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Bachelorarbeit, 2010
46 Seiten, Note: Sehr Gut
Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention
1 Einleitung
2 Forschungsfrage und Hypothesen
3 Forschungsstand
3.1 Grundlagen: Stottern
3.1.1 Einleitung: S tottern
3.1.2 Definition
3.1.3 Prävalenz
3.1.4 Symptomatik
3.1.4.1 Kernsymptome
3.1.4.2 Begleitsymptome
3.1.4.3 Wechselwirkung von Kern- und Begleitsymptomatik
3.1.5 Identitätsproblem
3.1.6 Theorien zur Ursache
3.2 Grundlagen: Stimme
3.2.1 Einleitung: Stimme
3.2.2 Stimmgebung
3.2.3 Stimmeinsätze
3.2.4 Stimmbeeinflussende Faktoren
3.2.5 Die Rolle der Atmung
3.3 Grundlagen: Linguistik
3.3.1 Einleitung: Linguistik
3.3.2 Suprasegmentalia
3.3.2.1 Definition:
3.3.2.2 Prosodie:
3.3.2.3 Silbe:
3.3.2.4 Akzent (Betonung):
3.3.2.5 Intonation:
3.3.2.6 Rhythmus:
4 Methoden in der Stottertherapie mit Fokus „Stimme“
4.1 Einleitung: Methoden
4.2 Hausdörfer Methode
4.2.1 Einführung Hausdörfer Methode
4.2.2 Grundsätze der Hausdörfer Methode
4.2.3 Therapiebeispiel Hausdörfer Methode
4.2.4 Analyse des Therapiebeispiels Hausdörfer Methode
4.3 Richter Methode
4.3.1 Einleitung Richter Methode
4.3.2 Grundsätze der Richter Methode
4.3.3 Therapiebeispiel Richter Methode
4.3.4 Analyse des Therapiebeispiels Richter Methode
4.4 Die Akzentmethode
4.4.1 Einleitung Akzentmethode
4.4.2 Grundsätze der Akzentmethode
4.4.3 Therapiebeispiel der Akzentmethode
4.4.4 Analyse des Therapiebeispiels Akzentmethode
4.5 Schlaffhorst-Andersen Methode
4.5.1 Einleitung Schlaffhorst-Andersen Methode
4.5.2 Grundsätze der Schlaffhorst-Andersen Methode
4.5.3 Therapiebeispiel der Schlaffhorst-Andersen Methode
4.5.4 Analyse des Therapiebeispiels Schlaffhorst-Andersen Methode
5 Kritische Auseinandersetzung
6 Interpretation und Schlussfolgerungen
7 Literaturverzeichnis
„Ich hätte viel lieber flüssig und mit voller Stimme gesprochen, aber da war irgendwie eine Macht, die mich immer dann, wenn ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit vieler - oder für mich wichtiger - Menschen stand, regelrecht daran hinderte, so zu sprechen, wie ich es eigentlich wünschte. In solchen Situationen erschien es mir immer so, als würde eine Hand aus dem Nichts nach mir greifen, mich festhalten und daran hindern, das zu sagen, was ich eigentlich mitteilen wollte “ (Wolfsgruber, 1988, S.117)
Für eine nicht stotternde Person ist dieser Kampf eines Betroffenen nur schwer vorstellbar. Wir sind tagtäglich in kommunikativen Situationen, und als soziale Wesen müssen wir dies auch sein. Kommunikation passiert praktisch immer. Zuhause, im Beruf, in der Freizeit, mit Freunden. Wir sind auf Kommunikation angewiesen. Ein Leben ohne Gespräch, ohne Kommunikation ist nicht leicht vorstellbar. Vor allem nicht für Menschen, deren verbale Kommunikation einwandfrei funktioniert. Da ich auch zu diesen zähle, möchte ich daran erinnern, dass wir im Normalfall auch nicht über unsere Sprechwerkzeuge nachdenken. Sie funktionieren einfach. Unser Sprechen fließt und es ist schwer anzudenken, wie es wäre, wenn es nicht fließen würde. Dies gilt umso mehr, als in der heutigen Gesellschaft die Kommunikation einen immer höheren Stellenwert einnimmt. Der Begriff „Kommunikationsgesellschaft“ ist in aller Munde und jeder hat eine individuelle Assoziation dazu. Ich frage mich was für eine Assoziation ein vom Stottern Betroffener Mensch dazu hat...
Stotternde fühlen sich oft sehr stark unter Druck gesetzt. Dieser Druck wird erzeugt durch die immer höheren kommunikativen und gesellschaftlichen Ansprüche, die Geduld, die sie glauben ihren Zuhörern abgewinnen zu müssen und durch die Ansprüche, die sie an sich selbst und ihren persönlichen Ausdruck stellen. Viele Betroffene berichten auch von der Angst einer sozialen Ausgrenzung, unter der sie sehr leiden.
Um all dem entgegenzuwirken, wurden und werden eine Vielzahl von Therapieansätzen entwickelt, von nicht stotternden Therapeuten ebenso wie von selber Betroffenen, die einen Weg zum flüssigen Sprechen gefunden haben.
Die meisten dieser Methoden arbeiten vordergründig mit der Artikulation, es gibt aber auch Ansätze die sich vor allem an rhythmischen Aspekten und Stimmgebung orientieren. Diese Therapieansätze sind zum Teil umstritten und in Österreich nicht weit verbreitet.
Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick über eben diese „stimmfokussierten Methoden“ bieten. Ich habe meinen Fokus auf diesen Bereich gelegt, da ich selbst musiziere und sängerisch tätig bin Im ersten Kapitel wird die Forschungsfrage erläutert und Hypothesen zum Thema werden aufgestellt.
Im Kapitel „Forschungsstand“ werden die Grundlagen des Stotterns, der Stimme und der Linguistik behandelt. Im darauf folgenden Kapitel werden überblicksartig vier verschiedene stimmfokussierte Methoden verglichen.
„[...] Dabei führten Singen, Sprechen mit Metronom, Sprechen mit rhythmischem Armschwung und Singsang-Sprechen (alle auf stark rhythmischer Grundlage) zu Stotterraten von 0% (beim Singen), bis 0,9% (beim Sing-Sang-Sprechen). Sprechen mit Metronom führte zu einer Stotterrate von 0,06%“ (Ham, 2000, S.278).
Es gibt in der Logopädie stimmfokussierte Methoden, die therapeutisch zum Einsatz kommen. Diese Methoden werden jedoch häufig von den Betroffenen abgelehnt, obwohl das Phänomen der Symptomfreiheit meiner Meinung nach ein großes therapeutisches Potential zeigt.
Aus der Geschichte der Stottertherapie geht hervor, dass besagtes Potential vielen Therapeuten und Betroffenen nicht „ganz geheuer“ war. Aus diesem Grund wurden die stimmfokussierten Methoden 1931 vorerst als Quacksalberei abgetan. Einige Therapeuten wagten sich im Laufe der Zeit wieder an diese Methoden heran und entwickelten neue Therapieformen, die sich aus verschiedenen Strömungen zusammensetzten. (vgl. Ham, 2000, S. 275).
„Wie wir sehen werden, wird metrisches Sprechen im Allgemeinen als die effektivste und schnellste Art zur Herbeiführung von flüssigem Sprechen angesehen. Dies ist seit über einem Jahrhundert bekannt, wird aber erst wieder in den letzen 20 Jahren therapeutisch eingesetzt - und viele Therapeutinnen lehnen es noch immer ab.“ (Ham, 2000, S.275).
Meine Forschungsfrage lautet folglich:
Welche Methoden in Bezug auf Singen und Tönen (stimmliche Tongebung) gibt es in der Stottertherapie? Wodurch sind sie wirksam? Welche Argumente sprechen für und welche gegen sie ?
Bevor wir uns im Konkreten den Therapiemethoden zuwenden, bedarf es der Abklärung grundlegender Forschungserkenntnisse in den Bereichen Stottern, Stimme und Linguistik.
Unflüssigkeiten in einer Sprechsituation sind normal. Jeder flüssige Sprecher macht Pausen, Einschübe, Wortwiederholungen oder Selbstkorrekturen, die im Normalfall nicht auffallen. Ganz im Gegenteil dienen sie unter Anderem der weiteren Sprechplanung, betonen inhaltlich wichtige Begriffe und geben dem Zuhörer kommunikative Signale (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.6).
Stottersymptome jedoch zählen zu den symptomatischen Unflüssigkeiten und werden in den Bereich „Redeflussstörungen“ eingeordnet.
Eine „Redeflussstörung“ wird definiert als:
"Störung des Redeablaufs, d.h. des Sprechtempos, der -melodie, -dynamik u. - deutlichkeit.“ (Franke, 2008, S.181)
Laut ICD - 10 ("Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“) wird das Stottern wie folgt definiert:
„Hierbei ist das Sprechen durch häufige Wiederholung oder Dehnung von Lauten, Silben oder Wörtern, oder durch häufiges Zögern und Innehalten, das den rhythmischen Sprechfluss unterbricht, gekennzeichnet. Es soll als Störung nur klassifiziert werden, wenn die Sprechflüssigkeit deutlich beeinträchtigt ist.“(Klassifikation Stottern, 2009)
Hinzu kommen beeinflussende und aufrechterhaltende Faktoren sowie psychische und soziale Einflüsse.
5 % aller Kinder entwickeln während ihrer Sprachentwicklung eine Stottersymptomatik. In den meisten Fällen kommt es zu einer Remission, sodass der Anteil der stotternden Erwachsenen bei 1 % liegt (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.5). Unter den remittierten Kindern sind deutlich mehr Mädchen, sodass im Erwachsenenalter männliche Stotterer im Verhältnis 4:1 überwiegen (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.20).
Die Stottersymptomatik setzt sich aus verschiedenen Symptomenkomplexen zusammen:
- Kernsymptome (Synonym zu „Symptomatische Unflüssigkeiten“)
- Begleitsymptome (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.8-11)
Die folgenden Kernsymptome und die Einteilung der Begleitsymptome sind aus dem Buch von Sandrieser und Schneider (2001, S.8-11) entnommen.
Kernsymptome kennzeichnen sich dadurch, dass sie unfreiwillig und an Stellen auftreten, an denen keine Unflüssigkeit erwartet wird.
Einteilung der Kernsymptome:
Laut - und Silbenwiederholungen, Teilwortwiederholungen Sie stehen meist zu Beginn einer Phrase und unterscheiden sich quantitativ und qualitativ von den normalen Wiederholungen Zb. „Ko-ko-ko-komm bitte mal her.“ Dehnungen, Verlängerungen, Prolongationen Ein Laut dauert länger als die erwartbare Artikulationsdauer. Obwohl die Phonationsdauer anhält, wird der Informationsfluss unterbrochen. Diese Symptome werden oft als Kontrollverlust erlebt. Der Rhythmus des Gesprochenen wird unterbrochen und die Geschwindigkeit des Sprechens wird verringert.
Zb. „Jjjjjjjjetzt komm bitte mmmmmal her.“
Blockierungen, Blocks, Stops
Es handelt sich hierbei um unfreiwillige Unterbrechungen des Sprechablaufs oder stimmlose Verzögerungen der einsetzenden Phonation. Es kann dabei auch zu einem harten Stimmeinsatz kommen. Blocks können bis zu mehreren Sekunden andauern und zu einem intensiven Gefühl des Kontrollverlustes führen. Ebenso wird die angespannte laryngeale Muskulatur als sehr unangenehm empfunden.
Auch bei dieser Art von Symptomatik wird der Rhythmus des Gesprochenen unterbrochen und die Geschwindigkeit des Sprechens verringert.
Ich möchte hier anmerken, dass der Rhythmus einen wesentlichen Stellenwert in der Stottersymptomatik einzunehmen scheint. Auf das Thema „Rhythmus“ wird im Laufe der Arbeit noch öfter eingegangen werden.
Begleitsymptome entstehen dann, wenn der Betroffene während des Stotterereignisses versucht, die Stottersymptomatik zu verringern. Dies kann auf fünf verschiedenen Ebenen passieren.
Einteilung der Begleitsymptome:
1. Ebene - Emotionen und Einstellungen: z.B. Sprechangst, Versagensangst, Frustration, psychische Anspannung
2. Ebene - Sozialverhalten: z.B. Sprechsituationen werden im Vorhinein vermieden, Abbruch des Blickkontaktes
3. Ebene - Sprechverhalten: z.B. Flüstern, langsame Sprechgeschwindigkeit, Schweigen
4. Ebene - Sprachliche Ebene: z.B. Abbruch von Sätzen, Umstellen von Sätzen (um gefürchtete Wörter zu vermeiden), Einschub von Floskeln
5. Ebene - Motorik: Mitbewegungen des Gesichtes, Kopf- und Armbewegungen
Die Begleitsymptome machen üblicherweise den größten Anteil der Abnormität des Stotterns aus (vgl. Natke, 2005, S.17).
Jeder Stotternde weist ein anderes Repertoire hinsichtlich der Symptome und ihrer Schwere auf (vgl. Natke, 2005, S.16). Man findet auch große individuelle Unterschiede hinsichtlich der Abfolge und Geschwindigkeit, mit der sich die Symptomatik im Verlauf der Störung verändert (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.12).
In der Therapie müssen demnach die Begleitsymptome abgebaut und neue wirksame Coping-Strategien erarbeitet werden. Zu diesen positiven Coping-Strategien zählen z.B. das flüssige Sprechen in einem angemessenen Rhythmus und ohne große Anstrengung, aber auch die Fähigkeit, sich gegenüber negativen Reaktionen zu behaupten und Selbstakzeptanz im Allgemeinen (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.13).
Ein weiteres für diese Arbeit relevantes Phänomen möchte ich an dieser Stelle kurz anführen.
Sobald sich der Betroffene in eine „andere Rolle begibt“, wie in etwa beim Theaterspielen oder beim Singen, verringert sich seine Stottersymptomatik,. Er entfernt sich quasi von dem „konfliktbeladenen Selbst“ (Fielder & Standop, 1994, S.98). Richter (vgl. Richter, 1990, S.22) schreibt, dass Eltern beobachten können, wie ihr stotterndes Kind beim Spielen, oder wenn es sich mit Plüschtieren unterhält, nicht stottert. Er bezeichnet das Stottern solcher Kinder als „sprachliche Kontaktstörung“. Schoenaker betont, dass es sich beim Stottern um eine Sprechstörung und keine Singstörung handelt. Das Stottern trete dann auf, wenn eine verbale Selbstdarstellung verlangt wird (vgl. Schoenaker, 2000, S.74). „Wenn man eine ungewöhnliche Form des Sprechens wählt, wie zum Beispiel mit sehr hoher oder sehr tiefer Stimme, Sprechen in abgehackter Form oder Sprechen in einer ungewöhnlichen, gebundenen Legato-Art, tritt das Stottern nicht auf, weil man in dem Moment nicht sich selbst ist, bzw. nicht sich selbst darstellt. So auch mit dem Singen.“ (Schoenaker, 2000, S.74)
Über die Ursachen des Stotterns herrscht bis zum derzeitigen Zeitpunkt keine Einigkeit. Man findet Uneinigkeit zwischen den Vertretern der monokausalen, der multifaktoriellen und der modellosen Ansätze (vgl. Ham, 2000, S.16).
Die wichtigsten Strömungen der Ursachentheorien werden bei Natke zusammengefasst (vgl. Natke, 2005, S.67):
1) Neurotische Reaktion: Diese Theorie stammt aus der Psychoanalyse und begreift das Stottern als Reaktion auf unterdrückte Bedürfnisse.
In der Individualpsychologie wird das Stottern als Psychoneurose angesehen und in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen: „Wer ist der Stotterer und wozu braucht er sein Stottern?“ (Kruse, 2000, S.26) und „Es gibt ein Symptom und ein Ziel, und das Symptom ist geeignet, dieses Ziel zu erreichen. .. .Schauen wir also auf die Wirkung des Symptoms, dann verstehen wir den Sinn.“ (Schoenaker, 2000, S.51)
2) Lerntheorien: Sie besagen, dass das Stottern entsteht und aufrecht erhalten wird, weil die Betroffenen die eigene unflüssige Sprechweise als negativ bewerten. Durch die Erwartung des Stotterns wird das Stottern verstärkt. Oder sinngemäß auf den Konstruktivismus von Paul Watzlawick Bezug nehmend:
Der konsequente Versuch, ein Problem zu vermeiden, verewigt es in Wirklichkeit (vgl. Watzlawick, 2009, 3. Nov.).
2) Breakdown-Theorien: Ihnen ist die Ansicht zu eigen, dass dem Stottern eine genetische Disposition zugrunde liegt. Die Unflüssigkeiten treten aber verstärkt unter Stress zutage.
3) Multikausale und -faktorielle Theorien: Sie gehen davon aus, dass die Entstehung des Stotterns durch viele einzelne Faktoren begünstigt wird. Hierzu z.B. zählt das „Anforderungs-Kapazitäten-Modell“ von Starkweather. Es besagt, dass sich Stottern entwickeln kann, wenn ein andauerndes Ungleichgewicht zwischen den motorischen, kognitiven, linguistischen und sozialen
Anforderungen und den motorischen, kognitiven, linguistischen und emotionalen Fähigkeiten eines Kindes besteht (vgl. Sandrieser & Schneider, 2001, S.61). Multikausale Theorien liefern keine funktionelle Erklärung, sind aber für die Diagnostik und die Therapie maßgebend. Natke fasst in Bezugnahme auf Myers & Wall (1982), Motsch (1983, 1992) und Johannsen & Schulze (1990) zusammen, dass sich aus diesen Theorien in weiterer Folge die idiografische Sichtweise entwickelte, die besagt, dass für jeden Betroffenen eine individuelle Ursachenkonstellation für die Entstehung, die Aufrechterhaltung und den Verlauf des Stotterns verantwortlich ist. In der Diagnostik ist man bemüht, diesen Ursachen nachzugehen, um die Therapie individuell gestalten zu können (vgl. Natke, 2005, S.77).
Aufgrund der Vielfalt der Ursachentheorien schlagen Johannsen und Schulze (1986) zur praktischen Zuordnung der Auswirkungen drei verschiedene Faktoren vor, die zur Entstehung bzw. Aufrechterhaltung des Stotterns führen können (zitiert nach Sandrieser & Schneider, 2001, S.21/28):
1. ) Disponierende Faktoren, wie z.B. genetische Veranlagung, Intelligenz und
Persönlichkeit, Sprachentwicklung, Erziehungsstil...
2. ) Auslösende Faktoren, wie z.B. Traumata, Schuldzuweisungen.
3. ) Aufrechterhaltende Faktoren, wie z.B. persönlicher Perfektionismus, soziales Umfeld, negative Coping-Strategien.
In diesem Teil der hier vorliegenden Arbeit findet man die physiologischen Grundlagen in Bezug auf die Stimme sowie die Besonderheiten beim Stottern. Diese Besonderheiten sind wiederum die Basis der stimmfokussierten Stottertherapiemethoden.
Die menschliche Stimme gehört zu den persönlichsten Ausdrucksmitteln des Menschen. Die Arbeit mit Stimme beinhaltet immer die Differenzierung der Selbstwahrnehmung (vgl. Hammer, 2007, S.XX), wertfreies Hören und Akzeptanz ihres individuellen Klanges (vgl. Hammer, 2007, S.208).
Drei Organsysteme sind an der Stimmgebung beteiligt: der Kehlkopf, der Atemapparat und das Ansatzrohr (oder: Vokaltrakt). Unser Körper fungiert quasi als Musikinstrument und verstärkt als Resonanzkörper unsere Stimme. Diese wiederum bildet die Grundlage des menschlichen Sprechens. Das gesprochene Wort entsteht durch Stimmgebung (Phonation) und Lautbildung (Artikulation) (vgl. Hammer, 2007, S.3). Der Stimmklang entsteht im Kehlkopf durch die Schwingung der Stimmlippen und durch das Zusammenspiel der Kehlkopfmuskulatur. Die Schwingung wird durch die Atemluft erzeugt und der im Kehlkopf gebildete „Primärklang“ wird durch das Ansatzrohr (Rachen-, Mund- und Nasenraum) verstärkt und zu dem charakteristischen Stimmklang bzw. zu einzelnen Lauten geformt (vgl. Hammer, 2007, S.3-7).
Eine physiologische Stimmgebung entsteht durch das optimale Zusammenspiel von Atemdruckkräften und glottischem (Glottis = Stimmritze) Widerstand (vgl. Hammer, 2007, S.21).
Beim Stottern:
In Bezugnahme auf Bloodstein (1995), Freeman & Ushijama (1978), Shapiro (1980), Murray & Weaver (1987), Smith (1995), Brewer (1977) und Conture, Schartz & Brewer (1985) fasst Natke zusammen, dass bei Stotternden Fehlkoordinationen insbesondere der Muskelaktivität, bezüglich der Atmung, der Phonation und der Artikulation festgestellt wurden. Auffällige Adduktions- sowie Abduktionsbewegungen der Stimmlippen wurden beobachtet (vgl. Natke, 2005, S.24). Dieselben Ergebnisse über Spannungsverhältnisse finden sich auch in zahlreichen anderen Studien, die bei Fiedler & Standop zusammenfasst sind (1994, S.10). Andererseits wird gewarnt, daraus vorschnell auf eine Monokausalität des Stotterns zu schließen, da Stotternde nach einer Kehlkopfentfernung teilweise weiterstottern.
Fiedler & Standop berichten über eine andere Hypothese von Schwartz. Beschrieben wird ein Laryngospasmus, der vegetativ ausgelöst wird (insbesondere bei Stress, Angst) und der zu schwer aufhebbaren Verspannungen des Kehlkopfes und der Stimmbänder führt (1994, S.48).
Es herrscht in der Wissenschaft eine rege Diskussion darüber, wie maßgebend die Rolle des Kehlkopfes beim Stottern ist. Von einigen Forschern wird die Ansicht vertreten, dass die veränderte Kehlkopffunktion alleiniger Auslöser und Aufrechterhalter des Stotterns sei, andere sagen, der Kehlkopf spiele zwar eine große Rolle, Stottern könne jedoch nicht als alleiniges Kehlkopfproblem angesehen werden [vgl. Ham (2000, S.239, 240) bezugnehmend auf Schwartz (1974), Van Riper (1982), Webster (1978), Wingate (1981), Jones (1969) und Adams (1983)].
„Generell scheint es so zu sein, dass direkte Beobachtungen und entsprechende Messungen der Muskelaktivität Abweichungen zwischen den Stotternden zeigen können, doch gibt es kein konstantes Muster. Einige dieser Verhaltensweisen konnten auch bei Nichtstotternden beobachtet werden, andere wiederum nicht.“ (Ham, 2000, S. 239).
Man unterscheidet zwischen 3 physiologischen Stimmeinsätzen:
1. ) harter Stimmeinsatz: die Glottis wird durch die Atemluft quasi gesprengt (z.B.Vokale).
2. ) behauchter Stimmeinsatz: noch vor der beginnenden Phonation strömt Luft durch die Glottis, die Stimmlippen beginnen allmählich zu schwingen (z.B. /h/).
3. ) weicher Stimmeinsatz: die Schwingungen der Stimmlippen steigern sich gleichmäßig mit Zunahme des Atemdrucks (z.B. /m/). (vgl. Hammer, 2007, S.24) Beim Stottern: Stotternde setzen mit zu hoher Stimmlippenspannung ein. Dadurch wird ein stärkerer Anblasedruck erforderlich. Das kann zu einem harten Stimmeinsatz führen, der die Stottersymptome verursachen bzw. zur ihrer Entstehung beitragen kann (vgl. Ham, 2000, S. 240).
Folgende Faktoren sind dem Buch von Hammer entnommen (vgl. Hammer, 2007, S.38- 48).
Der Einsatz der Stimmorgane unterliegt dem Einfluss gesamtkörperlicher Funktionen.
Die wichtigsten und Therapierelevanten Funktionen sind:
- Haltung: Für eine optimale Stimmgebung sind die stabile, physiologische Gleichgewichtslage („aufrechte Körperhaltung“) sowie die „innere Haltung“ maßgebend.
- Bewegung: Günstig für die Stimmgebung sind rhythmische Bewegungen und Bewegungen um den Körperschwerpunkt (siehe auch Kap. 4.4.
Akzentmethode).
- Tonus: Eine gleichmäßig verteilte Spannung wird als „Eutonus“ bezeichnet. Diese eutone Spannung ist die optimale Ausgangsposition für eine physiologische Stimmgebung. Im Gegensatz dazu stehen der Hypertonus (Überspannung) und der Hypotonus (Unterspannung). (siehe auch: Akzentmethode)
- Persönlichkeit: Das Wort „Person“ stammt vom lat. „per-sonare“ und beutetet übersetzt „durchtönen“. Gemeint ist ursprünglich das Durchtönen durch die Maske des Schauspielers (Person, 2009, 17. Sept.). In der Stimme spiegeln sich Alter, Geschlecht, charakterliche Eigenschaften, die Prägung durch Kultur, Vorbilder und Erfahrungen wider (vgl. Hammer, 2007, S.44).
- Situation: Die Stimme verändert sich im situativen Kontext. Die Kehlkopffunktion wird weitgehend vegetativ gesteuert, was bedeutet, dass sie nur zum Teil der Willkür unterliegt. Da das limbische System (der „Sitz“ der Emotionen) damit in Verbindung steht, führen vegetative Reaktionen.
[...]