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Masterarbeit, 2010
162 Seiten, Note: 1,3
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
2.1 Theoretische Überlegungen und Entstehung
2.2 Gesetzliche Regelungen
2.2.1 Bundesebene
2.2.2 Länderebene
2.2.3 EU-Recht
2.3 Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht
3 Die Aufsicht des öffentlich rechtlichen Rundfunks
3.1 Interne Aufsicht
3.1.1 Rundfunk- oder Fernsehrat
3.1.2 Verwaltungsrat
3.1.3 Intendant
3.2 Externe Aufsicht
3.2.1 Rechtsaufsicht
3.2.2 Exkurs: Finanzbedarfsermittlung durch die KEF
3.2.3 Finanzaufsicht
4 Der Untersuchungsgegenstand: Die Causa Brender/Koch
4.1 Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF)
4.1.1 Geschichte und Kennzahlen
4.1.2 Aufsichtsstruktur
4.2 Chronologie der Causa Brender/Koch
4.3 Berichterstattung zur Causa Brender/Koch
5 Empirische Analyse
5.1 Forschungsleitfragen
5.2 Stichprobenauswahl
5.3 Methodik
5.4 Kategoriensystem
5.4.1 Erstellung des Kategoriensystems
5.4.1.1 Theoriegeleitete Kategorienbildung
5.4.1.2 Empiriegeleitete Kategorienbildung
5.4.1.2.1 Stichprobenauswahl
5.4.1.2.2 Erhebungskriterien
5.4.1.2.3 Erhebung und Auswertung
5.4.1.2.4 Bildung der Unterkategorien
5.4.2 Codierung
5.4.3 Pretest
5.4.3.1 Stichprobenauswahl
5.4.3.2 Codierer-Schulung
5.4.3.3 Ergebnis
5.4.3.4 Überarbeitung des gesamten Codebuchs
5.5 Erhebung
5.5.1 Auswahl und Schulung der Codierer
5.5.2 Durchführung
5.6 Auswertung
5.6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
5.6.2 Analyse der Ergebnisse
5.7 Methodenkritik
6 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungen
Abbildung 1: Die Google-Treffer zum Stichwort „Brender+ZDF“ von Januar 2009 bis heute
Abbildung 2: Die Google-Treffer zum Stichwort „Brender+ZDF“ von Januar 2009 bis März 2010
Abbildung 3: Artikelverteilung im Untersuchungszeitraum als Grafik
Tabellen
Tabelle 1: Artikelverteilung im Untersuchungszeitraum als Tabelle
Tabelle 2: Liste der für die Vorerhebung verwendeten Artikel
Tabelle 3: Verteilung der Vorerhebungsergebnisse auf die vorläufigen Kategorien
Tabelle 4: Liste der für den Pretest verwendeten Artikel
Tabelle 5: Die vier Artikel mit den meisten Codierungen der Codierer 2 und 3
Tabelle 6: Ergebnis des Zwischentests
Tabelle 7: Verteilung der Codierungen auf die untersuchten Medien
Tabelle 8: Verteilung der Codierungen auf die untersuchten Medien ohne FR
Tabelle 9: Verteilung der Codierung auf die untersuchten Medien ohne Nachrichten
Tabelle 10: Verteilungen der Codierungen auf die Medien ach Hauptkategorie
Tabelle 11: Anteil der Artikel mit einer oder zwei Codierungen
Tabelle 12: Unterkategorien mit zweistelliger Codierungsanzahl, mit Anteilen an allen Codierungen sowie jeweils den Codierungen der einzelnen Medien
Tabelle 13: Die jeweils drei meistcodierten Unterkategorien in den acht Hauptkategorien, nach Gesamtanteilen und pro Medium
„Angriff auf das ZDF“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 10. März 2009. Von einem „Staatsstreich in Mainz“ sprach die taz am 24. November des gleichen Jahres. „Ein Organschaden“ hieß es in der Süddeutschen Zeitung vier Tage später. Als Ende 2008 bekannt wurde, dass der Vertrag des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender nicht verlängert werden sollte, mutierte Routine zum Politikum. Was war passiert? Ein neuer Vertrag für Brender schien eigentlich nur Formsache zu sein. Markus Schächter, der Intendant, war gewillt, mit seinem Chefredakteur zu verlängern. Doch der Verwaltungsrat des Senders, mit dem Einvernehmen hergestellt werden musste, machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Parteipolitisch gefärbt und üppig mit Regierungsmitgliedern besetzt war es die so genannte schwarze Fraktion, die mit ihrer Mehrheit gegen Brender stand. Als Wortführer schwang sich der Hessische Ministerpräsident Roland Koch auf. Und aus einem internen Verwaltungsvorgang wurde Öffentlichkeit. Aus Sachfragen wurden Fragen nach der Staatsferne des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, nach der Pressefreiheit überhaupt.
„Die Frage nach Freiheit oder Abhängigkeit des Rundfunks vom Staat durchzieht wie ein roter Faden die gesamte Rundfunkgeschichte“ (Bausch 1980, S.851) stellte der Journalist und ehemalige Intendant des Süddeutschen Rundfunks Hans Bausch bereits 1980 fest. Eine wesentliche Rolle kommt dabei jeher den Aufsichtsgremien, wie erwähntem ZDF- Verwaltungsrat zu. Vertreter der Gesellschaft und der Politik nehmen dort Platz und beaufsichtigen den Rundfunk nach gesetzlich festgeschriebenen Kriterien. Norbert Schneider, bis vor kurzem Leiter der Landesmedienanstalt NRW, erkennt an dieser Stelle allerdings einen schleichenden Prozess politischer Einflussnahme: „Die faktischen Besitzer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wurden nach und nach die politischen Parteien. … Die ‚gesellschaftlich relevanten’ Gruppen, die eigentlich vorgesehenen Kontrolleure, sind überwiegend in parteipolitisch geprägten Freundeskreisen aufgegangen. Zwischen der Scylla der Staatsnähe und der Charybdis der wirtschaftlichen Abhängigkeit segelt der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr oder weniger auf dem Kurs der jeweiligen Mehrheitspartei.“ (Schneider 1996, S.74)
Es ist der auf diesen Erklärungen ruhende Zweifel an der Unabhängigkeit öffentlich- rechtlicher Medien, den auch Zeitungen wie FAZ, SZ und taz äußern. Und es wird damit auch ein Zweifel an der Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und zwangsläufig am Status Quo des gesamten Mediensystems. Es sind vor allem die privaten Medien, die in der so genannten „Causa Brender“ (fairerweise sollte man „Causa Brender/Koch“ sagen) ausführlich berichten, das Wort erheben und sich kritisch äußern. Doch worauf zielt die Berichterstattung? Welche Meinung vertreten Journalisten der Presse, die im Zeitalter des Internets erstmals in direkte Konkurrenz zu den öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten treten? Verteidigen sie den neuen Konkurrenten? Nutzen sie fragwürdige Ereignisse, um ihn in Frage zu stellen, die eigenen Marktchancen zu verbessern? Die Frage nach dem Inhalt der Presseberichte über die Vertragsverlängerung eines ZDF-Chefredakteurs ist nicht nur eine bloße Analyse der Meinung einzelner Redakteure und Redaktionen. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk tut sich in der Berichterstattung über die eigene Unabhängigkeit und Beeinflussung erfahrungsgemäß und verständlicherweise schwer. Die Presse agiert deshalb nicht bloß als Vertreter ihrer eigenen Motive, sie verteidigt hier stellvertretend für alle Medien die Pressefreiheit. Die Frage nach der Berichterstattung ist konsequenterweise auch die Frage nach der Selbstverteidigungsfähigkeit des Journalismus.
Die zentrale Fragestellung dieser Arbeitet lautet dementsprechend: Wie berichten überregionale Printmedien über politische/staatliche Einflussnahme (auf Personalentscheidungen) beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Fall Brender/Koch?“ Sechs Hypothesen basieren auf dieser Fragestellung. Da nicht davon ausgegangen wird, dass Konkurrenzdenken die Berichterstattung vordergründig beeinflusst und die Presse den öffentlich-rechtlichen Rundfunk deshalb nicht grundsätzlich ablehnt, lautet die erste Hypothese: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird als Gesamtsystem tendenziell nicht in Frage gestellt. Trotzdem wird erwartet, dass die Presse die Umsetzung des Ideals der Unabhängigkeit (oder auch Staatsferne) grundsätzlich kritisch hinterfragt. Die zweite Hypothese lautet deshalb: Die Unabhängigkeit/Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird tendenziell in Frage gestellt. Außerdem wird davon ausgegangen, dass staatliche Einflussnahme auch oder gerade beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht akzeptiert wird. Die dritte Hypothese lautet dementsprechend: Staatliche Einflussnahme beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird kritisiert. In dem konkreten Fall müsste daraus logisch resultieren, dass auch der intervenierende Politiker (stellvertretend als Wortführer und eventuell auch Strippenzieher steht dafür Roland Koch) kritisiert wird. Die vierte Hypothese lautet also: Der intervenierende Politiker (Roland Koch) wird tendenziell kritisiert. Ebenfalls stringent erscheint die Annahme, dass die betroffene Personalie, also in diesem Fall der Chefredakteur Nikolaus Brender, gegen Angriffe und Einflussnahme verteidigt wird. Hypothese fünf lautet deshalb: Der betroffene Chefredakteur (Nikolaus Brender) wird tendenziell verteidigt. Wenn aber staatliche Einflussnahme nicht akzeptiert und kritisiert wird, müsste die Presse konsequenterweise nach einer Änderung dieser Vorgänge streben. Die sechste Hypothese lautet somit: Die Organisation des öffentlichrechtlichen Rundfunks wird tendenziell als reformbedürftig dargestellt.
Um die sechs Hypothesen beantworten zu können, muss die Berichterstattung der Presse analysiert werden. Dabei gilt es zu ermitteln, welche Bewertungen und Meinungen die Journalisten verwenden und welche Alternativen sie aufzeigen und anmahnen. Benötigt wird deshalb eine Inhaltsanalyse, die in der Lage ist ein breites Spektrum von Bewertungen und Meinungen zu erfassen und darzustellen. Die Methode der Themen-Frequenzanalyse bietet sich dafür an. Ein Problem ist dabei allerdings, die Reichweite und Komplexität des Themas in handhabbare Vorlagen (Kategorien) umzusetzen.
Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählt nicht gerade zum Allgemeinwissen. Das Thema weist differenzierte juristische, politische und historische Hintergründe auf, die man für eine Beschäftigung mit der Thematik durchdrungen und verstanden haben sollte. Als erstes widmet sich die Arbeit in einem theoretischen Teil deshalb der Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch das Prinzip der Staatsferne. Dieses zunächst theoretische Prinzip (Kapitel 2) wird vor allem in der Aufsichtsstruktur, aber auch bei der Finanzierung praktisch umgesetzt (Kapitel 3).
Anschließend beschäftigt sich Kapitel 4 konkreter mit dem Gegenstand der Berichterstattung: dem ZDF als öffentlich-rechtlicher Anstalt mit einigen durchaus ungewöhnlichen Merkmalen und schließlich dem Thema der Berichterstattung selbst, das auf Basis der Berichterstattung des Branchendienstes epd Medien so objektiv wie möglich dargestellt werden soll.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich schließlich der empirischen Inhaltsanalyse. Dabei werden zunächst Forschungsleitfragen entwickelt sowie Stichprobe und Methodik festgelegt. Anschließend wird die Analyse mit Hilfe einer Vorerhebung und des theoretischen Hintergrundes gemäß wissenschaftlicher Vorbilder systematisch erarbeitet und geprüft. Dabei ist eine kontinuierliche Nachvollziehbarkeit der Vorgehensweise durch transparentes Arbeiten besonders wichtig. Nach der vollständigen Analyse der Stichprobe werden die Daten aufbereitet und zur Beantwortung der Forschungsfragen so weit wie möglich analysiert. Zur Steigerung der Transparenz sowie des Erkenntniswertes dieser Arbeit soll dann die angewandte Methode nochmals kritisch beleuchtet und reflektiert werden. Im Fazit werden schließlich die Ergebnisse mit den Hypothesen und der Fragestellung verknüpft und weitere Erkenntnisse interpretiert. Dann wird sich zeigen, ob die Presse den hohen Erwartungen des Autors standhalten kann und die Verteidigung journalistischer Prinzipien und der Grundlagen des deutschen Mediensystems - vor allem in einem vermeintlich schwierigen wirtschaftlichen Umfeld - nach wie vor stärker wiegt als Konkurrenz- und möglicherweise auch Profitdenken.
Die Rundfunkfreiheit ist das wesentliche Element der medialen Ordnung in Deutschland. Sie „ist Teil der umfassenden Medienfreiheit, die Freiheit der Medien ist Teil der allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglichen Kommunikationsfreiheit und diese ist ein unabdingbarer Bestandteil einer freien Gesellschaft“ (Hoffman-Riem 2003), definiert der ehemalige Verfassungsrichter Hoffman-Riem. Die alliierten Besatzungsmächte legten den Grundstein für die Umsetzung dieser Freiheit nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, als sie den Rundfunk in Deutschland mit dem grundlegenden Ziel neu aufbauten, einen Missbrauch des Rundfunks, wie im Nationalsozialismus vorgekommen, zu verhindern. Dabei setzten die Alliierten auf drei Prinzipien: Die Unabhängigkeit durch Ausschluss jeglichen Staatseinflusses, die Dezentralisierung (dies war vor allem eine US- amerikanische Forderung, denn Briten und Franzosen besaßen sehr wohl eine zentrale Rundfunkorganisation) und schließlich die Unabhängigkeit des Rundfunks von dem beherrschenden Einfluss einer einzelnen gesellschaftlichen Kraft, um die Zugangssicherung für alle Bürger zu gewährleisten (vergl. Schreier 2001, S.34).1
Die Staatsferne sowie die organisatorische und programmliche Binnenpluralität sind deshalb bis heute die Grundprinzipien des Rundfunks. Dies gilt für den öffentlich- rechtlichen Rundfunk ebenso wie für den privaten Rundfunk, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität (vergl. Verheugen 1995, S.11). Dabei geht das duale Rundfunksystem Deutschlands von der Annahme aus, der private Rundfunk sei alleine nicht in der Lage, die Anforderungen der Rundfunkfreiheit zu erfüllen. Dies liegt zunächst an den begrenzten Verbreitungswegen (zumindest früher, heute kann dieser Punkt durchaus anders gesehen werden), an einer nicht gegebenen Garantie für unabhängige, vielfältige und ausgewogene Berichterstattung aufgrund wirtschaftlicher Interessen sowie dem damals unterentwickelten Angebot. Weil ein staatlich veranstalteter Rundfunk aus historischer Erfahrung von vornherein abgelehnt wurde, wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus Anstalten des öffentlichen Rechts gebildet, einer Rechtsform, die nicht auf einzelnen Mitgliedschaften beruht, sondern nach außen hin offen ist und damit einer wechselnden Zahl von Benutzern dienen kann (vergl. Schreier 2001, S.35-36). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk agiert seither in einem Dreieck aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Eine gewollte Nähe zu letzterer soll dabei durch die so genannten Rundfunkräte verwirklicht werden (vergl. Schulz 2004, S.46-48).
In der theoretischen und legitimatorischen Auseinandersetzung mit dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk lauten die zentralen Begriffe also Rundfunkfreiheit und Staatsferne. Die Rundfunkfreiheit bezieht sich dabei als Grundrecht auf jeden Bürger, sie ist „ein Instrumentalrecht zur Verwirklichung von Informationsfreiheit und zur Herstellung eines offenen Meinungsmarktes“ (Starck 1973, S.41), während die Staatsfreiheit nur den Staat und seinen Einfluss auf programmliche Inhalte betrifft. Trotzdem sind beide Begriffe eng miteinander verbunden, weil sich die Staatsfreiheit vor allem auf das Programm bezieht und die Rundfunkfreiheit im Wesentlichen eine Programmfreiheit für jedes Individuum darstellt (vergl. Knothe 2000, S.101).
Der Begriff der Rundfunkfreiheit kann auf zwei Wegen abgeleitet werden. Zunächst ist eine direkte Herleitung aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes möglich. Prinzipiell ist die Mitwirkung des Staates an der öffentlichen Meinungsbildung demokratiewidrig, da der Staat selbst das Ergebnis öffentlicher Meinungsbildung sein kann (und im demokratischen Ideal auch sein sollte). Souveränität des Volkes bedeutet, dass der Staatswille nur nach dem Volkswillen kommen kann. Die Chancengleichheit der Meinungsartikulation wäre bei einer regierungsdominierten Meinungs- und Willensbildung nicht mehr gegeben. Real ist der Staat in einigen Ausnahmebereichen allerdings durchaus an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt, weil er zu Transparenz und Information verpflichtet ist (vergl. Schreier 2001, S.155-158). Rundfunkfreiheit garantiert also die freie, individuelle und öffentliche Meinungsbildung im Interesse der Demokratie und ist als objektives Prinzip der Rechtsordnung für die Demokratie somit schlichtweg konstituierend (vergl. Dörr 1997, S.108-109).
Die zweite, noch grundlegendere Herleitung ergibt sich direkt aus dem Grundgesetz (vergl. Schreier 2001, S.158-160). Der Gesetzgeber artikuliert in Artikel 5 die Meinungsfreiheit. Als Hauptinformationsquelle ist der Rundfunk ein wesentlicher Faktor der Meinungsbildung und beeinflusst sie durch die Auswahl von Themen und Formaten in großem Umfang. Allein deshalb muss der Rundfunk unbedingt frei von kontrollierendem staatlichem Einfluss sein.
Aus den Herleitungen lassen sich zwei konkrete Grundsätze ableiten: Der Staat darf Rundfunk zum einen nicht selbst veranstalten, zum anderen darf er aber auch keinen bestimmenden Einfluss auf die Programme haben (vergl. Gotzmann 2003, S.109-110). Eine Aufsicht des Staates über den öffentlichen Rundfunk ist also zunächst nicht möglich. Bis heute schließt beispielsweise das Gesetz des Hessischen Rundfunks (HR) dies aus, historisch war dies auch beim Süddeutschen Rundfunk (SDR) und beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) der Fall (vergl. ebd., S.98-99).
Das Staatsferne-Prinzip (oder radikaler: das Staatsfreiheits-Prinzip) basiert vor allem auf der Organisationsform der Selbstverwaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese soll auch den möglichen Einfluss einer einzelnen gesellschaftlichen Kraft verhindern. Staatsfreiheit bedeutet, dass der Staat durch seine Funktionsträger keinen Einfluss auf die Inhalte des Programms nehmen darf (vergl. Starck 1973, S.15). Hierfür dient in erster Linie ein internes Kontrollgremium, das sich aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zusammensetzt, die das gesamte Volk vertreten (nicht: repräsentieren) sollen. Die Ballung bestimmter Interessenrichtungen muss dabei verhindert werden (vergl. Schreier 2001, S.37). Die Selbstverwaltung ist rechtshistorisch betrachtet ein Instrument zur Wahrung der Unabhängigkeit von Staat und Regierung, dogmatisch gesehen ist sie die Umsetzung des Grundsatzes der Staatsfreiheit (vergl. ebd., S.383). Das Recht zur Selbstverwaltung ist also die „organisatorische Umsetzung des verfassungsrechtlichen Postulats der Staatsfreiheit des Rundfunks.“ (ebd., S.259) Generell hat die Selbstverwaltung als Grundprinzip zum Schutz vor staatlich-politischem Missbrauch drei Prinzipien: Sie ist politisch (nämlich ehrenamtlich tätig), sie ist organisiert (Betroffene verwalten sich selbst) und sie besitzt Kompetenz (zwecks Unabhängigkeit vom staatlichen Aufgabenbereich) (vergl. ebd., S.51- 54). Allerdings treffen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur die letzten beiden Prinzipien auf alle Gremien zu (vergl. ebd., S.384).
Nicht in allen Rundfunkgesetzen ist die Reichweite der Selbstverwaltung einheitlich. Verfassungsrechtliche Vorgaben schreiben aber vor, dass sämtliche inhalts- und formrelevanten Entscheidungen zum Programm in der Zuständigkeit der Rundfunkanstalt selbst liegen müssen (vergl. ebd., S.384). Neben dem Selbstverwaltungsrecht sieht Eckhardt drei weitere Strukturelemente zum Schutz der Programmautonomie: Eine autonome Festlegung und Ausfüllung des Programmangebots, eine Kontrolle durch pluralistisch besetzte Gremien (das hier auftretende Problem der Parteinähe wird in 3.1 näher behandelt) sowie eine verpflichtende Anwendung haushaltswirtschaftlicher Grundsätze (vergl. Eckhardt 1998, S.13-14).
Grenzen besitzt die Selbstverwaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eindeutig im Finanzbereich, denn die Rundfunkgebühren werden durch die Ministerpräsidenten der Länder und die Größe des jeweiligen Einzugsgebietes festgelegt (vergl. Bausch 1980, S.863), was schon mehrfach kritisiert wurde und auch das Bundesverfassungsgericht regelmäßig beschäftigte (zuletzt 2007). Eine Mischfinanzierung mit Gebühren-, Werbe- und Sponsorengeldern ist dank eines Verfassungsgerichtsurteils ebenso zulässig wie ein interner Finanzausgleich (vergl. Eckhardt 1998, S.23-26)2. Grundsätzlich ist die Frage nach der Sicherung der Staatsfreiheit durch das aktuelle Finanzierungsmodell aber ein eigenständiger und äußerst komplexer Teil des Rundfunksystems, weshalb er im Detail hier keine Rolle spielen soll und kann. Weitere Grenzen sind der Programmautonomie durch eine in der Landesgesetzgebung nicht einheitlich und konkret genug definierte Bestands- und Entwicklungsgarantie sowie die neuesten Vorschriften für den Online- Bereich (Drei-Stufen-Test)3 gegeben. Dabei geht es vor allem um die genaue Definition der postulierten Grundversorgung (vergl. ebd., S.35-38).
In der Gegenwart haben zahlreiche Staaten ihren Rundfunkbereich im Rahmen einer neoliberalistischen Politik dereguliert und dabei vor allem auch die Gebührenfinanzierung in Frage gestellt. In Deutschland ist dies nicht konkret der Fall, was sich in erster Linie mit einer grundsätzlichen Ernüchterung über die mangelnde Vielfaltsfähigkeit des privaten Rundfunks erklären lässt (man denke nur an die Androhung der zuständigen Aufsichtsbehörden, Sat.1 aufgrund mangelnden Informationsgehalts seinen Status als Vollprogramm abzuerkennen). Trotzdem ist das Grundproblem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks heute mehr denn je eine Balance zwischen Ökonomisierung und Individualisierung (vergl. Donges 2003, S.10-11). Tendenziell verlangen Literatur und Presse nach einer Neugestaltung der Medienordnung, vor allem angesichts neuer Verbreitungswege und -formen im Internet. Am Vielversprechendsten scheinen dabei so genannte Media-Governance-Ansätze zu sein (vergl. Künzler, Puppis 2007), bei denen Regulierung und Aufsicht auf staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften beruhen. Die Aufsichtsstruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gilt dabei als früher Vorläufer eines governance-orientierten Institutionenaufbaus.4
Der Rundfunk in Deutschland wird im Grundgesetz vor allem in Artikel 5, Absatz 1 geregelt. Hier werden sieben Grundrechtsbestimmungen genannt, die als die Kommunikationsfreiheiten bezeichnet werden. Unterschieden werden muss dabei zwischen den Grundrechten zur Massenkommunikation und den Individualgrundrechten. Der zweite Satz von Artikel 5, Absatz 1 nennt das Grundrecht der Rundfunkfreiheit „Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk.“ (vergl. Brenner 2002, S.34) Dies meint grundsätzlich die Programmfreiheit im Sinne von „freier Auswahl, Gestaltung und Ausstrahlung“ des Programms, also den notwendigen Schutz vor staatlichen Eingriffen. Daraus leitet das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtssprechung deshalb den „Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks“ ab (vergl. Gotzmann 2003, S.106-108). In Artikel 19, Absatz 3 wird zusätzlich bestimmt, dass Grundrechte auch für inländische juristische Personen gelten. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk als juristische Person (die er als Anstalt öffentlichen Rechts durchaus ist) ebenfalls ein Grundrecht auf Rundfunkfreiheit besitzt. Da er in der Praxis jedoch der staatlichen Sphäre zuzuordnen ist, ist er den Grundrechten verpflichtet anstatt sich ihrer ermächtigen zu können. Trotzdem gilt er als „Lebensbereich“ der Bürger (dies sind beispielsweise auch Universitäten oder Kirchen) und ist damit für die Rundfunkfreiheit grundrechtsfähig (vergl. ebd., S.106-107).
Die konkrete gesetzliche Ausgestaltung des Rundfunks erfolgt durch die Rundfunkstaatsverträge. Diese gelten sowohl für den öffentlich-rechtlichen als auch für den privaten Rundfunk. Der Staatsvertrag besteht neben dem Basisrundfunkstaatsvertrag auch aus den Staatsverträgen für ARD, ZDF und Deutschlandradio sowie aus dem Rundfunkgebührenstaatsvertrag und den Rundfunkfinanzierungsstaatsverträgen. Diese werden von den Ministerpräsidenten gemeinsam erarbeitet. Eine detaillierte Regelung der öffentlich-rechtlichen Sender erfolgt dann allerdings über die individuelle Landesgesetzgebung. Auf der nationalen Ebene sind vor allem die Rundfunkgebühren, der Jugendschutz, die Rundfunkwerbung, das Sponsoring, das Recht auf Kurzberichterstattung und die Gestaltung der ARD geregelt (vergl. ARD 2002, S.157). Im Rundfunkstaatsvertrag finden sich keine expliziten Programmvorgaben, die Rundfunkanbieter werden aber zur freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und zur Meinungsvielfalt verpflichtet. Außerdem muss die Würde des Menschen unabdingbar beachtet und geschützt werden (vergl. Donges, Held, Jarren, Jürgens, Künzler, Schulz 2001, S.73). Seit 12 2003 beinhaltet der Rundfunkstaatsvertrag auch die so genannten Selbstverpflichtungserklärungen von ARD, ZDF und Deutschlandradio.
Die Rundfunkpolitik in Deutschland ist in erster Linie Sache der Länder. Eine direkte Zuständigkeit liegt dabei normalerweise in den Händen der jeweiligen Staatskanzleien der Landesregierungen (vergl. Puppis 2007). Die Parlamente der Bundesländer sind für die Erfüllung des grundgesetzlichen Verfassungsauftrages zuständig (vergl. Pressestellen der ARD 2008) und regulieren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Institutionen mittels Rundfunkgesetzen. Wenn eine Rundfunkanstalt für mehrere Bundesländer zuständig ist, ist die Rechtsgrundlage ein Staatsvertrag. Dies ist bei den Mehrländeranstalten NDR, RBB und SWR der Fall (vergl. Frye 2001, S.24).
Rundfunkgesetze regeln grundsätzlich die Strukturfragen der einzelnen Anstalten (vergl. ARD 2002, S.156). Die Aufsichtsstruktur ist dabei im Prinzip einheitlich: sie besteht aus den drei Organen Rundfunkrat, Verwaltungsrat und Intendant (vergl. Schreier 2001, S.63). Auch eine (juristische) Staatsaufsicht ist in fast allen Fällen vorgesehen. Lediglich im Gesetz des Hessischen Rundfunks (HR) ist sie nicht erlaubt, was in der juristischen Literatur jedoch massiv in Frage gestellt wird (vergl. Gotzmann 2003, S.104-105).
Auf allgemeine Vorschriften beschränkt sich notwendigerweise die programmbezogene Regulierung, die von Land zu Land variiert. Es gibt beispielsweise einen Programmauftrag, Programmgrundsätze und Vorgaben für die Programmgestaltung. Ein Programmauftrag schreibt in der Regel vor, dass die Programme der „Information, Bildung und Beratung als auch der Unterhaltung“ (Donges et al 2003, S.73) dienen müssen und zudem landesspezifische Kulturen berücksichtigen sollen. Programmgrundsätze binden das Programm zum Beispiel an Verfassung, Menschenwürde, Integrationsförderung, Friedenssicherung oder Gleichberechtigung. Die Vorgaben für die Programmgestaltung sind vornehmlich auf die journalistischen Grundsätzen wie Wahrheitspflicht, Ausgewogenheit, Fairness oder Objektivität ausgerichtet(vergl. ebd., S.74-75).
Zusätzlich, und für diese Arbeit besonders bedeutsam, gibt es häufig teils nur informelle Vereinbarungen zwischen den Parteien über eine ausgeglichene (oder proportionale) Besetzung von Führungspositionen. Eine solche Regelung ist beispielsweise der beim NDR existente „Tremsbütteler Proporz“ (vergl. Eckhardt 1998, S.14-15). Vereinbarungen dieser Art sind allerdings höchstwahrscheinlich nicht rechtsfähig und zudem nicht nur beim ZDF umstritten.
Die Europäische Union bezieht sich in ihrer regulierenden Tätigkeit auf zwei unterschiedliche Bereiche und hängt damit von der (deshalb auch umstrittenen) Definition des Rundfunks ab. Wird der Rundfunk als Wirtschaftsgut angesehen, besitzt die EU durch das Wettbewerbsrecht große Kompetenzen. Ist der Rundfunk jedoch als Kulturgut definiert, besitzt sie keine direkten Kompetenzen (vergl. Eckhardt 1998, S.41). In der medienwissenschaftlichen und juristischen Literatur zeichnet sich eine Tendenz zur kulturellen Definition ab (vergl. Hasse 2005, S.134-138 oder Chen 2003, S.222-230).
Die Definition des Rundfunks als Wirtschaftsgut bietet dementsprechend das größte Konfliktpotenzial. Da der Bund für die Umsetzung von EU-Richtlinien zuständig ist, müssten die Bundesländer ihre jeweilige Rechtshoheit hier sogar an den Bund abgeben (das so genannte Subsidiaritätsprinzip) (vergl. Eckhardt 1998, S.43). In ihrer Richtlinie zum Fernsehen in Europa (EG-Fernsehrichtlinie) versucht die EU, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten im Bereich des Fernsehens zu koordinieren. Basis ist dabei das Wirtschafts- und Handelsrecht, weshalb es zu massiven Konflikten mit dem geltenden nationalen Recht im Bereich Finanzierung und Werbeeinnahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommt (vergl. ebd., S.46-50). Der Bund hatte die EG- Fernsehrichtlinie ohne Zustimmung der Länder ratifiziert, weshalb diese vor dem Bundesverfassungsgericht klagten und Recht bekamen. Nach Ansicht des Gerichts würden die Länder in solchen Fällen zwar nicht selbst entscheiden können, müssten aber vom Bund in den Ratifizierungsprozess einbezogen werden (vergl. ebd., S.51-52).
Trotzdem ist die EG-Fernsehrichtlinie geltendes Recht und führte dazu, dass die EU gegen Deutschland ein Verfahren eröffnete, weil sie die Rundfunkgebühren im Rahmen des Wettbewerbsrechts als illegale Beihilfe deklarierte (vergl. Hasse 2005, S.118-125). Nach längeren Auseinandersetzungen wurde die Finanzierung jedoch 1998 durch einen Zusatzartikel genehmigt und wird seither als erlaubte Beihilfe im Bereich der Kulturförderung angesehen (vergl. Eckhardt 1998, S.55). Im Jahr 2006 eröffnete die EU allerdings ein weiteres Beihilfeverfahren für den Bereich Telemedien. Als Konsequenz daraus mussten die Bundesländer den Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konkretisieren, was in den jüngsten Novellen des Rundfunkänderungsstaatsvertrags geschah und eine der Ursachen für die Einführung des Drei-Stufen-Tests für Onlineangebote war.
Das Rundfunkrecht und die Rundfunkregulierung haben durch die Europäische Union eine neue Dimension erhalten, mit einer weiteren unabwägbaren Tendenz. Denn der Europäische Gerichtshof als oberste juristische Instanz wäre sogar in der Lage, die Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts zu revidieren. Bisher zeigt die Rechtssprechung des EuGH allerdings, dass pluralistische Rundfunksysteme als zulässig gelten und der Dienstleistungs- und Wirtschaftsbezug nicht zwingend ist, solange ein Allgemeininteresse für Rundfunk existiert (vergl. Eckhardt 1998, S.44-47).
In der Regulierung des Rundfunks in Deutschland spielt das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Rolle. Dreizehn so genannte Rundfunkurteile (auch wenn drei dieser Urteile lediglich Beschlüsse sind) wurden bis heute gesprochen. Bei einer Untersuchung der wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte deutscher Medienpolitik waren unter den ersten 13 genannten Meilensteinen vier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen sieben einzelne Urteile zusammengefasst wurden (vergl. Opitz, Pohle, Voewe 2008, S.70). Darin zeigt sich die enorme Relevanz der Urteile für grundsätzliche Fragen der Medienordnung. Die drei ersten Urteile sorgten für eine konkrete Ausgestaltung der verfassungsrechtlich geforderten Rundfunkfreiheit, zwei von ihnen beziehen sich sogar konkret auf die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Im Folgenden sollen die für diese Untersuchung relevanten Urteile kurz zusammengefasst werden.
Das erste Rundfunkurteil (BVerfGE 12/205 vom 28.02.1961) wird auch als „Fernsehurteil“ bezeichnet und gilt als „magna charta des Rundfunkrechts“ (von Sell 1982, S.15). Zudem legte es auch die Grundlagen zur Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in seiner heute bekannten (und weiterhin umstrittenen) Form. Die vom damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer als Staatssender geplante „Deutschland-Fernsehen- GmbH“ erklärte das Gericht für verfassungsfeindlich, denn „Art. 5 GG schließt aus, dass der Staat eine Anstalt oder Gesellschaft beherrscht, die Rundfunksendungen veranstaltet“ (zit. n. Bausch 1980, S.433). Das Vorhaben verstoße „sowohl gegen die grundgesetzliche Abgrenzung der Verwaltungsbefugnisse von Bund und Ländern als auch gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten und schließlich gegen die durch Art. 5 GG gewährleistete Rundfunkfreiheit.“ Rundfunk müsse so organisiert sein, dass alle gesellschaftlichen Kräfte Einfluss hätten und zu Wort kämen (vergl. Schreier 2001, S.87): „Der Rundfunk ist nicht nur Medium, sondern auch Faktor der öffentlichen Meinungsbildung. Für ihn ist die institutionelle Freiheit nicht weniger wichtig als für die Presse.“ (zit. n. Bausch 1980, S.436) Im Konflikt zwischen Bund und Ländern um die Rundfunkhoheit gilt das Urteil als Zensus (vergl. Brautmeier 1998, S.15-17), da das Gericht die Gesetzgebungskompetenz eindeutig in die Hände der Länder legte. Auch die 15 Organisationsform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks definierte das Bundesverfassungsgericht genauer: „Eines der diesem Zweck dienlichen Mittel ist die Errichtung juristischer Personen öffentlichen Rechts, die staatlichem Einfluss im wesentlichen entzogen sind und deren Organe in angemessenem Verhältnis aus Repräsentanten aller bedeutsamen politischen, weltanschaulichen oder gesellschaftlichen Gruppen zusammengesetzt sind.“ (zit. n. Bausch 1980, S.436)
Das zweite Rundfunkurteil (BVerfGE 31/314 vom 27.07.1971) klärte vordergründig die Umsatzsteuerpflicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Diese wurde verneint, da die Tätigkeit des Rundfunks nicht beruflicher oder gewerblicher Art sei (vergl. ebd., S.441). Das Gericht definierte den Rundfunk außerdem als „Sache der Allgemeinheit“ mit Integrationsfunktion (vergl. Eckhardt 1998, S.77). Es bezeichnete ihn als „eminenten Faktor“ der öffentlichen Meinungsbildung, eine Beurteilung die zehn Jahre später im dritten Rundfunkurteil nochmals deutlich bestätigt wurde (vergl. von Sell 1982, S.15). Besonders interessant an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist die knappe Mehrheit, mit der das Urteil entschieden wurde. Die unterlegenen Richter veröffentlichten ihre abweichende Meinung separat und erläuterten darin noch deutlicher die verfassungsrechtliche Besonderheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „der nach seiner Organisationsform die Gewähr dafür bietet, dass die gesellschaftlichen Gruppen in ausgewogenem Verhältnis an der Darbietung von Rundfunk- und Fernsehveranstaltungen teilnehmen.“ (zit. n. Bausch 1980, S.442)
Im dritten Rundfunkurteil (BVerfGE 57/295 vom 16.06.1981) wurde die Zulässigkeit des privaten Rundfunks positiv entschieden. Das Urteil ebnete damit dem dualen Rundfunksystem den Weg. Es definierte, dass der Rundfunk dem Grundrecht der Meinungsfreiheit diene und ein „freies Spiel der Marktkräfte nicht möglich“ (Eckhardt 1998, S.77) sei. Demnach ist der private Rundfunk strukturell nicht in der Lage, die verfassungsrechtlichen Anforderungen zu erfüllen. Deshalb gilt bis heute, dass die Existenz des Privatrundfunks nur durch die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks legitimierbar ist (vergl. Hasse 2005, S.40), was in aktuellen Diskussionen häufig übersehen wird.
Das vierte (BVerfGE 73/118 vom 04.11.1986) und fünfte Rundfunkurteil (BVerfGE 74/297 vom 24.03.1987) führten im Rahmen der Etablierung des privaten Rundfunks den Begriff der „Grundversorgung“ als zentrale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Der Begriff ist dabei untrennbar mit dem dualen Rundfunksystem verbunden, da er die Aufgaben und Befugnisse seiner öffentlich-rechtlichen Säule beschreibt. Später wird aus dem Begriff der Grundversorgung auch die bis heute bedeutsame Bestands- und Entwicklungsgarantie abgeleitet (vergl. Dörr 1997, S.19-20). Grundversorgung bezieht sich dabei auf drei grundlegende Elemente: Die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung auf technischer Seite, den umfassenden und vielfaltssichernden Inhalt auf programmlicher Seite sowie die Sicherung der Vielfalt durch „organisatorische und rechtliche Vorkehrungen“ (Eckhardt 1998, S.16) auf rechtlicher Seite. Letzteres ist vor allem für die Rundfunkgremien bedeutsam. Der Grundversorgungsbegriff selbst darf allerdings nicht mit der Mindestversorgung verwechselt werden. Denn auch hier gilt: Die Grundversorgung legitimiert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und ist damit auch Existenzberechtigung der privaten Medien.5
Das sechste Rundfunkurteil (BVerfGE 83/238 vom 05.01.1991) sprach dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk die bereits erwähnte umfassende Bestands- und Entwicklungsgarantie zu und erlaubte zusätzlich die Mischfinanzierung aus Gebühren- und Werbeeinnahmen (vergl. Müller-Ruster 2007, S.13-15). Das Urteil ist bis heute für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedeutsam, vor allem im Online-Bereich. Das siebte Rundfunkurteil (BVerfGE 87/153 vom 06.10.1992) definierte eine Finanzierungsgarantie durch Gebühren als Teil der Rundfunkfreiheit. Die Finanzierung darf deshalb die Programmautonomie nicht gefährden, der angemessene Umfang richtet sich nach dem Grundversorgungsauftrag. Die Zulässigkeit der Mischfinanzierung wurde außerdem nochmals bestätigt, die Gebührenfinanzierung sei jedoch „die dem öffentlich- rechtlichen Rundfunk gemäße Art der Finanzierung.“ (zit. n. Hasse 2005, S.43) Auch das achte Rundfunkurteil (BVerfGE 90/60 vom 22.02.1994) beschäftigte sich mit der Finanzierung und verlangte eine Neuregelung des Gebührenfestlegungsprozesses, da dem vorherigen Verfahren die Staatsferne fehle. Die zuständige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) war vorher mehrheitlich von den Staatskanzleien der Länder besetzt worden (vergl. Knothe 2000, S.24). Das Bundesverfassungsgericht installierte hier das in Punkt 3.2.2 beschriebene, bis heute gültige Verfahren. Zudem betonte das Gericht, dass die Willensbildung in einer Demokratie immer von unten nach oben, also vom Volk zum Staat verlaufe und es dem Staat deshalb prinzipiell verwehrt sein müsse, sich am Prozess der Willensbildung zu beteiligen (vergl. Schreier 2001, S.156).
Im zwölften Rundfunkurteil (BVerfGE 2270/05 vom 11.09.2007) ging es abermals um die Rundfunkgebühren. Die ARD-Anstalten, das ZDF und das Deutschlandradio hatten gegen die Gebührenfestsetzung der Ministerpräsidenten geklagt, die geringer ausfallen sollte als von der KEF vorgeschlagen. Das Gericht gab den Klägern Recht und verbot die Gebührenfestsetzung aus politischen Gründen. Wegen des vielfaltverengenden Marktes müsse eine funktionsgerechte Finanzierung gesichert sein, die auch Entwicklungsmöglichkeiten im digitalen Bereich beinhalte (vergl. Radeck 2007, S.17-19). Um die Vielfalt zu sichern müsse der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dynamisch ausgelegt werden (vergl. Marmor 2008, S.83).6 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich das Bundesverfassungsgericht in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland als Verteidiger der Grundsätze von Staatsfreiheit und Meinungsvielfalt etabliert hat. Auch die für diese Arbeit unter anderem relevante Zusammensetzung der Rundfunkgremien hat es näher definiert. Die Gremienmitglieder bezeichnet das Gericht dabei als „Sachverwalter der Allgemeinheit“ (zit. n. Schreier 2001, S.202-203). Eine Verfassungswidrigkeit liegt zumindest bei der Zusammensetzung der Rundfunk- oder Fernsehräte dann vor, wenn ein beherrschender Einfluss von Staatsvertretern erkennbar ist. Eine nähere Definition, ab wann ein solcher Einfluss als beherrschend anzusehen ist und welche Besetzungsquoten dies hervorrufen kann, wurde bislang nicht gegeben (vergl. Schulz 2004, S.53). In Anbetracht der Causa Brender/Koch könnte jedoch genau das Gegenstand des vierzehnten Rundfunkurteils werden.
Es war niemand geringerer als Hans Bredow, der den Begriff des Rundfunkrats (beim ZDF entsprechend: Fernsehrat) prägte. In einer Denkschrift schlug er dem Hessischen Rundfunk eine Aufteilung der Aufsicht zwischen einem Verwaltungsrat für die wirtschaftliche und einem Rundfunkrat für die inhaltliche Kontrolle vor (vergl. Kleinsteuber 2007, S.54). Weil das Programm für das Wesen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtiger ist als seine Verwaltung, ist ein solcher Rundfunkrat das höchste Gremium einer Rundfunkanstalt (vergl. Verheugen 1995, S.11). Die ARD erklärt, „die Einhaltung des Programmauftrags überwacht bei den Rundfunkanstalten ein eigener Rundfunkrat.“ (Pressestellen der ARD 2008) Auch Ricker nennt das Gremium „das entscheidende Organ der Rundfunkanstalt im Sinne eines ‚Anstaltparlaments’“ (Ricker 1987, S.10). Eine direkte Verbindung des Rundfunkrats mit dem Finanzierungsmodell sieht der Medienpolitiker Marc Jan Eumann: „Die Gebührenfinanzierung bedeutet ein großes Privileg. Aber untrennbar mit diesem Privileg ist das Organ Rundfunkrat verbunden.“ (Eumann 2003, S.113) In seiner Konstruktion entspricht der Rundfunkrat Ansätzen der Pluralismustheorie, in der ein „Zusammenwirken von Vertretern aus unterschiedlichen Gesellschaftssegmenten zu tragfähigen Entscheidungen führt.“ (Kleinsteuber 2007, S.55) Die Veränderung seiner Zusammensetzung bedarf in der Regel eines großen legislativen Aufwands, weshalb die Gremien eine tendenziell starre Zusammensetzung haben (vergl. Stock 2004, S.146). Die Ausprägungen der Gremien differenzieren in den verschiedenen Rundfunkgesetzen dabei teilweise erheblich, dies hat vor allem mit dem unterschiedlichen Ursprung nach alliiertem oder deutschem Modell zu tun (vergl. Bausch 1980, S.778). Aus Sicht der Gesellschaft hängt die Position eines Rundfunkrats vor allem von der grundsätzlichen Wahrnehmung des Gremiums als anstaltsinternes oder eigenständiges Organ ab. Zu große Nähe zur Anstalt verursacht beispielsweise Loyalitätsdruck, da das Gremium dann mitverantwortlich für die Außendarstellung eines Senders ist (vergl. Schulz 2003, S.318-319). Dieter Weirich, ehemaliger Intendant der Deutschen Welle und Fernsehrat beim ZDF beklagt deshalb: „Meine Erfahrung ist, dass die höchste Corporate Identity in einem Sender die Rundfunk- und Fernsehräte und die Pförtner haben,… .“ (Weirich 2003, S.63). Entsprechend der vorhandenen Programme nennt sich der Rundfunkrat beim ZDF, wie bereits erwähnt, Fernsehrat und beim Deutschlandradio Hörfunkrat.
Eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Unabhängigkeit eines Aufsichtsgremiums spielt die Zusammensetzung. Die Regelungen variieren dabei schon in der bloßen Anzahl der Rundfunkratsmitglieder erheblich. Der Rundfunkrat von Radio Bremen kommt als kleinstes Gremium beispielsweise auf 26 Mitglieder, der ZDF Fernsehrat als größtes Gremium aber auf stolze 77 Mitglieder. Als Ideal gilt ein Rundfunkrat in der Theorie, wenn er groß genug ist um die gebotene Vielfalt abzubilden und klein genug um effektiv arbeiten zu können. Einseitige Aussagen wie „je größer der Rat, desto harmloser die Aufsicht“ (ebd., S.64) sind also nicht per se zutreffend. In der wissenschaftlichen Literatur liegt die als optimal angesehene Gremiengröße zwischen 35 und 45 Mitgliedern (vergl. Grothe et al 2002, S.23). Rundfunkräte konstituieren sich periodisch neu, zwischen vier und sechs Jahren dauert eine Legislaturperiode je nach Sender, die Mitglieder wirken immer ehrenamtlich (vergl. Schreier 2001, S.64-65).
Bei der ARD wird der Rundfunkrat wie folgt charakterisiert: „In ihm sitzen Abgesandte der wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen. Sie vertreten die Interessen der Allgemeinheit, 19 also aller Hörer und Zuschauer, ja aller Bürger.“ (Pressestellen der ARD 2008). Die Besetzung der Gremien findet also mehrheitlich durch Mitglieder aus dem gesellschaftlichen Bereich, in der Minderheit aber auch durch Zugehörige des staatlichen Bereiches statt. Die Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen und staatlichen Mitgliedern ist dabei die Krux (vergl. Schulz 2004, S.52). Zudem ist der Begriff der „relevanten“ oder „wichtigsten“ Gruppen sehr unkonkret, was den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers und damit die politische Einflussnahme ungemein erhöht (vergl. Verheugen 1995, S.14-15).
Gremien mit einem großen Anteil gesellschaftlicher Mitglieder bezeichnet man generell als pluralistisches oder ständisches Gremium, jene mit einem großem Anteil von staatlichen Mitgliedern wird staatliches oder politisches Gremium genannt (vergl. Schreier 2001, S.65). Martin Stock definiert sogar eine Dreiteilung der Gremien: Er unterscheidet eine „Staatsbank“, eine „Verbändebank“ und eine „Kulturbank“ (vergl. Stock 2003, S.64-65). In der vom Nachrichtendienst epd angestoßenen Gremiendebatte sagt Hörnberg, die Gremien würden von „Institutionen und Organisationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Religion, Erziehung, Wissenschaft, Familie, Jugend, Sport sowie Natur- und Umweltschutz“ (Hörnberg 2008, S.20) besetzt.
Aber nach welchen allgemeingültigen Kriterien kann nun eine Unterscheidung getroffen werden? Im gesellschaftlichen Bereich werden die Mitglieder durch Gruppen oder Institutionen des gesellschaftlichen Bereichs benannt, was in der Regel ohne staatlichen Einfluss erfolgt. Die Auswahl dieser Gruppen erfolgt allerdings direkt durch den Gesetzgeber, entweder per direkter Nennung oder durch die Etablierung allgemeiner Maßstäbe (vergl. Schreier 2001, S.65). Nach Verheugen entstammen diese gesellschaftlichen Gruppen den Kategorien „Wirtschafts- und Sozialbereich, religiöses Leben, Wissenschaft/Bildung/Kunst und den Lebensbereichen von Frauen, Jugend, Sport, Umwelt, Vertriebenen etc“ (Verheugen 1995, S.14).
Die Vertreter des staatlichen Bereichs kommen nach Verheugens Definition aus den Kategorien „Regierung, Parlament, Kommunalbereich und Parteien“ (ebd., S.15). Die Zuteilung der Parteien zur staatlichen Sphäre ist allerdings umstritten, da Parteien als Akteure in der Meinungs- und Willensbildung auch Teil der Gesellschaft sind, gleichzeitig aber natürlich auch direkten Einfluss auf den Staatswillen haben. Das Bundesverfassungsgericht und weite Teile der einschlägigen Literatur sehen Parteien deshalb auch zur staatlichen Sphäre zugehörig (vergl. Held, Sankol 2002, S.10-11). Zusätzlich stellt sich aber auch die Frage, wie es mit gesellschaftlichen Vertretern aussieht, die Parteimitglieder sind und deshalb von selbst zu Fraktionierung neigen. Ein staatsfernes Gremium verlangt also zumindest nach der Nicht-Existenz einer Mehrheit aus staatlichen Vertretern und Parteienvertretern. Die Parteien sind deshalb bei der Gremienbesetzung gesellschaftlichen Gruppen auch untergeordnet (vergl. Verheugen 1995, S.16). Held/Sankol setzten sich 2002 intensiv mit der Unterscheidungsproblematik zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Vertretern auseinander. Für die Autoren zählen zunächst Vertreter von Legislative und Exekutive sowie Parteienvertreter ohne Zweifel zur staatlichen Sphäre (vergl. Held, Sankol 2002, S.9-12). Institutionen wie Berufskammern und Rechnungshöfe sowie die Sozialpartner (Arbeitnehmer ebenso wie Gewerkschaften) und die Vertreter von Gemeinden und Gemeindeverbänden verstärken ebenfalls den staatlichen Einfluss. Unsicher sind sich die Autoren allerdings bei anderen Kammern und den Hochschulen. Kirchen, Landesmedienanstalten, der Bildungsbereich und vor allem die Judikative gelten hingegen als nicht-staatlich (vergl. ebd., S.32-33). Am Ende kommen Held/Sankol für die Gremienbesetzung auf vier Kategorien politischen Potentials: Staatliche Institutionen, mittelbar staatliche Institutionen, Organisationen die für letztere arbeiten und die Parteien selbst (vergl. Grothe et al 2002, S.24). Eine besondere Problematik verursacht schließlich die Tendenz von SPD und CDU, innerhalb der Gremien so genannte fraktionsähnliche „Freundeskreise“ zu bilden, in denen Themen bereits im Vorfeld diskutiert und möglicherweise auch entschieden werden (vergl. Mai 2008). Bei der Causa Brender/Koch standen auch diese Freundeskreise im Fokus der Kritik.
1972 gehörten stolze 35 % aller Gremienmitglieder direkt der Exekutive an (vergl. Bausch 1980, S.781), im Fernsehrat des ZDF sind es heute immer noch mehr als 30 % (vergl. (o.A.) 2008). Vor allem Vertreter aus dem direkten Regierungsbereich gelten als besonders fragwürdige Gremienmitglieder, was angesichts der vorgeschriebenen Rundfunkfreiheit nur logisch erscheint. Ihre Zahl ist deswegen in der Regel auch sehr gering oder sogar gar nicht existent (die Zusammensetzung der ZDF-Gremien wird in diesem Zusammenhang unter 4.1 noch genauer beleuchtet). Man darf allerdings nicht außer acht lassen, dass auch Vertreter aus dem Parlaments- oder Kommunalbereich der staatlichen Sphäre angehören. Beim Bayerischen Rundfunk gibt es sogar rechtliche Vorschriften über die maximal zulässige Anzahl an staatlichen Vertretern im Rundfunkrat: Maximal 1/3 der Mitglieder dürfen es sein. Der Tenor der Literatur besagt, dass die Anzahl staatlicher Vertreter zumindest deutlich unter der absoluten Mehrheit liegen muss (vergl. Verheugen 1995, S.14-15 und Held, Sankol 2002, S.15).
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Unabhängigkeit der Gremienmitglieder sind aber auch die Abberufungsmodalitäten. So können staatliche Vertreter in der Regel jederzeit abberufen werden und sind deshalb äußerst abhängig von der entsendenden (und abberufenden) Institution. Gesellschaftliche Vertreter sind hingegen meist nur dann abrufbar, wenn sie die jeweilige Verbandszugehörigkeit verlieren, was die Vertreter wesentlich unabhängiger gegenüber ihren Entsendern macht und auch der anschließend erläuterten Funktion der Rundfunkräte besser entspricht (vergl. Hömberg 2003, S.84). Wie bereits angesprochen birgt aber auch die bloße Festlegung der entsendeberechtigten Gruppen und vor allem eine direkte Benennung oder sogar entsprechende personale Auswahl durch den Gesetzgeber die Gefahr staatlichen Einflusses (vergl. Verheugen 1995, S.14).
Ebenso wie die Zusammensetzung sind auch die Funktionen und Kompetenzen des Rundfunkrats verschieden. Grundsätzlich vertritt das Gremium die Interessen der Allgemeinheit oder ist sogar direkt die Vertretung der Allgemeinheit (vergl. Schreier 2001, S.66). Der Rundfunkrat gilt als Plattform für die Meinungen gesellschaftlicher Gruppen, allerdings in einem sehr weiten Sinn, wodurch er mehr ist als nur Sprachrohr der Gruppen. Er muss dafür sorgen, dass gemäß der verfassungsrechtlichen Vielfaltsvorschrift alle Gruppen mit publizistischer oder organisatorischer Relevanz zu Wort kommen (vergl. ebd., S.87-90). Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine repräsentative Vertretung der Gesellschaft, da es dafür eines individuellen Grundrechts auf Rundfunkfreiheit bedürfen würde, das so nicht existiert. Entsprechend muss der Rundfunkrat nicht repräsentativ besetzt sein (vergl. ebd., S.112-114): „Die gesellschaftlich relevanten Gruppen werden vielmehr in einem vom Gesetzgeber erdachten Vielfaltssicherungskonzept für die Gewährleistung der Zugangsoffenheit des Programms instrumentalisiert und funktionalisiert“ (ebd., S.383). Gremienmitglieder sind zwar von bestimmten Gruppen entsandt, aber Kraft ihrer Funktion nicht deren exklusive Vertreter (vergl. Schulz 2004, S.50). Minderheiten kommen allerdings trotzdem schwerer zu Wort, da grundsätzlich Mehrheitsentscheidungen getroffen werden. Das hier vorliegende Integrationsproblem soll deshalb auch nicht der Rundfunkrat, sondern der Intendant lösen (vergl. Schreier 2001, S.114-115). Das Bundesverfassungsgericht sieht die Rolle der Rundfunkratsmitglieder als „instrumentalisiertes Personalreservoir“, das zwar eigentlich seine individuellen Gruppeninteressen vertreten müsse, dies aber nicht kann und sich deshalb von seiner entsendenden Gruppe emanzipiere. Aus Delegierten würden dann die bereits erwähnten „Sachverwalter der Allgemeinheit“ (vergl. Schreier 2001, S.202-203). Das meint auch Dagmar Reim, Intendantin des RBB, wenn sie sagt: „Jeder Rundfunkrat hat zwar im Wortsinn einen Ab-Sender, er ist jedoch Treuhänder der Allgemeinheit“ (Reim 2003, S.41).
Allgemeine Aufgabe des Rundunkrats ist es, dafür zu sorgen, dass der Prozess der Meinungsbildung offen ist und bleibt. Außerdem kontrolliert er andere Organe, insbesondere den Intendanten, und beaufsichtigt die Umsetzung des Programmauftrags und anderer Vorgaben (vergl. Schulz 2004, S.50-51). Schreier definiert, es sei „Sache der Rundfunkräte, darauf hinzuwirken, dass bei der Herstellung des Integrationsproduktes tatsächlich die Vielfalt der in der Gesellschaft bestehenden Tendenzen Eingang findet, und es später daraufhin zu kontrollieren, ob diese Vielfalt tatsächlich im Gesamtprogramm zum Ausdruck kommt“ (Schreier 2001, S.115).
Schreier und Verheugen teilen die Aufgaben des Rundfunkrats in zwei Bereiche auf: den unmittelbaren und mittelbaren Programmbereich. Zu ersterem, also zu den programmbezogenen Aufgaben gehören die Programmherstellung durch Beratung des Intendanten, durch Erlass von Richtlinien für die Programmgestaltung und durch Kompetenzen im Bereich Werbung und Jugendschutz (vergl. ebd., S.115). Bei der Programmüberwachung (niemals: Zensur) gehören Beratungs- und Kontrollrechte gegenüber dem Intendanten auf Basis der gesetzlich vorgeschriebenen Programmgrundsätze und -richtlinien dazu, wobei zu erwähnen ist, dass der Rundfunkrat gegenüber dem Intendanten keine Weisungsbefugnis besitzt, da der Intendant ihm nicht untergeordnet ist; außerdem die Richtlinienkompetenz für generelle und abstrakte Richtlinien (allerdings keine Fallkompetenz) und Informationsrechte sowie die Beteiligung an der Bearbeitung von Programmbeschwerden (vergl. Verheugen 1995, S.18).
Die wesentlichen Aufgaben im mittelbaren Programmbereich sind die Kreations- und Personalkompetenz bei der Wahl des Verwaltungsrats (dies ist beim Deutschlandradio nicht so) und des Intendanten, mit jedoch teilweise sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen (vergl. ebd., S.18-19). Die Kompetenz zur Entlassung des Intendanten und der Verwaltungsräte ist jedoch wiederum allen Rundfunkräten gleich. Einige Gremien haben zudem ein Mitspracherecht bei der Vergabe von leitenden Positionen (vergl. Schreier 2001, S.68-70), Verheugen warnt hier: „Personalpolitik ist oft antizipierte Programmpolitik“ (Verheugen 1995, S.17). Zusätzlich existieren verschieden ausgeprägte Kompetenzen, wie die Erfüllung staatsvertraglicher Aufgaben, die Gesamthaltung der jeweiligen Anstalt zu prüfen, oder die Zustimmung zu allen (finanziellen) Maßnahmen von grundsätzlicher Bedeutung (vergl. Schreier 2001, S.69-70). Rundfunkräte besitzen meist auch Satzungskompetenz und haushaltliche Zuständigkeiten, doch auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Anstalten. Als Teil der anstaltsinternen Finanzkontrolle sind Rundfunkräte auch für die Genehmigung des Haushaltes und des Jahresabschlusses zuständig, auch wenn sie hier keine „mitlaufende Kontrolltätigkeit“ (Lehment 1996, S.48) ausüben.
Andere Autoren teilen die Aufgaben etwas anders ein. So unterscheidet Ricker zwischen Beratungsbefugnissen (gegenüber dem Intendanten), Überwachungsbefugnissen (gegenüber der Anstalt und insbesondere der Programmgestaltung) und Programmgestaltungsbefugnissem (damit meint er das binnenpluralistische Modell) (vergl. Ricker 1987, S.14-17). Schulz hingegen sieht zwei Dimensionen der Gremienarbeit: Eine Aufsichtsdimension und eine Gestaltungsdimension (vergl. Schulz 2004, S.54-60); Starck differenziert wiederum zwischen drei Kompetenzgruppen: Dem direkten Einfluss auf das Programm durch Richtlinien, Beratung und Überwachung, dem indirekten Einfluss durch Personalentscheidungen und dem indirekten Einfluss durch Finanzentscheidungen (vergl. Starck 1973, S.23-24).
Weirich sieht in der Praxis der Gremienarbeit schließlich fünf wesentliche Probleme: Die Besetzung der Posten durch physisch und psychisch überlastetete Spitzenfunktionäre, die bereits erwähnte mangelnde Distanz der Räte zu ihren Sendern, die Fraktionierung der gesellschaftlichen Vertreter, die teilweise unnötige Größe der Gremien und die Festlegung der relevanten gesellschaftlichen Gruppen durch den Gesetzgeber (vergl. Weirich 2003, S.62-64).
Eine besondere, weil entscheidende Rolle bei dem der Arbeit zugrunde liegenden Fall spielt der Verwaltungsrat des ZDF. Die Verwaltungsräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten setzen sich aus sechs bis fünfzehn Mitgliedern zusammen, die aus drei Bereichen stammen: dem staatlichen Bereich, dem Rundfunkrat und dem Senderpersonal. Zwischen den einzelnen Anstalten existieren dabei abermals unterschiedliche Zusammensetzungsmodelle, bis hin zu einem vollständig aus Rundfunkratsmitgliedern zusammengesetzten Verwaltungsrat. Obwohl 1972 noch 55 % der Verwaltungsratsmitglieder der Exekutive angehörten, haben heute (mit Ausnahme des Deutschlandradios, das einen Sonderstatus als Körperschaft besitzt, deren Mitglieder die Rundfunkanstalten der ARD und das ZDF sind) die Rundfunkratsmitglieder in allen Verwaltungsräten zumindest die Mehrheit.
Als „Kontrolle des Wirtschaftsgebarens“ (Pressestellen der ARD 2008) beschreibt die ARD die Hauptaufgabe des Verwaltungsrats. Nach Lehment sorgt das Gremium für die „primäre horizontale Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Intendanten“ (Lehment 1996, S.46). Es handelt sich also in erster Linie um ein Kontrollorgan, das für die Überwachung der Geschäftsführung des Intendanten zuständig ist und damit eigentlich keinen Programmbezug hat (vergl. Schreier 2001, S.76). Eine wesentliche Aufgabe ist auch die Feststellung des Haushalts (vergl. Eckhardt 1998, S. 13), wozu auch externer Sachverstand herangezogen wird. Doch auch bei den Verwaltungsräten gibt es anstaltsspezifische Unterschiede: Einige Verwaltungsräte haben ein Vorschlagsrecht bei der Wahl des Intendanten und anderen Leitungspositionen und dadurch immerhin mittelbaren Einfluss auf das Programm (vergl. ebd.), viele haben zudem auch ein Zustimmungsrecht bei „wichtigen“ Geschäften (vergl. Verheugen 1995, S.20). Der Verwaltungsrat des Deutschlandradios verfügt außerdem über die sonst eher bei den Rundfunkräten angesiedelte Kompetenz zur Satzungsgebung (vergl. Schreier 2001, S.77). Die spezifischen Aufgaben und genaue Zusammensetzung des ZDF-Verwaltungsrats werden in Kapitel 4.1 noch näher beleuchtet.
Der Intendant fungiert als Leiter der Rundfunkanstalt. Er wird in der Regel durch den Rundfunkrat auf Basis der dort geltenden Bestimmungen (beispielsweise auf Vorschlag des Verwaltungsrats oder auch zusammen mit diesem) gewählt. Intendanten erhalten einen Arbeitsvertrag auf privatrechtlicher Basis, der vom Verwaltungsrat unterzeichnet wird und normalerweise zwischen vier und sechs Jahren gültig ist. Rundfunk- oder Verwaltungsrat können den Vertrag, begründet je nach den jeweiligen Bestimmungen, auch wieder beenden. Gründe können beispielsweise ein vom Intendant verschuldeter „wichtiger Grund“, eine grobe Pflichtverletzung oder auch der Missbrauch des Rundfunks zur Verletzung von Grundrechten oder demokratischen Freiheiten sein. Einen Sonderfall gibt es bei Radio Bremen, wo der Intendant traditionell Mitglied eines mehrköpfigen Gremiums ist, das ihn ursprünglich einmal ersetzen sollte (vergl. ebd., S.71-75).
Aufgabe des Intendanten ist es, die Anstalt zu führen. Er ist außerdem gesetzlicher Vertreter seines Senders und meistens für Programmgestaltung und -betrieb sowie die Gesetzeskonformität der Programme verantwortlich. Der Intendant stellt den Haushaltsund Jahresabschluss auf, wobei er ein nach Volumen und Art der Geschäfte variierendes Zustimmungsbedürfnis der Gremien hat (vergl. ebd., S.74-75). Außerdem ist er für die fortlaufende Kontrolle der Haushaltsführung zuständig, wobei er hier in der Regel mit Hilfe einer Innenrevision arbeitet (vergl. Lehment 1996, S.41-45).
Die genaue Trennung der Kompetenzen zwischen Rundfunkrat und Intendant bei der Programmkontrolle und -gestaltung ist Gegenstand einer langen Debatte. Ein grundsätzliches Problem dabei ist, dass für den Rundfunkrat eine tägliche Gestaltung als nicht ständig anwesende Institution nicht möglich ist und er nur an exemplarische Fälle gestalten kann. Auch das Bundesverfassungsgericht hat hier noch keine eindeutige Rechtsprechung liefern können (vergl. Schreier 2001, S.77-80).
Einen komplizierten Fall in der Aufsichtsstruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stellt die Rechtsaufsicht dar. In der Regel haben die Bundesländer eine Staatsaufsicht als Rechtsaufsicht über die jeweilige Landesrundfunkanstalt (vergl. Gotzmann 2003, S.100). Durch die Historie der Rundfunkgesetze gibt es aber auch hier unterschiedliche Regelungen (vergl. Frye 2001, S.30): So ist die Rechtsaufsicht bei Radio Bremen und dem Bayerischen Rundfunk nur teilweise geregelt, beim Hessischen Rundfunk ist sie per Gesetz überhaupt nicht möglich (vergl. ebd., S.25-26). Die Staatsaufsicht ist Sache der Landesregierung, bei Mehrländeranstalten gibt es einen turnusmäßigen Wechsel der Aufsicht. Generell besitzt die Rechtsaufsicht die Möglichkeit, eine Anstalt auf einen Sachverhalt hinzuweisen oder zu mahnen; Weisungen in Programmfragen sind dabei allerdings absolut unzulässig (vergl. Donges et al 2003, S.95).
Bei der praktikablen Umsetzung der Aufsicht kommt es notwendigerweise zu einer besonderen Definition, die sich vom allgemeinen Verständnis von Kontrolle unterscheidet (vergl. Frye 2001, S.34). Dort gibt es nämlich eine Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion sowie das so genannte Subordinationsverhältnis, bei dem das Aufsichtssubjekt (also die Landesregierungen) zwangsläufig über dem Aufsichtsobjekt (nämlich dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk) steht. Eine solche Unterordnung ist angesichts des Grundrechts auf Rundfunkfreiheit allerdings mehr als fragwürdig. Dementsprechend ist die Rechtsaufsicht ungenügend präzisiert und kann letztlich sogar nur beschränkt arbeiten (vergl. ebd., S.72), weil die Ausprägungen hier letztlich die Befugnisse bestimmen (vergl. ebd., S.35-36). Ein gemeinsamer Nenner der Rechtsaufsicht ist aber zumindest die Aufsicht über die Einhaltung der jeweiligen Vorgaben aus den Rundfunkgesetzen und -staatsverträgen, bezogen auf rundfunkrechtliche Maßstabsnormen (vergl. ebd., S.126).
Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) existiert in ihrer aktuellen Form erst seit dem 8. Rundfunkurteil des Bundsverfassungsgerichts. In diesem beurteilte das Gericht die vorherige Organisation der KEF als zu staatsnah und schrieb deshalb den Aufbau eines Sachverständigengremiums vor (vergl. Eckhardt 1998, S.30). Seitdem setzt sich die KEF aus 16 Mitgliedern zusammen: fünf Vertretern der Landesrechnungshöfe sowie elf unabhängige Sachverständige. Drei der Sachverständigen kommen aus dem Bereich Betriebswirtschaft für Personalfragen, zwei sind Rundfunkrechtler und zum Richteramt befähigt, drei kommen aus den Bereichen Medienwirtschaft und -wissenschaft und einer aus dem Bereich Rundfunktechnik. Die Experten werden direkt von den Ministerpräsidenten benannt (vergl. Knothe 2000, S.54-55), was tendenziell weiterhin nicht mit dem Staatsfernegebot vereinbar sein dürfte (vergl. ebd., S.177).
Zur Festsetzung der Gebühren wendet die KEF ein dreistufiges Verfahren an. Als erstes melden die Rundfunkanstalten ihren Finanzbedarf an, dieser wird dann von der KEF geprüft und in einen Vorschlag für die Ministerpräsidenten umgesetzt. Auf Basis dieses Vorschlags beschließen die Ministerpräsidenten dann die Rundfunkgebühren und legen sie den Landesparlamenten als Gesetz zur Zustimmung vor (vergl. Knothe 2000, S.24-25). Die Kriterien der KEF bei der Überprüfung der Bedarfsanmeldung sind dabei die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie die Kontrolle, ob das geplante Programm den rechtlichen Vorgaben entspricht (vergl. ebd., S.41). Schwierig ist es für die KEF hier, dass selbst „wenn eine bestimmte Programmentscheidung unwirtschaftlich zu sein scheint, … im Zweifel die Programmautonomie Vorrang [hat], es sei denn, die Unwirtschaftlichkeit ist evident“ (Chen 2003, S.40). Das zwölfte Rundfunkurteil von 2007 stärkte zusätzlich die Rolle der KEF gegenüber den Ministerpräsidenten, da diese den Gebührenvorschlag seitdem aus politischen Gründen nicht mehr ablehnen dürfen (vergl. Marmor 2004, S.84).
Auch bei der Bedarfsermittlung durch die KEF steht also der Vorwurf der mangelnden Staatsferne im Raum, zudem gibt es Zweifel an der Nachvollziehbarkeit der Bedarfsberechnungen, unter anderem wegen unterschiedlicher Erhebungsmethoden der einzelnen Anstalten. Ein weiteres Problem ist die grundsätzliche Dysfunktionalität öffentlicher Haushalte (vereinfacht: wer spart, wird mit Kürzungen bestraft) sowie die benötigte Planungssicherheit der Anstalten über einen längeren Zeitraum (vergl. Eckhardt 1998, S.31-32). Ein Lösungsvorschlag ist hier die regelmäßige Anpassung der Gebühren an die Inflationsrate, da real sonst ein ständiger Gebührenrückgang droht (vergl. Frank 2008, S.7).
Ein weiterer Baustein der Aufsicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist die Finanzkontrolle durch die Landesrechnungshöfe, auch hier wieder mit sehr unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen. Die Finanzaufsicht unterscheidet grundsätzlich zwischen anstaltsautonomer und staatlicher Finanzkontrolle (vergl. Lehment 1996, S.71- 72). Eine Rechnungsprüfung erfolgt dabei nach den allgemeinen Vorschriften der Rechnungsprüfung für Anstalten öffentlichen Rechts (vergl. ebd. S.104). Entscheidend ist hier die Frage nach dem Adressaten des Berichts: Ist dies der Verwaltungsrat oder der Intendant, handelt es sich um eine anstaltsautonome Kontrolle, ist dies die Exekutive des jeweiligen Bundeslandes, handelt es sich um staatliche Finanzkontrolle. Doch selbst bei dieser Einordnung gibt es noch Abweichungen.7
Bereits die Gründung des ZDF beruht auf einem Konflikt um die Organisation des und die Verantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwischen Bund und Ländern. Ende der 50er-Jahre eröffnete die technische Entwicklung die Möglichkeit, auf neu erschlossenen Frequenzen zusätzliche Fernsehprogramme auszustrahlen (vergl. Holznagel 1999, S.28). Die Bundesregierung unter Konrad Adenauer plante daraufhin ein zweites, staatsnäheres Fernsehprogramm (vergl. Anschlag 2010), das nach Vorbild der britischen ITV (vergl. Wehmeier 1979. S.13) unter dem Namen „Freies Fernsehen-GmbH (FFG)“ privatrechtlich betrieben werden sollte. Wehmeier nennt als oberstes Ziel des Bundes die „Einflussnahme auf das Rundfunkwesen“ (ebd., S.7), zudem sollten mit den Plänen auch die Rechtsverhältnisse zwischen Bund und Ländern geklärt werden, was auch die Bundesländer unterstützten (vergl. ebd., S.7). Den Bundesländern schwebte allerdings vor, das zweite Programm von der bereits existenten ARD betreiben zu lassen (vergl. vergl.
Wehmeier 1979, S.14), weshalb es zu keiner Einigung mit dem Bund kam. Bundeskanzler Adenauer gründet daraufhin „im Alleingang“ (ebd., S.21) mit der „Deutschland- Fernsehen-GmbH“ ein zweites Fernsehprogramm.
Weil sie die Hoheitsrechte in Rundfunkfragen verletzt sahen, klagten die SPD-regierten Bundesländer gegen die Gründung (vergl. Anschlag 2010). Hamburg reichte am 19. August 1960 einen Antrag auf Überprüfung beim Bundesverfassungsgericht ein, Niedersachsen und Bremen schlossen sich der Klage an, Hessen stellte einen eigenen Antrag (vergl. Wehmeier 1979, S.21-22). Das Bundesverfassungsgericht stoppte die Vorbereitungen zur Programmaufnahme der „Deutschland-Fernsehen-GmbH“ zunächst per einstweiliger Anordnung (vergl. Anschlag 2010). Am 28. Februar urteilte es in seinem ersten Rundfunkurteil: „Der Bund hat durch die Gründung der „Deutschland-Fernsehen- GmbH“ gegen Artikel 30 in Verbindung mit dem VIII. Abschnitt des Grundgesetzes sowie gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens und gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstoßen“ (BVerfGE 12/205). Wie bereits in Kapitel 2.3 dargestellt, hatte dieses Urteil grundlegende Bedeutung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Für das so genannte „Adenauer-Fernsehen“ bedeutete es das Ende, das Gericht gab die Aufgabe der Rundfunkorganisation eindeutig in die Hände der Länder (vergl. Wehmeier 1979, S.26), der Bund verfügte lediglich im sendetechnischen Bereich über Kompetenzen (vergl. Holznagel 1999, S.29).
Nach dem Urteil mussten also die Bundesländer die Gründung eines zweiten Fernsehprogramms umsetzen. Dabei konkurrierten unterschiedliche Organisationsmodelle, zentraler Konflikt war die Organisationsfrage als ARD-Programm oder eigenständige Anstalt (vergl. Wehmeier 1979, S.26-27). Am 17. März 1961 entschieden sich die Bundesländer auf der Ministerpräsidentenkonferenz für eine neue, unabhängige Anstalt (vergl. ebd., S.29-30). Die Länder unterzeichneten den Staatsvertrag über das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) schließlich am 6. Juni 1961, es trat damit als öffentlich- rechtliche Konkurrenz zur ARD „das programmliche und politische Erbe des ‚Adenauer- Fernsehens’ an“ (vergl. Anschlag 2010). Dementsprechend gilt das ZDF bis heute als konservativer als die ARD (vergl. ebd.). Der Staatsvertrag selbst trat am 1. Dezember desselben Jahres in Kraft, am 12. März 1962 wurde Dr. Karl Holzamer erster Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens. Als Kandidat der CDU war er bereits als Leiter der FFG vorgesehen (vergl. ebd.). Mit einer Ansprache Holzamers wurde schließlich am 1. April 1963 das bundesweite Fernsehprogramm eröffnet. Auf den Intendaten Holzamer folgte 1977 Karl-Günther von Hase, der 1982 von Dieter Stolte abgelöst wurde. Seit 2002 ist Markus Schächter der Intendant des ZDF.
Das ZDF ist eines der größten TV-Unternehmen Europas (vergl. Anschlag 2010). Im Jahr 2009 überschritt der Betriebshaushalt erstmals eine Grenze von zwei Milliarden Euro (2,048 Milliarden Euro). Nach eigenen Angaben beschäftigt das ZDF über 3600 feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Neben dem Sendezentrum in Mainz und einem Hauptstadtstudio in Berlin verfügt der Sender über 16 Inlands- und 19 Auslandsstudios (vergl. ZDF 2010f).
Als Besonderheit im ZDF gilt die Trennung von Programm- und Chefredaktion nach einer politischen Farbenlehre (vergl. Anschlag 2010). Der Programmdirektor wird demnach CDU-nah besetzt, der Chefredakteur SPD-nah. Auch unterhalb der Direktorenposten existiert ein „ebenfalls politisch austariertes System von Hauptabteilungs- und Abteilungsleitern“ (Anschlag 2010). Das ZDF rekrutiert sein Führungspersonal zudem in erster Linie aus dem eigenen Haus.
Neben dem Fernseh-Hauptprogramm verfügt das ZDF über drei digitale Kanäle sowie vier Kooperationsprogramme mit anderen Sendern. Die Digitalprogramme sind der ZDFInfokanal (Informationen und Wissen), ZDFneo (Unterhaltung und Information für junges Publikum) und der ZDFtheaterkanal (Theater) (vergl. ZDF 2010b), der in den ZDFkulturkanal umgewandelt werden soll (vergl. Anschlag 2010). Kooperationsprogramme sind Kika (Kinderkanal, gemeinsam mit ARD), 3sat (Kultur, gemeinsam mit ORF, SRG und ARD), arte (deutsch-französisches Programm, mit ARD und France Télévisions) und Phoenix (Informationsprogramm, gemeinsam mit ARD). Außerdem trägt das ZDF gemeinsam mit der ARD und den 16 Bundesländern das Deutschlandradio mit seinen drei Hörfunkprogrammen Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und DRadio Wissen.
Die Aufsicht des Zweiten Deutschen Fernsehens ist nach der bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gängigen Dreiteilung aufgebaut: Es gibt einen Intendanten, einen Fernsehrat (entsprechend dem Rundfunkrat) und einen Verwaltungsrat.
„Der Intendant vertritt das ZDF nach außen und ist für alle Geschäfte der Fernsehanstalt einschließlich der Gestaltung der Programme verantwortlich“ (ZDF 2010e), heißt es beim ZDF. Wichtig für den hier untersuchten Fall ist vor allem das Recht (oder besser: die Pflicht) des Intendanten, im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat den Programmdirektor, den Chefredakteur und den Verwaltungsdirektor zu benennen (vergl. ZDF 2010e). Dies bedeutet in der Praxis, dass der Intendant die Positionen nur mit Zustimmung des Verwaltungsrats besetzen kann, was in der Organisation des öffentlich- rechtlichen Rundfunks ungewöhnlich ist. Seit dem 15. März 2002 ist Markus Schächter Intendant des ZDF, am 9.Dezember 2005 wurde er für weitere fünf Jahre gewählt (vergl. ZDF 2010e).
Das ZDF besitzt mit den 77 Mitgliedern seines Fernsehrates das größte Gremium aller öffentlich-rechtlichen Anstalten. Der Fernsehrat arbeitet als „Kontrollorgan des ZDF: Er überwacht das Programm, genehmigt den vom Verwaltungsrat beschlossenen Haushalt und wählt den Intendanten“ (ZDF 2010c). Die Mitglieder sind für vier Jahre gewählt und gehören zu 44 % (34 Mitglieder) zur staatlichen Sphäre, was ein hoher Wert ist (vergl. Schulz 2002, S.30-31). Entsendende Stellen haben ein Vorschlagsrecht für drei Personen, welche anschließend durch die Ministerpräsidenten berufen werden. 16 Regierungsvertreter werden außerdem direkt von den Landeschefs benannt. Bei den Kirchenvertretern kann eine Abberufung jederzeit erfolgen, die Verbände verfügen über eine feste Amtszeit. Sitzungen des ZDF-Fernsehrats sind nicht öffentlich, auf Beschluss der Mitglieder sind öffentliche Sitzungen allerdings möglich (vergl. ebd., S.30-31). Mit seinem hohen Anteil staatlicher Vertreter gilt das Gremium als Mischform aus pluralistischem und staatlich-politischem Gremium. Weil aber ebenso Vertreter des Bundes wie der Länder in den Gremien arbeiten, ist nicht zwingend ein gemeinsames Interesse der Politik vorhanden. Die Gremien gelten tendenziell trotzdem als parteipolitisch fraktioniert (vergl. Verheugen 1995, S.14-15). Vorsitzender des Fernsehrats ist der CDU-Politiker Ruprecht Polenz.
Eine besondere Rolle im Fall Brender/Koch kommt dem Verwaltungsrat des ZDF zu. „Der Verwaltungsrat überwacht die Tätigkeit des Intendanten vor allem in Haushaltsfragen“ (ZDF 2010g). Aufgaben im Programmbereich kommen dem Verwaltungsrat gemäß dem öffentlich-rechtlichen Organisationsmodell normalerweise nicht zu, trotzdem muss der Intendant wie erwähnt bei der Besetzung der drei wichtigsten Posten mit dem Verwaltungsrat Einvernehmen herstellen. Der Verwaltungsrat besteht aus 14 Mitgliedern, von denen fünf Vertreter der Länder sind und einer Vertreter des Bundes ist. Die acht weiteren Mitglieder werden vom Fernsehrat gewählt, dürfen allerdings weder Mitglied der Exekutive oder Legislative sein. Vorsitzender des Fernsehrats ist der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD), sein Stellvertreter ist der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Daneben vertreten Peter Müller (Ministerpräsident des Saarlandes, CDU) und Matthias Platzeck (Ministerpräsident von Brandenburg, SPD) sowie Edmund Stoiber (früherer Ministerpräsident Bayerns, CSU) die Bundesländer. Als Vertreter des Bundes sitzt Bernd Neumann (Staatsminister für Kultur und Medien, CDU) im Verwaltungsrat. Die vom Fernsehrat gewählten Verwaltungsratsmitglieder sind Hans- Henning Becker-Birk, ehemaliger Landrat und Mitglied der CDU (vergl. o.A. o.J.), Dieter Beuermann, Verleger, Ilse Brusis, ehemalige Staatsministerin und SPD-Mitglied (vergl. Landtag NRW 2010), Willi Hausmann, ehemaliger Staatssekretär und Bundesgeschäftsführer der CDU, ergo CDU-Mitglied (vergl. Hausmann o.J.), Hildegund Holzheid, ehemalige Verfassungsrichterin und CSU-Mitglied, Roland Issen, ehemaliger Gewerkschafter und SPD-Mitglied, Reinhard Scheibe, ehemaliger Staatssekretär und ebenfalls SPD-Mitglied sowie Gerd Zimmermann, Rektor der Bauhaus-Universität Weimar. Neun der 14 Mitglieder gelten als CDU-nah (darunter auch die Parteilosen Mitglieder Zimmermann und Beuermann, vier als SPD-nah (vergl. Teevs 2009). Bei zwei parteilosen Mitgliedern ist der Verwaltungsrat demnach zu 85 % mit Parteimitgliedern besetzt, immerhin 29 % (vier Mitglieder) gehören direkt der Exekutive an.
Nikolaus Brender war seit 2000 Chefredakteur des ZDF. Seine zweite Amtszeit lief bis zum 31. März 2010. Ein Jahr vor Ablauf seines Vertrags, so war es vereinbart, hat der Chefredakteur das Recht zu erfahren, ob sein Vertrag verlängert wird oder nicht. Der Intendant des ZDF, Markus Schächter, teilte deshalb mit, er wolle den Vertrag mit Nikolaus Brender in der Verwaltungsratsitzung vom 27. März 2009 gerne verlängern lassen. In verschiedenen Medien wird jedoch darüber berichtet, dass eine Mehrheit der CDU unter Führung des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch im Verwaltungsrat (näheres dazu in Kapitel 4.1) den Vertrag mit Brender nicht verlängern will. Politiker der SPD, FDP, der Grünen und der Linkspartei sowie Verbände und die Presse üben daran scharfe Kritik und sehen in dem Vorgang eine unerlaubte Einflussnahme der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Ungeachtet der Diskussion bekennt sich Markus Schächter am 20. Februar 2009 erneut zu Nikolaus Brender (vergl. (o.A.) 2009e). Einen Tag später schreiben 14 prominente Journalisten des ZDF einen offenen Brief an ihren Intendanten, in dem sie sich eindeutig für Brender aussprechen. „Der Widerstand im ZDF-Verwaltungsrat gegen Ihre Entscheidung zeugt von einer gefährlichen Einmischung der politischen Parteien in die Souveränität unseres Hauses“ (zit. n. (o.A.) 2009e) heißt es in dem Schreiben. Vier Tage später verteidigt Roland Koch in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Haltung und begründet die Ablehnung der Vertragsverlängerung mit schlechten Quoten. Die Fakten seien „bitter“ für Brender, es gebe eine „Negativentwicklung“ bei den Quoten (vergl. Niggemeier 2009). Außerdem droht Koch den Unterzeichnern des offenen Briefes: „ Ich glaube, keiner der Beteiligten hat sich durch diesen Brief einen Gefallen getan“ (ebd.).
Am 13. März 2009 teilt Markus Schächter nach einer Sitzung des Fernsehrats mit, er wolle die Entscheidung um Brender auf die Verwaltungsratssitzung am 27. November 2009 verschieben, da eine Einigung bis zur Sitzung am 27. März nicht möglich sei. Schächter kündigt zudem eine unabhängige Expertise an, die klären soll, wie die Befugnisse des Verwaltungsrats genau aussehen. Die „Diskussion muss versachlicht werden“ fordert Schächter, er sagt aber auch: „Brender ist und bleibt mein Kandidat“ (ZDF 2009c). In einem Brief an den Fernsehrat erklärt er seine kurzfristige Entscheidung, die mit dem Gremium vorher nicht abgestimmt war (vergl. Schächter 2009). Nikolaus Brender selbst erklärt gegenüber dem Spiegel, er habe der Verschiebung zugestimmt, um die verfahrene Situation zu lösen. „Das ist ein Entgegenkommen, das nur dem Intendanten und dem Sender gilt und auf keinen Fall den Politikern, die unzulässigen Druck ausüben“ (zit. n. (o.A.) 2009d), so Brender.
Am 20. November 2009, sieben Tage vor der entscheidenden Verwaltungsratssitzung, schreiben 35 Verfassungsrechtler einen offenen Brief, in dem sie davor warnen, dass an der Rundfunkfreiheit „gesägt“ (zit. n. (o.A.) 2009c) würde. Nach Ansicht der Juristen handelt es sich um einen „Verfassungsrechtsfall“ (zit. n. (o.A.) 2009c). Ein „Appell für die Rundfunkfreiheit“ im Internet wird in kurzer Zeit von 39.000 Menschen unterzeichnet (vergl. Anschlag 2010). Kurz vor der Verwaltungsratsentscheidung teilen die Grünen mit, sie würden die Zusammensetzung der ZDF-Gremien vom Verfassungsgericht überprüfen lassen wollen (vergl. (o.A.) 2009b).
Am 27. November 2009 lehnt der Verwaltungsrat schließlich die Verlängerung des Vertrags mit Nikolaus Brender ab. Sieben Gremienmitglieder sind für eine Verlängerung, sieben dagegen. Die erforderliche Mehrheit von drei Fünfteln der Mitglieder (also neun) ist damit aber nicht gegeben. Immerhin stimmen zwei Mitglieder, die der CDU zugerechnet wurden, für Brender. Die Entscheidung wird von anderen Parteien, Verbänden und den Median abermals scharf kritisiert (vergl. (o.A.) 2009a). Intendant Schächter teilt nach der Sitzung mit: „Ich bedauere das außerordentlich“ (ZDF 2009b). Die Bundesländer müssten jetzt für „belastbare Rechtsgrundlagen des ZDF“ (ZDF 2009b) sorgen. Dementsprechend kündigen die SPD-geführten Bundesländer an, die Gremienzusammensetzung beim ZDF durch Überarbeitung des Staatsvertrags ändern zu wollen (vergl. Roether 2009).
Am 10. Dezember 2009 schlägt Schächter dem Verwaltungsrat Peter Frey, vorher Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, als neuen Chefredakteur vor. Frey wird einstimmig gewählt und kann sein Amt am 1. April 2010 antreten (vergl. ZDF 2009a). Zu seiner Wahl sagt Frey: „Es ist jetzt die Hauptaufgabe des neuen Chefredakteurs, die Glaubwürdigkeit des Senders, die in der öffentlichen Wahrnehmung gelitten hat, wiederherzustellen“ (ZDF 2009a). Nachfolgerin Freys im Hauptstadtstudio wird die bisherige Redaktionsleiterin Innenpolitik, Bettina Schausten.
Die Grünen stellen am 3. Februar 2010 schließlich einen Normenkontrollantrag vor, nach dem sich das Bundesverfassungsgericht mit der Gremienzusammensetzung beim ZDF beschäftigen soll. Ein Viertel der Abgeordneten des Bundestags müssen dem Antrag zustimmen. Die Linke unterstützt den Antrag, gemeinsam kommen die Parteien auf 144 Stimmen, sie benötigen damit noch zwölf weitere Stimmen aus den anderen Fraktionen (vergl. Ridder 2010c). Die SPD setzt allerdings auf die Initiative von Kurt Beck.8
Mitte Februar spricht Nikolaus Brender in einem Interview mit dem Spiegel von einem „Spitzelsystem“ im ZDF und „Inoffiziellen Mitarbeitern, vergleichbar mit den IM der DDR“ (Brauck & Tuma 2010). Damit löst er eine heftige Diskussion aus (vergl. Roether 2010b). Intendant Schächter teilt mit, die Darstellung Brenders sei „in der Sache falsch und in der Form maßlos und inakzeptabel“ (ZDF 2010a), Brender habe sich mit seiner Aussage „ins Abseits“ gestellt (ebd.).
Ende des Monats wird unter Federführung der Bundesländer Rheinland-Pfalz (Beck) und Hessen (Koch) eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die möglichen Änderungen am ZDF- Staatsvertrag prüfen soll (vergl. Ridder 2010b). Die Grünen beginnen kurz darauf, die für das Normenkontrollverfahren notwendigen Unterschriften im Bundestag zu sammeln (vergl. Roether 2010a). Am 25. März 2010 scheitert die Länderarbeitsgruppe bei der Ministerpräsidentenkonferenz. Kurt Beck kündigt daraufhin an, eine eigene Klage beim Verfassungsgericht einzureichen (vergl. Ridder 2010a). Im Juni gibt er dafür ein Gutachten in Auftrag (vergl. (o.A.) 2010). Seitdem ist es um die Causa Koch/Brender und die geplanten Verfassungsgerichtsklagen still geworden, was in den Medien durchaus kritisiert wird (vergl. Rath 2010).
Der Fall Brender/Koch rief eine umfangreiche Berichterstattung in der deutschen Medienlandschaft hervor. Vor allem in der gedruckten Presse gab es ein großes Medienecho (eine eigene Untersuchung zur Berichterstattung aller Medien wäre ebenfalls spannend. So war die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Programme über den Fall überraschend dürftig). Die thematische Berichterstattung beginnt dabei im Februar 2009, als bekannt wird, dass der Vertrag Nikolaus Brenders nicht verlängert werden soll.
Die Zeitleiste der Treffer bei der Suchmaschine Google zum Stichwort „Brender+ZDF“ (dieser Suchterm wird später auch für die Untersuchung verwendet) zeigt, dass über das Thema von Februar bis April 2009, im November und Dezember 2009 sowie von Februar bis April 2010 besonders viel publiziert wurde. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich hier nicht um reine Veröffentlichungen der Printpresse handelt. Die Spitzen im Februar und März 2009 lassen sich auf das Aufkommen des Themas zurückführen sowie die ersten Reaktionen darauf und den Aufschub der Verwaltungsratsentscheidung durch den Intendanten (13. März). Den Topwert erreicht die Google-Analyse im November, dem Monat in dem der Verwaltungsrat schließlich die Vertragsverlängerung ablehnt. Weitere Spitzen sind der Dezember (verursacht noch durch die Entscheidung im November) und Februar bis April 2010, wo sich die Berichterstattung vermutlich vor allem um den Stasivergleich Brenders (Februar) sowie das Amtsende Brenders (März) und den Beginn für seinen Nachfolger Peter Frey (April) dreht. Die erneute Häufung des Themas von Juni und Juli 2010 könnte mit den angestrengten Normenkontrollverfahren zu tun haben.
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Abbildung 1: Die Google-Treffer zum Stichwort „Brender+ZDF“ von Januar 2009 bis heute (Quelle: Google)
Der in dieser Arbeit verwendete Untersuchungszeitraum erstreckt sich von Februar 2009 (Beginn des Themas) bis einschließlich März 2010 (Ende der Amtszeit von Brender). Dabei sollen sechs überregionale Tageszeitungen untersucht werden: Bild, Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau (FR), Süddeutsche Zeitung (SZ) und die Tageszeitung (taz) (eine ausführliche, methodische Begründung dieser Auswahl findet sich in Kapitel 6.2). Im ausgesuchten Zeitraum wurden 231 für die Untersuchung relevante Artikel gefunden.9 Die meisten Artikel fanden sich mit 57 in der FAZ, gefolgt von der taz mit 52, der SZ mit 51, der FR mit 32 sowie Welt mit 23 und Bild mit 16 Artikeln.
Die Google-Zeitleiste für den Untersuchungszeitraum zeigt, dass sich das Thema wie erwähnt im Februar, März, November und Dezember 2009 sowie im Februar und März 2010 häufte.
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Abbildung 2: Die Google-Treffer zum Stichwort „Brender+ZDF“ von Januar 2009 bis März 2010 (Quelle: Google)
Die Verteilung der Artikel der Stichprobe auf die untersuchten Monate weist dabei eine deutliche Ähnlichkeit auf.
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Tabelle 1: Artikelverteilung im Untersuchungszeitraum als Tabelle
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Abbildung 3: Artikelverteilung im Untersuchungszeitraum als Grafik (Quelle: eigene Grafik)
Die auffälligste Abweichung: Bei den Printmedien ist der Dezember stärkster Monat, gegenüber dem November bei der Google-Analyse. Dies lässt sich allerdings damit erklären, dass die Entscheidung über den Vertrag Nikolaus Brenders erst am 27. November (zudem auch noch ein Freitag) gefällt wurde. Die Google-Analyse, die sich auf das Internet bezieht, weist vermutlich vor allem aktuelle, kurzfristige Treffer auf, während sich die Printmedien mehr Zeit ließen, um das Ereignis einzuordnen und zu kommentieren. Eine weitere Abweichung lässt sich im März erkennen, der bei den untersuchten Artikeln deutlich weniger häufig vertreten ist als der Februar. Dies könnte daran liegen, dass der Stasivergleich Brenders ein besonders großes Echo in den untersuchten Presseerzeugnissen hervorgerufen hat.
Generell auffallend bei der Berichterstattung über Nikolaus Brender ist die Sonderrolle einzelner Titel. Die wichtigsten Äußerungen des Chefredakteurs Brender (vor allem sein Interview mit dem Stasivergleich) fanden sich in der Regel im Spiegel. Der Focus „glänzte“ mit der Nennung von Interna aus den Gremien, wofür er von anderen Medien allerdings in Frage gestellt wurde (vergl. Grimberg 2009). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (in Person von Stefan Niggemeier) führte mit Roland Koch ebenfalls eines der wesentlichen Interviews (vergl. Niggemeier 2009). Generell verwendeten die untersuchten Zeitungen viele Gastkommentare zum Thema sowie viele Interviews mit ehemaligen Intendanten oder anderen Würdenträgern der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgeschichte, Medienrechtlern und -politikern.
Die Fragestellung der Arbeit lautet: Wie berichten überregionale Printmedien über politische/staatliche Einflussnahme (auf Personalentscheidungen) beim öffentlichrechtlichen Rundfunk im Fall Brender/Koch? Daraus ergaben sich, wie in der Einleitung erläutert, sechs Hypothesen, die mit der Inhaltsanalyse untersucht werden sollen.
Hypothese 1: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird als Gesamtsystem tendenziell nicht in Frage gestellt.
Hypothese 2: Die Unabhängigkeit/Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird tendenziell in Frage gestellt.
Hypothese 3: Staatliche Einflussnahme beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird kritisiert.
Hypothese 4: Der intervenierende Politiker (Roland Koch) wird tendenziell kritisiert.
Hypothese 5: Der betroffene Chefredakteur (Nikolaus Brender) wird tendenziell verteidigt.
Hypothese 6: Die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird tendenziell als reformbedürftig dargestellt.
Aus diesen sechs Hypothesen lassen sich ebenso sechs Leitfragen ableiten, die die Untersuchung weiter konkretisieren.
Die erste Hypothese beschäftigt sich mit dem Gesamtsystem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wenn das System nicht in Frage gestellt wird, wird es von den Autoren verteidigt. Dabei geht es immer um die grundsätzliche Ebene. Die Leitfrage zu Hypothese 1 lautet deshalb:
Wird das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verteidigt oder angegriffen?
Bei der zweiten Hypothese wird vermutet, dass die Artikel die Unabhängigkeit und Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage stellen. Dies kann konkret untersucht und benannt werden, weshalb die Leitfrage zu Hypothese 2 lautet:
Wird die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von der Politik durch die Autoren in Frage gestellt?
Die dritte Hypothese erwartet, dass die Einflussnahme des Staates/der Politik beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisiert wird. Es geht demnach um eine Bewertung des politisch/staatlichen Einflusses. Die Frage lautet dementsprechend:
Wie wird staatliche Einflussnahme bewertet?
In der vierten Hypothese geht es konkret um die Person Roland Kochs. Dieser kann sowohl persönlich als auch inhaltlich kritisiert werden. Da er konkrete Argumente für die Nichtverlängerung des Vertrags von Nikolaus Brender benennt, geht es hier vorrangig um die Auseinandersetzung der Medien mit dieser Argumentation. Die Forschungsleitfrage für Hypothese 4 lautet deshalb:
Wie wird die Kritik Roland Kochs an der Arbeit des Chefredakteurs bewertet?
Bei der fünften Hypothese geht es konkret um die Person Nikolaus Brenders, als Betroffenem der staatlich/politischen Einmischung. Da die Argumentation Roland Kochs auf dessen persönliche und berufliche Fähigkeiten zielt, ist hier eine Darstellung der Person insgesamt besonders interessant. Dazu zählt sowohl der Charakter als auch seine Leistung im Job. Die Leitfrage lautet also:
Wie wird die Person Brender und ihre Arbeit dargestellt?
Die sechste Hypothese beschäftigt sich schließlich mit den Folgen der Causa Koch/Brender für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Medien insgesamt. Es wird vermutet, dass die Berichterstattung tendenziell auf eine Reform des Systems drängt. Deshalb lautet die Forschungsleitfrage zur sechsten Hypothese:
Ist der Tenor der Berichterstattung auf eine Reform des Systems ausgerichtet?
Wie in der Einleitung bereits angesprochen, konzentriert sich die Untersuchung auf überregionale Zeitungen in Deutschland. Printmedien sind nach wie vor eine der bedeutendsten und einflussreichsten Medienformen in Deutschland. Wichtige Debatten und vor allem eine umfangreiche Hintergrundberichterstattung finden in erster Linie in den Printmedien statt. Die Onlineberichterstattung bleibt deshalb, aber auch aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit (bei Lesern und Redakteuren) bei meiner Untersuchung außen vor, auch wenn der Onlinebereich in Zukunft sicherlich weiter an Bedeutung gewinnen wird. Besonders interessant ist es aber auch, wie gerade Printmedien als Mütter (oder wahlweise auch Väter) der Onlineableger mit dem wachsenden Konkurrenzkampf zwischen privater Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk im Internet umgehen. Weiterhin sollen nur Printmedien einbezogen werden, die eine überregionale Bedeutung besitzen. Damit ist tendenziell sichergestellt, dass die Berichterstattung umfangreich ist und auf Basis eigener Arbeit erfolgt. Außerdem besitzen überregionale Medien bei nationalen Debatten einen größeren Einfluss. Zu den überregionalen Printmedien gehören 39 dabei sowohl Tages-, als auch Wochenzeitungen und Zeitschriften. Um die Analyse in einer für diese Arbeit realistischen Größenordnung zu halten, konzentriert sich die Untersuchung allerdings nur auf Tageszeitungen, die mit ihrer Aktualität zudem die Ereignisse besser abbilden können als Wochentitel. Es gibt in Deutschland sieben relevante, überregionale Tageszeitungen. Das sind nach Auflage sortiert (vergl. IVW 2010) die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, die Frankfurter Rundschau, die tageszeitung, Neues Deutschland und junge Welt. Nicht berücksichtigt sind dabei Wirtschaftstitel sowie Boulevardzeitungen. Für die Untersuchung werden die fünf wichtigsten dieser überregionalen Tageszeitungen verwendet, außerdem wird die Bild hinzugezogen, da sich das Thema zum einen als Konflikt durchaus für den Boulevard eignet, die Zeitung als auflagenstärkste Tageszeitung des Landes aber vor allem auch in der politischen Debatte eine wichtige Rolle spielt. Außerdem werden etwaige Sonntagsausgaben (nämlich bei FAZ, Bild und Welt) mit untersucht.
Die Grundgesamtheit der Untersuchung bildet sich demnach aus den Artikeln der folgenden sechs Titel (alphabetisch sortiert):
- Bild (mit Bild am Sonntag)
- Die Tageszeitung
- Die Welt (mit Welt am Sonntag)
- Frankfurter Allgemeine Zeitung (mit Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
- Frankfurter Rundschau
- Süddeutsche Zeitung
Die Causa Koch/Brender ermöglicht als zeitlich begrenztes Thema einen konkret benannten Zeitraum für die Untersuchung. Da das Thema im Februar 2009 überhaupt erst aufkam, beginnt der Untersuchungszeitraum am 1. Februar 2009. Eine Untersuchung des Themas bis in die Gegenwart hinein wäre möglich, beherbergt allerdings die Gefahr zunehmend Artikel zu untersuchen, die das Thema nur teilweise oder als Aspekt in anderen Zusammenhängen erwähnen. Zudem würde eine sehr hohe Zahl von Artikeln generiert, die eine weitere Stichprobenauswahl notwendig machen würde. Aufgrund des begrenzten Zeitraums für diese Arbeit wird das Ende des Untersuchungszeitraums auf den 31. März 2010 gelegt und endet damit gleichzeitig mit dem Arbeitsvertrag Nikolaus Brenders als ZDF-Chefredakteur.
[...]
1 Weiterführend: Eine detaillierte Darstellung der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bis zum Ende der siebziger Jahre findet sich bei Bausch 1980.
2 Ausführlich dazu empfiehlt sich die Lektüre von Hasse 2005 und Kops 2008
3 Genauer dazu: Dörr 2008
4 Weiter und detailliert zu diesem Thema: Donges 2007
5 Ausführlich widmen sich Chen 2003 und Eckhardt 1998 dem Grundversorgungsbegriff
6 Detailliert dazu: Kops 2008, ab S.79
7 Mit der Finanzkontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dem daraus resultierenden und nicht unwichtigen Konflikt mit der Staatsferne beschäftigt sich ausführlich Lehment 1996
8 Eine Auflistung dieser Änderungsvorschläge findet sich bei Beck 2009
9 Eine vollständige Liste dieser Artikel findet sich in Anhang 1