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Bachelorarbeit, 2010
48 Seiten, Note: 1,8
Politik - Internationale Politik - Thema: Frieden und Konflikte, Sicherheit
1. Einleitung
2. Zum Begriff der Legitimität
3. Das europäische Ideal
4. Staatliche Strukturen in Afghanistan
4.1 Gewaltmonopol
4.2 Rechtsstaatlichkeit
4.3 Demokratische Beteiligung
4.4 Soziale Gerechtigkeit
4.5 Interdependenzen und Affektkontrolle
4.6 Konstruktive politische Konfliktkultur
5.Zur Notwendigkeit einer Strategieänderung
Literaturverzeichnis
Anhang
Erklärung gemäß Prüfungsordnung
„Von einer Legitimitätskrise kann dann gesprochen werden, wenn (große) Teile der Bevölkerung an den Grundwerten oder an der Rechtmäßigkeit des Handelns der Herrschenden zweifeln (Schubert/Klein 2007: 183)“.
Dieser Definition folgend, befindet sich die gegenwärtige Regierung Afghanistans offenkundig in einer Legitimitätskrise. Weder die Regierung, noch die Staatsaufbau-Mission (inklusive ausländischer Truppenpräsenz) genießen ein ausreichendes Maß an lokaler Zustimmung. Dies belegen aktuelle Bevölkerungsumfragen und stetig steigende Anschlagszahlen. „In Afghanistan müssen die internationalen Truppen nicht nur gegen erstarkte Taliban kämpfen, sondern in zunehmendem Maße auch gegen eine feindliche Stimmung in der Bevölkerung“, lautete das Ergebnis einer groß angelegten Umfrage der Rundfunkanstalten ARD, ABC und BBC im Februar 2009 (Henze 2009)[1]. Einrichtungen und Angehörige der Regierung geraten ebenso wie internationale Soldaten zunehmend ins Visier von Aufständischen. Dessen ungeachtet gilt der Demokratisierungsprozess, wie er im Petersberger Abkommen 2001 vorgesehen war, seit den Parlamentswahlen vom September 2005 formal als abgeschlossen. Ernstzunehmenden Wahlbetrugsvorwürfen zum Trotz wurde Präsident Hamid Karzai im November 2009 für eine zweite Amtszeit vereidigt. Nach offiziellen afghanischen Angaben hat das Volk ihn mit absoluter Mehrheit im Amt bestätigt. Institutionell verfügt Afghanistan mit eigener Verfassung, Zweikammerparlament, Oberstem Gerichtshof und eigenen Polizei- und Streitkräften über wichtige Institutionen einer modernen Demokratie. Außerdem ist Afghanistan laut Freedom House Bericht 2007 im Bezug auf garantierte Bürgerrechte „freier“ als Russland oder Thailand (Ruttig 2008: 7). Es drängt sich daher nach mehr als acht Jahren „Kapazitätsaufbau“ die Frage auf:
Was verhindert die Akzeptanz der von den Interventen oktroyierten Ordnung?
Sowohl in der breiten Öffentlichkeit, als auch in der Wissenschaft werden gemeinhin zwei Antworten auf diese Frage gegeben. Die erste These hebt im Kern auf die grundsätzliche Diskrepanz ab, dass es sich beim Staatsaufbau in Afghanistan um ein Projekt der internationalen Gemeinschaft ohne (ausreichend) lokale Verwurzelung handelt. Wie kritische Stimmen sagen: Aus der Weigerung zu akzeptieren, dass die Legitimität der internationalen Administration aus einer militärischen Okkupation herrührt, ergibt sich eine Inkonsistenz zwischen den Mitteln und den Zielen der Administration. Wenn also, wie in Afghanistan, innerhalb der lokalen Bevölkerung im Zielland kein Bedarf nach demokratischen Institutionen herrscht, steht es um deren Legitimität besonders schlecht. „Demokratische Institutionen brauchen Demokraten und eine demokratische politische Kultur“ (Schoch 2008: 237). Ohne das militärische Engagement dabei insgesamt in Frage zu stellen, musste zuletzt auch der deutsche Bundesverteidigungsminister eingestehen:
„Der Traum von einer Demokratie nach westlichen Maßstäben ist mit den Realitäten in Afghanistan nicht vereinbar. Es hat lange gebraucht, bis wir das verstanden haben“ (Guttenberg 2009).
Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die Frage nach der Vereinbarkeit von Islam und Demokratie. Einige Autoren vertreten die These, dass liberale Demokratie nur im jüdisch-christlichen Raum möglich sei. Die Voraussetzung der Säkularisierung sei in islamisch geprägten Gesellschaften nicht erfüllt und sie seien dementsprechend dafür ungeeignet. Als empirisches Argument wird dabei angeführt, dass speziell arabische Staaten bislang über Ansätze einer Demokratie nicht hinaus gekommen seien (Ruttig 2008: 8-9). Diese Kritiker, die für sich das Prädikat „realistisch“ in Anspruch nehmen, werfen den NATO-Staaten – und speziell den USA – vor, in Afghanistan ein naives und gefährliches Ziel zu verfolgen: Man wolle aus dem unterentwickelten Land eine Muster-Demokratie machen. Die seit Jahrhunderten herrschende Stammeskultur Afghanistans mache es unmöglich, eine Zentralgewalt und demokratische Prinzipien durchzusetzen. Dies könne, wenn überhaupt, nur in einem langsamen internen Prozess geschehen, aber nicht von außen dekretiert werden. Das Leben von NATO-Soldaten und das Geld der westlichen Steuerzahler würden für ein hoffnungsloses Unterfangen verschwendet. Man sollte sich daher mit einer afghanischen Regierung arrangieren, die dem Minimalziel genügt, den internationalen Terror einzudämmen. Liberale Ansprüche bräuchten darüber hinaus nicht erfüllt werden (Keller 2009: 5).
Demgegenüber steht die folgende – auch von mir vertretene – These: Spezifische historische, politische und ökonomische Bedingungen sind dafür verantwortlich, dass beispielsweise in Afghanistan bislang keine demokratischen Strukturen entstanden sind (vgl. Ruttig 2008: 8-9). Abgesehen davon stellen Demokratie und Menschenrechte heute den Standard der Zivilisation dar. Somit sind die Optionen der „Staatenbauer“ enorm eingeschränkt (vgl. Andersen 2007). Aus diesem Grund kann man vom Prinzip der Demokratisierung gescheiterter Staaten nicht abrücken. Ferner haben sich alle anderen Quellen der Legitimation von Herrschaft außer der Demokratie als langfristig „obsolet oder krisenanfällig“ erwiesen (Schoch 2008: 236). Speziell im Hinblick auf Afghanistan gilt: Unter König Mohammad Zahir Shah, der in Afghanistan von 1933 bis 1973 herrschte, erlebte das Land nicht nur bemerkenswerten wirtschaftlichen Fortschritt, sondern verfügte zudem bereits über eine geschriebene Verfassung, die demokratische Prinzipien, wie beispielsweise das Frauenwahlrecht, garantierte. Erst nach seinem Sturz und speziell mit dem Einmarsch der Sowjets (1979) und der späteren Talibanherrschaft (1996 – 2001) begann die „dunkle Phase“. Demokratie ist dem Land nicht grundsätzlich fremd, sondern passt durchaus zur Tradition der Stammesräte (Jirga[2]), die auf der Zustimmung der Gemeinschaft beruhen. Eine föderale Struktur, mit gewählten (und nicht zentral ernannten) Gouverneuren käme der politischen Tradition des Landes entgegen. Gegner des Afghanistan-Engagements behaupten, man wolle aus dem Land eine „Westminster-Demokratie“ machen. Tatsächlich will man, d.h. die in Afghanistan engagierten Staaten, „lediglich“ einen funktionierenden Staat schaffen, der in der Lage ist, sich gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen und den Menschen in Afghanistan – im Einklang mit ihren kulturellen Traditionen – ein Mitbestimmungsrecht gibt. Erste Ansätze dazu liegen bereits vor (Keller 2009: 5-6).
Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, welche Entwicklungen in der Vergangenheit den Demokratisierungsprozess behindert (oder auch gefördert) haben. Die Prämisse, die hier zugrunde gelegt wird, lautet: Die neuen Institutionen können die alten nur ersetzen, wenn sie legitim sind. Legitimität, verstanden als der Glaube an die Rechtmäßigkeit einer politischen Ordnung, gilt als unabdingbare Voraussetzung für die Stabilität eines Staates. Genau diese Stabilität will man in Afghanistan um jeden Preis erreichen, damit für die Staaten des Westens keine Gefahr mehr von diesem Land ausgeht. Die Koalitionsmächte argumentieren, dass ein erneuter Zerfall des afghanischen Staates unvorhersehbare Konsequenzen für die nationale, regionale und internationale Stabilität und Sicherheit hätte. In diesem Sinne äußerte sich kürzlich der deutsche General Bruno Kasdorf, ehemaliger Chef des Stabes der Internationalen Schutztruppe (ISAF) in Kabul:
„Ein Versagen in Afghanistan ist für die NATO mit Blick auf die wahrscheinlichen möglichen Konsequenzen keine Option. […] Bisher sind weder auf der militärischen noch auf der zivilen Seite die für einen Erfolg erforderlichen Ressourcen bereit gestellt worden“ (Kasdorf zitiert nach Heinzle 2009).
Will die internationale Staatengemeinschaft also den Kollaps des neu geschaffenen Staates Afghanistan verhindern, muss es ihr gelingen, ein staatliches Gewaltmonopol zu errichten und Legitimität für die installierte Herrschaftsordnung zu schaffen. Dies bedeutet nicht weniger, als dass man lokale politische Legitimität im Rahmen einer westlichen Intervention generieren muss. Dies scheint zumindest aktuell eine kaum zu lösende Aufgabe zu sein. Die wesentlichen Probleme in diesem Kontext zu beleuchten, ist Ziel dieser Arbeit. Darüber hinaus soll vor dem Hintergrund der identifizierten Probleme betrachtet werden, inwieweit eine Anpassung der Wiederaufbau-Strategie stattgefunden hat.
Im Hauptteil der Arbeit soll in einem ersten Schritt der Begriff „Legitimität“ bestimmt werden. Dies erscheint umso gebotener, wenn man die Vielzahl von wissenschaftlichen Definitionen betrachtet, die sich zwischen einem Konzept und einer Zustandsbeschreibung bewegen. Ein dezidiertes Verständnis von Legitimität bildet die Grundlage zur Bewertung ihres Fehlens oder Vorhandenseins. Im Anschluss soll es darum gehen, das Staatsmodell zu charakterisieren, das heute das Vorbild für Staatsaufbau-Missionen des Westens bildet. Im Rahmen eines UN-Mandats orientieren sich gegenwärtige Operationen, die den Aufbau von staatlichen Institutionen beinhalten, an einem gewissen Ideal von Staatlichkeit. Obwohl die Bedeutung von spezifischen kulturellen, historischen und sozio-ökonomischen Faktoren immer wieder betont wird, lässt sich eine gewisse Orientierung am modernen Staat (wie er aus der französischen und amerikanischen Revolution hervorgegangen ist) nicht leugnen. Durch eine kurze Beschreibung des Ideals soll verdeutlicht werden, welch hohe Anforderungen an die Erreichung von Legitimität in einem demokratischen System bestehen.
Ein solches System zu übertragen und dabei im Zielland Legitimität zu schaffen, stellt die internationale Gemeinschaft in Afghanistan vor besondere Herausforderungen:
„Die Interventen müssen nicht nur die Schwierigkeit überwinden, als Fremde Legitimität für ihre Programme zu erlangen. Sie sind zudem Gewalttäter und müssen mit komplexen Zuschreibungen von Schande, Schuld und Ehre umgehen können“ (Schlichte 2005: 289).
Der hier zitierte Klaus Schlichte hat mit seinem Werk „Der Staat in der Weltgesellschaft“ aus dem Jahr 2005 einen wichtigen Beitrag zur Analyse von Macht- und Herrschaftsbeziehungen in der Dritten Welt geleistet. Unter Einbeziehung klassischer soziologischer Ansätze analysiert er die Genese und den Wandel staatlicher Herrschaft in Afrika, Asien und Lateinamerika. Aufgrund seiner besonderen Eignung wurde das genannte Werk hier als theoretischer Referenzpunkt gewählt.
Zur Strukturierung des Teils der Arbeit, der die Defizite beim Staatsaufbau in Afghanistan beleuchtet, wurde auf das Zivilisatorische Hexagon von Dieter Senghaas (1995) zurückgegriffen, der sechs reziproke Bedingungen (Instanzen) anführt, die für die Legitimität eines demokratischen Verfassungsstaates erfüllt sein müssen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das zivilisatorische Hexagon (Quelle: http://www.whywar.at)
Einzelne Faktoren haben sowohl den Status von abhängigen als auch von unabhängigen Variablen, sie sind also konfigurativ-struktural verursacht. Den besonderen Wert dieses Konzeptes hat der Autor Jörg Callies so beschrieben:
„Auch bei der Erforschung und Deutung der Verhältnisse und Entwicklungen in Gesellschaften anderer Kulturen und Zivilisationen dürfte [...] das „Zivilisatorische Hexagon“ ausgesprochen nützlich sein. […] Es wird aber auch fruchtbar, wenn die Frage zur Diskussion steht, was denn in Gesellschaften, in denen wichtige Merkmale des Hexagon nicht ausgeprägt sind, getan werden müsste, um Gewalt, Bürgerkrieg und Chaos zu begegnen“ (Calließ 1997: 13; 16).
Auf die Kritik, dass Hexagon impliziere einen „Überlegenheitsanspruch“ oder es sei eurozentrisch, erwidert Senghaas, es handle sich lediglich um ein Angebot. Es könne erlernt werden - wie in Europa leidlich passiert - mit Konflikten zivilisiert umzugehen. Dieser kollektive Lernprozess biete eine „prinzipielle Offenheit für ganz andere, also innovative Antworten auf vergleichbare Problemlagen (wie im historischen Okzident, P.R.) in anderen Teilen der Welt“ (Senghaas 1997: 331-332). Er gesteht ferner ein, dass die notwendigen, vielfältigen konfliktreichen historischen Erfahrungen andernorts nicht einfach abrufbar seien. Ein blosser Transferversuch sei daher zum Scheitern verurteilt (vgl. Senghaas 1997: 332). Senghaas glaubt mit dem Hexagon die Frage beantworten zu können: „Welche Aufbauarbeiten müssten in failed states getätigt werden, um zivilisierte Konfliktaustragung im öffentlichen Raum überhaupt wieder zu ermöglichen?“ (Senghaas 1997: 336). Ob und welchem Umfang diese Aufbauarbeiten bisher geleistet wurden, soll entlang der sechs Instanzen überprüft werden. Die Reihenfolge der Instanzen wurde hier bewusst nach dem Grad ihrer „Beeinflussbarkeit von außen“ gewählt. Der Faktor, dessen Beeinflussbarkeit am größten erscheint, wurde dabei an den Anfang gesetzt. Im letzten Abschnitt der Arbeit wird auf der Basis der identifizierten Fehlentwicklungen die Notwendigkeit einer Strategieänderung erläutert und somit gleichzeitig ein Fazit gezogen.
Im Folgenden soll sich der Frage genähert werden, unter welchen Bedingungen die Ausübung von Herrschaft als zulässig und richtig empfunden wird. Hierzu werden verschiedene Begriffsdefinitionen und Konzepte herangezogen. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff Legitimität („legitimus“ bedeutet frei übersetzt: rechtmäßig) steht in enger Verbindung zum Terminus Legitimation, wobei letzterer stärker auf einen Prozess abhebt. Weiterhin besteht in sozialwissenschaftlicher Perspektive ein enger Bezug zu den Ausdrücken Macht, Herrschaft, Institution und Staat. Ebenso lässt sich ein Konnex zur Legalität herstellen, obgleich diese die Bindung staatlichen und individuellen Handelns an Gesetz und Verfassung beschreibt. Wie hier bereits deutlich wird, ist es mit einigen Schwierigkeiten verbunden, den Begriff der Legitimität eindeutig zu fassen.
Dennoch lassen sich in der Literatur zwei Hauptbedeutungen ausfindig machen, die im Folgenden kurz dargelegt werden:
1. Legitimität beschreibt die Anerkennungswürdigkeit einer Herrschaftsordnung durch allgemein verbindliche Prinzipien (Legitimitätsanspruch).
2. Legitimität meint die faktische Anerkennung einer Herrschaftsordnung seitens der Herrschaftsunterworfenen als rechtmäßig und verbindlich (Legitimitätsglaube beziehungsweise -überzeugung) (vgl. Braun/Schmitt 2009: 53).
Die erste Bedeutung weist dabei einen normativ-theoretischen und die zweite einen empirisch-analytischen Bezug auf. Einige Autoren weisen auf die Möglichkeit der Verknüpfung beider Dimensionen hin (vgl. ebd.).
In Deutschland war es insbesondere der Soziologe Max Weber, der in den 1920er-Jahren erste Arbeiten zur Legitimität vorgelegt hat. Er verdeutlicht speziell die enge Verknüpfung von Legitimität und Herrschaft. Herrschaft soll nach Weber „die Chance heißen für spezifische (oder: für alle) Befehle bei einer angebbaren Gruppe von Menschen Gehorsam zu finden“ (Weber 1922[3] ). Für ihn ist dabei die Frage entscheidend, auf welchen Prinzipien die Bereitschaft sich zu fügen basiert. Wenn diese Prinzipien von den Herrschenden und dem Volk geteilt werden, handelt es sich um eine legitime Form der Herrschaft (vgl. Braun/Schmitt 2009: 54). Max Weber identifiziert in seinem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ drei reine Typen legitimer Herrschaft, die realiter in unterschiedlicher Gewichtung nebeneinander existieren und somit einem politischen System seine Stabilität verleihen. Die erste Form legitimer Herrschaft hat einen traditionalen Charakter (traditionale Herrschaft). Ihre Geltung bezieht sie aus dem Glauben an traditionale Ordnungen. Hierzu zählt neben dem Patriacharlismus (Herrschaft nach Erbregel) und der Gerontokratie (Herrschaft des Ältesten) auch die Patrimonialherrschaft. Diese ist ebenso primär traditional orientiert, wird aber kraft vollen Eigenrechts ausgeübt. In der Art ihrer Verwaltung bewegt sie sich „in der Sphäre freier traditionsgebundener Willkür“ (Weber 1922). In der zweiten Form, die historisch der ersten folgte, beruht die Legitimität auf dem Charisma des Herrschers (charismatische Herrschaft). Diese wurde ursprünglich z.B. Propheten, Rechts-Weisen und Kriegshelden zugeschrieben. Zur legitimen Führerschaft bedarf es hier spezieller Kräfte oder Eigenschaften, die als übermenschlich oder mindestens außergewöhnlich gewertet werden und als vorbildlich gelten (vgl. Weber 1922). Im Gegensatz zu diesen beiden ersten Formen hat die Legitimitätsgeltung im dritten Typus einen rationalen Charakter (legal-bürokratische Herrschaft). Sie beruht auf dem Glauben an die Legalität von Ordnungen und Anweisungen, die der Herrschende erteilt.
Wie auch bereits bei Weber zum Ausdruck kommt, ist es die Legitimität einer Herrschaftsordnung, die ein politisches System stabil werden lässt. Seymour M. Lipset erklärt in einer Studie aus dem Jahr 1962 die Stabilität politischer Systeme aus der Koinzidenz ihrer Legitimität und Effektivität. Effektivität wird dabei verstanden als Performanz, das heißt als Leistungsfähigkeit eines Systems in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Demgegenüber beschreibt die Legitimität eher eine Bewertung:
„Die Legitimität ist vorhanden, wenn es dem politischen System gelingt, im Volke die Überzeugung zu schaffen und zu erhalten, dass die bestehenden Institutionen für die betreffende Gesellschaft die bestmöglichen sind“ (Lipset 1962: 70; zitiert nach Braun/Schmitt 2009: 58).
Diese Feststellung erscheint vor dem Hintergrund der zu behandelnden Thematik besonders adäquat und gleichermaßen brisant. Auch David Easton geht davon aus, dass ein System seine Stabilität durch die Unterstützung der Bevölkerung erhält. Die Persistenz des politischen Systems ist demnach eher gewährleistet, wenn sich die Erwartungen der Gesellschaft mit den Leistungen des Systems hinreichend im Einklang befinden (vgl. Braun/Schmitt 2009: 59).
Ferner bedeutet die Frage nach der Legitimität immer auch eine Frage nach den „guten Gründen“, mit denen sich die Ausübung von Herrschaft rechtfertigen lässt. Herrschaft nämlich schließt stets eine Einschränkung individueller Freiheiten mit ein (vgl. Kohler-Koch et al. 2004: 193). Es muss also gute Gründe dafür geben, dass man die Befolgung einer Entscheidung auch von denen verlangen kann, die damit inhaltlich nicht einverstanden sind.
In diesem Abschnitt soll das europäische Ideal charakterisiert werden, das – wie noch zu zeigen sein wird – den Maßstab für heutige Staatsaufbau-Missionen bildet. Auch in Afghanistan haben die dort seit 2001 engagierten Mächte versucht, einen liberal-demokratischen Staat nach einer gewissen Maxime zu errichten. Hier soll beschrieben werden, wie dieses Vorbild und die damit verbundene Form legitimer Herrschaft aussehen:
Nach Jahrhunderten nicht-demokratischer Herrschaft hat sich insbesondere in der Westlichen Welt (Europa, Nord-Amerika) die Demokratie als Herrschaftsform durchgesetzt. Zudem hat „der säkulare Prozess der Rationalisierung […] im Westen die legal-rationale Legitimitätsform als vorherrschende Norm der Beurteilung politischer Vorgänge etabliert“ (Schlichte 2005: 46). In demokratischen Verfassungsstaaten wird Herrschaft in Einklang mit gewissen Grundprinzipien ausgeübt. Dazu zählen zuerst Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit bindet die Herrschaft an eine Rechtsordnung in Form von Verfassung und Gesetz (Legalitätsprinzip). Das Demokratieprinzip impliziert, dass in Wahlen und Abstimmungen über bestimmte Inhalte entschieden und politisches Führungspersonal ausgewählt wird (vgl. Kohler-Koch et al. 2004: 193). Im Ergebnis kommt es zu einer Verschränkung von Sicherheit, ökonomischer Vernetzung und öffentlicher Kontrolle, die für moderne Staaten typisch ist (Schlichte 2005: 278). Demokratische Regime sind hinsichtlich ihrer Stabilität in besonderer Weise auf Legitimität angewiesen. Das liegt zuweilen daran, dass ihnen im Gegensatz zu autoritären oder totalitären Herrschaftsformen das Mittel der Repression fehlt, um ein Legitimitätsdefizit auszugleichen (vgl. Braun/Schmitt 2009: 54).
Die Autoren Schubert und Klein identifizieren drei Grundsätze, auf denen die Legitimität in modernen Demokratien beruht: (1) Die Volkssouveränität, (2) die Rechtsstaatlichkeit und (3) die soziale Gerechtigkeit (vgl. Schubert/Klein 2003: 183).
„Durch Recht und Gesetz gesichert und als soziale Ordnung von Herrschenden und Beherrschten anerkannt ist legale Herrschaft die Grundlage aller modernen Staaten“ (Schubert/Klein 2003: 137).
Nach Max Weber ist „der reinste Typus der legalen Herrschaft […] diejenige mittels bureaukratischen Verwaltungsstabs“ (Weber 1922). Ein entscheidendes Merkmal für die legal-bürokratische Herrschaftsform ist auch bei Weber die Tatsache, dass der Herrschende durch das Volk gewählt wird. Auch für den Herrschenden ist das Gesetz bindend. Dies gilt heute (im Westen) als legitime Herrschaftsform (vgl. Braun/Schmitt 2009: 55).
In ähnlicher Weise hat David Beetham 1991 drei Voraussetzungen der Legitimität politischer Herrschaft für demokratische Regime identifiziert:
a. sie muss mit etablierten Regeln (etwa der Verfassung) übereinstimmen;
b. sie muss sich mit Bezug auf allgemein geteilte Werte rechtfertigen lassen;
c. und sie muss sich auf die ausdrückliche Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen
stützen (Beetham 1991: 19; nach Braun/Schmitt 2009: 56).
[...]
[1] Die Objektivität und Repräsentativität von Umfragen in Afghanistan werden mitunter in Frage gestellt. Die Faktoren „Einfluss der Auftraggeber“ und „große Heterogenität im Innern“ werden dabei angeführt (vgl. Ruttig 2008: 10).
[2] In Afghanistan besteht ein ausgeprägter Egalitarismus. Für die Entscheidungsfindung auf lokaler Ebene gilt das Konsensprinzip, was eine Bezeichnung als „Stammesdemokratie“ zulässt. Freie und gleiche Männer beraten in der Jirga (Kreis) über grundlegende Entscheidungen. Die Institution der Jirga genießt historische Legitimität und hat sich als große Ratsversammlung (Loya Jirga) seit 1919 unter König Amanullah bewährt. Dort finden sich sogar Elemente einer repräsentativen Demokratie (vgl. Ruttig 2008: 13).
[3] Aufgrund der leichteren Handhabung wurde hier eine Online-Gesamtausgabe von Wirtschaft und Gesellschaft (WuG) als Referenz gewählt und regelmäßig mit der gedruckten Publikation (Weber, Max (2009): Wirtschaft und Gesellschaft. Herrschaft. Studienausgabe, Tübingen) abgeglichen.
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