Masterarbeit, 2024
134 Seiten, Note: 1,0
Abstract auf Deutsch
Abstract in English
Résumé en français
Danksagung
1 Einleitung
1.1 Der Kongo und die exponentiell steigende Nachfrage nach Kobalt in der Welt
1.2 Bedeutung der lokalen Wahrnehmung: Perspektive der Betroffenen
1.3 Forschungsfrage
1.4 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
2 Verortung in forschungsgeschichtlichen, medialen und lokalen Kontexten
2.1 Kolonialerbe und Liberalisierung des Markts
2.2 Kinderarbeit als vorherrschendes Problem?
2.3 Der kongolesische Kobaltsektor in westlichen und afrikanischen Medien
2.4 Lokale Forschungsansätze
2.5 Überwindung der Grenze zum innerkongolesischen Zirkel
2.6 Implikationen für die Forschungsfrage
3 Methodische Zugänge
3.1 Offene Leitfadeninterviews und qualitative Inhaltsanalyse
3.2 Datenerhebung und Datenauswertung
4 Ergebnisse offener Leitfadeninterviews zur Perspektive der Betroffenen
4.1 Kobalt als Lebensunterhalt und Ressourcenfalle
4.2 Kinderarbeit: Was sind Kinder, was ist Arbeit?
4.3 Arbeitsbedingungen der Erwachsenen
4.4 Innere Probleme
4.5 Eigene Lösungsansätze
4.6 Interkulturelle Zusammenarbeit der Parallelwelten
4.7 Leben im Moment zum Selbstschutz
4.8 Optimismus und Gelassenheit
5 Schlussteil
5.1 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
5.2 Beantwortung der Forschungsfrage und Handlungsempfehlungen
5.3 Empfehlung für Fahrzeug- und Gerätehersteller
6 Tabellenverzeichnis
7 Abkürzungsverzeichnis
8 Verzeichnis französischer Fachausdrücke aus dem Sektor
9 Quellenverzeichnis
10 Anhang
10.1 Transkripte und verwendete Zeitungsartikel
10.2 Analyse von vierzig Artikeln über den Kobaltabbau im Südostkongo
10.3 Übersichtskarte der Kobaltregion der DRK
10.4 Fotos des Forschungsaufenthalts in Katanga 28.01.2020-24.02.2020
Durch die zunehmende Elektromobilität ist die Nachfrage für Kobalt, das für den Bau von Akkumulatoren benötigt wird, in den letzten Jahren exponentiell angestiegen. Zwei Drittel des weltweiten Kobalts stammen aus dem Kongo1. In der Berichterstattung westlicher Medien dominiert eine negative Sicht auf den dortigen Kobaltabbau, womit Vorurteile zur Kinderarbeit bestätigt werden sollten. Durch einen Aufenthalt im Kongo und offene Leitfadeninterviews mit den Beschäftigten des Kobaltabbaus vor Ort sollte die Wahrnehmung der Betroffenen selbst aufgedeckt werden. Während sie Kinderarbeit im Sinne einer systematischen Ausbeutung widerlegen, nennen sie andere soziale Probleme, die durch den Kobaltabbau verursacht werden. Betroffene formulieren pragmatische Lösungsvorschläge, doch sehen sie sich selbst für deren Umsetzung nicht verantwortlich. Vielmehr suchen sie in ihrem volatilen Umfeld den besten Weg, sich einen möglichst guten Verdienst zu sichern. Die Regeln dieses Umfelds werden losgelöst von staatlichen Gesetzen durch die kongolesischen Akteure ausgehandelt. Eingriffe ausländischer Akteure wie internationaler Organisationen in diese innerkongolesische Balance vergrößern die wahrgenommene Volatilität und verursachen paralytische Zustände. Unter den Betroffenen besteht eine Kommunikationsebene nach außen, auf der positiv und für den Kongo werbend berichtet wird. Auf einer zweiten, inneren Kommunikationsebene besteht eine Frustration über äußere Kräfte, die in die eigenen Initiativen zur Problemlösung und Selbstbestimmung eingreifen. Würde die externe Einflussnahme eingeschränkt, besteht zwar die Gefahr, dass die Korruption kurzfristig ansteigt, doch mittel- und langfristig könnten die Menschen ihre Ohnmacht ablegen und zu neuem Selbstbewusstsein gelangen. Herstellern von Elektroautos wird geraten, Kobalt aus staatlich kontrollierten, artisanalen Abbaustandorten zu beziehen, um den notwendigen Bedarf an Kobalt für die Weiterentwicklung der Elektromobilität zu decken und die Arbeiter2 und Verantwortlichen vor Ort als gleichwertige Partner anzuerkennen.
As electric vehicles have become more widespread, the demand for cobalt to produce rechargeable batteries has grown exponentially in recent years. Two thirds of the world's cobalt originate in the Congo. Western media coverage of the Congo’s cobalt mining is dominated by a negative view seeking to confirm prejudices about child labour. Through field work in the Congo in the form of open-ended interviews with local workers in cobalt mining, the perception of those affected was to be uncovered. While locals refute child labour in the sense of systematic exploitation, they perceive other social problems that are caused by cobalt mining. They devise pragmatic proposals to solve problems, but they do not see themselves as responsible for the implementation of these solutions. Rather, they look for the best way in their volatile environment to secure good earnings. The rules of this environment are constantly negotiated and renegotiated by the Congolese parties involved, irrespective of law. Interference by foreign actors such as international organisations in this intra-Congolese balance increases the perceived volatility and results in a state of paralysis. Two levels of communication have been identified; one towards the outside world, where reports are positive and promote Congo, and a second, internal level of communication with frustration about external forces interfering with their own initiatives for problem-solution and self-determination. Reducing interference from the outside world could bring about a surge in corruption in the short term, however, in the medium to long term, paralysis would diminish, and the Congolese could enter international trade as equals with newfound self-confidence. Manufacturers of electric cars are advised to source cobalt from state-controlled, artisanal mines to meet the necessary demand for the further spread of electric vehicles and to recognise local workers and managers as equal partners.
Avec la généralisation des véhicules électriques, la demande de cobalt pour produire des batteries rechargeables a augmenté de manière exponentielle ces dernières années. Les deux tiers du cobalt mondial proviennent du Congo. Dans les reportages des médias occidentaux, une vision négative de l'exploitation locale du cobalt domine, ce qui devait confirmer les préjugés sur le travail des enfants. Par le biais d'un séjour au Congo et d'entretiens sémi-directifs avec les employés de l'exploitation du cobalt sur place, la perception des personnes concernées elles-mêmes doit être mise au jour. Ils réfutent le travail des enfants au sens d'une exploitation systématique, mais ils mentionnent d'autres problèmes sociaux causés par l'extraction du cobalt. Les personnes concernées formulent des propositions de solutions pragmatiques, mais ils ne se considèrent pas comme responsables pour leur réalisation eux-mêmes. Dans cet environnement volatile, ils cherchent le meilleur moyen de s'assurer les meilleurs gains possibles. Les règles de cet environnement sont négociées par les acteurs congolais indépendamment des lois étatiques. L'interférence d'acteurs étrangers tels que les organisations internationales dans cet équilibre intra-congolais augmente la volatilité perçue et provoque des conditions paralysantes. Parmi les personnes concernées, il existe un niveau de communication avec le monde extérieur, où les rapports sont positifs et font la promotion du Congo. À un deuxième niveau de communication, qui est interne, il y a une frustration des forces extérieures qui interfèrent avec les initiatives personnelles de résolution de problèmes et d'autodétermination. Si l'influence extérieure était réduite, la corruption risquerait d'augmenter à court terme, mais à moyen et long terme, les Congolais pourraient se défaire de leur impuissance et acquérir une nouvelle confiance en eux. Il est conseillé aux fabricants de voitures électriques de s'approvisionner en cobalt auprès des zones d’exploitation artisanales contrôlés par l'État, afin de répondre à la demande de cobalt nécessaire au développement de la mobilité électrique et de reconnaître les travailleurs et les gestionnaires locaux comme des partenaires égaux.
Für meinen Aufenthalt im Kongo hat eine Person, ein Angestellter aus dem Kobaltabbausektor, der nicht benannt werden möchte, seinen Jahresurlaub geopfert und mich ohne Erwartung einer Gegenleistung während meines Forschungsaufenthalts betreut. Er hat zahlreiche Interviewkontakte vermittelt. In der Arbeit wird er Person 0 genannt. Ihm danke ich ganz besonders für seine Hilfe.
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 524.219 rein elektrisch Betriebene PKW neu zugelassen (vgl. EnBW 2024); erst 2020 stand diese Zahl noch bei 194.163 (vgl. Kraftfahrt-Bundesamt 2021). Während 2020 weltweit noch 2,2 Millionen elektrische PKW hergestellt wurden (vgl. Kane 2020), überstieg die Jahresproduktion bereits zwei Jahre später die Zehn-Millionen-Marke (vgl. International Energy Agency 2024). Obwohl in Deutschland zeitweise das Emporschießen der e-PKWs durch Unsicherheiten um die staatliche Förderung abzukühlen schien, wird unter anderem dank der im März 2024 beschlossenen Wachstumschancengesetz für die nächsten Jahre die Fortsetzung des exponentiellen Wachstums erwartet; allein in Deutschland wurden 2023 eine Million batteriegetriebene Autos produziert (vgl. Statista 2024).
Die Batterien der aktuell am Markt erhältlichen Elektrofahrzeuge bestehen aus Nickel-Kobalt-Mangan-Zellen (NCM). Die drei Komponenten sind so genannte Single-Source -Metalle, die an sehr wenigen Orten der Welt abgebaut werden. Die weltweite Produktion an Kobalt stammt zu 70 Prozent aus der Demokratischen Republik Kongo (DRK), Nickel kommt zu 70 Prozent aus Kanada und Mangan zu 74 Prozent aus Südafrika (vgl. U.S. Geological Survey 2019). Bereits vor dem Boom der Elektroautos wurden NCM-Akkumulatoren etwa für Laptops und Smartphones in großer Zahl hergestellt. Elektroautos führen jedoch zu einem Bedarf neuer Größenordnung. Während für die Herstellung eines iPhones zehn Gramm Kobalt benötigt werden, sind für die Herstellung eines elektrisch betriebenen PKW bis zu 60 Kilogramm, d. h. das 6.000-Fache des Metalls, erforderlich (vgl. Seiwert 2019). Durch die Elektrifizierung des Straßenverkehrs in der westlichen Welt wird Prognosen zufolge die Nachfrage für Rohstoffe wie Kobalt bis zum Jahr 2030 um das Zwanzigfache steigen (vgl. Gerding 2019).
Ende 2017 erschienen zunächst in spezialisierten Fachmagazinen, im Jahr darauf vermehrt in deutschen Mainstream-Medien Berichte, laut denen im Südost-Kongo 40.000 Kinder im Bergwerksektor beschäftigt seien (vgl. Wolf 2019; Manager Magazin 2019), was gegen die Menschenrechte verstößt. In den Artikeln wurden in stark emotionalisierter Sprache menschenunwürdige Arbeitskonditionen beschrieben. Die minderjährigen Arbeiter kämen etwa regelmäßig in Kontakt mit den Metallen, die gravierende gesundheitliche Schäden wie starke Hautreizungen oder gar tumorartige Erkrankungen verursachten (vgl. Wolf 2019; Gallagher 2019; Kelly 2019; Kara 2019; Molnár 2019). Diese Berichterstattung in westlichen Medien zeigte Wirkung: Großabnehmer kongolesischer Rohstoffe wie die BMW Group oder Samsung, die von einem positiven Image in der Öffentlichkeit abhängig sind, kündigten bereits zu Beginn des Jahrs 2019 an, kein Kobalt mehr aus dem Kongo beziehen zu wollen (vgl. Eisert 2019). Allerdings erwies sich das Land mit zwei Dritteln der weltweiten Kobaltressourcen als unausweichlich für die Bedienung der großen Nachfrage im Zuge der Elektrorevolution. Daher erteilten unter anderen BMW, BASF und Samsung der deutschen Regierungsorganisation GIZ den Auftrag, nachhaltige Beschaffungsketten in der Katanga-Region im Südosten Kongos zu errichten und zu testen (vgl. Haupt 2019).
Das öffentliche und das politische Interesse sowie das Engagement der deutschen Regierung sind nachvollziehbar: Sollte sich das Bild bewahrheiten, das westliche Medien zur Kinderarbeit im Kongo zeichnen, führte das Verhalten deutscher Konsumenten, bestärkt durch die ökologische Verkehrswende, zu erheblichem Leid von Kindern und Jugendlichen im Kongo.
Zahlreiche Berichte über Kinderarbeit im Südost-Kongo werfen aufgrund fehlender Differenzierungen mehrere Fragen auf. Zu wenig Beachtung findet die lokale Wahrnehmung der Situation: Wie empfinden Beschäftigte des Sektors die Lage selbst? Die vorliegende Masterarbeit im Bereich der interkulturellen Kommunikation und Kooperation erhebt nicht den Anspruch, der Perspektive westlicher Medien die tatsächliche Wirklichkeit entgegenzustellen. Die Thematik müsste wissenschaftlich wesentlich breiter und aus Fächern wie der Bergbau- oder der Wirtschaftswissenschaft behandelt werden. Allerdings soll der Fokus so verändert werden, dass die Situation vor Ort eingehender betrachtet und ein tieferes Verständnis für die Eigenwahrnehmung der Betroffenen entwickelt wird.
Das Ziel, das eigene Verständnis des Kobaltabbaus durch die lokale Sicht anzureichern, soll zu einem Perspektivenwechsel führen: Ich verlasse den Kontext des weißen Forschers und durchlebe eine Kultureinbettung im Kongo. Der Ausgangspunkt dieses Vorhabens ist die Empörung über die Konditionen der Kinder im Kobaltabbau, die von der Berichterstattung in westlichen Medien ausgeht. Sie führt unweigerlich zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Verantwortlichen der lokalen Bergwerkindustrie und gegenüber Eltern, die diese Zustände dulden. Ich habe mir mit der vorliegenden Arbeit jedoch zum Ziel gesetzt, weniger über die Betroffenen, sondern mehr mit ihnen zu sprechen, um die Sichtweise kongolesischer Beschäftigter des Bergwerksektors zu verstehen. Dies bezieht sich auf das Eigenbild von Personen, die im betreffenden Sektor arbeiten, die Wahrnehmung ihres Umfelds, die Situation der Kinder und die Rolle des Kongo auf der internationalen wirtschaftlichen und geopolitischen Bühne.
Das Ziel, die wenig differenzierte westliche Berichterstattung um Perspektiven der Eigenwahrnehmung des Kobaltabbausektors im Kongo ergebnisoffen zu ergänzen, ist nicht allein dadurch erreicht, dass Akteure auf unterschiedlichen Ebenen des Kobaltabbaus vom Schürfer bis zum Manager zu Wort kommen. Die Ergebnisse der vorliegenden Masterarbeit sollen auch in Handlungsempfehlungen münden: Wenn die Betroffenen die Zeitungsberichte bestätigen, sollen Lösungsvorschläge für eine saubere Lieferkette und kinderarbeitfreie Elektroautos entwickelt werden. Sollte sich aber herausstellen, dass die negative Sicht westlicher Medien sich nicht mit den Erfahrungen der Betroffenen deckt, sollten diese Erkenntnisse einerseits zu weiteren und umfassenderen Forschungsarbeiten anregen. Andererseits sollten sie auch der gesellschaftlichen und politischen Öffentlichkeit vermittelt werden, um durch einen Perspektivenwechsel auch bei gesellschaftlich, wirtschaftlich oder politisch Verantwortlichen differenziertere Haltungen zu befördern.
Indem der Fokus auf die lokale Wahrnehmung des Kobaltabbaus im Südosten des Kongo gelegt wird, soll eine weitere wesentliche Perspektive in die Diskussion eingebracht werden. Daher wurde eine erste Version der Forschungsfrage formuliert: Wie ist die lokale Wahrnehmung des Kobaltabbaus im Südosten der Demokratischen Republik Kongo? Die lokale Wahrnehmung bezieht sich auf Mitwirkende im Kobaltabbau, die kongolesischer Nationalität oder Abstammung sind und in der Region leben und arbeiten – Personen, über die in der westlichen Öffentlichkeit gesprochen wird. Je nach Auslegung kann diese Personengruppe als Verursacher oder Erleidende der Menschenrechtsverletzungen im Kongo gesehen werden, aber eine Betroffenheit ist in jedem Fall durch ihre Arbeit, ihren Aufenthaltsort und ihre kulturelle Herkunft gegeben.3 Aus diesen Gründen sollen die Interviewsubjekte der Forschung deutlicher in der Forschungsfrage abgebildet werden, die wie folgt umformuliert und festgelegt wurde: Wie nehmen Beschäftigte des Bergwerksektors im Südosten des Kongo den Kobaltabbau wahr?
Die Gruppe der Beschäftigten bezieht sich auf Personen, die aus dem Kongo stammen, dort leben und im Bergwerksektor – als Schürfer oder als Angestellte industrieller Minen im Kobaltabbau – arbeiten. Da dieser Wirtschaftsbereich der hauptsächliche Ernährer des Gebiets „Grand Katanga“ ist, sind die meisten Menschen der Region direkt oder indirekt vom Bergwerksektor abhängig. Personen, die für Bildung und Forschung im Sektor verantwortlich sind, werden berücksichtigt, wohingegen andere, die auf dem Gebiet industrieller oder handwerklicher Minen zum Beispiel Essen und Utensilien verkaufen, nicht inkludiert werden. In der Forschungsfrage sind Beschäftigte des Bergwerksektors, nicht des Kobaltabbaus aufgeführt, denn oft wird an den Standorten nicht nur nach einem Erz geschürft. Die reichhaltige Erde des Kongo enthält oft Heterogenite, Erze mit mehreren Metallen, die je nach aktueller Preislage und globaler Nachfrage zum Beispiel in Kupfer oder in Kobalt weiterverarbeitet werden können.
Das betreffende geographische Gebiet, der Südosten des Kongo, kann auch als (Grand) Katanga, ein altes Bundesland Belgisch-Kongos, bezeichnet werden (vgl. Anhang 10.3). Lubumbashi, der Regierungssitz der Region, Likasi und Kolwezi gelten als die Minenhauptstädte des Kongo. Grand Katanga wurde mittlerweile in vier kleinere Bundesländer aufgeteilt, da es zu einem Rivalen Kinshasas avanciert war und mit Unabhängigkeitsambitionen gedroht hatte.
Die vorliegende Masterarbeit soll ein Bild der lokalen Wahrnehmung des Kobaltabbaus im Südosten des Kongo ermitteln und daraus ein Verständnis für die Position der Betroffenen in ihrem Lebensraum und im Umfeld des internationalen Handels ableiten. Dieses Verständnis soll durch ein kulturelles Eintauchen vor Ort ermöglicht werden, wobei Interviews mit den Betroffenen geführt werden.
Als Datenerhebungswerkzeug wurde das offene Leitfadeninterview gewählt, das einen tieferen Einblick in die subjektive Wahrheit der Befragten gewährt. Die Interviewpartner wurden von Person 0, die selbst im Kobaltabbau der Region beschäftigt ist, durch convenience sampling – eine willkürliche Stichprobe – ausgesucht. Die Interviews fanden kurz vor der globalen Pandemie im Januar und Februar 2020 statt. Somit waren persönliche Treffen in der Katanga-Region möglich. Die Gespräche wurden überwiegend auf Französisch durchgeführt. Bei Schürfern, die Suaheli bevorzugten, übersetzte Professor Mwitwa von der Universität Lubumbashi. Von Personen, die nicht anonymisiert werden wollten, wurde eine Videoaufnahme, bei anderen eine Tonbandaufnahme erstellt. Die Aufnahmen konnten anschließend maschinell transkribiert, ins Deutsche übersetzt und anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet werden. Die Aussagen wurden durch induktives Codieren generalisiert oder reduziert und anhand wiederkehrender Aspekte im Material kategorisiert. Acht wiederkehrende und kategorisierte Aussagegruppen der Interviewten werden im Schlussteil deduktiv zur Beantwortung der Forschungsfrage entcodiert. Daraus werden Theorien über die Eigenwahrnehmung kongolesischer Akteure abgeleitet, die schließlich mögliche Antworten auf die Forschungsfrage bieten und weitere Perspektiven im wissenschaftlichen Diskurs und in der öffentlichen Debatte aufzeigen.
Im nachfolgenden 2. Kapitel werden zunächst die Ergebnisse der Sekundärforschung vorgestellt. Nach einem historischen Zugang (2.1) werden die aktuellen Berichte der internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen über die Region erörtert (2.2) und die Berichterstattung in kongolesischen und in ausländischen Zeitungsartikeln verglichen (2.3). Kapitel 2.4 präsentiert kongolesische Forschungsberichte über die Auswirkungen des Kobaltabbaus in der Region, Kapitel 2.5 stellt die Problematik dar, über die Kongolesen zu sprechen, die eine scheinbar homogene Nation innerhalb von ehemaligen Kolonialmächten konstruierten Grenzen bilden. Anschließend wird eine Verbindung zwischen dem theoretischen und dem praktischen Teil der Arbeit hergestellt, indem die Implikationen der Erkenntnisse aus der Sekundärforschung für die Primärforschung diskutiert (2.6) und die Wahl der Methoden der offenen Leitfadeninterviews und der qualitativen Inhaltsanalyse begründet werden (3.1). Kapitel 3.2 erläutert die folgenden Schritte der Datenerhebung und Datenauswertung. In Kapitel 4 werden als Ergebnisse der Primärforschung acht, hauptsächlich induktiv kreierte Themenfelder anhand von Zitaten aus den Interviews erstellt (4.1-4.8). Im Schlussteil der Arbeit werden die wesentlichen Ergebnisse zunächst zusammengefasst (5.1) und für die Beantwortung der Forschungsfrage kategorisiert. Zudem werden Handlungsempfehlungen für die internationale Gemeinschaft formuliert (5.2). Abschließend wird ein Ausblick insbesondere in Bezug auf die Hersteller elektrisch betriebener Fahrzeuge gegeben (5.3).
Seit dem dritten Jahrhundert nach Christus ist die Katanga-Region in der heutigen DRK für ihren weltweit einzigartigen Reichtum an Kupfer bekannt (vgl. Mwitwa 2008: 2). Durch die belgische Expedition Bia-Franqui-Cornet im Jahr 1892 galt dieser Reichtum auch für die westliche Welt als bestätigt. Es folgte eine lange Zeit der Ausbeutung der Region: zuerst durch König Leopold II., der die heutige DRK – ein Land, das fast die hundertfache Fläche Belgiens umfasst – als sein Privatgrundstück behandelte, dann ab 1910 durch die belgische Verwaltung. Einerseits wird argumentiert, dass der von König Leopold II. beauftragte Henry Morton Stanley, ein Journalist und Entdecker, Teile der heutigen DRK von arabischen Sklavenhändlern freigekauft habe, die durch das Niederbrennen jahrtausendealter Siedlungen immer tiefer in den Äquatorialwald vorgedrungen sind (vgl. van Reybrouck 2000: 62 ff). Andererseits hätten Stanley und seine Mannschaft eine Herrschaft im Gebiet des Kongoflusses aufgebaut, die sechzehn Millionen Menschenleben gefordert habe4. Belgien verfolgte im Kongo eine andere Strategie als etwa das Vereinigte Königreich in seinen Kolonien, das zum Beispiel Indien nach seinem Vorbild „zivilisieren“ wollte und neben unentschuldbarer Grausamkeiten doch ein bis heute weltweit anerkanntes Bildungssystem hinterließ. Im Kongo diente den Belgiern jegliche errichtete Infrastruktur und selbst der Verlauf der Grenzen allein dazu, die abgebauten seltenen Erden so effizient wie möglich zum Hafen des Landes zu schaffen. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit des Kongo 1960 besaßen lediglich siebzehn Personen ein Diplom in dem von den Belgiern verlassenen Land (vgl. Wrong 2000: 50). Unabhängig von der grundlegend kritischen Bewertung der Kolonialpolitik muss in Bezug auf Belgisch-Kongo hervorgehoben werden, dass weniger zivilisatorische Aspekte im Vordergrund standen, sondern eher der Faktor der Ausbeutung.
Allerdings kann auch argumentiert werden, dass das nach Leopold II. deutlich humanere Belgien-Regime eine funktionierende Infrastruktur aufgebaut hat, die seit der Unabhängigkeit nach und nach verfällt. Bilder Lubumbashis vor 1960 zeigen glatt geteerte Straßen und Schulen mit Schwimmbädern, zu denen auch die lokale Bevölkerung Zugang hatte. Heute können diese Gebäude aufgrund des Verfalls nicht mehr genutzt und Straßen nicht mehr befahren werden.
„Der Kongo besitzt zu Beginn des dritten Millenniums nicht einmal tausend Kilometer asphaltierte Straßen (und die vorhandenen führen vor allem ins Ausland). […] Eine Faustregel besagt, dass eine Stunde Reisen in der Kolonialzeit einem ganzen Reisetag heute entspricht“ (Reybrouck 2010: 27).
Auch in der deutschen Presse aus der Zeit der plötzlichen Unabhängigkeit des Kongo wird auf die Infrastruktur der Katanga-Region verwiesen.
„Anders als im übrigen Kongo beuteten die Belgier ihre schwarzen Untertanen hier nicht aus, sondern schirmten ihre Herrschaft gegen den schwarzen Nationalismus ab. Von Hilfe bei Frühgeburten durch moderne Brutkästen bis zu Klubräumen und Sportplätzen für die Arbeiter bot die Union Minière ihren Leuten die besten Arbeitsbedingungen Afrikas“ (Der Spiegel 1967: 73).
Die Union Minière du Haut Katanga (Bergbauunion des Bundeslandes Haut-Katanga), das Instrument der kolonialen Ausbeutung der Region, wurde nach der Unabhängigkeit 1960 zunächst verstaatlicht. Wegen Korruption und eines Produktionsrückgangs von 70 Prozent wurde sie in den 2000er Jahren wieder privatisiert. Seitdem ist die Bergbauindustrie im Südostkongo ein multilaterales Feld: Acht der zwölf industriellen Minen sind in chinesischer Hand (vgl. OECD 2019), während sich der britisch-schweizerische Glencore, der US-amerikanische Freeport-McMoRan (zum Zeitpunkt der Verfassung ebenfalls in chinesischer Hand) und das belgische Unternehmen Umicore die restlichen Standorte teilen. Achtzig Prozent des erzeugten Kobalts stammen aus diesen industriellen, 20 Prozent aus artisanalen (handwerklich betriebenen) Minen (vgl. GIZ 2018). Von den artisanalen Minen unterstehen etwa zwei Drittel staatlicher Kontrolle, während das verbleibende Drittel illegal betrieben wird. Zwischen diesen drei Arten an Abbaustandorten wird im Verlauf der Masterarbeit unterschieden:
1. Industrielle Minen
2. Staatlich kontrollierte artisanale Minen
3. Illegale artisanale Minen
Die Reglementierung des Kobaltabbaus nimmt ab dem Jahr 2000 zu und steht in starker Verbindung zu Regierungs- und Regimewechseln in der DRK. Das erste umfassende Bergbaugesetz, der code minier, wurde 2002 eingeführt und öffnete den Sektor für ausländische Direktinvestitionen, soweit sie in einem Joint Venture mit einem kongolesischen Partner organisiert sind. 2018 wird der code minier vollständig reformiert: Das neue Bergbaugesetz verbietet Kinderarbeit explizit und schreibt eine Strafe von 10.000 USD pro Tag fest, sollte an einem Standort Kinderarbeit nachgewiesen werden (vgl. Palais du peuple Kinshasa/Lingwal 2018: 69). In dem 71-seitigen Addendum zum ursprünglichen code minier wird allerdings weder beschrieben, von welchem Staatsorgan und auf welche Weise das Verbot der Kinderarbeit kontrolliert oder nachgehalten werden soll, noch wird festgelegt, wofür die Einnahmen aus diesen Strafzahlungen verwendet werden sollen. Laut einem Bericht von Amnesty International (2016: 7) beschäftigt das Bergwerkministerium lediglich zwanzig Kontrolleure für den gesamten Südkongo. Daher beauftragen die Bergwerkunternehmen private Sicherheitsfirmen – oft ein Zweitjob für geringbezahlte Soldaten – um die riesigen industriellen Abbaustandorte zu überwachen. Ebenfalls seit 2018 ist eine Sozialabgabe für industrielle Minen vorgeschrieben, die 0,03 Prozent ihres Umsatzes an die Gemeinden ihres Standorts abgeben sollen. Die mag gering erscheinen. Für den Bürgermeister des Orts Fungurume, Christian Mukunto, bedeutet sie hingegen, dass er plötzlich das Zehnfache der Summe verwalten darf, über die er früher verfügte – und zwar ohne definierte Zielsetzung oder Auditierung (vgl. Odia 2019). Die ersten Einnahmen aus der Sozialabgabe von Tenke Fungurume Mining wurden für die Anschaffung eines Fuhrparks sowie den Bau eines neuen Gefängnisses und Verwaltungsgebäudes verwendet. Diese Verwendung der Einnahmen kann zwar kritisiert werden, doch die gesetzlich festgelegte Sozialabgabe ist ein Beispiel für die eigenständige politische Handlungsfähigkeit des Kongo, die wirtschaftliche Seite des Kobaltabbaus auch der Gesellschaft zugute kommen zu lassen.
Sowohl die Entwicklung als auch die Entwicklungsarbeit waren in der Region auch bereits vor dem nouveau code minier aus dem Jahr 2018 stark an die Bergbauindustrie gekoppelt. Straßen entstanden zum Beispiel für die umliegende Bevölkerung erst nach bzw. durch den Eigentümerwechsel eines Abbaustandorts, wenn der neue Eigentümer sie baute. Infolge wachsender Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen im Kobaltabbau eröffnen immer mehr internationale und europäische Organisationen Büros in Lubumbashi: unter anderen die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die Vereinten Nationen und demnächst auch die Europäische Union selbst (vgl. Chini 2019). Im Fokus steht vor allem das SDG-Teilziel, bis 2025 jede Form von Kinderarbeit zu beenden (SDG 8.7). Sein Indikator (8.7.1) ist der Anteil aktuell arbeitender Kinder in der Altersgruppe zwischen fünf und siebzehn Jahren (Pufé, 2018: 57). Zudem werden die Arbeitsrechte und Arbeitsumgebungen auf Sicherheit geprüft (SDG 8.8), deren Indikatoren die Häufigkeit tödlicher und nicht tödlicher Arbeitsunfälle ist. Jedoch sind auch viele andere SDG von der Arbeit westlicher Regierungsorganisationen im Gebiet betroffen: keine Armut (SDG 1) in Verbindung mit den Arbeitslöhnen, Gesundheit und Wohlergehen (SDG 3) in Verbindung mit Körperkontakt mit Schwermetallen und Beiprodukten der chemischen Separation von Kobalt und Nickel sowie Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäreinrichtungen (SDG 6), da die kontaminierten Abwässer der Bergbauindustrie das Grundwasser gefährden. Somit sind viele Ziele für nachhaltige Entwicklung, deren Erreichung von den Vereinten Nationen zwischen 2025 und 2030 vorgesehen ist, im Südosten des Kongo relevant.
Interkulturelle Zusammenarbeit ist ein unerlässlicher Bestandteil des Kobaltsektors in der DRK. Selbst illegale handwerkliche Minen verkaufen ihr Erzeugnis mittlerweile hauptsächlich an chinesische und indische Zwischenhändler (vgl. Amnesty International 2016: 8). Gewissermaßen wiederholt sich das Rennen um den Reichtum afrikanischer Länder, das Ende des 19. Jahrhunderts europäische Nationen mit kolonialen Ambitionen führten. Von einer Neu-Kolonialisierung Afrikas durch China ist bereits die Rede (vgl. Durden 2020; Mourdoukoutas 2018; Pheiffer 2017). Erste Beziehungen zwischen China und der DRK entstehen bereits in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit. Sie intensivieren sich aber erst Anfang der 2000er Jahre, als China einen explosiv wachsenden Bedarf an Rohstoffen aufweist und eine Vision dynamischer Expansion formuliert, die jedoch eher aus wirtschaftlicher Notwendigkeit als aus geopolitischen Ambitionen heraus forciert wird (vgl. Omasombo-Tshonda 2018: 193). Die DRK und China gründen unter dem Namen Sicomines (für Sino Congolaise des Mines) ein Joint Venture auf Regierungsebene, dem die chinesische Exim Bank zwischen 2008 und 2014 1,2 Milliarden USD bereitstellt (vgl. The-Carter-Center 2017: 46). Weitere drei Milliarden USD kommen von zwei Firmen in chinesischer Staatshand, China Railway Engineering Group und Sinohydro (a. a. O.: 43). Die beiden Summen ergeben zehn Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts der DRK und zeigen, dass chinesische Partner auf allen Ebenen des Bergwerksektors in Katanga unumgänglich sind. In einem Bericht der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation The-Carter-Center werden sino-kongolesische Transaktionen mit wertenden Überschriften betitelt wie: „lieber ein Dollar ausgeliehen für Sicomines als ein Dollar in die Staatskasse gelegt“ oder „Sicomines führt jedes Jahr durchschnittlich 150 Millionen USD an öffentlichen Infrastrukturfonds ab, die nicht durch die Staatskasse fließen“ (ebd.). Diese Rhetorik der Abwertung sino-kongolesischer Kooperationen findet sich sowohl in westlichen Medien als auch in den Berichten westlicher Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen.
Es zeichnet sich ein Bild ab, in dem alte Kolonialmächte neue Kooperationspartner der Region als Neukolonialisten bezeichnen. Nachdem sie in dem selbst eingeführten marktwirtschaftlichen Wettbewerb ihren Einfluss verlieren, scheinen sie zahlreiche Organisationen mit Berichten über die lokale Menschenrechtslage zu beauftragen. In diesem harten Wettbewerb der wirtschaftlichen Interessen und der Deutungshoheit über die Lage finden die Stimmen der lokalen kongolesischen Beteiligten wenig Gehör. Kongolesen haben geringe Möglichkeiten, ihre Stimme vernehmbar zu erheben und ihre Interessen im eigenen Land zu vertreten. Der Austausch auf der globalpolitischen Bühne und im globalen Handel ist einer unter Ministern und Geschäftsleuten, nicht unter chefs de terre 5 – Bezirksleiter nach der präkolonialen kongolesischen Selbstregierungsform. Ihre Gesellschaft wird anhand von westlich orientierten Leistungsindikatoren gemessen. Um gehört zu werden und Zugang zum globalen Markt zu erhalten, lernen sie entweder die Sprache und die Mechanismen, welche die globalisierte Bühne bestimmen, und opfern dadurch einen Teil ihrer Identität und Selbstbestimmung, oder sie geben auf und werden von der globalen Nachfrage und deren Befriedigung durch internationale Konzerne auf ihrem Territorium ohnmächtig getrieben.
„Er [der Assimilierte] zeugt von der Möglichkeit, dass der Neger unter bestimmten Umständen zwar nicht uns gleich und unseresgleichen, aber zumindest doch unser alter ego zu werden vermag und dass die Differenz aufgehoben, getilgt oder resorbiert werden kann. […] Damals glaubte man, die drei Träger dieser Erziehung seien die Bekehrung zum Christentum, der Zugang zur Marktökonomie durch Arbeit und die Übernahme rationaler und aufgeklärter Formen der Regierung“ (Mbembe 2015: 167 ff).
Keine dieser Optionen ist eine besonders Verlockende: gliedert man sich in die Weltordnung durch die Aufgabe eigener Verwaltungsformen auf, droht die Gefahr, dort als zweitrangiger Akteur behandelt zu werden. Verringert man den Anspruch auf Selbstbestimmung und lässt sich treiben, gibt man ein Teil der Werte auf, für die vor und während der Liberalisierung Kongos gekämpft wurde.
Die wachsende Bedeutung von Kobalt als strategisch wichtigem Material für die Digitalisierung und Elektromobilität in der westlichen Welt lenkte den Blick auf die Umstände des Abbaus im Kongo. Regierungsorganisationen mehrerer Länder eröffneten daher Niederlassungen in Lubumbashi, Likasi oder Kolwezi (vgl. Anhang 10.3), um die Arbeitsbedingungen vor Ort zu untersuchen und vermutete Menschenrechtsverletzungen im Bergbausektor transparent aufzudecken. Neben der deutschen GIZ und BGR berichten auch eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation, The-Carter-Center, sowie die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) berichten über die Menschenrechtssituation in Haut-Katanga und Lualaba (vgl. The-Carter-Center 2017; OECD 2019).
Der erste umfassende Bericht über Menschenrechtsverletzungen im Kobaltabbau in der Katanga-Region für die Zeit nach der Privatisierung wurde im Januar 2016 von Amnesty International mit dem Titel „This is what we die vor“ (Dafür sterben wir) veröffentlicht. Die methodische Grundlage bildete ein qualitativer Ansatz mit Interviews ganz im Sinne der interkulturellen Wissenschaft, welche die Ursprünge der Menschenrechtsverletzungen wie Kinderarbeit aufdecken möchte. Im Bericht von Amnesty International wird darauf verwiesen, dass der code minier 2002 die DRK für internationale Investoren interessant machen sollte. Weite Teile des Südost-Kongo seien für globale Unternehmen zum Kupfer- und Kobaltabbau freigegeben worden. Die lokale Bevölkerung, die sich durch handwerklichen Abbau ernährte, sei vertrieben oder in die Illegalität gezwungen worden, da zunächst kaum ZEA, staatlich kontrollierte handwerkliche Abbauzonen, eingerichtet worden seien (vgl. Amnesty International 2016: 5 ff). Die für globale Unternehmen ausgewiesenen Abbauregionen erstrecken sich wie im Fall von Tenke Fungurume Mining (TFM) über 100 km. Daher ist eine komplette Umzäunung nicht möglich, Lebensraum und Abbaugebiet vermischen sich. Für die lokale Bevölkerung bietet es sich an, die von TFM maschinell ausgegrabene kobalthaltige Erde zu stehlen und durch Bestechen der Straßenkontrollen zu Schwarzmärkten zu transportieren, die ebenfalls in chinesischer Hand sind (vgl. Amnesty International 2016: 8). Dieses Vorgehen wird von der lokalen Bevölkerung als porosité (Durchlässigkeit) der Kontrollstationen bezeichnet. Das Volumen ist unbekannt. Clandestins, illegal operierende Gruppen von von vier bis acht Bergarbeitern, stehen außerhalb staatlicher Kontrolle und können auch Minderjährige umfassen. Der Bericht von Amnesty International bietet einen umfassenden Einblick in den südostkongolesischen Kobaltabbau, erhebt aber keinen Anspruch auf Repräsentativität: Die im Detail beschriebenen Prozesse und strukturellen Herausforderungen betreffen nur handwerkliche Abbaustandorte, die auch 2016 schon für weniger als ein Fünftel des kongolesischen Kobaltvolumens verantwortlich waren.
Der 2016 veröffentlichte Bericht von Amnesty International – der erste dieser Art – legt mit seiner emotionalen Tonlage das Fundament für spätere, westliche Zeitungsartikel, die ab 2017 vermehrt erscheinen. Amnesty International nennt Zahlen nur am Rande und lediglich als Zitat vorheriger Schätzungen. Die Menschenrechtsverletzungen werden anhand von Case Studies und der Beschreibung einzelner Kinder mit Namen und Fotos emotional und bildhaft in Szene gesetzt. Paul (14), der seit seinem zwölften Lebensjahr zehn bis zwölf Stunden täglich untertage arbeite, sei durch das Inhalieren von Kobaltpartikeln an einer Hartmetall-Staublunge erkrankt. Deny, ein minderjähriger clandestin, sei bei seinen Aktivitäten ertappt worden und habe das Sicherheitspersonal des Bergwerkunternehmens nicht bestechen können, woraufhin er brutal zusammengeschlagen worden sei. Der Bericht trifft mit seinem Fokus auf Einzelschicksale und seinem emotionalisierten Stil den Nerv der Presse. Zunächst wird das Thema in Fachzeitschriften der Bergwerkindustrie aufgegriffen und findet seinen Weg ab 2017 durch die Fachpresse für Elektronik und Fahrzeuge nach und nach in die Mainstream-Medien.
Neben der bildhaften Vorstellung einzelner, minderjähriger Opfer des Kobaltabbaus emotionalisiert der Bericht von Amnesty International zusätzlich durch die Nennung von Marken, die in vielen Haushalten der westlichen Welt konsumiert werden. Kobalt, das aus handwerklichen Minen stamme und auf dem Schwarzmarkt von chinesischen Händlern aufgekauft worden sei, konnte von Amnesty International mutmaßlich zu den bekanntesten Herstellern von Unterhaltungselektronik weiterverfolgt werden – genannt werden Apple, Dell, Microsoft, aber auch deutsche Fahrzeughersteller wie Daimler und Volkswagen (Amnesty International 2016: 9). Die OECD sieht Due-Diligence-Leitlinien für verantwortungsvolle Lieferketten von Mineralien aus Konflikt-Gebieten vor, sodass unter anderen die genannten Großunternehmen vollkommen für ihre eigene Lieferkette verantwortlich sind. Dies bedeutet, dass große Marken auch für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden können, die von Zulieferern ihrer Zulieferer mehrere Trennungsgrade entfernt verursacht wurden. Seit Mai 2011 gelten diese Leitlinien als internationaler Standard und wurden von UN-Mitgliedstaaten inklusive Chinas und der DRK ratifiziert (vgl. Gillard 2016). Zusätzlich zu den Due-Diligence-Leitlinien gilt in Deutschland seit 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz Lieferkettengesetz oder LkSG), das 2024 nochmal verschärft wurde und nun auch kleinere Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Lieferanten und Unterlieferanten bis hin zum Ursprung der Rohstoffe in Bezug auf Menschenrechte und Umweltstandards zu überprüfen (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2024). Die strikte Einhaltung dieser Leitlinien würde westlichen Fahrzeugherstellern durch ein Höchstmaß an Sorgfalt in ihren Einkaufsprozessen die Garantie abverlangen, dass keine einzige Fahrzeugkomponente Materialien enthält, die mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden können.
Der umfassendste und zum Zeitpunkt des Verfassens aktuellste Bericht einer westlichen Regierungsorganisation über die Menschenrechtslage im Südost-Kongo stammt aus Oktober 2019 von der deutschen BGR. Mit Partnern wie The-Carter-Center, über Drohnen und eine eigens entwickelte Smartphone-Applikation suchte die BGR alle 102 artisanalen Minen des Südost-Kongo auf und hielt fest:
„Kinderarbeit ist zwar weiterhin in manchen artisanalen Minen festzustellen, wird allerdings nicht als ubiquitäres Problem bewertet, insbesondere nicht als schwerste Formen der Kinderarbeit im Sinne der Internationalen Arbeitsorganisation, die als Basis der Definition in der OECD-Leitlinie zur Sorgfaltspflicht in der Lieferkette gilt. Die aktuell beobachtete Größenordnung der Kinderarbeit unterscheidet sich damit deutlich von den Beobachtungen vorheriger Publikationen“ (BGR 2019: iii).
Die BGR schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 2000 Kinder im Bereich des Abbaus arbeiteten. Insgesamt waren etwa 100.000 Personen dort beschäftigt (vgl. ebd.). In fast allen Zeitungsartikeln, die sich mit dem Thema Kinderarbeit im Südosten der DRK befassen, wird hingegen von 40.000 Kindern ausgegangen, die im Bergbausektor beschäftigt sein sollen. Diese Zahl stammt aus einer von der UNICEF unterstützten Masterarbeit aus dem Jahr 2009 (vgl. Musao 2009), in der Schätzungen auf die gesamte Region hochgerechnet wurden (vgl. BGR 2019: 46). Offenbar wurde die Grundlage dieser Feststellung nie überprüft, die Plausibilität dieser Rechnung nie angezweifelt. Obwohl aktuellere und zuverlässigere Berichte den aktuellen Stand der Kinderarbeit in der Region darlegen, die leicht zugänglich sind und bei einer grundlegenden thematischen Recherche auffallen müssen, scheinen viele Journalisten die wesentlich höheren Zahlen zu bevorzugen. Sie lassen sich leichter skandalisieren. In einem Skype-Gespräch sagte der Autor des 2019er BGR-Berichts, wenn man ihn frage, was die zehn größten strukturellen Herausforderungen des Sektors seien, würde er Kinderarbeit nicht hinzuzählen. Einzelne Schicksale sollen keineswegs bagatellisiert werden. Jedoch zeichnete sich bereits vor meinem Forschungsaufenthalt im Kongo der Verdacht ab, viele Berichte über Kinderarbeit in westlichen Medien seien ein Mittel der Aufmerksamkeits- und Umsatzgenerierung. Je emotionaler und skandalöser ein Titel, zum Beispiel „Wie viel Blut steckt in Ihrem iPhone?“, desto mehr Personen zeigen Interesse, öffnen im Internet einen Artikel und nehmen die Werbung auf dem Nachrichtenportal wahr, die ihn umrahmen. Emotionen wie Empörung oder Betroffenheit generieren Klicks.6
Den Ausgangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit bildeten Berichte in westlichen Medien, die Menschenrechtsverletzungen im Kobaltabbau im Kongo beschrieben und das Konsumverhalten in Europa damit in Verbindung brachten. Um einen Vergleich der Wahrnehmung des Sektors in westlichen und in kongolesischen Medien anzustellen, wurden insgesamt vierzig Zeitungsartikel, die zwischen 2017 und 2020 erschienen, exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit ausgewählt und hinsichtlich Hauptthemen, genannte Quellen, Bilder und Tonlage analysiert (siehe Anhang 10.2). Zwanzig der geprüften Artikel wurden in kongolesischen Nachrichtenportalen veröffentlicht, neun in den USA, acht in der Europäischen Union und in dem Vereinigten Königreich, zwei in Südafrika und einer in Israel. Die Artikel wurden zunächst auf ihre Schlüsselthemen reduziert. Die Berichte in den westlichen Medien über den Kobaltabbau in der DRK greifen zu 67 Prozent Kinderarbeit, zu 22 Prozent Neokolonialisierung durch China und zu 11 Prozent Korruption als Schlüsselthemen auf. 55 Prozent der Artikel in der kongolesischen Presse berichten über diese Probleme zwar ebenfalls, zusätzlich wird jedoch eine andere Seite des Kobaltsektors beleuchtet: seine Rolle als Ernährer und als Chance. 27 Prozent der kongolesischen Berichte befassen sich mit lokalen Initiativen, die erfolgreich gegen Menschenrechtsverletzungen ankämpfen, weitere 18 Prozent beschreiben die DRK als einen guten Investitionsstandort und verweisen auf die wirtschaftliche Entwicklung dank des Kobaltabbaus. Alle achtzehn westlichen Zeitungsartikel greifen ausschließlich negativ behaftete Themen in Verbindung mit dem Kobaltabbau auf: Kinderarbeit, Neokolonialisierung oder Korruption. Demgegenüber ist die afrikanische Berichterstattung eher ausgewogen. Die kongolesischen und südafrikanischen Artikel berichten teils positiv, z. B. über den Kongo als guten Investitionsstandort, teils eher neutral, z. B. über den lokalen Kampf gegen anerkannte Probleme wie Kinderarbeit, und teils auch negativ, z. B. über Manipulationen internationaler Unternehmen oder die Korruption kongolesischer Staatsbediensteter und -beauftragter.
Neben den Hauptthemen der Zeitungsartikel, die in den westlichen Medien ausschließlich negativ besetzt und in den kongolesischen ausgewogen ausfielen, unterscheidet sich auch die Emotionalität, mit der über den Kobaltabbau im Kongo berichtet wird. Vierzehn der vierzig Zeitungsartikel enthalten Bildmaterial, darunter zwei kongolesische und zwölf westliche. Acht dieser zwölf westlichen Zeitungsartikel zeigen ein oder mehrere Bilder von Kindern, die Zeitungsleser emotional berühren (sollen). Drei weitere Artikel bilden Chinesen in Führungssituationen oder als Weisungsgeber ab und ein weiterer zeigt erwachsene schwarzafrikanische Minenmitarbeiter. Unter den zwei kongolesischen Zeitungsartikeln findet sich ebenfalls ein Bild von arbeitenden Kindern und ein weiteres, eher neutrales Bild von Menschen in einer Arbeitssituation (in diesem Artikel stand die schleppende Entwicklung der Infrastruktur in der Region im Zentrum). Neben Bildern mit einzelnen Kindern in Situationen von Not und Leiden, die bei Lesern Emotionen hervorrufen sollen, kann die Verwendung bildhafter Sprache festgestellt werden: „I saw the unbearable grief inflicted on families by cobalt mining. I pray for change“ (Kara 2019) – zu Deutsch etwa „ich sah den unerträglichen Kummer, den der Kobaltabbau Familien zufügt und bete um Veränderung“. Die kongolesischen Zeitungsartikel sind dagegen sachlicher und lösungsorientierter gehalten. Die anerkannten Probleme werden nicht nur in den Raum gestellt und als beklagenswerter Zustand beschrieben, um den Leser aufgebracht zurückzulassen, sondern es werden auch Teilerfolge lokaler Initiativen und ein allgemeiner, stetiger Kampf vorgestellt, mit dem gegen Ungleichheit, Kinderarbeit oder tricksende Akteure vorgegangen wird.
Die westlichen Zeitungsartikel beziehen ihre Informationen lediglich von westlichen Nachrichtenagenturen wie Bloomberg, CNN, Guardian, la/dpa oder Organisationen. Kongolesische Gesetzestexte, Politiker oder Pressemitteilungen werden nicht zitiert. Demgegenüber wird in den kongolesischen Artikeln auf eine Ausgewogenheit zwischen westlichen und kongolesischen Quellen geachtet. Ein Viertel der kongolesischen Artikel nennt Quellenangaben, darunter internationale Regierungsorganisationen und zweimal den kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi. Westliche Artikel verweisen doppelt so häufig auf Quellen, wobei der veraltete Unicef-Bericht, der von 40.000 im Bergbausektor arbeitenden Kinder im Südostkongo ausgeht (vgl. Musao 2009), immerhin noch dreimal als Quelle genannt wird, obwohl weit umfangreichere und genauere Zahlen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung frei zugänglich waren. Offen bleiben auch die Quellen und Hintergründe der Bilder von arbeitenden und leidenden Kindern, die in westlichen Zeitungsartikeln verwendet wurden. Obwohl das Problem der Kinderarbeit als omnipräsent dargestellt wird, wiederholt sich bei voneinander unabhängig verfassten Berichten mehrfach das gleiche Bild eines Sack tragenden Jungen. In Gesprächen mit zwei belgischen Journalisten in Lubumbashi und mit Minenarbeitern im Südostkongo wurde mir zugetragen, dass Journalisten mit dem expliziten Auftrag in das Gebiet entsandt würden, Kinderarbeit zu fotografieren. Vor Ort seien sie aus ihrer Sicht mit dem Problem konfrontiert, dass die erwarteten Bilder nicht gemacht werden könnten, weil die Situation in der Realität anders aussehe. In äußersten Fällen würden Familien in illegalen Minengebieten bis zu 100 USD gezahlt, damit sie eines ihrer Kinder für ein Foto in einen Schacht stellten. Diese Angaben beruhen auf subjektiven Erfahrungen, konnten jedoch nicht aufgezeichnet oder wissenschaftlich überprüft werden. Sie stammen allerdings aus voneinander unabhängigen Quellen. Diese Wiederholung lässt den Schluss zu, dass Vertreter westlicher Medien eher an der Bestätigung festgefahrener Sichtweisen weißer Überheblichkeit und Klickzahlgenerierung als an einer umfassend aufklärenden oder lösungsorientierten Berichterstattung interessiert sind.
Da die vierzig Zeitungsartikel lediglich exemplarisch ausgewählt wurden – es wurde keine ganzheitliche Medienbeobachtung über einen bestimmten Zeitraum betrieben –kann dieser Pressespiegel nur einen ersten Einblick in die lokale Wahrnehmung des kongolesischen Kobaltabbaus im Vergleich mit westlichen Perspektiven bieten. Anhand dieses Pressespiegels kann argumentiert werden, dass es in westlichen Medien immer noch eine post-koloniale Sicht herrsche: alles, was die Afrikaner ohne uns machen, kann nur schlecht sein; alles, was sie mit den Chinesen machen, ist noch schlechter. Franck Fwamba, Gründer der kongolesischen Nichtregierungsorganisation „Ne touche pas à mon cobalt“ (Finger weg von meinem Kobalt) sieht sogar eine Hetzkampagne gegen kongolesische Produkte und die sino-kongolesische Zusammenarbeit. Westliche Beobachter seien schlechte Verlierer. Journalisten aus ehemaligen Kolonialstaaten wie Belgien oder Deutschland nähmen ihre Verantwortung kaum wahr. Wenn ihre Berichterstattung anhand veralteter Quellen eine Ablehnung kongolesischer Rohstoffe auslöst, werden vermeintlich arbeitende Kinder nicht von der Mine in die Schulklasse kommen. Vielmehr wäre die Folge, dass sich viele Familien die Ausbildung ihrer Kinder nicht mehr leisten können.
Die Mehrzahl an Berichten und Analysen über den kongolesischen Bergbausektor, die aktuell publiziert sind, stammt von westlichen Organisationen. Ein Blick in die Archive der Université de Lubumbashi sowie des Centre d’Etude des Problemes Sociaux (Zentrum zur Erforschung sozialer Probleme) in Lubumbashi, wo vor Ort entstandene Studien, Master- und Doktorarbeiten der letzten Jahrzehnte vorliegen, offenbart einen graduellen Wandel der lokalen Einstellung. Der Bergwerksektor wird bis in das späte 20. Jahrhundert in einem vornehmlich positiven Licht dargestellt: als verlässliche Einkommensquelle, die fest in der Erde verankert ist und dadurch der Region nicht entrissen werden kann. Ab den frühen 2000er Jahren weisen Arbeiten kongolesischer Sozialwissenschaftler eine wachsende lokale, kritische Sicht auf den Bergwerksektor und die gesellschaftlichen Herausforderungen auf, die dieser mit sich bringt.
Jean-Claude Bruneau veröffentlichte 1990 seine Doktorarbeit „Lubumbashi : capitale du cuivre“ (Lubumbashi: die Kupferhauptstadt), in der der Bergwerksektor aus lokaler Sicht zunächst als reiner Segen beschrieben wird, dem die Stadt ihren internationalen Aufstieg zu verdanken habe.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Bruneau verfasste seine Arbeit in den letzten Jahren vor dem endgültigen Zerfall des dreißigjährigen Mobutu-Regimes, das noch durch westliche Kredite ohne Rückzahlfrist zwangsbeatmet wurde. Mobutu kann zwar durch starkes nation building den Zerfall Zaires entlang ethnischer Grenzen verhindern, hat ansonsten aber wenige positive Errungenschaften vorzuweisen. Noch ist Lubumbashi Hauptstadt des großen Bundeslandes Katanga, das 2015 in vier kleinere Provinzen aufgeteilt werden soll. Bruneaus Sprache, der übrigens Franzose, nicht Kongolese war, ähnelt zum Teil der eines Werbeprospekts: Lubumbashi wird die „offensichtliche Anarchie der gegenwärtigen Situation“ dank des Bergwerksektors überstehen, genau, wie sie „den Schock der Entkolonialisierung“ (ebd.) überstand. Die über eintausend Seiten lange Doktorarbeit, in welcher der lokale Kupfer- und Kobaltabbau in positivem Überschwang dargestellt wird, scheint kongolesischen Lesern Hoffnung und ausländischen Lesern Lust auf Direktinvestitionen geben zu wollen.
Einen Kontrast zu Bruneaus Dissertation liefert unter anderen die 2008 erschienene Masterarbeit von Mwamba Kilunzi, Sohn einer kongolesischen Bergwerksfamilie aus Likasi, der soziale Schwierigkeiten als Konsequenz geiziger ausländischer Investoren im Bergbau darstellt. Kilunzi erforschte für seine Masterarbeit im Fach Angewandte Pädagogik die sozialen Auswirkungen der Bergwerkaktivitäten in Likasi. Er beschreibt eine Stadt, in der lokale Personen – Erwachsene mit und ohne Diplom, auch Kinder – aus wirtschaftlicher Not mit ausländischen Investoren zusammenarbeiten müssen (vgl. Kilunzi 2008: 22), da sie sich langfristiges Denken einfach nicht leisten können. Es gibt zwar Anfänge von Interessengemeinschaften und Gewerkschaften, wovon jedoch nur diejenigen profitieren, die dort gehobene Posten bekleiden. Journaliers, Arbeiter ohne Vertrag, die täglich dorthin gehen, wo es eine Aussicht auf lukrative Arbeit gibt, profitieren nicht von den Kooperativen, die ihr Interesse gegenüber den ausländischen Investoren vertreten sollen. Auf deren Seite ist Kostenminimierung einer der wichtigsten Faktoren, weswegen nur die Metallbestände unmittelbar unter der Oberfläche abgebaut werden. Solange es anderswo einfacher erreichbare Vorkommen gibt, wird nicht in die Tiefe gegraben. Dadurch entsteht ein nicht nachhaltiger Oberflächenabbau, der die Stadt entstellt und keine Rücksicht auf Umweltfaktoren nimmt. Gleichzeitig wird der Anbau von Nahrungsmittel für die Bevölkerung in der Nähe von Städten unmöglich gemacht. Die ausländischen Investoren sehen eine Behandlung des Kobalts und Kupfers in den industriellen Minen ganz bewusst nicht unter Einhaltung internationaler Hygiene- und Sicherheitsvorschriften vor. Durch das Waschen der Erze im Fluss werden im Grundwasser unter anderem radioaktive Materialien freigesetzt (a. a. O., 37). Die Arbeitsbedingungen beschreibt Kilunzi einerseits ähnlich wie der OECD-Report bildhaft, jedoch sachlicher und ohne die zusätzlichen emotionalen Färbungen wie in westlichen Zeitungsartikeln:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Kilunzi bezeichnet Arbeitgebende des Sektors stets als investisseurs étrangers. Sie werden dargestellt als ausländische Investoren ohne Benennung der Herkunftsregion, nie als Personen, sondern eher als gesichtslose Institutionen – ein durchgehender „Sie gegen uns“-Ansatz. Sie zahlen Arbeiter unzuverlässig – auf einer täglichen Basis anhand von zwei Indikatoren, welche die Arbeiter selbst nicht nachprüfen können: nach Gewicht und Metallgehalt der hinaufbeförderten Erde. Die sozio-ökonomischen Folgen des Journalier -Daseins – einer Beschäftigung von einem Tag auf den nächsten – ist eine noch höhere Abhängigkeit von den Investoren, eine sehr kurzfristige Lebensplanung und der Einbezug der eigenen Kinder im Falle der Arbeitsunfähigkeit. Neben der Kritik an den ausländischen Investoren äußert Kilunzi sein Unverständnis für die lokale Bevölkerung, die dies auf eine „irrationale Art“ mitmache. Artisanale Bergwerkarbeiter, die auf einem sehr niedrigen Lebensniveau seien, wollten durch den Kauf von Kassettenradios, Fahrrädern oder Fernsehern ihren sozialen Status in der Gemeinde verbessern (a. a. O., 43). Dadurch sei der Bergwerksektor sowohl Verursacher der generellen sozio-ökonomischen Krise der Region als auch eine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Die Arbeit wird ohne Empfehlungen, jedoch mit einer deutlichen Feststellung zur Verletzung der Menschenrechte abgeschlossen:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Personen kongolesischer Herkunft, die sich mit dem Thema Menschenrechte im Kobaltabbau befassen, müssen mit politischen und gesellschaftlichen Retorsionen rechnen. Kilunzi wurde bereits fünf Jahre vor Erscheinen seiner Masterarbeit im Jahr 2003 auf einer Demonstration für Menschenrechte festgenommen und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt (vgl. Mulamba 2003). Auch Franck Fwamba wurde 2012 nach seinem Artikel über den staatlichen Einfluss im Bergwerksektor zunächst telefonisch bedroht und anschließend in Lubumbashi entführt (vgl. Committee to Protect Journalists 2012). Er lebt aktuell in der Republik Südafrika. Diese Retorsionen können, wenn sie aus der Gesellschaft kommen, ein Indikator für Wut unter der Oberfläche sein.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Metaanalyse deutliche Unterschiede zwischen der westlichen Wahrnehmung des kongolesischen Kobaltsektors und dem Eigenbild der lokal Betroffenen offenbart. Seit dem Zurückdrängen westlicher Interessen in der Region zugunsten von chinesischen Joint Ventures berichtet die westliche Presse über den Kobaltabbau ausschließlich negativ und emotionalisiert und verzichtet auf umfassende Recherchen. Die kongolesische Abbildung des Sektors ist differenzierter: In wissenschaftlichen Arbeiten und journalistischen Berichten werden strukturelle Probleme ebenfalls erwähnt, man ist aber gleichzeitig bemüht, lokalen Initiativen eine Stimme zu geben und die Region als einen attraktiven Investitionsstandort darzustellen. Gleichzeitig gibt es Anzeichen für eine Kommunikation kongolesischer Autoren auf zwei Ebenen: eine nach außen, die den Sektor positiv und interessant darstellt, und eine nach innen, welche die Probleme benennt und intern lösen möchte, ohne international Aufmerksamkeit zu erregen.
Die DRK liegt zentral in Subsahara-Afrika entlang des Äquators; ihre Fläche entspricht der Fläche Westeuropas. Sie ist somit siebenmal größer als Deutschland und das größte Land in Subsahara-Afrika. Da die am westeuropäischen Schreibtisch gezeichneten Grenzen des Landes so gut wie nichts mit den historischen Lebensräumen der über zweihundert ethnischen Völkern der Region zu tun haben, ist es bedenklich, aus europäischer Perspektive von einer kongolesischen Kultur zu sprechen (vgl. Appiah, Gates 2010: 14 ff). Achille Mbembe geht in seinem Buch „Kritik der schwarzen Vernunft“ sogar einen Schritt weiter: Kulturforschung sei ein Werkzeug, scheinheilig weiterhin Rassist sein zu dürfen.
„Die europäische Dämmerung kündigt sich zu einer Zeit an, da die europäisch-amerikanische Welt immer noch nicht weiß, was sie vom Neger wissen (oder aus ihm machen) wollte. In vielen Ländern grassiert seither ein ‚Rassismus ohne Rassen‘. Um weiterhin Diskriminierung betreiben zu können und zugleich begrifflich undenkbar zu machen, mobilisiert man statt der ‚Biologie‘ nun ‚Kultur‘ und ‚Religion‘. Man gibt vor, der republikanische Universalismus sei blind für die Rasse, schließt aber die Nichtweißen in ihre angebliche Herkunft ein und vermehrt unablässig die in Wirklichkeit rassifizierten Kategorien, die in der Mehrzahl die alltägliche Islamophobie nähren“ (Mbembe 2015: 22 ff).
Ausgehend von Mbembes zugespitzter Argumentation ist die Klassifizierung von Menschengruppen anhand des Kulturbegriffs ebenso bedenklich wie anhand der Hautfarbe oder ähnlichen Kriterien. Dies gilt insbesondere, wenn Kultur mit Nationen gleichgesetzt wird, deren Grenzen von Weißen gezeichnet wurden.
Die Anwendung elementarer Kulturdimensionen, wie das von Hofstede oder Gudykunst et al., auf den Südost-Kongo offenbart gleich mehrere Limitationen dieser Modelle. Erstens suggerieren Kulturdimensionen, die beschriebene Kultur sei zu einem hohen Grad homogen und dadurch auf zweidimensionalen Skalen zuverlässig zu verorten. Zweitens werden der Einfachheit und Vergleichbarkeit wegen Nation und Kultur gleichgesetzt. Hofstede teilte in seinen ursprünglichen Kulturprofilen – womöglich den Protest vorausahnend – Afrika nicht in einzelne Länder auf, sondern in die Regionen Ostafrika, Westafrika, Südafrika (das Land) und die arabischen Länder. Ost- und Westafrika hätten sehr ähnliche Werte und könnten fast als eine uniforme Region gesehen werden (vgl. Hofstede 1992: 312 ff). Die DRK liegt geographisch in der Mitte dieser Regionen. Sie sind geprägt von einer doppelt so hohen Akzeptanz von Machtdistanz wie Deutschland, während Individualismus weniger als ein Drittel eine Rolle spielt. Maskulinität und auch Unsicherheitsvermeidung werden ebenfalls niedriger eingestuft als in Deutschland. Bei der langfristigen Orientierung hat Westafrika sogar den niedrigsten Wert (16) aller Länder und Regionen. Sowohl West- als auch Ostafrika werden als „High-context“-Kulturen eingestuft (vgl. Gudykunst, Ting-Toomey, Chua: 83). Mit diesen Werten liegt Kongo in allen Kulturdimensionen im Herzen des durch einen beziehungsorientierten Kommunikationsstil definierten Süd-Clusters (vgl. Koch 2017: 173). Lediglich bei Unsicherheitsvermeidung liegen Westafrika mit 54 und Ostafrika mit 52 unter dem für das Süd-Cluster festgestellten Werts von 65 – bei einer Skala von 8 bis 112 ein knapper Outlier. Der Faktor der starken Unsicherheitsvermeidung kann für das Süd-Cluster, mit Ausnahmen wie China oder Indien, am wenigsten zugeordnet werden. „So können Angehörige von Kulturen, bei denen Unsicherheitsvermeidung weniger stark ausgeprägt erscheint, auf unsichere Situationen im Alltag tatsächlich mit einer geringen Unsicherheitsvermeidung reagieren“ (ebd.). In der Bergbauregion des Kongo befinden sich Bewohner in einem volatilen Umfeld und müssen vereinzelt sogar mit gewalttätigen Räuberbanden und Entführungen rechnen (vgl. Malulu 2019). Sie müssen daher einen Grad an Immunität für Unsicherheit im Alltag mitbringen. „Gleichzeitig wird das Risiko – etwa im Zusammenhang mit der bestehenden Machtdistanz – einem Vorgesetzten nicht zuzustimmen oder seine eigene Meinung zu äußern, möglichst vermieden“ (Koch 2017: 173). Eine Beziehungspflege erscheint als wichtig – man weiß gern, mit wem man zu tun hat. Neben dem Kennenlernen und informellen und persönlichen Austausch besteht eine formelle Ebene der Genehmigungen, Zertifikate und Einladungsschreiben, um sich abzusichern und hierarchische Unsicherheiten zu vermeiden. Kommunikation verläuft somit mindestens auf zwei Ebenen: Auf der inoffiziellen Ebene sind Aufbau und Pflege einer Beziehung und Zusammenhörigkeit wichtig, während auf der offiziellen Ebene Regeln und Hierarchien strikt einzuhalten sind.
Die Bergbauregion im Südosten des Kongo ist zusätzlich durch eine doppelte innere Kultur geprägt: Kongolesen mit einem höheren Bildungsabschluss sprechen Französisch, andere Suaheli. Kongolesen, die in Städten wohnen oder auf dem Land in mittleren bis höheren Positionen der Bergbaufirmen arbeiten, sind durch die französische Sprache als solche einzuordnen. Kongolesen auf dem Land, die Arbeiter sind oder eigene, artisanale Minen betreiben, sprechen vorwiegend Suaheli. Sie gelten hinsichtlich ihres Bildungsgrads, ihres Informationsstands und der demokratischen Mitbestimmung eher als Außenseiter. Der sprachliche Ausdruck von Zugehörigkeit und Fremdheit unter Kongolesen wird dadurch besonders plastisch. In monolingualen Kontexten wie dem deutschsprachigen machen Mikrophänomene Akteure in einem Gespräch als Mitglieder bestimmter Gruppen erkennbar – etwa in Bezug auf die regionale oder nationale Herkunft oder den Beruf (vgl. Hausendorf 2002: 26 ff). Im Kongo kann jeder bereits beim ersten Wort zugeordnet werden. Mit Blick auf die Bergwerkindustrie kann selbst innerhalb der Gruppe artisanaler Bergbauarbeiter zwischen creuseur (einfacher Arbeiter bzw. Schürfer) und sponseur (ein Teamleiter und Bindeglied zur Kooperative) unterschieden werden. Dies kann identitätsstiftend und hemmend zugleich wirken: Wenn man ohne Französischkenntnisse keine Aufstiegschancen oder Mitbestimmungsmöglichkeiten hat, warum dann überhaupt lesen und schreiben lernen? Kenntnisse der offiziellen Verwaltungssprache stiften nicht den Unterschied zwischen Französisch-sprechenden und Suaheli-sprechenden, sondern den Unterschied der sprechenden und den nicht-sprechenden.
Achille Mbembe verweist darauf, dass es ein Kulturverständnis aus schwarzer und aus weißer Sicht gebe. Er bietet einen seltenen Einblick in das Selbstbild schwarzafrikanisch-subsaharischer Kulturen. Die schwarze Vernunft verstehe sich als Produkt des unentrinnbaren Erfahrungsschatzes der Sklaverei, des Kolonialismus und der Apartheid. Diese Selbstdarstellung in der Opferrolle wird in anderen kongolesischen Werken jedoch nicht bestätigt. Mwitwa überspringt zum Beispiel in seiner Darstellung der Geschichte Katangas die Unterdrückung der Kolonialperiode gänzlich und beschränkt sich auf die Information wachsender Einwohnerzahlen Lubumbashis und die Errichtung neuer Gebäude und Infrastrukturen wie Krankenhäuser und Verwaltungen. Es wäre für Kongolesen möglich, ihre Vergangenheit an der Oberfläche aufzuarbeiten. Allerdings ist ein elegantes Ausweichen vor Themen feststellbar, die weiße Zuhörer durch Inkriminierung in die Verlegenheit eines kollektiven Schuldbewusstseins bringen könnten.
Da Kongolesen an der Oberfläche – etwa in Publikationen und in internationalen Diskussionen – die Kolonialvergangenheit und damit verbundene Schuldzuweisungen meiden, muss man als weißer Forscher gezielt nach Zugängen in die innere Kommunikationsebene suchen. Ein seltener Einblick in einen geschlossenen kongolesischen Kreis, etwa durch Mbembes Buch oder in einer WhatsApp-Gruppe kongolesischer Bergwerk-Manager und Interessengruppen, offenbart eine tiefe, starke Wut, die Weiße selten zu spüren bekommen. Ich bin Mitglied einer WhatsApp-Gruppe mit Abgeordneten des kongolesischen Parlaments sowie Vertretern der Minenfirmen und Nichtregierungsorganisationen. Insgesamt diskutieren 246 Teilnehmer über die Bergwerkindustrie, teilen Berichte und tauschen sich über Beschlüsse aus. Täglich werden durchschnittlich 35 neue Beiträge eingestellt. In dieser geschlossenen WhatsApp-Gruppe, in der abgesehen von mir Kongolesen unter sich sind, herrscht eine unterschwellige Wut, die Stimmung ist explosiv.7 Mbembes Buch oder der Austausch in der WhatsApp-Gruppe offenbaren starke Emotionen, die Außenstehenden meist nicht übermittelt werden. Daher müssen die Gespräche, die für die vorliegende Arbeit essenziell sind, in einem gesicherten, vertrauensvollen Rahmen stattfinden, damit ein offener Austausch mit den Beteiligten ermöglicht wird.
Die Forschungsfrage muss den Ausdruck der eigenen Wahrnehmung der Befragten zulassen und Raum zur freien Meinungsäußerung bieten. Sie muss zunächst verstärkt eine Funktion der Offenheit erfüllen: Sie soll Forscherbias abschwächen und den Ausdruck aller Wahrnehmungsmöglichkeiten durch die Befragten ermöglichen. Der Vergleich kongolesischer und ausländischer Medien offenbarte ein wiederkehrendes Muster: In den kongolesischen Medien wird die Bergbauindustrie oft als Kongos große Chance dargestellt, sich zu einem Schwellenland zu entwickeln. Im Gegensatz dazu weisen Berichte in deutschen Medien überaus negative Tendenzen auf: Sie fokussieren sich auf Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen, Kinderarbeit. Dieser Unterschied in der Darstellung zeigt, dass das Forschungsthema mit einer voreingenommenen Sicht, beeinflusst durch westliche Medien, aufgenommen wurde. Mein Interesse an dem Thema ist aus der Befangenheit als Konsument westlicher Medien heraus entstanden. Aus diesem Grund ist es wichtig, Forschungsfrage und Methodik so zu gestalten, dass eine Ergebnisoffenheit mit Blick auf die beiden Pole der besonders positiven und der besonders negativen Bewertung gewährleistet ist.
Die Forschungsfrage soll Aufschluss über die Realitätserzeugung der Betroffenen im Kobaltabbau in Katanga geben. Das interkulturelle Umfeld des südostkongolesischen Bergwerksektors bietet einen sehr ertragreichen Boden für interkulturelle Forschung, sodass zahlreiche Herangehensweisen fruchtbar und interessant erscheinen. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der chinesischen, westlichen und schwarzafrikanisch-subsaharischen Akteure und der Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit spannt sich der Bogen der möglichen Theoriebereiche über Post- und Neokolonialismus bis hin zur Nachhaltigkeitsforschung. Die Forschungsfrage nach der Perspektive der kongolesischen Betroffenen des Kobaltabbaus wurde anhand des eigenen Interesses an der Subjektivität von Realitätswahrnehmung und -erzeugung formuliert.
Die Prüfung der klassischen Kulturdimensionen und Quellen wie Mbembes Buch oder der Austausch in der kongolesischen WhatsApp-Gruppe offenbaren, dass es nicht die eine westliche und die eine kongolesische Sichtweise des Kobaltabbaus gibt. Nach Außen werden eher konfliktvermeidende Aspekte genannt, während unter der Oberfläche starke Emotionen vorhanden sind, die man aber als Außensteher nicht sofort übermittelt bekommt. Das bedeutet, es existieren nicht nur unterschiedliche Wahrnehmungen – eine westliche und eine kongolesische Bewertung der Welt – sondern auch unterschiedliche Weisen, wie diese Perzeption reproduziert wird: eine Reproduktion, um die Perzeption innerhalb der geschlossenen Gruppe untereinander zu teilen und eine, um die Perzeption nach außen zu tragen. Hier besteht Bezug zu Auers Kontextualisierungstheorie, nach der Kontext von Kommunikationsinstanzen nicht gegeben ist, sondern dynamisch von den Teilnehmern ausgehandelt wird (vgl. Auer 1986: 22 ff). Laut der interpretativen bzw. interaktionalen Soziolinguistik-Kontextualisierungstheorie ist Wirklichkeit nichts Objektives, sondern wird laufend erschaffen. Dieser Prozess ist Forschungsobjekt der entstehenden Masterarbeit. Konsequent muss die Forschungsfrage nicht nach der einen kongolesischen Wahrnehmung fragen, sondern nach einer Vielfalt an Wahrnehmungsaspekten unterschiedlicher Akteure im Kobaltabbausektor des Gebiets.
Die vorliegende Masterarbeit verfolgt somit das Ziel, die Perspektive der Betroffenen des Kobaltabbaus und damit lokale Sichtweisen ins Zentrum zu stellen. Vielfach wurde über sie gesprochen, wenig mit ihnen. Der bisher geschlossene Diskurs kongolesischer Betroffener soll geöffnet und damit in westlichen Debatten stärker Berücksichtigung finden. Ein selbstbewusster Dialog seitens der Betroffenen anstelle der unter der Oberfläche glühenden Wut kann schließlich dazu beitragen, dass SDG im Kongo effektiver erreicht werden können.
In den vorangegangenen Kapiteln wurden Zweifel an westlich orientierten Bewertungen des Kobaltabbaus dargelegt. Zudem wurde die Notwendigkeit erläutert, warum kongolesische Perspektiven mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden sollten. Obwohl das vollständige Ablegen meiner vorhandenen Akkulturation und eine absolute Objektivität unerreichbar sind, soll die ausgewählte Forschungsmethode sowohl in Bezug auf die Datenerhebung als auch die Datenauswertung zu einem intersubjektiven Verständnis und zu intersubjektiv nachvollziehbaren Ergebnissen beitragen.
Die Forschungsfrage nach der Wahrnehmung der Beschäftigten im Bergwerksektor Südost-Kongos soll durch empirische Feldarbeit vor Ort beantwortet werden. Wenn die Forschungsfrage nach dem Verstehen der Innenperspektive der Befragten oder Betroffenen verlangt, finden Elemente der qualitativen Sozialforschung Anwendung. Der Fokus liegt auf dem Erkennen und Verstehen von Mustern und von Ansichten, Meinungen und persönlichen Erfahrungen der Betroffenen.
„Dabei richtet sich das primäre Interesse dieser Forschungsrichtung auf das Verstehen subjektiver Sinneszuschreibungen, das Aufzeigen relativer Wahrheiten sowie die Analyse komplexer, konstituierter Realitäten, welche durch einen dynamischen, hermeneutischen Erkenntnisprozess durch den Forscher erschlossen werden“ (Krell / Lamnek 2016: 41).
Da die Forschung auf die Realitätswahrnehmung und -erzeugung lokaler Beteiligter des Kobaltabbaus fokussiert, gewähren offene Leitfadeninterviews einen Einblick in die subjektive Wahrheit der Befragten. Diese Vorgehensweise, bei welcher der Leitfaden als flexibles Ordnungsmuster für Forscher und Befragte dient (vgl. Przyborski 2014: 126), bieten sowohl für den Befragten als auch für den Interviewer den Vorteil eines Forschungsansatzes mit dem Anspruch eines Perspektivenwechsels. Die offene Gestaltung bietet dem Interviewten ein Mitbestimmungsrecht, das zum freien Ausdruck seiner Wahrnehmung beiträgt. Gleichzeitig schwächt dieses Mitbestimmungsrecht auch eventuelle Bias auf Forscherseite. Durch die Beeinflussung westlicher Medien ist eine Voreingenommenheit in mir entstanden, die durch das Format des offenen Leitfadeninterviews zumindest teilweise neutralisiert werden soll. Ich möchte mithilfe meiner Interviewpartner die Perspektive des westlich denkenden Menschen verlassen. Damit soll ein Perspektivenwechsel und sogar eine Kultureinbettung durch ein besseres Verständnis für die Wahrheitserzeugung der Bergwerkleute im Kongo gelingen.
Um genügend aussagekräftige Daten für die Beantwortung der Forschungsfrage zu erheben, besteht die Zielgruppe der offenen Leitfadeninterviews aus Akteuren aller drei Arten des Kobaltabbaus (industrielle Minen, legale artisanale Minen, illegale artisanale Minen). Aus den Minen sollen Personen auf möglichst vielen Ebenen interviewt werden – von der kongolesischen Geschäftsführung der großen industriellen Minen bis zum manuellen Schürfer einer kleinen Kooperative. Zusätzlich zählen Vertreter der Regierung, Firmen, Medien, Universitäten, Gewerkschaften, internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen ebenfalls zu den Akteuren des Sektors, da sie entweder dessen Rahmen bestimmen oder dessen Auswirkungen erforschen. Interviewpartner wurden vor Ort, in den Bundesstaaten Lualaba und Haut-Katanga des Kupfergürtels, durch convenience sampling ausgewählt. Während große Umsicht bestand, den gesamten Sektor des Kobaltabbaus abzudecken und eine theoretische Sättigung zu erreichen (vgl. Przyborski 2014: 127), konnte lediglich eine willkürliche Stichprobe entnommen werden. Die Anzahl an Kontakten war limitiert und der Aufenthalt vor Ort war bedingt durch Visaregelungen und die einsetzende Pandemie auf einen Monat begrenzt.
Bei der Entwicklung des Interviewleitfadens soll sich das Gespräch „vom Allgemeinen zum Spezifischen bewegen“ (vgl. Merton et al. 1956) und „bei der Perspektive des Interviewten seinen Ausgangspunkt nehmen“ (ebd.). Da der Kreis der Interviewten mehrere mögliche Bezüge zum Sektor zulässt, soll der Gesprächspartner zunächst nach seiner Verbindung zum Kobaltabbau in Katanga befragt werden. Die Ortsbezeichnung Katanga wurde gewählt, da dies der Name des ursprünglichen, großen Bundeslands war, das die gesamte Minenregion umfasst. Beim weiteren Vorgehen ist es wichtig, den Interviewten nicht die Forschungsfrage zu stellen – d. h. sie direkt nach ihrer Wahrnehmung zu fragen –, sondern diese erzählgenerierend und hörerorientiert in mehreren Ansätzen anzureißen (vgl. Prieto Peral 2019). Daher erscheint es sinnvoll, Gesprächspartner zu fragen, was sie am Kobaltabbau insgesamt ändern würden oder wie sie dessen Zukunft in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren sehen. Da die Interviews in französischer Sprache geführt wurden – entweder direkt mit dem Interviewten oder mit einem Begleiter, der vom Französischen in Suaheli übersetzt – wurde der Leitfaden zweisprachig entwickelt.
Interviewleitfaden
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Für die Auswertung der Daten wurden qualitative Inhaltsanalyse und Grounded Theory in Erwägung gezogen. Grounded Theory unterstützt durch ihren hohen Grad an Treue an das Datenmaterial und mehrere Durchgänge den Anspruch an Objektivität dieser Forschung und kann Forschungsverzerrungen abschwächen. Durch das mehrfache Bearbeitungsgänge ist Grounded Theory jedoch bei der hohen Menge an Daten aus vierzehn Interviews sehr aufwändig. Sie dient eher dazu, bei einer geringen Datenmenge in die Tiefe zu gehen. Diesem Umstand könnte begegnet werden, indem die Zielgruppe der Interviewpartner im Nachhinein nochmal eingegrenzt wird, zum Beispiel auf manuelle Arbeiter oder Beschäftigte im illegalen Sektor des Kobaltabbaus. Dieses Vorgehen würde aber die Breite der Perspektiven so sehr einschränken, dass kein Querschnitt der lokalen Beschäftigten mehr in die Bewertung der lokalen Wahrnehmung einfließen könnte.
Die qualitative Inhaltsanalyse gilt in der qualitativen Sozialforschung als Partner der Datenerhebungsmethode der offenen Leitfadeninterviews.
„Im Zentrum der qualitativen Inhaltsanalyse steht die Entwicklung eines Kategoriensystems, das wie ein ‚Suchraster‘ dazu dient, aus der Fülle des Interviewmaterials diejenigen Aspekte herauszufiltern, die für die Beantwortung der Forschungsfrage relevant sind“ (Vogt / Werner 2014: 48).
Das Herausfiltern relevanter Aspekte ist im Falle der geführten Interviews besonders wichtig, denn aus den Gesprächen mit den Betroffenen aus dem Bergwerksektor könnte genauso gut eine Arbeit geologischer oder wirtschaftlicher Art entstehen. Gleichzeitig ist bei diesem Schritt ein besonders umsichtiges Vorgehen geboten, da hier die Subjektivität des Forschers am ehesten zum Tragen kommt und zu Verzerrungen der Ergebnisse führen kann. Um dem entgegenzuwirken, kann man sich statt des Filterns anhand der Forschungsfrage zunächst vom Datenmaterial leiten lassen, d. h. induktiv aus dem Gesagten heraus wiederkehrende Themen identifizieren. Kategorien können nach Mayring (2010: 295) sowohl deduktiv als auch induktiv gebildet werden. Da im Vorfeld keine Theorie zur lokalen Wahrnehmung des Kobaltabbaus aufgestellt wurde, sondern eine möglichst große Offenheit angestrebt wird, sollen die gesammelten Daten erst rein induktiv analysiert werden, indem die wiederkehrenden Themen identifiziert und gruppiert werden. Die so aus dem Corpus heraus entstandenen Themenbereiche sollen bei einem zweiten Durchgang mit zutreffenden Textstellen aus den Transkripten belegt werden. Dieser Prozess – das induktive Codieren nach der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse – sieht eine Paraphrase der Aussagen des Interviewmaterials in Stichpunkten vor, die anschließend in einer Reduktion zu allgemeinen Aussagen über die Personengruppe zusammengefasst werden (vgl. a. a. O. 59).
Während des Feldaufenthalts in der Katanga-Region vom 28.01.2020 bis 24.02.2020 wurden zwanzig Interviews mit 22 Personen geführt, die zur vorgesehenen Zielgruppe gehören. Der Forschungsaufenthalt wurde von München aus vorbereitet. Durch eine in München lebende, aus dem Kongo stammende Familie wurde Kontakt zu Person 0 hergestellt, die in der Zielregion in einer Kobaltmine arbeitet. Person 0 wollte selbst kein Interview geben, stellte jedoch vor dem Forschungsaufenthalt bereits Kontakte zu weiteren Personen aus dem Sektor und zu drei Universitäten in Katanga her. Sie organisierte meine Unterkunft, arrangierte Treffen und führte wöchentliche Telefonate mit mir. Während meines Aufenthalts in Katanga wuchs der Kreis der Interviewten weiter. Einerseits arbeitet beinahe jeder direkt oder indirekt im Bergwerksektor und es ergaben sich selbst an neutralen Orten wie einem Restaurant entsprechende Kontakte. Andererseits gefiel den bereits interviewten Personen die Art des Gesprächs und der Forschungsansatz, sodass sie weitere Interviewpartner vermittelten. Vor Ort meldeten sich weitere Stakeholder, nachdem deutlich geworden war, dass ich nicht die Sicht westlicher Medien zur Kinderarbeit reproduzieren wollte. Bereits nach den ersten vier Tagen meines Aufenthalts hatte ich zwölf Interviews aufgezeichnet, was es mir in den darauffolgenden drei Wochen erlaubte, noch tiefer in die Thematik einzusteigen. Bis zum Ende der ersten Woche im Südosten des Kongo wuchs dank der Organisation von Person 0 die Anzahl der geführten Interviews auf fünfzehn. Der Punkt der Sättigung wurde mir bewusst, als ich am 08.02.2020 an einer öffentlichen Podiumsdiskussion über den Bergwerksektor in Lubumbashi teilnahm und sowohl in den Themen der Redner, wie strukturelle oder soziale Herausforderungen in Dörfern rund um die Abbaustandorte, als auch in den Fragen der Zuschauer Aspekte aus den Interviews wiedererkannte.
Um möglichst große Validität durch ehrliche und offene Gespräche und um die Sicherheit der Interviewten zu gewährleisten, war es von großer Bedeutung, den Konversationen einen sicheren Rahmen zu geben. Von den siebzehn Interviewten, die persönlich angetroffen wurden, wurden vier in meiner Unterkunft, der Parochie der Kathedrale in Lubumbashi, hinter verschlossenen Türen interviewt, vier weitere in einem Restaurant (zwei von ihnen in einem privaten Abstellraum des Restaurants), weitere drei Gespräche fanden im Wohnzimmer von Person 0 statt, drei Personen wurden an ihrem Arbeitsplatz interviewt und drei in ihrem eigenen Zuhause. Von zehn der Interviews wurde eine Videoaufnahme erstellt, von vier weiteren eine Tonaufnahme. Bei einigen Interviewpartnern war der Wunsch nach Anonymisierung so hoch, dass lediglich Notizen gemacht werden konnten – die Namen und Kontaktdaten der Personen sind jedoch zur nachträglichen Verifizierung von Aussagen vorhanden.
Zusätzlich zu den offenen Leitfadeninterviews wurde jeweils mindestens ein Standort aller drei Minenarten besucht (industrielle Mine, legale artisanale Mine, illegale artisanale Mine). Diese Standortbesuche trugen zum Verständnis des Forschungsgegenstands bei, zählen aber nicht zur Hauptforschungsmethode der Masterarbeit. Des Weiteren tragen Interviews, bei denen aus Anonymitätsgründen lediglich Notizen und keine Ton- oder Videoaufnahme möglich war, zwar ebenfalls zum Verständnis der Wahrnehmung der interviewten Zielgruppe bei, sie können aber mangels Transkripts nicht tiefergehend analysiert werden. Dies ist bedauerlich, da genau die Personen, die Angst vor Retorsionen für den Ausdruck ihrer Ansichten haben, einen unverfälschten Einblick in die Wahrnehmung der Beschäftigten des Sektors gewähren. Das aus diesen Gesprächen gewonnene Verständnis half jedoch dabei, die Aussagen anderer tiefergehend zu deuten, wiederkehrende Aspekte besser als solche zu identifizieren, das Ausmaß struktureller Probleme durch zusätzliche Erzählungen besser einschätzen zu können und schließlich bei späteren Interviews den verwendeten Jargon ohne weiteren Erklärungsbedarf zu verstehen.
Nach dem Forschungsaufenthalt wurden die vierzehn Interviews, von denen Ton- oder Videomitschnitte erstellt werden konnten, auf hybride Weise transkribiert: Zunächst wurden mit der automatischen Transkript-Funktion von YouTube Rohtranskripte erstellt. Eine Veröffentlichung der wurde dabei ausgeschlossen. Die Rohtranskripte wurden inklusive eines Zeitstempels pro Zeile in eine Excel-Datei kopiert und dort manuell verbessert. Das erste Interview fungierte aus mehreren Gründen als Probe. Es wurde mit Professor Mwitwa der Universität Lubumbashi geführt, der ebenfalls die Forschung vor Ort unterstützte, um den Leitfaden und die Aufzeichnungsapparate zu testen, aber auch um Gewissheit zu erlangen, dass ich den lokalen französischen Dialekt ausreichend verstehe. Zur Qualitätsprüfung wurde das erste Interview ebenfalls zum Testen der automatisierten Transkription verwendet: Es wurde einmal von Grund auf manuell transkribiert. Das Ergebnis wurde mit dem maschinell erstellten Transkript verglichen. Das von der Software erstellte Transkript erfasste zwar den kongolesischen Dialekt, meinen eigenen Akzent im Französischen allerdings weniger gut. Zudem wurden Eigennamen fehlerhaft wiedergegeben und mussten bei der zusätzlichen manuellen Transkription korrigiert werden. Aus den manuell verbesserten Transkripten in französischer Sprache wurde Aussage für Aussage eine deutsche Übersetzung erstellt, mit dem Anspruch, den Inhalt inklusive Emotionsgehalt und Stärke der verwendeten sprachlichen Mittel adäquat wiederzugeben, jedoch Füllwörter oder Interaktionen zwischen Übersetzer und Interviewten wegzulassen. Dieses Vorgehen entspricht dem Schritt der Paraphrase aus der qualitativen Inhaltsanalyse. Anschließend wurden weitere Spalten für eine Generalisierung und eine Reduktion bzw. Subsumtion hinzugefügt. So entstand eine Excel-Tabelle pro Interview: In der ersten Spalte ist zunächst das Transkript Zeile für Zeile angegeben, in der zweiten die Paraphrase pro Sinneseinheit, daraus resultierend die Generalisierung und schließlich die Reduktion. Die Spalten Paraphrase und Generalisierung wurden ausschließlich induktiv anhand des Gesagten bei mehreren Durchgängen ausgefüllt. In Bezug auf die Sinneseinheiten, bei denen sich eine Reduktion anbot, wurde diese letzte Spalte ebenfalls aus dem Text heraus eingefügt. Erst bei der zweiten Reduktion flossen Gesichtspunkte aus der Forschungsfrage ein, wie Aspekte der Arbeitskonditionen der Interviewpartner, ihre Definition des Lebensraums und des Bergwerksektors und ihre Beziehung zu Kobalt. Erst bei diesem Schritt entstand das finale Kategoriensystem inklusive Unterkategorien, auf dessen Grundlage alle Interviews codiert und kategorienbasiert ausgewertet wurden.
Tabelle 1: Analysebeispiel im Rahmen der Zusammenfassung
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
Diese Reduktion hat eine solche Vielfalt an Einblicken in die Welt der lokalen Beschäftigten gewährt, dass entschieden wurde, die Anzahl der berücksichtigten Interviews zu limitieren. Dies macht die Arbeit angreifbar, denn das Aussortieren einiger Interviews durch den Forscher Verzerrungen in die Ergebnisse einführen kann. In den vierzehn Interviews, von denen eine Video- oder Tonaufnahme existiert, wurden sechzehn Personen befragt – es fanden zwei Doppelinterviews statt. Unter den sechzehn Personen befanden sich fünf Schürfer artisanaler oder illegaler Minen, fünf Angestellte industrieller Minen, drei Journalisten, zwei Forscher bzw. Professoren und ein Politiker. Zum Zeitpunkt der Erkenntnis, dass eine Auswertung aller aufgezeichneten Interviews zu umfangreich sein würde, wurden die chronologisch ersten vier Interviews ausgewertet, darunter zwei kongolesische Professoren bzw. Forscher, eine Führungskraft einer industriellen Mine und ein Kommunalpolitiker. Da alle vier akademisch ausgebildete Personen waren, wurden die Stimmen der Schürfer wichtiger. Denn es wurde deutlich, dass den Akademikern zum einen der Diskurs in westlichen Medien bewusst ist und auch ohne explizite Nachfrage in ihrer Antwort darauf reagieren, zum anderen ein globales Bewusstsein haben und mehr auf die systematischen Herausforderungen des Sektors eingehen als auf die Situation der Betroffenen. Daher wurden weitere Interviews mit Akademikern übersprungen und die fünf Interviews mit manuellen Schürfern ausgewertet. Bei einem dieser Interviews war die Tonaufnahme leider aufgrund starker Hintergrundgeräusche und eines zunächst schüchternen Interviewten nicht verwertbar. Erst zur Mitte des Gesprächs, mit Einstieg in die Fragen nach seinen Änderungswünschen und seinem Zukunftsbild gewann der Sprecher solch einen Schwung und eine Lautstärke, dass die Aufnahme verständlich wurde. Deshalb wurden letztlich für die vollständige Analyse achteinhalb Interviews berücksichtigt – vier mit Akademikern und viereinhalb mit Schürfern.
Nach der Reduktion aller Interviews wurde die Analyse mit einer eingegrenzten Zahl an Interviews weitergeführt. Bei diesen achteinhalb Interviews habe ich die gesamten Transkripte ausgedruckt, je nach Sinneseinheit in Streifen geschnitten und anschließend die über zweihundert Streifen kategorisiert. Nahezu 90 Prozent der Streifen wurden einer der Kategorien hinzugefügt – somit wurden außer „Smalltalk“ am Anfang und Ende des Gesprächs sowie Austausch zwischen Übersetzer und Interviewten keine Aussagen willkürlich entfernt, und ein hohes Maß an Objektivität wurde durch eine getreue Wiedergabe des gesamten Corpus bewahrt. Es entstanden acht Kategorien, die teils deduktiv – aus der Forschungsfrage und Forschungsinteresse heraus (z. B. Kinderarbeit) – teils induktiv – aus dem Corpus heraus (z. B. Ohnmacht) – gebildet wurden. Die Interviewteile auf den Streifen, die den Kategorien zugeordnet wurden, füllen diese mit den Aussagen der Interviewten. Im folgenden Kapitel werden die Befunde dieser acht Kategorien dargestellt und diskutiert.
Tabelle 2: Kategorien wiederkehrender Aspekte nach zweitem Analysedurchgang
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
Der Kobaltabbau wird von Interviewpartnern in unterschiedlichen Hierarchiestufen als primärer Ernährer und Quelle des Lebensunterhalts der Katanga-Region beschrieben (1-6:068 ; 1-11:08 ff; 3-1:48; 3-25:30; 10-1:10). Die überwiegende Mehrheit der Berufsoptionen sind an den Bergbau gekoppelt (3-25:30) und die Kobaltvorkommen geben allen unabhängig von Mitteln und sozialem Status eine Aussicht auf Lebensunterhalt und sogar auf eine Steigerung des Lebensniveaus (8-2:40; 9-23:44). Der Bergbau ist eine Art Arbeitslosenversicherung, da man jederzeit ohne Vorkenntnisse oder Werkzeugen einsteigen kann (1-20:03). Er lockt sogar Menschen an, die anderweitig ihren Lebensunterhalt bestreiten – zum Beispiel ein Geschäft betreiben – und ihr Glück mit Kobalt versuchen (10-23:41). Dies führt jedoch auch dazu, dass durch fremdgesteuerte Einflüsse wie ein Preisanstieg von Kobalt auf der Londoner Metallbörse (7-21:47) Menschen den Ackerbau oder die Produktion von Lebensmitteln aufgeben (3-47:18) und sich nur noch auf die Beförderung von Bodenschätzen konzentrieren.
Grundlegend kann festgestellt werden, dass Befragte unabhängig von ihrer Rolle im Kobaltabbau zwar die ernährende Funktion des Sektors anerkennen. Darüber hinaus führen jedoch Befragte, die auf höheren Hierarchieebenen stehen, gleichzeitig den Preis des daraus resultierenden möglichen Reichtums und der Monowirtschaft vor Augen. Wer die Chance hat, nach einem Tag Arbeit 200 USD Erlös für den beförderten Sack Kobalt zu erhalten, wartet nicht Monate auf die landwirtschaftliche Ernte (3-2:48).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Sobald eine Lebensmittelknappheit auftritt, schließe Sambia, das die Landzunge von Katanga umgibt und aus dem Mehl importiert werde, seine Grenzen (3-47:27). Was Befragte beschreiben, ist ein klassisches Beispiel der Ressourcenfalle – ein reiches Vorkommen wertvoller natürlicher Ressourcen führt zu Lebensmittelknappheit, Volatilität und einem geringeren Lebensniveau trotz des potentiellen Reichtums. Die Befragten sehen jedoch außer der Lebensmittelknappheit weitere soziale Kosten des Kobalt-Booms: Die niedrigen Einstiegshürden in den Kobaltabbau und das ständige Entdecken neuer Kobaltadern führt zu einer reaktiven Migration, was Städteplanung unmöglich macht (3-8:20; 3-9:22). Das Resultat sind Krankheiten (3-38:04) und Lücken in der Bildung von Kindern, die mit der Familie in Gebiete ohne ausgebaute Infrastruktur migrieren (3-6:10).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Aufgrund dieser Eigenwahrnehmung der Ressourcenfalle sehen einige Befragte, die aktuell nicht direkt als Schürfer im Kobaltabbau arbeiten, eine sinkende Nachfrage und Entspannung des globalen Kobaltmarkts als förderlich für die Region an. Würde der Preis von Kobalt sinken, hätte das sowohl lokal als auch global positive Auswirkungen (3-50:04). Da von einer höheren Kobaltproduktion eher politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger profitieren und die einfachen Leute darunter leiden (3-43:10), würde eine sinkende Nachfrage weniger Korruption bedeuten (3-50:20). Umweltverschmutzung und Krankheiten könnten besser eingedämmt werden (3-48:15); dabei würde das Kobalt in der Erde bleiben und könnte zu stabileren Zeiten wieder abgebaut werden, wenn die Entscheidungsträger ein Gewissen entwickelt haben (3-45:42).
Allein die reine Präsenz von Kobaltvorkommen hat eine Auswirkung auf die Bevölkerung der Umgebung (3-29:33). Stämme, die auf einem kobaltreichen Gebiet leben, werden nach der Entdeckung der Vorkommen ausgerottet (2-25:14).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Der Kobaltabbau wird von den Befragten ambivalent bewertet: Der Kobaltsektor ist zwar der größte und aus vielerlei Sicht einzige Ernährer des Gebiets. Viele wünschen sich jedoch einen Rückgang der Abhängigkeit vom Kobaltabbau, denn diese zieht eine Reihe von sozialen Problemen nach sich, darunter der Mangel an Nahrungsmittelanbau oder wild entstehende Wohngebiete ohne Städteplanung.
Einer der Auslöser für meinen Forschungsaufenthalt im Kongo waren Berichte in der deutsch- und englischsprachigen westlichen Presse über Kinderarbeit in der DRK. Bereits durch die Metaanalyse konnte aufgedeckt werden, dass westliche Medien oft emotional aufwühlende Themen wählen und diese entgegen anderslautender Erkenntnisse sowohl faktisch als auch bildlich übertrieben darstellen. Die immer wieder zitierte Zahl von 40.000 Kindern in Kinderarbeit ist nicht belastbar, wie frei verfügbare umfassende Studien deutscher Regierungsorganisationen belegen. Darin wird von einer Zahl von 2000 arbeitenden Kindern ausgegangen, die eher leichtere Tätigkeiten wie den Verkauf von Essen und Getränken verrichten und nicht selbst in die Schächte steigen. Illegale Minen sind kein optimales Umfeld für Kinder im Schulalter, allerdings auch kein Ort systematischer Ausbeutung von Kindern, wie westliche Medien suggerieren.
Obwohl aktuelle Berichte Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen Kinderarbeit nicht mehr zu den größten Herausforderungen des Kobaltabbaus in Katanga zählen, wurden Interviewpartner in einer Stützfrage explizit nach Kindern gefragt: „Gab es Kinder in der Mine, in der Sie gearbeitet haben?“ Dies verstößt zwar gegen den Ansatz, Beschäftigte des Sektors in einer geschlossenen Form zu ihrer eigenen Wahrnehmung zu befragen. Allerdings war diese Frage in der Interviewreihenfolge hinten angesetzt, nachdem die Gesprächspartner bereits unbefangen hatten darüber sprechen können, wie sie den Sektor wahrnehmen und was sie daran ändern würden. Deshalb handelt es sich bei Kinderarbeit um ein deduktiv kreiertes Themenumfeld, das als Auslöser für diese Forschungsarbeit fungierte, aber die restlichen, aus dem Interviewmaterial heraus induktiv kreierten Kategorien nicht beeinträchtigt.
Während Interviewpartner sich zu strukturellen Schwierigkeiten und Problemen mit Instanzen auf sämtlichen Ebenen des Kobaltabbaus sehr kritisch äußerten, wurde Kinderarbeit nicht wahrgenommen und problematisiert. Bei den Antworten kann zwischen Personen unterschieden werden, denen die in westlichen Medien prävalente Berichterstattung bewusst war, und denen, die z. B. als Schürfer an artisanalen oder illegalen Standorten tätig sind und die Frage unabhängig davon beantwortet haben. Während Erstere bei der Frage „Gab es Kinder in der Mine, in der Sie gearbeitet haben “, sofort eine Verbindung zu Kinderarbeit herstellten und diese ablehnten, haben Letztere sie offen bejaht, denn wo sich Lebensraum und Minengebiete mischen, wird es auch Kinder geben. Weitere Nachfragen ließen jedoch nicht auf Kinderarbeit schließen. Die Antworten sind eher dahingehend zu deuten, dass Kinder ihre Eltern etwa nach einem arbeitsbedingten Umzug in die Minengebiete begleitet haben. In den letzten Jahrzehnten sei Kinderarbeit nach und nach, erst aus den offiziellen und zuletzt aus den eher inoffiziellen Teilen des Kobaltabbaus verbannt worden. Es gibt einen Konsens, dass zumindest in industriellen Minen, die immerhin 80 Prozent des Kobaltvolumens ausmachen, keine Kinder angestellt werden. Die Aufsicht der Minenpolizei verhindert, dass Kinder die reinen Abbaugebiete betreten (1-14:46).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Allerdings wird über die Anwesenheit und Arbeitsformen von Kindern in den artisanalen und illegalen Minen berichtet. Die eingeführte Eintrittskontrolle an den Grenzen der industriellen Abbaugebiete durch die Minenpolizei und das Militär führte demnach zunächst dazu, dass Straßenkinder, die früher bereits geförderte Materialien von industriellen Standorten gestohlen hatten, zu artisanalen Minen übergegangen sind und nun dort arbeiten (1-6:35). Schürfer behaupten jedoch, dass selbst in den illegalen Minen keine Kinder mehr schürfen. Die kleinen Kooperativen, die Sponsoren und Schürfer auf artisanalen und sogar illegalen Standorten betreuen, haben in Zusammenarbeit mit der Regierung die Kinder vor gut zehn Jahren verscheucht (14-23:06).
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Sowohl in Gebieten von industriellen Minen, die mehrere Ortschaften und Dörfer umfassen, als auch in Gebieten von ausgewiesenen artisanalen und besetzten illegalen Minen mischen sich Lebensraum und Arbeitsraum. Aus diesem Grund berichteten die Betroffenen ganz selbstverständlich davon, dass Kinder sich im Gebiet der Mine aufhalten. Für die Kinder der Beschäftigten in den Minen besteht daher nicht die Wahl zwischen stundenlanger harter Minenarbeit einerseits und geregeltem Schulunterricht andererseits. Ihr Freizeit- und Lebensraum ist das Gebiet der Mine, wo sie mit all ihren Freunden und Spielkameraden zusammen sind und wo sie auch zu leichteren Hilfstätigkeiten herangezogen werden können. Mehrere sprechen daher von einer familiären Hilfeleistung und Begleitung der Eltern (1-13:23).
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Es geht eher um gemeinsam verbrachte Zeit als um konzentriertes Arbeiten in festgelegten Schichten. Da die Möglichkeiten der Entfaltung für Kinder in den rein residentiell geprägten Dörfern und Ortschaften denen in Minengebieten sehr ähnlich sind, besteht in der Lebenswirklichkeit und hinsichtlich der Lebensqualität der Kinder fast kein Unterschied zwischen der Begleitung der Eltern in die Minen und zu Hause bleiben. Konsens bestand unter befragten Schürfern auch dahingehend, dass die Kinder, die ihre Eltern in die Minengebiete begleiten, nicht schürfen, sondern eher an der Peripherie mithelfen: Sie verkaufen Lebensmittel (8-7:17, 10-10:48), durchsuchen die beiseitegelegten Erdhaufen nach Bodenschätzen oder stehen in einer Menschenkette und reichen die Bodenschätze durch (9-16:42). Detaillierte Antworten durch Schürfer auf die Frage nach Kinderarbeit im Kobaltabbau offenbaren unterschiedliche Definitionen zu jedem Bestandteil dieses Ausdrucks – wer gilt als Kind, was gilt als Arbeit?
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Kinder und Jugendliche in die Minengebiete mitzunehmen wird als alternativlos und sogar als verantwortliches Vorgehen beschrieben (8-8:01). Ließen Eltern ihre Kinder den ganzen Tag über in den Wohngegenden zurück, müssten sie befürchten, dass die Kinder sich problematisch verhielten: Sie würden andere belästigen, zur Straßenkriminalität neigen oder sogar paradoxerweise – weil sie für mehrere Tage allein zurückgelassen wurden – selbst in die Minen losziehen, um dort Taschengeld zu verdienen. Gingen sie jedoch mit ihren Eltern in die Minen, könne man sie im Auge behalten. Neben Kindern, die ihre Eltern begleiten, ist eine zweite Art von Kinderarbeit in Minengebieten zu finden: Einige kommen ganz allein und freiwillig aus den umliegenden Dörfern, gelockt von der Aussicht auf Taschengeld (10-10:01).
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Mit ihnen gehe der Staat sehr konsequent um: Selbst im Fall von clandestins – illegale Schürfer, die bereits geförderte Bodenschätze stehlen und diese durch Bestechen der Minenpolizei aus den Gebieten fahren – werde bei Kindern nicht in die andere Richtung geschaut (7-18:47).
Schließlich muss ein Faktor zum Themenbereich der Kinderarbeit diskutiert werden, der bei jeder wissenschaftlichen Arbeit die neutrale Sachlichkeit trüben kann: die Person des Forschers mit ihrer Subjektivität. Bei der Auswertung der Interviews wurde mir bewusst, dass ich sehr stark nach der Bestätigung suche, es gebe keine Kinderarbeit und die emotionalisierten Berichte in westlichen Medien dienten lediglich der Klickgenerierung. Diese Feststellung kann in ihrer Pauschalität anhand der Interviews nicht getroffen werden. Im Kobaltabbau und seiner Peripherie kann es zu Arbeit von Kindern kommen, doch gleicht sie eher einer Unterstützungsleistung innerhalb der Familie – wie in landwirtschaftlichen Familienbetrieben in Europa etwa zu Schulferienzeiten üblich – als einer industriellen Beschäftigung in langen Arbeitsschichten. Dies ist aus lokaler Sicht keine Ausbeutung im Sinne chinesischer Neokolonialisierung, wie sie in einigen westlichen Zeitungsartikeln beschrieben wird, sondern aus Elternsicht eine verantwortliche Alternative zu einem Zurücklassen der Kinder in rein urbanen Gebieten. Die Ablehnung oder Widerlegung westlicher Berichte der Kinderausbeutung durch Akademiker und Schürfer zugleich hatten nicht den Charakter einer Leugnung oder Vertuschung von Tatsachen. Vielmehr war die überraschte Erkenntnis feststellbar, dass eine gewohnte Lebensweise verdreht und als grausam dargestellt wird, zumal viele Befragte wie selbstverständlich zustimmten, dass es Kinder in den Minen gebe, wo Menschen lebten. Bilder in westlichen Medien, die eine systematische Ausbeutung durch profitorientierte Firmen suggerieren, kannten sie nicht.
Während Kinderarbeit in den Interviews mit den lokalen Beschäftigten nur auf explizite Nachfrage erwähnt wurde, verwiesen die Befragten sehr häufig auf die Probleme der Arbeitskonditionen auf allen Hierarchieebenen. Industrielle Minen wurden am häufigsten auf Überbleibseln der Kolonialmaschinerie von westlichen Firmen aufgebaut und im vergangenen Jahrzehnt von chinesischen Konglomeraten übernommen. Als weißer Forscher, beeinflusst von Berichten aus westlichen Zeitungen, sehe ich die Notwendigkeit hinzuzufügen, dass nach der Übernahme der Minen durch chinesische Unternehmen zuvor geltenden Sicherheitsstandards nicht gelockert wurden. In der Tat sind aus europäischer Sicht womöglich aus dem US-amerikanischen Kontext bekannte Maßnahmen zu beobachten. So haben zum Beispiel Busse der Firma Tenke Fungurume Mining, die von der US-amerikanischen Freeport-McMoRan Corporation aufgebaut wurde und mittlerweile zu 80 Prozent China Molybdenum gehört (Clowes 2019) und die montags morgens Arbeiter aus Lubumbashi in den 200 km entfernten Minenstandort transportieren, einen „Safety Champion“ an Bord. Seine Aufgabe besteht darin, den Fahrer durch Unterhaltung wach zu halten und gemeinsam mit ihm auf die Straße zu achten. Mitarbeiter werden unabhängig ihrer Herkunft mit moderner Schutzausrüstung ausgestattet. Beim Verlassen ihres Büros werden sie durch Schilder erinnert, keinen Schritt ohne Schutzstiefel und Helm zu machen. In industriellen Minen, die den überwiegenden Anteil des Kobaltvolumens produzieren, herrschen international übliche Sicherheitsstandards. Alle 31 Verweise auf schlechte Arbeitsbedingungen in den Interviews beziehen sich auf den artisanalen Abbau.
Die drei Hauptakteure im artisanalen Abbau sind Schürfer (creuseur), Sponsoren (sponseur) und Zwischenhändler (négociant). Schürfer sind mit handwerklichen Methoden arbeitende Bergbauarbeiter. Unter Sponsoren werden Kleinanleger verstanden, oft ehemalige Schürfer, die als „Teamleiter“ einige andere Schürfer zum Abbaustandort bringen und sie mit Werkzeugen und Proviant ausstatten. Zwischenhändler kaufen die hochbeförderte, unverarbeitete, kobalthaltige Erde und vertreiben sie weiter. Unter den Befragten waren alle drei Tätigkeitsfelder vertreten, wobei deutliche Unterschiede in den Beschreibungen gleicher Vorgänge durch Personen unterschiedlicher Rollen zutage traten. Während Schürfer ihre eigene Arbeit prozessorientiert, emotionslos und in nüchternen Arbeitsschritten beschreiben, gehen die akademischen Befragten auf die Arbeitskonditionen und ihre Auswirkungen ein und beschreiben sie in emotionalen Details. Sponsoren sehen ihre Beziehung zu den Schürfern als eine beschützende und unterstützende, wohingegen die Schürfer dieselbe Beziehung ähnlich beschreiben, wie die Beziehung eines Zuhälters zu seinen Sexarbeitern, die ihren Körper für dessen Profit verkaufen.
Schürfer, die selbst in die Gruben steigen, beschreiben ihre Arbeit in pragmatischen Arbeitsschritten, fast distanziert (10-3:38).
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Auch bei der Beschreibung von offensichtlich rechtswidrigen Prozessschritten, wie dem Stehlen von bereits hochbefördertem Kobalt industrieller Standorte, wird sachlich und emotionslos erzählt. Selbst in größerer Runde wurde darauf ohne sichtliches Zögern oder Scham Bezug genommen (9-1:30; 9-2:00).
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Die Optionen zwischen dem artisanalen Abbau in dafür vorgesehenen ZEA oder dem Entwenden kobaltreicher Erde von industriellen Standorten werden nüchtern abgewogen. Einbezogen in die Überlegungen werden auch die Bestechungsgelder, die im letzteren Fall an die Minenpolizei gezahlt werden müssen (9-14:37). Bei diesem Abwägen der Optionen scheint für Schürfer die Frage von Legalität oder Illegalität keine Rolle zu spielen.
In Bezug auf den Vorgang des Schürfens werden die einzelnen Arbeitsutensilien wie Piekseisen und Spaten genannt und die Methoden beschrieben, um an besonders harten und festen Stellen vorbeizukommen (8-5:05). Die Länge eines Arbeitstags ist selbstbestimmt, denn Unterkunft und artisanale Mine sind eins. Er beginnt meist um 8 Uhr morgens und endet um 20 Uhr (8-4:04). Wenn sie beim Schürfen eine größere Ader oder Vorkommen in größerer Tiefe entdecken, die mit diesen Mitteln nicht abgebaut werden können, müssen über Sponsoren oder Kooperativen Maschinen besorgt werden (8-3:18). Trifft man beim Schürfen auf einen natürlichen Grundwasserspeicher, muss der Schacht aufgegeben oder ebenfalls auf Maschinen wie eine motorisierte Wasserpumpe ausgewichen werden (10-4:43). Selbst die größte Gefahr für den Schürfer, der Einsturz ungestützter unterirdischer Gänge, wird sachlich beschrieben (9-9:15).
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Auch die Weiterverarbeitung und Vermarktung des Erlöses besteht weitgehend aus manueller Arbeit (8-9:25). Auch diesen Arbeitsschritt beschreiben Schürfer sachlich. Wenn man vom ganztägigen Schürfen zu erschöpft sei, müsse man eben andere Leute für die Weiterverarbeitung der Materialien finden. Am Ende des Tages bietet das manuelle Schürfen eine Sicherheit im volatilen Umfeld des artisanalen Kobaltabbaus: Der Erlös ist proportional zur Arbeitszeit (7-24:49).
Im Kontrast zu dieser nüchternen Aufzählung der Arbeitsschritte durch die Schürfer selbst stehen emotionale Berichte über tödliche Einstürze, in Illegalität gedrängte Arbeiter (1-8:13), ein belastetes Familienleben (3-24:50) und „mittelalterliche Methoden“ (2-22:09) von Interviewten, die ich der Gruppe der Akademiker zurechne.
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Neben der akuten Lebensgefahr sind Schürfer laut der Akademiker vielen weiteren Risiken ausgesetzt. Ohne die nötigen Apparate, um den Metallgehalt und das Gewicht ihres Erzeugnisses zu messen, sind sie betrügerischen Zwischenhändlern ausgeliefert (4-2:08). Doch in einer Welt, in der selbst Personen mit Studienabschluss als Angestellte die Aussicht auf ein Gehalt von lediglich 150 Euro im Monat haben, gebe es keine andere Wahl, als Schürfer zu werden und diese Risiken einzugehen (3-35:13).
Die einzige Ausnahme von der Regel, Schürfer beschreiben die Arbeitskonditionen emotionslos während Akademiker emotional, bildet die einzigartige Beschreibung eines Schürfers von dem Moment, in dem er in den Schacht steigt:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Dieser Passus bietet eine seltene Einsicht in die Gefühlswelt des Schürfers: Emotionale Distanz ist notwendig, um es dort auszuhalten. Dieser Schürfer unterdrückt bewusst seine Todesangst.
Die nüchterne, emotional losgelöste Art, wie Schürfer über die Konditionen und Alltag in den Minen berichten, kann als Selbstschutz vor den Realitäten gedeutet werden, die Schürfer als ihre Realität wahrnehmen: enormen Gefahren ausgesetzt zu sein und schnell ändernden Umständen oder Zwischenhändlern ausgeliefert zu sein, die den Zugang zu den Abnehmern ihres Erzeugnisses bedeuten. Die innere Sprachbarriere des Kongo zwischen Frankophonen und Suaheli-Sprechenden macht eine ganzheitliche Beteiligung im Kobaltsektor für Schürfer schwierig. Staatliche Stellen, die sie unterstützen sollten, werden eher als ein Apparat der Korruption wahrgenommen. In dieser Lage ist eine Distanzierung und sogar Ohnmacht aus Selbstschutz vorstellbar.
Die Beziehung zwischen sponseur und creuseur ist zunächst eine der finanziellen Abhängigkeit. Der Schürfer hat nicht die nötigen Mittel für die Werkzeuge, die Parzelle, die Unterkunft und die Verpflegung für einen sofortigen Arbeitsbeginn. Der sponseur braucht Menschen, durch deren Arbeit der Kauf einer Parzelle sich lohnt. Eine Parzelle ist typischerweise Teil einer größeren ZEA, die vom Service d'Assistance et d'Encadrement des Mines Artisanales et de Petit Echelle (SAEMAPE – Unterstützungs- und Überwachungsdienst für Handwerkliche und Kleine Minen) verantwortet wird (10-5:27). Neben den Ausgaben für Parzelle und Arbeitsutensilien trägt der Sponsor weitere Kosten für die Messung des Metallgehalts der Erde vor der Weitervermarktung (14-8:34). Seine Kosten und seinen Gewinn deckt der Sponsor dadurch, dass er einen im Voraus besprochenen Anteil des Erlöses einbehält. Auch clandestins haben Sponsoren. Schürfer in einem ZEA erhalten die Hälfte des Erlöses ihrer Arbeit (9-6:47), während clandestins lediglich 35 Prozent zugesprochen werden (9-13:29). Grundsätzlich ist die Sponsor-Schürfer-Beziehung die einer gegenseitigen Abhängigkeit. Für Sponsoren lohnt sich der Kauf einer Parzelle ohne Arbeitskräfte nicht, für Schürfer gäbe es ohne Sponsoren nahezu unüberwindbare Einstiegshürden in den Kobaltabbau. Dieses Verhältnis ermöglicht es mittellosen Menschen, ohne Vorkenntnisse oder Werkzeuge schnell mit körperlicher Arbeit ein Einkommen zu erzielen.
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Im Kontrast dazu beschreiben sponseurs dieselbe Beziehung als eine auf Augenhöhe, in der sie selbst in die Gruben steigen und als Team arbeiten. Sie sehen sich als Unterstützer der Schürfer und betonen, wie viel sie den Schürfern geben, nicht der Anteil des Erlöses, die sie ihnen nehmen (14-3:52; 10-9:07; 14-2:49).
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In Bezug auf die Bewertung der Creuseur-Sponseur -Beziehung kann festgestellt werden, dass Schürfer die Abhängigkeit vom sponseur und die Abgabe ihres Erlöses in den Vordergrund stellen, während sich sponseurs als Versorger der Schürfer mit Nahrung und Logis sehen.
Neben den Arbeitskonditionen wiederholen sich auf die offene Nachfrage nach Problemen im Sektor drei Themenbereiche: Probleme mit der politischen Führung (eher auf die Personen der Politiker als auf die politische Grundhaltung bezogen), innerkongolesische Migration aufgrund von politischer Instabilität oder lockenden Arbeitsmöglichkeiten im Kobaltsektor und Korruption. Es fällt auf, dass die mehrfach genannten Aspekte innere Probleme beschreiben, die von der eigenen Gesellschaft oder der kongolesischen Politik verursacht werden. Nicht als Problemquellen genannt werden mögliche äußere Einflüsse wie volatile globale Kobaltpreise, die Kolonialvergangenheit oder multinationale Unternehmen.
Mehrere Befragte sehen die kongolesische Politik als größte Herausforderung des Kobaltabbaus an, wobei oft nicht einzelne staatliche Maßnahmen und Richtlinien, sondern die Natur der Politiker kritisiert werden. Politiker in Kinshasa werden als realitätsfern (3-30:07), praxisfremd (8-0:34), unfähig (2-28:32) und gewissenlos (2-15:25) beschrieben.
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Minen werden als Cashcow gesehen – als Strukturen, die von den Belgiern errichtet und hinterlassen wurden und laufend Einkommen generieren, ohne dass in sie investiert werden müsse (3-18:22). Nichtakademiker berichten Ähnliches. Sichtbare staatliche Unterstützung etwa der artisanalen Schürfer ist nur eine zusätzliche Form von Besteuerung (14-25:44), denn Schürfer müssen an Kooperativen Beiträge und an die beaufsichtigten ZEA Zugangsgebühren zahlen, erhalten aber keine Gegenleistung (3-10:47; 3-11:37).
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Personen, welche die Interessen der Schürfer in der Politik vertreten und solche staatlichen Maßnahmen erarbeiten, hätten nie mit eigenen Händen geschürft (8-0:34). Das Resultat sind Regelungen, die sich nicht richtig in der Realität der Minen umsetzen lassen. Dadurch entsteht ein wilder und im Effekt unreglementierter Abbau ohne Schutz für den Menschen (2-30:13).
Die schwierigen Lebensverhältnisse gelten nicht nur für die Schürfer. Auch Staatsangestellte und Personen auf niedrigeren politischen Posten leiden unter einem Lohnniveau, das keinem ILO-Standard entspreche (2-19:55). Die Agenten der Aufsichtsbehörden oder Kooperativen sind gezwungen, Nebenbeschäftigungen nachzugehen, deren Ziele denen ihrer Vollzeitstelle sogar entgegenstehen können (2-19:45). So können Leute, die 50-80 EUR verdienen, weitere 1000 EUR an ihre Familien senden (3-27:30). Zwei Befragte erwähnen, dass ein fehlender Mindestlohn (3-28:06, 2-20:16) alle betrifft und dafür sorgt, dass Staatsangestellte auf Korruption angewiesen sind. Von beiden Seiten wurde Korruption erlebt: Bestechungsgelder wurden angeboten und selbst angenommen. Ein Gesprächspartner hat Schmiergeld angeboten, um in einen industriellen Standort zu gelangen und dort bereits gefördertes Material stehlen zu können (9-13:12). Eine andere Befragte hat Bestechungsgeld angeboten bekommen, um einen Teil zugesagter Fördergelder für einen Schulbau an die Regierungsrepräsentanten privat zurückzuzahlen (2-32:52). Trotz gesetzlicher Liberalisierung und Öffnung des Marktes sind weiterhin vornehmlich Joint Ventures mit kongolesischem Anteil zugelassen (3-20:01). Initiativen zur Etablierung von Rahmenbedingungen und Versuche des Kontrollgewinns über den Wildabbau werden als weitere Korruptionsquelle bewertet, nicht als ehrliche Ambitionen der Politiker, für eine Verbesserung der Lage im Sinne des Allgemeinwohls zu sorgen (3-10:47; 3-11:37). Im Verhältnis zum niedrigen Lohnniveau lassen sich durch illegale Tätigkeiten hohe Einnahmen erzielen, die etwa das Zehnfache des Lohns eines Staatsangestellten ausmachen. Preise und Lebenshaltungskosten orientieren sich hingegen eher an der Höhe des illegalen Lohns, was Korruption für viele unumgänglich macht. Befragte Akademiker verurteilen Korruption. Bei ihnen ist allerdings von einem höheren Lohnniveau auszugehen. Betroffene Schürfer, die ihrerseits dem korrupten Militär ausgeliefert sind, äußern keine ähnliche Kritik: Sie akzeptieren Bestechungsgelder als eine Art Steuer des Systems und die korrupten Polizisten oder Militärs als notwendige Bedingung ihrer Lebensweise.
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Die niedrigen Einstiegshürden in den Abbau, die Größe des Landes und die volatile politische Lage, die auch Bürgerkriege umfasst, verursachen eine unregulierte Binnenmigration. Zahlreiche Kriegsvertriebene und Arbeitsuchende lassen sich in Minengebieten nieder (2-12:38; 3-7:50), was eine Städteplanung oder die Etablierung staatlicher Strukturen unmöglich macht. Es entstehen Wildgesellschaften, „rechtlose Orte ohne Ethik, mit vielen sexuell übertragbaren Krankheiten“ (3-8:47) und ohne Respekt vor ihrer Umwelt (2-36:47). Das Zusammenleben alter und neuer Bewohner eines Gebiets verstärkt das Stammesdenken (3-36:38) und erzeugt neue innere Konflikte: „Aktuelle Bürgerkriege halten die DRK von politischer Stabilität ab“ (1-22:11). Die Zukunft des Kobaltabbaus hänge von der inneren politischen Stabilität des Landes ab (1-19:44), nicht etwa von der globalen Nachfrage nach Kobalt.
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Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die mehrfach genannten Probleme des Sektors aus Sicht der Befragten hauptsächlich von der politischen Führung verursacht werden. Die Persönlichkeit und die Natur der politischen Führungspersonen seien unzulänglich. Politische Instabilität führt zu einer Wildmigration und sozialen Spannungen und zu einem mangelnden Vertrauen von Investoren. Externe Faktoren, wie die globale Geopolitik oder multinationale Firmen, die in den westlichen Zeitungsberichten oft als problematisch dargestellt werden, scheinen aus lokaler Sicht weniger verantwortlich zu sein. Westliche Journalisten beschuldigen eher den Konsum der eigenen Landleute, internationale Unternehmen, oder gar die eigenen Vorfahren. Es kann also eine Gemeinsamkeit festgestellt werden: sowohl kongolesische als auch westliche Personen sehen das Problem zumindest in der Außendarstellung bei ihrer eigenen Kultur.
Die Lösungsvorschläge der Befragten zu den Problemen des Kobaltabbaus fallen unterschiedlich und zum Teil gegensätzlich aus, wobei sich eine Linie zwischen den Lösungsansätzen von Akademikern und von Schürfern abzeichnet. Während Schürfer und manuelle Arbeiter weniger Staatskontrolle und Liberalisierung begrüßen (10-21:13), fordern Akademiker zum Teil dringend mehr Staatskontrolle (4-5:29). Viele Vorschläge enthalten klare Policy -Empfehlungen, die entweder einen Teilbereich des Sektors betreffen oder sogar systematische Wechselwirkungen offenbaren, wie den positiven Effekt eines besser organisierten artisanalen Abbaus auf industrielle Minen.
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Obwohl nur 20 Prozent des Kobalts aus dem artisanalen Abbau stammen (2-16:40), sind viele Lösungsansätze darauf ausgerichtet. Wenn der artisanale Abbau besser organisiert würde und die Alternative, auf Gebieten industrieller Minen geförderte Rohstoffe zu stehlen, weniger verlockend wäre, würde der industrielle Abbau für internationale und kongolesische Firmen attraktiver. Der wilde, unkontrollierte Abbau durch Schürfer hindert die Betreiber industrieller Minen daran, die Erschließungs- und Abtragungsarbeiten an erworbenen Flächen zu beginnen. Daher wäre eine strengere Staatskontrolle von artisanalen Schürfern laut akademischen Befragten förderlich für den industriellen Kobaltabbau (4-12:54). In einem weiteren Schritt könnten die dadurch steigenden Steuereinnahmen aus dem industriellen Abbau zur Optimierung der staatlichen Daseinsvorsorge und zur Verbesserung der Lebensumstände artisanaler Schürfer eingesetzt werden (2-17:36).
Die Lösungsvorschläge akademischer Befragter dehnen sich auf viele Prozessschritte des artisanalen Abbaus aus. Abbauseitig soll der Abfall alter, verlassener industrieller Standorte artisanalen Schürfern zugänglich gemacht werden (1-15:15), denn mit neuen Technologien könnte aus diesen zurückgelassenen Heterogenit-Haufen Kobalt gewonnen werden. Staatlich finanzierte Studien sollen entscheiden, wo neue artisanale Standorte ausgewiesen werden (1-20:22). Schürfer sollen gezählt und mittels Ausweises identifiziert werden, damit im Falle eines Einsturzes oder einer Umsiedlung geklärt werden könne, wie viele Menschen betroffen sind (4-20:14). Verkaufsseitig sollen staatliche Ankaufstellen eingerichtet werden, wo Schürfer den ehrlichen Gegenwert ihres Erzeugnisses erhalten (4-22:14). Dadurch könnte der Staat zusätzlich den Einfluss krimineller Strukturen reduzieren (4-17:56). Wenn die Nachverfolgbarkeit des Metalls garantiert würde, könnte kongolesisches Kobalt auf dem internationalen Markt begehrter werden und Erzeugern von sauberem Kobalt ohne Menschenrechtsverletzungen könnte ein erheblicher Vorteil verschafft werden (4-7:51; 4-15:50; 4-29:20). Somit werden Lösungsansätze geboten, die wirtschaftliche und humanitäre Ziele verbinden (3-51:34).
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Entsprechend den dargelegten Problemen auf politischer Ebene beziehen sich mehrere Lösungsvorschläge auf die Natur der Politiker des Kongo. Auch sie stammen ebenfalls von akademischen Befragten. Es wird vorgeschlagen, die Regierung in die Hand von wiedergeborenen Christen zu geben, die nicht korrumpierbar seien (2-30:38), oder einen Leader zu bestimmen, der Vertrauen herstellt und die Menschen vereint (3-35:46), um die ausschlaggebende innere politische Stabilität zu schaffen (1-19:44; 1-21:18; 1-23:11). Es wird eine Regierung angestrebt, die Veränderungswillen hat (2-8:07) und ein Gewissen für die Bevölkerung entwickelt hat (2-15:25; 3-34:27; 3-45:42). Es wird ein langfristiges Denken vermisst, wodurch die Entscheidungsträger die Erlöse aus dem Kobaltabbau in Bildung (2-23:00) oder Umweltschutz (2-20:29) investieren würden. Diese Herangehensweise und den Investitionswillen der Kolonialherrschaft wünschen sich manche kongolesischen Akademiker zurück. Dies gilt sogar für die martialischen Sanktionswerkzeuge: „ Die Kongolesen wollen gepeitscht werden […] und es kehrt Ordnung ein “ (2-35:40).
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Im Gegensatz zu den Lösungsvorschlägen der Akademiker ist festzuhalten, dass manuelle Schürfer selbst nie nach mehr Unterstützung, Organisation oder Regelungen fragen. Sie haben wenig Vertrauen in höhere Stellen und möchten in Ruhe gelassen werden (10-21:37). Der größte wiederkehrende Wunsch ist das Abtragen der Erdoberfläche durch Maschinen an artisanalen Standorten. Dies hätte den Effekt, dass die Schürfer nicht mehr in unterirdischen Schächten arbeiten müssten, sondern im Tagebau beschäftigt wären und keine Einstürze zu befürchten hätten (4-8:53; 4-22:54; 8-12:05; 8-14:08; 9-18:25; 14-10:59; 14-12:04), welche die größte Herausforderung für Schürfer darstellen (9-22:48). Strukturell wünschen sich artisanale Schürfer, dass ihnen große Gebiete zur Verfügung gestellt werden. Anschließend sollten sich die Staatsmächte zurückziehen. Diese Gedanken reichen bis zur kompletten Rücknahme aller Minengebiete von multinationalen Unternehmen und zu einem kommunistisch orientierten Ansatz ohne Arbeitgeber aus dem privaten Sektor (9-19:11).
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Mehrere Stimmen würden eine Unabhängigkeit vom internationalen Handel als Befreiung wahrnehmen. Einige Befragte würden die Kontrolle über die einheimische Kobaltproduktion wieder in die eigene Hand nehmen. Erreicht werden könnte dies durch den Rückkauf der Anteile ausländischer Investoren in Joint Ventures (2-26:26), durch die vertikale Ausdehnung entlang der Lieferkette und die Weiterverarbeitung innerhalb des Kongo anstelle des Weiterverkaufs im Rohzustand (9-24:08) oder durch die Nachverfolgung der Rohware gegenüber unehrlichen Ausländern (4-26:13). Es wird vorgeschlagen, der Staat solle chinesische Investoren ablehnen und stattdessen in die Suche europäischer Partner investieren (14-15:43). Um weniger abhängig von der internationalen Nachfrage und dem Preis des Kobalts zu werden, müsse sich Katanga neben dem Abbau weitere Standbeine aufbauen – etwa Landwirtschaft (2-23:32) oder Tourismus (2-23:47). Hier könne man durchaus von anderen afrikanischen und westlichen Ländern lernen (2-18:04; 2-21:39; 2-29:33).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass nach Akademikern jeder Teilschritt des artisanalen Abbaus mehr kontrolliert und unterstützt werden sollte, wobei keiner von ihnen diese Aufgabe bei sich selbst sieht. Ein besser organisierter artisanaler Abbau würde in weniger Diebstählen an industriellen Standorten resultieren und dadurch den Kongo zu einem attraktiveren Investitionsstandort machen. Die so erreichten höheren Steuereinnahmen aus den industriellen Minen könnten in Wechselwirkung für eine bessere Lebensqualität artisanaler Schürfer eingesetzt werden. Schürfer selbst wünschen jedoch grundsätzlich weniger Kontrolle an jedem Prozessschritt und sogar einen vollständigen Rückzug internationaler Konzerne aus dem Kongo. Ihr Wunsch nach Liberalisierung drückt ein mangelndes Vertrauen nicht nur in die kongolesische Regierung, sondern auch in internationale Strukturen aus, die im Kongo während und nach der Kolonialzeit etabliert worden sind.
In Südostkongo ist das erste und offensichtlichste Indiz einer internationalen Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene zu finden: das Abbauen von Kobalt durch Joint Ventures und der Weiterverkauf auf dem Weltmarkt. Der Kongo wird aus der Innenperspektive als Mitstreiter auf der internationalen Bühne mit strategischer Bedeutung und als Antreiber der digitalen Revolution auf globaler Ebene gesehen (2-6:33). Es scheint eher ein Reichtumsbewusstsein zu herrschen, kein Armutsbewusstsein.
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Internationale Handelspartner werden von kongolesischen Beschäftigten oft durch ihre Nationalität beschrieben und, wenn möglich, ausgewählt (14-5:12). Weiße (sic) scheinen bevorzugt zu werden, weil sie als ehrlicher und weniger korrupt eingeschätzt werden als Chinesen und Inder (14-16:09). Weiße Investoren schaffen bessere Arbeitskonditionen (2-10:51; 3-14:07) und bringen eine Einstellung aus Europa, Australien oder den USA mit, fortwährend an der Verbesserung ihrer Umgebung und der Entwicklung neuer Lösungen mitzuwirken, oft unter Einbeziehung der Wissenschaft (3-31:08). Chinesen werden dagegen als Investoren beschrieben, die den Profit über den Menschen stellen (3-22:26) und ihre kollektive Macht ausnutzen, um bessere Konditionen für ihr Unternehmen zu bekommen (3-21:54), oft durch Korruption (7-17:26). Chinesen werden sowohl von akademischen als auch von manuellen Mitarbeitern des Sektors als nicht intrinsisch verantwortungsbewusst charakterisiert, sondern als Personen, die ihre Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt nur dann wahrnehmen, wenn Auflagen sie dazu zwingen (3-15:46).
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Während manche Interviewpartner ausländische Akteure ohne Unterscheidung der Herkunft als korrupt beschreiben (4-26:54), reflektieren akademische Befragte auch die andere Seite der das Bestechungsgeld annehmenden Kongolesen (1-16:04). Einige Erzählungen akademischer Mitarbeiter aus den Kolonialzeiten wirken hingegen offen nostalgisch; die weiße Herrschaft konnte es sich leisten, langfristig zu denken und eine Infrastruktur auszubauen, von der bis heute profitiert wird. Erlöse aus dem Kupfer- und Kobaltabbau wurden unter der Kolonialherrschaft dazu verwendet, urbane Zentren auf- und auszubauen (3-38:42), was aktuell unter der kongolesischen Eigenregierung nicht stattfindet. Als Lubumbashi noch Elisabethville hieß – nach der Frau des belgischen Königs Albert I. –, seien das Leben und die Stadt noch schöner gewesen (2-38:38). Die Bevorzugung weißer Handelspartner rührt mitunter von einer nostalgisch verklärten Erinnerung an die Kolonialzeit. In diesem Zusammenhang sei mit bedacht, dass ich als weißer Forscher die kongolesischen Gesprächspartner interviewte. Es wurde bereits diskutiert, dass eine konfliktvermeidende und idealisierte Wirklichkeit nach außen dargestellt wird, in inneren Kreisen aber eine Wut herrscht, die in einer Ohnmacht des Protests nicht in den internationalen Diskurs eingebracht wird. Die nostalgischen Erinnerungen an Elisabethville vermittelten den Eindruck, dass dem weißen Gesprächspartner als Kongolesen Zugeständnisse gemacht werden müssten, um den komfortablen Bereich eines nichtkonfrontativen Austauschs nicht zu verlassen.
Ein wiederkehrender Aspekt der Erzählungen ist die Beschreibung einer Parallelwelt: Einerseits müssen sich Akteure innerhalb zunehmend globalisierter wirtschaftlicher und politischer Strukturen behaupten, andererseits haben Geflechte alter afrikanischer Gesellschaftsstrukturen die Kolonialzeiten überlebt und blühen unter der kongolesischen Selbstregierung wieder auf. Ein sichtbares Indiz dieser Parallelwelten sind die Arbeitsumstände in industriellen und artisanalen Minen. Beschäftigte an industriellen Standorten arbeiten mit einer Null-Toleranz-Politik für Unfälle, moderner Schutzausrüstung, Safety Champions und einer Unfall- und Krankenversicherung mit Begünstigungen für die Familie. Artisanale Schürfer befördern hingegen Bodenschätze ohne Versicherung, mit veralteten Werkzeugen (1-9:06; 2-21:46). Die Koexistenz industrieller, aus US-amerikanischer Hand übernommener Minen und artisanaler Standorte ist eine Koexistenz verschiedener Zeitalter im gleichen Raum.
Ein eindrückliches Beispiel für die Parallelwelten der internationalen Bühne und der urkongolesischen Selbstregierung ist die unfreiwillige Zusammenarbeit des Bürgermeisters und chef de terre in Tenke-Fungurume, dem Standort der größten industriellen Mine des Bundesstaats Haut-Katanga. Hier arbeiten burgemeester – ein Posten aus den belgischen Strukturen, mittlerweile natürlich durch einen Kongolesen besetzt – und chef de terre – der Stammesoberhaupt, übrigens ein in Boston studierter Ingenieur – mit dem großen Budget, das ihnen die im nouveau code minier festgelegte Sozialabgabe des großen Kobaltunternehmens beschert. In den Interviews wurde darauf verwiesen, die chefs de terre seien an der nachhaltigen Erhaltung der Umwelt interessiert, während Bürgermeister kongolesische Vertreter westlicher Strukturen seien und in dieser Parallelwelt den kurzzeitigen Profit und das System des Kapitalismus verträten (3-37:18). Da Letztere durch Zugang zu Steuereinnahmen und politische Beziehungen zu Kinshasa mehr Macht ausüben können und „nach den Pfeifen der Chinesen tanzen“ (3-37:18), werden oft an Orten Abbaugenehmigungen an Unternehmen ausgestellt, wo die einheimische Bevölkerung nicht nur lebt, sondern seit Generationen schürft und dadurch ihren kollektiven Lebensunterhalt bestreitet (4-4:37). Durch die von einem Tag auf den anderen vergebenen Minenlizenzen zwingt man die traditionelle Lebensweise in die Illegalität (1-7:54; 1-12:54). Das seit Generationen weitergegebene Fachwissen des Stammes, dessen Mitglieder sich zuschreiben, bereits bei erster Betrachtung zu sehen, ob die beförderten Bodenschätze die Fahrt zum Zwischenhändler wert sind (14-6:25), stirbt aus. Wenn ein chef de terre die Bewohner gegen die Regierung in Stellung bringt, finanziert diese Gegenbewegungen, um ihm die Macht zu nehmen (3-41:08).
Das Stammesdenken scheint grundsätzlich im Zuordnungsraster der kongolesischen Bevölkerung verankert zu sein. Durch die willkürlich gezogenen Landesgrenzen wurden unterschiedliche Ethnien in einem Land zusammengeschlossen. Die Landesgrenzen sind in ihrer Durchlässigkeit jedoch nicht etwa mit innereuropäischen Grenzen zu vergleichen, denn sie sind für die Durchschnittsbevölkerung unüberwindbar. Die Landzunge von Lubumbashi, die halbkreisförmig von Sambia umgeben ist, kann man zum Beispiel nur mit einem in Kinshasa für mehrere Hundert US-Dollar ausgestellten Reisepass inklusive Visums in Richtung des 35 Kilometer entfernten Sambias verlassen. Damit ist die Migration auf die Gebiete innerhalb dieses konstruierten Pulverfasses verschiedener Völker eingeschränkt. Die für viele westliche Beobachter einzig positive Errungenschaft Mobutus war, dass er die balkanisation – den Zerfall Kongos – durch bewusstes nation building vermeiden konnte. Durch innerkongolesische Migration können die Stämme zwar nicht mehr klar den Bundesstaaten zugeordnet werden, wie es von der kongolesischen Selbstregierung beabsichtigt war. Doch anhand von Nachnamen, Herkunftsort, Sprache und tatsächlich auch der Hautfarbe ordnen sich Kongolesen in Stämme ein, ähnlich wie sie ausländische Handelspartner als Chinesen, Weiße oder Inder eingruppieren. Da der Gouverneur von Katanga ebenso wie der Premierminister der DRK aus dem früheren Bundesstaat Katanga stammen, wären Demonstrationen oder eine öffentliche Kundgebung von Missmut durch die Bewohner Katangas undenkbar. Derartige Aktionen wären gleichzusetzen mit einem Verrat innerhalb ihres eigenen Stammes.
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Die Parallelwelten bestehen nicht nur nebeneinander. Sie vermischen sich auch, was mitunter ganz bewusst herbeigeführt wird. Stammesdenken wird etwa dafür benutzt, um für politische Ruhe zu sorgen. Durch die Loyalität zum eigenen Stamm aus dem präkolonialen System werden postkoloniale, am Vorbild demokratischer Bundesrepubliken orientierte Machtsysteme gespeist und stabilisiert. Während die Menschengruppen, die innerhalb der nationalen Grenzen des Kongo leben, in einigen Aspekten zu präkolonialen Gesellschaftsgefügen zurückkonvergieren, lässt ihnen die Welt keine Wahl, das global akzeptable Muster einer Nation anzunehmen: eine parlamentarische Demokratie mit einer rechteckigen Flagge und einer orchestralen Nationalhymne, die es so auch in Polen oder Indonesien gibt. Sie werden anhand von westlich bestimmten Kennzahlen wie Bruttoinlandsprodukt, Index der menschlichen Entwicklung oder Gini-Koeffizient gemessen und ihr Entwicklungsstand wird auf der globalen Bühne daran fest gemacht, wie sehr sie sich westlichen Wirtschaften angeglichen haben. Nationen wird Autonomie zugesprochen, doch bereits das Konzept der Nation ist eines, das nicht unbedingt natürlicherweise mit der Selbstregierungsform der Menschengruppen vereinbar ist, die im heutigen Kongo leben.
Es zeichnet sich in den Interviews eine Welt des kongolesischen Kobaltabbaus ab, in der langfristiges Denken und weitere Ambitionen nicht belohnt werden. Die volatilen Umstände und die Willkür der bestimmenden Akteure schaffen eine zu große Unsicherheit für die betroffenen Akteure, die verlässliche Planungen unmöglich macht. Spart ein Schürfer so viel Geld, dass er selbst zum sponseur werden kann, wird womöglich bereits am nächsten Tag die ZEA zu einem industriellen Abbaustandort umgewidmet, wenn dort größere Kobaltvorkommen entdeckt werden (14-22:00; 14-20:41; 10-24:39). Schürfer, die in erste Erschließungsarbeiten des Feldes investiert haben, werden verjagt (14-18:46; 10-19:51). Weicht ein sponseur oder Schürfer auf bereits illegal betriebene Zonen aus, kann die Höhe der benötigten Bestechungsgelder nicht eingeschätzt werden. Denn es sind Fälle denkbar, in denen die Minenpolizei genügend bestochen wurde, die Beamten aber von einem Tag auf den anderen abgezogen oder gar durch das Militär ersetzt werden. Dann muss diese „Investition“ abermals gestartet werden (9-27:41).
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Als sich herausstellte, dass jahrzehntealte Halden aus dem Kupferabbau, die unbeaufsichtigt in riesigen Bergen auf Stadtgrenzen gelassen wurden, mit moderneren Technologien erneut auf Kobalt durchsucht werden können (9-10:18), haben sich zunächst Tausende von Bewohnern auf die Haufen gestürzt. Sobald jedoch die Profitabilität als bestätigt galt, wurden diese alten Haufen durch den Staat wieder zurückgenommen und die Schürfer wurden verscheucht (9-10:39; 1-6:49). Aus diesen Gründen entwickelt sich kein Geist für durchdachte Strategien. Vielmehr besteht eine Motivation, den Augenblick zu nutzen und sich so viel wie möglich zu nehmen, solange die Chance dazu besteht. Daher wird auch Korruption von Seiten der Kongolesen zumindest teilweise verständnisvoll begegnet. Die volatilen Umstände verleiten dazu, aus einer Machtposition heraus so viel Geld wie möglich zu erlangen, da auch diese Chance schnell vergehen kann (2-27:13).
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Selbst ohne äußere Einflüsse wie eine Umwidmung des betreffenden Gebiets oder den Korruptionszwang bleibt für den sponseur ein Erlös seines Investments Glückssache. Dies ergibt sich bereits aus der Natur des Bergbaus: Der Verlauf der Kobalt- oder Kupferadern ist nicht im Voraus einschätzbar und der sponseur weiß nicht, wie reich an Bodenschätzen die erworbene Parzelle sein wird (14-13:24). Schürfer erfahren den Kobaltgehalt oft erst beim Zwischenhändler und können seine Aussage nicht nachprüfen (9-24:53; 1-5:51). Akteure des artisanalen Abbaus versuchen dennoch, sich unter diesen Umständen Sicherheiten zu verschaffen. Sie gehen gleich früh am Morgen zum Zwischenhändler, wenn das Metorex [9] noch zuverlässig funktioniert (9-25:56). Zudem kann ein Muster aus der Kobaltader zunächst von einer unabhängigen Partei begutachtet werden (10-8:25).
Neben der Volatilität des Umfelds sowohl für Schürfer, die mit plötzlichen Veränderungen ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, als auch für Vertreter des Machtapparats, die ihre unabsehbare Amtszeit möglichst gut ausnutzen wollen, gibt es auf der Makro-Ebene eine zusätzliche Unsicherheit, die durch eine Wahrnehmung der Fremdgesteuertheit zur Paralyse beiträgt. Denn den Wert des Kobalts diktiert die Londoner Metallbörse (7-21:47). Auch das Umschwenken von der Kupfer- zur Kobaltproduktion wurde vom globalen Markt diktiert, sodass bisher weniger wichtige Gebiete innerhalb Katangas stark in den Fokus des Interesses rückten und andere Regionen dagegen an Bedeutung einbüßten (9-9:48).
All diese Unsicherheiten führen als rein menschliche Reaktion zu einem Gefühl von Ohnmacht. Diese Paralyse ist auch eine gewisse Überlebensstrategie, wenn das Umfeld und die äußeren Umstände jegliche Ambitionen und Zukunftspläne obsolet machen. Kongolesen, die im Ausland an Projekten zur Entwicklung und Verschönerung ihrer Umgebung teilgenommen hatten, setzen dieses Engagement im Kongo nicht fort, denn dies sei etwas für die Weißen (3-32:03). Der Fatalismus und die Konzentration auf das Leben im Moment schützen vor wiederholten Enttäuschungen in einem auf der Mikro- und auf der Makroebene volatilen Umfeld, mit langfristigen Vorhaben immer wieder zu scheitern. Diese gesellschaftliche Paralyse kann jedoch in vollständige Fremdbestimmtheit münden. Oft wird die Lösung der Probleme des Sektors von einer äußeren Kraft erwartet – von Gott (2-33:57; 2-35:24; 2-36:27), von der westlichen Welt (2-10:08; 3-20:28) und in mehreren Fällen sogar von mir als forschendem Besucher (3-50:52; 8-17:28).
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Auch innerkongolesische Probleme wie die unzulängliche Regierung des Landes sollen nicht von innen heraus gelöst werden, sondern durch äußere Kräfte. Eine neue Regierung soll nicht etwa durch demokratische Prozesse oder durch Proteste herbeigeführt werden, sondern durch Beten zu Gott (2-34:36). Lokale scheinen sich fatalistisch auf ein Leben im Moment zurückzuziehen und ihren Anspruch auf Selbstbestimmung aus Selbstschutz aufgegeben zu haben. Lösungen für die sektoralen Probleme erhoffen sie sich von außen.
Die Analyse zu wiederkehrenden Aspekten in den Interviews schließt mit Einschätzungen der Befragten zur Zukunft. Fast alle Interviewpartner erkennen eine positive Tendenz bei der Problembewältigung: Sei es das Abtragen der oberen Erdschicht für einen sichereren Tagebau (8-15:24), eine erhöhte Nachverfolgbarkeit des Metalls von der Grube zum Endverbraucher (4-29:57) oder der Kampf gegen Betrug (4-24:44). Der in fast jedem Interview durchscheinende Optimismus ist aufschlussreich in Bezug auf die Frage nach der lokalen Wahrnehmung der Menschen. Unabhängig von ihrer Stellung in der Hierarchie des Kobaltabbaus verbindet sie eine Erwartung, dass der Kongo unmittelbar davor stehe, seine verdiente Position als strategisch unverzichtbarer Akteur auf der Weltbühne einzunehmen.
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Gleichzeitig scheint Gelassenheit durch: Das Kobalt ist hier, das Land ist hier und bleibt hier, auch wenn die Welt Kopf steht (1-17:39). Die Verbreitung des Elektroautos und die Entwicklung von Smart-Geräten bedeuten, diese Ressourcen weltweit gebraucht werden (4-24:04). Die Erde Katangas scheint unerschöpflich seit Generationen immer das herzugeben, wonach die Welt fragt (7-19:54; 8-18:26; 8-16:41).
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Die Erwartung, dass der Kongo kurz davor sei, international aufzusteigen, und die Gelassenheit, das Kobalt sei fest in der Erde verankert und dadurch nicht wegzunehmen, könnten als Resultat des jahrzehntelangen nation building Mobutus gesehen werden, dank dem der Kongo nach seiner Unabhängigkeit nicht entlang der Grenzen der dort lebenden Völker zerfallen ist wie Jugoslawien oder die Sowjetunion. Doch der Optimismus geht noch viel tiefer. Es wird eine Realität kreiert, in der alle Umstände in einem automatisch ablaufenden Prozess ständiger Verbesserung sind.
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Diese Realitätserzeugung einer ständigen, automatischen Verbesserung ist nicht mit dem Bild zu vereinbaren, mit dem ich in den Kongo gekommen war: das Bild ausgelieferter, leidender Menschen, die sich nicht zu helfen wissen. Sehr deutlich möchte ich mich jedoch von der eindimensionalen Zusammenfassung mancher weißen Besucher distanzieren, laut der „der Mensch doch so wenig brauche zum Glück“ und „sie arm und einfach leben, aber trotzdem, nein – vielleicht genau deswegen – glücklicher sind als wir“. Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Masterarbeit sind nicht mehr alle Interviewpartner am Leben. Eine Person ist ohne Vorerkrankungen mit Anfang dreißig innerhalb weniger Wochen an einer Krankheit gestorben, die an anderen Orten dieser Welt womöglich hätte ohne finanzielle Bürde für den Patienten behandelt werden können. Der prävalente Optimismus ist somit nicht als vollumfängliche Glückseligkeit zu betrachten. Vielmehr begründet er eine hoffnungsvolle Sicht auf die Zukunft trotz der volatilen und bedrohlichen Umstände.
Die Interviews mit kongolesischen Beschäftigten des Kobaltabbaus in der Katanga-Region geben eine Einsicht in die Eigenwahrnehmung der lokal Betroffenen. Die doppelte Ebene des Diskurses, die nach außen konfliktvermeidend und für den Kongo werbend auftritt, aber nach innen sowohl Wut, Ohnmacht und Fatalismus als auch Lösungen präsentiert, konnte vielfach herausgearbeitet werden. Der Südosten des Kongo nimmt sich stark als eine single product economy wahr: Alle arbeiten irgendwann in ihrem Leben im Bergbau, denn er lockt mit schnellen Erlösen und niedrigen Einstiegshürden. Den Menschen ist durchaus bewusst, dass Landwirtschaft oder Städteplanung aufgrund des verlockenden Bergbaus nicht betrieben werden, dennoch ziehen sie mit einer hohen Migrationsbereitschaft in neu ausgewiesene Abbaugebiete, um dort zu schürfen. Die Akteure nehmen den Mangel an Landwirtschaft oder die unmögliche Städteplanung zwar als Probleme wahr, sie fühlen sich jedoch nicht für deren Lösung verantwortlich. Das volatile Umfeld sich schnell ändernder Konditionen belohnt Ambitionen und langfristige Pläne nicht.
Die Volatilität des Umfelds ist auf jeder Ebene spürbar: da Amtsinhaber nicht einschätzen können, wie lange sie ihre Posten behalten können, neigen sie dazu, aus ihrer Position so lange wie möglich private Vorteile zu ziehen. Schürfer geben den Erlös ihrer Tagesarbeit hedonistisch aus, denn dynamische Veränderungen vieler Parameter wie der Weltpreis des Kobalts oder die Einstufung des aktuellen Aufenthaltsorts geben ihnen wenig Vertrauen in das Sparen oder Anlegen ihres Verdienstes. Dieses erzwungene Leben im Moment stößt Menschen in eine Ohnmacht, die eine fatalistische Haltung bewirkt. Es werden Lösungen von außen erwartet und der Selbstbestimmungsanspruch wird aus Selbstschutz minimiert. Akteure übernehmen wenig Verantwortung für ihr Land und konzentrieren sich stattdessen auf ihr eigenes Leben und ihr Fortkommen.
Die Optionen, in diesem volatilen und unberechenbaren Umfeld seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, werden kühl abgewogen – ohne Rücksicht auf Legalität oder Illegalität. Schürfer, deren Vollzeitbeschäftigung darin besteht, bereits geförderte Erde von industriellen Standorten zu stehlen, sprechen darüber ohne Zögern oder sichtliche Scham. Die distanzierte Pragmatik unter Schürfern wirkt wie ein Schutzmechanismus gegen die Willkür der Umstände und die ständig drohende Lebensgefahr etwa durch Einstürze im Stollen.
In der Berichterstattung westlicher Medien dominiert eine negative Sicht auf den Kobaltabbau im Kongo, womit zum Beispiel Vorurteile zur Kinderarbeit bestätigt werden sollten. Kongolesische und afrikanische Medien berichten selbst wesentlich ausgewogener: Sie beschreiben ihrerseits zwar auch zahlreiche Probleme, bieten aber auch Lösungsvorschläge und Nachrichten zu positiven Entwicklungen. Eine ähnliche Distinktion zeichnet sich innerhalb der Region ab: Kongolesische Akademiker, die von den Arbeitsbedingungen der artisanalen Minen nicht direkt betroffen sind, sprechen emotional über die Probleme der Schürfer, die der Lage völlig ausgeliefert seien. Die Schürfer selbst berichten hingegen sachlich und prozessorientiert von einzelnen Arbeitsschritten und gehen pragmatisch mit der Situation um. Letztlich sehen sich Schürfer und sponseurs als Geschäftsleute: Schürfer geben ihre Arbeitskraft für einen Teil des Erlöses, während sponseurs ihnen Arbeit und Leben vor Ort ermöglichen. Keine der Parteien sieht sich zu dieser Vereinbarung gezwungen. Da ihnen ihr Umfeld jedoch keine bessere Alternative bietet, suchen sie sich den für sie besten Weg.
Aus den Interviews geht plausibel hervor, dass Kinderarbeit im Kobaltabbau zwar nicht völlig ausgeschlossen werden kann, sie jedoch unter anderem aufgrund ihres speziellen Kontexts nicht zu den größten Problemen und Herausforderungen des Sektors gehört. Von einer systematischen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen kann weder in industriellen noch in artisanalen Minen gesprochen werden. Kinder und Jugendliche, die sich in Minengebieten aufhalten, haben nicht die Wahl zwischen einer formalen Bildung und Knochenarbeit, sondern zwischen Einsamkeit am Zaun des Abbaugebietes und Familienleben innerhalb des Minengebietes. Arbeitsraum und Lebensraum gehen auf dem Gebiet der Mine nahtlos ineinander über. Wären diese Gebiete abgeschottet und Kinder nicht mehr zulässig, würde dies viele Familien für Wochen voneinander trennen. Zudem wäre ein Paradoxon wahrscheinlich: Kinder, die nicht in die Minen mitgenommen werden und tagsüber allein sind, werden freiwillig zu illegalen Arbeitern, um Geld zu verdienen, oder wenden anderen illegalen Tätigkeiten zu. Daher wird es als die bessere und verantwortungsvollere Alternative angesehen, wenn Kinder ihre Eltern in die Abbaugebiete begleiten.
Die von den Akteuren selbst genannten Probleme des Sektors haben innere Ursachen, doch die Lösungen werden von außen, oft von einer höheren Macht, erwartet. Während viele die Regierung für die strukturellen Herausforderungen wie niedrige Verdienste im legalen Bereich oder schlechte Arbeitsbedingungen in artisanalen Minen verantwortlich machen, werden nicht das politische System oder die politischen Ansätze, sondern die Natur der Politiker kritisiert. In Bezug auf Lösungswege scheiden sich Akademiker und manuelle Arbeiter: Akademiker fordern mehr staatliche Unterstützung und Kontrolle des artisanalen Abbaus, Schürfer wünschen sich, dass die Regierung weniger in ihr Leben eingreife. Schürfer haben kein Vertrauen in das, was von oben kommt: Vermeintliche Unterstützung wird als weitere Quelle von Besteuerung oder Korruption gesehen – sie wollen einfach in Ruhe gelassen werden und wünschen sich einen völlig liberalisierten, unreglementierten Wildabbau in ihren Lebensräumen. Akademiker dagegen haben Vertrauen in den staatlichen Aufbau, fordern jedoch gewissenhafte Politiker und Staatsoberhäupter. Obwohl er lediglich ein Fünftel des Kobaltvolumens ausmacht, sehen sie einen besser organisierten artisanalen Abbau als Schlüssel gegen die strukturellen Probleme des gesamten Sektors. Wenn der artisanale Abbau eine verlockendere Alternative zum Diebstahl in industriellen Minen darstellen würde, wäre der Kongo ein attraktiverer Investitionsstandort. Steuereinnahmen aus dem industriellen Abbau würden steigen, wodurch eine bessere Lebensqualität für artisanale Schürfer geschaffen werden könnte.
Im Kongo herrscht Tribalismus: Personen werden Stämmen zugeordnet und spüren Loyalität zu anderen aus demselben Stamm. Das Stammesdenken wird ausgenutzt, um gesellschaftlichem Ungehorsam den Wind aus den Segeln zu nehmen. Politische Führungspositionen werden geschaffen und mit Vertretern aus den größten ethnischen Gruppen das Landes besetzt, damit jede Bevölkerungsgruppe durch Loyalität zum eigenen Stamm nicht zu den Mitteln greift, die in einer Demokratie üblich sind, um Veränderungen herbeizuführen: Demonstrationen oder Neuwahlen. Dadurch werden Spannungen lange unter die Oberfläche gehalten, die sich allerdings in kriegerischen Auseinandersetzungen entladen können.
Während sich Kongolesen gegenseitig anhand ihrer Stammeszugehörigkeit unterscheiden, werden ausländische Akteure größeren Herkunftskontexten zugeordnet. Weiße werden als Handelspartner bevorzugt und sogar an die Kolonialzeiten werden nostalgische Erinnerungen wachgerufen. Damals seien langfristige Infrastrukturinvestitionen getätigt worden, wogegen heutige chinesische Investoren an einem kurzfristigen Profit interessiert seien und die Einhaltung von Auflagen als zu minimierenden Kosten ansehen. Hier muss mitbetrachtet werden, dass die Interviews ein Gespräch mit einem Weißen darstellen und die Nostalgie-geladenen Erwähnungen der Kolonialzeiten ein Weg sein können, unangenehme Gesprächsthemen auszuräumen.
Befragte Kongolesen verfügen über ein Bewusstsein von Reichtum, das zu einer gewissen Gelassenheit führt. Die Bodenschätze, die die Welt braucht, befinden sich im kongolesischen Boden und können dem Kongo nicht weggenommen werden. Der Kongo sei immer einen Augenblick davor, seine natürliche Führungsposition auf der internationalen Bühne einzunehmen. Beinahe alle Gesprächspartner nehmen einen positiven Trend in der Bewältigung der Alltagsprobleme wahr. Alles werde ständig und automatisch besser, ohne dass dafür etwas aktiv getan werden müsse. Der Gegenpol zu dieser Gelassenheit findet sich in geschlossenen, innerkongolesischen Kreisen, wo sich Wut und Enttäuschung offenbaren.
Die Ko-Existenz von Parallelwelten in Raum und Zeit wurde festgestellt. Während traditionelle gesellschaftliche Geflechte die Kolonialzeit überlebt haben, muss sich die Region im internationalen Handel behaupten. Die Parallelwelten offenbaren sich exemplarisch in industriellen Minen einerseits, wo moderner Technik zum Einsatz kommt und internationale Arbeitsvorschriften gelten, und artisanalen Minen andererseits, wo mit Handwerkzeugen und veralteten Methoden gearbeitet wird. Auch die Selbstregelung der Gesellschaft findet auf zwei Ebenen statt: Mancherorts gibt es anerkannte Stammesoberhäupter nach vorkolonialen Strukturen und Bürgermeister nach westlich-demokratischen Strukturen, die seit der neuesten Gesetzesreform zusammenarbeiten müssen. Doch die Leistung der Region und der Gesellschaft wird anhand westlicher KPI gemessen, was die präkolonialen Strukturen in ein Schattendasein ohne formelle oder wirtschaftliche Macht drängt.
Die ursprüngliche Forschungsfrage nach der lokalen Wahrnehmung drückt meinen eigenen Wunsch aus, die Lage zu überblicken und zu verstehen. Aber je tiefer ich in die verschiedenen Ansätze zur Perzeption und zur Konstruktion von Realitäten in der Forschungszielgruppe eintauchte, desto unwürdiger wirkte jegliche Zusammenfassung zur lokalen Wahrnehmung. Beschäftigte des Kobaltabbaus sind eine heterogene Menschengruppe, in der Wahrnehmungen und Erfahrungen stark variieren. Aus den Interviews konnten zum Teil gegensätzliche Eindrücke und Schlussfolgerungen formuliert werden. Tiefe Wut stand neben einer ebenso tiefen Gelassenheit, Kritik an der Natur von Politikern wurde klaren politischen Vorschlägen entgegengesetzt, kühle Sachlichkeit traf auf Emotionen. Diese Gegensätze müssen zugelassen werden, denn sie bilden das Spektrum der Realitätskonstruktion unterschiedlicher Akteure ab. Allgemeine Schlussfolgerungen können zwar gezogen werden, aber sie bleiben vorläufig und simplifiziert. Wiederholt vorkommende Aussagen wurden zu Generalisierungen kategorisiert, können aber nicht den Anspruch aufkommen lassen, den Kongolesen oder den Schürfer verstanden zu haben. Denn der Eindruck, die Kausalzusammenhänge für das Handeln der Betroffenen vollständig erfasst zu haben, führt eher zu einer eigenen Überhöhung über die Forschungszielgruppe. Die Beantwortung der Forschungsfrage nach der lokalen Wahrnehmung kann daher nicht mehr sein als die persönliche Interpretation von Häufungen an Ausdrucksweisen und Themen aus den Interviews – aber auch nicht weniger. Schließlich konnten dadurch Einblicke gewonnen werden, die zu einer Annäherung an ein besseres Verständnis der lokalen Perspektive beitragen.
Beschäftigte des Kobaltabbaus im Südostkongo stellen sich in einen Kontext der ständigen Verbesserung, für die sie jedoch selbst nichts opfern müssen. Die zu geringe landwirtschaftliche Produktion oder die Ausrichtung als single product economy, die sie selbst beschreiben, werden als Probleme erkannt und nüchtern betrachtet. Die Gesprächspartner fühlen sich jedoch nicht für deren Lösung verantwortlich. Die Unberechenbarkeit des Umfelds zwingt sie in ein Leben im Moment, wo kühl der beste Weg gesucht wird, um möglichst gut zu überleben. Die Probleme sind in dieser Wahrnehmung präsent, doch andere sollten sich um sie kümmern – Gott, die Politiker oder sogar Personen wie ich durch ähnliche Vorhaben wie die vorliegende Masterarbeit. Mit dieser Beobachtung soll kein Vergleich mit anderen Kulturen – etwa der deutschen – angestellt werden, da keine Einschätzung dazu abgegeben werden kann, ob sich Personen in anderen Kulturen mehr oder weniger der Probleme ihres Umfelds annehmen und sich an einer Lösung beteiligen.
Bei der Suche nach den besten Wegen, um im Umfeld des kongolesischen Kobaltabbaus gut zu bestehen, gelten von außen auferlegte Regeln nicht als Grenze. Im Umkehrschluss besteht keine Abhängigkeit von staatlichen Gesetzen. Die Kräfte vor Ort wie Soldaten oder Polizisten machen zwar die momentan gültigen Regeln. Sie werden jedoch als Vertreter des inneren kongolesischen Kreises angesehen, mit denen man verhandeln kann. Grundsätzlich werden Eingriffe von außen in diese innerkongolesischen Gesetzmäßigkeiten mit kritischem Misstrauen betrachtet. Diese Lebensweise basiert auf unausgesprochenen Vereinbarungen innerhalb einer kongolesischen Gemeinschaft, in der die Beteiligten den Weg eines gelingenden Zusammenlebens außerhalb staatlicher Kontrolle ausbalancieren. Externe Einflüsse können daher als Störung dieser Balance wahrgenommen werden. Innerhalb alter Stammesgrenzen wird innere Vertrautheit hergestellt. Nach außen hingegen führt eine darüber hinausgehende kongolesische Gruppenidentität dazu, dass die Kommunikation mit Ausländern wie durch eine Membran gefiltert wird. Während dieser von starken Emotionen geprägte innere Kreis in der Forschung früh bekannt war, konnte die Grenze in diesen inneren Kreis hinein selten überschritten werden. Doch bereits die Existenz dieser doppelten Kommunikation offenbart mangelndes Vertrauen in die internationalen Kräfte. Die Kommunikation nach außen erweckt manchmal den Eindruck einer Theateraufführung, bei der Kongolesen die Rolle annehmen, die ihnen implizit zugewiesen wurde. Sie loben die Kolonialzeiten, schimpfen über Chinesen und klagen über das Ausgeliefertsein und die Arbeitsbedingungen der Schürfer, sofern ihnen der Diskurs in westlichen Medien bewusst ist. Ihnen wurde die Rolle der Getriebenen zugewiesen, die von internationalen Organisationen bewertet und von internationalen Großunternehmen bestimmt werden. Nach ihrer eigenen Realitätskonstruktion gibt es aber einerseits zahlreiche kongolesische Eigeninitiativen zur Verbesserung der Lage. Die spürbarsten Auswirkungen können sicher den codes miniers aus den Jahren 2002 und 2018 zugeschrieben werden. Andererseits herrscht eine unterschwellige Wut, dass Initiativen der Selbstbestimmung erschwert werden, indem sich internationale Akteure die Rolle des Lehrmeisters zuweisen. In der kongolesischen Gesellschaft scheint jedoch der Konsens zu bestehen, diese Rollenverteilung nach außen gelassen hinzunehmen.
Es stellt sich allerdings die Frage, wer in diesem Kontext wem hilft. Die Lebensweise der westlichen Gesellschaft macht sie abhängig von Materialien, die in den eigenen Ländern gar nicht oder nur in geringen Mengen vorhanden sind. Durch die technologischen Entwicklungen und die prognostizierte Nachfrage werden voraussichtlich noch mehr primäre Stoffe benötigt, die zum Großteil in der DRK vorhanden sind. Die westliche Gesellschaft sieht den Kongo nicht nur als Abbaugebiet der benötigten Materialien, sondern tritt auch als Entwicklungshelfer auf. Diese Attitüde nehmen Kongolesen gleichmütig hin.
Auf volkswirtschaftlicher Grundlage ist jedoch festzustellen, dass der Kongo und westliche Industrieländer über Güter verfügen, deren die jeweils andere Seite bedarf. Aufgrund dieses jeweiligen Wettbewerbsvorteils in Abbau oder Produktion liegt ein Austausch unter Gleichgesinnten nahe. Von einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe ohne ein durch Entwicklungshilfe oder andere äußere Eingriffe bedingtes Machtgefälle könnten die DRK und die westlichen Industrieländer gleichermaßen profitieren. Der Kobaltabbau im Kongo hat Probleme, die den lokalen Akteuren sehr wohl bewusst sind – sie brauchen keinen Weißen, der sie aufzeigt. Wenn die externe Einflussnahme eingeschränkt würde, besteht zwar die Gefahr, dass die Korruption kurzfristig ansteigt. Derartige Entwicklungen sollten nicht blauäugig ausgeschlossen werden. Doch mittel- und langfristig könnten die Menschen ihre Ohnmacht ablegen und durch den Anspruch und die Notwendigkeit der Selbstbestimmung zu neuem Selbstbewusstsein gelangen, das sie gestärkt als gleichwertige Partner auftreten lässt. So könnten westliche Handelspartner etwa die Forderung nach zertifziert kinderarbeitfreiem Kobalt an kongolesische Minen formulieren und die innerkongolesischen Prozesse deren Erfüllung ausarbeiten lassen, statt westliche Nichtregierungsorganisationen vor Ort zu senden, die in Konkurrenz mit den Selbstregelungsprozessen der Abbaugebiete treten und diese verunsichern.
Die Hersteller von elektrisch betriebenen Fahrzeugen können einen Verzicht auf Kinderarbeit allein dadurch sicherstellen, dass sie ausschließlich Kobalt aus industriellen Minen des Kongo einkaufen. Diese Strategie ist jedoch nicht die beste Strategie im Sinne der Region. Denn industrielle Minen werden in Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen betrieben und führen nur 0,03 Prozent ihres Umsatzes an die lokalen Gemeinden ab. Eine bessere Lösung für Fahrzeughersteller und die Menschen vor Ort besteht darin, dass sie Kobalt von ZEA beziehen, in denen artisanale Schürfer arbeiten, wobei Arbeitsbedingungen, Zutrittsrechte und Verpflegung in Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Staat überwacht würden und die Gewährleistung der Nachverfolgbarkeit ausgebaut würde. Dadurch könnten lokale Personen ihren Lebensstil mit minimalem Einfluss ausländischer Parteien fortsetzen. Indem Zwischenhändler wegfallen, könnten sie einen höheren und faireren Erlös für ihre Arbeit erwirtschaften und ihre Selbstbestimmung vergrößern.
Die Hersteller müssen jedoch berücksichtigen, dass Kobalt nicht das einzige conflict mineral ist, das bei der Produktion von Elektroautos eine Rolle spielt. Auch der Abbau anderer Bestandteile der Hochleistungsbatterien wie Nickel, Lithium oder Mangan werfen Fragen zur Nachhaltigkeit auf. Doch selbst die Bestandteile herkömmlicher Autos, bis hin zu den Textilien der Dachhimmelverkleidung, müssten bis zur Quelle der primären Rohstoffe der Lieferanten nachverfolgt werden, um garantieren zu können, dass ein Endprodukt frei von Kinderarbeit ist. Diese Komplexität sollte keinen Hersteller abschrecken: Ein schrittweises Vorgehen ist denkbar. So könnten etwa in den ersten 24 Monaten eines Lieferantenaudits die Beschaffung von Kobalt ohne Kinderarbeit sichergestellt werden, in den anschließenden 48 Monaten eine insgesamt auf Kinderarbeit verzichtende Batterie geschaffen und in den darauffolgenden Jahren – wenn alle aktuellen Modelle mindestens einmal einen Modellzyklus durchlaufen haben – das gesamte Fahrzeug inklusive aller Sublieferanten durchleuchtet werden. Seit der Ratifizierung der Due-Diligence-Leitlinien der OECD für verantwortungsvolle Lieferketten im Jahr 2011 waren Fahrzeughersteller hierzu bereits verpflichtet. In Deutschland können ab 2023 durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die Anwendung dieser Richtlinien noch stärker nachgehalten werden. Seit 2024 sind sie selbst für mittelständische Unternehmen verpflichtend, allerdings fehlen noch Präzedenzfälle für Sanktionen bei Nichteinhaltung. Als wirtschaftlicher Vorteil eines Lieferantenaudits kann einerseits ein Marketing- und PR-Mehrwert ausgeschöpft werden, indem die Automarke den garantierten Verzicht auf Kinderarbeit kommuniziert und damit nachhaltigkeitsinteressierte Elektroautokäufer anspricht. Andererseits können negative Berichterstattung über die Marke und Strafzahlungen wegen der Nichteinhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes vermieden werden.
Kein einziger Fahrzeughersteller hat bis zum Zeitpunkt der Abgabe damit geworben, das erste garantiert kinderarbeitfreie Elektroauto geschaffen zu haben, obwohl die Zielgruppe der nachhaltigen Mobilität dadurch angesprochen werden könnte. Hierin sehe ich eine große Chance für eine weltweit wirksame Werbekampagne mit viraler Reichweite. Damit diese Kampagne als glaubwürdig und authentisch wahrgenommen wird, muss sich der Autohersteller den Verzicht auf Kinderarbeit von unabhängigen und vertrauenswürdigen Organisationen wie der Global Battery Alliance des World Economic Forums zertifizieren lassen. Davon werden Wirtschaftsunternehmen sowie lokale Arbeiter und Verantwortliche im Kongo gleichermaßen profitieren.
Tabelle 1: Analysebeispiel im Rahmen der Zusammenfassung (S. 38)
Tabelle 2: Kategorien wiederkehrender Aspekte nach zweitem Analysedurchgang (S. 40)
BGR Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
BMW Bayerische Motoren Werke AG
DRK Demokratische Republik Kongo
GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH
KSS/BKS Kommunikationsstil Süd/Beziehungsorientierter Kommunikationsstil
NCM Nickel-Kobalt-Mangan-Zelle (Batterie)
NRW Nordrhein-Westfalen
OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
PKW Personenkraftwagen
PR Public relations; wird ins Deutsche als Öffentlichkeitsarbeit übersetzt, wird aber bei Unternehmen oft synonym für die gesamthafte Berichterstattung über die Marke verwendet
SAEMAPE Service d'Assistance et d'Encadrement des Mines Artisanales et de Petit Echelle (Unterstützungs- und Überwachungsdienst für Handwerkliche und Kleine Minen)
SAESSCAM Service d'Assistance et d'Encadrement du Small Scale Mining (Unterstützungs- und Betreuungsdienst für den Kleinbergbau)
SDG Sustainable Development Goals (Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen)
TFM Tenke Fungurume Mining (größtes industrielles Kobalt-Abbauunternehmen, gegründet durch die amerikanische Freeport-McMoRan, mittlerweile zu 80 Prozent in chinesischer Hand)
USD United States Dollar (Währungseinheit der Vereinigten Staaten)
ZEA Zone d’Exploitation Artisanale (von der Regierung ausgewiesenes Gebiet für privat-handwerkliche Bergwerkarbeiter)
Artisanale handwerklich, von Hand betrieben
Chef de terre Bezirksleiter nach der präkolonialen kongolesischen Selbstregie-rungsform
Clandestins in Illegalität operierende Gruppen von 4-8 Schürfern, die auf dem Gebiet von industriellen Minen (meist nachts) die mit industriellen Methoden bereits hochgebrachte, kobalt- und kupferhaltige Erde stehlen und auf dem Schwarzmarkt verkaufen
Creuseurs Schürfer, mit handwerklichen Methoden arbeitende Bergbauarbeiter
Journaliers Schürfer ohne Arbeitsvertrag, die täglich zu dem Standort fahren, wo die Aussicht auf Einkommen höher ist
Metorex Gerät zur Bestimmung des Metallgehalts der hochgeförderten Erde, meistens beim Zwischenhändler verwendet, um den Erlös der Schürfer zu ermitteln
Négociant Zwischenhändler, entweder ein kongolesischer sponseur, der die durch sein Team hochbeförderte Erde zu einer Ankaufstelle (z. B. im Ortszentrum) fährt oder ein mobiler Zwischenhändler (oft chinesischer Herkunft), der zu den artisanalen Minen fährt und vor Ort die Erde ankauft
Porosité Durchlässigkeit von Grenzen, entweder zu Nachbarländern (vor allem Ruanda) oder Grenzen von industriellen Abbaugebieten
Sponseur Schürfer, „Teamleiter“, der 3-4 andere Schürfer zum Abbaustandort befördert, sie mit Werkzeugen ausstattet und von seinem eigenen Geld eine kleine Fläche in einem ZEA mietet
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Pufé, Iris (2018): Nachhaltigkeit. Bonn (Deutschland): Bundeszentrale für politische Bildung.
Seiwert, Martin (2019): VWs Batterien enthalten viermal so viel Kobalt wie Tesla-Batterien. In: WirtschaftsWoche. URL: https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/volkswagen-elektroautos-vws-batterien-enthalten-viermal-so-viel-kobalt-wie-tesla-batterien/24156880.html, 02.04.2020.
Spiegel, Der (1967): Kongo, Union Minière, Goldene Eier. In: Der Spiegel, Nr. 4/1967, Ausland, S. 72-73.
Statista (2024): Anzahl produzierter Elektroautos in Deutschland von 2013 bis Januar 2024. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1404288/umfrage/e-auto-produktion-in-deutschland, 27.03.2024.
U.S. Geological Survey 2019: Mineral Commodity Summaries (2019): U.S. Geological Survey, URL: https://prd-wret.s3-us-west-2.amazonaws.com/assets/palladium/production/atoms/files/mcs-2019-manga.pdf, 11.06.2019.
Vogt, Stefanie / Werner, Melanie (2014): Forschen mit Leitfadeninterviews und qualitativer Inhaltsanalyse. Fachhochschule Köln, URL: https://www.th-koeln.de/mam/bilder/hochschule/fakultaeten/f01/skript_interviewsqualinhaltsanalyse-fertig-05-08-2014.pdf, 09.03.2018.
Wolf, Georg (2019): #Faktenfuchs: Kobalt-Nachfrage steigt wegen der E-Mobilität. In: Bayerischer Rundfunk. URL: https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-kobalt-nachfrage-steigt-wegen-der-e-mobilitaet,Rh9NihM, 01.07.2021.
Wrong, Michela (2000): In the footsteps of Mr Kurtz. London (Vereinigtes Königreich): Harper Collins Publishers.
Die Transkripte der analysierten Interviews inklusive deutscher Übersetzung sowie die zum Pressespiegel verwendeten Zeitungsartikel sind unter dem folgenden Link einzusehen.
https://bit.ly/3w4jmHp
Mit einem Smartphone kann auch der folgende QR-Code eingelesen werden, um zu den Materialien zu gelangen:
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Der untenstehende Pressespiegel sowie sämtliche Offline-Artikel sind unter https://bit.ly/3w4jmHp oder unter dem QR-Code in Anhang 10.1 einsehbar.
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
mit den Bundesländern Haut-Katanga und Lualaba (bis 2015 vereint als Katanga), den Städten Lubumbashi, Likasi und Kolwezi sowie den Minen inkl. deren Status bezüglich Aktivität und Zugänglichkeit (Quelle: BGR 2019: 13)
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
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Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
Abb. in Leseprobe nicht enthalten
[...]
1 In dieser Masterarbeit ist mit „Kongo“ und „DRK“ stets die Demokratische Republik Kongo gemeint.
2 Das generische Maskulinum bezieht bei Bezeichnungen von Personen oder Personengruppen alle biologischen Sexus und sozialen Geschlechter mit ein. Die vorliegende Arbeit wird in dem Bewusstsein verfasst, dass die Bewegung der genderneutralen Sprache sehr berechtigte Ziele verfolgt, allerdings wird aufgrund der Lesefreundlichkeit auf sie verzichtet.
3 Personen, die im Kupfergürtel im Kobaltabbau beschäftigt, aber nicht kongolesischer Herkunft sind, sollen nicht berücksichtigt werden, da die Sichtweise von Kongolesen ins Zentrum gerückt werden soll. Ein durch Kultureinbettung erlangtes Verständnis für ihre Wahrnehmung des Sektors und die damit verbundenen Herausforderungen soll dadurch hervorgehoben werden.
4 Der belgische Schriftsteller van Reybrouck stört sich bei seiner Auslegung wenig daran, dass Sklaverei in den arabischen Staaten bereits ab 1860 nach und nach abgeschafft wurde.
5 Mangels eines besseren Wortes als Stammesoberhaupt übersetzbar. Fortan wird von chef(s) de terre gesprochen.
6 Diese Vorgehensweise deutscher Medien haben selbst Mitarbeiter deutscher Regierungsorganisationen im Südosten des Kongo mit Befremden zur Kenntnis genommen – dies haben sie mir während persönlicher Begegnungen vor Ort mitgeteilt.
7 Beispiel einer Interaktion in der WhatsApp-Gruppe: Ein Teilnehmer postet einen Link, der lobend beschreibt, wie Sambia Abbauerlaubnisse handhabt. Kurz darauf nennt ihn ein Abgeordneter aus Kinshasa einen Verräter, dessen Sambia-Fetisch er nicht mehr hören könne. Ein wenig später erinnert der Administrator der Gruppe die 246 Beteiligten daran, sich an die ursprünglichen Ziele der Gruppe zu halten.
8 Kurzbelege zu den Interviewstellen: Nummer des Interviews 1-14, Zeitangabe (Minute:Sekunde) innerhalb des Interviews (z. B. 1-6:06). Die Transkripte können unter der in Anhang 10.1 angegebenen URL eingesehen werden.
9 Gerät zur Bestimmung des Metallgehalts.
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