Diplomarbeit, 2009
170 Seiten, Note: 1,7
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Entscheidung und Entscheidungsunterstützung
2.1 Ziele und Ablauf Evidenz basierter Entscheidungen
2.1.1 Zugang zu Evidenz basierten Informationen
2.1.2 Informationswiederbeschaffung
2.2 Fehlerquellen im Entscheidungsprozess
2.2.1 Systematische Fehler
2.2.2 Kognitive Fehler
2.3 Begriffsbestimmung klinisches Entscheidungsunterstützungssystem
2.4 Modellierung der Entscheidungsaufgaben
2.4.1 Klassifikation
2.4.2 Konstruktion
2.4.3 Simulation
2.5 Referenzarchitekturen
2.5.1 Alleinstehende Systeme
2.5.2 Integrierte Systeme
2.5.3 Standardisierte Systeme
2.5.4 Serviceorientierte Architekturen
3 CDSS im Entscheidungsprozess
3.1 Taxonomie
3.2 Informationsnachfrage
3.2.1 Informationsquellen
3.2.2 Unterscheidbare Wissensformen
3.2.3 Leitlinien als Informationsquelle
3.3 Compliance
3.3.1 Erfolgsfaktoren
3.3.2 IT Akzeptanz
3.4 Fallauswahl
3.4.1 Alleinstehende Systeme
3.4.2 CPOE
3.4.3 Integrierte Qualitätssicherung
4 Datenerhebung und Analyse
4.1 Quellenauswahl
4.2 Kodierung
4.2.1 Kodierregeln
4.2.2 Kategoriensystem
4.2.2.1 Funktionalität
4.2.2.2 Zuverlässigkeit
4.2.2.3 Benutzbarkeit
4.2.2.4 Effizienz
4.2.2.5 Änderbarkeit
4.2.2.6 Übertragbarkeit
4.3 Fallvergleich
4.3.1 Datenanalyse innerhalb der Fälle
4.3.1.1 AiDKlinik®
4.3.1.2 GIDEON
4.3.1.3 SmartCare®
4.3.2 Fallvergleich
4.3.2.1 Fallvergleich: AiDKlinik® versus GIDEON
4.3.2.2 Fallvergleich AiDKlinik® versus SmartCare®
4.3.2.3 Fallvergleich GIDEON versus SmartCare®
5 Abgleich zwischen Theorie und Praxis
5.1 Interpretation
5.2 Diskussion
5.3 Abgeschlossenheit erreichen
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang A: Eingeschlossene Dokumente
Anhang B: Datenerhebung
Anhang C: Datenanalyse Innerhalb der Fälle
Anhang D: Datenanalyse zwischen den Fällen
Abbildung 1: Entscheidungsprozess in der EBM
Abbildung 2: Systematische und kognitive Fehler
Abbildung 3a: St&Bl AiDKlinik®
Abbildung 3b: Box Plot AiDKlinik®
Abbildung 3c: Histogramm AiDKlinik®
Abbildung 4a: St&Bl GIDEON
Abbildung 4b: Box Plot GIDEON
Abbildung 4c: Histogramm GIDEON
Abbildung 5a: St&Bl SmartCare®
Abbildung 5b: Box Plot SmartCare®
Abbildung 5c: Histogramm SmartCare®
Abbildung 6a: Box Plot AiDKlinik® versus Gideon
Abbildung 6b: Quantile Plot AiDKLinik® versus Gideon
Abbildung 7a: Box Plot AidKlinik® versus SmartCare®
Abbildung 7b: Quantile Plot AiDKlinik® versus SmartCare®
Abbildung 8a: Box Plot GIDEON versus SmartCare®
Abbildung 8b: Quantile Plot GIDEON versus SmartCare® 96
Tabelle 1: Quellenauswahl
Tabelle 2: Urliste
Tabelle 3: Ergebnisse Fallvergleich
Tabelle 4: Medianklasse
Tabelle 5: Explanative Beobachtungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Innovationen werden als neue Produkte oder Prozesse definiert, die “…sich im Markt, der Gesellschaft oder zumindest in einem Unternehmen durchgesetzt haben“ [JoBo08, 792]. Der Durchsetzung von Innovationen werden regelmäßig Widerstände entgege n- gebracht [HaSa07, 173ff.]. Im Zusammenhang mit medizinischen Informationssyste- men (IS) werden technische, kulturelle, finanzielle [Tayl00, 249ff] und rechtliche Ba r- rieren [Ande07, 481] genannt.
Eine technische Barriere stellt die Skalierbarkeit von Systemen dar. Diese Ba r- riere wird durch standardisierte Datendefinitionen und Templates für die Schnittstelle, Austausch von Informationen sowie angemessene Anreize spürbar niedriger. So gab es beispielsweise bei der Rechnung slegung im Gesundheitswesen starke Anreize, sich auf standardisierte Rechnungsformen und Datenformate zu einigen [Tayl00, 251f.]. Bei- spielsweise wurde 2001 in den USA der Großteil des Investitionsvolumens von $ 20 Millionen für Systeme im Finanzbereich ver wandt. Bei klinischen Entscheidungsunters- tützungssystemen (EUS) gibt es kaum Standardisierungen. Vielmehr wurden viele Sy s- teme proprietär entwickelt [Ande07, 481]. Bei der Übernahme automatischer Kranke n- blätter erweisen sich fehlende Standards als Hindernis. Darüber hinaus werden Anbieter durch die Angst vor dem möglichen Zugriff auf vertrauliche Informationen aus der P a- tientenakte entmutigt, medizinische IS bereitzustellen [WolW00, 247].
Neben fehlendem Kapital für Investitionen in Informationstechnologien (IT) mangelte es auf Seite der Nachfrage bisher an finanzielle n Anreizen, für durchdachte IT-Lösungen einen Aufschlag zu zahlen. Als Kostenbarriere erweisen sich nicht die absoluten Kosten, sondern die Wahrnehmung von IT als Kostenverursacher [Tayl00, 250]. Auf der Seite der Anbieter erschien die Strategie des frühen Folger attraktiver, um aus Erfahrungen von Konkurrenten zu lernen [WolW00, 242f.].
Zu den kulturellen Barrieren gehören die Akzeptanz entscheidungsunterstütze n- der Werkzeuge sowie die zunehmende Wettbewerbsorientierung im Gesundheitswesen. Ärzte haben das Bedürfnis nach mehr Informationen und sind an Best Practices und Leitlinien (guidelines) interessiert. Kritische Punkte hinsichtlich der Akzeptanz stellen einfache r Zugang zu Informationen, die situative Relevanz, die Sorge, ungerecht beu r- teilt zu werden sowie der Wunsch, die klinische Autorität aufrechtzuerhalten dar [Tayl00, 251f.]. Darüber hinaus führt die zunehmende Wettbewerbsorientierung i n der Gesundheitsversorgung dazu, dass Leitlinien als geistiges Eigentum betrachtet werden. Auch erweist sich die Einhaltung von Leitlinien als schwierig. Gründe hierfür liegen zum einen in der Diskrepanz zwischen globalem und lokalem Wissen sowie zum and e- ren in ihrer Anwendung an multimorbiden Patiente n [WolW00, 247].
Rechtliche Bestimmungen bilden eine weitere Barriere. Software wurde au s- drücklich in den Anwendungsbereich der Europäischen Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte einbezogen. Diese wurde im Medizinproduktegesetz (MPG) vom 2. August 1994 in nationales Recht überführt. Der Begriff des Medizinprodukts umfasst nach §3 Nr.1 MPG eine Vielzahl unterschiedlicher technischer Produkte, die einzeln oder miteinander verbunden, verwendet werden dürfen, deren Hauptwirkung auf phys i- kalisch technischem oder informationstechnologischem Wege erreicht wird , und deren Zweckbestimmung eine der im Gesetz aufgeführten medizinischen Anwendungen u m- fasst. Da der Betrieb einer Software von einer elektrischen Stromquelle abhängt, wird Software als eigenständiges Med izinprodukt klassifiziert. Dies bedeutet, dass neben produktbezogenen Richtlinien besondere Voraussetzungen für das erstmalige Inve r- kehrbringen von medizinischen IT Produkten zu beachten sind. Zu diesen besonderen Voraussetzungen gehören:
? die Zweckbestimmung,
? die klinische Bewertung,
? die Klassifizierung nach Grad der Gefährdung,
? die Konformitätsbewertung und die CE-Kennzeichnung [Böck05, 68f.].
Der Anstieg medizinische r Ausgaben hat in den letzen Jahren einen Trend von retro s- pektiven zu prospektiven Vergüt ungssystemen verursacht. Vor allem im Krankenhau s- bereich wurde das Kostendeckungsprinzip durch Fallpauschalen ersetzt. Diese wurden erstmalig 1984 in den USA verwendet. Im Jahr 2004 erfolgte auch in Deutschland eine weitgehende Umstellung auf Fallpauschale n. Die Höhe der Fallpauschale wird anhand von Diagnosis Related Groups (DRG) an die Fallschwere angepasst. Dies hatte eine Verschiebung der Risikostruktur vom Kostenträger zum Leistungserbringer zur Folge [BrZK03, 353][WoLW00, 243][KoKe04, 365] und hat beispielsweise sowohl in den USA [WoLW00, 240] als auch in der BRD [Midd06, 367] zu Konzentrationsbestrebun- gen im Gesundheitswesen geführt. Die Änderung der Finanzierungs - und Wettbewerbs- struktur hat auf der Nachfrageseite bewirkt, dass Widerstände zur Be reitstellung von Kapital für IT-Investitionen schwinden und geeignete Anreize für die Übernahme klin i- scher Informationssysteme in der Gesundheitsversorgung (health information technolo- gy, HIT) geschaffen wurden [WoLW00, 248]. Dies erfordert auf betriebswir tschaftli- cher Ebene ein tiefgreifendes Verständnis der Kosten - und Werttreiber [KoKe04, 365]. Ärztliche Entscheidungsaufgaben umfassen die Bereiche Diagnose und Screening, Prognose, Therapie sowie Schäden [SRGH05, 67ff.]. Damit bestimmen Ärzte mehr als 80% der Entscheidungen, die die Kosten im Gesundheitswesen betreffen [ChSh90, 3]. Außer für elektronische Patientenakten, elektronische Verordnungen (computerized provider oder physician order entry, CPOE) , für das elektronische Management chroni- scher Erkrank ungen sowie für das Bar Coding biologischer Produkte wurde für klini- sche rechnergestützte EUS gezeigt, dass diese sowohl Kosten als auch Fehler in der m e- dizinischen Versorgung reduzieren können [Ande07, 480][KoKe04, 244ff.]. Darüber hinaus bilden rechnergestützte EUS einen Zugang zu Evidenz basierten Informationen [SRGH05, 33ff.]. Trotz ihres Potentials sind HIT nicht weit verbreitet [WoLW00, 241f.][Pupp08, 53]. In der überwiegenden Anzahl europäische r Länder sowie in den USA blieb die Implementierung aus [Ande07, 480]. Dennoch haben sich klinische EUS im Sinne einer Innovation durchgesetzt.
Ziel der Arbeit ist es, anhand von drei Fallstudien kommerzialisierter klinischer EUS zu untersuchen, ob es syste mübergreifende Erfolgsfaktoren bei der Entwicklung dieser Systeme gibt. Die Forschung zu den Ursachen des Innovationserfolges ist sowohl im Innovationsmanagement [HaSa07, 35ff. ] als auch im Informationsmanagement [H e- Le05, 75ff.] angesiedelt. Für medizinisc he EUS wurden Erfolgsfaktoren in systemat i- schen Reviews [GAMR05][KHBL05] sowie in einer Fallstudie [GFMM06] untersucht. [KHBL05] untersuchen in einem systematischen Review, welche Systemeigenschaften eng mit Verbesserungen in der Patientenversorgung verbun den sind. Eingeschlossen wurden sowohl elektronische als auch nicht elektronische Systeme, die einer random i- sierten und kontrollierten Untersuchung das Vermögen eines klinischen EUS bewert e- ten, eine wichtige medizinische Handlungsweise in einer realen klin ischen Umgebung zu verbessern. Das System musste von med izinischen Berufsgruppen genutzt werden, die direkt an der Versorgung von Patienten beteiligt sind . Die Bewertung der Verbesse- rung der klinischen Handlungsweise wurde durch patientenbezogene Messgröße n oder Messgrößen des Versorgungsprozesses bewertet [KHBL05, o.S.]. In dem systemati- schen Review von [GAMR05] werden nur rechnergestützte EUS eingeschlossen. Außer der Frage, welche Eigenschaften der EUS und der Untersuchungen mit effektiven EUS verbunden sind, wird die Frage untersucht, ob CDSS die Leistung klinisch tätiger B e- rufsgruppen oder Patientenergebnisse verbes sern [1224]. [GFMM06] führen eine In- haltsanalyse durch, um zu untersuchen, inwieweit IS einen kritischen Erfolgsfaktor für das Management chronischer Erkrankungen darstellen. Datengrundlage bilden hier B e- obachtungen vierteljährlicher Treffen durch die Fors cher, Interviews mit der medizin i- schen Führung, dem Projekt- und dem IT Leiter sowie dem für die Qualitätssicherung verantwortlichen Projektmitarbeiter (project evaluator) . Allerdings handelt es sich um ein lokales Projekt, das aus Fördermitteln finanziert wurde. Auf diese Weise wurden dreißig in der Grundversorgung tätige Ärzte bei der Implementierung eines angepassten Modells in der Versorgung chronischer Erkrankungen unterstützt [818ff.].
Aus der Sicht des Nutzers stellt die Gebrauchstauglichkeit das wichtigste Bewer- tungskriterium dar [Balz00, 491]. Diese wird in keiner der Studien berücksichtigt. Um die relevanten Qualitätsmerkmale, die mit der Gebrauchstauglichkeit kommerzialisierter Systeme verbunden sind , herauszufiltern, werden drei Fallstudien unter sucht. Das Vo r- gehen wurde umfassend von [ Eise89, 532ff. ] beschrieben. Dieses wird dieser Arbeit zu Grunde gelegt. Fallstudienarbeit ist eine Forschungsstrategie, die „… involves using one or more cases to create theoretical constructs, propositions and/or midrange theory from case based, empirical evidence“ [ Eise89, 534ff.]. Fallstudien sind reichhaltige e m- pirische Beschreibungen besonderer Beispiele einer Erscheinung, die typischerweise auf verschiedenen Datenquellen beruhen [Yin1994 zit. nach EiGr07, 25]. Die entwickelte Theorie ist in dem Sinn auftauchend (emergent), indem sie durch d as Erkennen von Beziehungsmustern zwischen Konstrukten innerhalb der Fälle und zwischen den Fällen sowie den zugrunde liegenden logischen Argumente n entwickelt und eingeordnet wird. Kernelement bei der Ableitung von Theorien aus Fällen ist die Replikationslogik. Das bedeutet, dass jeder Fall als unterscheidbarer Versuch dient, der für sich alleine als ana- lytische Einheit steht. Mehrere Fälle sind diskrete Versuch e, die als Replikationen, Ge- gensätze und Erweiterungen der auftauchenden Theorie dienen [Yin1994 zit. nach EiGr07, 25]. Fallstudien oder Feldexperimente [ScHE05, 224ff.] unterscheiden sich von Laborversuchen dahingehend, dass Fallstudien den reichhaltigen Be zug zu dem Au s- schnitt der Umwelt betonen, in dem diese vorkommen [EiGr07, 25].
Das Vorgehen besteht aus acht Schritten. In der Anfangsphase werden die For- schungsfrage und a priori Konstrukte bestimmt, jedoch keine Theorie oder Hypothesen formuliert. Die Fa llauswahl erfolgt aus einer bestimmten Population nach theoretischen, nicht zufälligen Gesichtspunkten, um die Bestrebungen auf Fälle zu beschränken, die theoretisch nützlich sind. Um festzustellen, ob es für den Erfolg der Systeme gemei n- same Ursachen gibt, werden in dieser Arbeit die Qualitätseigenschaften dreier kommer- ziell vertriebene r, klinische r CDSS untersucht. In die Fallauswahl werden Systeme ein- geschlossen, die im Übersichtsartikel von [Pupp08 , 53ff.] besprochen und kommerziell vertrieben werden.
Im dritten Schritt werden Instrumente und Protokolle der Datenerhebung b e- schrieben. Befragungen, Beobachtungen und Archive sind übliche Datenquellen [ Ei- se89, 537]. In diese Arbeit werden textgebundene Quellen einbezogen, die über den Internetauftritt der Unternehmen ver netzt sind. Dazu gehören Reviews, Produktbe- schreibungen, Pressemitteilungen und Erfahrungsberichte.
Im vierten Schritt wird die Datenanalyse zunächst innerhalb der Fälle durchg e- führt. Danach wird untersucht, ob sich über die Fälle hinwe g Muster ergeben [Eise89, 532ff.]. Dazu wird eine Inhaltsanalyse in Form einer Themen-Frequenzanalyse durchge- führt [Früh07, 147ff.]. Mittels Inhaltsanalyse können verborgene Gesichtspunkte in e i- nem geschriebenen Text offengelegt werden. Dazu gehört die Dar stellung, was im Text von Bedeutung ist, indem beispielsweise Ideen oder besonders bedeutsame Wörter b e- wertet werden. Die Häufigkeit der Nennung bestimmter Wörter sowie die Reihenfolge, in der diese genannt werden , bilden die Dringlichkeiten im Text ab. Di e positive oder negative Betrachtung von Dingen enthüllt die Werte, die der Text vermittelt. Die Bezi e- hungen zwischen den Ideen werden durch ihre Nähe innerhalb des Textes sowie ihre logische Verbindung bewertet. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass der Te xt neben der vom Verfasser beabsichtigten Aussage , Anhaltspunkte für tiefer liegende und mö g- licherweise unbeabsichtigte Mitteilungen liefert [Dens03, 221f.].
Um die notwendigen Daten zu erheben, werden die in den Texten enthaltenen Aussagen über die Gebrau chstauglichkeit erhoben und klassifiziert . Als Kategorien werden die Definitionen der Qualitätsmerkmale von Softwareprodukten der Deutschen Industrie Norm/International Organisation for Standardisation ( DIN ISO) 9126 [Balz00, 1102f.] verwendet. Zunächst werden die Daten jede r einzelnen Fallstudie mit den Da r- stellungen der explorativen Datenanalyse beschri eben. Danach wird überprüft, ob die Muster über die Fälle hinweg bestätigt werden können.
Im sechsten Schritt werden Hypothesen formuliert. Dazu gehört die iterative Anordnung der Belege für jedes Konstrukt, die Replikationslogik über die Fälle hinaus und die Suche nach Begründungen für die Assoziationen. Schließlich werden die Er- gebnisse sowohl mit vergleichbarer als auch mit konfligierender Literatur verglichen. Im letzten Schritt soll theoretische Geschlossenheit erreicht werden, sofern dies möglich ist [Eise89, 532ff.].
Unter einer Entscheidung wird „… die Wahl einer Handlungsalternative aus mehreren möglichen Handlungsalternativen verstanden" [Schi05, 3]. Eine differenziertere Defin i- tion findet sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Entscheidung bezeichnet die Möglichkeit und die Notwendigk eit, eine Auswahl zwischen zwei oder mehreren nicht gleichzeitig zu verwirklichenden Alternativen zu treffen. Es wird unterschieden zwischen individueller und kollektiver, privater und öffentlicher sowie gezielter Ent- scheidung und sogenannte Nichtentscheid ungen [ScKl06, o.S].
Zur Entscheidungsunterstützung werden in der Medizin unterscheidbare Modelle verwendet. Dazu gehören in narrative Strukturen eingebettete individuelle Erfahrungen, Veröffentlichungen in der Fachpresse, Expertenmeinungen und Ansätze zur Kostenmi- nimierung. Von besonderer Bedeutung zur Unterstützung medizinischer Entscheidu n- gen ist das Konzept der Evidence Based Medicine (Evidenz basierte Medizin , EBM) [Gree03, 27ff.]. Kernelement ist die Formulierung einer klinischen Frage, die beantwor- tet werden kann. Der Zugang zu Evidenz basierten Informationen ist von entscheidender Bedeutung, um eine Antwort auf eine klinische Frage zu finden [SRGH05, 31ff.]. Daher werden die Möglichkeiten der Wiederbeschaffung von Informationen (information re t- rieval, IR) und empirische Befunde zum Suchverhalten dargestellt. Bei den Befunden zum Suchverhalten wird im Wesentlichen auf den narrativen Review von [Davi07, 78ff.] verwiesen. Um darzustellen, wann der Einsatz eines rechnergestützten EUS (computerized decision support system, CDSS) sinnvoll ist, werden die Fehlerquellen im Entscheidungsprozess erläutert. Hier wird im Wesentlichen die von [ ZPJS04] entwi- ckelte Taxonomie verwendet [193ff.]. Um die Möglichkeiten rechnerbasierter Entsche i- dungsunterstützung aufzuzeigen, wird die Modellierung im Kleinen wie im Großen vorgestellt. Bei de r Modellierung im Kleinen w ird auf die Darstellung bei [Balz00, 707ff.] zurückgegriffen, bei der Modellierung im Großen auf den Review von [WrSi08, 641ff.].
Ärztliche Überlegungen können auf eine m kognitiven Kontinuum eingeordnet wer den. Die Pole dieses Kontinuums werden als intuitiv und analytisch bezeich net. Intuitive Überlegungen umfassen schlichte, automatisierte Abläufe. Dazu gehören beispielsweise Routinefragen zur Anamnese. Als analytisch wird die Vorgehensweise bei Fällen b e- zeichnet, die eine widersprüchliche Repr äsentation bieten oder in kein Routineschema passen. In diesem Fall werden unter Umständen externe Informationen einbezogen.
Eingebungen sind vom analytischen Vorgehen abzugrenzen [DoBa07. 261ff.]. EBM wird als empirische Medizin mit rationaler Methodik verstanden, die u n- tersucht, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit sowie in welchem Maße etwas hilft [KüFo07, 45]. So definieren [SRGH96] EBM als “… the conscientious, explicit, and judicious use of current best evidence in making decisio ns about the care of individual patients. The practice of evidence based medicine means integrating individual clinical expertise with the best available external evidence from systematic research “ [71]. Bei der Untersuchung der Folgen klinischen Handelns wird durch EBM ärztliche Erfahrung wissenschaftlich fixiert [Rasp07, 17].
Evidenz bedeutet in diesem Zusammenhang ein empirisch fundiertes Argument für oder gegen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes [KüFo07, 39]. So wird der Begriff Evidenz von Sackett immer im Sinne einer Hypothese verwendet, die fals i- fiziert werden kann [Köbb07, 3]. Evidenz wird anhand der Dimensionen extern und intern beschrieben. Externe Evidenz bezeichnet das explizite Suchen und Verwenden von Belegen. Mit besten Belegen aus der Forschung werden klinisch relevante Fo r- schungsarbeiten aus der medizinischen Grundlagenforschung sowie insbesondere aus der klinischen Forschung, bei der der Patient im Mittelpunkt steht, beschrieben . Die patientenzentrierte klinische Forschung zielt auf die Genauigkeit und Treffsicherheit diagnostischer Verfahren einschließlich der klinischen Untersuchung, der Aussagekraft prognostischer Größen sowie die Wirksamkeit und Sicherheit therapeutischer, wiede r- herstellender und vorsorgender Maßnahmen [SRGH96, 71]. Für erstgenannte Belege wird die Bezeichnung disease orientated evidence (DOE) verwendet, für letztgenannte patient orientated evidence that matters (POEM).
Anhand der Beweiskraft der Belege wird die externe Evidenz hierarchisch a n- geordnet. Über die niedrigs te Beweiskraft verfügen Expertenmeinungen und Fallberic h- te, wohingegen Metaanalysen aus randomisierten und kontrollierten Studien an höchster Stelle stehen. Die Validität externer Evidenz wird mittels der Dimensionen intern und extern unterschieden. Interne Validität beschreibt die Qualität der Studie . Von zentraler Bedeutung bei der kritischen Bewertung (critical appraisal) der qualitativen Unterschi e- de innerhalb der einzelnen Evidenzgrade sind hier die Versuchsanordnung, die Auswahl der Versuchspersonen und der Umgebungsfaktoren (settings ), die Stichprobengröße, die Qualität der Versuchsdurchführung , die Wahl der Messung der Ergebnisindikatoren sowie die Dauer der Nachbeobachtung [KüFö07, 40][Rasp07, 17].
Die externe Validität beschreibt die Anwendbarkeit der Studie auf den konkreten Fall. Die klinische Expertise [SRGH96, 71] oder interne Evidenz [KüFo07, 39] be- zeichnet die Fähigkeit, klinische Fertigkeiten und in der Vergangenheit erworbene E r- fahrung im Umgang mit Patienten zu nutzen und externe Evidenz mit dem Wissen über individuelle Patienten abzugleichen . Die Wertvorstellungen der Patienten umfassen deren Präferenzen, Sorgen und Erwartungen [SSRR00, 1].
EBM stellt einen Rahmen bereit, um den Bedarf nach valider Information hin- sichtlich Diagnose, Prognose, Therapie und Vorsorge zu decken. Dieser hilft, die fe h- lende Angemessenheit traditioneller Informationsquellen zu überwinden und die Lücke zwischen diagnostischen Fähigkeiten und klinischem Urteilsvermögen, die mit Erfa h- rung wachsen, und aktuellem Wissen und klinischer Leistung, die zurückgehen, zu schließen. Weiterhin ist EBM ein Mittel, dem Zeitmangel bei der Patientenversorgung und bei der Weiterbildung abzuhelfen [SRGH05, 3].
Um den Zugang zu Evidenz basierten Informationen zu ermöglichen, werden Strategien zur Informationswiederbeschaffung und Bewertung von Belegen entwickelt, systematische Reviews und knappe Zusammenfassungen durch die Cochrane Collabo- ration erstellt, Veröffentlichungen in Evidenz basierten Zeitschriften ein zweites Mal publiziert und IS entwickelt, um den Zugang zu Evidenz basierten Informationenquellen in Echtzeit. zu ermöglichen [SSRR00, 1ff.]. Die hierarchische Struktur Evidenz basier- ter Informationsquellen wird mit dem Akronym 4S beschrieben. Die Grundlage bilden Studien. Die zweite , als Synthese bezeichnete Stufe umfasst systematische Übersichts- artikel (systematic reviews). Die dritte Stufe bildet die Synopsis von Studien und Sy n- thesen. An der Spitze stehen Evidenz basierte I S, zu denen beispielsweise CDSS geh ö- ren [SRGH05, 31f.].
Das Vorgehen im Entscheidungsprozess beste ht aus fünf Schritten (siehe Abbil- dung 1, S.10). Zuerst wird der Informationsbedarf in eine klinische Frage übersetzt, die beantwortet werden kann. Eine klinische F rage besteht aus den Bestandteilen Patient oder Problem, Intervention, Vergleich und Endpunk t. Zunächst wird die Patientengrup- pe bestimmt, die dem betroffenen Patienten ähnlich ist, bevor d ie Hauptintervention beschrieben wird, die für diesen Patienten oder diese Patientengruppe in Betracht kommt. Danach werden zu berücksichtigende alternative Maßnahmen aufgeführt. Schließlich wird der angestrebte Endpunkt definiert [Kunz07, 89]. Die Formulierung der klinischen Frage soll für den nächsten Schritt, d ie Informationswiederbeschaffung, eindeutige Suchstrategien liefern, um bei größtmöglicher Effizienz die besten Belege zu identifizieren, die sich aus klinischer Untersuchung, diagnostischer Laborarbeit, verö f- fentlichter Literatur und anderen Quellen ergeben können. In einem dritten Schritt wer- den die Belege kritisch hinsicht lich ihrer Validität und Nützlichkeit bewertet. Unter Nützlichkeit wird die Anwendbarkeit auf den klinischen Fall verstanden. Danach wird das Ergebnis in der klinischen Tätigkeit umgesetzt. Abschließend wird die ärztliche Leistung beurteilt [Köbb07, 3].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entscheidungsprozess in der EBM
Das Fünf-Stufen-Modell berücksichtigt keine Patientenwünsche. In den Anfä n- gen der EBM fanden Entscheidungsbäume Verwendung, um Patientenwünsche zu b e- rücksichtigen. Dies ist in der Praxis an Komplexität gescheite rt [Gree03, 31ff.]. Auch
[Rasp07] kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Ziel der Patientenzentrierung nicht aus der EBM ableiten lässt [24].
Ausgangspunkt einer ärztlichen Entscheidung bilden hinsichtlich einer klinischen Situa- tion vorliegende Informationen. Diese sind meist auf P atienten bezogen und werden zur Entscheidungsfindung in medizinisches Wissen eingeordnet [SpSp05, 486]. Wissen, das der ärztlichen Beratung und Therapie zugrunde liegt, ergibt sich aus den i m Studium vermittelten Erfahrungen und Kenntnissen, der Zeit im Krankenhaus und während der beruflichen Laufbahn aus Fachzeitschriften und Weiterbildungen [BlEg07, 32]. Der umfangreiche Bestand an medizinischem Wissen sowie die hohe Innovationsdynamik erschweren den Zugang zu diesem oder machen es unmöglich, den Überblick zu beha l- ten [Gree03, 39][SpSp05, 486]. Weltweit gibt es mehr als 15 Millionen medizinische Veröffentlichungen und jährlich kommen mehr als 5000 medizinische Veröffentlichu n- gen dazu, von de nen allein mehr als 250 die Zusammenfassung anderer Artikel beinha l- ten. Jedoch haben nur 10 -15% der heute gedruckten Artikel einen dauerhaften wisse n- schaftlichen Wert [Gree03, 39][SpSp05, 486].
Problembasiertes Lernen oder Lernen durch Nachfragen ist eine Möglichkeit, Zugang zu Evidenz basierten Quellen zu finden [ SRGH05, 31]. Eng mit der Beantwor- tung klinischer Fragen ist die Bereitschaft und Fähigkeit von Ärzten verbunden, persön- lich nach Antworten zu suchen. Enge Zeitgrenzen oder dem Auftauchen klinischer Fra- gestellungen außerhalb der Bibliotheksöffnungszeiten erfordern, dass Ärzte im gewi s- sen Umfang selbst nach Informationen suchen. Um den Zugriff an 24 Stunden und sie- ben Tagen zu ermöglichen, liegen die wichtigsten Quellen in elektronischer Form vor. Die verfügbaren Quellen sind jedoch umfangreich und erfordern vo m Nutzer genau so viele Fähigkeiten wie die Nutzung der Quelle selbst [Davi07, 78].
Medizinisches Wissen ist überwiegend textgebundenes Wissen. Die Datenbank Medline wird von der den USA beheimateten National Library of Medicine gepflegt und enthält mehr als 4000 Zeitschriften [Gree03, 40]. Die einzelnen Dokumente sind als Dateien in verschiedenen Formaten und nicht auf Grundlage eines relationalen Datenbanksystems abgelegt. Die Suche in unformatierten Datenbanken wird als Information Retrieval be- zeichnet [VoGu01, 251].
Der Zugriff auf die Dokumente wird von einer zentralen Instanz, den sogenan n- ten Suchmaschinen koordiniert. Fehlt diese Instanz, entspricht das einem nahezu chaoti- schen Zugriff [VoGu01, 284ff.]. Häufig verwendete Suchmaschinen sind OVID, WinS- PIRS oder PubMed [Gree03, 39ff.]. Mittels Suchmaschinen werden den Nutzern im Normalfall zwei Möglichkeite n des Zugriffs ermöglicht. Zum einen kann über logisch gegliederte Inhaltsverzeichnisse oder zum andern über Indizes auf die Dokumente z u- gegriffen werden. Verzeichnisse bieten dem Nutzer eine Struktur über die Datenbasis.
Die Dokumente werden nach Themen zusammengefasst und sind bei elektronischen Formaten nicht unmittelbar an den physischen Ort des Dokuments gebunden. Analog zur Literaturrecherche werden für die Wiederbeschaffung von Informationen zwei Funktionen benötigt. Neben dem Browsing, das das Umherblättern in einer Sammlung von Dokumenten beschreibt, umfasst das Searching die Suche nach bestimmten Dok u- menten. Bei der Beurteilung der Suchfunktion ist zu trennen, ob nach einem bestimmten Dokument oder einer Gruppe von Dokumenten gesucht wird. Wird nach eine m be- stimmten Dokument gesucht, ist das Gütekriter ium der Präzision nicht gegeben [V o- Gu01, 284ff.]. Präzision beschreibt den Anteil der relevanten Dokumente in der Menge der gefundenen Dokumente. Recall ist ein weiteres Gütekriterium . Dies beschreibt die Vollständigkeit der Suche [ HoGe07, 77]. Diese Gütek riterien werden im Kontext des medizinische n IR als Spezifität und Sensitivität bezeichnet [SRGH05, 40].
Auf die Dokumente kann hierarchisch, über die Suche in Indexdateien oder in Volltexten zugegriffen werden. Die indexorientierte Suche ist insbesondere für die the- menorientierte Suche geeignet. Bei der indexorientierten Suche wird hierarchieunab- hängig über Angabe von Schlüsselwörtern auf die Dokumente zugegriffen. Der Nutzer benötigt keine Kenntnisse über die Lage des Dokumentes , sondern Kenntnisse über re- levante Schlüsselbegriffe. Darüber hinaus muss dieser fähig sein, den Informationsb e- darf in eine semiformale Anfrage unter der Verwendung der logischen Operatoren AND, OR und NOT zu übersetzen, um einzelne Begriffe zu Begriffskombinationen zu verknüpfen [VoGu01, 284ff.]. Das Unified Medical Language System (UMLS) umfasst als größter Metathesaurus über 140 Begriffssysteme. Viele dieser Begriffssysteme e r- möglichen über verschieden Pfade, Zusammenhänge zwischen den Begriffen herzuste l- len [HoGE07, 71].
Grundsätzlich gibt es zwei Vorgehensweisen, Veröffentlichungen zu finden.
Zum einen kann nach den Begriffen gesucht werden, die in der Datenbank aufgeführt sind. Dies umfasst Begriffe, die unter anderem im Titel, in der Kurzzusammenfassung (abstract), im Namen der Autoren oder der Einrichtungen erscheinen , in der die Unter- suchungen durchgeführt wurden. Eine andere Vorgehensweise ist die Benutzung eines Thesaurus medizinischer Titel und Schlagwörter. Diese sind auch unter der Bezeic h- nung Medical Subject Headings (MeSH) bekannt [Gree03, 41] und gehören zum Vok a- bular des UMLS [NLM08, o.S.]. Darüber hinaus stellt Medline mit dem Clinical Que- ries Bildschirm detaillierte Suchstrategien für die ärztlichen Aufgabenbereiche Ther a- pie, Diagnose, Prognose sowie für klin ische Vorhersageregeln (clinical prediction gu i- des, CPG) und Reviews bereit, bei denen der Nutzer die Gütekriterien für die Suche vorgeben kann [SRGH05, 40]. Bei der Auswertung der Suchanfrage ergeben sich zwei Möglichkeiten. Beim Exact Match müssen die Suchbedingungen vollständig erfüllt sein, während beim Partial Match lediglich eine teilweise Übereinstimmung von Suc h- anfrage und Dokument gefordert wird [VoGu01, 288] .
Der Zeitaufwand für die Suche nach und die Bewertung von Informationen stellt ein hauptsächliches Hindernis für diese Art von IR dar. Aufgrund des Zeitbedarfs ist diese Art der Informationssuche nicht für klinische Umgebungen geeignet, in denen der Patient anwesend ist . Außerdem enthalten Datenbasen wie Medline möglicherweise ungefilterte Informationen, deren Bewertung zu zeit aufwändig für klinisch tätige Ärzte sein kann. Durch diese Zeitbeschränkung wird den Evidenz basierten Quellen Bedeu- tung verliehen [ Davi07, 85].
Die Umwandlung einer klinischen Frage in eine Suchstrategi e ist eine entsche i- dende Fähigkeit, die schwierig zu beherrschen ist. Um das Wissen zu finden, bedarf es einer zielführenden Suchstrategie. Wird das Wissen aufgrund der Verwendung unang e- messener Suchbegriffe, falscher oder unangemessener Datenbanken, unpas sender Ope- ratoren sowie Markennamen von Medikamenten anstelle der generischen Bezeichnung nicht verortet, wird daraus geschlossen, das Wissen sei nicht vorhanden. Als Gründe werden fehlende Schulung sowie mangelnde Übung genannt [Davi 07, 84ff.].
Durch den Zugriff aus der Klinik auf bibliographische Datenbanken sowie elek t- ronische Lehrbücher und Zeitschriften wird es weiterhin dem Arzt am Krankenbett überlassen, Merkmale des Patienten mit den Informationen abzugleichen. CDSS stellen diesbezüglich weitere Hi lfestellungen bereit [HHHS98, 1339]. Diese können den I n- formationsbedarf voraussagen und die kritische Aufgabe übernehmen, Information s- bruchstücke zu sammeln, die von Ärzten möglicherweise im Datenvolumen übersehen werden und Verbindungen zwischen diesen herzustellen [BKWG03, 524f.].
Mit dem Einsatz klinischer EUS könnte eine Steigerung der internen Evidenz medizinischer Entscheidungen bewirkt werden. Die ersten Diagnosesysteme wurden entwickelt, weil medizinisches Schließen ein fehlerbehafteter Prozess ist .
Die Ergebnisse einer Studie in einem Krankenhaus mit 500 Betten an über 1035 Patienten, von denen 340 Antibiotika erhielten, führten zur Entwicklung von Mycin. In dieser Studie wurde gezeigt, dass lediglich in 13% der Fälle eine rationale Indikation für die Verordnung von Antibiotika vorlag. In 21% der Fälle konnte nicht entschieden wer- den, ob rationale Gründe für die Verordnung vorlagen. 66% der Verordnungen erwiesen sich als irrational [ScLe86, 21].
Auch bei der Evaluation des CDSS zur Diagnose von Bauc hbeschwerden wurde gezeigt, dass die vorläufige Diagnose des Rechners in 91,8% der Fälle zutreffend war, während die Diagnose erfahrener Chirurgen nur in 79,6% der Fälle stimmte. Dies en t- spricht einer Reduzierung der Fehlerrate um die Hälfte [WrSi08, 643].
Um zu zeigen, bei welchen Fehl leistungen der Einsatz eines EUS sinnvoll ist, werden zunächst die Fehlerquellen im Entscheidungsprozess aufgezeigt.
Im Gegensatz zu anderen Hochrisikosektoren wie der Luftfahrt oder Nuklearindustrie wird die Gesundheitsversorgung in einer Umgebung mit komplexen Interaktionen zw i- schen vielen Einflussgrößen wie de m Krankheitsprozess selbst, dem medizinischen Per- sonal und der Ausstattung, organisatorische n Verfahrensweisen und –taktiken ausge- führt. Im Gegensatz zu anderen Industriezweigen genießt das Gesundheitswesen nicht den Luxus wohldefinierter Prozesse . Beispielsweise werden in Notfallaufnahmen En t- scheidungen häufig innerhalb von Sekundenbruchteilen getroffen [Kalr04, 1044]. Um den Umfang medizinischer Fehler zu quantifizieren , wird auf den Bericht des Institute
of Medicine aus dem Jahr 1999 zurückgegriffen. Demnach sterben in den USA schä t- zungsweise zwischen 44 000 und 98 000 Patienten an medizinischen Fehlern [Kalr04, 1044][MaSR07, 138][Pupp08, 53]. Medizinische Fehler sind damit die achthäufigste Todesursache vor Autounfällen, Brustkrebs oder AIDS (acquired immune deficiency syndrome) [ZPJS04, 193].
Unter einem Fehler wird ”… a failure of achieving the intended outcome in a planned sequence of mental or physical activities when that failure is not due to chance“, [ZPJS04, 195] verstanden. Fehler bestehen aus einer systemischen und einer menschlichen Komponente [Kalr04, 1047] und können auf verschiedenen Ebenen des Gesundheitssystems angesiedelt sein. Diese umfassen die Ebene :
? der Einzelpersonen,
? der Mensch-Maschine-Interaktion,
? der verteilten Systeme,
? der Organisationsstrukturen,
? der Institutionen und der nationalen Vorschriften [ZPJS04, 194].
Zur Einteilung medizinischer Fehlleistunden können Taxonomien beispielsweise nach Systemebenen oder nach den Aufgabengebieten Chirurgie, Diagnose, Medikation, usw . entwickelt werden. Ziel der hier verwendeten Taxonomie von [ZPJS04] ist die Be- schreibung, das Verstehen sowie die Erklärung medizinisch er Fehlleistungen [195]. Diese beruht auf kognitiven Faktoren und Mechanismen auf Ebene der Einzelperson sowie der Mensch-Maschine-Interaktion. Diese enthält zwei theoretische Bausteine : Zum einen die von Reason beschriebene Einteilung von Fehl leistungen (error) in Ent- gleisungen (slip) und Fehl er (mistake), zum anderen die Theorie der Handlung von Norman (Norman´s action theory). Die Fehlleistungen werden unterscheidbaren, kogni- tiven Mechanismen und potentiellen Lösungen zugeordnet. Relevant sind für diese Ar- beit insbesondere die Fehl leistungen, die durch den Einsatz entscheidungsunterstütze n- der Werkzeuge vermieden werden können [ ZPJS04, 194ff.].
Einen großen Anteil an medizinischen Fehl leistungen haben nicht menschliche Irrtü- mer, sondern sind in der Komplexität des Systems begründet. Sicherheit ist in diesem Zusammenhang eine Systemeigenschaft. Systematische Fehlleistungen werden in aktive und latente Fehl leistungen unterschieden. Aktive Fehlleistungen verursachen Ereignis- se, die sofort eintreten. Latente Fehlleistungen werden möglicherweise durch Faktoren verursacht, die dem System inhärent sind. Diese beinhalten organisatorische Aspekte, wie Arbeitsbelastung oder ungenügende Ausbildung und unangemessene Wartung der Ausrüstung. Diese Faktoren spielen eine entscheidende Rolle, indem Handelnde dahin- gehend beeinflusst werden, schließlich einen aktiven Fehler zu begehen. Das Konzept der latenten und aktiven Fehl leistungen wird in einer Pyramide (siehe Abbildung 2) dargestellt. Die latenten Fe hlerquellen umfassen die Organisationsstruktur und die A r- beitsumgebung. Zusammen bilden diese das stumpfe Ende einer Pyramide. Zu der O r- ganisationsstruktur gehören Anreize, Hierarchie und Führungsverhalten. Die Arbeit s- umgebung beinhaltet Müdigkeit, Arbeitsbelastung, Ausstattung und physikalische Ein- flussfaktoren (physical agents ).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Sytematische und kognitive Fehler [Entnommen und modifiziert nach Kalr04, 1048]
Die Tätigkeit von Berufsgruppen im Gesundheitswesen findet an der Spitze der Pyramide statt. Menschliches Versagen äußert sich durch Fehlleistungen, Verletzungen, Nachlässigkeit und Inkompetenz. Organisatorische Einflüsse spielen eine kritische Ro l- le bei der Beeinflussung menschlicher Schwächen, die schließlich den Fehle r verursa- chen. Zwei systematische Faktoren, Einstellung und Müdigkeit beeinflussen die Entst e- hung aktiver Fehler maßgeblich. Für die hohe Inzidenz von Fehl leistungen ist zum Teil die Einstellung mitverantwortlich, auch unter äußersten Belastungen fehlerfre i arbeiten zu können. Unter belastenden Umständen werden selbst gut eingeübte Handlungen schlecht ausgeführt. In anderen Industriezweigen wie beispielsweise in der Luftfahrt und im Transportwesen haben die katastrophalen Auswirkungen von Müdigkeit auf die Sicherheit zu der Einführung strenger Regulierungen geführt. Die medizinische Verso r- gung ist der einzige Hochrisikobereich, in dem zur Vermeidung von Schlafentzug die Arbeitszeiten keinen strengen Bestimmungen unterliegen [Kalr04, 1047ff.].
Neben systematischen Faktoren werden fehlerhafte Entscheidungen durch beeinträc h- tigte Wahrnehmung verursacht [Kalr04, 1049]. Ein Großteil der Fehl leistungen in der medizinischen Versorgung ist auf kognitives Versagen zurückzuführen. Menschlich e Leistung beruht auf den drei Teilleistungen Fertigkeit, Regeln und Wissen. Leistungen, die auf Fertigkeiten beruhen, beinhalten Gedanken - und Handlungsmuster, die auf Grundlage zuvor abgespeicherte Muster erlernter (pre-programmed) Anweisungen durchgeführt werden sowie jene, die unbewusst ausgeführt werden. Leistungen, die auf Regeln beruhen, umfassen Lösungen für bekannte Probleme, für die Regeln und Vorb e- dingungen maßgeblich sind. Leistungen, die auf Wissen beruhen, werden verwendet, wenn neue Situationen ang etroffen werden und erfordern ein bewusstes analytisches Vorgehen, das auf gespeichertem Wissen beruht [Kalr04, 1049f.]. Die Unterteilung in Entgleisungen (slips) und Fehler (mistakes) geht auf Reason zurück. Entgleisungen sind auf die falsche Ausführung e iner richtigen Handlungsfolge zurückzuführen. Fehler be- ruhen auf der richtigen Durchführung eines falschen Handlungsablaufes [ZJPS04, 195]. In klinischen Situationen, die nicht einem gewöhnlichen Muster folgen, sondern Lösu n- gen erfordern, die auf Regeln od er Wissen beruhen, suchen Menschen nach vorgeferti g- ten Lösungen. So wird beispielsweise nach Regeln gesucht, bevor auf Wissen zurüc k- gegriffen wird [Kalr04, 1049f.].
Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie und das naturalistische Entscheidungs modell liefern hierfür Erklärungen. In der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie wird angenommen, dass Menschen nur über begrenzte Möglic h- keiten verfügen, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Daher werden ration a- le Entscheidungen beabs ichtigt, jedoch keine objektiv rationalen getroffen. Als Urs a- chen für die begrenzte Rationalität werden unvollständiges oder fragmentarisches Wi s- sen, Schwierigkeiten bei der Bewertung zukünftiger Ereignisse sowie begrenzte Au s- wahl an Entscheidungsalternativen genannt [BeBe06, 169ff.]. Darüber hinaus berück- sichtigt das Modell Aufmerksamkeit, Information und Belastung (stress) als Schlüsse l- faktoren kognitiver Belastung [PoAd06, 28]. Um darzustellen, wie unter den Bedingu n- gen der begrenzten Rationalität vernünftige und intelligente Entscheidungen getroffen werden, wird das Konzept des Satisficing verwendet. In diesem wird angenommen, dass Menschen nicht nach einer optimalen, sondern nach einer befriedigenden Lösung s u- chen. Damit en tfällt ein umfassender Vergleich aller Möglichkeiten. Der Entsche i- dungsträger bricht die Suche ab, sobald eine befriedigende Lösung gefunden wurde . Die Suchkosten in Entscheidungsprozessen sind für den Entscheidenden unbekannt und nicht berechenbar. Ob eine Lösung befriedigend ist oder nicht, hängt vom Anspruchsn i- veau des Entscheidenden ab. Dies es variiert mit den Erfahrungen des Entscheidenden. Wird ein gegebenes Anspruchsniveau über einen längeren Zeitraum nicht erreicht, wird der Entscheidende sein Anspr uchsniveau anpassen. Neben der Suche nach einer befri e- digenden Lösung, legen Menschen bei der Bestimmung des Entscheidungsproblems subjektive Wahrnehmungs- und Deutungsmuster zu Grunde, die den Erfahrungen und Wertvorstellungen des Entscheidungsträgers ent sprechen. Bei sich wiederholenden S i- tuationen werden Entscheidungen auf Grundlage des Gedächtnisinhaltes getroffen [B e- Be06, 177ff.].
In der naturalistischen Entscheidungsforschung bildet das Domänenwissen eines Experten die Grundlage zur Wiedererkennung ty pischer Entscheidungssituationen im dynamischen Kontext. Die typische Entscheidungssituation dient als Prototyp , von der Wissensstrukturen auf die aktuelle Situation übertragen werden [GrHB08, 3f.].
Um diese Fehler zu beschreiben, entwickeln [ZPJS04] eine kognitive Taxonomie [193ff.]. Diese enthält zwei theoretische Bausteine. Zum einen die von Reason be- schriebene Einteilung von Fehlleistungen in Entgleisungen und Fehler, zum anderen die Theorie der Handlung von Norman (Norman´s action theory). Gemäß dieser besteht jede Handlung aus sieben Schritten. Die ersten vier Schritte bilden eine Handlungsfolge bezüglich der Ausführung (execution) einer Tätigkeit. Erstens wird ein Ziel gebildet . Dieses ist vom System oder dem tatsächlichen Hinte rgrund losgelöst und unabhängig. In einem zweiten Schritt wird die Absicht formuliert, die greifbar und abhängig von dem System oder dem tatsächlichen Hintergrund ist. Drittens wird die Tätigkeit durch genaue Angaben bestimmt, indem eine Folge der auszuführenden Handlungen gebildet wird. Schließlich wird die Tätigkeit ausgeführt. Die folgenden drei Schritte bilden eine Handlungsfolge bezüglich der Bewertung (evaluation) einer Tätigkeit. In einem fünften Schritt wird der Zustand des Systems wahrgenommen, um jegliche Veränder ungen des Systemzustandes festzustellen. Als nächstes wird der wahrgenommene Systemzustand interpretiert, d.h. es wird überprüft, ob die wahrgenommene Information einen Sinn ergibt. Schließlich wird der Systemzustand im Hinblick auf die Ziele und Absichten ausgewertet [ZPJS04, 195f.].
Fehler und Entgleisungen können bei jedem Handlungsschritt in jeder Hand- lungsfolge auftauchen. Entgleisungen bei der Ausführung sind mit Durchführung einer Handlung verbunden. Diese können während der Schritte Zielbildung und Formulierung von Absichten sowie Bestimmung und Ausführung der Tätigkeit auftreten. Entsche i- dungsunterstützende Werkzeuge werden bei Entgleisungen während der Bestimmung der Handlung vorgeschlagen. Als kognitive Mechanismen für die Entgleisungen bei der Bestimmung einer Handlung werden assoziative Aktivierung, Beschreibung, Versagen beim Wiederfinden (failure of retrieval), situationsgebundene Aktivierung (situated ac- tivation) und Cross Talk verantwortlich gemacht. Bei der assoziativen Aktivierung wird ähnliches, aber falsche s Wissen aktiviert. Eine Entgleisung bei der Beschreibung erfasst die unvollständige oder mehrdeutige Bestimmung einer beabsichtigten Handlung die einer vertrauten Handlung ähnlich ist. Das Versagen beim Wiederfinden einer wohl eingeübten Handlung kann durch starke Stimuli aus der Umwelt ausgelöst werden. Ein starker Reiz kann automatisch und unbewusst eine Handlung aktivieren, die die bea b- sichtigte ersetzt. Wenn vielfältige Aufgaben gleichzeitig oder nacheinander erledigt werden sollen, besteht immer die Möglichkeit des Cross Talk zwischen den Handlungs- bestandteilen der Aufgabe. Entgleisungen bei der Auswertung sind mit der Bewertung des Handlungsergebnisses verbunden. Diese können in den Phasen Wahrnehmung, Interpretation und Auswertung auftreten. Entscheidungsunterstützung wird bei der Interpretation vorgeschlagen. Entgleisungen bei der Interpretation werden durch Stan- dardwissen (default knowledge ), Bestätigungsbias und Informationsüber lastung verur- sacht. Standardwissen wird verwendet, wenn unbekannte Variablen in der Wissen s- struktur mit Defaultwerten aufgefüllt werden. Unter Bestätigungsbias (confirmation bias) wird die Neigung verstanden, ein Ergebnis als bestätigende n Beleg für die eigene Hypothese zu betrachten. Bei der Informationsüberlastung müssen die Ergebnisinforma- tionen möglicherweise noch weiterverarbeitet werden, bevor diese weiterverarbeitet werden können oder sind in einer vielschichtigen Ansammlung von Informationsquellen vergraben [ZPJS04, 196ff.].
Fehler kommen sowohl bei der Ausführung als auch bei der Bewertung vor. Fe h- ler bei der Ausführung kommen in den Phasen Ziel, Absicht, Bestimmung der Han d- lung und Ausführung der Handlung vor. Bei Fehlern in den Phasen Ziel und Absicht handelt es sich um Fehler im dekla rativen Wissen, in den Phasen Bestimmung der Handlung und Ausführung um Fehler im prozeduralen Wissen. Entscheidungsunterstü t- zung wird für Fehler bei der Zielbildung, in der Absicht und der Handlungsbestimmung vorgeschlagen. Fehler bei der Zielbildung und der Absicht liegen die gleichen kognit i- ven Vorgänge zugrunde. Dazu gehören falsches oder unvollständiges Wissen, der fa l- sche Gebrauch von Wissen, Verzerrungen und fehlerhafte Heuristiken sowie die Info r- mationsüberlastung. Fehler in der Zielbildung entstehe n durch das Übergehen grundl e- gender Informationen. Dies führt möglicherweise zur falschen Diagnose einer Erkra n- kung. Bei einem gegebenen richtigen Ziel ist möglicherweise die Absicht, wie dieses Ziel zu erreichen ist, falsch. Bei Fehlern in der Handlungsbe stimmung handelt es sich um prozedurale Fehler. Diesen liegen ein Mangel an richtigen Regeln, die una ngemes- sene Anwendung guter Regeln oder die Verschlüsselung von Schwächen in Regeln zu Grunde [ZPJS04, 199ff.].
Informationstechnologien im Gesundheitswesen (Health Information Technologies, HIT) umfassen elektronische Krankenakten, CPOE, EUS, elektronisches Management chronischer Erkrankungen sowie Bar Coding von Medikamenten und biologischer Pro- dukte [Ande07, 480].
Medizinische EUS wurden für eine Vielzahl von Nutzergruppen entwickelt. Nach ihren Informationsbedürfnissen und medizinische m Vorwissen werden Forscher, medizinische Praktiker, Gesundheitsmanager sowie die breite Öffentlichkeit unt erschie- den [LeCh06, 1204]. So definieren [WrSi08] die Zielgruppe, das Informationsangebot und die Ziele eines klinischen EUS “… providing clinicians, patients or individuals with knowledge and person specific or population information, intelligently filter ed or pr e- sented at appropriate times, to foster better health processes, better individual patient care, and better population health“ [WrSi08, 642]. [KHBL05] beschränken medizini- sche EUS auf die klinische , also auf den Patienten oder die Patientin bezogene Ent- scheidungsfindung. EUS werden bestimmt als: “any electronic or non electronic system designed to aid directly in clinical decision making, in which characteristics of indivi d- ual patients are used to generate patient specific assessments or recommendations that are then presented to clinicians for consideration” [KHBL05, o.S.]. In dieser Definition wird offen gelassen, ob es sich um eine elektronische Hilfe handelt oder nicht. In den Begriffsbestimmungen von [HHHS98] und [GAMR05] werden unter EUS ausdrücklich elektronische Hilfen verstanden. Diese unterscheiden sich jedoch dahingehend, ob EUS als Software oder IS aufgefasst werden. Während [HHHS98] ein EUS “… as any soft- ware designed to directly aid in clinical decision making in which characteristics of in- dividual patients are matched to a computerized knowledge base for the purpose of g e- nerating patient specific aspects or recommendations that are then presented to clin i- cians for consideration” [1340] verstehen, bezeichnen [GAMR05] rechnerbasierte EUS als “… information systems designed to improve clinical decision making” [1223].
In den vorange gangenen Begriffsbestimmungen wird die direkte Unterstützung durch das Vorstellen von Empfehlungen [HHHS98, 1340][KHBL05, o.S.], die Verbes- serung der klinischen Entscheidungsfindung [GAMR05, 1223], die Förderung von be s- seren Abläufen in der Gesundheitsversorgung, bessere Versorgung einzelner Patienten und bessere Volksgesundheit [WrSi08 , 642] genannt. [EdSB07] nehmen ausdrücklich die Beeinflussung ärztlichen Verhaltens in die Definition auf. Automatische Entsche i- dungsunterstützung sind rechnerbasierte Werkzeuge, die entworfen werden, um ärztl i- ches Verhalten in Echtzeit zu beeinflussen [34]. Auch bei [BeSS07] werden EUS en t- worfen, um das Verhalten d er Zielgruppe direkt durch die Empfehlungen zu beeinflu s- sen [657].
[PZYG08] betonen den logistischen Aspekt “… computer-based decision sup- port can be seen as the use of information technology to bring relevant knowledge for the well being of the patient” [414].
In dieser Arbeit werden in Übereinstimmung mit den aufgeführten Definitionen klinische EUS als IS betrachtet, die entworfen werden, um die Leistungserbringung im Gesundheitswesen zu unterstützen. Zielgruppe der Entsch eidungsunterstützung sind medizinische Berufsgruppen (clinicians). Dazu gehören Ärzte, Assistenzberufe und Pflegepersonal [KHBL05, o.S.]. Klinische EUS werden zunächst sowohl als elektroni- sche als auch als nicht elektronische I S verstanden. Ein IS umfasst „… Menschen und Maschinen, die Informationen erzeugen und/oder benutzen und die durch Kommunik a- tionsbeziehungen miteinander verbunden sind“ [Balz 00, 25].
Die Abkürzung CDSS wird in der Literatur uneinheitlich verwendet. CDSS steht für clincal descision sup port system [TaDN05, o.S.][HHHS98, 1339][RSLM08, 107][GAMR05, 1223]. Zur Abgrenzung von papierbasierten Methoden wird d ie Abkür- zung CDSS für computerized decision support system verwendet [PZYG08, 414][RMDC08, 242]. Synonym wird von [SiMT07] die Bezeichnung electronic decisi- on support system (EDSS) verwendet [225f.]. Die Begriffe elektronische Patientenakte (EPA), electronic health record (EHR) und electronic medical record (EMR) werden synonym verwendet und unter EHR zusammengefasst.
Die Definitionen enthalten die bei [LeCh07] aufgeführten Komponenten eines EUS [1203ff.]. Dort werden Wissensquellen [WrSi08], Daten [KHBL05], Benutzer- oberfläche [HHHS98][KHBL05][WrSi08] sowie Algorithmen oder Prozesse [HHHS98][WrSi08] genannt. Hierbei handelt es sich um allgemeine Architekturmer k- male eines Expertensystems, die bei [Balz00] als Wissensbasis, Meßdatenschnittstelle, Benutzungsoberfläche und Steuersystem bezeichnet werden [708].
In Expertensystemen oder wissensbasierten Techniken wird bereichsspezifis ches Wissen zur Problemlösung und zur Verarbeitung einfacher typischer Fälle verwendet [RuNo04, 44][SpSp05, 516]. So verwendet [Pupp08] die Begriffe wissensbasiertes Sys- tem (WBS), Expertensystem und medizinisches EUS synonym [53ff.]. Sie werden zur Modellierung bei Fragenstellungen der Klassifikation oder Diagnostik, Konstruktion oder Simulation eingesetzt [Balz00, 710]. Diese werden nachfolgend vorgestellt.
Kernelemente eines Expertensystems bilden die Wissensbasis un d die Schlussfolg e- rungskomponente. Diese interpretiert das Wissen in der Wissensbasis, um die vom Nu t- zer spezifizierte Fragestellung zu lösen. Um diese und weitere Problemstellungen abz u- bilden werden in Expertensystem en zur Modellierung der Schlussfolgerungskompone n- te die Methoden Klassifikation oder Diagnostik, Konstruktion und Simulation verwen- det. Bei der Diagnostik oder Klassifikation wird das Ergebnis aus einer Menge gegeb e- ner Alternativen gewählt [Balzz00 , 710]. Bei der Konstruktion wird die Lösung aus einer Menge von Lösungselementen zusammengesetzt. Diese umfasst die Anwendung s- typen, Planung, Konfigurierung und Zuordnung. Planung beinhaltet die Therapiepl a- nung. Die Simulation dient dazu, bestimmte Auswirkungen von Annahmen auf ein Sys- tem vorherzusagen [Balz00, 710ff.]. Die Wissensbasis besteht aus Fakten oder deklar a- tive m Wissen und Regeln oder prozedurale m Wissen. Rahmen zur Beschreibung von Objekten und Skripte zur Beschreibung von Abläufen stellen weitere Möglichkeiten dar. Für die ersten Experte nsysteme wie Mycin wurde das zur Problemlösung notwe n- dige Wissen von einzelnen menschlichen Experten erworben [ScLe86, 13ff.]. Im Ra h- men der EBM bilden CDSS die Spitze der Evidenzpyramide . Die Quellen Evidenz ba- sierten Wissens liegen in brauchbarer Forschu ng [SRGH05, 8f.]. Daher werden neben den Schlussfolgerungsmethoden die unterschiedlichen Untersuchungsentwürfe vorge s- tellt.
Die Hauptmethode Klassifikation umfasst folgende Methoden:
? Die sichere heuristische,
? modellbasierte,
? statistische und fallvergleichende Klassifikation.
Zur sicheren Klassifikation gehören die Konzepte Entscheidungsbäume und Entsche i- dungstabellen. Die modellbasierte Klassifikation beinhaltet die überdeckende und fun k- tionale Klassifikation. Die Hauptmethode Klassifika tion ist geeignet, wenn die Pro b- lemstellung folgende drei Voraussetzungen erfüllt. Erstens gibt es zwei endliche di s- junkte Mengen von Anwendungsmerkmalen und Lösungen. Zweitens ist das Wissen über die Beziehungen zwischen Merkmalen und Lösungen unsicher un d mehrstufig. Drittens ist die Menge der Anwendungsmerkmale möglicherweise unvollständig [Balz00, 711].
Die Lösung wird meist über mehrere Stufen hergeleitet. Das Ziel ist Auswahl e i- ner oder mehrerer Lösungen aus einer Menge vorgegebener Alternativen. Wenn die Lösung durch zusätzliche Merkmale verbessert werden kann, muss in der Klassifikation bestimmt sein, ob und wann welche zusätzlichen Merkmale benötigt werden. Um zu überprüfen, ob ein Anwendungsbereich zur Klassifikation gehört, ist es sinnvoll, die beiden Mengen der Merkmale oder Symptome und der en Lösungen oder Diagnosen explizit aufzuführen. Häufig entstehen auf diese Weise wiederkehrende stereotype L ö- sungsmuster. Die Problemlösung wird durch die Mustererkennung erleichtert. Zu den Anwendungsbereiche n gehören die statische und dynamische Fehlersuche, die Bewe r- tung eines Objektes oder eines Prozesses in Hinblick auf eine bestimmte Norm oder multiple definierte Normen, die Präzedenzauswahl sowie die Objekt identifikation. Bei der Präzedenzauswahl wird ein Objekt auf Grundlage subjektiver, häufig nicht erfüllb a- rer und folglich zu verändernder Wünsche ausgewählt. Bei der Objekt identifikation wird ein physikalisches Objekt als Element einer Objektklasse durch die Interpretation beobachtbarer Merkmale ident ifiziert [Balz00, 710ff.].
Ziel einer medizinischen Diagnose ist es, eine gültige (valid) und genaue (accu- rate) Aussage zu treffen, ob ein spezifischer Patient erkrankt ist. Screening beschreibt die Diagnose vorsymptomatischer Erkrankungen bei Gesunden in der Bevölkerung. Zum Screening gehört ebenfalls das Auffinden von Fällen. Hierbei handelt es sich um Erkrankte mit unspezifischen Störungen. Die Güte eines diagnostischen Tests entspricht dessen Genauigkeit, mit der es hinsichtlich einer Zielerkrankung mög lich ist, Erkrankte von Gesunden zu trennen. Diese wird anhand der Größen Sensitivität und Spezifität beschrieben. Die Klassifikationsregeln können aus den Messgrößen Sensitivität 1 und Spezifität2 der Genauigkeit diagnostischer Verfahren hergeleitet werden . Die Validität beschreibt das Vermögen eines Testes, unsere Auffassung hinsichtlich der Wahrschein- lichkeitsannahme vor dem Test gegenüber den Wahrscheinlichkeitsannahmen nach dem Test zu ändern. Eine andere Möglichkeit, die Genauigkeit einer Untersuchung zu be- schreiben, sind Wahrscheinlichkeitsskalen, die mehrere Ebenen umfassen . Eine Erwe i- terung der Wahrscheinlichkeitsskalen ist die Betrachtung mehrfacher Untersuchungen als ein Bündel (cluster) oder Folge von Untersuchungen für eine gegebene Zielerkra n- kung. Diese mehrfachen Ergebnisse können auf unterschiedliche Art präsentiert werden. Erweisen sich diese in einer zweiten, unabhängigen Testmenge von Erkrankten als be i- nahe ebenso aussagekräftig, werden diese als klinische Vorhersageregel bezeichnet (cli- nical prediction guide, CPG) [SRGH05, 67ff.]. Eine weltweit verbreitete CPG ist die Ottawa Ancle Rule (OAR). Diese wird genutzt, um bei Verletzungen des Knöchels oder des Rückfußes über die Notwendigkeit radiologischer Untersuchungen zu entscheiden. Die Sensitivität liegt bei ungefähr 98% und die Spezifität bei 40%. D as negative Wahr- scheinlichkeitsverhältnis (likelihood ratio) beträgt 0,08. Dieser extrem niedrige Wert kann dahingehend interpretiert werden, dass das Vorliegen eines unauffälligen Befundes nach OAR das Vorhandensein einer Fraktur beinahe ausschließt. Selbst unter Berüc k- sichtigung der Prävalenz ist eine beinahe sic here Klassifikation möglich [ SaMN07, 267ff.].
Bei der Konstruktion wird die Lösung aus Lösungselementen zusammengesetzt. Die Anwendungsbereiche lassen sich in die Anwendungsarten Planung, Konfigurierung und Zuordnung unterteilen. Die Anwendung sarten unterscheiden sich hinsichtlich ihrer el e- mentaren Objekte, der Problemstellung, ihrer Lösung und Lösungsraum. Bei der Konfi- guration werden die elementaren Objekte durch Basisobjekte mit Attributen und deren Beziehungen untereinander gebildet. Verfügbare Basiselemente werden ausgewählt, mit Parametern versehen und zu einem Lösungsobjekt zusammengesetzt, welches die ge- wünschten Eigenschaften aufweist . Die Zuordnung unterscheidet sich von Planung und der Konfigurierung durch gegebene und vollständig gek ennzeichnete elementare Objek- te, deren Zuordnung zu anderen Objekten bestimmt werden muss. Elementare Objekte werden bei der Zuordnung durch mindesten zwei disjunkte Mengen von Objekten g e- bildet. Die Objekte werden unter Beachtung von Randbedingungen auf e ine andere Menge von Objekten abgebildet. Zu den Randbedingungen gehören unter anderem Z u- ordnungspräferenzen und Ressourcenknappheit. Ziel ist es, einen optimalen Zuor d- nungsplan zu finden. Ein Sonderfall ist die Abbildung auf Zeitinter valle. Bei der Pla- nung ist das Ziel, eine optimale Folge von Operatoren zu finden, die einen gegebenen Ausgangszustand in einen gewünschten Endzustand überführt. Elementare Objekte bi l- den Objekte mit Attributen und generischen Operatoren mit Vor - und Nachbedingung [Balz00, 712f.]. Beispielsweise wird die Therapieplanung durch Mycin mit Empfehlun- gen, welche Mittel wirksam sind sowie zur Dosierung und Verabreichungsdauer bei diesem Patienten unter Berücksichtigung des bisherigen Krankheitsverlaufes unterstützt [ScLe86, 21].
Grund lage von Entscheidungen über die Therapieplanung bilden neben randomi- sierten Einzelversuchen und systematischen Reviews klinische Entscheidungsanalysen, ökonomische Analysen, klinische Leitlinien, qualitative Studien sowie Therapieversu- che (n-of-1trials). In klinischen Leitlinien werden Belege über eine Diagnose, Prognose und Therapie einer besonderen Zielerkrankung dargestellt. Eine Leitlinie setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen. Dazu gehört die Zusammenfassung der Belege und eine ausdrückliche Anleitung, wie diese am Patienten angewandt werden können. Qualitative Studien sollen das Verständnis für die Werte und Erfahrungen der Erkrankten erweitern. In einem systematische n Review wird die medizinische Literatur zusammengefasst, in- dem explizite Methoden genutzt werden, um systematisch zu suchen, kritisch zu bewe r- ten und die Weltliteratur zu einem bestimmten Schwerpunkt zusammenzufassen. Ziel ist sowohl Verzerrungen als auch Randfehler (random errors) zu minimieren. In der klin i- schen Entscheidungsanalyse werden explizite quantitative Methoden verwandt, um die wahrscheinlichen Folgen möglicher Behandlungsstrategien miteinander zu vergleichen . Diese integriert die Chancen sowie die Risiken in Bezug auf Nutzen und Schaden, die mit den verschiedenen Behandlun gsmöglichkeiten verbunden sind, mit Werten, die mit der Behandlung und möglichen Ergebnissen verknüpft sind . Die Darstellung erfolgt üblicherweise als Entscheidungsbaum. Wenn kein randomisierter Versuch oder syst e- matischer Review, der für den Patienten von Bedeutung ist, zu finden ist, werden Ther a- pieversuche durchgeführt. Der Erkrankte erhält eine Therapie und es wird beobachtet, ob sich die Symptome verbessern oder verschlechtern [SRHG05, 115ff.]. Das Ausmaß der therapeutischen Wirkung wird durch die Kennziffern relative Risikoreduktion (RRR), absolute Risikoreduktion (ARR) und Anzahl der Patienten, die behandelt werden müssen, um eine Wirkung zu erzielen (number neeed to treat, NNT) beschrieben. Grundlage der genannten Kennziffern bilde n die Ereignisrate in der Kon t- rollgruppe (control event rate , CER) und der Interventionsgruppe (experimental event rate, EER) [SRHG05, 115ff.].
In ökonomische n Analysen werden die Opportunitätskosten zugrundegelegt [SRHG05, 160f.]. Gemessen werden zusätzliche Kosten und Wirkungen. Gängige Eva- luationsverfahren sind die Kosten-Minimierungs- (cost minimization analysis), die Kos- ten Effektivität- (cost-effectiveness analysis, CEA), Kosten-Nutzwert- (cost utility ana- lysis, CUA) und die Kosten-Nutzen-Analyse (cost benefit analysis, CBA). Bei der Kos- ten-Minimierungsanalyse werden keine Wirkungen gemessen. Bei der CEA wird ein zentraler klinischer Endpunkt gemessen. Bei der CUA wird die bewertete gesundheit s- bezogenen Lebensqualität gemessen [Leid07, 205ff.]. Der Nutzen kann in behind e- rungsbereinigten Jahren (Disability-Adjusted Life Years, DALYS), qualitätsbereinigten Jahren (Quality-Adjusted Years, QALYS) oder in äquivalenten gesunden Jahren (Hea l- thy-Years Equivalents, HYEs) gemessen werden. Die QALYS sind die am weitesten verbreitete Methode. Auf Grundlage der QALYS sollen aus einer Menge möglicher Maßnahmen diejenigen ausgewählt werden, die bei einem gegebenen Budget die Su m- me der QALYS maximieren [BrZK03, 25ff.]. Mit der CBA wird Gesundheit in Geld- einheiten bewertet. Welche Kosten einbezogen werden, ist von der Perspektive der Eva- luation abhängig. Zwei wesentliche Perspektiven stellen die gesamtwirtschaftliche Sicht und die Sicht des Finanzierungsträgers dar [Leid07, 206f.].
Die Hauptmethode Konstruktion umfasst die Methoden heuristisches, modellb a- siertes und fallbasiertes Konstruieren. Modellbasiertes Konstruieren umfasst die Ko n- zepte Skelett konstruieren, die Vorschlagen und Verbessern Strategie, Vorschlagen und Vertauschen Strategie sowie die Least Commitment Strategie [Balz00, 712f. ].
Die Hauptmethode Simulation umfasst die Einphasen - und die Mehrphasensimulation. Die Mehrphasensimulation beinhaltet die Konzepte der numerischen sowie der qualit a- tiven Mehrphasensimulation. Während bei der Klassifikation und der Konstruktion L ö- sungen ausgewählt oder zusammengesetzt werden, wird die Simulation zur Prognose der Effekte verwendet, die bestimmte Annahmen auf ein System haben. Dies setzt ein Modell des zu simulierenden Systems vor aus. Ein System wird in diesem Zusamme n- hang als eine Einheit definiert „ … deren Verhalten sich aus dem Verhalten ihrer Ko m- ponenten herleitet“ [Balz00, 714]. Das Modell muss dessen Parameter sowie die Bezi e- hungen der Parameter zueinander enthalten. Die Ausw ahl, welche Parameter und Ko m- ponenten für das Modell wichtig sind, erfordert Erfahrungswissen. Die Ausgabeparame- ter werden aus den Eingabeparametern abgeleitet. Bei Entscheidungen hinsichtlich Prognose und Schäden werden in die Zukunft gerichtete Fragen ge stellt. Die Anwen- dungstypen werden danach eingeteilt, ob die Zeit, die Parameterwerte oder die Param e- terverläufe für die Simulation wesentlich sind. Ist die Zeit wesentlich, wird die Bearbe i- tungszeit simuliert. Bei der Simulation der Parameterwerte wird un tersucht, wie das System auf externe Störungen reagiert. Die Störungen führen dazu, dass sich bestimmte Parameterwerte ändern und sich ein neuer Gleichgewichtszustand einstellt . Relevant sind hier nicht der zeitliche Ablauf, sondern die Werte bestimmter kr itischer Parameter im neuen Gleichgewichtszustand [Balz00, 714f.].
Bei Schäden wird untersucht, ob medizinische Interventionen oder Umweltei n- flüsse schädigend auf Patienten wirken. Die besten Belege über die Wirkungen von Therapien oder putativ schädigende r Substanzen liefern systematische Reviews. Da die- se üblicherweise nicht vorliegen, wird auf randomisierte Versuche, Kohorten- und Fall- kontrollstudien sowie Cross Sectional Studies zurückgegriffen. Sowohl bei Kohorten– und randomisierten Studien erfolgt ei ne zufällige Einteilung in eine Interventions - und eine Kontrollgruppe. Durch Randomisierung werden die beiden Gruppen hinsichtlich anderer Ursachen vergleichbar gemacht. Nach Ablauf eines vorher festgelegten Zei t- intervalls wird festgestellt, ob ein statis tisch signifikanter Unterschied hinsichtlich der Basallinie zwischen den Gruppen beobachtet werden kann [SRGH05, 177ff.].
In Anwendungsbereichen, in denen es keinen Gleichgewichtszustand gibt oder dieser sich nur sehr langsam einstellt, ist der zeitliche V erlauf zwischen diesen relevant. Kennzeichnend für diese Vorgänge ist, dass sich die Parameterwerte zeitlich verändern. Abhängig von den Parameterwerten können neue Prozesse aktiv oder alte inaktiv we r- den. Um einen kontinuierliche n Verlauf zu simulieren, wird der Zeitpunkte definiert und die Parameterwerte dazu berechnet. Als Ergebnis erhält man ein e Folge von Zu- ständen, die durch ihre Parameterwerte charakterisiert sind [Balz00, 715].
Bei prognostischen Entscheidungen werden Fragestellungen betrachtet, ob be- stimmte Interventionen einen bestimmten Krankheitsverlauf abwenden können oder wann es möglich ist, eine Behandlung zu beginnen oder abzubrechen [SRGH05, 101ff.]. Um beispielsweise den individuellen Nutzen oder Schaden einer Screening Intervention bewerten zu können, sind speziell aufbereitete und präsentierte Daten über Erkra n- kungs- und Sterbedaten notwendig . Darüber hinaus müssen valide Instrumente zur Prognose des individuellen Risikos zur Verfügung stehen. Bei der Valididierung von Instrumenten zur Berechnung des individuellen Brustkrebsrisikos wurde gezeigt, dass eine modellbasierte Vorhersage nicht genauer ist als ein Zufallsergebnis. Um das ind i- viduelle Risiko zu schätzen, sind Tabellen, die sich ausschließlich auf das Alter der Frau beziehen genauso aussagekräftig wie Instrumente, die zusätzliche Risikofaktoren wie das Alter bei der Menarche oder Geburt des ersten Kindes berücksichtigen. Auch fam i- liär gehäuftes Auftreten ist meistens eher zufällig als genetisch bedingt [ Mühl07, 278]. Prognostische Studien umfassen Reviews, randomisierte Versuche, Fallkont roll- sowie Kohortenstudien. Letztgenannte bieten die beste Versuchsanordnung, um prognostische Fragen zu beantworten. Der Untersucher folgt einer oder mehrere n Gruppen von Ei n- zelpersonen mit der Z ielerkrankung (target disorder) über die Zeit und überwacht das Auftauchen des Ergebnisses von Interesse [SRGH05, 101ff.].
Ärztliches Schlußfolgern kann als Klassifikation, Konstruktion oder Simulation modelliert werden. Der Schlussfolgerungsmechanismus wird über die Expertensyste m- schale implementiert. Für die ersten Systeme wurde das Wissen von einzelnen Experten erworben [LeSC86, 13ff.]. Die notwendige Wissensbasis wird durch Veröffentlichun- gen von Untersuchungen geschaffen. Nachfolgend wird vorgestellt , wie die Systeme mit anderen HIT zusammenarbeiten.
[WrSi08, 641ff. ] entwickeln in ihrem Review ein Modell mit vier unterscheidbaren architektonischen Phasen bei der Entwicklung klinischer EUS. Die einzelnen Phasen werden anhand des zeitliche n Beginns der Phase unterschieden. Unter Architektur wird die Art und Weise verstanden, in der EUS mit anderen verbundenen Systemen zusam- menarbeiten. Als Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen CPOE und EHR zu nennen.
Die erste Phase beginnt 1959 mit den alleinstehenden (standalone) EUS. Die ers- ten dieser Systeme sind meist auf ein Fachgebiet beschränkt. Schwerpunkt bilde n hier die Entwicklung von Modellen und Inferenzmechanismen. Seit 1967 wird von der zwei- ten Phase mit integrierten Systemen gesprochen [WrSi08, 641ff.]. Wichtige Entwick- lungen stellen das Health Evaluation through Logical Processing (HELP) System und das Regenstrief Medical Record System (RMRS) dar [WoLW00, 244]. In der dritten Phase seit 1989 wurden Standardisierungen wie beispielsweise Arden Syntax entwi- ckelt. Seit 2005 gibt es Servi ce orientierte Modelle. Dazu gehören das Shareable Active Guideline Environment (SAGE) Projekt sowie SEBASTIAN. EUS werden noch in allen vier Architekturmodellen entwickelt, auch wenn sich in den letzten Jahren der Trend in Richtung der späteren Phasen, insbesondere der integrierten und auf Standardisierungen beruhenden Systeme verschoben hat. Diese werden nachfolgend vorgestellt [WrSi08, 645ff.].
Alleinstehende Systeme sind dadurch gekennzeichnet, dass diese getrennt von anderen Systemen arbeiten. Um diese zu nutzen, muss der praktizierende Arzt absichtlich dieses System aufsuchen, sich anmelden, die Daten eingeben und die Ergebnisse lesen und interpretieren. Dazu wurden Systeme von ? Ledley und Lusted sowie Collen zur Unterstützung der Differentialdiagnostik praktizierender Ärzte, ? von Warne r zur Diagnose angeborener Herzerkrankungen, ? von Blaich zur Diagnose und Therapie bei Störungen des Säure -Basen Hausha l- tes und ? von de Dombal zur Diagnose von Bauchschmerzen entwickelt.
Diese beruhen auf mathematischen oder wahrscheinlichkeitstheoretischen Modellen. Um das System zu bewerten, wurde es mit einem menschlichen Experten verglichen.
Das System zur Diagnose angeb orener Herzerkrankungen wurde gegen den Goldsta n- dard chirurgischer Diagnosen evaluiert und schnitt günstig mit erfahrenen Kardiologen ab. Mit dem System von de Dombal konnte gezeigt werden, dass der Computer die An- zahl der Fehler signifikant verringern kann [WrSi08, 642f.].
Seit 1970 wurde die medizinische Informatik von der Künstlichen Intelligenz (KI) beeinflusst [WrSi08, 643]. Im Expertensystem Mycin wurde erstmalig eine k lare Trennung des Wissens von der Schlussfolgerungs komponente umgesetzt [RuNo04, 45][Balz00, 299]. Außer auf biophysikalische m sowie biochemische m Modellwissen beruht medizinisches Wissen nicht unerheblich auf Beobachtung und Erfahrung und ist durch Unsicherheit und Unschärfe gekennzeichnet [SpS p05, 486f.]. Um die Unsiche r- heit abzubilden, die medizinische m Wissen immanent ist, wurde bei der Regelverarbe i- tung das Konzept der Sicherheitsfaktoren entwickelt. Darüber hinaus wurde im Rahmen des Projektes die erste Expertensystemschale (shell) EMYCIN entwickelt, die später für weitere Expertensysteme verwendet wurde [Balz00, 299] und zur Problemlösung die Rückwärtsverkettung nutzte. Die oben genannten Systeme haben beratende Funktion. Den als Critiquing bezeichneten Interaktionsansatz verfolgte erstmalig das Attending System. Außer Daten konnte der Nutzer eine Handlungsfolge eingeben. Das System machte Vorschläge hinsichtlich de r Handlungsfolge. Der Nutzer konnte entscheiden, ob er auf Grundlage dieser Empfehlungen sein Vorhaben ändert [WrSi08, 643].
Die bisherigen Systeme sind auf ein spezifisch es Fachgebiet beschränkt. Das Internist I System erweiterte diagnostische Entscheidungsunterstützung auf den gesa m- ten Bereich der inneren Medizin [WrSi08, 643]. De ssen breite Anwendbarkeit wurde bei der Entwicklung des wissensbasierten Nachschlagewerk Quick Medical References (QMR) verwendet. Diese Systeme werden auch als klassische medizinische Experte n- systeme bezeichnet [SpSp05, 516f.].
Diese Systeme weisen folgende Vorteile auf. Die Entwicklung eines solchen Systems setzt lediglich Zugang zu klinischem W issen und Computerkenntnissen voraus. Eine Standardisierung der Terminologie, Eingabestrukturen, Ausgabeformate und Wi s- sensrepräsentation ist nicht erforderlich. Trotzdem können solche Systeme durch Ve r- vielfältigung leicht geteilt werden. Alleinstehende Sy steme verfügen jedoch über en t- scheidende Nachteile. Der Nutzer muss das System auswählen und folglich kann das System sich nicht proaktiv verhalten. In Fällen, in denen fehlendes Wissen die häufigste Fehlerquelle ist, können diese Systeme nicht unterstütze n. Außerdem erfordert die Da- teneingabe aufgrund fehlender Systemintegration viel Zeit [WrSi08, 644]. Dieser Nach- teil relativiert sich über die Möglichkeit der Einbindung über das Internet. Kommerziell verfügbare Anwendungsbeispiele sind ISABEL und GIDEON [Pupp08, 55].
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1 Sensitivität wird im diagnostischen Zusammenhang definiert als: „the probability of a positive test given the presence of the target disorder“ [SRGH05, 75].
2 Spezifität beschreibt den Anteil der Erkrankten, die nicht an der Zielerkrankung leiden und ein negatives oder normales Testergebnis haben [SRGH05, 75]
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