Für neue Kunden:
Für bereits registrierte Kunden:
Diplomarbeit, 2010
59 Seiten, Note: 1.7
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Inflation im (ungedeckten) Papiergeldsystem
2.1. Grundlegendes zur Inflation
2.2. Papiergeld als krisenanfällige Geldordnung
2.3. Gefahrenquellen für die Preisstabilität im Lichte der Finanzkrise
2.3.1. Massiv ausgeweitete Zentralbankbilanzen
2.3.2. Hohe explizite und implizite Staatsverschuldung
2.4. Reformbedarf im gegenwärtigen Geldsystem
2.4.1. Rückkehr zum guten Geld (Sound Money)
2.4.2. Besondere Eignung des Goldes als Geld
3. Der Goldstandard
3.1. Geschichtlicher Rückblick
3.2. Wesen der Goldwährung
3.3. Spielarten der Goldwährung
4. Wirkungsmechanismen des Goldstandards
4.1. Wechselkursstabilität und Goldarbitrage
4.2. Automatischer Zahlungsbilanzausgleich
4.2.1. Geldmengenpreismechanismus
4.2.2. Einkommensmechanismus
4.3. Stabilisierung der Preisniveaus
5. Analyse der Wirksamkeit des Goldstandards zur Inflationsvermeidung
5.1. Empirische Evidenz für Preisniveaustabilität im Goldstandard
5.2. Entkräftung der üblichen Ressentiments gegenüber der Goldwährung
5.3. Ablaufplan zum monetären Regimewechsel
5.4. Kritische Anmerkungen zum Goldstandard
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der Zentralbankbilanzen
Abbildung 2: Geldmenge M1 (Euroraum)
Abbildung 3: Geldmenge M3 (Euroraum)
Abbildung 4: Auslastungsgrad (Euroraum)
Abbildung 5: Gesamtvolumen der ausstehenden Kredite (Euroraum)
Abbildung 6: Wechselkursmechanismus
Abbildung 7: Geldmengenpreismechanismus
Abbildung 8: Großhandels- und Verbraucherpreise in Deutschland
Abbildung 9: Großhandelspreise in Deutschland, England und den USA
Abbildung 10: Großhandelspreise in England (1821 – 1913)
Tabelle 1: Entwicklung der Zentralbankbilanzen (Dezember 2006 - April 2010)
Tabelle 2: Der Goldstandard im Vergleich zu späteren Perioden in GB und den USA
Tabelle 3: Aggregierte Bilanz der Geschäftsbanken vor Systemwechsel
Tabelle 4: Aggregierte Bilanz der Geschäftsbanken nach Systemwechsel
Tabelle 5: "Top 6" der größten Goldförderer und -besitzer (per Ende 2008)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„ Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“ ließ Goethe Gretchen in seinem Werk „Faust“ sagen und auch gegenwärtig scheinen diese Worte nichts an Aktualität eingebüßt zu haben. Gold ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Anleger gerückt. Die deutlich gestiegene Nachfrage nach Gold fand ihren Niederschlag in einem mehr als deutlichen Anstieg des Goldpreises. Dieser stieg von Anfang Mai 2009 bis Ende April 2010 um über 33 % (in USD). Gold befindet sich zurzeit auf einem Höhenflug und erfreut sich höchster Beliebtheit, was jedoch nicht immer der Fall war. In den 80ern und 90ern hatte sich der Status des Goldes auf den eines Rohstoffs reduziert. Durch massive Leitzinserhöhungen zu Beginn der 80er-Jahre beendete Paul Volcker die Phase hoher Inflationsraten. Die letzten 30 Jahre waren von einer relativen Stabilität der Konsumentenpreise gekennzeichnet. Das Phänomen Inflation schien weitestgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Gold fiel von seinem Höchststand von 850 USD pro Unze im Jahre 1980 auf 253 USD pro Unze im Jahre 1999. Dieses Tief kennzeichnet jedoch den Beginn einer bis heute andauernden Hausse des Goldes, die mit einem Goldpreis von 1.261 USD pro Unze vorerst ihren Höhepunkt fand.
Der Goldpreis kann als eine Art „Thermometer“ interpretiert werden. Ein steigender Goldpreis signalisiert ein abnehmendes Vertrauen in die heutzutage vorherrschenden (ungedeckten) Papiergeldwährungen. Die Ursache für die wiederentdeckte Beliebtheit kann vor allem in der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gesehen werden, die in Europa in Form einer Schuldenkrise ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte. Besonders die quantitative Lockerung der Notenbanken, die im Rahmen der Krise zu beobachten war, und auch die hohe allgemeine Staatsverschuldung schüren neuerlich die Angst vor einem Wiederaufflammen der Inflation.
Vor diesem Hintergrund wird die Wiedereinführung des Goldstandards zunehmend populär. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit er ein wirksames Mittel zur Vermeidung zukünftiger Inflationen sein kann.
In Kapitel 2 wird die grundsätzliche Problematik der gegenwärtigen Geldordnung aus der Perspektive der „Austrian School of Economics“ herausgearbeitet. Speziell die hohe aktuelle Staatsverschuldung sowie die deutlich ausgeweiteten Zentralbankenbilanzen werden hier einer näheren Betrachtung unterzogen, um Potenziale für zukünftige Inflationen zu veranschaulichen. Der aus der Betrachtung abgeleitete Reformbedarf führt zu den Kapiteln 3 und 4, in denen der klassische Goldstandard näher beschrieben wird. Kapitel 4 fokussiert die wichtigsten theoretischen Wirkungsmechanismen des klassischen Goldstandards. Der Wirkungsmechanismus „Stabilisierung der Preisniveaus“ leitet dann zu Kapitel 5 über, in dem die Eignung des Goldstandards zur Inflationsvermeidung untersucht wird. Ein Hauptaugenmerk der Betrachtung wird hier auf den historischen, unter dem Regime des Goldstandards beobachteten Entwicklungen der Preisniveaus liegen, sowie auf dem Vergleich zu den gegenwärtig vorherrschenden (ungedeckten) Papiergeldsystemen. Zusätzlich werden im Rahmen eines simulierten Systemwechsels, also eines Übergangs vom gegenwärtigen System zur Goldwährung, die sich daraus ergebenden Implikationen für die zukünftigen Preisniveaus herausgearbeitet, wobei der Fokus auf dem Umfang der zu wählenden Golddeckung liegt. Darüber hinaus werden in Kapitel 5 einerseits die üblichen Vorurteile gegenüber der Goldwährung entkräftet, andererseits werden zum Ende des Kapitels jedoch auch kritische Anmerkungen in die Betrachtung einbezogen.
Unter Inflation[1] versteht man einen allgemeinen Anstieg des Preisniveaus bzw. eine Reduzierung der Kaufkraft des Geldes, die sich über einen längeren Zeitraum vollziehen (EZB, 2009, S. 7). In Bezug auf den Euroraum spricht man bei einem Anstieg des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr von Preisstabilität (a. a. O., S. 8). Preisstabilität ist anzustreben, da eine Inflation erhebliche volkswirtschaftliche Kosten mit sich bringt (a. a. O., S. 29).
Zu diesen gehören u. a. Umverteilungseffekte in Bezug auf die Einkommen. Bezieher von Gewinneinkommen werden gegenüber den Beziehern von Festeinkommen begünstigt. Ein auf dem Nominalwertprinzip beruhendes Steuersystem trägt seinerseits über die Besteuerung von Scheingewinnen (kalte Prozession) zu weiteren Verzerrungen bei. Ferner ergeben sich darüber hinaus auch Umverteilungseffekte im Vermögensbereich. Besitzer von Aktiva, die sich nur im geringeren Ausmaß oder gar nicht an die Geldentwertung anpassen können, erleiden reale Verluste (Issing, 2007, S. 246ff).
Rothbard bezeichnet den Inflationsprozess als eine Art „[…]Wettrennen – um den Erstempfang des neuen Geldes.“ (Rothbard, 2005, S. 57 ) Besonders die Nachzügler, also diejenigen, die am unvariabelsten reagieren können, sind von der Geldentwertung am stärksten betroffen (a. a .O., S. 57).
Ferner verzerrt die Inflation die Signalwirkung des Preises und verhindert hierdurch eine effiziente Ressourcenallokation (EZB, 2009, S. 30). Gerade weil Inflation eine ungerechte Verteilungswirkung entfaltet, die vor allem die wirtschaftlich Schwächeren trifft, ist sie Keim „[…] sozialer und politischer Instabilität […].“ (a. a. O., S. 34)
Preisniveaustabilität hingegen trägt essenziell zur allgemeinen Wohlfahrt der Gesellschaft bei (a. a. O., S. 6) und ist daher anzustreben.
Ursachen für Inflation können zum einen im Realsektor liegen. Man unterscheidet zwischen Angebotsinflation und Nachfrageinflation (Demand-Pull-Inflation). Als Ausdruck eines marktlichen Anpassungsprozesses ist Inflation vom Realsektor ausgehend eher ein Phänomen der kurzen Frist (EZB, 2009, S. 46).
Die aus dem Realsektor kommende Nachfrageinflation ist Ausdruck der konjunkturellen Lage. Eine steigende Nachfrage in der Hochkonjunktur wirkt sich preissteigernd aus, dagegen gehen jedoch in Zeiten der Konjunkturschwäche von der Nachfrageseite keine inflationären Tendenzen aus (Mussel und Pätzold, 2008, S. 109ff).
Die Angebotsinflation kann ihre Ursache auf der Kostenseite haben. Man spricht dann von Kosteninflation (Cost-Push-Inflation). Beispiele hierfür sind die Lohnkosteninflation, die Kostensteuerinflation sowie die importierte Kosteninflation (z. B. höhere Preise für importiertes Rohöl). Eine weitere Form der Angebotsinflation stellt die sogenannte Marktmachtinflation dar (Mussel und Pätzold, 2008, S. 119ff).
In der langen Frist hingegen ist Inflation stets ein monetäres Phänomen (EZB, 2009, S. 8).
Laut Friedman liegt daher der Ursprung inflationärer Tendenzen im monetären Bereich:
„Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon […].“ (Friedman, 1970, S. 24)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die theoretische Grundlage hierfür bildet die Quantitätsgleichung nach Irving Fisher:
(1)
mit den Variablen: M = Geldmenge, V = Umlaufgeschwindigkeit, P = Preisniveau, Y = reale Produktion (Mussel und Pätzold, 2008, S. 129f). Zwar gibt es verschiedene quantitätstheoretische Ansätze, diese stimmen jedoch mit der grundlegenden Aussage der Fisher'schen Verkehrsgleichung des Vorliegens einer Kausalität von Geldmenge und Preisniveau überein (Nitsch, 2005, S. 18f). Zu dieser Erkenntnis kommt man über die verhaltenstheoretische Fundierung der Umlaufgeschwindigkeit (Mussel und Pätzold, 2008, S. 130). In der langen Frist verhalten sich Geldmenge und Preisniveau proportional zueinander (EZB, 2009, S. 47). Laut Friedman hat eine deutliche Änderung der Geldmenge pro Produkteinheit in der langen Frist stets eine gleichgerichtete Wirkung auf das Preisniveau (Issing, 2007, S. 159).
Formal kann man dies wie folgt darstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(2),
sodass das Preisniveau als eine Funktion der Geldmenge interpretierbar ist (Issing, 2007, S. 153).
Im Gegensatz zu den vorangegangenen Darstellungen zeigt sich die sogenannte Asset-Price-Inflation nicht in einem Anstieg der Verbraucherpreise, sondern kommt durch den Anstieg der Preise von Vermögensgütern (wie z. B. Aktien, Gebäude, Grundstücke etc.) zum Ausdruck (Issing, 2007, S. 211).
Der Mainstream der Ökonomen sieht Vermögenspreise als Preise eigener Art an. Trotz deutlich gestiegener Vermögenspreise sprechen sie, sofern die Konsumentenpreise relativ konstant bleiben, von Preisstabilität. Die Vertreter der Austrian School[2] sehen im Anstieg der Vermögenspreise eine Erosion der Kaufkraft des Geldes. Nach der Austrian School versteht man unter Inflation bereits einen Anstieg in der Geldversorgung. Der Anstieg der Preise ist damit lediglich ein Symptom dieser Geldmengenausweitung (Polleit, 2009f).
Im Gegensatz zur Inflation spricht man bei einem Sinken der Preisniveaus von Deflation (Issing, 2007, S. 214).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Ursachen der Inflation in der kurzen Frist im Realsektor, in der langen Frist eher im monetären Sektor zu suchen sind (EZB, 2009, S. 46).
Als 1971 das Bretton-Woods-System zusammenbrach und die Einlösepflicht des Dollars in Gold aufgegeben wurde, waren die letzten Reste des Goldstandards beseitigt. Es brach das Zeitalter des ungedeckten Papiergeldes (Fiatgeld) an (Polleit, 2008b, S. 42).
Unter Fiatgeld versteht man ein Geldsystem ohne intrinsischen Wert, das qua Gesetz zum gesetzlichen Zahlungsmittel („Legal Tender“) gemacht wurde. Aus dem Nichts geschaffen wird es in Anlehnung an den biblischen Ausspruch „Fiat Lux“ (lat. „Es werde Licht!“, Gen 1,3) auch „Fiat Money“ genannt (Weiden, 2006, S. 1374). Fiatgeld kann nahezu kostenlos produziert werden (Rolnick und Weber, 1997, S. 1319). Sein Wert resultiert aus der allgemeinen Akzeptanz und dem Glauben an dessen Wertstabilität (Weiden, 2006, S. 1374).
Allerdings sind die Begriffe Fiatgeld und gesetzliches Zahlungsmittel („Legal Tender“) nicht zwangsläufig Synonyme. Während ein gesetzliches Zahlungsmittel prinzipiell auch gedeckt sein kann, ist Fiatgeld nicht einlösbar (Nataf, 2002, S. 23).
In einem staatlich kontrollierten Fiatgeldsystem ist die Geldmenge politische Entscheidung. Der Staat hält das Monopol über die Geldversorgung und kann die Geldmenge de facto jederzeit in die gewünschte Richtung lenken. Eine Möglichkeit („der normale Weg“) wäre es, die Geschäftsbanken über günstige Kreditbedingungen dazu zu bringen, ihre Kreditvergabe an private Haushalte, Firmen und den öffentlichen Sektor auszudehnen. Wenn dies nicht funktioniert, könnte der Staat seine Verschuldung erhöhen und die Banken dazu veranlassen, diese Schulden zu monetarisieren. Eine weitere Möglichkeit wäre es, dass die Zentralbank beispielsweise Asset (z. B. von Banken) erwirbt und so den Geldumlauf erhöht. Als weitere Option könnten Banken verstaatlicht werden und dann dazu gebracht werden, die Kreditvergabe an Privatpersonen und den öffentlichen Sektor auszuweiten. Darüber hinaus wäre auch eine Art „Helicopter Money“[3] à la Friedman denkbar (Polleit, 2009e).
Polleit[4] sieht beispielsweise den US-Dollar, den Euro, das britische Pfund oder den Schweizer Franken als beliebig vermehrbares ungedecktes Staatsgeld an (Polleit, 2009c, S. 317).
Zwar liegt das Monopol der Geldausgabe im Allgemeinen in staatlicher Hand. Jedoch hat der jeweilige Staat dieses Recht i. d. R. an eine Zentralbank übertragen (Wagner, 2004, S. 20f).
Wie groß der jeweilige staatliche Einfluss tatsächlich ist, hängt im Besonderen vom Ausmaß der Unabhängigkeit der jeweiligen Zentralbank ab. Bofinger hat dazu einen Unabhängigkeitsindex[5] ermittelt. Demnach ist die EZB mit 1,7 Indexpunkten die unabhängigste Zentralbank, gefolgt von der FED (1,3), der BoJ (1,2) und der BoE (0,5) (Bofinger, 2001, 218f).
Im Papiergeldsystem obliegt es der menschlichen Verantwortung, die Preisstabilität zu wahren: „Managed paper-money standards are controlled by human forces […].“ (Kemmerer, 1944, S. 199) Kemmerer charakterisiert diese menschliche Komponente als unstetig, emotional und hoch politisch (a. a. O., S. 199).
Die Leichtigkeit der Geldproduktion in den Händen eines unsteten menschlichen Sachwalters ist gleichbedeutend mit der Möglichkeit, den Geldumlauf jederzeit willkürlich auszuweiten, und somit die Hauptgefahrenquelle für Preisstabilität im Papiergeldsystem.
Die ersten Erfahrungen mit dem ungedeckten Papiergeld nach dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods waren nicht sonderlich gut (Polleit, 2008b, S. 42). Die 70er- und auch die frühen 80er-Jahre waren von allgemein hohen Inflationsraten geprägt (Polleit, 2008b, S. 42; Issing, 2007, S. 216).
Die hohen Inflationskosten erforderten daher einen Sinneswandel. Dem Staat wurde die Möglichkeit entzogen, direkten Einfluss auf die Geldmenge zu nehmen (Polleit, 2009c, S. 318). Die darauffolgenden drei Jahrzehnte waren von relativer Preisstabilität (Konsumentenpreise) gekennzeichnet und vielfach wurde bereits vom Ende der Inflation gesprochen (Polleit, 2006, S. 39).
Trotz der Reformen konnte ein zentraler Fehler des staatlichen Papiergeldsystems nicht behoben werden (Polleit, 2008b, S. 42).
Während man im Anschluss an die inflationären 70er und frühen 80er zunächst eine geldmengengesteuerte Geldpolitik betrieb, haben sich die meisten Zentralbanken mittlerweile von der Regelbindung losgelöst. Die FED tat dies bereits im Jahre 1993, die EZB folgte 2003. Der zuvor als erster Strategiesäule des Eurosystems dienenden Geldmenge wurde von nun an lediglich die Bedeutung einer Kontrollvariable beigemessen. Die Geldpolitiken der Zentralbanken wurden somit zunehmend diskretionär. Das heißt, sie folgen nicht einer konstanten Regel, sondern sind von fallweisen Entscheidungen gekennzeichnet. Vielfach wird dies auch damit gerechtfertigt, dass so ein flexibleres Handeln möglich sei und sich somit bessere Ergebnisse einstellen würden. Der gestiegene Handlungsspielraum erhöhte jedoch auch die Fehleranfälligkeit der Geldpolitik (Polleit, 2006, S. 40).
Die Problematik dieser diskretionären Politik besteht darin, dass die Zentralbank vor der Wissenslücke steht, wie hoch der „richtige Zins“ in der jeweiligen Volkswirtschaft zu sein hat (Polleit, 2008b, S. 42).
Eine an die konjunkturelle Lage angepasste Geldpolitik, also niedrige kurzfristige Zinsen in Zeiten der wirtschaftlichen Schwäche, wird allgemein befürwortet. Die Problematik dabei ist, dass sich die Geldmenge zu stark ausweitet (Polleit, 2006, S. 40). Gegenwärtig zeigt sich der Geldwertschwund jedoch nicht im Gewand gestiegener Konsumentenpreise, sondern schlägt sich vielmehr in steigenden Vermögenspreisen nieder (Polleit, 2006, S. 41; sueddeutsche, 2010).
Die Zunahme des Geldangebots führt zu einer Verzerrung der relativen Preise und bereitet nach Auffassung der „Austrian School of Economics“ den Weg in sogenannte Boom-and-Bust-Zyklen (Polleit, 2008b, S. 44):
Ein infolge expansiver Geldpolitik über den tatsächlichen Ersparnissen liegendes Kreditangebot führt zum sogenannten „circulation credit“ (Polleit, 2009a).
„Circulation credit“ ist der die realen Ersparnisse übersteigende Teil der umlaufenden Kredite (Polleit, 2009g) und die Ursache für ein ungleichgewichtiges Zinsniveau.
Die viel zu niedrigen Zinsen setzen letztlich den Zyklus in Gang. Durch das niedrige Zinsniveau werden Projekte verwirklicht, die c. p. (also ohne Geldmengenexpansion) nicht angestoßen worden wären. Die reale Sparquote sinkt, der Konsum steigt. Irgendwann wird sich jedoch das gleichgewichtige Verhältnis aus Konsum und Ersparnisbildung wieder einstellen (Polleit, 2009c, S. 319) und es wird offenkundig, dass die Wirtschaft über ihre Verhältnisse gelebt hat.
Die sich abzeichnende Deflation würde die aufgebauten Ungleichgewichte wieder bereinigen. Jedoch würde diese Entwicklung auf entsprechenden Widerstand in der Bevölkerung stoßen. Billiges Geld wird weitestgehend als Rezept gegen Deflation und Rezession gesehen (Polleit, 2007).
In den Augen der Öffentlichkeit ist mehr Inflation und mehr Kreditausweitung der einzig gangbare Weg, den Folgen der vorherigen Inflation und Kreditausweitung zu entkommen (Mises, 1996, S. 576f).
Die Politik der niedrigen Zinsen, die zur Krise geführt hat, wird zur Bekämpfung der Krise einsetzt (Polleit, 2007).
Die daraufhin gelockerte Geldpolitik verhindert zwar vorerst die Krise, dieser vermeintliche Erfolg wird jedoch zu einem hohen Preis erkauft. Die aufgebauten Ungleichgewichte können sich nicht wieder abbauen (Polleit, 2009d).
Ein bereinigender „Bust“, der in Arbeitslosigkeit und Produktionsrückgängen zum Ausdruck kommen würde und über eine Anpassung der relativen Preise das Gleichgewicht wiederherstellen würde, wird verhindert (Polleit, 2007).
Der Bereinigungsprozess wird gestoppt und es werden weitere Fehlinvestitionen getätigt. Die Ressourcenfehlallokation weitet sich aus und erhöht lediglich die Kosten eines späteren unweigerlichen Zusammenbruchs (Polleit, 2009d). Um einen Abschwung zu verhindern, werden immer größere Dosen an Kredit- und Geldmengenexpansion gebraucht (Polleit, 2009e).
Der Abschwung kann zwar mit niedrigen Zinsen mehrfach abgewehrt werden (Polleit, 2009a), dies scheint jedoch nur so lange ein probates Mittel zu sein, wie die Konsumentenpreise auf akzeptablem Niveau bleiben (Polleit, 2007).
Irgendwann wird die fortdauernde Inflation von der Öffentlichkeit nicht mehr getragen. Sobald die Kreditexpansion stoppt, wird die Rechnung zu zahlen sein (Polleit, 2009e).
Es gibt keine Alternative, dem Bereinigungsprozess zu entgehen, es stellt sich vielmehr die Frage, ob der Zusammenbruch schon früh oder erst später als finaler vollständiger Zusammenbruch des Finanzsystems kommt (Mises, 1996, S. 572) Weiter schreibt Mises, dass die Korrektur des vorherigen Eingriffs mit gleichen Mitteln und ein ständiges Wiederholen dieser Abfolge die freie Gesellschaftsordnung gefährde (a. a. O., S. 474).
Um die gegenwärtige Krise zu bekämpfen, die das Staatsgeld maßgeblich mit verursacht hat, so Polleit, sind die Staatsdefizite mehr als deutlich gestiegen, haben die Zentralbanken ihre Zinsen merklich gesenkt und ihre Geldbasen stark geweitet.
Die weltweite Finanzkrise illustriert geradezu beispielhaft Mises Analyse der Gefährlichkeit des staatlich kontrollierten Fiatgeldsystems (Polleit, 2009e).
In den heutigen entwickelten Volkswirtschaften wird Geld im Allgemeinen sowohl von der Zentralbank als auch von den Geschäftsbanken geschaffen (Issing, 2007, S. 56).
Ausgangspunkt der Geldschöpfung ist die Bilanzsumme der Zentralbank. Deren Betrag ist im Verhältnis zu den Geldmengenaggregaten zwar eher gering, dennoch kann die Zentralbank mit ihren monetären Operationen, die ihren Widerhall in der Bilanzsumme finden, erheblichen Einfluss auf diese Geldmengenaggregate nehmen (a. a. O., S. 93).
Die Passivseite der Zentralbank setzt sich hauptsächlich aus dem Geldumlauf und den Einlagen der Kreditinstitute zusammen und stellt im Wesentlichen die sogenannte Geldbasis (B) dar. Die Zentralbank kann durch den Ankauf von Vermögenswerten sowie durch Kreditvergabe an Banken und Staat Zentralbankgeld schaffen und dadurch die Geldbasis erhöhen (a. a. O., S. 57).
Über den Multiplikator ergibt sich c. p. eine Relation aus B und der Geldmenge (M) (a. a. O., S. 68). Formal lässt sich dies wie folgt ausdrücken:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(3)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(4)
wobei m für den Multiplikator, c für die Barhaltungsquote und r für den Mindestreservesatz steht (a. a. O., S. 68). Trotz der strikten Annahmen, die dieser Modellüberlegung zugrunde liegen, kann hier die Verknüpfung der Geldbasis (Bilanzsumme der Zentralbank) mit den Geldmengenaggregaten verdeutlicht werden (a. a. O., S. 73). Wie bereits oben gezeigt (vgl. Gleichung (2)), wirken die Aggregate ihrerseits gemäß der Quantitätsgleichung wiederum auf das Preisniveau in der langen Frist ein.
Nach dieser Vorüberlegung ist es naheliegend zu untersuchen, welche Auswirkung die Finanzmarktkrise auf die Bilanzen der drei großen Zentralbanken hatte und welche Implikationen sich daraus in Bezug auf die zukünftige Entwicklung der Preisniveaus ergeben.
Abbildung 1: Entwicklung der Zentralbankbilanzen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: eigene Darstellung basierend auf Zahlenmaterial der BoE (Monatsberichte), der EZB (Monatsberichte) und der FED (Homepage)
Abbildung 1 illustriert die Entwicklung der Bilanzsummen der drei großen Zentralbanken: der Bank of England (BoE), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Federal Reserve (FED). Der Darstellung liegen jeweils die Monatsendwerte für den Zeitraum Dezember 2006 bis April 2010 zugrunde. Die jeweiligen Bilanzsummen sind auf 100 normiert, wobei die Werte für Dezember 2006 jeweils 100 entsprechen. Es soll das relative Ausmaß der Bilanzverlängerung im Rahmen der Finanzkrise im Vergleich zum Vorkrisenniveau dargestellt werden. Es wird sich weiter unten zeigen, dass die Finanzkrise erheblich auf den Umfang der Bilanzsummen eingewirkt hat und der Krisenverlauf sowie dessen Zuspitzung sich in der Entwicklung der Bilanzsummen deutlich abzeichneten.
Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle, dass der Bargeldumlauf jeweils nahezu konstant geblieben ist. Ferner hat sich insbesondere die Struktur der Aktivseite der FED sowie der BoE mehr als deutlich geändert (BIZ, 2009, S. 115).
Hier kommt zum Ausdruck, dass im Rahmen der Krise neue Refinanzierungsinstrumente, Programme zum Kauf bestimmter Wertpapiere – einschließlich dem Kauf von Staatspapieren – aufgelegt und Wertpapiere mit den Geschäftsbanken getauscht worden sind (Illing, 2009, S. 516; Deutsche Bundesbank, 2009, S. 107ff).
Der Beginn der Krise war durch Turbulenzen am US-Subprime-Hypothekenmarkt gekennzeichnet (BIZ, 2009, S. 19).
Anfang August 2007 brach der Interbankenmarkt nahezu völlig zusammen. Kreditinstitute waren nicht mehr bereit, sich untereinander Geld zu leihen, da allgemeine Zweifel an der Güte der als Sicherheit angebotenen Papiere bestanden, wodurch sich die EZB gezwungen sah, die Märkte mit Liquidität zu fluten (Illing, 2007, S. 19).
In den Bilanzen der EZB und der BoE machten sich diese Marktturbulenzen bereits bemerkbar. Die Bilanzsumme der FED blieb in dieser Zeit noch relativ unberührt.
Die FED verzichtete zunächst auf bilanzverlängernde Maßnahmen und schichtete Vermögenswerte bei konstanter Bilanzsumme um. Vor der Krise hielt die FED fast ausschließlich Staatsanleihen; diese tauschte sie gegen Unternehmens- und Immobilienanleihen mit den Geschäftsbanken (Illing 2009, S. 516). Bis zum Höhepunkt der Krise war es die EZB, die ihre Bilanz am deutlichsten ausgeweitet hatte (vgl. Abbildung 1).
Anfang September hatte die Investmentbank Lehman Schwierigkeiten, dringend notwendige Finanzierungen zu bekommen. Die Erwartungen des Marktes, dass auch hier eine staatlich geführte Übernahme ähnlich wie bei Bear Stearns arrangiert werden würde, bewahrheiteten sich nicht. Lehman beantragte am 15.09.08 Insolvenzschutz nach US-Konkursrecht (Chapter 11) und war am 16.09.08 zahlungsunfähig (BIZ, 2009, S. 27).
Die Zuspitzung der Lage und der einsetzende Konjunktureinbruch führten weltweit zu erheblichen Leitzinssenkungen, vielfach sogar bis an die Null-Prozent-Linie (a. a. O., S. 107). Mit Zinsen nahe null war der geldpolitische Handlungsspielraum jedoch merklich eingeschränkt (a. a. O., S. 110).
Zur Erweiterung des Handlungsspielraums stehen den Zentralbanken sogenannte „unkonventionelle Maßnahmen“ zur Verfügung: So können sie bei konstanter Bilanzsumme Umschichtungen innerhalb der Aktivseite vornehmen, durch den Kauf von Vermögenswerten die Bilanzsumme verlängern bzw. Erwartungen in Richtung einer künftig steigenden Inflationsrate lenken (Illing, 2009, S. 516).
Die im Rahmen der Finanzkrise aufgetretenen Verluste drohten das Eigenkapital der Banken aufzubrauchen, wodurch sich ihre Fähigkeit und Bereitschaft, neue Kredite auszugeben, sichtlich verringerte (Polleit, 2008a, S. 3).
[...]
[1] Die Vertreter der Austrian School bezeichnen bereits die Ausweitung der Geldmenge als Inflation (Mises, 1924, S. 224).
[2] Die Austrian School, auch Österreichische Schule der Nationalökonomie genannt, ist eine alternative Denkrichtung zum Mainstream der Ökonomie. Zum Kern der Theorie gehört Die Ablehnung staatlicher Interventionen in den Wirtschaftsablauf, eine ausgeprägte Aversion gegen Inflation und gegen das Zentralbankwesen. Als Begründer der neuen Österreichischen Schule wird Carl Menger (1840–1921) gesehen. Sein wesentlicher Beitrag zur Theorie bestand in der subjektiven Wertlehre. In seiner Zinstheorie griff Böhm-Bawerk (1851–1914) Mengers Theorie wieder auf. Ludwig von Mises (1881–1973) erweiterte die Theorie der Austrian Economics mit seinem Konjunkturmodell (Boom-and-Bust-Zyklen). Zu Mises Schülern in New York zählten insbesondere Israel Kirzner (1930) und Murray Rothbard (1926–1995). Seit den 70ern erlebte die Austrian School eine Wiederauferstehung (Bökenkamp, 2010). Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanzkrise scheinen die Theorien der Austrian School aktueller denn je.
[3] Unter Helicopter-Money versteht Friedman die direkte Bereitstellung von Liquidität an die Bevölkerung (Friedman, 1969, S. 4f). „Let us suppose now that one day a helicopter flies over this community and drops an additional $ 1,000 in bills from the sky […].” (a. a. O., S. 4).
[4] Thorsten Polleit ist Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management und Chief German Economist bei Barclays Capital (Frankfurt School of Finance & Management, 2010).
[5] 2 steht für das höchste Maß an Unabhängigkeit, 0 hingegen für sehr hohe staatliche Abhängigkeit.