „Autohaus“ des BGH setzte auch dem Haftungs-umfang Grenzen. Bis dahin konnte der Gesellschafter für alle gegen die insolvente GmbH gerichteten Forderungen haftbar gemacht werden. Die Haftung war unabhängig davon, ob der existenzvernichtende Eingriff die alleinige oder nur einer unter vielen Ursachen für die Insolvenz der Gesellschaft war.[48] Dem Gesellschafter wurde der Nachweis gestattet, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögens-lage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter und dann in diesem Umfang auszugleichender Nachteil entstanden wäre.[49] Der BGH entschied sich für eine Beweislastumkehr zu Lasten des schädigenden Gesellschafters hinsichtlich der Anspruchshöhe.[50] Damit mündete die unbeschränkte Durchgriffshaftung in eine verschuldensabhängige Schadensersatzhaftung.[51] Diese Zulassung des Einwandes des gebotenen Alternativverhaltens widersprach dem Vorbild einer unbeschränkten persönlichen Außenhaftung der Gesellschafter gegen-über den Gesellschaftsgläubigern analog § 128 HGB. Damit hat der BGH sein dogmatisches Verständnis der Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung nicht konsequent umgesetzt.[52]
Seine Entscheidung ist zu begrüßen, da der bisherigen Entwicklung der Charakter einer Erfolgshaftung anhaftete. Durch eine uneingeschränkte Erfolgshaftung bestand die Gefahr der Gesellschaftsform der GmbH den Boden zu entziehen und über das Ziel der Gewährleistung eines adäquaten Gläubigerschutzes durch die Lückenfüllung der gesetzlichen Kapitalerhaltungsvorschriften hinauszuschießen.[53] Nach dem früheren Außenhaftungsmodell drohten unangemessene harte Haftungsfolgen.[54] Die BGH-Entscheidung „Autohaus“ war also mit dem dogmatischen Konzept einer Durchbrechung des Haftungsbegrenzungsprivilegs wegen Missbrauchs der Rechtsform nicht vereinbar und führte zur weiteren Rechtsunsicherheit. Das herrschende Begründungsmodell erwies sich als Sackgasse.[55]
Mit der Entscheidung „Trihotel“ verabschiedet sich der BGH von allen „Missbrauchsformeln zur Rechtfertigung einer Durchgriffs-haftung“[56] und zieht den § 826 BGB als Anspruchsgrundlage heran.
Der BGH zog schon früh neben der spezifisch gesellschaftrechtlichen Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht. Nach seiner bisherigen Recht-sprechung ließen sich die Fälle der Durchgriffshaftung wegen Existenz-vernichtung im Grundsatz unter der allgemeinen zivilrechtlichen Haftung gemäß § 826 BGB aus dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung der Gesellschaftsgläubiger subsumieren.[57] Diese konkurrierende Haftung wurde ebenfalls als Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber den Gesellschaftsgläubigern angesehen und sollte kumulativ anwendbar bleiben.[58]
Jedoch wurde das bis zur „Trihotel“-Entscheidung vom BGH entwickelte Haftungsmodell der Durchgriffshaftung wegen Existenz-vernichtung nach dem Muster des § 128 HGB auf der Rechtsfolgenebene von einer gewissen Inhomogenität und dogmatischen Unschärfe gekennzeichnet.[59] Es gab nie eine einheitliche rechtliche Begründung für den Durchgriff, sodass die verschiedenen theoretischen Ansätze zur Entwicklung von Fallgruppen führten.[60] Die rechtliche Grundlage der Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung war der missbräuch-liche Zugriff des Gesellschafters auf das Vermögen der GmbH, der zur Insolvenz der Gesellschaft führt und mittelbar die Gesellschafts-gläubiger schädigt. Die dogmatische Rechtfertigung des Durchgriffs wurde in der teleologischen Reduktion des § 13 II GmbHG gesehen. Der BGH ließ offen, wann im Einzelnen ein Zugriff des Gesellschafters auf das Vermögen seiner GmbH missbräuchlich ist.[61]
Mit der „Trihotel“-Entscheidung bestätigt der BGH die Einsicht, dass die Haftungsbeschränkung des Gesellschafters gemäß § 13 II GmbHG nicht durch den Missbrauch der Rechtform relativiert werden kann.[62]
Der Missbrauch der Rechtsform allein kann den Durchgriff auf die Gesellschafter und damit den Verlust des Haftungsprivilegs nicht begründen.[63]
Es gab keinen Grund um an den dogmatisch nicht präzisierbaren Missbrauchs- und Durchgriffsformeln festzuhalten. Erst als Unterfall der deliktsrechtlichen Außenhaftung gemäß § 826 BGB lässt sich die Existenzvernichtungshaftung dogmatisch begründen.[64] Der § 826 BGB bietet präzisierbare Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen für die verschuldensabhängige Schadensersatzhaftung.[65] Diese Konstruktion bietet wie die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung mehr Schutz als die Kapitalerhaltungsbestimmungen der §§ 30, 31 GmbHG, aber braucht zusätzlich keine eigenständige Anspruchsgrundlage mehr.[66]
Das bis zur „Trihotel“-Entscheidung herrschende Konzept einer gesellschaftsrechtlichen Durchgriffshaftung wurde aber zugunsten einer deliktsrechtlichen Innen- und nicht mehr Außenhaftung aufgegeben.[67]
In erster Linie soll das Gesellschaftsvermögen wieder hergestellt werden und daraus resultierend eine Haftungsmasse für die geschädigten Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung stehen.[68] Wenn die der GmbH durch den existenzvernichtenden Eingriff zugefügten Nachteile durch die Innenhaftung der Gesellschafter ausgeglichen werden, bedarf es auch keiner Durchgriffshaftung wegen Existenz-vernichtung mehr.[69]
In dem Urteil des OLG Naumburg vom 09.04.2008[70] wurden der Missbrauch der Rechtsform und die Durchgriffshaftung getrennt von-einander bejaht. Der entscheidende Maßstab war die Beurteilung des konkreten Sachverhalts nach den Grundsätzen von Treu und Glauben. Die Durchgriffshaftung wurde wegen einer objektiv zweckwidrigen Verwendung der juristischen Person bejaht. Das Haftungsprivileg der Gesellschafter entfiel aufgrund der offenkundigen Nutzung der Rechtsform der juristischen Person zur Herbeiführung einen von der Rechtsordnung nicht mehr zu billigenden Erfolg. Der Missbrauch der Rechtsform der GmbH wurde anerkannt, da die GmbH zur objektiv rechtswidrigen Schädigung Dritter eingesetzt worden ist. Es darf über die Rechtsform der juristischen Person nicht leichtfertig oder schrankenlos hinweggegangen werden.
Damit wurde der Missbrauch der Rechtsform nicht zur Rechtfertigung des Durchgriffs herangezogen. Eine Betrachtung unter dem existenzvernichtenden Eingriff lag nahe, wurde aber außer Acht gelassen.
[...]
[1] Grunewald, 2.F.115.
[2] Hölzle, DZWIR 2007, 397.
[3] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689.
[4] Altmeppen, NJW 2007, 2657 (2669).
[5] Lieder, DZWIR 2005, 309 (310).
[6] Bamberger/Roth – Schwarz/Schöplin, § 21 Rn. 17.
[7] Hueck/ Windbichler, § 3 Rn. 11.
[8] BGH 13.12.2004 – II ZR 206/02, LMK 2005, 56.
[9] Baumbach/Hueck – Hueck/Fastrich, § 1 Rn. 56.
[10] BGH 30.01.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093 (2095).
[11] Lieder, DZWIR 2005, 309 (310).
[12] BGH 17.09.2001 – II ZR 178/99, DNotZ 2002, 459.
[13] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689.
[14] BGH 29.03.1993 – II ZR 265/91, NJW 1993, 1200 (1204).
[15] Bamberger/Roth – Schwarz/Schöplin, § 21 Rn. 18.
[16] Lieder, DZWIR 2005, 309 (315).
[17] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2690).
[18] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2691).
[19] Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2007, 363.
[20] Säcker/Rixecker – Wagner, § 826 Rn. 117.
[21] BGH 28.04.2008 – II ZR 264/06, JuS 2008, 939 (940).
[22] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2693).
[23] Ziemons/Jaeger – Drinkuth, GmbHG § 13 Rn. 36.
[24] Hölzle, DZWIR 2007, 397.
[25] BGH 17.09.2001 – II ZR 178/99, DNotZ 2002, 459 (468).
[26] Kindler, § 14 Rn. 91.
[27] BGH 29.03.1993 – II ZR 265/91, NJW 1993, 1200 (1203).
[28] BGH 17.09.2001 – II ZR 178/99, DNotZ 2002, 459 (469).
[29] BGH 23.09.1991 – II ZR 135/90, NJW 1991, 3142 (3144).
[30] BGH 17.09.2001 – II ZR 178/99, DNotZ 2002, 459 (469).
[31] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, DNotZ 2008, 213 (220).
[32] Weller, DStR 2007, 1166 (1168).
[33] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, DNotZ 2008, 213 (221).
[34] BGH 17.09.2001 – II ZR 178/99, DNotZ 2002, 459 (468).
[35] BGH 25.02.2002 – II ZR 196/00, DZWIR 2003, 69 (71).
[36] Goette/Habersack – Heider, § 1 Rn. 77.
[37] BGH 24.06.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024 (3025); Bauer, Rn. 577.
[38] Hölzle, DZWIR 2007, 397 (398).
[39] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, DNotZ 2008, 213 (221).
[40] BGH 13.12.2004 – II ZR 206/02, LMK 2005, 56; BGH 13.12.2004 – II ZR 256/02,
LMK 205, 57 (58).
[41] Wachter, Teil 2 Kap. 2 Rn. 231.
[42] BGH 21.09.1981 – II ZR 104/80, NJW 1982, 383 (384).
[43] BGH 13.12.2004 – II ZR 206/02, DZWIR 2005, 206 (207).
[44] BAG 14.12.2004 – 1 AZR 504/03, NZG 2005, 628 (630).
[45] Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 (2036).
[46] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, JR 2008, 197 (203).
[47] Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 (45).
[48] Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2007, 363.
[49] Habersack, ZGR 2008, 533 (541).
[50] Goette/Habersack – Heider, § 1 Rn. 82.
[51] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2691).
[52] Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 (38).
[53] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2692).
[54] Altmeppen, NJW 2007, 2657 (2659).
[55] Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 (39).
[56] Altmeppen, NJW 2007, 2657.
[57] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2691); BGH 24.06.2002 – II ZR
300/00, NJW 2002, 3024 (3025).
[58] Säcker/Rixecker – Wagner, § 826 Rn. 117.
[59] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2690).
[60] Hueck/ Windbichler, § 36 Rn. 34.
[61] Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2007, 363.
[62] Schanze, NZG 2007, 682.
[63] BGH 16.07.2007 – II ZR 3/04, NJW 2007, 2689 (2692).
[64] Weller, DStR 2007, 1166 (1170).
[65] Altmeppen, NJW 2007, 2657.
[66] Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 (41).
[67] Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34 (42).
[68] Smid, DZWIR 2008, 265 (266).
[69] Bauer, Rn. 589.
[70] OLG Naumburg 09.04.2008 – 6 U 148/07, NJW-Spezial 2008, 561.